PROPHYLAXEdialog

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Sonderausgabe Parodontologie
PROPHYLAXEdialog
Zeitschrift für Oralprävention in der Praxis
Diabetes mellitus und Parodontitis
Diabetes mellitus und Zahnimplantate
Diabetes und Mundschleimhautveränderungen
Diagnose von Mundgeruch
Impressum/Editorial/Inhalt
Herausgeber (V.i.S.d.P.):
GABA International AG
PR & Communication: André Büssers
Scientific Affairs: Dipl.-Biochem. Bärbel Kiene
Grabetsmattweg · 4106 Therwil · Schweiz
[email protected]
Gestaltung:
eye-con Medienagentur
Lechenicher Straße 29 · 50374 Erftstadt
Internet:
www.gaba.com
Die Meinung der Autoren muss nicht in jedem
Fall der Meinung des Herausgebers entsprechen.
Nachdruck und auszugsweise Veröffentlichung
ist bei Quellenangabe gestattet.
Literatur zu den Artikeln beim jeweiligen
Verfasser
Editorial
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
in dieser Ihnen vorliegenden Sonderausgabe des PROPHYLAXEdialogs legen
Ihnen ausgewiesene Kenner der Materie
den aktuellen Stand des Wissens zur Problematik der wechselseitigen Beziehungen zwischen Parodontitis und Diabetes
vor.
Optimale Behandlung des Diabetes und die Elimination
oder Reduktion von Risikofaktoren sind die Schlüsselelemente, die auch zur Verbesserung des Parodontalzustandes beitragen können. Umgekehrt ist die Kontrolle der oralen Entzündung durch eine adäquate Parodontaltherapie unerlässlich, um die diabetische Stoffwechsellage zu verbessern.
Gelingt es, das parodontale Entzündungsgeschehen zu minimieren, wird auch das Risiko für die gefürchteten Spätfolgen
von Diabetes vermindert.
Das vorliegende Heft des PROPHYLAXEdialogs wird hoffentlich zu weiteren Diskussionen Anlass geben, aber auch
Anregung für das weitere professionelle Handeln sein.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Thomas Kocher
Inhalt
Titelbild: Homunculus
Xidecaflur & Zinnfluorid
Quelle: Kage-Mikrofotografie
02
Parodontologie
Diabetes mellitus und Parodontitis
Prof. Dr. Jörg Meyle, ZÄ Sarah Sonnenschein, PD Dr. Nils
Ewald, ZA Teymour Alimardanov, PD Dr. Jose Gonzales,
ZA Gayath Mahfoud, Dr. Jens-Martin Herrmann,
Dr. Sabine Gröger, Gießen, Deutschland
3
Risikofaktoren für die Entstehung und Progression
von Parodontitiden
Prof. Dr. James Deschner, Bonn, Deutschland
8
Parodontitis: „Die sechste Komplikation
des Diabetes mellitus“
Prof. Dr. Thomas Kocher, Greifswald, Deutschland
10
Diabetes mellitus und Zahnimplantate
Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, Bonn, Deutschland
11
Diabetes und Mundschleimhautveränderungen
Dr. Irène Hitz-Lindenmüller,
Prof. Dr. J. Thomas Lambrecht, Basel, Schweiz
13
Diagnose von Mundgeruch
Frederique Vancauwenberghe, Prof. Dr. Marc Quirynen,
Löwen, Belgien
15
European Federation of Periodontology (EFP)
17
Deutsche Gesellschaft für Parodontologie e.V. (DGP)
18
Das Unsichtbare sichtbar machen
19
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Parodontologie
Diabetes mellitus und
Parodontitis
Prof. Dr. Jörg Meyle, ZÄ Sarah Sonnenschein,
PD Dr. Nils Ewald, ZA Teymour Alimardanov,
PD Dr. Jose Gonzales, ZA Gayath Mahfoud,
Dr. Jens-Martin Herrmann, Dr. Sabine Gröger,
Gießen, Deutschland
Einleitung
Diabetes mellitus (DM) stellt mit einer Prävalenz von
12 % in Deutschland eine der größten ökonomischen
Herausforderungen dar. Je nach Ursache der gestörten
Insulinsekretion oder -wirkung unterscheidet man
4 ätiopathogenetisch verschiedene Typen: Typ-1-Diabetes mellitus, Typ-2-Diabetes mellitus, andere spezifische Diabetes-Typen und Gestationsdiabetes.
Der Typ-1-Diabetes mellitus zeichnet sich durch
eine fortschreitende Destruktion der insulinproduzierenden Betazellen des Pankreas aus, die immunologisch vermittelt oder sehr selten idiopathisch verursacht
sein kann. Dem Typ-2-Diabetes mellitus, der weitaus
häufigsten Form, liegt ursächlich eine vererbte oder
erworbene Insulinresistenz in Kombination mit einer
Störung der Insulinsekretion zugrunde.
Sowohl DM als auch Parodontitis sind chronische
multifaktorielle Erkrankungen, die in einer stetig alternden Gesellschaft eine zunehmende Rolle spielen und
das Wohlbefinden zahlreicher Patienten beeinträchtigen. Zahlreiche Fallberichte, Querschnittsstudien,
Longitudinalstudien und Reviews berichten über die
negativen Auswirkungen von DM auf Entstehung, Progression und Schweregrad der Parodontitis (Mealey &
Rose 2008; Taylor & Borgnakke 2008). Die Progression
beider Erkrankungen bleibt oft über einen längeren
Zeitraum unerkannt und kann die Lebensqualität beachtlich einschränken.
Pathogenese und Beziehungen
zwischen beiden Erkrankungen
Der Typ-1-DM wird meist durch eine autoimmunbedingte Zerstörung der Betazellen in den Langerhansschen Inseln des Pankreas verursacht. Typ-2Diabetes mellitus ist die bei weitem häufigste Form des
Diabetes. In Deutschland sind wahrscheinlich mehr als
90 % der Menschen mit Diabetes mellitus als Typ-2Diabetiker zu klassifizieren. Ursächlich ist eine mehr
oder weniger ausgeprägte vererbte oder erworbene
Verringerung der Insulinwirkung (sog. Insulinresistenz)
in Kombination mit einer Störung der Insulinsekretion.
Diese ist häufig bei Diagnosestellung subnormal bis
hoch, qualitativ jedoch immer gestört. Typ-2-Diabetes
mellitus tritt meist im mittleren bis höheren Erwachsenenalter auf. Der Krankheitsbeginn ist meist schleichend, die Diagnose meist ein „Zufallsbefund“.
PROPHYLAXEdialog
Gingivitis und Parodontitis, die durch einen bakteriellen Biofilm auf den Zahn- bzw. Wurzeloberflächen im
Bereich des Zahnfleischrandes bzw. der parodontalen
Tasche ausgelöst werden, sind in der erwachsenen
Bevölkerung ebenfalls sehr verbreitet. So leiden ca.
10 –15 % der 35- bis 44-jährigen Erwachsenen an einer
schweren generalisierten Zahnbettentzündung, die mit
irreversiblen parodontalen Gewebedestruktionen einhergeht und unbehandelt zum Zahnverlust führen kann.
In der wissenschaftlichen Literatur wird seit den
1960er-Jahren ein Zusammenhang zwischen Parodontitis und DM diskutiert. Aus parodontologischer Sicht ist
Diabetes ein international anerkannter Risikofaktor für
Parodontitis.
In der systematischen Übersichtsarbeit von Chavarry
et al. (2009) wurde in 27 Studien eine eindeutig größere Schwere und Ausdehnung der Parodontitis bei
Diabetikern belegt. Die Meta-Analyse bestätigte auch
einen eindeutig höheren Verlust von parodontalem
Attachment bei Diabetikern mit Parodontitis. Dabei
handelte es sich vor allem um Diabetes Typ 2.
Anfänglich wurde eine spezielle orale bakterielle
Flora bei Patienten mit Diabetes vermutet. In nachfolgenden Untersuchungen bestätigte sich dies nicht.
Von Lalla et al. (2006) wurde in einer Kohortenstudie an
Patienten mit vergleichbarer Schwere der Parodontitis
mit/ohne Diabetes Typ 1 nachgewiesen, dass sowohl
das bakterielle Profil als auch die Serum-AntikörperTiter ähnlich waren. Daraus ergibt sich, dass die Wirtsantwort für die unterschiedliche Schwere der parodontalen Entzündung bei Diabetikern im Vergleich zu
Nicht-Diabetikern verantwortlich ist. Außer veränderten
Granulozytenfunktionen ergaben sich Hinweise auf eine
hyperinflammatorische Reaktion, die durch erhöhte
lokale pro-inflammatorische Zytokinspiegel im parodontalen Sulkus charakterisiert war. Dafür werden u.a.
advanced glycation end products (AGEs) verantwortlich
gemacht, die über einen speziellen Rezeptor (RAGE) an
Makrophagen binden können, und diese Zellen geben
bei Kontakt mit bakteriellen Antigenen vermehrt proinflammatorische Zytokine ab.
