Taschenatlas Augenheilkunde von Torsten Schlote, Matthias Grüb, Jörg Mielke, Martin Rohrbach 1. Auflage Taschenatlas Augenheilkunde – Schlote / Grüb / Mielke / et al. schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Thieme 2004 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 13 131481 9 Inhaltsverzeichnis: Taschenatlas Augenheilkunde – Schlote / Grüb / Mielke / et al. 13 Netzhaut und Glaskörper A. Kolobom D. Retinoblastom Ein Aderhaut-Netzhaut-Kolobom ist durch eine nach unten gerichtete Spaltbildung charakterisiert. Die Ursache dieser kongenitalen Anomalie liegt in einem inkompletten Schluss der fetalen Augenbecherspalte. Bei über 60 % der Patienten sind die Kolobome beidseitig. Eine gut abgrenzbare, ovale, weiß-gelbliche Läsion zeigt sich meist in der unteren temporalen Fundushälfte (A). Sie kann sich bis zur Papille und Makula erstrecken. Iris oder Linse können beteiligt sein. Mikrophthalmie, hohe Myopie, Katarakt und Phthisis bulbi können assoziiert sein. Die Visusprognose ist vom Ausmaß des Koloboms und vom Vorhandensein anderer Anomalien abhängig. Amblyopie, Nystagmus und Strabismus sind häufig. Sekundäre choroidale Neovaskularisationen und die Netzhautablösung sind Komplikationen des AderhautNetzhaut-Koloboms. Das Retinoblastom ist der häufigste maligne Augentumor im Kindesalter. Es stammt von primitiven Retinoblasten ab. Das verantwortliche Gen für das Retinoblastom ist auf dem Chromosom 13q14 lokalisiert. Die Häufigkeit liegt bei 1 : 14 000 Lebendgeburten. Das durchschnittliche Diagnosealter beträgt 18 Monate. 67 % der Fälle sind unilateral. Die häufigste Präsentation des Retinoblastoms sind Leukokorie (50 %), Strabismus (20 %), Sehminderung, rotes Auge, Glaukom und orbitale Zellulitis. Das Retinoblastom wächst endophytisch (subretinal), (Da) oder exophytisch (in den Glaskörperraum, (Db). Echographisch zeigt sich eine solide Masse mit einer hohen Innenreflektivität. Die Klassifikation in den Tumorgeweben lässt sich echographisch und computertomographisch darstellen, wobei die Differenzialdiagnose anderer Ursachen einer Leukokorie bedeutsam ist (s. u.). Histopathologisch sichern die Rosetten (Flexner-Wintersteiner-, Dc, und Homer-Wright-) und Fleuretten die Diagnose. Therapieoptionen sind Laser Fotokoagulation, Thermotherapie, Kryotherapie, externale Strahlentherapie, Brachytherapie, Chemotherapie und Enukleation. Die betroffenen Familien bedürfen einer ausführlichen genetischen Beratung. Die Prognose des Retinoblastoms ist von der Invasion des Sehnervs und der Aderhaut abhängig. Die Mortalität beträgt ca. 8 % in Abwesenheit einer Sehnervinvasion, wobei diese Rate auf 45 % steigt, wenn eine Tumorinvasion bis hinter die Lamina cribrosa reicht. B. Fibrae medullaris Fibrae medullaris sind kongenital angelegte, markhaltige, intraretinale Nervenfasern. 80 % der Fälle sind einseitig. Es zeigt sich häufig eine juxtapapilläre hellweiße federartige Läsion (B). Fibrae medullaris sind in den inneren Schichten der Netzhaut lokalisiert. Isolierte Läsionen am hinteren Pol und in der mittleren Peripherie können vorkommen. Differenzialdiagnostisch sollten ein Papillenödem, Papillitis, retinale Entzündungen und Cotton-Wool-Herde ausgeschlossen werden. Die zentrale Sehschärfe wird selten beeinflusst. C. Kapilläres Hämangiom (Von-HippelTumor, Angiomatosis retinae) 168 Ein kapilläres Hämangiom kann sich in der Netzhautperipherie oder am Papillenrand präsentieren. Der Tumor zeigt sich als rötlich-weißliche, prominente, runde Läsion mit versorgenden Gefäßen (C). Abhängig von der Leckage des Tumors zeigen sich harte Exsudate, exsudative Ablatio, fibrovaskuläre Proliferationen und Hämorrhagien. Sind andere Organe (Kleinhirn, Niere, Nebenniere, Pankreas) betroffen, handelt es sich um die hereditäre Von-Hippel-LindauErkrankung. Eine Allgemeinuntersuchung der Patienten und ein Familienscreening sind daher unentbehrlich. Die Therapie beinhaltet die Laserfotokoagulation, Kryotherapie, fotodynamische Therapie, Brachytherapie und Vitrektomie. E. Leukokorie Als Leukokorie wird ein weißlicher Reflex in der Pupillaröffnung bezeichnet. Die Leukokorie bedarf einer präsizen Differenzialdiagnose. Mögliche Ursachen einer Leukokorie sind primärer, hyperplastischer, persistierender Glaskörper, Morbus Coats, okuläre Toxoplasmose, Retinoblastom, Netzhautablösung, Katarakt, Endophthalmitis. Schlote, Grüb, Mielke, Rohrbach, Taschenatlas Augenheilkunde, (ISBN 3131314818), © 2004 Georg Thieme Verlag Retinochoroidales Kolobom in der unteren Fundushälfte C. Kapilläres Hämangiom B. Fibrae medullaris Fibrae medullaris unterhalb der Papille D. Retinoblastom Kapilläres Hämangiom der Netzhaut mit versorgenden Gefäßen a Kalzifiziertes Retinom (evtl. regredientes Retinoblastom) b Exophytisches Retinoblastom (makroskopisches Bild nach Enukleation) c Flexner-Wintersteiner-Rosetten bei Retinoblastom Kongenitale Anomalien und Tumoren A. Kolobom 169 13 Netzhaut und Glaskörper A. Degenerationen und Alterungsveränderungen 170 Glaskörperverflüssigung. Mit zunehmendem Alter kommt es zu einer Verflüssigung des gelförmigen Glaskörpers. Dies beginnt vor der Makula oder im Zentrum des Glaskörpers. Bei über 40-Jährigen findet sie sich in über 90 %. Ein früheres Auftreten ist bei Myopie, Uveitis, Trauma, Operationen und bei manchen hereditären Syndromen zu beobachten. Hintere Glaskörperabhebung. Nach der Glaskörperverflüssigung löst sich die hintere Glaskörpergrenzmembran von der Netzhaut (Aa). Der hintere Glaskörper ist an der Papille mit einer ringförmigen Struktur angeheftet, die sich nach der Abhebung im Glaskörperraum als beweglicher Ring (Weiss-Ring) zeigt. Dies gilt als sicherer Nachweis einer Glaskörperabhebung. Patienten nehmen diese Struktur oft als ein durchsichtiges bewegliches Objekt vor dem Auge wahr. Eine hintere Glaskörperabhebung zeigt sich bei 25 % der 60- bis 69-Jährigen. Im Alter von 70 bis 79 Jahren steigt diese Rate auf mehr