Diplomarbeit FORENSISCHE ZAHNMEDIZIN - IDENTIFIZIERUNG UNBEKANNTER TOTER Eine Recherche und Methodenanalyse Eingereicht von Michaela Stichaller Mat.Nr.: 0013140 zur Erlangung des akademischen Grades Doktor(in) der Zahnheilkunde (Dr. med. dent.) an der Medizinischen Universität Graz ausgeführt an der Universitätsklinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Klinische Abteilung für Zahnersatzkunde unter der Anleitung von Univ.-Prof. Dr. W. Wegscheider Ort, Datum ………………………….. (Unterschrift) Eidesstattliche Erklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst habe, andere als die angegebenen Quellen nicht verwende habe und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Graz, am …… Danksagung Großer Dank gilt Univ.-Prof. Dr. Walther Wegscheider, für die Betreuung und Unterstützung meiner Diplomarbeit. Weiters möchte ich mich bei meinen Eltern und Geschwistern sowie meiner gesamten Familie für die Unterstützung während des Studiums herzlich bedanken. 3 Inhalt Danksagung............................................................................................................................3 Inhalt.......................................................................................................................................4 1 Zusammenfassung...............................................................................................................5 2 Abstract............................................................................................................................... 6 3 Einleitung............................................................................................................................ 7 Geschichte der forensischen Zahnmedizin.........................................................................7 4 Allgemeines.........................................................................................................................9 4.1 Postmortale Veränderungen....................................................................................... 11 4.1.1 Thermische Einflüsse.......................................................................................... 11 4.1.2 Chemische Einflüsse........................................................................................... 12 5 Vorgehensweise.................................................................................................................13 5.1 Organisation der Identifizierung unbekannter Toter..................................................13 5.2 Zahnmedizinische Untersuchung post mortem......................................................... 16 5.2.1 Sektion und Mazeration.......................................................................................17 5.2.2 Röntgenvergleich.................................................................................................18 5.2.3 Fotostatus.............................................................................................................20 5.3 Identifizierung anhand von Prothesen- oder Zahnmarkierungen...............................22 5.3.1 Prothesenmarkierung...........................................................................................22 5.3.2 Zahnmarkierung.................................................................................................. 23 5.4 Vergleich von Daten ante mortem und post mortem................................................ 24 5.4.1 Rückschlüsse aus dem Vergleich der Daten........................................................25 5.5 Post Mortem Profiling................................................................................................26 6 Forensische Zahnmedizin im Rahmen von Massenkatastrophen......................................27 6.1 11.September 2001.....................................................................................................29 6.2 Tsunamikatastrophe in Asien..................................................................................... 29 6.3 Tragödie des Sonnentempler-Ordens in der Schweiz................................................ 32 6.4 Seilbahnkatastrophe von Kaprun................................................................................33 7 Konklusion........................................................................................................................ 34 8 Literaturverzeichnis...........................................................................................................37 9 Abbildungsverzeichnis...................................................................................................... 39 4 1 Zusammenfassung Die forensische Odontostomatologie setzt sich aus vielen Teilbereichen zusammen, sie beschäftigt sich unter anderem mit Gerichtsprozessen, Altersbestimmungen, Analyse von Bisswunden und Bissspuren, Identifizierung unbekannter Toter und Mithilfe bei Massenkatastrophen. Die Identifizierung anhand des Zahnstatus ist eine günstige und effektive Alternative zur Daktyloskopie, also des Vergleichs von Fingerabdrücken, und wird vor allem dann angewendet, wenn die Fingerabdrücke auf Grund von Verwesung oder anderen Einflüssen nicht untersucht werden können. Es werden alle Merkmale des Gebisses genau analysiert und dokumentiert, es werden Röntgenbilder und Fotografien angefertigt und alle Befunde in ein eigens dafür vorgesehenes Formular eingetragen. Man achtet dabei auf Füllungen an Zähnen, Restaurationen, Prothesen, Anomalien in Zahnstellung und Anatomie und vieles mehr. Wenn alle Befunde erhoben und kontrolliert sind, werden sie mit Daten vermisster Personen verglichen, dafür ist es jedoch erforderlich, dass eine mutmaßliche Identität bereits im Vorfeld festgestellt wurde, wofür in der Regel die Polizei zuständig ist. Wenn kein Verdacht auf die Identität eines Opfers vorliegt, kann der forensische Odontostomatologe ein post mortem Profil des Opfers herstellen, welches Angaben über Geschlecht, Alter und Herkunft enthält, und damit die Suche der Polizei einschränken. Eine weitere wichtige Aufgabe der forensischen Zahnmedizin ist die Mithilfe bei Massenkatastrophen. Hier ist vor allem die Organisation der Identifizierungsarbeiten von großer Bedeutung, vor allem wenn Opfer verschiedener Nationalitäten betroffen sind. Auch hier kann anhand des Zahnstatus relativ einfach und schnell eine Identifizierung erfolgen, jedoch ist in allen Fällen die Zusammenarbeit verschiedener Spezialisten wie Anthropologen, Pathologen, Radiologen und anderen notwendig. 5 2 Abstract Identification of unknown deceased persons is just a small part of forensic odontology, which also deals with legal proceedings, estimation of age, analysis of bite marks and more. Odontological identification is a good and cheap alternative to DNA-analysis and dactyloscopy (fingerprinting) especially if fingerprints can’t be used due to decay, fire or chemical influences. During the investigation of the body the forensic dentist analyses all characteristics of the teeth, fillings and dentures which also includes taking X-ray pictures and photographs. All results have to be documented, so they can be compared to data of missing persons. If there is no suspected identity, the forensic dentist is able to make a post mortem profile, which gives information about sex, age and origin. In case of mass disasters forensic odontology is an important possibility to get information quickly. In any case the co-operation between many specialists like pathologists, radiologists and anthropologists is required. 