Stress - Emotion arbeitsphysiologie 15 Stress Emotion Juli 2001+ .doc iha Ergonomie / Arbeit + Gesundheit H. Krueger 15. Stress - Emotionen Nicht jede Beanspruchung ist mit Stress im Gebrauch der täglichen Sprache gleichzusetzen. Im täglichen Umgang wird Stress negativ belegt. Aus objektiver Sicht gibt es einen notwendigen Stress, eine Belastung der organischen und psychischen Systeme. Ohne Beanspruchung gibt es keine Übungs- oder Trainingseffekte. Dieser kann als Eustress bezeichnet werden. Erst eine Überforderung der Leistungsfähigkeit wirkt negativ als Disstress. Somit muss der Begriff Stress erst einmal wertfrei gesehen werden. Stressor: objektive Eigenschaften der Aussenwelt, die auf das Individuum einwirken objektive Eigenschaften der Aussenwelt, die auf perzeptive und kognitive Prozesse eines Individuums unabhängig von individueller Erfahrung und individuellem Bewusstsein i wirken Stress: Eigenschaften der Aussenwelt, wie sie vom Individuum erfahren werden und sich in seinem Bewusstsein widerspiegeln Disstress: für ein Individuum nicht gesunder Stress Eustress: für ein Individuum notwendiger Stress zur Gewährleistung eines optimalen physischen und psychischen Zustandes Strain: individuelle physische, psychologische Reaktion auf Beanspruchung t0011 t0011 Abb. 1 Die Aufrechterhaltung einer konstanten Leistung stellt einen aktiven Prozess dar, der der Kontrolle des Individuums unterliegt. Das individuelle Verhalten erlaubt es dem einzelnen Individuum, sich konkurrenzierende Ziele zu kontrollieren Stress: Definitionen 15.1. Stress Selye (1976) Antwort des Organismus auf Anforderungen oder Ereignisse, die ihn herausfordern 15.1.1. Konzepte und Definitionen Kahn, Wolfe, Quinn, Snoek, Rosenthal (1996) externes Ereignis, das das Individuum fordert Caplan, French, van Harrison, Pinneau (1975) Umgebungsfaktor, der das Individuum bedroht French, Rogers, Cobb (1976) Zustand, der aus einem Missverhältnis zwischen persönlichen Fähigkeiten und den Anforderungen an das Individuum herrührt Schuler (1980) Bedingungen, in denen ein Individuum mit der Notwendigkeit, dem Zwang oder der Aufforderung konfrontiert ist, das zu tun, was wünschenswert ist, aber die erfolgreiche Lösung ungewiss ist. t0012 t0012 Abb. 2 Stress: Konzepte Spacapan, Cohen (1983) mangelnde Kontrollierbarkeit Unvorhersehbarkeit Ungewissheit Jackson, Stafford, Banks, Warr (1983); Änderungen Beehr, Newman (1978) Umgebungsfaktoren, die zu einer Abweichung er Normalfunktion des Organismus führen Redfield, Stone (1979); Cooper (1983) Flemming, Baum, Singer (1984) Stress - Emotion Stress tritt dann auf, wenn das Individuum die Belastung stressvoll wahrnimmt t0013 t0013 Abb. 3 iha Stressoren Ergonomie / Arbeit + Gesundheit 15-1 Arbeitsphysiologie Arbeitsleistung 15.1.2. Stress - Physiologie 1961 1961 schlafend schläfrig wach hellwach niedrig hyperwach sehr hoch Aktivität der Retikularformation 1961 Abb. 4 Prinzip der Beziehung zwischen Aktivierung der Retikularformation und geleisteter Arbeit. Hyperaktivität der RF, z.B. bei übermässigem Coffeinkonsum senkt die Arbeitsfähigkeit (umgekehrt U-förmige Beziehung). res St Hypothalamus soren akustische Reize olfaktorische Reize visuelle Reize ....... Genauere Darstellung der beiden Linien für chronische und akute Stressantworten. Akuter Stress betrifft die Achse SympathikusNebennierenmark und chronischer Stress die Achse