als 60 % an. Eine vorzeitige Glaskörperabhebung kann sich bei hoher Myopie, nach Kataraktoperation, intraokulärer Entzündung sowie Trauma entwickeln. Glaskörperblutung. Nach einer akuten hinteren Glaskörperabhebung kommt es oft zu einer Trennung des Glasköpergels an der Glaskörperbasis in den oberen Quadranten der Netzhaut. Führt der Zug des Glaskörpers dabei zu einer Blutung in den Glaskörperraum, zeigt sich oft in der unteren Peripherie, an der Grenze des noch anliegenden Glaskörpers eine spiegelbildende Blutung (Ab). Äquatoriale Degeneration (Pallisade). Äquatoriale Degenerationen zeigen sich bei ca. 4,5 % emmetroper und ca. 17 % myoper Augen über 6 dpt. Diese Läsionen können sich zirkulär, im Bereich des posterioren Äquators oder auch radiär entlang eines peripheren Netzhautgefäßes zeigen. Oft werden multiple atrophische Rundlöcher in der Pallisade sichtbar. Dennoch sind klinisch die sog. Hufeisenforamina, die am Rande der Pallisade entstehen, die eigentliche Ursache einer rhegmatogenen Netzhautablösung. Weiß (mit oder) ohne Druck. Hierbei handelt es sich um eine gut abgrenzbare weißliche Läsion in der Netzhautperipherie. Kann sie ohne zusätzliches Eindellen der Netzhaut durch den Untersucher dargestellt werden, wird von Weiß mit Druck gesprochen. Ist diese bereits ohne zusätzliche Manipulation sichtbar, spricht man von Weiß ohne Druck. Ein erhöhtes Risiko für eine Netzhautablösung besteht nicht. Es wird dennoch eine prophylaktische Laserbehandlung empfohlen, wenn das Partnerauge zu einem früheren Zeitpunkt einen Riesenriss der Netzhaut entwickelt hatte. Pflasterstein-Degeneration. Als solche werden in der Netzhautperipherie lokalisierte, gut abgrenzbare Areale einer Pigmentepithelatrophie bezeichnet. Es besteht keine Assoziation mit einer primären Netzhautrissbildung. Retinoschisis. Bei der Retinoschisis ist die neurosensorische Netzhaut in sich selbst gespalten. Die typische Retinoschisis (Aufspaltung in der äußeren plexiformen Schicht) beginnt in der Ora serrata als zystoide Degeneration (Ac). Der retikuläre Typ der Retinoschisis zeigt eine Aufspaltung in den innersten Schichten der neurosensorischen Netzhaut. Die Retinoschisis ist häufig beidseitig und in den unteren Quadranten der Netzhautperipherie lokalisiert. Die Häufigkeit beträgt 4–10 %. Bei über 20 % der Augen mit Retinoschisis werden Außenschichtforamina gesehen. Innenschichtforamina sind dagegen sehr selten. Die Retinoschisis ist oft benigne und erfordert keine Therapie. Das Risiko einer progredienten Schisisablatio liegt bei 1 %. Die Retinoschisis zeigt im Gegensatz zur Netzhautablösung eine durchsichtige, starre Oberfäche, keine Mitbewegungen mit Augenbewegungen, und innerhalb der Schisiskavität weiße Herde bei Laserapplikation. Die Therapie einer progredienten Schisisablatio erfolgt mittels Buckelchirurgie oder Pars-plana-Vitrektomie. Asteroide Hyalose. Es zeigen sich zahlreiche gelblich-runde Partikel im Glaskörper, die sich mit Augenbewegungen mitbewegen (Ad). In 70% einseitig und ohne Krankheitsbedeutung. Sehvermögen nicht eingeschränkt. Synchisis scintillans. Zahlreiche, kleine, gelbe Strukturen im Glaskörperraum. Nach Augenbewegungen senken sich die Partikel ab. Häufig beidseitig. Auf die Sehschärfe haben sie keinen negativen Einfluss. a Glaskörperabhebung mit avulsiertem Netzhautge- b Glaskörperblutung bei hinterer Glaskörperabhefäß und Deckel eines Netzhautforamens; exsudabung tive Laserherde verriegeln das Foramen c Retinoschisis mit Außenschichtforamina Degenerationen und Alterungsveränderungen A. Degenerationen und Alterungsveränderungen b Asteroide Hyalose 171 A. Netzhautablösung Als Netzhautablösung (Ablatio retinae) wird die Ablösung der neurosensorischen Netzhaut vom retinalen Pigmentepithel durch Einströmen von Flüssigkeit in den subretinalen Raum bezeichnet. Es werden verschiedene Formen (rhegmatogen, exsudativ, traktiv) unterschieden. 13 Netzhaut und Glaskörper B. Rhegmatogene Netzhautablösung 172 Die rhegmatogene (= rissbedingte) Netzhautablösung wird durch einen durchgreifenden Defekt (Foramen) ausgelöst. Es handelt sich um einen ophthalmologischen Notfall, der unbehandelt zur Erblindung führen kann. Ätiologie/Pathogenese. Am häufigsten sind eine altersbedingte Destruktion und die Verflüssigung des Glaskörpers ursächlich beteiligt. Die der Degeneration folgende Glaskörperabhebung kann über Traktion (Glaskörperzug) auf die periphere Netzhaut Löcher und Risse verursachen, durch die der flüssige Anteil des Glaskörpers eindringen und die neurosensorische Schicht der Netzhaut von der Pigmentepithelschicht trennen kann. Andere prädisponierende Faktoren sind hohe Myopie, Kataraktoperation und okuläre Traumen. Epidemiologie. Die Inzidenz der rhegmatogenen Netzhautablösung beträgt 0,01 %. Die rhegmatogene Amotio retinae wird zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr am häufigsten diagnostiziert. Das Risiko der rhegmatogenen Ablatio am Partnerauge liegt bei 10 %. Klinik. Wichtigste Symptome sind Photopsie (Blitze am Auge), fliegende Mücken („Mouches volantes“) und ein absolutes Skotom („Vorhang“). Ist die Makula nicht betroffen (Ba), kann die Sehschärfe relativ gut sein. Klinisch zeigt die abgelöste Netzhaut eine weißliche und faltige Oberfläche (Ba – c). Es finden sich Netzhautdefekte, Pigmentzellen und Erythrozyten im Glaskörper sowie ein häufig subnormaler Augeninnendruck. Diagnose. Die Diagnose erfolgt klinisch durch eine ausführliche indirekte Ophthalmoskopie in Mydriasis. Ziel der Untersuchung ist es, alle ursächlichen Netzhautdefekte zu erfassen. Sollte sich kein Netzhautdefekt zeigen, ist eine Echographie zum Ausschluss einer exsudativen Netzhautablösung erforderlich. Typen von Netzhautlöchern: ● Hufeisenforamen ( Bd ). Der anteriore Teil der Netzhaut ist durch Glaskörperzug eleviert. Es kann sich ein Brückengefäss zeigen. Das Risiko der Netzhautablösung ist hoch. ● Rundes Loch mit Deckel. Der