6 3 Einleitung Die Identifizierung von unbekannten Toten ist einer von vielen Teilbereichen der forensischen Odontostomatologie, welche definiert werden kann als „Zahnmedizin im Dienste der Justiz“. Sie beschäftigt sich mit allen Situationen, in denen die Zahnmedizin mit der Justiz in Berührung kommt. Die Hauptaufgaben der forensischen Odontostomatologie sind: „Identifizierung verstorbener Personen Mithilfe bei Massenkatastrophen Untersuchung von Bisswunden oder -spuren Altersbestimmungen Gerichtsprozesse Abklärung bei misshandelten Personen“ (1) Geschichte der forensischen Zahnmedizin Die Geschichte der forensischen Zahnmedizin reicht weit zurück, erste Berichte über die Identifizierung anhand von Zähnen sind bereits aus römischer Zeit überliefert. So berichtet etwa der römische Historiker Dion Cassius folgendes: Agrippina, Mutter des Nero, versuchte, ihrem Sohn die Nachfolge ihres Ehemannes, des Kaisers Claudius, zu ermöglichen. Aus diesem Grunde befahl sie im Jahr 49 v. Chr. die Ermordung Lollia Paulinas. Als Beweis für den Tod der Konkurrentin ließ sie sich deren abgetrennten Kopf vorlegen und überprüfte die Identität der Ermordeten anhand gewisser Eigenschaften ihres Gebisses. (1) Auch Karl der Kühne, Herzog von Burgund wurde durch Merkmale des Gebisses identifiziert. Er wurde im Jahre 1477 in der Schlacht von Nancy getötet und sein Leichnam war durch zahlreiche Verletzungen unkenntlich geworden. Trotzdem gelang es seinem Kammerdiener, den Herzog zu identifizieren, da diesem seit einem Sturz mehrere obere Frontzähne gefehlt hatten. (1) 7 Oscar Amodeo wird als Begründer der modernen forensischen Odontostomatologie angesehen. Er war Zahnarzt mit kubanischen Wurzeln, wurde in den USA ausgebildet und lebte ab 1889 in Paris, wo er Zahnmedizin lehrte. Im Jahr 1897 kam es in Paris zu einer Brandkatastrophe im Bazar de la Charité, wo Kunstgegenstände zu Gunsten von Wohltätigkeitsorganisationen verkauft wurden. Da das Gebäude zum größten Teil aus Holz bestand brannte es innerhalb kürzester Zeit vollständig nieder. Unter den 126 Todesopfern waren zahlreiche Damen des Geldadels, denn sowohl Besucher als auch Verkäufer zählten zu den höchsten Gesellschaftskreisen. In den folgenden Tagen sollten die Leichen von Angehörigen identifiziert werden, was jedoch in einigen Fällen auf Grund der starken Verbrennungen nicht möglich war. Da weder Schmuck, Kleidung oder Schuhe zur Identifizierung zur Verfügung standen kam man auf die Idee, die Zahnärzte der Opfer hinzuzuziehen. Die Zahnärzte verglichen die Opfer mit ihren mitgebrachten Unterlagen und identifizierten so ihre Patienten anhand von Amalgamfüllungen, Goldversorgungen, extrahierten Zähnen usw. (2) Unter den Opfern befand sich auch Sophie Charlotte von Wittelsbach, Schwester der Kaiserin Elisabeth von Österreich. Dank der Notizen ihres Zahnarztes konnte sie sicher identifiziert werden. (3) Die Beobachtungen die Dr. Oscar Amodeo nach der Katastrophe im Bazar de la Charité anstellte, veranlassten ihn dazu, über die Möglichkeiten der Zahnärzte zur Identifizierung nachzudenken, und ein Jahr nach dem Unglück veröffentlichte er das erste Lehrbuch der forensischen Zahnmedizin „L’art dentaire en médicine légal“ (Die Zahnheilkunde in der Gerichtsmedizin). Zu den spektakulärsten Identifizierungen anhand des Zahnstatus gehören die von Adolf Hitler und seiner Frau Eva Braun. Für die Identifizierung zogen Experten Dokumente aus amerikanischen und sowjetischen Archiven, Protokolle von Vernehmungen sowie Röntgenaufnahmen heran. In amerikanischen Archiven befinden sich fünf Röntgenaufnahmen Adolf Hitlers, welche für die Identifizierung herangezogen werden konnten. Die verbrannte Leiche Adolf Hitlers wurde identifiziert durch Vergleiche der Überreste des Gebisses und den darin enthaltenen festsitzenden prothetischen Versorgungen mit zu Lebzeiten angefertigten Röntgenbildern und stimmten auch überein mit den Unterlagen Hitlers Zahnarztes, Dr. Blaschke. Die Aussagen des Zahntechnikers und der 8 Assistentin Dr. Blaschkes bestätigten ebenfalls den Verdacht, dass es sich bei den gefundenen Überresten um Adolf Hitler handelte. Auch die sterblichen Überreste von Eva Braun konnten anhand des Zahnstatus zweifelsfrei identifiziert werden. Auch hier war eine Goldbrücke im Unterkiefer von Bedeutung. (3) 1973 wurde in Paris die „International Organization for Forensic Odontostomatology” (IOFOS) gegründet, der heute Mitglieder aus 27 nationalen Gesellschaften angehören, weitere 23 nationale Gesellschaften sind assoziiert. (3) 4 Allgemeines Die Identifizierung unbekannter Toter ist in vielerlei Hinsicht wichtig und notwendig und beinhaltet in unserer Gesellschaft psychosoziale, juristische, moralische, ethische und versicherungstechnische Aspekte. (1) Zur Identifizierung stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Es gibt zwei Arten von Identifizierungen, zwischen denen zu unterscheiden ist: Wissenschaftliche und Nichtwissenschaftliche. Die am häufigsten angewendete nichtwissenschaftliche Methode zur Identifizierung ist die Konfrontationsidentifikation, wobei die Leiche durch visuelle Bestätigung durch Verwandte und Freunde identifiziert wird. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die Gesichtszüge nicht durch postmortale Veränderungen oder Traumata zerstört sind. Zu den wissenschaftlichen Identifikationsmethoden gehören die Daktyloskopie, die Radiologie, der Zahnstatus und die DNA-Analyse, jedoch muss in jedem Fall Vergleichsmaterial vorhanden sein. (3) (11) Die Identifikation anhand des Zahnstatus ist wie die Daktyloskopie eine schnelle, effiziente und dabei günstige Methode. Sowohl Zähne als auch zahnärztlichrestaurative Materialien halten der Verwesung sowie physischen und chemischen Einflüssen lange stand und eignen sich daher auch als Mittel zur Identifikation wenn im Stadium der Verwesung die Analyse der Fingerabdrücke des Opfers nicht mehr möglich ist. (1) In den meisten Fällen erfolgt die Identifizierung durch visuelle Bestätigung durch Familienangehörige. Das ist jedoch nur sinnvoll, wenn der Tod zuhause 9 eingetreten ist. Ist er erst vor kurzem und ohne Verletzungen eingetreten ist das Opfer meist leicht zu erkennen. Probleme ergeben sich erst dann, wenn die Verwesung fortgeschritten oder die Identifikation durch starke Verletzungen im Kopfbereich, Feuer- oder Hitzeeinwirkung nicht mehr möglich ist. Hier spielt die Dauer und Temperatur der Hitzeeinwirkung eine große Rolle. Befand sich der Körper im Wasser, so ist die Wassertemperatur und die Liegedauer für den Grad der Verwesung ausschlaggebend, während der Verwesungsgrad von Leichen an Land neben der Zeit seit Eintritt des Todes auch von Luftfeuchtigkeit und Temperatur der Umgebung beeinflusst wird. In Fällen mit fortgeschrittener Verwesung ist eine visuelle Identifikation oft nicht mehr möglich, dann können Charakteristika des Gebisses zur Feststellung der Identität führen. Hierbei sind anatomische Eigenheiten, Füllungen, Karies, Restaurationen usw. von Bedeutung. Aus der Kombination aller Parameter ergibt sich ein individuelles Bild des Opfers. Jedoch muss auch in diesem Fall eine mutmaßliche Identifikation vorliegen um die post mortem Daten mit Daten der Person ante mortem zu Vergleichen. Aus diesem Grund sind die bei den Zahnärzten aufbewahrten Patientenakten und Röntgenbilder eine wichtige