Diese Vermutung bestätigte sich in einer experimentellen Gingivitisstudie: Individuen mit Diabetes
mellitus entwickelten eine beschleunigte und verstärkte
gingivale Entzündung im Vergleich zu Personen ohne
Diabetes bei vergleichbarer bakterieller Reizstärke
(Salvi et al. 2005). Diese verstärkte Reaktion führt zur
vermehrten Exsudation aus den Zahnfleischtaschen,
und dieser vermehrte Flüssigkeitsaustritt versorgt die
im Bereich der Tasche bzw. des Sulkus liegenden Keime
im Biofilm mit Substrat, sodass das Plaquewachstum
beschleunigt wird. Im Jahr 2006 stellte U. van der
Velden fest: „Menschen mit viel Entzündung bilden viel
Plaque“.
Parodontologie
30
Sonderausgabe Parodontologie
Zahnverlust/Beeinträchtigung
der Kaufunktion
Parodontitis
Bakterieller Biofilm
(Zahnplaque)
Ungesunde Ernährung
Lokale Entzündungsreaktion
Vermehrte Freisetzung proinflammatorischer
Zytokine (IL-1, IL-6, TNFα, PgE2)
Übergewicht
Ausschwemmung in die Blutbahn
Diabetes mellitus
Zunahme der Insulinresistenz
Hyperglykämie
AGEs
Abb. 1: Zusammenhang zwischen Parodontitis und
Diabetes mellitus
Harald Löe bezeichnete 1993 die Parodontitis als
die 6. Komplikation des Diabetes. In einer 2 Jahre umfassenden longitudinalen Studie von Taylor et al. (1996)
beeinträchtigte die parodontale Entzündung die glykämische Kontrolle sowohl bei Typ-1- als auch bei Typ2-Diabetes. Patienten mit Parodontitis hatten ein erhöhtes Risiko für Ketoazidose, Retinopathien und
Neuropathien im Vergleich zu Diabetikern ohne Parodontitis.
Interleukin-1, Interleukin-6 (IL-6) und TumorNekrose-Faktor-alpha (TNF-alpha) sind proinflammatorische Zytokine, durch die die Insulinresistenz ansteigt.
Mäuse mit fehlender TNF-alpha-Funktion reagieren
nicht mit einer durch Fettleibigkeit induzierten Insulinresistenz. Die Verabreichung von IL-6 an gesunde Freiwillige erhöhte dosisabhängig den Nüchtern-GlukoseSpiegel. Diese Ergebnisse unterstützen die Annahme,
dass durch die bei Parodontitis systemisch abgegebenen proinflammatorischen Zytokine die Insulinresistenz
ansteigt. Weiterhin werden dieselben Zytokine (IL-6
und TNF-alpha) vom Fettgewebe produziert, d.h. ca.
ein Drittel des zirkulierenden IL-6 stammt aus dem Fettgewebe (Mohamed-Ali et al. 1997).
Diese Evidenzen machen deutlich, dass sich
Übergewichtigkeit, Parodontitis und Diabetes mellitus
gegenseitig beeinflussen (Abb. 1). Sowohl Parodontitis
als auch Typ-2-Diabetes sind mit Übergewicht bzw.
Adipositas assoziiert.
04
Parodontologie
Diagnostik bei Patienten mit
Parodontitis
Obwohl ein Screening der Gesamtbevölkerung
nicht empfehlenswert ist, erscheint die Identifizierung
gefährdeter Personen mit einfachen Mitteln bei routinemäßigen Arztkontakten als sinnvolle Strategie
(Engelgau & Narayan 2001). Eine Verbesserung der
Detektionsraten von Glukosestoffwechselstörungen
kann über eine Erhöhung der Anzahl von Kontakten
noch nicht diagnostizierter Individuen mit Beteiligten
des Gesundheitssystems erreicht werden. Hierbei sollten Angehörige des zahnärztlichen Fachpersonals sinnvollerweise miteinbezogen werden.
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass das individuelle Diabetesrisiko möglichst exakt ermittelt werden kann, diese Testung aber auch leicht durchführbar
und praktikabel ist (Muller 2005; Schwarz 2005). Mit
Risikofragebögen ist ein einfaches und kostengünstiges
Screening möglich. Dies zeigen verschiedene Fragebögen aus der Vergangenheit, die neben anamnestischen und anthropometrischen Angaben auch Laborwerte erfassen (Anderson et al. 1991; Assmann et al.
2002; Glumer et al. 2004; Lindstrom & Tuomilehto
2003; Saaristo et al. 2005; Silventoinen et al. 2005).
Der Findrisk-Fragebogen ist das zurzeit am häufigsten
eingesetzte Screening-Instrument. Dieser Risikotest für
Typ-2-Diabetes mellitus wurde 2006 von Schwarz erstellt und wissenschaftlich evaluiert (Bergmann et al.
2007). Er ist auf der Webseite der Deutschen DiabetesStiftung unter http://diabetes-risiko.de/fileadmin/
dds_user/dokumente/GesundheitsCheck_201010.pdf
abrufbar.
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Parodontologie
Modell für das konkrete Vorgehen
in der zahnärztlichen Praxis
Ein Screening auf Diabetes mellitus in der zahnärztlichen Praxis könnte beispielhaft folgendermaßen aussehen:
1. Der Findrisk-Bogen wird jedem neuen erwachsenen
Patienten ausgehändigt. Dieser wird gebeten, ihn
gewissenhaft auszufüllen. Entsprechend geschultes
Personal wertet den Bogen aus.
2. Bei Vorliegen eines Findrisk-Wertes von über 11
wird der Blutglukosewert im Kapillarblut mittels eines
Gerätes zur Selbstkontrolle gemessen. Alternativ kann
der Test grundsätzlich bei jedem Patienten durchgeführt werden, dessen Einverständnis vorausgesetzt.
3. Dazu muss das Gerät gemäß Herstellerangaben
gestartet, ein Teststreifen eingesetzt und mit einem
Tropfen Kapillarblut beladen werden. Hierzu sollte man
die Blutentnahme mittels Lanzette an einer zuvor mit
Alkohol desinfizierten Fingerbeere oder einem Ohrläppchen vornehmen. Man sollte das Kapillarblut möglichst an der Seite entnehmen, nicht an der Fingerspitze, da die Schmerzempfindung an der Fingerspitze
am höchsten ist. Daumen oder Zeigefinger sollten nicht
gewählt werden, da es sich dabei um die beiden am
meisten belasteten Finger der Hand handelt. Die
Haupthand des Patienten sollte möglichst vermieden
werden. Bei Vorliegen einer Nüchtern-Blutglukose von
über 99 mg/dl, entsprechend 5,5 mmol/l, bzw. einer
postprandialen Blutglukose von über 160 mg/dl, entsprechend 8,9 mmol/l, und über 140 mg/dl nach
2 Stunden, entsprechend 7,8 mmol, sollte der HbA1c
bestimmt werden.
4. In diesen Fällen ist eine Kontaktaufnahme mit dem
Hausarzt des Patienten oder mit seinem Internisten
sinnvoll, damit dort eine weitergehende Diagnostik
erfolgen kann.
Parodontologische Diagnostik
Eine sorgfältige klinische Diagnostik mit Erfassung
der Sondierungstiefen, Sondierungsblutung (jeweils an
6 Stellen/Zahn) und Furkationsbefall sind eine conditio
sine qua non, wenn es darum geht, einen detaillierten
Behandlungsplan auszuarbeiten und eine entsprechende Therapieplanung vorzunehmen. Um langfristig Aussagen über die Progression der Parodontitis machen zu
können, empfiehlt es sich, bei diesem Patientenkreis
zusätzlich die Lage des Gingivalrandes in Relation zur
klinischen Krone zu erfassen, um daraus das klinische
Attachmentlevel errechnen zu können. Spätestens bei
der Abschlussuntersuchung mit Beginn der unterstützenden PAR-Therapie sollte dieser Parameter mit erfasst werden.
Zusammen mit einer entsprechenden Röntgendiagnostik, Lockerungsgraden und den allgemein
zahnärztlichen Befunden kann dann eine Einzelzahnprognose erhoben werden.
PROPHYLAXEdialog
Hoffnungslose Zähne sollten frühzeitig extrahiert
werden, um nicht beherrschbare Entzündungsherde zu
eliminieren.
Für den langfristigen Therapieerfolg ist eine überdurchschnittliche Mitarbeit des Patienten von großer
Bedeutung, um Frührezidive zu vermeiden.
Grundsätzlich gliedert sich das diagnostische und
therapeutische Vorgehen in die in Abb. 2 gelisteten
Abschnitte.
Eingangsdiagnostik (PSI)
Spezielle Diagnostik
PAR-Status
Antiinfektiöse Therapie
Reevaluation
Korrektive Therapie
Abschlussdiagnostik
Unterstützende PAR-Therapie
Abb. 2: Diagnostische und therapeutische Maßnahmen bei
Patienten mit Diabetes mellitus und Parodontitis
PAR-Therapie bei Diabetikern mit
Parodontitis
Bei Patienten mit einem gut eingestellten Diabetes
unterscheidet sich der zu erwartende Behandlungserfolg und damit die Behandlungsziele nicht von dem
eines systemisch gesunden Patienten (Christgau et al.
1998; Tervonen et al. 1991; Westfelt et al. 1996).