Deckel liegt frei oberhalb des Netzhautloches. An den Lochrändern besteht kein Glaskörperzug. Somit ist das Risiko für die Ablösung gering. ● Atrophisches Loch. Oftmals zeigt sich ein rundes Netzhautloch ohne Glaskörperzug mitten in einer Palisade. Das Risiko für eine Netzhautablösung ist gering. ● Dialyse. Der Netzhautdefekt zeigt sich im Bereich der Ora serrata. Die Ursache ist oftmals ein Trauma (s. Ablösung bei Orariss). C. Exsudative Netzhautablösung Bei der exsudativen Ablatio erfolgt die Trennung der neurosensorischen Netzhaut vom Pigmentepithel durch einen vermehrten Flüssigkeitsaustritt (Leckage) aus intraokularen Tumoren, eine Störung der Blut-Retina-Schranke oder durch die mechanische Blockade des venösen Abflusses der Netzhaut. Ätiologie/Pathogenese. Aderhaut oder Netzhauttumore (Hämangiom, malignes Melanom, Retinoblastom, Angiomatosis retinae, Metastasen, periphere vasoproliferative Netzhauttumore), systemische Erkrankungen (Leukämie, fortgeschrittene arterielle Hypertension, Niereninsuffizienz, Schwangerschaftsgestose), vaskuläre Netzhauterkrankungen (ischämischer Zentralvenenverschluss, Morbus Coats, Aderhautischämie), Entzündungen (Skleritis, Morbus Harada, orbitale Echinococcus). Eine internistische Untersuchung ist zum Ausschluss von Fernmetastasen bei Tumorverdacht durchzuführen. Diagnose. Die Grenzen der exsudativen Ablösung ändern sich mit der Lage (im Gegensatz zur rhegmatogenen und traktiven Ablatio) und die Oberfläche ist glatt. Sie wird oftmals in der unteren Fundushälfte gesehen (C). Eine prominente Masse, auffällig dilatierte Netzhautvenen oder andere Entzündungszeichen sind wegweisend. B. Rhegmatogene Netzhautablösung b Subtotale Netzhautablösung mit Makulabeteiligung c Totale Netzhautablösung d Hufeisenforamen mit Brückengefäß umriegelt mit exsudativen Laserherden Netzhautablösung a Netzhautablösung in der temporalen mittleren Peripherie ohne Makulabeteiligung C. Exsudative Netzhautablösung Inferiore exsudative Netzhautablösung bei retinaler Gefäßanomalie 173 A. Traktive Netzhautablösung 13 Netzhaut und Glaskörper Bei der traktiven Netzhautablösung zeigt die abgelöste Netzhaut eine starre, konkave Oberfläche. Nachbewegungen der Netzhaut fehlen. Epiretinale Membranen und Sternfalten der Netzhaut sind zusätzlich charakteristische Befunde. Häufigste Ursachen sind die proliferative Vitreoretinopathie (Diabetes mellitus, Gefäßverschlüsse der Netzhaut, Ablatiooperation, Trauma), eine persistierende Glaskörpertraktion und hereditäre vitreoretinale Erkrankungen. 174 B. Sonderformen der Netzhautablösung Netzhautablösung bei Orariss. Bei 85 % der Netzhautablösungen nach stumpfem okulären Trauma findet sich ein Orariss. Es entwickelt sich eine Desinsertio der Netzhaut in der Ora serrata. 80 % der Ablösungen werden innerhalb von 2 Jahren nach dem Trauma diagnostiziert. Am häufigsten wird der superonasale oder inferotemporale Quadrant betroffen. Die Progression der Orariss-Ablösung ist aufgrund der festen Konsistenz des Glaskörpers bei jungen Patienten schleichend. Therapie der Wahl ist ein limbusparalleler Buckel mit Kryochirurgie (s. u.). Riesenrissablatio. Ein zirkulärer Netzhautriss über mehr als 90° der Zirkumferenz wird als Riesenriss bezeichnet. Größtenteils ist dieser idiopathischer Natur oder entwickelt sich nach stumpfen oder operativen okulären Traumen. Andere Ursachen sind vitreoretinale Dystrophien (Wagner-Stickler) und die akute Netzhautnekrose. Männer sind häufiger betroffen. Die Erkrankung ist häufig beidseitig. Operativ kommen verschiedene Verfahren (Buckelchirurgie mit oder ohne intraokulare exponierende Gasinjektion, Pars-plana-Vitrektomie mit Silikonölendotamponade) in Frage. Das Partnerauge muss regelmäßig kontrolliert werden. Eine prophylaktische Behandlung auffälliger peripherer Netzhautareale am Partnerauge wird empfohlen, besonders bei gleichzeitig vorhandener hoher Myopie und Glaskörpertraktion. Frühgeborenen-Retinopathie (Retrolentale Fibroplasie, ROP). Es handelt sich um eine vasoproliferative Vitreoretinopathie, die bei den Betroffenen bereits im Kindes- und Jugendalter zur Ablatio führen kann. Die ROP betrifft Frühgeborene, die hohen Sauerstoffkonzentrationen ausgesetzt werden. Dadurch kann die normale vaskuläre Entwicklung der unreifen Netzhaut unterbrochen werden. Infolgedessen kommt es zu unerwünschten gefäßproliferativen Prozessen (aktive ROP), die in ein Narbenstadium mit Glaskörper- und epiretinale Traktion übergehen. Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1500 g oder mit einer Schwangerschaftsdauer von weniger als 32 Wochen haben ein hohes Risiko für die Entwicklung einer ROP. Die Netzhautablösungen im ersten Lebensmonat sind meistens traktiv oder exsudativ. Eine rhegmatogene Ablösung entwickelt sich erst nach einigen Jahren mit Veränderungen des gelförmigen Glaskörpers. Eine internationale Klassifikation hat die Stadien der ROP definiert (Tab. 1, Ba – c). Auch wenn die Mehrzahl der betroffenen Kinder eine spontane Regression zeigt, kann das Fortschreiten der ROP zur Erblindung führen. Die Behandlung ist abhängig von den Stadien, Ausprägung und von der Lage der pathologischen Veränderungen. Therapeutische Optionen sind die Kryotherapie, Laserkoagulation, Buckelchirurgie und Vitrektomie. Proliferative Vitreoretinopathie (PVR). Eine PVR entwickelt sich nach Migration und Proliferation von Pigmentzellen, Gliazellen, Makrophagen und Fibroblasten im Glaskörper und auf der Netzhautoberfläche (epi- und subretinal). Die resultierenden Membranstrukturen führen zur traktiven Netzhautablösung (Bd). Häufig bei lange unbehandelten Netzhautablösungen und nach misslungener Ablatio-Chirurgie. Weitere Risikofaktoren sind Zahl, Größe und Lage der Netzhautrisse, eine vorherige Laserkoagulation oder Kryotherapie der Netzhautrisse sowie mehrfache intraokuläre Eingriffe. Abhängig vom Schweregrad der PVR kann durch eindellende Verfahren ein anatomischer