Informationsquelle. (1) Für die rasche Identifizierung unbekannter Toter in komplizierten Fällen ist eine Zusammenarbeit zwischen Polizei und medizinischen Experten außerordentlich wichtig. Experten aus den verschiedensten Fachbereichen, wie Anthropologie, Biologie, Radiologie, Rechtsmedizin, Serologie und Rechtsodontologie müssen hierfür zusammenarbeiten. (3) Vor allem bei Katastrophen wie Flugzeugabstürzen, Brandkatastrophen oder Bergwerkunglücken kann die Identifizierung anhand von Gebissmerkmalen sehr zum Erfolg beitragen, da die Rechtsodontologen zugriff auf die Patientenakten haben, und die Zähne sehr widerstandsfähig gegenüber äußeren Einflüssen sind. (3) Nicht nur die Streitkräfte, sondern auch Gesellschaften, deren Personal ein hohes Unfallsrisiko aufweisen, wie zum Beispiel Luftfahrtgesellschaften, haben die Notwendigkeit von exakt geführten zahnärztlichen Akten ihrer Angestellten erkannt. Diese Unterlagen sind im Ernstfall in kurzer Zeit zugänglich und helfen bei der Identifikation. Diese Gesellschaften bilden jedoch eine Ausnahme, denn häufig behindern schlecht geführte Patientenakten die Identifizierung. Viele 10 niedergelassene Zahnärzte beschränken sich am Beginn ihrer Behandlung im Aufnahmebefund auf ein Minimum an Dokumentation. Wie jedoch die Erfahrung zeigt, kann mit einer genauen Dokumentation des Gebisszustandes und ständiger Aktualisierung derselben die Arbeit der Rechtsodontologen erheblich vereinfacht werden. (3) 4.1 Postmortale Veränderungen Zähne gehören zu den widerstandsfähigsten Strukturen des Körpers und halten der Verwesung stand. Die Pulpa und das Parodont sind aber fäulnisfähig, wodurch der Zahn im Zuge der Verwesung seine Festigkeit in der Alveole verliert. Wenn an einer noch nicht verwesten Leiche ein Zahn fehlt, so kann man durch Inspektion der Alveole in Erfahrung bringen, ob der Zahn nach Eintritt des Todes ausgefallen ist oder ante mortem extrahiert wurde. (3) 4.1.1 Thermische Einflüsse Der Grad der Zerstörung des Gebisses und der verwendeten zahnmedizinischen Werkstoffe nach Hitzeeinwirkung ist abhängig von der Dauer und Höhe der einwirkenden Temperatur. Diese Faktoren werden wiederum beeinflusst durch chemische Substanzen, Isoliermaterialien, räumliche Gegebenheiten und Sauerstoffzufuhr. Hoher Temperatur ausgesetzte Zahnhartsubstanz verfärbt sich, verkohlt und kalzifiziert. Die meisten Opfer weisen nur an den Kronen der Frontzähne Verkohlungen auf, da diese weniger durch Muskulatur und Haut vor Temperatur geschützt sind als die Molaren und Prämolaren. Erst bei länger andauernder Hitzeeinwirkung verlieren die Seitenzähne ihren Schutz durch die Wange und es kommt zur Abtrennung der Kronen von den Wurzeln. Dies geschieht infolge des Temperaturunterschiedes im und außerhalb des Knochens. Die schnelle Austrocknung der Krone und die Ausdehnung der Pulpa beschleunigen diesen Prozess. Milchzähne halten hoher Temperatur auf Grund ihrer chemischen Zusammensetzung länger stand als bleibende Zähne. Die 11 Schäden durch die Hitzeeinwirkung werden, zusätzlich zu den Angaben über den Aufenthaltsort des Opfers zum Zeitpunkt der Hitzeeinwirkung (Haus, Auto, Flugzeug…), wie alle Befunde in das rosafarbene Interpol-DVI-Formblatt (disastervictim-identification) eingetragen und nach Andersen in sechs Kategorien unterteilt: „Grad 0: Keine Beschädigungen Grad 1: Beschädigungen der Frontzähne Grad 2: Beschädigung der Front- und Seitenzähne, unilateral Grad 3: Beschädigung der Front- und Seitenzähne, bilateral Grad 4: Fragmente der Kieferknochen, Zähne und/oder Zahnwurzeln inbegriffen, erhalten Grad 5: Keine Zahnreste erhalten“. (3), (1) 4.1.2 Chemische Einflüsse Durch Anwendung von Chemikalien zur Spurenvernichtung nach Tötungsdelikten wird die Identifizierung des Opfers beträchtlich erschwert oder sogar unmöglich. Muskeln und Knochen werden durch starke Säuren wie Salzsäure oder Salpetersäure vollständig aufgelöst. Zähne und Zahnersatz halten mineralischen Säuren wie Salz-, Schwefel- und Salpetersäure etwas länger stand und können noch beurteilt werden wenn Knochen und Muskeln bereits zerstört sind. Zähne lösen sich in Salpetersäure bereits nach 18 Stunden auf, Acrylat löst sich in Schwefelsäure nach 14 Tagen auf, Porzellan wird durch Flusssäure zerstört, Metallprothesen durch Salzsäure. Durch geeignete Kombination und Konzentration der Säuren ist es daher möglich, eine Leiche vollständig aufzulösen, einschließlich aller vorhandenen zahnmedizinischen Werkstoffe. (3) 12 5 Vorgehensweise 5.1 Organisation der Identifizierung unbekannter Toter Die Organisation der odontostomatologischen Identifizierung unterscheidet sich in den einzelnen Ländern sehr. Die „fédération dentaire international“ hat bereits im Jahr 1968 ihren Mitgliederorganisationen empfohlen, das Fach der forensischen Odontostomatologie in die Studienpläne aufzunehmen. Derzeit gibt es in 22 Ländern so genannte Identifizierungskommissionen, die im Katastrophenfall und bei erschwerten Bedingungen zum Einsatz kommen. Sie werden entweder von einer Dienststelle ernannt oder von der Polizei organisiert und ihre Mitglieder arbeiten meist mit Rechtsodontologen zusammen. In Deutschland gibt es seit 1972 eine Identifizierungskommission beim Bundeskriminalamt, in Frankreich existiert der „Service Central d’Identité Judiciaire“ und in den USA gibt es seit 1940 die „Disaster Identification Squad“ beim FBI. Viele Länder haben jedoch keine entsprechende Organisation. (3) In Österreich wurde seit den Katastrophen in Kaprun und im Tauerntunnel im Bundesministerium für Inneres die Bildung einer Einheit zur Identifizierung von Katastrophenopfern geplant und mit der Umsetzung begonnen. (10) Interpol beschäftigt sich mit dem Austausch von Daten über vermisste Personen und unbekannte Tote zwischen verschiedenen Ländern. Seit 1988 gibt es die Interpol Arbeitsgruppe „Identifikation“, welche den Auftrag erhielt, einheitliche Formulare für die Erhebung von ante mortem- und post mortem -Daten zu erstellen. Dies ist vor allem dann sehr wichtig, wenn bei einem Unglück mit z.B. Flugzeug oder Schiff oder bei einer Naturkatastrophe Menschen aus unterschiedlichen Ländern ums Leben kommen. Für die Rechtsodontologen von Bedeutung ist die zahnärztliche Information über die vermisste Person, welche auf dem gelben Interpol-DVI (disaster-victimidentification)-Formblatt eingetragen wird. Der Rechtsodontologe füllt die Blätter F1 und F2 des Vordruckes zu einer vermissten Person aus wenn er die Daten vom Zahnarzt erhält, der die vermisste Person behandelt hat. Auf diesem Formular wird der genaue Zahnstatus eingetragen. Es enthält genaue Angaben zu 13 Material und Lage von Füllungen, Restaurationen, prothetischen Versorgungen, Extraktionen usw. Auf dem rosafarbenen Interpol-DVI-Formblatt werden auf den Blättern F1 und F2 genaue Angaben zum unbekannten Toten eingetragen, so dass durch Vergleich der Formblätter eine Identifizierung des Toten erfolgen kann. Die Ergebnisse der vergleichenden Untersuchung werden im Abschlussprotokoll des Rechtsmediziners festgehalten und an die Polizei und den Staatsanwalt weitergegeben. (3) 14 Abb. 1: Interpol DVI-Formblatt für Vermisste (F1 und F2), gelb (oben) , Abb. 2: Interpol DVI-Formblatt für aufgefundene unbekannte Leichen (F1 und F2), rosa (unten) 15 5.2 Zahnmedizinische Untersuchung post mortem Die postmortale Untersuchung beinhaltet die Bestimmung folgender Punkte: „Vorhandene, fehlende und retinierte Zähne sowie