Wesentlich ist die Frage, ob der Diabetes metabolisch gut kontrolliert ist. Daher sollte während der
Behandlung jeweils der aktuelle HbA1c-Wert abgefragt
werden. Wie bereits erwähnt, ist aufgrund der verstärkten lokalen Entzündungsreaktion mit einem beschleunigten Plaquewachstum zu rechnen. Daher ist es nicht
sinnvoll, bei Diabetikern mit schwerer Parodontitis
zunächst in mehreren Sitzungen Mundhygiene-Unterweisungen zu geben und sich auf die Plaquekontrolle
zu fokussieren. Therapeutisch ist es stattdessen von
größter Bedeutung, dass zusammen mit dem supragingivalen gleichzeitig der subgingivale Biofilm möglichst vollständig entfernt wird, damit die Exsudation
stagniert und die Substratzufuhr für die Keime des
Biofilms verringert wird.
Parodontologie
50
Sonderausgabe Parodontologie
Nach supra- und subgingivaler Reinigung im
Rahmen der anti-infektiösen Therapie sollte eine engmaschige Kontrolle mit wiederholten professionellen
Zahnreinigungen erfolgen, um die Neubildung des
Biofilms zu kontrollieren und die parodontalen
Heilungsprozesse nicht zu gefährden. Diese primäre
Reinfektionsprävention kann durch zusätzliche lokale
antiseptische Maßnahmen unterstützt werden (Abb. 3).
Es schließt sich eine sekundäre Reinfektionsprävention
an, die nach 6 Monaten durch den Reevaluationsbefund
abgeschlossen wird. Dieser bildet die Grundlage für
die zu planenden korrektiven Maßnahmen, die, sofern
dafür noch eine Indikation besteht, dann durchgeführt
werden.
Am Ende dieser Phase wird ein Abschlussbefund
erhoben, der das erreichte Behandlungsergebnis dokumentiert und die Basis für die Planung der unterstützenden Therapie bildet.
Ziele der UPT bei Diabetikern
Die Hauptziele der UPT sind 1. ein Neuauftreten
parodontaler Erkrankungen und 2. ein Wiederauftreten
bereits therapierter Parodontitis zu verhindern
(Hancock & Newell 2001). Die American Academy of
Periodontology (AAP) formuliert die Ziele der UPT wie
folgt (Cohen 2003):
1. Vermeidung oder Minimierung der Rezidive von
Parodontalerkrankungen bei Patienten, die bereits
wegen Gingivitis, Parodontitis oder Periimplantitis
behandelt wurden,
2. Vermeidung von Zahnverlust oder zumindest Reduktion des Zahnverlusts durch Überwachung des
Gebisses und eventueller prothetischer Restaurationen,
3. Rechtzeitiges Eingreifen bei eventuell auftretenden
anderen Erkrankungen der Mundhöhle.
1. Termin
Diagnostik (PSI, PAR-Status)
2. + 3. Termin
Antiinfektiöse Therapie (PZR, SRP)
AB + Antiseptika
Antiinfektiöse Therapie (PZR, SRP)
4. – 9. Termin
Primäre Reinfektionsprävention (CHX) +
Hygienebetreuung (PLI, Remot, PZR)
alle 2 Wochen in den ersten 3 Monaten
10. + 11. Termin
Unterstützende Therapie (UPT) bei
Diabetikern mit Parodontitis
Taylor formulierte 1999 den Einfluss von Parodontitistherapie auf die glykämische Kontrolle und die
damit verbundenen Folgen:
1. Verbesserung der glykämischen Kontrolle,
2. Verhinderung, Verzögerung oder Reduktion der
Schwere von Diabetesfolgeerkrankungen (Komplikationen),
3. möglicherweise Verhinderung der Entstehung von
Diabetes selbst.
Sowohl die aktive als auch die unterstützende Parodontitistherapie ist ein wichtiger Bestandteil der
Diabetestherapie, um die Insulinsensitivität und die
damit verbundene glykämische Kontrolle zu verbessern
(Santus Tunes et al.).
Parodontologie
Um eine Hypoglykämie während der Behandlung zu vermeiden, bietet sich die Behandlung
am frühen Vormittag nach der
gewohnten Diät und Medikamenteneinnahme an. Es sollte
darauf geachtet werden, dass
vor der Behandlung lange Wartezeiten vermieden werden (Rees
2000).
Bei nicht oder schlecht eingestellten Diabetikern können Speichel und Sulkusflüssigkeit erhöhte Mengen von Glukose enthalten (Ficara et al. 1975; Rees 2000). Dies kann zu einer
Veränderung der Plaque-Mikroflora und damit zu
einem Einfluss auf die Entwicklung und Progression
von Karies und Parodontitis führen (Rees 2000).
Sek. Reinfektionsprävention (AF) (3 – 6 M.)
Abb. 3: Details der anti-infektiösen Therapie mit FMD(C) und
Reinfektionsprävention
06
Spezielle
Maßnahmen der UPT
Die UPT ist für parodontal erkrankte Diabetiker
genauso essenziell wie für Nicht-Diabetiker (Deschner
& Jepsen 2008). Bei der Behandlung parodontal
erkrankter Diabetiker sollten der Diabetestyp, seine
Dauer und die aktuelle glykämische Einstellung
(HbA1c-Wert) bekannt sein. Zudem sollten Folgeerkrankungen, weitere Komplikationen und die aktuelle
Medikation erfasst werden. Die Kontaktdaten des
behandelnden Hausarztes oder Internisten sollten
dokumentiert werden (Deschner & Jepsen 2008).
Eine gute Patientencompliance ist für die erfolgreiche Behandlung beider Erkrankungen (Parodontitis
und Diabetes) wichtig, und die Patienten sollten regelmäßig zu einer sehr guten Mundhygiene motiviert
werden. Dies schließt sowohl die regelmäßige Verwendung von Zahnbürste, Zahnseide und Interdentalbürsten zur Entfernung des Biofilms (Deschner et al.)
als auch eine regelmäßige Betreuung mit ein. Des
Weiteren müssen Patienten mit DM sorgfältig auf
Karies überwacht werden, und es empfiehlt sich eine
regelmäßige Fluoridprophylaxe (Rees 2000).
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Parodontologie
Die metabolische Einstellung sollte streng überwacht und der Patient darauf hingewiesen werden,
Gewohnheiten wie Rauchen oder Alkoholkonsum (u.a.
Mundspülungen mit hohem Alkoholgehalt) zu vermeiden (Rees 2000).
Durch die Verwendung von Mundhygiene-Produkten, welche eine Hemmung des Plaquewachstums und
einen entzündungshemmenden Effekt aufweisen, kann
die mechanische Plaquekontrolle bei chronischer Parodontitis unterstützt werden (Deschner et al. 2011).
Diabetiker leiden gehäuft an Xerostomie. Diese
kann aus den medikamentösen Nebenwirkungen der
oralen Antidiabetika oder anderer Medikamente sowie
aus dem Diabetes selbst resultieren. Des Weiteren können durch die Xerostomie opportunistische Infektionen
wie Candidiasis begünstigt werden (Rees 2000).
Um den Speichelfluss und somit auch die orale
Selbstreinigung zu stimulieren, kann die Anwendung
zuckerfreier Kaugummis oder das Kauen natürlicher
Stimulanzien wie rohe Karotten und Sellerie empfohlen
werden (Rees 2000).
Professionelle Zahnreinigung
Da der bakterielle Biofilm auf der Zahnoberfläche
den Hauptrisikofaktor für eine Parodontitis darstellt und
der Patient durch häusliche Mundhygiene-Maßnahmen
nicht immer dazu in der Lage ist, diesen perfekt zu
entfernen, ist die professionelle Zahnreinigung (PZR)
der wichtigste Teil der UPT. Die Zahnreinigung sollte
schonend, aber effektiv mit Hand- und maschinellen
Instrumenten erfolgen und mit einer Politur abschließen
(Eickholz 2007).
Remotivation und MundhygieneReinstruktion
Für die Patienten ist es häufig schwierig, die während der Therapie trainierten Mundhygiene-Gewohnheiten und die damit verbundene Verbesserung der
Hygieneparameter über einen längeren Zeitraum beizubehalten. Daher sollte der Patient für positive
Leistungen gelobt werden und sollten noch vorhandene Problemstellen aufgezeigt werden. Neue und
erlernte Techniken sollten zur weiteren Verbesserung
der Mundhygiene trainiert werden (Kürschner & RatkaKrüger 2008).
PROPHYLAXEdialog
Subgingivale Instrumentierung
Bei unverändert pathologisch vertieften Sondie_ 5 mm) ist eine
rungswerten (ST = 4 mm mit BOP; ST <
nochmalige Lokaltherapie (Reinstrumentierung) notwendig. Die Behandlung der Resttaschen kann dabei
durch erneutes subgingivales Scaling erfolgen. Ergeben
sich aus dem im Rahmen der UPT erhobenen Parodontalstatus mehr als 5 bis 6 pathologisch vertiefte
Taschen, ist es sinnvoll, ein Rezidiv zu diagnostizieren
(lokal oder generalisiert) und den Patienten erneut einer
systematischen antiinfektiösen Parodontitistherapie zu
unterziehen (Eickholz 2007).