Erfolg bei ca. 40 % der Patienten erreicht werden. Durch Kombination mit der Vitrektomie kann ein Erfolg von über 75 % erzielt werden. Die funktionellen Ergebnisse sind auch nach Erreichen einer Netzhautanlage sehr bescheiden. B. Sonderformen der Netzhautablösung Tab. 1 Stadien der Frühgeborenenretinopathie Klinik I Demarkationslinie (zwischen der gesunden und avaskulären Netzhaut) II Leistenbildung III extraretinale fibrovaskuläre Proliferation IV a b inkomplette Netzhautablösung – ohne Makulabeteiligung – mit Makulabeteiligung V totale traktive Netzhautablösung; evtl. trichterförmig Netzhautablösung Stadium a Demarkationslinie mit beginnender extraretinaler b Echographisch trichterförmige Netzhautablösung Neovaskularisation bei ROP, Stadium III bei ROP, Stadium V 175 c Netzhautzug bei spontan regredienter ROP d Traktive Netzhautablösung bei PVR 13 Netzhaut und Glaskörper A. Therapie der rhegmatogenen und traktiven Netzhautablösung Allgemeine Behandlungsziele sind: Induktion einer Adhäsion (Narbe) um den Netzhautriss herum, Wiederherstellung des Kontaktes zwischen abgelöster neurosensorischer Netzhaut und retinalem Pigmentepithel, Beseitigung traktiver Kräfte. Unterschiedliche Methoden werden in Abhängigkeit von der Lochsituation, Alter des Patienten und der Ablatio, Funduseinblick und Erfahrung des Chirurgen eingesetzt. Die rhegmatogene Netzhautablösung ist ein Notfall. Nach der Diagnose sollte der Patient nüchtern bleiben, um möglichst rasch eine Eingriff vornehmen zu können. Leseverbot bis zur Operation und Lagerung der Patienten zur Lochseite (z. B. Hufeisenloch bei 10 h am rechten Auge, flach und Rechtslage) werden empfohlen, da so einer weiteren Progression der Ablatio bis zum Operationszeitpunkt entgegengewirkt werden kann. B. Eindellende Verfahren (Buckelchirurgie) Nach der Markierung des Netzhautdefektes auf der äußeren Lederhaut wird um die Läsion herum eine Kryoapplikation der Netzhaut durchgeführt. Anschließend erfolgt die Annäherung der Bulbuswand an die abgelöste Netzhaut über eine Eindellung der Bulbuswand durch die Fixierung einer segmentalen Plombe oder eines zirkulären Bandes (Cerclage über 360°) auf die Lederhaut. Die Vorteile der Buckelchirurgie liegen in der einfachen technischen Grundausstattung, der kurzen Rehabilitation, dem geringen Risiko einer iatrogen induzierten Linsentrübung und der Vermeidung intraokularer Komplikationen wie Blutungen oder Entzündungen (besonders wenn keine Punktion zur Drainage der subretinalen Flüssigkeit durchgeführt wird). Grenzen der Buckelchirurgie sind ein reduzierter Funduseinblick (z. B. bei Miosis), multiple Netzhautlöcher in unterschiedlichen Quadranten und Limbusdistanzen, große und zentrale Netzhautrisse und Skleraverdünnungen. C. Pneumatische Retinopexie 176 Bei der pneumatischen Retinopexie (Tab. 1) wird ein inert expandierendes Gas oder Luft in den Glaskörperraum injiziert. So wird die Netzhaut zu einer Anlage gebracht. Eine Kryoappli- kation vor oder nach der Gasinjektion oder eine Laserkoagulation nach der Netzhautanlage wird um den Netzhautdefekt herum durchgeführt. Ablationes mit einzelnem Netzhautriss in der oberen Fundusperipherie (10 h bis 2 h) stellen die beste Voraussetzung für dieses Verfahren dar. D. Pars-plana-Vitrektomie (ppV) Unter dem Operationsmikroskop werden der Glaskörper und alle epi- und subretinalen traktiven Komponenten entfernt. Anschließend wird die Netzhaut durch Applikation von flüssigem Perfluorokarbon („schweres Wasser“) zur Anlage gebracht. Die Netzhautdefekte werden mit Endolaser- (von innen) oder Exokryoapplikation (von außen) verriegelt. Anschließend wird das Perfluorokarbon zum Zwecke einer zeitweisen Tamponade der Netzhaut gegen Silikonöl oder expandierende Gase ausgetauscht. Für die Entfernung des Silikonöls ist ein zweiter Eingriff erforderlich. Vorteile der ppV. Präsize Lokalisation aller Netzhautlöcher, Beseitigung von Medientrübungen, kombinierbar mit Kataraktextraktion, direkte Entlastung der Glaskörpertraktion, Entfernung epi- und subretinaler Stränge. Nachteile der ppV. Teures Equipment und erfahrenes Team notwendig, langsame Eintrübung der natürlichen Linse (Katarakt), ggf. zweiter Eingriff zur Entfernung des Silikonöls, Notwendigkeit frühpostoperativer Nachkontrollen (Fibrinreaktion in der Vorderkammer, erhöhter Augeninnendruck). Erweiterte Indikationen für eine ppV. Primäres Verfahren bei rhegmatogener Pseudophakieund PVR-Ablatio, Makulaerkrankungen (Makulaforamen, choroidale Neovaskularisation, Makulaödem), Materialgewinnung bei Entzündungen bzw. infiltrativen Erkrankungen), Endophthalmitis, Netzhautgefäßverschlüsse (z. B. arteriovenöse Dekompression bei Venenastverschlüssen), Tumorendoresektion, therapierefraktäre Glaukome, interne Rekonstruktion nach Bulbustrauma. C. Pneumatische Retinopexie Tab. 1 Eigenschaften der intraokular verwendeten expandierenden Gase Gas Expansion intraokulare Anwendung Verweildauer SF6, Sulfurhexafluorid 2 20 % 10 – 14 Tage C2F6, Perfluoroethan 3,5 16 % 30 – 35 Tage C3F8, Perfluoropropan 4 16 % 55 – 65 Tage Netzhautablösung D. Pars-plana-Vitrektomie PVR-Ablatio mit subretinaler Störung Tab. 2 Klassifikation der proliferativen Vitreoretinopathie Grade Lokalisation Eigenschaften A Glaskörper Trübungen und Pigmentzellverklumpungen im Glaskörper (vorwiegend inferior) B Netzhautober- Fältelungen der inneren Netzhautoberfläche, eingerollte Netzhautlochränder; fläche Zunahme der Gefäßanschlängelung; starre Netzhaut; Abnahme der Glaskörpermotilität C posterior 1– fokal Sternfalte 2– diffus konfluierende Sternfalten; Sehnerv oftmals nicht einsehbar posterior oder anterior 3– subretinal subretinale Proliferationen; „Serviettenring“-ähnliche Stränge um den Sehnerv; dendritische „Wäscheleinen“-mottenfraßähnliche Plaques anterior 4– zirkulär Kontraktion entlang des hinteren Rands der Glaskörperbasis; Netzhaut nach Richtung Glaskörper verzogen; posteriore radiäre Netzhautfalten