Hypothalamus-ACTH-Nebenierenrinde. Hypophyse ACTH Adrenocorticotropes Hormon Sympathicus Glukoneogenese Lipolyse Blutdruckerhöhung Wasserausscheidung Nebennieren Cortisol Catecholamine Mobilisierung von Glukose und Fetten Stoffwechselsteigerung zentralnervöse, sympatische Aktivierung Blutdruckerhöhung Abbau: Muskelarbeit "Ablagerung:" Cholesterinbildung Gefässschäden 0619 0619 Biologisches Stressmodell individuelleStressoren allgemeineStressoren 15.1.3. Stress - Überblick Eine einheitliche Stressdefinition sollte wenigstens zwischen psychosozialem und physiologischem Stress unterscheiden. Im ersten Fall handelt es sich um eine Belastung des organischen Systems und im andern um eine des informatorischen. StressSymptome StressFolgen Stress - Emotion Abb. 5 1962 1962 Abb. 6 15-2 Stress-Verlauf iha Ergonomie / Arbeit + Gesundheit H. Krueger allgemeine Stressoren 15.1.4. Stress - Stressoren individuelle Stressoren Arbeitsfaktoren Stellung in der Organisation Berufskarriere soziales Umfeld Arbeitsfeld familiäres Umfeld Mehrfachkarriere Partizipation Firmenpolitik Beratung Ausbildung Ängstlichkeit Neurotizismus Toleranz Verhaltenstyp Weisungsbefugnis Verantwortung Beziehung zu MitarbeiterInnen 1963 Überbeförderung Unterbeförderung Arbeitsplatzunsicherheit Ambitionen Rollenmehrdeutigkeit Rollenkonflikt Außenbild des Berufes Arbeitsbedingungen Unterbelastung Überbelastung Zeidruck Zeitdruck Verantwortung 1963 1963 Abb. 7 Stressoren StressSymptome 15.1.5. Stress – Symptome und Folgen Blutdruckanstieg Herzfrequenz erhöht Cholesterinspiegel erhöht Schlafstörung Arbeitsunzufriedenheit Rauchverhalten Medikamentenkonsum "Escape"-Trinken Fehlzeiten erhöht Arbeitsstellenwechsel häufiger Qualitätsbewußtsein sinkt 1963 1964 Abb. 8 Stresssymptome Stressbezogen veränderte Verhaltensweisen 1. Soziale Verhaltensweisen: abrupte Änderung des Verhaltens Misstrauen, Argwohn Intoleranz Aggressivität Zynismus Zurückziehen/soziale Isolation 2. Individuumsbezogene Verhaltensweisen: Zunahme des Verbrauchs von Alkohol, Tabakwaren, Medikamenten, Drogen Essfehlverhalten ("Fressucht", Essen als Ablenkung, Verweigerung) Suizidneigung 3. Arbeitsbezogene Verhaltensweisen: überzogener, uneffektiver Arbeitseinsatz Konzentrationsmängel und vorzeitige Arbeitsermüdung Unpünktlichkeit und Fernbleiben von der Arbeit Unfallgefahr steigt ("Beinaheunfälle") Unfähigkeit zur Entspannung in der Freizeit (Pseudoaktivitäten, "nie fertig sein") Burnout-Syndrom Bei einem Vergleich von Einzel- und Grossraumbüro wurde in den USA gefunden: Adrenalin und Noradrenalin sind bei Mitarbeitern im Grossraumbüro um 50% höher als im Einzelbüro. Als Hauptursache wird der Lärmpegel im Grossraumbüro angeführt. Seco: Personen, die im Grossraumbüro arbeiten, fehlen häufiger. Management by objectives verstärkt das Konkurrenzdenken und damit den Druck. Das Team ist ein Wunschdenken, wenn es ständig wechselt und niemand mehr Zeit für den andern hat. Personen mit schlechterer Gesundheit fühlen sich auch stärker gestresst. Es fragt sich, ob ein gleichzeitig zur neuen Unternehmenskultur angebotenes WellnessProgramm, das von Meditation und autogenem Training bis zur Massage reicht, tatsächlich die Folgen von Leistungsdruck und sozialer Unsicherheit abbauen kann. Leitsymptome: Selbst- und fremdschädigende Verhaltensweisen 2318 K. Scheuch, 1999 2318 Stress - Emotion Abb. 9 iha Ergonomie / Arbeit + Gesundheit 