Ziel« billigend in Kauf nahm. Anschlie

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Rechtsprechung
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Ziel« billigend in Kauf nahm. Anschließend öffnete der Angekl. – während der
Fahrt – den im Kofferraum seines Fahrzeugs angebrachten Verschluss und verteilte im Kreis fahrend die Farbe auf der
Straße. Sodann hielt er an und ließ sich
widerstandslos festnehmen.
Der Angekl. befand sich während der
Vorbereitung und Ausführung der Tat –
wie die sachverständig beratene Strafkammer festgestellt hat – in einer noch
andauernden akuten manischen Phase
seiner bipolaren affektiven Störung, aufgrund derer sein Steuerungsvermögen
jedenfalls erheblich eingeschränkt, nicht
ausschließbar aber auch aufgehoben war.
Die Strafkammer bewertete das Verhalten
des Angekl. als versuchte gefährliche Körperverletzung, vorsätzlichen gefährlichen
Eingriff in den Straßenverkehr und Nötigung.
2. Dem Angekl. die Aussetzung der
Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung zu versagen, hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Die Anordnung der Maßregel selbst
weist allerdings keinen Rechtsfehler auf.
Insbesondere sind die jedenfalls erheblich
verminderte, möglicherweise auch aufgehobene Schuldfähigkeit des Angekl.
und seine künftige Gefährlichkeit infolge seines Zustandes hinreichend belegt.
Auch handelt es sich bei den – ohne medizinische Behandlung – zu erwartenden
»ähnlichen Delikten« jedenfalls insofern
um erhebliche Taten im Sinne des § 63
StGB, als sie der im angefochtenen Urteil
festgestellten (versuchten) gefährlichen
Körperverletzung oder dem vorsätzlichen
Eingriff in den Straßenverkehr entsprechen.
Jedoch ist nach § 67 b Abs. 1 S. 1 StGB
die Aussetzung des Vollzugs der Unterbringung geboten, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass
der Zweck der Maßregel auch ohne deren
Vollzug erreicht werden kann. Bei dieser
Prüfung sind zwar auch die vom LG allein herangezogenen Umstände zu berücksichtigen, nämlich dass der Angekl.
keine Krankheitseinsicht zeigt und sich
weigert, die Medikamente einzunehmen,
die eine »schnelle Linderung der krankheitsbedingten Symptome« herbeiführen
würden. Jedoch hätte die Strafkammer
erörtern müssen, ob sich die vom Angekl. ausgehende Gefahr insbesondere
durch die Begründung eines Betreuungsverhältnisses nach §§ 1896 ff. BGB (vgl.
BGH, Urt. vom 23.05.2000 – 1 StR
56/00, NStZ 2000, 470, 471) und/oder
durch geeignete Weisungen im Rahmen
der Führungsaufsicht (§§ 67 b Abs. 2,
68 b StGB; vgl. dazu BGH, Beschl. vom
25.04.2001 – 1 StR 68/01 – und Urteile
vom 11.06.1987 – 4 StR 227/87 – und
vom 12.06.2001 – 1 StR 574/00) abwenden oder jedenfalls so stark abschwächen
lässt, dass ein Verzicht auf den Vollzug
der Maßregel gewagt werden kann. Denn
die damit verbundenen Überwachungsmöglichkeiten und das dem Besch. zu
verdeutlichende Risiko, bei Nichterfüllung solcher Weisungen mit dem Vollzug
der Unterbringung rechnen zu müssen,
können geeignet sein, die vom Sachverständigen und der Strafkammer angeführten Voraussetzungen einer erfolgversprechenden ambulanten Therapie herbeizuführen (vgl. BGH, Urt. vom
12.06.2001 – 1 StR 574/00 – und Urt.
vom 27.03.2007 – 1 StR 48/07, NStZ
2007, 465 jeweils m. w. N.). Hierzu bestand vorliegend schon deshalb Anlass,
weil – was die Strafkammer ebenfalls
nicht erörtert – sich der Angekl. trotz
seines Zustandes bis zur Begehung der
verfahrensgegenständlichen Tat straffrei
geführt hat und auch danach ohne weitere relevante Auffälligkeiten zunächst
auf freiem Fuß verblieben ist (vgl. BGH,
Beschluss vom 26.05.2009 – 4 StR
148/09 m. w. N.).
10. Vorlagepflicht schriftlicher
Gutachten
KG, Beschluss v. 08.03.2010 –
2 Ws 40, 41/10
§ 454 Abs. 2 StPO
Leitsatz:
Im Gegensatz zur Beauftragung eines
Sachverständigen in der Hauptverhandlung, in der die Regeln der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit herrschen,
handelt es sich bei der Prüfung der
Aussetzung des Strafrestes nach § 454
StPO in seinem Grundsatz um ein
schriftliches Verfahren, sodass ein
Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf
Vorlage eines schriftlichen Gutachtens
besteht.