anterior 5– anteriore Verlagerung Glaskörper anterior verzogen; Dehnung des Ziliarkörper; Irisretraktion; Hypotonie 177 13 Netzhaut und Glaskörper A. Zentralvenenverschluss (ZVV) 178 Der Zentralvenenverschluss (ZVV) ist die zweithäufigste vaskuläre Erkrankung der Netzhaut nach der diabetischen Retinopathie. Netzhautblutungen sowie eine Erweiterung und vermehrte Schlängelung der Netzhautvenen zeigen sich in allen 4 Quadranten. Ätiologie/Pathogenese. Die arterielle Hypertonie ist die wichtigste prädisponierende Systemerkrankung. Diabetes mellitus, kardiovaskuläre Erkrankungen, Hyperviskositätssyndrome und ein erhöhter Augeninnendruck sind weitere Risikofaktoren. Histopathologisch zeigen sich Thrombosen innerhalb der Vena centralis retinae auf Höhe der Lamina cribrosa. Epidemiologie. Der ZVV zeigt sich gehäuft zwischen der 5. und 7. Lebensdekade. Klinik. Die Perfusion der Netzhaut bestimmt die Klinik des ZVV (s. unten). Nichtischämischer ZVV (venöse Stase- Retinopathie, nichthämorrhagischer ZVV, perfundierter ZVV, Aa u. b). Das kapilläre Nicht-Perfusionsareal der Netzhaut ist kleiner als 10 Papillenflächen. Die Visusminderung wird durch das Ödem oder Hämorrhagien in der Makula verursacht. Wenn die zentrale Sehschärfe bei der Erstpräsentation 0,5 oder besser ist, ist die Visusprognose bei über 67 % der Patienten günstig. Dennoch können bis zur 34 % der nichtischämischen ZVV innerhalb von 32 Monaten in einen ischämischen ZVV konvertieren. Ischämischer ZVV (hämorrhagischer ZVV, nichtperfundierter ZVV, Ac). Das kapilläre Nicht-Perfusionsareal ist größer als 10 Papillenflächen. Es finden sich ausgedehnte Netzhautblutungen, Cotton-Wool-Herde am Papillenrand und im Bereich des hinteren Pols. Eine ausgeprägte Papillenschwellung ist im akuten Stadium häufig. Ursachen für die Visusminderung sind Ödeme, Blutungen und eine Ischämie in der Makula, das Neovaskularisationsglaukom, die Glaskörperblutung und eine exsudative oder traktive Netzhautablösung. Zwei schwerwiegende Komplikationen eines ischämischen ZVV sind die Rubeosis iridis und das Neovaskularisationsglaukom. Diagnostik. Das klinische Bild ist für die Diagnose oft ausreichend. Die Fluoreszenzangiographie ermöglicht die Messung des Ischämieareals der Netzhaut, sodass die Einteilung des ZVV möglich wird. Afferente Pupillenstörung und die Elektroretinographie sind zusätzliche diagnostische Methoden zur Beurteilung der Netzhautischämie im akuten Stadium des ZVV. Therapie. Beobachten: Bei nichtischämischem ZVV ohne Makulaödem monatliche Kontrollen, um das Auftreten oder die Zunahme einer Netzhautischämie früh zu diagnostizieren. Neben der Ophthalmoskopie unbedingt Spaltlampenuntersuchung des vorderen Segments und Tonometrie, um die am meisten gefürchteten Komplikationen (Rubeosis iridis, Kammerwinkelneovaskularisation, Neovaskularisationsglaukom) rechtzeitig zu erkennen. Medikamentös: Die Regulierung eines erhöhten Blutdrucks und die Behandlung von Risikofaktoren wirken sich günstig auf die Prognose aus. Die Anwendung von Thrombozytenaggregationshemmern, isovolemische Hämodilution und systemische Kortikosteroidgabe finden unterschiedliche Akzeptanz. Laserfotokoagulation: Eine panretinale Laserfotokoagulation wird nach der „Central Retinal Vein Occlusion Study Group“ bei folgenden Befunden empfohlen: ● Netzhautischämie über 10 Papillenflächen, ● Neovaskularisationen der Netzhaut, ● Neovaskularisation der Iris über 2 Stunden, ● Kammerwinkelneovaskularisation. Chirurgisch: Radiäre Optikusneurotomie, intravitreale Kortisoninjektion. Diese neuen chirurgischen Verfahren sind bis jetzt nicht durch prospektive randomisierte Studien evaluiert worden. B. Venenastverschluss (VAV) Es finden sich Hämorrhagien und ein Ödem der Retina im Bereich der betroffenen Netzhautvenen (Ba). Die okkludierte Netzhautvene ist peripher der arteriovenösen Kreuzungsstelle dilatiert. Visusminderung und sektorielle Gesichtsfeldausfälle resultieren aus Hämorrhagien, Ödem oder Netzhautischämie (Bb, c). Bei perfundierter Makula mit Ödem ist die Gridlaserfotokoagulation indiziert. Eine sektorielle Laserkoagulation wird bei retinaler Neovaskularisation, einer Ischämie über 5 Papillenflächen oder bei Rubeosis iridis empfohlen. B. Venenastverschluss (VAV) a Venöse Stase-Retinopathie (nichtischämischer ZVV) a Frischer Verschluss der Vena temporalis inferior b Venöse Stase-Retinopathie nach 12 Monaten mit Rückgang der Hämorrhagien und des Ödems b Fluoreszenzangiographisch zeigt sich ein perfundiertes Makulaödem bei Verschluss der Vena temporalis superior c Ischämischer ZVV (hämorrhagischer ZVV) mit ausgeprägten Hämorrhagien und Ödem c Fluoreszenzangiographisch zeigt sich eine Netzhautischämie unterhalb der Makula bei Verschluss der Vena temporalis inferior Vaskuläre Erkrankungen der Netzhaut A. Zentralvenenverschluss (ZVV) 179 13 Netzhaut und Glaskörper 180 A. Zentralarterienverschluss (ZAV) B. Arterienastverschluss (AAV) Der Zentralarterienverschluss wird durch die Okklusion der Arteria centralis retinae hervorgerufen. Leitsymptom ist die schmerzlose, plötzliche Sehminderung. Ätiologie/Pathogenese. Meist handelt es sich um einen Embolus oder Thrombus. Ein gelber Cholesterin-Embolus (Hollenhorst-Plaque) auf dem Sehnervkopf oder in einer Astarterie der Netzhaut sichert die Diagnose. Wichtigste Ursachen für die Embolien sind atherosklerotische Plaques der Karotisarterien, arterielle Hypertonie und Herzklappenfehler. Epidemiologie. Die Prävalenz des ZAV beträgt 0,85/100 000 der Bevölkerung in einem Jahr. Es ist eine Erkrankung des Erwachsenenalters (im Durchschnitt 6. Lebensdekade). Bilateraler Befall in 1–2 %, mit Ausnahme der Arteriitis temporalis und anderer systemischer Vaskulitiden. Klinik. Sichtbare Embolien in den NetzhautArterien und kirschroter Reflex (dunkelroter Foveareflex umgeben von weißlichem Netzhautödem am hinteren Pol, Aa, b) ist pathognomonisch für einen Zentralarterienverschluss