15-3 Arbeitsphysiologie Stressbezogene Handlungsveränderungen 1. Antriebe zum Handeln: verringerte Initiative eingeschränkte Motive und Ziele Zweifel am Sinn der Tätigkeit Pessimismus Selbstzweifel 2. Informationsaufnahme: Sensibilität der Reizaufnahme verändert (Auge, Ohr, taktile Reize) Erhöhung der Zeit für Identifizieren Verschlechterung der Diskrimination 3. Vorbereitung und Ausführung von Handlungen Präzisionsverlust sensomotorischer Handlungen Anstieg von Fehlhandlungen bzw. "Beinahe"-Fehlhandlungen Instabilität des Handlungsverlaufes Oberflächlichkeit Inflexibilität/Starre/Einschränkung der Umstellungsfähigkeit Vergröberung von Klassifikationsleistungen Abnahme von Kontrolltätigkeiten Entscheidungsunfähigkeit Primitivierung von Strategien Zerfall geordneter Handlungsfolgen Handlungsunfähigkeit Leitsymptome: gestörte Handlungsstruktur aufgrund eingeschränkter Handlungsantriebe und/oder veränderter Handlungsdurchführung mit geringer Anpassungsfähigkeit bei Änderungen des Handlungsablaufes 2318 K. Scheuch, 19 9 9 2318 Abb. 10 Stressbezogene psychisch-emotionale Veränderungen Unsicherheit Traurigkeit ohne adäquaten Anlass Angst Getriebensein Aggressivität abrupte Stimmungswechsel, Unausgeglichenheit Hilflosigkeit Hoffnungslosigkeit Ausgeliefertsein Depression Leitsymptome: Erleben von Unsicherheit und Angst K. Scheuch, 19 9 9 2318 Abb. 11 StressFolgen koronare Herzerkrankung Magenschleimhautreizung psychische Auffälligkeit Arbeitsergebnis schlechter "Bummelstreik" Unfälle vermehrt Streik 1964 1964 Stress - Emotion Abb. 12 15-4 iha Ergonomie / Arbeit + Gesundheit H. Krueger 15.1.6. Stress - Kontrolle persönliche Kontrolle arbeitsbedingte Beanspruchung t0014 arbeitsbedingte Anforderung t0014 Abb. 13 Felder möglicher Kontrolle Arbeitsaufgabe: Reihenfolge der Teilaufgaben Wahl zwischen verschiedenen Aufgaben Arbeitsablauf: Kontrolle des Arbeitstempos Arbeitszeit: Wahl der täglichen Arbeitszeit Wahl der Urlaubszeit Umgebung (physikalische): persönliche Wahlmöglichkeit von: Beleuchtung, Klima, Lärm, Arbeitsplatzgeometrie, Aufenthaltsort Umgebung (sonst): biologisch, chemisch, .... t0015 t0015 Abb. 14 Felder aktiver Stresskontrolle. 0,12 2153 0,08 0,04 Frauen Kontrolle Männer Blutentnahme kognitive Aufgabe 2153 Stress - Emotion Abb. 15 Stresshormone in verschiedenen Situationen für Männer bzw. Frauen. iha Ergonomie / Arbeit + Gesundheit 15-5 Arbeitsphysiologie 15.2. Emotion Rein biologische Modelle, die Handlungstheorien vernachlässigen (Hacker & Richter, 1998), vermögen die Beanspruchungsfolgen mentaler Arbeit nicht zu erklären. Der Mensch im Arbeitssystem verhält sich nicht wie ein konstantes Element in einem technischen System, sondern als gestaltendes. Biologische, mentale und emotionale Kosten sind zu berücksichtigen, wenn der Arbeitsaufwand abgeschätzt werden soll. Der Erfassung emotionaler Prozesse kommt also eine grosse Bedeutung zu. Diese ist umso wichtiger, je stärker mental die Tätigkeit betont ist. Emotionen werden von physiologischen Veränderungen begleitet. Allerdings handelt es sich um Antwortmuster grosser Variabilität. Situation und Wahrnehmung der Situation, d.h. die individuelle Wahrnehmung und Bedeutung der Situation spielen eine wichtige Rolle. Drei erklärende Modellvorstellungen existieren. Das Spezifitätsmodell besagt, dass verschiedene spezifische Emotionen durch spezifische physiologische Antwortmuster