Eine weitere Alternative oder Ergänzung zur instrumentellen Behandlung stellt die Behandlung mit topischer Applikation lokaler Antibiotika oder Antiseptika
(z.B. Chlorhexidin-Diglukonat 0,1– 0,2 %) dar. Diese
Maßnahmen sind insbesondere dann sinnvoll, wenn
nach antiinfektiöser Therapie noch einzelne Stellen mit
_ 5 mm und BOP)
pathologisch vertieften Taschen (ST <
vorhanden sind (Eickholz 2007).
Die Fluoridierung dient bei Parodontitispatienten
besonders der Reduktion des erhöhten Risikos, an einer
Wurzelkaries zu erkranken (Kürschner & Ratka-Krüger
2008).
Zusammenfassung
Durch konsequente Lokaltherapie in Verbindung mit
einer kollegialen Kooperation mit den mitbehandelnden Internisten kann der Gesundheitszustand der
meisten Patienten signifikant verbessert werden. In einzelnen Fällen bessert sich nach Beseitigung der parodontalen Entzündung die metabolische Kontrolle des
Diabetes (Typ 2) so sehr, dass der Patient an Tagen mit
ausgeprägter körperlicher Aktivität auf die Insulinsubstitution völlig verzichten kann (eigene Beobachtungen
des Autors). Dies bedeutet für die Patienten eine erhebliche Verbesserung der Lebensqualität, die nicht unterschätzt werden sollte.
Prof. Dr. Jörg Meyle
Universität Gießen
Zentrum ZMK . Poliklinik für Parodontologie
Schlangenzahl 14 . 35392 Gießen · Deutschland
Parodontologie
70
Sonderausgabe Parodontologie
Risikofaktoren für die Entstehung und Progression
von Parodontitiden
Prof. Dr. James Deschner, Universitätsklinikum Bonn, Deutschland
Einleitung
Parodontitis ist eine entzündliche Erkrankung, die
mit dem Verlust von parodontalem Knochen, Kollagen
und Attachment einhergeht. Pathogene Mikroorganismen stellen eine notwendige, aber keine hinreichende
Bedingung für die Entstehung und Progression von
Parodontitiden dar. Normalerweise werden die Mikroorganismen durch verschiedene Abwehrmechanismen
des Wirts kontrolliert (siehe Abb.). Mikroorganismen
können jedoch zur Destruktion des Parodonts führen,
indem sie die Wirtsabwehr teilweise umgehen, unterdrücken, fehlleiten oder eine überschießende Wirtsreaktion induzieren.
Rauchen und schlecht
eingestellter Diabetes
Antikörper
PMNs
Mikrobielle
Beläge
Antigene
Lipopolysaccharide
andere
Virulenzfaktoren
Immunentzündliche
Wirtsantwort
Entzündungsmoleküle
Proteasen
Weichund Hartgewebemetabolismus
Genetische
Risikofaktoren
Risikofaktoren und Pathogenese der Parodontitis
(modifiziert nach Page & Kornman 1997)
Zusätzlich zu den parodontalpathogenen Mikroorganismen sind verschiedene exogene und endogene
Risikofaktoren für die Entstehung und das Fortschreiten
von Parodontitiden erforderlich. Solche Risikofaktoren
können die immunentzündliche Wirtsantwort und/oder
den Metabolismus der parodontalen Weich- und Hartgewebe beeinflussen und dadurch zur parodontalen
Destruktion beitragen (Kornman et al. 1997; Page &
Kornman 1997; Pihlstrom et al. 2005).
Parodontale Risikofaktoren
Ob ein bestimmter Faktor das Risiko für Parodontitiden erhöht, ist häufig schwierig zu beurteilen. In der
Regel sind hierfür longitudinale Studien erforderlich,
die zeigen, dass das Vorliegen eines bestimmten
Faktors zu einem späteren Zeitpunkt zur Parodontitis
08
Parodontologie
führt. Zusätzliche Evidenz bringen Interventionsstudien,
wenn sie zeigen, dass durch die Reduktion oder
Eliminierung eines solchen Faktors die Entstehung bzw.
Progression der Parodontitis vermindert bzw. vermieden werden kann (Albandar 2002; Cronin et al. 2008;
Timmerman & van der Weijden 2006; van Dyke &
Sheilesh 2005). Bei vielen der bisher diskutierten
Risikofaktoren für Parodontitis handelt es sich nicht um
echte Risikofaktoren, sondern lediglich um Risikoindikatoren oder -marker. Hierbei ist zwar eine enge
Assoziation dieser Faktoren mit der Parodontitis gegeben, es besteht jedoch keine bzw. keine ausreichend
nachgewiesene Kausalität.
Die Terminologie (Risikofaktor, -indikator, -marker) und die
Einschätzung, ob eine direkte
Kausalität hinreichend nachgewiesen wurde, ist in der Literatur nicht einheitlich. Im Folgenden wird zwar die Bezeichnung „Risikofaktor“ benutzt, es
sei aber darauf hingewiesen,
dass gegenwärtig zumeist nur
Plaque/schlechte Mundhygiene,
Rauchen, unkontrollierter Diabetes mellitus und genetische
Disposition als echte Risikofaktoren für Parodontitis angesehen
werden.
W Mikrobielle Beläge
Parodontalpathogene Mikroorganismen stellen eine notwendige Bedingung für die Entstehung und Progression
von Parodontitiden dar. Die Mikroorganismen sind in
einem Biofilm organisiert. Zahnstein, überstehende
Füllungs- und Kronenränder, Karies, Zahnfrakturen, bestimmte Zahnstellungen, -morphologien und -furchen
fördern die Entstehung und Akkumulation mikrobieller
Beläge. Die Beseitigung solcher Beläge reduziert die
Inzidenz, den Schweregrad und das Fortschreiten von
Parodontitiden, sodass mikrobielle Beläge als echter
Risikofaktor für Parodontitiden angesehen werden können (Axelsson & Lindhe 1981; Axelsson et al, 2004;
Lindhe & Nyman 1975; Rosling et al. 1976). Unklar ist
jedoch, ob bestimmte Bakterienspezies (z.B. P. gingivalis, T. forsythia, T. denticola, A. actinomycetemcomitans) als echte Risikofaktoren oder lediglich als
Risikoindikatoren betrachtet werden sollten (Grossi et
al. 1994; 1995; Papapanou et al. 1997; 2002; Tezal et al.
2006), da die erhöhte Anzahl solcher Spezies in parodontalen Taschen nicht notwendigerweise deren
Ursache, sondern deren Folge sein könnte.
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Parodontologie
W Rauchen
W Psychoemotionaler Stress
Das Rauchen von Zigaretten, Zigarren und Pfeife
zählt zu den am besten untersuchten und bestätigten
Risikofaktoren für Parodontitis (Bergström 2004; Tonetti
1998). Raucher leiden häufiger als Nichtraucher an
Parodontitis. Die Parodontitis bei Rauchern ist zudem
stärker ausgeprägt und schreitet auch schneller vorwärts. Es besteht eine Dosisabhängigkeit, d.h., der
negative Einfluss des Rauchens auf das Parodont steigt
mit der Anzahl der gerauchten Zigaretten pro Tag an.
Obwohl im Vergleich mit Nichtrauchern immer noch
erhöht, besitzen ehemalige Raucher ein geringeres
Parodontitisrisiko als aktive Raucher (Calsina et al. 2002;
Grossi et al. 1994; 1995; Martinez-Canut et al. 1995;
Meisel et al. 2004; Tomar & Asma 2000).
Ob Stress das Risiko für Parodontitis beeinflusst,
wird kontrovers diskutiert (Hugoson et al. 2002; Peruzzo
et al. 2007). Veränderte Glukokortikoid- und Katecholaminspiegel können immunentzündliche Prozesse beeinflussen, was zu einem erhöhten Parodontitisrisiko
beitragen könnte (Boyapati & Wang 2007; Breivik et al.
1996; Hilgert et al. 2006). Bei Stress kommt es oftmals
auch zu Veränderungen der Mundhygiene, des Tabakund Alkoholkonsums sowie der Nahrungsauswahl, sodass möglicherweise auch indirekte Effekte auf das
Parodont ausgeübt werden. Interessanterweise scheint
weniger das Autreten von psychoemotionalem Stress
als vielmehr die insuffiziente Stressbewältigung das
Risiko für Parodontitis zu erhöhen (Genco et al. 1998;
1999).
W Genetische Disposition
Genetische Risikofaktoren können sowohl die immunentzündliche Wirtsantwort als auch den Weich- und
Hartgewebe-Metabolismus betreffen. Es wird angenommen, dass der Anteil genetischer Faktoren an der
Entstehung von Parodontitiden durchschnittlich 50 %
betragen kann (Michalowicz et al. 2000). Für das
Vorliegen genetischer Risikofaktoren sprechen die familiäre Häufung von Parodontitiden, Zwillingsstudien,
aber auch das vermehrte Vorkommen von Parodontitis
bei bestimmten Erkrankungen mit genetischen bzw.
chromosomalen Defekten (Hart & Atkinson 2007;
Michalowicz et al. 2000; van der Velden et al. 1993).
Weiterhin wurden Polymorphismen in zahlreichen
Genen, die für Entzündungsmediatoren, Matrixmoleküle oder Rezeptoren kodieren, mit einem erhöhten
Risiko für Parodontitis in Verbindung gebracht (Kinane
& Hart 2003; Kocher et al. 2002; Loos et al. 2005;
Meisel et al. 2002; 2003; 2004). In welchen Bevölkerungsgruppen, in welcher Abhängigkeit von anderen
Risikofaktoren und bei welchen Parodontitisformen
solche Polymorphismen aber tatsächlich eine klinisch
relevante Rolle spielen, muss durch weitere Studien
geklärt werden.