der Netzhaut. Die Arterien sind dünn und der segmentierte Blutfluss in den Netzhautarterien kann in den akuten Stadien der Erkrankung beobachtet werden (Ac). Diagnose. Die Klinik (s. unten) und durch die Fluoreszenzangiographie kann die Diagnose gesichert werden. Diffenzialdiagnose. Die Differenzierung zwischen arteriitischen (Morbus Horton) und nichtarteriitischen ZAV ist sehr wichtig, weil beim Morbus Horton ohne entsprechende Therapie ein Befall des Partnerauges innerhalb weniger Tage eintreten kann. Therapie. Zurzeit besteht kein Konsens über die Effektivität verschiedener Behandlungsformen. ● Konservative Behandlung: Bulbusmassage, Vorderkammerparazentese, Infusionsbehandlung mit Pentoxifyllin, hyperbarer Sauerstoff, rheologische Maßnahmen, intravenöse rTPAoder Kortikosteroidinjektion. ● Invasive Behandlung: Selektive Katheterisation der Arteria ophthalmica mit Applikation fibrinolytischer Medikamente. Entsprechend der okkludierten Astarterie zeigt sich betont am hinteren Pol ein Netzhautödem (Ba). Die Patienten berichten über einen sektorförmigen Gesichtsfeldausfall. Der Abfall der zentralen Sehschärfe ist von der Perfusion der Fovea abhängig (Bb). Neben dem weißlichen Netzhautödem sind gelbliche intraarterielle Embolien und die Verengung der Arterien wichtige klinische Befunde. Eine internistische Abklärung kardiovaskulärer Risikofaktoren und eine konservative Therapie (s. ZAV) wird empfohlen. Die Prognose für das zentrale Sehvermögen ist gut. Gesichtsfeldausfälle können aber persistieren. Prognose. Die Sehschärfe bei der Erstpräsentation entscheidet im Allgemeinen über die Prognose. Spontane Besserungen sind in bis zu 15 % zu beobachten. C. Okuläres Ischämiesyndrom Hierbei handelt es sich um eine chronische Insuffizienz der Arteria ophthalmica, die zur Minderdurchblutung des gesamten Auges führt. Die häufigste Ursache ist dabei eine Karotisstenose. Die zentrale Sehschärfe ist in fortgeschrittenen Stadien reduziert. Klinisch zeigen sich verengte Netzhautarterien, punktund fleckförmige Blutungen in der Peripherie der Netzhaut. Dilatationen und Tortuositas der Netzhautvenen fehlen (Differenzialdiagnose venöse Stase-Retinopathie). Rubeosis iridis und Tyndalleffekt der Vorderkammer sind häufig. Die retinalen Neovaskularisationen entwickeln sich häufig nach der Rubeosis iridis. Die pathologisch verlängerte Arm-NetzhautFüllungszeit bei der Fluoreszenzangiographie ist pathognomonisch. Die Karotis-DopplerUntersuchung kann das Ausmaß der Stenose darstellen. Die betroffenen Patienten zeigen meistens ein hohes Risikoprofil bezüglich kardiovaskulärer Erkrankungen. Die Mortalität beträgt ca. 50 % innerhalb von 5 Jahren nach Diagnosestellung. Eine internistische Abklärung ist daher dringend zu empfehlen. Die panretinale Laserfotokoagulation wird bei ausgedehnten Netzhautischämien sowie bei Vorhandensein einer Rubeosis iridis und retinaler Neovaskularisationen durchgeführt. B. Arterienastverschluss (AAV) a ZAV mit Netzhautödem durch die Ischämie; umschriebene Netzhautperfusion temporal der Papille ist bedingt durch die patente A. zilioretinalis a AAV mit Netzhautödem entsprechend dem Versorgungsgebiet der A. temporalis superior; Netzhautblutung am Rand der Papille, Dilatation und Anschlängelung der Venen deutet auf kombinierten arteriovenösen Verschluss der Netzhaut hin b ZAV mit kirschrotem Fleck in der Fovea b Die Fluoreszenzangiographie zeigt die Nichtperfusion der Netzhaut c Die Fluoreszenzangiographie mit nichtperfundiertem Areal der Netzhaut und segmentiertem Blutfluss Vaskuläre Erkrankungen der Netzhaut A. Zentralarterienverschluss (ZAV) 181 13 Netzhaut und Glaskörper A. Arterielles Makroaneurysma Runde Dilatationen der retinalen Arteriolen innerhalb der ersten arteriolaren Bifurkation werden als erworbene arterielle Makroaneurysmen bezeichnet. Arterielle Hypertonie und Atherosklerose sind die wichtigsten Ursachen. In der Regel ist der Befall einseitig und bei Frauen häufiger. Eine Visusminderung oder ein Gesichtsfeldausfall tritt auf, wenn eine Leckage oder Hämorrhagie im Bereich der Makula auftritt. Hämorrhagien können in unterschiedlichen Schichten der Netzhaut und im Glaskörperraum auftreten. Subpigmentepitheliale Hämorrhagien zeigen sich als dunkelrote Läsionen und erfordern die differenzialdiagnostische Abgrenzung zu pigmentierten Aderhauttumoren. Finden sich multiple Makroaneurysmen, Entzündungszellen im Glaskörper oder Kollateralgefäße, ist die präzise Diagnosestellung von Bedeutung, weil die Prognose und die Behandlung der arteriellen Makroaneurysma unterschiedlich sein kann (s. Morbus Coats, Venenastverschluss). Mittels IndocyaningrünAngiographie können arterielle Makroaneurysmata oft trotz epiretinaler Hämorrhagien dargestellt werden. Die Hämorrhagien sind fast immer reversibel. Besteht eine Visusminderung nach der Resorption der Hämorrhagien empfiehlt sich eine Fluoreszenzangiographie zur Darstellung einer Leckage des Makroaneurysmas. Eine Laserfotokoagulation des Makroaneurysmas kann dann zur Zurückbildung der Leckage führen. B. Morbus Coats 182 Der Morbus Coats ist eine kongenitale retinale Gefäßerkrankung, die durch retinale Teleangiektasien, Mikroaneurysmen und kapilläre Minderperfusionsareale in der Peripherie der Netzhaut charakterisiert ist. Leber-Miliaraneurysmen und gewisse Formen der idiopathischen juxtafovealen Teleangiektasien werden als Varianten des Morbus Coats angesehen. Histopathologisch zeigt sich ein Verlust an Endothelzellen und Perizyten der retinalen Gefäßwände. Das männliche Geschlecht wird bevorzugt befallen. 