Restaurationen Art der Restaurationen und behandelte Zahnflächen Parodontaler Zustand, Zahnstein und Verfärbungen Fehlstellungen, Rotationen, Impaktierungen, unvollständig durchgebrochene Zähne Bestimmung der nach dem Eintreten des Todes verlorenen Zähne Festsitzender Zahnersatz, Teilprothesen, Implantate Spuren von abnehmbaren Prothesen Okklusale und intermaxilläre Beziehungen Eigenschaften der Zahnbögen Eigenschaften der einzelnen Zähne Eigenschaften des Parodonts Pathologische Prozesse an Zähnen, am Parodont, an Schleimhäuten oder Knochen Analyse von post mortem angefertigten Röntgenbildern: existierende endodontische Behandlungen und spezielle Bestimmung der Zahnanatomie, der Pulpenanatomie, der Eigenschaften des Knochens sowie der Anatomie der Kieferhöhlen Foto- und Videoaufnahmen Je nach Indikation Anfertigung von Abdrücken und Herstellung von Gipsmodellen sowie Datierung und Beschriftung der Modelle“. (3) Um Fehler auszuschließen ist es empfehlenswert, die postmortale Untersuchung nicht alleine durchzuführen, sondern zu zweit. Während ein Zahnarzt untersucht, 16 notiert und kontrolliert der andere die Ergebnisse. Bei Unstimmigkeiten kann somit sofort nachuntersucht werden. (3) 5.2.1 Sektion und Mazeration Die postmortale Untersuchung erfolgt durch gewöhnliche Inspektion der Mundhöhle, Da dies jedoch durch Totenstarre oder andere Faktoren wie Verbrennungen erschwert werden kann, ist oft eine orale Sektion notwendig um die Untersuchung durchzuführen. Hierbei ist darauf zu achten, dass in allen Fällen vor Beginn der oralen Sektion die Zustimmung des Rechtsmediziners oder der zuständigen Ermittlungsbehörde einzuholen ist. Es besteht die Möglichkeit, die Wangenstrukturen zu durchschneiden, oder aber die Kiefer en bloc zu entfernen. Im Falle einer Massenkatastrophe empfiehlt sich die Entnahme der Kiefer. Dabei werden die Präparate in transparenten, beschrifteten Plastiktüten aufbewahrt, was eine spätere Untersuchung erleichtert. (3) Zur Entfernung der Mandibula wird zunächst die Kaumuskulatur durchtrennt und dann der Unterkiefer im Kiefergelenk exartikuliert. Die Maxilla wird mittels Le-Fort1 Osteotomie entnommen. Hierbei werden das Nasenseptum und die laterale Sinuswand mit einem Meißel durchtrennt. Anschließend werden die Kieferteile in Formalin fixiert. Es besteht auch die Möglichkeit, die Maxilla durch einen horizontalen Schnitt parallel zur Okklusionsebene vom Schädel zu trennen, jedoch besteht hierbei die Gefahr der Schädigung der Wurzelspitzen. (3) Nach der Sektion erfolgt die Mazeration der Präparate. Die bisherigen Mazerationsmethoden mit Kalilauge oder Antiformin haben sehr viele Nachteile. Sie sind giftig, haben eine große Geruchsentwicklung und führen zu Problemen bei der Entsorgung. Außerdem werden unter Umständen wichtige Teile der Knochen ebenfalls mazeriert. Aus diesen Gründen wird seit einigen Jahren die Mazeration mit Enzymen bevorzugt. Diese Methode ist nicht toxisch, es entsteht keine Geruchsentwicklung, die Bestandteile sind vollständig biologisch abbaubar und der gesamte Knochen bleibt erhalten. Außerdem ist die Mazeration mit Enzymen wesentlich einfacher in der Handhabung. (3) 17 Abb. 3: Frontalansicht eines mazerierten Ober- und Unterkieferpräparates 5.2.2 Röntgenvergleich Die Analyse von post mortem angefertigten Röntgenaufnahmen ist für die Identifikation von großer Bedeutung, und die Fülle an zu gewinnenden Informationen rechtfertigt den finanziellen und technischen Aufwand. Empfohlen werden folgende Aufnahmen: Einzel- und Zahngruppenaufnahmen Bissflügelaufnahmen Panoramaaufnahmen Schädelfernröntgenseitenaufnahmen Anterior-posterior Aufnahmen des Schädels. (3) Sind zu Beginn der Untersuchung bereits ante mortem Röntgenbilder vorhanden, so ist darauf zu achten, dass die post mortem Röntgenbilder aus dem gleichen Winkel angefertigt werden, um eine bessere Ausgangssituation für den Vergleich der Bilder zu schaffen. (19) Die Röntgenbilder geben Aufschluss über innere Strukturen wie Wurzelfüllungen und Entzündungen im Bereich der Wurzelspitze. Im Falle von verbrannten Opfern sind die Röntgenaufnahmen wichtig zur Beurteilungen von Füllungen, da diese bei 18 verkohlten Zähnen schwerer zu beurteilen sind. Die post mortem angefertigten Röntgenbilder können direkt mit Bildern verglichen werden, die vor Eintritt des Todes angefertigt wurden. Das ermöglicht die Identifizierung des Opfers anhand von Merkmalen, die durch eine Untersuchung mittels Inspektion und Sektion nicht festzustellen sind. Wenn nur wenige Zähne oder wenige bzw. gar keine Füllungen vorhanden sind, kann der Vergleich von Röntgenbildern unter Umständen die letzte Möglichkeit zur Identifizierung sein. Ein Problem entsteht dann, wenn keine ante mortem angefertigten Röntgenaufnahmen vorhanden sind. In vielen Ländern, wie zum Beispiel Großbritannien, werden Kassenpatienten nur selten geröntgt, in diesen Fällen muss eine Identifizierung anhand anderer Merkmale erfolgen, was jedoch nicht immer möglich ist. (3) Bei Einzelidentifizierungen ist es nicht unbedingt notwendig, schon zu Beginn Röntgenaufnahmen anzufertigen, man versucht zuerst die Identität anhand von anderen Merkmalen zu bestimmen. Erst wenn im Verlauf der Untersuchung klar wird, dass die Identifizierung davon abhängt, bzw. wenn man Patientenakten erhält, die Röntgenaufnahmen enthalten, werden Röntgenaufnahmen angefertigt. Gibt es nach Auffinden einer Leiche überhaupt keine Hinweise auf die Identität, d.h. es sind keine Patientenakten zum Vergleich vorhanden, so empfiehlt es sich, die Kiefer zu entnehmen oder einen Röntgenstatus anzufertigen bevor die Leiche beerdigt wird. Im Falle von Massenkatastrophen sollten auf jeden Fall Bissflügelaufnahmen von allen Opfern angefertigt werden, da solche meist in den Patientenakten vorhanden sind und eine Identifizierung so beschleunigt werden kann. (3) Generell eignen sich Bissflügelaufnahmen sehr gut zum Vergleich, besonders wenn Restaurationen oder Füllungen vorhanden sind. Allerdings erhöht das Fehlen von Füllungen, vor allem bei jungen Personen, die Fehlerquote. (15) 19 Abb. 4: Vergleich von ante mortem und post mortem Bissflügelaufnahmen, alle Abweichungen sind erklärbar Abb. 5: Implantatversorgung im 2. Quadranten, ante mortem (li) und post mortem (re) 5.2.3 Fotostatus Bei der postmortalen Untersuchung werden auch Fotografien angefertigt, die ebenfalls zur Identifizierung herangezogen werden können. Die Bilder werden zur Fehlervermeidung nummeriert und beschriftet. Folgende Aufnahmen werden nach Möglichkeit angefertigt: „1. Vor Entnahme der Kiefer: Übersichtsaufnahmen des Kopfes Aufnahme des Kopfes en face Aufnahme des Kopfes en profil Ober- und Unterkiefer in Okklusion Ober- und Unterkiefer getrennt von okklusal 2. Nach der Sektion: fotografische Dokumentation der Kieferasservate 20 Frontalaufnahme des Ober- und Unterkieferasservates in Okklusion vor und nach der Mazeration Je eine Aufsichtsaufnahme vom Ober- und Unterkiefer vor und nach der Mazeration 3. Bei abnehmbaren prothetischen Zahnersatz sollten folgende Aufnahmen folgen Sektionspräparat ohne Prothese Sektionspräparat mit Prothese 4. Detailaufnahmen und Ausschnitte empfehlen sich bei Zahnstellungsanomalien Zahnformanomalien Zahnkrankheiten (z.B. Karies) Speziellen Füllungsformen Festsitzendem Zahnersatz Traumatischen Gewalteinwirkungen (Frakturen, Frakturlinien an Zähnen und Kieferknochen)“ (3) Da bei mazerierten Kiefern die fotografische Darstellung von