W Diabetes mellitus und andere Erkrankungen
des Gesamtorganismus
Über die letzten Jahre konnten zahlreiche Assoziationen zwischen Parodontitis und Erkrankungen des
Gesamtorganismus nachgewiesen werden, wobei nicht
alle dieser Assoziationen kausaler Natur sein müssen.
Als gesichert gilt jedoch, dass ein unkontrollierter
Diabetes mellitus das Risiko für Parodontitis erhöht.
Diabetiker mit schlechter glykämischer Einstellung
haben häufiger Parodontitis; die Parodontitis ist im
Durchschnitt stärker ausgeprägt und schreitet auch
schneller vorwärts. Ein unkontrollierter Diabetes mellitus muss daher als ein echter Risikofaktor für Parodontitis angesehen werden (Chávarry et al. 2009; Kaur
et al. 2009; Khader et al. 2006; Struch et al. 2008; Taylor
et al. 1998; Tsai et al. 2002). Ob andere systemische
Erkrankungen und Zustände, wie z.B. Osteoporose,
Arthritis und Adipositas, echte Risikofaktoren für
Parodontitis darstellen, kann derzeitig nicht abschließend beurteilt werden.
PROPHYLAXEdialog
W Okklusale Störungen
Ebenfalls wird kontrovers diskutiert, ob Überbelastung der Zähne das Risiko für Parodontitis steigert. Eine
Studie konnte zeigen, dass Parodontitispatienten mit
okklusalen Störungen höhere Sondierungstiefen aufweisen als Parodontitispatienten ohne solche Störungen (Harrel et al. 2006; Harrel & Nunn 2001; Nunn &
Harrel 2001).
W Alter
Unklar ist auch, ob Alter das Risiko für Parodontitis
erhöht, oder ob es sich lediglich um die Akkumulation
der parodontalen Destruktion über die Zeit handelt, so
dass im höheren Alter mehr und stärkerer Knochenund Attachmentverlust vorliegt (Albandar 2002; Cronin
et al. 2008; Grossi et al. 1994; 1995; Holtfreter et al.
2009). Dass jedoch in hohem Alter tatsächlich eine verminderte Fähigkeit zur Gewebeheilung und immunentzündlichen Infektabwehr besteht, kann nicht geleugnet
werden. Da das Alter jedoch nicht beeinflusst werden
kann, ist die Frage, ob Alter tatsächlich ein echter
Risikofaktor ist, klinisch von untergeordneter Bedeutung.
W Geschlecht
Eine Vielzahl von Studien hat gezeigt, dass Männer
im Vergleich mit Frauen stärker zur parodontalen
Destruktion neigen (Albandar 2002; Grossi et al. 1995;
Horning et al. 1992). Ein Großteil des erhöhten Risikos
könnte jedoch durch schlechtere Mundhygiene oder
vermehrten Tabak- und Alkoholkonsum bei Männern
zustande kommen. Weiterhin könnten genetische Faktoren für das erhöhte Parodontitisrisiko verantwortlich
sein.
W Sozioökomischer Status
Bildung und Einkommen werden als Risikoindikatoren betrachtet. Sie beeinflussen das Verhalten und
das Bewusstsein für Gesundheit sowie den Zugang zu
Gesundheitsressourcen und sind daher mit Parodontitis
assoziiert (Gundala & Chava 2010; Susin & Albandar
2005).
Parodontologie
90
Sonderausgabe Parodontologie
W Ethnische Herkunft
Parodontitiden kommen z.B. häufiger bei Individuen
mit afrikanischer, lateinamerikanischer oder asiatischer
Herkunft vor (Albandar 2002; Grossi et al. 1995;
Horning et al. 1992). Dafür könnten genetische Faktoren, aber auch sozioökonomische Faktoren verantwortlich sein.
Zusammenfassung
Für eine verbesserte Prävention und Therapie von
Parodontitiden ist die Aufdeckung parodontaler Risikofaktoren von großer klinischer Bedeutung. Als echte
Risikofaktoren für Parodontitis können mikrobielle
Beläge/schlechte Mundhygiene, Rauchen, genetische
Faktoren und ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus angesehen werden. Weitere Risikofaktoren werden
diskutiert. Von klinischer Bedeutung ist vor allem, ob
solche parodontalen Risikofaktoren beeinflussbar sind,
wie z.B. die glykämische Einstellung eines Diabetes
mellitus.
Prof. Dr. med. dent. James Deschner
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität
Universitätsklinikum Bonn
Experimentelle Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
Welschnonnenstraße 17 . 53111 Bonn · Deutschland
Parodontitis: „Die sechste
Komplikation des
Diabetes mellitus“
Prof. Dr. Thomas Kocher, Universität Greifswald,
Deutschland
In der pan-europäischen PANORAMA-Studie hatte
sich gezeigt, dass Diabetes mellitus ein zunehmendes
Problem unserer Gesellschaft darstellt (Bradley et al.
2011). In der untersuchten Population waren 45 % der
Probanden übergewichtig, 80 % hatten erhöhte Blutdruckwerte, 56 % erhöhte Cholesterinwerte, und bei
38 % blieb der Wert des glykierten Hämoglobins als
Zeichen einer diabetogenen Stoffwechsellage über
dem angestrebten Wert von HbA1c von 7 %.
Die Behandlungsprävalenz des Diabetes mellitus ist
in Deutschland (wie auch in anderen Ländern) kontinuierlich angestiegen. Lag sie 1998 noch bei 5,9 %, so ist
sie bis zum Jahr 2007 auf 8,9 % angestiegen. Das
bedeutet, dass 2007 mehr als 7 Millionen Menschen in
Deutschland wegen eines Diabetes mellitus – vornehmlich des Typs 2 – behandelt wurden (Hauner 2011). Bei
einer geschätzten Dunkelziffer dürften heute mindestens 10 % aller Deutschen oder mehr als 8 Millionen an
einem Diabetes leiden. Besonders problematisch erscheint die zunehmende Häufigkeit von Diabetes auch
bei Kindern und Jugendlichen, vornehmlich als Folge
von Adipositas.
10
Parodontologie
Prävalenz und Inzidenz des Diabetes sind stark
altersabhängig: Im Alter zwischen 40 und 59 Jahren
gibt es 4 bis 10 % Diabetiker, bei einem Alter über
60 Jahren sind es 20 % und mehr (Rathmann et al.
2009). Mit der Altersabhängigkeit zeigen sich Parallelen
zur Epidemiologie der Parodontitis – wie es auch für
verschiedene andere Risikofaktoren gilt. Es wird
geschätzt, dass bis zu drei Viertel der Diabetiker orale
entzündliche Erkrankungen wie Gingivitis und Parodontitis aufweisen (Iacopino 2001). Wenigstens ein
Drittel dieser Patienten leidet unter schweren Formen
der Parodontitis mit 5 mm und mehr Attachmentverlust.
So kann es heute als gesichert gelten, dass die
Parodontitis bei Diabetikern schwerere Symptome aufweist und womöglich auch einen fulminanteren Verlauf
nimmt. Immerhin schon seit 20 Jahren gibt es die
Charakterisierung der Parodontitis als „die sechste
Komplikation des Diabetes mellitus“ (Loe 1993). Dieser
Begriff muss im Licht heutiger Erkenntnisse sicher auch
insofern erweitert werden, als eine Parodontitis auch zu
einer Verschlechterung der Glukosetoleranz beitragen
kann, d.h. auch ein echter Risikofaktor für Diabetes ist.
Vor diesem Hintergrund werden zunehmend Stimmen laut, die eine bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten bzw. Parodontologen und
Allgemeinmedizinern bzw. Internisten für eine dringliche Notwendigkeit halten. Herausgefordert sind hier
vor allem Zahnärzte vor dem Hintergrund, dass selbst
Menschen, die nie eine allgemeinmedizinische Praxis
aufsuchen, oft aber beim Zahnarzt vorstellig werden.
Der Zahnarzt kann also der Erste sein, der Symptome
einer bisher undiagnostizierten Diabeteserkrankung
feststellen kann (Strauss et al. 2012). An sich ist die
Erkenntnis nicht neu, dass der Zahnarzt in den Mund seiner Patienten schaut und Zeichen einer systemischen
Erkrankung erkennt – bei Diabetes ergeben Schwere
und Verlauf der Parodontitis zumindest einen Verdacht,
der internistisch weiter abgeklärt werden kann.
Die bidirektionale Beziehung zwischen Parodontitis
und Diabetes erfordert neue Konzepte der Diagnoseund Behandlungsregimes. So wird es zukünftig unerlässlich sein, bei Diabetikern die Behandlungen zwischen zahnmedizinischen und internistischen Spezialisten zu koordinieren (Iacopino 2009). Dazu gehört
auch eine effektive Prävention. Wenn man bedenkt,
dass Diabetes ebenso stark das Risiko für Parodontitis
erhöht wie Rauchen – der stärkste Risikofaktor für Parodontitis –, dann liegt die Erfordernis für interdisziplinäre
Zusammenarbeit auf der Hand. Die Tabakentwöhnung
ist neben einer optimalen Plaquekontrolle zur wichtigsten Maßnahme bei der Behandlung von Parodontalerkrankungen geworden (Ramseier et al. 2010).