80 % der Manifestationen sind unilateral. Die Erkrankung tritt gehäuft in der ersten und fünften Lebensdekade auf. Periphere retinale Gefäßanomalien verursachen eine Leckage, die sich in fortgeschrittenem Stadium am hinteren Pol als Makulaödem und subretinale Lipidablagerungen präsentiert (Ba, b). Der Morbus Coats ist eine chronische, langsam fortschreitende Erkrankung. I. d. R. wird die Diagnose durch die Exsudation am hinteren Pol gestellt. Komplikationen sind Netzhautablösung, vasoproliferativer Tumor der Netzhaut, Katarakt, Glaukom und Phthisis bulbi. Die Diagnose wird durch die Klinik, demographische Auffälligkeiten (Geschlecht, Alter) und die fluoreszenzangiographischen Befunde in der Netzhautperipherie gestellt (Bc). Diffenzialdiagnostisch kommen im Kindesalter andere Ursachen der Leukokorie und im Erwachsenenalter periphere retinale Vaskulopathien in Betracht. Die Therapie des Morbus Coats basiert auf der Destruktion der avaskulären Netzhautareale und leckenden Mikroaneurysmen. Therapie der Wahl ist die Laserfotokoagulation. Bei Versagen der Lasertherapie, Lage der Läsionen in der extremen Peripherie der Netzhaut oder bei Zunahme der subretinaler Exsudationen wird die Kryotherapie angewendet. Im fortgeschrittenen Stadium des Morbus Coats (exsudative Netzhautablösung, vasoproliferative Tumorbildung) kommen auch vitreoretinale Verfahren in Frage. C. Fundus hypertonicus Die chronische arterielle Hypertonie führt zu einer Verengung retinaler Arteriolen und zu einer Störung der inneren Blut-Retina-Schranke. Als Folge entwickeln sich Exsudationen, Blutungen, Cotton-Wool-Herde, Lipidablagerungen mit Bevorzugung des hinteren Pols der Netzhaut. Stadien des Fundus hypertonicus (nach Scheie) sind: Stadium 0: Normaler Netzhautbefund. Stadium I: Diffuse arteriolare Verengung. Keine Kaliberschwankungen der Arteriolen. Stadium II: Ausgeprägte arterioläre Verengung mit zusätzlichen fokalen Konstriktionen (Ca). Stadium III: Ausgeprägte diffuse und fokale arteriolare Verengungen mit retinalen Hämorrhagien. Stadium IV: Zusätzlich zu den genannten Befunden zeigen sich ein retinales Ödem, harte Exsudate und eine Papillenschwellung (Cb). B. Morbus Coats Arterielles Makroaneurysma im Verlauf der A. temporalis superior; es zeigen sich retinale, subretinale und subpigmentepitheliale Hämorrhagien a Makulaödem mit Lipidablagerungen verursacht durch arterielles Mikroaneurysma b Submakulärer Cholesterinplaque bei Morbus Coats c Fluoreszenzangiographie bei Morbus Coats: retinale Teleangiektasien, Mikroaneurysmen, Kapillarabbrüche mit Leckage in der Peripherie Vaskuläre Erkrankungen der Netzhaut A. Arterielles Makroaneurysma C. Fundus hypertonicus 183 a Fundus hypertonicus Stadium II b Fundus hypertonicus Stadium IV mit Papillenödem und Makulastar 13 Netzhaut und Glaskörper A. Diabetische Retinopathie 184 Die diabetische Retinopathie (DR) ist eine durch einen Insulinmangel hervorgerufene Mikroangiopathie der Netzhaut. Ätiologie/Pathogenese. Folgende Stoffwechselstörungen werden beim Diabetes mellitus durch eine Hyperglykämie ausgelöst: Sorbitolzyklus, nichtenzymatische Glykierung und Bildung von AGE (Advanced Glycation End Products), Aktivierung der DAG/PKC (Diacylglyceral/Proteinkinase C). Die diabetische Retinopathie ist durch die Mikrovaskulopathie charakterisiert. Histologisch zeigen sich folgende mikrovaskuläre Veränderungen: Verdickung der Basalmembran, Perizytenverlust, Abnahme der Extrazellulärmatrix. Als Folge dieser Veränderungen können sich Mikroaneurysmen, Netzhautödeme, Netzhautischämie und retinale Neovaskularisationen entwickeln. Das Zytokin VEGF (Vascular endothelial Growth Factor) ist ein wichtiger Faktor in der Pathogenese der diabetischer Retinopathie. Der Verschluss retinaler Kapillargefäße und die daraus resultierende Hypoxie führen zu einer vermehrten Freisetzung von VEGF. VEGF induziert dann retinale Neovaskularisationen und eine Leckage retinaler Gefäße. Epidemiologie. In westlichen Industrieländern beträgt die Erblindungsrate bei diabetischer Retinopathie ca. 8 % bei den unter 65-Jährigen. Sie liegt bei den 65- bis 74-Jährigen doppelt so hoch (14,5 %). Diagnostik. Entscheidend ist die fundoskopische Untersuchung in Mydriasis. Stadieneinteilung der DR. Nichtproliferative DR (NPDR, Aa u. b): ● milde Form: einzelne Mikroaneurysmen; ● mäßige Form: Netzhautblutungen und/oder Mikroaneurysmen am hinteren Pol und/oder weiche Exsudate, perlschnurartige Venen, oder intraretinale mikrovaskuläre Anomalien (IRMA) in einem Quadranten; ● schwere Form: weiche Exsudate, perlschnurartige Venen und IRMA in mindestens 2 Quadranten der mittleren Peripherie, zwei von oben erwähnten Läsionen und Netzhautblutungen und Mikroaneurysmen in 4 Quadranten oder IRMA in allen 4 Quadranten. Proliferative DR (PDR): ● Papillenneovaskularisation (NVD = neue Gefäße an der Papille): Gefäßneubildungen auf oder in 1 Papillendurchmesser entfernt zur Papille; ● papillenferne Neovaskularisationen (NVE = neue Gefäße außerhalb der Papille, Ac – e): Gefäßneubildungen, deren Entfernung zur Papille mehr als 1 Papillendurchmesser beträgt. Klinisch signifikantes Makulaödem. Netzhautverdickung im Zentrum innerhalb von 500 µm Entfernung zur Makula, oder Lipidablagerungen im Zentrum innerhalb von 500 µm Entfernung zur Makula assoziiert mit einer Verdickung der benachbarten Netzhaut; Verdickung der Netzhaut über mindestens eine Papillenfläche, Größe lokalisiert innerhalb 1 Papillendurchmesser vom Zentrum der Makula. 