zahnfarbenen Füllungen schwierig sein kann, kann die Schmelzfärbemethode von großem Nutzen sein. Sie ermöglicht eine genaue Befundung aller Füllungsgrenzen und eine genaue Lokalisation von Kunststoffresten. Dadurch wird eine Verwechslung von Füllungsrändern und Schmelzrissen vermieden. Nach fotografischer Darstellung werden die Zähne gründlich gereinigt und mit Phosphorsäure für 2 Minuten geätzt. Danach werden die Kronen mit blauer Tusche gefärbt. Die Farbe haftet an der nun rauen Zahnoberfläche, jedoch nicht an der glatten Kunststoffoberfläche und Bondingresten. Somit lässt sich die genaue Lokalisation der Füllungen beurteilen und dokumentieren. (3) 21 Abb. 6: Frontzahn mit bukkaler Füllung vor und nach der Anfärbung 5.3 Identifizierung anhand von Prothesen- oder Zahnmarkierungen 5.3.1 Prothesenmarkierung In Fällen von Massenkatastrophen sind Identifizierungen von Prothesenträgern, deren Prothesen markiert sind, erheblich erleichtert. Die Prothesen sind im Mundraum gut vor äußeren Einflüssen geschützt und bleiben erhalten. Aber auch in Altersheimen und Krankenhäusern kann die Markierung von Prothesen mit dem Namen oder der Sozialversicherungsnummer des Patienten sehr hilfreich sein, da sehr oft durch die Patienten oder das Personal Prothesen vertauscht oder verloren werden. Und auch außerhalb stationärer Einrichtungen können markierte Prothesen im Falle von Bewusstseinsstörungen oder Bewusstlosigkeit durch vorhandene Krankheiten zur Identifizierung beitragen, vor allem, wenn der Patient keinen Ausweis bei sich trägt. Auch die zunehmende Reisetätigkeit, auch der älteren Personen, macht eine Markierung der Prothesen sinnvoll. Bereits im Jahr 1972 wurde von der „Fédération Dentaire International“ die Markierung aller Prothesen empfohlen, und in 21 Staaten der USA gibt es 22 Gesetze zur Markierung von Prothesen mit Name, Initialen oder Sozialversicherungsnummer. In Südafrika wird ein Klarsichtband mit einer Patientenidentifikationszahl am Gaumen der Prothese eingebettet. In Schweden werden Stahlbänder mit Nummer in die Prothesen eingebettet, jedoch ohne gesetzliche Pflicht. Prothesenmarkierungen müssen den natürlichen Verhältnissen in der Mundhöhle widerstehen und sollten biologisch gut verträglich, leicht zu verarbeiten und preiswert sein. Sie sollten hohen Temperaturen standhalten, da aber der hintere Bereich des Gaumens gut gegen Hitze geschützt ist, wird die Markierung erhalten bleiben, auch wenn sie nicht feuerfest ist. Möglich ist auch die elektronische Markierung von Prothesen mittels Memorychip, der in die Prothese eingebettet wird und nur die wichtigsten Daten wie Name oder Versicherungsnummer speichert. (3) Abb. 7: Prothese mit Identifikationsnummer (li), Abb. 8: Prothese mit Memorychip (re) 5.3.2 Zahnmarkierung Um Zähne dauerhaft zu markieren werden Plättchen aus Plastik oder rostfreiem Metall verwendet, die eine Identifizierungsnummer tragen. Diese Plättchen werden an der bukkalen Fläche des ersten bleibenden oder zweiten Milchmolaren am Schmelz mittels Ätz- und Klebetechnik befestigt und sind computerlesbar. 23 Weiters wäre die Zahnmarkierung mit so genannten RFID-tags (radio frequency identification tags) möglich. Dies ermöglicht die Identifizierung anhand von elektromagnetischen Wellen. In einer Studie wurden an 30 extrahierten Molaren ID-tags in Kompositfüllungen eingebracht. Die tags zeigten gute Erfolge, wurden von durchgeführten Röntgenaufnahmen nicht beeinträchtigt und halten den Bedingungen der Mundhöhle stand. Um die Informationen des tags zu erhalten muss man ein mobiles Lesegerät über die Wange im Bereich der Molaren positionieren. (5) 5.4 Vergleich von Daten ante mortem und post mortem Durch den Vergleich der gesammelten Informationen zur vermissten Person ante mortem mit den aus der Untersuchung post mortem gewonnenen Informationen kann die Bestimmung der Identität erfolgen. Jede ante mortem durchgeführte zahnärztliche Behandlung hinterlässt auf jeden Fall Spuren. Da es in den letzten Jahren durch verstärkte Prophylaxemaßnahmen zu einem deutlichen Rückgang der kariösen und parodontalen Schäden gekommen ist, muss sich die forensische Zahnmedizin heute mehr auf die Untersuchung anatomischer und morphologischer Strukturen stützen. Durch die verbesserte Prophylaxe wurde aber nicht nur die Zahl der durchgeführten Behandlungen reduziert, sondern auch die Anfertigung von Röntgenbildern verringert. Dies erschwert ebenfalls den Vergleich von ante mortem und post mortem Informationen. (1) Es wird nun, wenn die DVI-Formblätter so korrekt wie möglich mit den Daten der Untersuchung ausgefüllt sind, der Vergleich der beiden Blätter angestellt. Es werden die Daten Zahn für Zahn verglichen und auch die Röntgenbilder werden direkt verglichen. Nicht übereinstimmende Daten schließen nicht automatisch eine Identität aus, da die Möglichkeit besteht, dass z.B. Zähne vor Eintritt des Todes extrahiert wurden. Wird die Identität ausgeschlossen, da etwa ein Zahn, der extrahiert wurde beim Opfer vorhanden ist, so ist die Polizei darauf hinzuweisen, damit sie nach anderen möglichen vermissten Opfern suchen kann. Trotzdem kann es vorkommen, dass sich nicht übereinstimmende Daten erklären lassen. Dies ist meist auf fehlerhaft geführte Patientenakten zurückzuführen. In vielen 24 Fällen werden von niedergelassenen Zahnärzten nur jene Behandlungen in der Kartei festgehalten, die sie selbst gemacht haben, und es besteht immer die Möglichkeit, dass Daten vom Zahnarzt falsch dokumentiert wurden. Wurde z.B. eine Füllung an einem anderen Zahn eingetragen, als sie tatsächlich gemacht wurde, so macht das eine Computeridentifizierung unmöglich. Daher ist es in jedem Fall notwendig, dass ein Experte die Befunde auswertet. Er achtet darauf, ob alte Röntgenaufnahmen übereinstimmen, ob der Zahn, der nun die Füllung trägt, auf älteren Aufnahmen Karies aufweist, usw. Außerdem müssen im Falle von nicht übereinstimmenden Daten die Aufzeichnungen überprüft werden, um Fehler beim Eintragen in die DVI-Formblätter auszuschließen. (3) Erst wenn nicht übereinstimmende Befunde nicht erklärt werden können, kann eine Identität ausgeschlossen werden. Übereinstimmende Befunde werden genau dokumentiert, wobei es charakteristische und uncharakteristische Merkmale gibt. Zahnfüllungen sind meist uncharakteristisch und erlauben keine eindeutige Identifizierung. Deshalb ist der Röntgenvergleich besonders wichtig, da er den Vergleich anatomischer Strukturen ermöglicht. Sind charakteristische Merkmale wie prothetische oder restaurative Arbeiten vorhanden, so werden nicht so viele Einzelmerkmale benötigt um eine Identität zu bestimmen. (3) 5.4.1 Rückschlüsse aus dem Vergleich der Daten Nachdem der Rechtsodontologe alle Vergleiche angestellt und die Ergebnisse beurteilt hat, muss er zu einem Rückschluss kommen. Es ist eine Aussage über die wissenschaftliche Wahrscheinlichkeit einer Identität und ermöglicht der Polizei eine spätere endgültige Identifizierung des Opfers. Der Rückschluss muss klar und eindeutig formuliert sein, Interpol empfiehlt hier die folgenden, in Skandinavien angewendeten Formulierungen: „1. Odontologische Identität ausgeschlossen: Es liegen ein oder mehrere nicht übereinstimmende Merkmale vor 25 2. Odontologische Identität möglich: Bei verschiedenen Personen kommen die gleichen Merkmale im Verhältnis <1:100, d.h. es liegen nur einige wenige vergleichbare Details vor; viele Personen weisen die gleichen Charakteristika auf; gewöhnlich zwischen 1 und 6 Einzelmerkmale. 