gekennzeichnet sind (James, 1884, Levenson et al., 1990). Das Dimensionsmodell postuliert, dass die physiologischen Antwortmuster mit generellen Emotionsdimensionen korrelieren. Solche Dimension sind: angenehm – unangenehm, ruhig – aufgeregt und aktiv – passiv (Russel, 1980; Watson & Tellegen, 1985). Das dritte Modell, das „response-Requirement“Modell geht davon aus, dass die physiologischen Antwortmuster mit speziellen Erfordernissen der emotionalen Situation folgen. Die entsprechenden Dimensionen sind „intake – rejection“ (Lacey & Lacey, 1970), aktives – passives Coping (Obrist, 1981). Erhebung und Bewertung von Emotionen spielen im Design und der Produktgestaltung, aber auch der Gestaltung von Arbeitssystemen eine zunehmende Rolle, auch wenn sich die Bewältigung der damit einhergehenden Probleme – horribile dictu – einer Reglementierung entziehen und der persönlichen Kreativität eine grosse Freiheit lassen. In diesem Umfeld geht es nicht um Faktenwissen, sondern um Strategien der Problembehandlung. Die jeweilige betriebliche Lösung hängt von vielerlei Randbedingungen ab. 15-6 iha Ergonomie / Arbeit + Gesundheit Stress - Emotion Emotion ist ein komplexes Reaktionsmuster auf Situationen, die für ein Individuum bedeutungsvoll sind. Sie haben also immer etwas mit Informationsverarbeitung zu tun. H. Krueger 15.2.1. Orientierungsreaktionen 15.2.2. Schreckreaktionen 15.2.3. Abwehrreaktionen 15.2.4. Operationale Messung Konzentrierte Aufmerksamkeit beschleunigt die Atmung. Insbesondere wird die Inspirationszeit (Ti) verkürzt und der Inspiratorische Fluss nimmt zu. Emotionale Reize können kurzfristig die Atmung verändern. Gefühle sind eng mit der Atmung verknüpft. Schnell und flach geatmet wird vor allem in Situationen, die Aufmerksamkeit, Anspannung und Kontrolle erfordern. Langsame Atmung zeigt Entspannung an (Wientjes, 1993; Douglas et al., 1982; Grossman, 1983). Ruhige Freude, aber auch passiver Gram sind mit oberflächlicher flacher Atmung assoziiert (Averill, 1969). Abbildung von Emotionen auf Bilder ist ein mögliches Verfahren, um zu messbaren Ergebnissen zu kommen (Guttormsen-Schär). 15.2.5. Valenz – Dominanz – Arousal Modell Das Modell wurde von Mehrabian und Russel 1974 entwickelt und von Schierz erfolgreich für die Bewertung akustischer Situationen von Beleuchtungen angewendet. Beim Betrachten von Bildern (Danuser, 2001): Valenz (angenehm-unangenehm): keine Reaktion von HR, HRV, Sc, SVC; Tinspirativ steigt, Inspirationsfluss Vinspirativ/ tinspirativ sinkt Arousal (beruhigend-erregend): keine Reaktion von Herzrate HR, quadratisch mit Herzratenvariabilität HVR, linear mit Hautleitfähigkeit SC und SCV; Inspirationszeit tinspirativ sinkt, Inspirationsfluss Vinspirativ/ tinspirativ steigt Dominanz (: keine Reaktion von HR, HRV, SC, SCV, Inspirationsfluss Vinspirativ/ tinspirativ sinkt Stress - Emotion In der reaktivität spielt der Verhaltenstyp eine wichtige Rolle (introvertiert, neutral, extravertiert). Das Atemverhalten wird durch die Persönlichkeitsvariable Extraversion beeinflusst. Zwischen Valenz und Dominanz besteht kein wesentlicher Unterschied, so dass nicht ganz iha Ergonomie / Arbeit + Gesundheit 15-7 Arbeitsphysiologie Stress - Emotion sicher ist, ob überhaupt eine dritte Dimension vorhanden ist. 15-8 iha Ergonomie / Arbeit + Gesundheit Stress - Emotion H. Krueger iha Ergonomie / Arbeit + Gesundheit 15-9