Effektive Rauchentwöhnungsprogramme sind wichtig.
Sie zeigen Erfolge bei der Parodontitis und sind
bedeutsam für viele internistische Disziplinen – wie
Kardiologie oder Pulmologie. So scheint es logisch,
einer effektiven Glykämiekontrolle einen ähnlich hohen
Stellenwert zuzuweisen.
Prof. Dr. Thomas Kocher
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Zentrum ZMK . Abt. Parodontologie
Rotgerberstraße 8 . 17495 Greifswald · Deutschland
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Parodontologie
Diabetes mellitus und
Zahnimplantate
Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, Universität Bonn,
Deutschland
Der Ersatz fehlender Zähne durch Implantate hat
sich zu einer erfolgreichen und wissenschaftlich fundierten Methode entwickelt. Besonders ältere Menschen,
die sowohl unter Zahnverlust – der häufig durch Parodontitis verursacht wird – als auch unter Diabetes
leiden, können von Implantaten profitieren. Der Grund
hierfür ist, dass die ungünstigen Auswirkungen einer
eingeschränkten oralen Funktion ein zusätzliches Problem bei der Blutzuckerkontrolle darstellen können
(Choi et al. 2011). Diabetes mellitus wurde jedoch lange
Zeit als relative Kontraindikation zu einer Versorgung
mit Zahnimplantaten angesehen (Oikarinen et al. 1995;
Beikler & Flemmig 2003). Die Empfehlungen lauten
daher, dass Patienten mit gut kontrolliertem Diabetes
für eine Implantatversorgung geeignet sein können,
während bei Patienten mit unzureichender Blutzuckerkontrolle möglicherweise der Behandlungsnutzen ausbleibt (Oates et al. 2011).
Implantatversorgung bei Patienten
mit Diabetes – Frühkomplikationen
gleich zur Baseline und eine längere Einheilphase
festgestellt. Dies weist auf Veränderungen bei der
Implantatstabilität hin, die mit einer beeinträchtigten
Implantatintegration bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 in direktem Verhältnis zu hyperglykämischen
Zuständen übereinstimmen.
Implantaterhalt bei Patienten mit
Diabetes – Spätkomplikationen
Es liegen nur wenige Studien über die Effekte des
Diabetes in Bezug auf die Langzeitergebnisse einer
Implantatbehandlung vor (Salvi et al. 2008; Oates et al.
2011). Eine retrospektive Kohortenstudie berichtete
Implantat-Überlebensraten bei gesundheitlich beeinträchtigten Personen wie z.B. Diabetes-Patienten (Moy
et al. 2005). Obwohl bei den meisten Diabetikern eine
mittelmäßige bis gute Blutzuckerkontrolle vorlag, zeigte
sich bei deren Implantaten eine statistisch signifikant
verringerte Überlebensrate. Bei den Diabetikern kam es
wenige Monate nach der Platzierung zum Implantatverlust, der sich über den Verlauf von 10 Jahren fortsetzte und zu einer Implantat-Überlebensrate von 68,7 % bei
einem relativen Risikoverhältnis von 2,75 im Vergleich zu
gesunden Teilnehmern führte (Moy et al. 2005).
In einer umfassenden und kritischen Übersichtsarbeit zu Zahnimplantaten bei Diabetikern (Kotsovilis et
al. 2006) wurden prospektive (Shernoff et al. 1994;
Morris et al. 2000; Olson et al. 2000; Peled et al. 2003)
und retrospektive (Balshi & Wolfinger 1999; Fiorellini et
al. 2000; Abdulwassie & Dhanrajani 2002; Elsubeihi &
Zarb 2002; Farzad et al. 2002) klinische Studien eingeschlossen. Die berichteten Versagensraten bei Implantaten lagen implantatbezogen zwischen 0 und 14 % und
personenbezogen zwischen 0 bis 32 % (Abb. 1), was
keine klare Aussage über den Einfluss des Diabetes auf
den Erfolg des Implantats zulässt.
Frühkomplikationen nach Implantatinsertion können
bei Patienten mit unzureichend eingestelltem Diabetes
mit eingeschränkter Weichteilheilung verbunden sein,
was besonders nach Augmentationsverfahren der Fall
ist. Diabetes kann auch die Knochenintegration von
Zahnimplantaten beeinflussen. In Tiermodellen wurde
tatsächlich gezeigt, dass sich eine Hyperglykämie nachteilig auf Knochenbildung und Implantatintegration
auswirkt. Der Grad der Implantatintegration war im Vergleich
7,3%
Shernoff et al. 1994
12,4%
zu Kontrolltieren um 30 % erW Implantatbezogene Versagensrate
0,0%
Kapur
et
al.
1998
niedrigt (Nevins et al. 1998;
W Patientenbezogene Versagensrate
0,0%
6,2%
Gerritsen et al. 2000; McCracken
Balshi & Wolfinger 1999
17,6%
et al. 2000). Der Effekt der Blut7,8%
Morris
et
al.
2000
zuckerkontrolle auf die Implann.b.
tatintegration bei Personen mit
14,3%
Fiorellini et al. 2000
n.b.
Diabetes ist jedoch noch weit9,0%
Olson et al. 2000
gehend ungeklärt. In einer pro15,7%
5,9%
spektiven klinischen Studie zur
Farzad et al. 2002
12,0%
Beurteilung von Nichtdiabeti0,0%
van Steenberghe et al. 2002
kern und Personen mit Typ-20,0%
Diabetes (HbA1c-Werte zwischen
2,8%
Peled et al. 2003
n.b.
4,7 und 12,6 %) wurde die Sta4,4%
Abdulwassie & Dhanrajani 2002
bilität des Implantats über einen
n.b.
Zeitraum von 4 Monaten nach
Moy et al. 2005 n.b.
31,8%
Platzierung durch Resonanz4,2%
Alsaadi
et
al.
2008a
frequenzanalyse beurteilt (Oates
n.b.
2,8%
et al. 2009). Bei Patienten mit
Anner et al. 2010
8,2%
HbA1c >
_ 8,1% wurden eine höhe0,0 % 5,0 % 10,0 % 15,0 % 20,0 % 25,0 % 30,0 % 35,0 %
re maximale Verringerung bei
der Implantatstabilität im VerAbb. 1: Implantatbezogene und patientenbezogene Versagensrate (%) in Studien zu Implantatergebnissen bei Diabetes-Patienten mit Teilinformationen über den Grad der Blutzuckerkontrolle,
n.b. = nicht berichtet (aus Oates et al. 2011, mit freundlicher Genehmigung)
PROPHYLAXEdialog
Parodontologie
11
Sonderausgabe Parodontologie
Der Großteil der Ergebnisse deutete darauf hin,
dass Diabetes bei guter Blutzuckerkontrolle keine absolute Kontraindikation für eine Implantatinsertion ist.
Wie jedoch in einer vor kurzem erstellten Übersichtsarbeit zu Diabetes, Blutzuckerkontrolle und Zahnimplantatbehandlung (Oates et al. 2011) festgestellt,
wurde der Blutzuckerstatus der als „gut kontrolliert“
definierten Personen in diesen vorgenannten Studien
nicht eindeutig berichtet. Drei jüngere Studien (Dowell
et al. 2007; Tawil et al. 2008; Turkyilmaz et al. 2010), die
interpretierbare Daten zur Blutzuckerkontrolle mit Versagensraten zwischen 0 und 2,9 % lieferten, konnten
keine signifikante Beziehung zwischen Blutzuckerkontrolle und Implantatversagen zeigen. Die Studien müssen vor dem Hintergrund interpretiert werden, dass
relativ wenige Patienten mit erhöhten Blutzuckerwerten
eingeschlossen waren und sie nur eingeschränkte Informationen über die Langzeiteffekte von Diabetes auf
das Implantatüberleben bieten. Daher müssen die Rolle
von Implantaten bei der Verbesserung der oralen
Funktion im Rahmen einer Diabetestherapie und die
Effekte der Hyperglykämie auf die Implantatintegration
noch geklärt werden (Oates et al. 2011).
Da Parodontitis und Diabetes bekannte Risikofaktoren/Indikatoren für die Entwicklung periimplantärer
Erkrankungen sind und da es keine evidenzbasierten
Konzepte für die erfolgreiche Therapie einer Periimplantitis gibt (Lindhe & Meyle 2008), gelten die folgenden Empfehlungen:
Patienten mit Diabetes, bei denen Implantate gesetzt wurden, profitieren mit hoher Wahrscheinlichkeit
von wirkungsvoller persönlicher Mundhygiene und
intensiver und häufiger professioneller Erhaltungspflege, um periimplantäre Infektionen zu vermeiden –
dies gilt vor allem dann, wenn der Zahnverlust auf
Parodontitis zurückzuführen ist. Mechanische Plaquekontrolle durch den Patienten sollte den Gebrauch klinischer Hilfsmittel beinhalten und kann durch die
Verwendung von Zahnpasten und Spülungen mit antibakteriellen und antiinflammatorischen Eigenschaften
begleitet werden. Darüber hinaus ist eine enge
Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten und Diabetologen unbedingt zu empfehlen (Deschner et al. 2011;
Preshaw et al. 2012).