3. Odontologische Identität wahrscheinlich: Es besteht eine Chance, dass eine andere Person die gleichen Charakteristika aufweist, d.h. es liegen viele vergleichbare Details im Verhältnis <1:1000 vor, 7 bis 12 Einzelmerkmale 4. Odontologische Identität festgestellt: Es liegen viele vergleichbare Details im Verhältnis <1:10000 vor, d.h. es ist kaum möglich, dass eine andere Person die gleichen Charakteristika aufweist, die für eine alleinige Identifikation als ausreichend in Betracht gezogen werden; über 12 kongruierende Merkmale.“ (3) Der Rechtsodontologe muss alle Ergebnisse, auch die nicht übereinstimmenden Daten genau beschreiben und dokumentieren. (3) 5.5 Post Mortem Profiling Wenn keine ante mortem Daten zum Vergleich vorliegen, ist es Aufgabe des forensischen Odontostomatologen, den Kreis der Personen einzuschränken, dem der unbekannte Tote möglicherweise angehört. Dies kann die Suche nach ante mortem Daten erleichtern, da die Suche auf bestimmte Bevölkerungsgruppen eingeschränkt werden kann. Ein PM-Zahnprofil enthält Informationen über das Alter, das Geschlecht, die Herkunft und den sozialen Status des Verstorbenen, und in manchen Fällen auch über Ernährungsgewohnheiten, systemische Erkrankungen und Habits. Rasse und Geschlecht des Toten können anhand der Schädelform eingegrenzt werden, was aber eher in den Bereich der forensischen Anthropologie fällt. Dennoch können Merkmale wie Vorhandensein eines Tuberculum Carabelli oder die Form der Schneidezähne zusätzliche Hilfen sein. Heute ist es auch möglich, das Geschlecht anhand der Zähne festzustellen. Dies ist vor allem bei Kindern und Jugendlichen von Bedeutung. Bevorzugt werden Messungen der Kronendurchmesser, welche bei männlichen Individuen größer sind als bei 26 weiblichen. Solche Unterschiede sind auch im Milchgebiss, wenn auch weniger stark ausgeprägt, vorhanden. Die Merkmale der Zähne sind in Bezug auf die Geschlechtsbestimmung alleine nicht aussagekräftig und werden gemeinsam mit Merkmalen des Schädels und der Mandibula bewertet. Die Mandibula eignet sich besonders zur Geschlechtsbestimmung, es wurden signifikante Unterschiede in Bezug auf die Länge der Mandibula, die Breite der Kondylen, Unterkieferwinkel, Astbreite und Kinnhöhe festgestellt. Das Alter des Toten kann durch Analyse des Gebisses ebenfalls eingegrenzt werden. Hierbei ist auf das Entwicklungs- und Durchbruchsstadium der Zähne, die Breite des Pulpenkanals am Apex, das Vorhandensein von Milchzähnen sowie den Entwicklungsgrad der 3. Molaren zu achten. Jedoch muss man beachten, dass vor allem Durchbruchszeiten und Entwicklungsstadien stark variieren. Schwieriger wird die Altersbestimmung, wenn das Individuum erwachsen ist. Parodontaler Abbau, das Vorhandensein von Restaurationen oder Abrasionen kann auf ein höheres Alter hinweisen. Erosionen an den Zähnen können ein Hinweis auf Alkoholmissbrauch oder Essstörungen sein, während Verfärbungen auf Zigarettenkonsum hindeuten können. Die Qualität der restaurativen und prothetischen Versorgungen lässt Rückschlüsse auf den sozialen Status und eventuell auf das Herkunftsland der zu identifizierenden Person zu. (19) (3) 6 Forensische Zahnmedizin im Rahmen von Massenkatastrophen Als Massenkatastrophe werden Unglücke bezeichnet, bei denen es mehr als 100 Todesopfer gibt. Ein qualifiziertes und organisiertes Team von Experten sollte bereits am Unfallort die Identifizierung der Opfer vornehmen. Das Vorgehen zur Bestimmung der Identität eines Opfers einer Massenkatastrophe ist im Prinzip das gleiche wie bei einem einzelnen Opfer. Schwierig ist jedoch die Organisation des Einsatzes, da in solchen Fällen eine große Anzahl von Opfern vorliegt, die häufig aus verschiedenen Staaten kommen. (1) 27 Katastrophen werden in zwei Kategorien unterteilt: Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche, Überschwemmungen, Erdbeben usw., sowie durch Menschen verursachte Katastrophen wie Zugunglücke, Flugzeugabstürze, Brandunfälle, Explosionen, Massenmord und Massenselbstmord, Schiffsunglücke usw. (1) Da bei solchen Ereignissen häufig große mechanische, chemische oder thermische Kräfte einwirken, eignen sich oft die Zähne als widerstandsfähigstes Gewebe des menschlichen Körpers am besten zur Identifikation der Opfer. (1) Auf jeden Fall sollte die Untersuchung durch den Rechtsodontologen bereits dort beginnen, wo die Leiche gefunden wurde, um sicherzustellen, dass keine zahnärztlichen Überreste übersehen werden. Weder Polizei noch Feuerwehr sind dafür ausgebildet, diese speziellen Überreste zu erkennen, die meist in der Umgebung des Opfers verstreut sind. Da in erster Linie nach Überlebenden gesucht werden muss, sollte von Beginn an die Polizei vor Ort sein, um die Suche nach Überlebenden zu überwachen und die Vernichtung von Beweismaterial zu verhindern. Zugang zum Unfallort sollte nur das Rettungspersonal und die Identifizierungskommission erhalten. Es hat sich herausgestellt, dass die besten Ergebnisse erzielt werden, wenn schon von Beginn an eine vollständige Identifizierungskommission am Ort des Geschehens anwesend ist. Zuerst wird das Unfall- oder Katastrophengebiet genau vermessen, fotografiert und skizziert. Alle gefundenen Leichen werden nummeriert und die Position in die Skizze eingetragen. Auch Teile des Gebisses oder Prothesen, die in der Umgebung von Leichen gefunden werden, müssen nummeriert und beschriftet und einzeln in Plastiktüten verpackt werden. Nachdem alle Leichen und anderen Beweisstücke registriert und markiert wurden, können sie in die dafür vorbereiteten Räumlichkeiten gebracht werden, wo alle weiteren Untersuchungen durchgeführt werden. (3) (12) Das Team einer Identifizierungskommission (und der dazugehörigen Rechtsodontologen) muss ständig verfügbar sein und auf widrige Arbeitsbedingungen eingestellt sein. Die Mitglieder müssen auf gültige Pässe, Impfungen usw. achten, da sie zu Einsätzen überall auf der Welt gerufen werden 28 können. Das Team wird in zwei Gruppen unterteilt. Die erste Gruppe ist im Heimatland dafür zuständig, alle Unterlagen zu beschaffen, die für das Ausfüllen des AM-DVI-Formblattes benötigt werden und diese an das zweite Team, welches am Unglücksort arbeitet, weiterzugeben. Dieses zweite Team arbeitet am Ort des Geschehens und untersucht die Opfer. Die Mitglieder füllen das PM-DVI-Formblatt für jedes Opfer aus. (3) Um den Vergleich der Daten zu vereinfachen wurden Computerprogramme, z.B. von Interpol, entwickelt, die die Sortierung der Daten beschleunigen. Sie sind von großer Bedeutung für die Sichtung und Organisation der Daten. (3) (1) 6.1 11.September 2001 Nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York war die Identifizierung der vielen Opfer eine schwierige Aufgabe. Die Überreste wurden von forensisch tätigen Zahnärzten, gerichtsmedizinischen Pathologen, Anthropologen und Polizei untersucht, persönliche Gegenstände und Kleidung wurden katalogisiert. In den Monaten nach dem Terroranschlag wurden 1400 der 2900 als getötet gemeldeten Opfer identifiziert, ca. 55-60% davon wurden auf Grund von zahnärztlichen Untersuchungen identifiziert, in den anderen Fällen ermöglichten DNA- und Fingerabdruckanalysen die Identifikation. Im Juli 2002 wurden die Arbeiten zur Identifizierung der Opfer abgeschlossen, jedoch konnten ca. 1500 der Opfer nicht identifiziert werden. (6) 6.2 Tsunamikatastrophe in Asien Am 26. Dezember 2004 löste ein Seebeben eine Flutwelle