4 : 2 : 1-Regel. Zahlreiche Mikroaneurysmen in allen 4 Quadranten oder perlschnurartige Venen in mindestens 2 Quadranten oder IRMA in mindestens 1 Quadranten. Die Veränderungen deuten auf einen schweren Verlauf der diabetischen Retinopathie hin. Therapie. Lasertherapie: Das Konzept der Laserfotokoagulation (LK) bei PDRP basiert auf einer Downregulation der VEGF-Produktion durch ablative Therapie ischämischer Netzhautareale. Durch überführen der Hypoxie in eine Anoxie kann der Rückgang retinaler Neovaskularisationen erreicht werden. Die fokale Laserfotokoagulation wird bei nichtischämischen Formen eines diabetischen Makulaödems eingesetzt. Indikationen sind: ● NPDR (schwere Form): panretinale LK, ● PDR: panretinale LK, ● klinisch signifikantes Makulaödem: fokale LK. Durch rechtzeitige und effiziente Lasertherapie kann das Risiko eines schweren Sehverlusts in bis zu 60 % verhindert werden. In der klinischen Routine wird die fokale Laserfotokoagulation des klinisch signifikanten Makulaödems vor einer flächendeckenden panretinalen Laserfotokoagulation durchgeführt (s. S. 187, Tab. 1 u. 2, Aa – c). Komplikationen der Laserkoagulation sind Gesichstfeldausfall, Nyktalopie, Störungen der Kontrast- und Lichtempfindlichkeit und Zunahme des Makulaödems. a Am hinteren Pol zeigt sich ein klinisch signifikantes b Die Fluoreszenzangiographie zeigt zahlreiche MiMakulaödem bei NPDR kroaneurysmen in der Makula Diabetische Retinopathie A. Diabetische Retinopathie c Venöser Looping und NVE mit präretinaler Blutung d NVE mit glialer Proliferation e Die Fluoreszenzangiographie zeigt eine Leckage am aktiv proliferierenden Rand der NVE und eine retinale Ischämie unterhalb der NVE 185 13 Netzhaut und Glaskörper A. Diabetische Retinopathie (Fortsetzung) 186 Pars-plana-Vitrektomie: Indikationen für eine Vitrektomie (Glaskörperentfernung) mit Instrumentenzugang über die Pars plana des Ziliarkörpers sind: ● Makula bedrohende oder progrediente traktive Ablatio retinae, ● Glaskörperblutung ohne Resorption, ● rezidivierende Glaskörperblutung, ● therapierefraktäres Neovaskularisationsglaukom, ● chronisches Makulaödem ohne positiven Therapieeffekt nach fokaler Laserkoagulation. Prognose. Folgende Risikofaktoren korrelieren positiv mit dem Beginn und der Progression der diabetischen Retinopathie: Dauer des Diabetes: Das Risiko der Entstehung und die Progression der diabetischen Retinopathie steigen mit zunehmender Dauer des Diabetes. Bei Typ-1-Diabetikern beträgt die Häufigkeit der diabetischen Retinopathie (NPDR und PDR) bei einer Erkrankungsdauer von bis zu 5 Jahren nach Diagnose 13 %. Der Anteil von Patienten mit einer diabetischen Retinopathie steigt auf 90 % bei einer Dauer der Erkrankung von 10 bis 15 Jahren. Während bei Typ-2-Diabetikern mit einer Erkrankungsdauer von 5 Jahren das Risiko einer PDR bei 2 % liegt, steigt dieser Anteil bei einer Diabetesdauer von 25 Jahren und mehr auf 25 %. Blutzucker: Zahlreiche Studien haben den negativen Effekt eines ungenügend eingestellten Blutzuckers auf das Fortschreiten der diabetischen Retinopathie belegt. Bei Typ-1-Diabetikern ohne sichtbare Netzhautveränderungen verringert die strenge Blutzuckerkontrolle durch Insulintherapie das Entstehungsrisiko der Retinopathie um bis zu 75 % im Vergleich zu konventionell behandelten Patienten. Bei 50 % der behandelten Typ-1-Diabetiker mit bestehender Retinopathie konnte diese Therapie eine Progression der Retinopathie im Vergleich zur Kontrollgruppe verhindern. Dabei soll berücksichtigt werden, dass die strenge Einstellung des Blutzuckers in den ersten 6 bis 12 Monaten als Nebenwirkung zu einer Progression der bestehenden Retinopathie führen kann. Bei Typ-2-Diabetikern wird durch die strenge Blutzuckereinstellung das Entstehen und die Progression der diabetischen Retinopathie im Vergleich zu Kontrollpatienten (kon- servative Behandlungsgruppe) reduziert. Als Folge wird der Bedarf der Lasertherapie deutlich verringert. Andere Risikofaktoren: Arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie, Nephropathie. Differenzialdiagnose. Okuläres Ischämiesyndrom: Kann einseitig auftreten. Die Netzhautarterien sind verengt, es zeigen sich ischämische Netzhautblutungen typischerweise in der mittleren Netzhautperipherie. Rubeosis iridis und Vorderkammerreiz als Erstbefund nicht selten. Verlängerte ArmNetzhaut-Füllungszeit in der Fluoreszenzangiographie. Die Carotis-Doppler-Sonographie ist eine entscheidende Untersuchung. Venolenastverschluss: Sektorielle Verteilung der Blutungen und Netzhautverdickung. Im betroffenen Netzhautbereich zeigt sich eine dilatierte Netzhautvene. Fundus hypertonicus: Oberflächliche und streifenförmige Netzhautblutungen betont am hinteren Pol. Abhängig von der Ausprägung der Hypertonie können sich weiche Exsudate und Papillenschwellung zeigen. Strahlenretinopathie: Ischämische Netzhautblutungen in der mittleren Peripherie. Die Anamnese einer vorangegangenen Strahlenbehandlung (meist uveales Melanom) ist für die Diagnose entscheidend. Schwangerschaft und diabetische Retinopathie. Eine Schwangerschaft gilt als Risikofaktor für das Auftreten oder Fortschreiten einer diabetischen Retinopathie. Sollte eine NPDR (mild bis mäßig) zu Beginn der Schwangerschaft vorhanden sein, wird pro Trimester eine opthalmoskopische Kontrolle empfohlen. Wird eine Progression oder eine schwere Form der NPDR/ PDR festgestellt, sind eine panretinale Laserkoagulation und monatliche Kontrollen zu empfehlen. Katarakt und diabetische Retinopathie. Nach Kataraktextraktion kann eine diabetische Retinopathie zunehmen. Vor Kataraktextraktion sollte deshalb eine ausreichende Behandlung der Retinopathie entsprechend oben genannter Kriterien erfolgt sein. A. Diabetische Retinopathie Typ der DR Untersuchungsintervall keine DR 12 Monate milde oder mäßige NPDR ohne Makulaödem 6 Monate milde oder mäßige NPDR mit Makulaödem 3 Monate schwere NPDR 3 Monate PDR 1 – 3 Monate DR: diabetische Retinopathie NPDR: nichtproliferative diabetische Retinopathie PDR: proliferative diabetische Retinopathie a Frische, exsudative Herde in der nasalen Fundushälfte bei panretinaler Laserfotokoagulation b Atrophische und teilweise pigmentierte Laserherde bei Zustand nach panretinaler Laserfotokoagulation Diabetische Retinopathie (Fortsetzung) Tab.1 Augenärztliche Kontrollen bei Diabetikern c PDR mit ausgeprägter Traktion am hinteren Pol Tab. 2 Laserfotokoagulation der diabetischen Retinopathie Stadium der DR Technik Herde NPDR (schwer) panretinal 2000 – 3000 PDR panretinal 2000 – 3000 KSMÖ fokal variabel DR: NPDR: PDR: KSMÖ: diabetische Retinopathie, nichtproliferative diabetische Retinopathie, proliferative diabetische Retinopathie, klinisch signifikantes Makulaödem 187