Abb. 2: Periimplantitis-Läsion 5 Jahre nach Implantatplatzierung bei einem Patienten mit
Typ-2-Diabetes und Parodontitis
a) klinisches Erscheinungsbild mit Suppuration
b) radiographisch nachgewiesener Knochenverlust
Zwar wurde die Verbindung zwischen Diabetes und
Implantatverlust eingehender untersucht; es gibt jedoch nur eine Studie zur Verbindung zwischen Diabetes
und Periimplantitis (Abb. 2). Ferreira et al. (2006) untersuchten in einer Querschnittsstudie das Vorhandensein
von Risikovariablen für periimplantäre Infektionen. Die
Prävalenz periimplantärer Mukositis und Periimplantitis
lag bei 64,6 % bzw. 8,9 %. Das Vorliegen eines Diabetes
war statistisch mit einem höheren Periimplantitisrisiko
verbunden.
12
Parodontologie
Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen
Zentrum für ZMK · Poliklinik für Parodontologie,
Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde
Welschnonnenstraße 17 · 53111 Bonn · Deutschland
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Parodontologie
Diabetes und Mundschleimhautveränderungen
Dr. Irène Hitz-Lindenmüller, Prof. Dr. J. Thomas Lambrecht, Universitätskliniken für Zahnmedizin,
Basel, Schweiz
Diabetes mellitus ist eine chronische Stoffwechselstörung, bei der die Blutzuckerwerte erhöht sind. Es
werden zwei Typen unterschieden: Beim Diabetes mellitus vom Typ 1 besteht ein Mangel an Insulin, da die
Bauchspeicheldrüse kaum oder gar kein Insulin mehr
produziert. Die Krankheit beginnt meist in der Jugend
und tritt in 10 % der Fälle auf. Etwa 90 % der Diabetiker
leiden unter einem Typ-2-Diabetes. Beim Diabetes mellitus vom Typ 2 wird zwar noch Insulin ausgeschüttet,
aber die Körperzellen reagieren unzureichend auf das
Hormon. Davon betroffen sind meist ältere Menschen.
Oft wird ein Diabetes mellitus spät erkannt, da die
Patienten keine oder nur geringe Beschwerden haben.
Deshalb wird die Zuckerkrankheit meist im Rahmen
einer Routineuntersuchung beim Hausarzt diagnostiziert. Dem Zahnarzt kommt daher eine Schlüsselrolle
bei der Detektion einer möglichen Diabetes-Erkrankung zu, obwohl die Symptome relativ unspezifisch
sind.
Folgende Veränderungen können im Zusammenhang mit einem Diabetes mellitus stehen:
W schlecht heilende Wunden,
W Pilzinfektionen,
W Mundwinkelrhagaden (Cheilitis angularis),
W Prothesenstomatitis,
W Landkartenzunge (Lingua geographica),
W mediane rhomboide Glossitis (Glossitis rhombica
mediana),
W Speicheldysfunktion und Mundtrockenheit,
Da feine Nerven ebenfalls geschädigt sind, empfindet der Patient Wunden nicht als schmerzhaft, sodass
diese unbemerkt an Größe zunehmen und erst in einem
fortgeschrittenen Stadium entdeckt und behandelt
werden können.
Diabetes und Pilzinfektionen und
Candida-assoziierte Befunde
Diabetiker sind von Pilzinfektionen eher betroffen
als gesunde Individuen. Der nicht nur im Blut, sondern
auch im Speichel erhöhte Glukosespiegel dient als
Nahrungsquelle für Mikroorganismen, wodurch deren
Vermehrung und Adhäsion an der Schleimhaut begünstigt wird.
Unter einer erhöhten Pilzanfälligkeit leiden dabei
hauptsächlich Patienten, die zusätzlich rauchen, Zahnprothesen tragen, einen schlecht eingestellten Diabetes aufweisen sowie Steroide und Breitbandantibiotika
einnehmen müssen (Willis et al. 1999; Guggenheimer
et al. 2000).
Neuere Untersuchungen wiesen nach, dass in über
80 % der Fälle Candida albicans für die Prothesenstomatitis (Abb. 1) verantwortlich ist, wobei die
Prävalenz der Candida-Spezies bei gut eingestellten
Diabetikern mit einem Typ 2 ähnlich derjenigen der
gesunden Kontrollgruppe war (Sanita et al. 2011). Auch
in der Studie von Bremenkamp et al. (2011) war
Candida albicans die am häufigsten isolierte Pilzspezies, wobei kein Unterschied zwischen Patienten mit
Typ-1- und Typ-2-Diabetes festgestellt werden konnte.
W Geschmacksstörungen,
W Mundbrennen,
W Oraler Lichen planus
Wieso heilen Wunden bei
Diabetikern schlechter?
Bei Diabetikern ist der Blutzuckerwert erhöht. Bei
langjährigem Krankheitsverlauf kommt es dadurch zu
einer Schädigung der Blutgefäße (Mikroangiopathie).
Daraus resultiert eine mangelnde Sauerstoffversorgung,
was bei einer Verletzung (z.B. Prothesendruckstelle,
Bissverletzung, Zahnputztrauma) zu einer schlechteren
Wundheilung führt. Durch die Mangelversorgung von
Sauerstoff und Nährstoffen sind auch Abwehrmechanismen gegen bakterielle, virale oder mykotische
Infektionen vermindert. Der Heilungsprozess dauert
insbesondere bei schlecht eingestellten Diabetikern
bedeutend länger als bei Gesunden, und das Risiko für
eine Wundinfektion steigt.
PROPHYLAXEdialog
Abb. 1: Prothesenstomatitis bei einem Patienten mit
schlecht eingestelltem Diabetes mellitus Typ 2
Die anguläre Cheilitis (Abb. 2) als eine weitere
Candida-assoziierte Läsion scheint bei Diabetikern öfter
als bei gesunden Individuen aufzutreten.
Parodontologie
13
Sonderausgabe Parodontologie
Zusätzlich sind vermehrt die Glossitis rhombica
mediana sowie die Landkartenzunge (Abb. 3) zu beobachten, was mitbedingt ist durch die mikrovaskulären
Veränderungen, die von der Grunderkrankung ausgelöst wurden (Guggenheimer et al. 2000; Ponte et al.
2000).
Für eine Korrelation könnte sprechen, dass es sich
beim Diabetes Typ 1 um einen Autoimmunprozess handelt, bei dem die insulinproduzierenden LangerhansZellen der Bauchspeicheldrüse zerstört werden und das
Immunsystem möglicherweise ebenfalls eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung eines Oralen Lichen
planus spielt (Petrou-Amerikanou et al. 1998). Da beim
Diabetes Typ 2 eine Insulinresistenz vorliegt, kann eine
erhöhte Inzidenz des Oralen Lichen planus damit aber
nicht erklärt werden.
Die mögliche Lokalisation des Oralen Lichen planus
kann aufgrund der Literaturrecherche ebenfalls nicht
auf einen Ort beschränkt werden. Während BaganSebastian et al. (1993) orale Befunde vor allem an der
Zunge fanden, konnten andere Autoren den Oralen
Lichen planus typischerweise an der vestibulären
Mukosa, dem Gaumen und dem Mundboden lokalisieren (Ponte et al. 2001). Es scheint, dass bei Diabetikern
insbesondere die atroph-erosive Form vorherrscht
(Torrente-Castels et al. 2010).
Abb. 2: Cheilitis angularis bei demselben Patienten
wie in Abb. 1
Saini et al. (2010) konnten keinen statistisch signifikanten Unterschied bezüglich oralen potenziell malignen Konditionen (z.B. Oraler Lichen planus) zwischen
diabetischen und nicht-diabetischen Patienten finden.
Zusammenfassung
Abb. 3: Ausgeprägte
Landkartenzunge mit
Candidiasis bei einem
Diabetiker und Raucher
Schlecht heilende Wunden, erhöhte Anfälligkeit auf
Pilzinfektion sowie Mundbrennen und Mundtrockenheit
können im Zusammenhang mit einem schlecht eingestellten oder noch nicht entdeckten Diabetes mellitus
stehen. In diesem Fall sollte der Hausarzt zur Abklärung
hinzugezogen werden.
Ein weiteres Zeichen einer Diabetes-Erkrankung
kann eine degenerative Speicheldrüsenerkrankung
sein, bei der insbesondere die Glandula parotis beidseits asymptomatisch anschwillt. In der Folge kommt es
zu einer verminderten Speichelsekretion, die zu Mundtrockenheit, Geschmacksstörungen, Mundbrennen sowie zu einer erhöhten Gefahr für eine Pilzinfektion führt.
Der Speichel ist beim diabetischen Patienten zudem hoch viskös, was wiederum die Anheftung von
Mikroben an der Schleimhaut fördert (Negrato & Tarzia
2010).
Diabetische Patienten müssen in ein strenges zahnärztlich-stomatologisches Recallsystem eingebunden
werden. Zahnärzte haben die Möglichkeit und die
Verantwortung, ihre an Diabetes erkrankten Patienten
auf die Gefahren eines schlecht eingestellten Diabetes
hinzuweisen und aufzuklären.