aus, die große Teile der Küsten Asiens zerstörte. Dabei verloren mehr als 200000 Menschen aus unterschiedlichsten Nationen ihr Leben. Um die Opfer zu identifizieren wurden auch Teams von forensisch tätigen Zahnärzten aus der ganzen Welt ins 29 Krisengebiet gesandt, jedoch erschwerten Temperaturen um die 30 Grad und sehr hohe Luftfeuchtigkeit die Arbeit enorm. Außerdem gestaltete sich die Organisation des Einsatzes schwierig. In Thailand, wo viele ausländische Opfer zu beklagen waren, waren z.B. erst eine Woche nach der Flutwelle genügend Kühlcontainer für alle Leichen vorhanden. Bis dahin wurden die Leichen teils im Freien gelagert, und auch von rasch errichteten Massengräbern und späteren Exhumierungen durch die thailändischen Behörden wurde berichtet. Aus diesen Gründen waren bereits nach zwei Tagen starke Verwesungen festzustellen, welche die Identifizierungsarbeiten erschwerten. (7) (13) (14) Das österreichische DVI-Team begann seine Untersuchungen vor Ort noch im Dezember 2004. Bereits am Tag nach der Katastrophe schickte das Bundeskriminalamt Deutschland ein erstes Team nach Thailand, um die Identifizierung der deutschen Touristen zu organisieren. Dieses Team bestand aus drei Kriminalbeamten und einem Zahnmediziner. Am 30.12. traf die Identifizierungskommission aus Deutschland in Thailand und Sri Lanka ein. Das österreichische und das deutsche DVI-Team arbeiteten in Thailand zusammen, und insgesamt 19 Nationen stellten Expertenteams zur Verfügung, um möglichst viele der Opfer zu identifizieren. Nach der äußeren Inspektion und Obduktion der Leichen sowie Sicherung von Fingerabdrücken und DNA-Proben wurden zahnmedizinische Untersuchungen durchgeführt. Für jedes Opfer wurde ein Zahnstatus erhoben und Röntgenaufnahmen angefertigt. Zur Entnahme von DNAProben wurden standardisiert nach der zahnärztlichen Untersuchung je zwei gesunde Zähne oder Röhrenknochen entnommen. (7) (13) (14) Abb. 9: Zustand nach Entnahme von Zähnen zur DNA-Analyse Die ante mortem und post mortem Daten wurden mit Hilfe von Computerprogrammen verglichen. Hier war wieder die Zusammenarbeit der niedergelassenen Zahnärzte mit den Behörden von großer Bedeutung, da sie die ante mortem Daten zur Verfügung stellten. (8) Um die Daten möglichst effizient zu 30 verwalten und zu vergleichen wurde in Phuket, Thailand, das TTVI-IMC (Thai Tsunami Victim Identification – Information Management Center) eingerichtet. In dieser Region forderte der Tsunami die größte Anzahl an ausländischen Opfern. Die Zahl der Opfer in Thailand betrug ca. 5000, etwa die Hälfte davon waren Touristen aus der ganzen Welt. (10) (13) Die ante mortem Daten wurden von den jeweiligen Regierungen zur Verfügung gestellt. In Österreich erfolgte die Erhebung der Daten durch Ermittlungsbeamte des Bundesministeriums für Inneres. Diese Daten wurden ans TTVI-IMC gesendet und dort ins DVI System International eingegeben. Die Eingabe der post mortem erhobenen Daten ins DVI System International wurde stets von zwei forensischen Odontologen durchgeführt um Fehler zu vermeiden. Um den Zahnstatus zu dokumentieren wurden die Unterkiefer der Opfer exartikuliert und jeder Zahn befundet. Außerdem wurden Röntgenaufnahmen und Fotos angefertigt. Nach Eingabe der Daten beginnt das Programm automatisch mit dem Vergleich der Daten und ermittelt Übereinstimmungen. Es liefert eine Liste mit möglichen Übereinstimmungen welche im Anschluss von einem forensischen Odontologen verglichen werden. (10) Da in manchen Ländern bereits Vorschriften zur Prothesenmarkierung existieren konnte ein Teil der Opfer schnell anhand dieser Markierungen identifiziert werden. Andere Opfer wurden durch Tätowierungen, Nummern von Herzschrittmachern und künstlichen Gelenken usw. identifiziert. Abb. 10: Registrierungsnummer in einer Oberkiefer-Totalprothese Die Identifizierungskommission aus Deutschland war bis Februar 2006 in Thailand tätig um die Opfer aus 38 Nationen zu identifizieren. Etwa 80% der 31 deutschen Flutwellenopfer konnten anhand von zahnmedizinischen Untersuchungen erfolgreich identifiziert werden. Im März 2006, 15 Monate nach der Katastrophe, waren 90% der in Thailand vermissten ausländischen Opfer erfolgreich identifiziert, darunter auch die 82 österreichischen Opfer. Durch zahnmedizinische Untersuchungen konnten etwa 80 % der ausländischen Opfer identifiziert werden, wohingegen nur ein kleiner Prozentsatz der einheimischen Opfer anhand des Zahnstatus identifiziert werden konnten. Grund hierfür sind nicht vorhandene AM-Daten der Bevölkerung. (7) (8) (10) (18) Das Ausmaß dieser Katastrophe machte deutlich, dass es zu wenige Zahnärzte gibt, die sich mit der Arbeit der Identifizierungskommission auskennen, und dass eine Notwendigkeit besteht, ihre Zahl zu vergrößern, um mit Katastrophensituationen dieses Ausmaßes fertig zu werden. (9) 6.3 Tragödie des Sonnentempler-Ordens in der Schweiz Am 5. Oktober 1994 wurden 48 Mitglieder des so genannten SonnentemplerOrdens in Cheiry uns Salvan in der Schweiz tot aufgefunden. Die Mitglieder der Sekte, darunter auch Kinder, starben, wie spätere Untersuchungen ergaben, an unterschiedlichen Ursachen. Einigen wurden erschossen, einige durch Plastiktüten erstickt. Manche waren gefesselt, während bei manchen eine Überdosis an Medikamenten festgestellt wurde. Unter den Opfern befand sich auch Luc Jouret, der Anführer der Sekte. Der Tod der Mitglieder sollte wie Selbstmord aussehen, daher wurde an beiden Tatorten Feuer gelegt. Trotzdem konnte in vielen Fällen ein Selbstmord ausgeschlossen werden, und man kann davon ausgehen, dass nur wenige der Opfer aus freien Stücken getötet und Selbstmord begangen haben. Die Opfer wurden nach der ersten Untersuchung an den Tatorten in das gerichtsmedizinische Institut von Lausanne gebracht. Auch in diesem Fall war die Auswertung der zahnmedizinischen Daten von Bedeutung. Es wurden Röntgenbilder angefertigt und der Zahnstatus erhoben. Durch die gelegten Brände war mehr als die Hälfte der Opfer verbrannt, was die Identifizierung durch Fingerabdrücke und visuelle Bestätigung unmöglich machte. 32 Zudem stammten die Opfer nicht nur aus der Schweiz, sondern auch aus Kanada, Frankreich, Belgien, Italien und Spanien, was die Identifizierung weiter erschwerte. Trotzdem gelang es durch die Zusammenarbeit mit niedergelassenen Zahnärzten und der zuständigen Polizei, innerhalb nur eines Monats alle Opfer zu identifizieren. 