Aus den Gründen:
Die StVK hat mit Beschluss vom
04.12.2009 den Arzt für Neurologie und
Psychiatrie R. mit der Erstellung eines nur
mündlich zu erstattenden kriminalprognostischen Gutachtens nach § 454
Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO beauftragt. Ent-
sprechend hat der Sachverständige seine
gutachterlichen Erwägungen im Anhörungstermin am 18.12.2009 mündlich
dargelegt, die für die StVK ausweislich der
Beschlussgründe zumindest mit ausschlaggebend für die Aussetzungsentscheidung waren. Das Fehlen eines schriftlichen Gutachtens stellt jedoch einen
Verfahrensfehler dar. Denn im Gegensatz
zur Beauftragung eines Sachverständigen
in der Hauptverhandlung, in der die Regeln der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit herrschen, handelt es sich bei der
Prüfung der Aussetzung des Strafrestes
nach § 454 StPO in seinem Grundsatz
um ein schriftliches Verfahren, sodass ein
Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf
Vorlage eines schriftlichen Gutachtens
besteht (BGH NJW 2010, 544; a. A.
Appl in KK, StPO 6.Aufl., § 454
Rn. 29 a). Nach dem Gesetzeszweck soll
ein fundiertes, wissenschaftlich begründetes Gutachten das Gericht in die Lage
versetzen, die Art der von dem Verurteilten drohenden Straftaten und das mit der
vorzeitigen Entlassung verbundene Risiko
wesentlich zuverlässiger einzuschätzen
(BT-Drs 13/8586, 10 vom 25.09.1997).
Mit der nach § 454 Abs. 2 S. 3 StPO
vorgesehenen Anhörung des Sachverständigen gewährt der Gesetzgeber den Verfahrensbeteiligten zusätzlich die Gelegenheit, das Sachverständigengutachten
eingehend zu diskutieren und das Votum
des Sachverständigen zu hinterfragen (BTDrs 13/9062, 14 vom 13.11.1997).
Schon angesichts der im Zusammenhang
mit dem Gutachten häufig auftretenden
komplexen tatsächlichen, rechtlichen und
psychologisch schwierigen Fragestellungen ist ein schriftliches Gutachten
unabhängig von der Anhörung des Sachverständigen unabdingbar, um den Verfahrensbeteiligten überhaupt die Möglichkeit umfassenden rechtlichen Gehörs
zu gewähren. Dass der Gesetzgeber stets
von der Fertigung eines schriftlichen Gutachtens ausgegangen ist, zeigt überdies die
Vorschrift des § 454 Abs. 2 S. 4 StPO, die
das Absehen von einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen in einem
Ausnahmefall regelt; in einem solchen Fall
dient allein das schriftliche Gutachten der
Entscheidung als Grundlage. Ohne ein
solches Gutachten ist zudem das Beschwerdegericht nicht in der Lage zu überprüfen, ob die StVK die Erwägungen des
Sachverständigen zutreffend gewürdigt
und bei ihrer Entscheidung entsprechend
berücksichtigt hat. Allein die Darstellung
der Erwägungen in den Beschlussgründen – wie hier – oder dem Anhörungsvermerk reichen dazu nicht aus.
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Das Verfahren leidet darüber hinaus
an einem weiteren Mangel; denn die StA
hatte keine Kenntnis von dem Anhörungstermin und daher keine Gelegenheit, an diesem teilzunehmen. Dies wiegt
umso schwerer, als ein schriftliches Gutachten fehlt. Nach der zwingenden Regelung in § 454 Abs. 2 S. 3 StPO ist der
StA – wie den übrigen Verfahrensbeteiligten – aber Gelegenheit zu geben, an
der mündlichen Anhörung des Sachverständigen mitzuwirken. Darauf hatte die
StA auch nicht verzichtet. Denn die im
Formular der staatsanwaltschaftlichen
Übersendungsverfügung enthaltene Erklärung, eine Terminsnachricht nicht zu
benötigen, bezog sich gerade nicht auf
die Anhörung des Sachverständigen, von
dessen Einschaltung zu diesem Zeitpunkt
noch keine Rede war. Insoweit hätte es
einer ausdrücklichen Verzichtserklärung
der StA bedurft.