21 der 48 Opfer wurden auf Grund des Zahnstatus identifiziert. (16) 6.4 Seilbahnkatastrophe von Kaprun In einer Kabine der Gletscherbahn von Kaprun kam es am 11. November 2000 zu einer Brandkatastrophe, bei der 155 Menschen ums Leben kamen. Die Bahn befand sich in einem Tunnel, als in der Fahrerkabine von einem nachträglich eingebauten Heizlüfter ein Feuer verursacht wurde. Es existierten keine Passagierlisten, und alle Opfer wiesen schwere Verbrennungen auf. Die Opfer, die aus verschiedenen Ländern kamen, starben an Kohlenmonoxydvergiftung. Die Opfer mussten unter schwierigsten Bedingungen geborgen werden und wurden per Helikopter nach Salzburg gebracht. Dort wurden sie in einem dafür zur Verfügung gestellten, auf 4 Grad Celsius gekühlten Flugzeughangar gelagert und nach und nach zum gerichtsmedizinischen Institut gebracht. Das Team, welches die Leichen untersuchte, bestand aus forensischen Pathologen, zwei forensischen Zahnärzten, Autopsieassistenten, Fotografen und Computerspezialisten sowie zahlreichen anderen Spezialisten. Anwesend war auch ein forensisches Team aus den USA, welches jedoch nur Beobachterstatus hatte. Bei jedem Opfer wurde eine komplette Autopsie durchgeführt und Gewebe zur DNA-Analyse entnommen. In 126 Fällen war es möglich, einen Zahnstatus zu erheben. Auf Grund der starken Verbrennungen war eine Beschreibung der Kleidung nur in sehr wenigen Fällen möglich. Nach einer Woche war das Team mit den Autopsien aller Opfer fertig, in 154 Fällen konnte eine Vergiftung mit Kohlenmonoxyd als Todesursache festgestellt werden. Nur ein Opfer wies keine Vergiftung auf und zeigte keine feststellbare Todesursache. Vermutet wird in diesem Fall eine Erstickung in Folge von Laryngospasmus. Die Opfer dieser Katastrophe waren zum größten Teil junge, gesunde Menschen, und die meisten von ihnen hatten weinige bis keine zahnmedizinischen 33 Restaurationen aufzuweisen. Aus diesem Grund entschied man sich schon früh während der Untersuchung, die Identifizierung durch DNA-Analysen vorzunehmen. Die Polizei war dafür zuständig, von allen vermissten Personen Vergleichsproben zu beschaffen. Hierbei handelte es sich um Zahnbürsten, Haarbürsten, Rasierer, Handtücher usw. Zahnstatus und anthropologische Daten wurden unterstützend zur DNA-Analyse verwendet. Die endgültige Identifizierung der Opfer war nur durch die Polizei möglich, diese arbeitete aber eng mit dem zuständigen gerichtsmedizinischen Institut in Salzburg zusammen. Nach 19 Tagen konnten alle Opfer anhand von DNA-Analysen erfolgreich identifiziert werden. (17) 7 Konklusion Wie die Erfahrung zeigt, ist die Analyse von zahnmedizinischen Daten eine effiziente, günstige und zeitsparende Methode zur Identifizierung unbekannter Toter, insbesondere dann, wenn die Identifizierung durch visuelle Bestätigung oder Fingerabdruckanalyse nicht möglich ist. Die Qualität der Ergebnisse ist jedoch stark von der Qualität der ante mortem erhobenen und dokumentierten Befunde abhängig. Oft sind die zum Vergleich notwendigen Unterlagen nicht umfassend genug, da im Bereich der Dokumentation beträchtliche Mängel vorliegen. Hier wäre eine bessere Aufklärung der niedergelassenen Zahnärzte von Vorteil, da diese häufig nicht alle Befunde ihrer Patienten dokumentieren. Ein wichtiger Punkt ist die genaue Erfassung des gesamten Zahnstatus bei der Erstuntersuchung jedes Patienten, und nicht wie häufig üblich, nur die selbst durchgeführten Behandlungen zu dokumentieren. Im Falle von Massenkatastrophen kommt es darauf an, rasch zu handeln und ein Expertenteam an den Ort des Geschehens zu schicken. Um dies möglichst schnell zu gewährleisten ist es erforderlich, dass dieses Team so gut wie möglich auf Katastropheneinsätze vorbereitet und mit den Arbeitsabläufen vertraut ist. In jedem Fall muss von den Experten entschieden werden, welche Maßnahmen zur Identifizierung der Opfer ergriffen werden. Wie die Brandkatastrophe von Kaprun 34 zeigte, ist eine Identifizierung anhand des Zahnstatus nicht immer unbedingt die beste Methode. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Opfer vorwiegend jung und gesund sind, und man nicht auf aufwendige vorhandene Restaurationen hoffen kann. Der Zahnstatus wurde in diesem Fall zwar von allen Opfern erhoben, die Identifikation erfolgte jedoch in allen Fällen durch DNA-Analysen. Durch die Arbeit bei Massenkatastrophen zeigte sich die große Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit. Letztendlich haben immer die zuständigen Behörden am Unglücksort die Verantwortung. Sie bestimmen das Vorgehen und ermöglichen die offizielle Identifizierung der Opfer. Hier wäre ein standardisiertes, international einheitliches Vorgehen wichtig, um vor allem direkt nach Eintreten einer Katastrophe die Identifizierungsmaßnahmen zu beschleunigen. Die IOFOS und ähnliche Organisationen arbeiten seit Jahren daran, dies zu verwirklichen. Um optimale Ergebnisse erzielen zu können ist eine einheitliche Nomenklatur und Sprache wichtig, was jedoch nicht immer der Fall ist. Meistens ist die Sprache der Wahl Englisch, nur in Ausnahmen wird eine andere Sprache bevorzugt. Es hat sich außerdem gezeigt, dass eine Markierung von Prothesen außerordentlich hilfreich sein kann, jedoch auch hier gibt es keine internationalen Richtlinien, und nur in einigen Ländern wird eine Markierung der Prothesen gesetzlich vorgeschrieben. Diese Markierungen dienen zur Identifizierung von Toten, aber auch von lebenden Personen, wenn kein Ausweis vorliegt, und auch in Pflegeheimen kann die Markierung von großem Nutzen sein, um Verwechslungen zu vermeiden. All diese Punkte machen deutlich, dass eine bessere forensische Ausbildung der Zahnärzte wichtig wäre, um gewissenhafte Dokumentation aller forensisch notwendigen zahnärztlichen Daten zu gewährleisten. Durch eine diesbezügliche Grundausbildung aller Zahnärzte wäre die Sammlung von AM-Daten im Falle eines oder mehrerer unbekannter Toter erleichtert, und auch die Markierung von Prothesen könnte konsequenter durchgeführt werden. Bis heute ist es unter Zahnärzten nicht hinreichend bekannt, wie wichtig derartige Markierungen sein können. Studien zeigten, dass die meisten Patienten die Kennzeichnung ihrer Prothesen befürworten, und auch bereit wären, dafür zu bezahlen. 35 In diesem Sinne bleibt zu hoffen, dass die forensische Zahnmedizin auch in Österreich an Wichtigkeit gewinnt, da vor allem in Zeiten von Terroranschlägen und zunehmender Häufigkeit von Naturkatastrophen ein Bedarf an gut ausgebildeten, forensisch tätigen Zahnärzten besteht. Katastrophen können jederzeit und überall auftreten und jeder Zahnarzt kann zu Hilfe gerufen werden. Daher ist zumindest eine Grundausbildung auf diesem Gebiet notwendig. 36 8 Literaturverzeichnis (1) M.Perrier: Einführung in die forensische Zahnmedizin, Schweizer Monatszeitschrift für Zahnmedizin, Vol.108, S 247-253, (1998) (2) O. Amodeo: The role of the dentists in the identification of the victims of the catastrophe of the Bazar de la charité, Paris 4th of may 1897, The Dental Cosmos, Vol. 39, S 905-910, (1897) (3) K. 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Sweet: A look at forensic dentistry – part 1: the role of teeth in the determination of human identity, British Dental Journal, Vol. 190, S 359-366, (2001) 38 9 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: K.Rötzscher: Forensische Zahnmedizin, Books on demand (2003), S 179180 Abb. 2: K.Rötzscher: Forensische Zahnmedizin, Books on demand (2003), S 200201 Abb. 3: K.Rötzscher: Forensische Zahnmedizin, Books on demand (2003), S 168 Abb. 4: I.A. Pretty, D. Sweet: A look at forensic dentistry – part 1: the role of teeth in the determination of human identity, British Dental Journal, Vol. 190, (2001), S 360 Abb. 5: C. Grundmann et al: Tsunami-Opfer-Identifizierung durch deutsche Fachkräfte, ZM 95, (2005), S 33 Abb. 6: K.Rötzscher: Forensische Zahnmedizin, Books on demand (2003), S 189 Abb. 7: K.Rötzscher: Forensische Zahnmedizin, Books on demand (2003), S 158 Abb. 8: K.Rötzscher: Forensische Zahnmedizin, Books on demand (2003), S 159 Abb. 9: O. Peschel, R. Lessig, C. Grundmann, J. Peter, M. Tsokos: Tsunami 2004 – Rechtsmedizinische Erfahrungen aus dem Einsatz der Identifizierungskommission in den ersten Tagen in Thailand, Rechtsmedizin, Vol. 15, (2005), S 433 Abb. 10: R. Lessig, C. Grundmann, S. Benthaus, K. Rötzscher, J. Peter: Tsunami 2004 – Forensisch-odontostomatologische Untersuchungen in den ersten Tagen danach, Rechtsmedizin, Vol. 15, (2005), S 439 39