Da gemäß § 454 Abs. 2 S. 3 StPO im
Regelfall die mündliche Anhörung des
Sachverständigen, bei der die Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Mitwirkung
haben, geboten ist, scheidet eine Beauftragung durch den Senat aus und bedarf
es der Zurückverweisung der Sachen an
die StVK. Das Beschwerdegericht kann
das mit einer mündlichen Anhörung verbundene erforderliche Verfahren im Beschwerdeverfahren nicht nachholen;
denn eine mündliche Anhörung findet
vor dem Beschwerdegericht in der Regel
nicht statt (vgl. ThürOLG NStZ 2007,
421; Senat NJW 1999, 1797 und Beschluss vom 23.02.2007 – 2 Ws 121/07;
Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflage,
§ 454 Rn. 47 m. w. N.).
Rechtsprechung
Rechtsprechung in Leitsätzen
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Zwangsvollstreckung gegen
suizidgefährdeten Schuldner
BGH, Beschluss v. 15.07.2010 –
V ZB 1/10
§ 765 a ZPO
von dem Arzt zu erfüllen, der eine
Zwangsmaßnahme gemäß § 81 a StPO
vorzunehmen hat, falls der Betroffene
hierdurch in die Lage versetzt wird, den
hinzunehmenden Eingriff schonender zu
gestalten; weder Verständigungsprobleme noch eine angenommene
Eilsituation dürfen den Arzt veranlassen,
den Eingriff ohne die gebotene Aufklärung vorzunehmen.
Erachtet das Vormundschaftsgericht
Maßnahmen zum Schutz des Lebens des
Schuldners nicht für geboten, solange
die Zwangsvollstreckung nicht durchgeführt wird, so setzt die Fortsetzung der
Vollstreckung gegen den suizidgefährdeten Schuldner voraus, dass das
Vollstreckungsgericht flankierende
Maßnahmen ergreift, die ein rechtzeitiges Tätigwerden des Vormundschaftsgerichts zur Abwendung der Suizidgefahr ermöglichen.
3. Fahrlässig schuldhaftes Handeln
kommt unter dem Aspekt des Übernahmeverschuldens bei demjenigen Arzt in
Betracht, der eine Tätigkeit vornimmt,
obwohl er weiß (bewusste Fahrlässigkeit) oder erkennen kann (unbewusste
Fahrlässigkeit), dass ihm die dafür
erforderlichen Kenntnisse fehlen. Die
Anerkennung eines Übernahmeverschuldens beruht auf der besonderen
Schutzpflicht des – durch die Approbation nachgewiesen – ausgebildeten
Arztes für das ihm anvertraute Rechtsgut, die Unversehrtheit der Gesundheit
seiner Patienten; einer solchen Pflicht
unterliegt, weil er gemäß § 81 a Abs. 1
StPO die Regeln der ärztlichen Kunst
einzuhalten hat, auch ein nach dieser
Vorschrift handelnder Arzt.
Ärztliche Verantwortung
für Brechmitteleinsatz
BGH, Urteil v. 29.04.2010 –
5 StR 18/10
Art. 3 EMRK, Art. 1 GG, §§ 222,
227 StGB, 81 a StPO
4. Der Arzt ist in der Regel nicht befugt,
das medizinische Risiko des von ihm
vorzunehmenden Eingriffs auf einen
Arzt außerhalb des Beweissicherungsdienstes zu übertragen; ein Notarzt ist
angesichts seines beschränkten
Auftrages ebenso wenig berechtigt,
dieses Risiko zu übernehmen.
Leitsatz:
Leitsatz:
Zur Verantwortlichkeit eines im Beweissicherungsdienst tätigen Arztes für
tödlich verlaufenen Brechmitteleinsatz
gegen Drogen-Kleindealer.
Leitsätze (der Redaktion):
1. Der die Zwangsmaßnahme ausführende Arzt ist zu einer verantwortlichen
Prüfung der rechtlichen Eingriffsvoraussetzungen jenseits der Beurteilung der
medizinischen Risiken allenfalls in dem
Maße verpflichtet, als er an einer
erkennbar willkürlich angeordneten
Zwangsmaßnahme nicht teilnehmen
darf.
2. Die für die ärztliche Berufsausübung
wesentliche Aufklärungspflicht ist auch
5. Ein Verbot der Fortsetzung der
Exkorporation nach erfolgreicher
Bergung des ersten Kokainkügelchens
kann sich aus dem Gebot der Wahrung
der Menschenwürde ergeben: Das sich
aus § 7 Abs. 1 der Berufsordnung
ergebende Gebot gilt für »jede medizinische Behandlung« und umfasst
demnach auch die von Ärzten ausgeführten Zwangsmaßnahmen gemäß
§ 81 a Abs. 1 StPO; soweit Ärzte als
Ermittlungsgehilfen zu betrachten
wären, würde im Blick auf die sich
wegen eines Verstoßes gegen Art. 1
Abs. 1 GG und Art. 3 EMRK ergebende
Unzulässigkeit des Eingriffs nichts
anderes gelten.
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