Diabetes und Oraler Lichen planus
Im Sinne des Patienten sollte eine interdisziplinäre
Betreuung gewährleistet werden.
Es wird in der Literatur kontrovers diskutiert, ob ein
Zusammenhang zwischen einer Diabetes-Erkrankung
und dem Oralen Lichen planus besteht (Ponte et al.
2001; Bastos et al. 2011).
14
Die heutige Aufgabe des Zahnarztes besteht vermehrt darin, nicht nur die dentalen Verhältnisse, sondern auch die Schleimhautsituation zu beurteilen.
Veränderungen an der oralen Mukosa sind oft nicht nur
als lokales Geschehen, sondern als allgemeinmedizinisches Phänomen zu betrachten.
Parodontologie
Da sich die Befunde durch einen ungenügend eingestellten Diabetes mellitus und Rauchen zusätzlich
verschlechtern, sollte die Aufgabe des Zahnarztes
ebenso die Raucherentwöhnung des Patienten beinhalten.
Dr. Irène Hitz-Lindenmüller
Universitätskliniken für Zahnmedizin
Klinik für zahnärztliche Chirurgie, Radiologie,
Mund- und Kieferheilkunde
Hebelstraße 3 . CH-4056 Basel . Schweiz
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Parodontologie
Diagnose von Mundgeruch
Diagnose
Selbstbeurteilung
Frederique Vancauwenberghe, Prof. Dr.
Marc Quirynen, Katholische Universität
Löwen, Belgien
Einleitung
Mit dem Begriff Halitosis (wobei „halitus“ „Atem“
und „osis“ „unnormal“ bedeutet) bezeichnet man
unangenehmen, aus Mundluft und Atem ausstrahlenden Geruch, ungeachtet seines Ursprungs (Wiley &
Sons 2008). Mundgeruch kann die soziale Kommunikation beeinträchtigen. Für die pharmazeutische und
kosmetische Industrie ist Mundgeruch ein wichtiger
Markt geworden (Bosy 1997). In ca. 80 – 90 % der Fälle
hat Halitosis eine intraorale Ursache und wird als Mundgeruch definiert.
Ätiologie und Pathogenese
Die Selbstbeurteilung von Mundgeruch ist unzuverlässig (Rosenberg et al. 1995). Die meisten Patienten
gewöhnen sich sogar an ihren eigenen schlechten
Atem und riechen ihn nicht mehr. Unter diesem
Gesichtspunkt wäre ein Schnelltest zur Anwendung in
der Praxis oder ein Test, den der Patient zu Hause
durchführen kann, äußerst hilfreich.
Organoleptische Messungen
Mundgeruch wird üblicherweise durch direktes
Riechen der von den Probanden ausgeatmeten Luft
beurteilt (Abb. 1). Dieser Parameter gilt als „Goldstandard“. Ein Zahnarzt kann eine solche Atemauswertung vornehmen. In klinischen Studien verpflichtet man
jedoch häufig geschulte Atembewerter. Sie beurteilen
die ausgeatmete Luft der Probanden und stufen ihre
Bewertungen je nach Schweregrad des Leidens auf
einer Sechspunkteskala (0 – 5) ein (Rosenberg et al.
1991).
Im Mund kann eine Reihe akuter Krankheitszustände
unangenehmen Geruch verursachen (d.h. perikoronale
Infektionen, orale Geschwüre, akute Herpesgingivostomatitis, akute nekrotische Plaut-Vincent-Angina ...)
(Koshimune et al. 2003). In den meisten Fällen geht
Mundgeruch jedoch mit parodontalen Erkrankungen
einher oder entsteht aus der chronischen Wirkung von
Bakterien, die die Zunge überziehen (Needleman et al.
2004). Zu den extraoralen Ursachen zählen u.a. Erkrankungen des Nasen- und Rachenraums (d.h. chronische
Sinusitis, Sekretfluss in den Rachen sowie in der Nase
befindliche Fremdkörper, Atemwegsinfekte, Bronchialkarzinom), Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes
(d.h. Magengeschwüre, Pylorusstenose), diabetische
Ketoazidose, Niereninsuffizienz, Leberinsuffizienz oder
seltene Stoffwechselstörungen (Trimethylaminurie)
(Delanghe et al. 1997).
Abb. 1: Beurteilung der durch den Mund ausgeatmeten Luft
Mundgeruch entsteht aus flüchtigen, übelriechenden Substanzen, die anaerobe Bakterien durch den
Abbau von Bestandteilen aus Epithelzellen, Proteinen
und Nahrungsresten erzeugen (Tonzetich & Richter
1964). Aufgrund ihrer rauen Oberfläche und tiefen
Klüftungen ist die Zunge ein Umfeld, das für das
Wachstum anaerober Organismen besonders gut geeignet ist. Die Zunge ist von allen Geweben im Mund
am stärksten mit Bakterien belastet. Man nimmt an,
dass die Bakterienmasse am hinteren Dorsum der
Zunge die Stelle ist, an der die meisten übelriechenden Substanzen erzeugt werden (Bosy et al. 1994;
Qurirynen et al. 2004).
Beurteilt wird der Geruch (a) des Mundes, ohne dass
der Proband atmet, (b) der durch den Mund ausgeatmeten Luft, (c) der ausgepressten Luft, (d) der durch das
linke oder rechte Nasenloch ausgeatmeten Luft, (e) des
getrockneten Speichels (nach Lecken am Handgelenk
oder langem Zählen, sodass der Mund austrocknen
kann), (f) des Zungenbelags von den vorderen zwei
Dritteln oder dem hinteren Drittel und (g) schließlich
der Approximal-Plaque. Für die endgültige Diagnose
ist dies sehr hilfreich (siehe Tabelle).
Bisher richtete man die Aufmerksamkeit vor allem
auf flüchtige Schwefelverbindungen (VSC) unter Einschluss von Methylmercaptan, Schwefelwasserstoff und
Dimethylsulfid. Allerdings können auch andere Substanzen zu schlechtem Geruch beitragen (d.h. Diamine
wie z.B. Putrescin und Cadaverin) oder auch Phenylverbindungen wie z.B. Indol, Skatol und Pyridin).
Sulfidmonitor: Es gibt einen gut verfügbaren, tragbaren Sulfidmonitor, das Halimeter ® (Interscan Corporation, Chatsworth, CA, USA). Das Gerät testet
die Atemluft auf die Höhe der Schwefelemissionen
(Rosenberg et al. 1991). Die Messung erfolgt über
einen Trinkhalm, der an dem biegsamen, mit dem
Instrument verbundenen Schlauch befestigt ist. Der
PROPHYLAXEdialog
Instrumentale Messungen
Parodontologie
15
Sonderausgabe Parodontologie
Bedingung: ausgeatmete Luft:
Diagnose mit hoher Wahrscheinlichkeit:
+ = Geruch
Luft ausgeatmet durch Mund +
und durch Nase +
Systemische Erkrankung wie Diabetes, Niereninsuffizienz,
Leberinsuffizienz, seltene Stoffwechselstörungen ...
Ausgeatmet durch Mund –
aber durch Nase +
HNO-Pathologie
Luft ausgeatmet durch Mund:
R Erster Teil +, danach –
R Erster Teil –, gepresster Teil +
Mundgeruch
Lungenpathologie / Stoffwechselerkrankung
Mund ohne Atmen +
Mund beim Zählen +
Lecken am Handgelenk und trocknen +
Mundgeruch
Von der Zunge entnommener Belag +
Zungenbelag (auch bei Familienmitgliedern um Bestätigung bitten)
Tabelle: Leitlinien für eine „Anfangs“-Diagnose
Trinkhalm wird 2 cm tief zwischen die Lippen gesteckt,
ohne irgendeine Oberfläche zu berühren. Die Zunge
wird herausgestreckt, und die Probanden müssen während der Messung den Atem anhalten. Die Ablesewerte
(VSC-Spitzenwerte) werden in Teilen pro Milliarde (ppb)
angezeigt. Werte über 160 ppb gelten als Merkmal für
einen Patienten mit echter Halitosis.
Ein großer Nachteil dieses Geräts besteht darin,
dass es nicht zwischen verschiedenen Sulfiden differenzieren kann (Furne et al. 2001). Es reagiert hoch empfindlich auf Schwefelwasserstoff, hat aber eine geringere Empfindlichkeit für Methylmercaptan, obgleich
Methylmercaptan bei gleicher Konzentration dreimal
unangenehmer ist als Schwefelwasserstoff. Es besteht
also die Möglichkeit, dass das Halimeter bei Menschen
mit hohen Methylmercaptan-Konzentrationen den
schlechten Geruch unterschätzt.
Ob zwischen der organoleptischen Punktzahl und
den vom Halimeter gemessenen Werten eine Übereinstimmung besteht, ist fraglich (Willis et al. 1999). Über
die flüchtigen sulfidhaltigen Verbindungen hinaus erfasst das Halimeter keine anderen, zur Halitosis beitragenden Geruchsstoffe (d.h. Polyamine, Alkane,
Ketone, flüchtige, kurzkettige Fettsäuren). Weitere
Nachteile sind die Empfindlichkeit gegenüber Alkohol
(Ethanol) und die im Lauf der Zeit nachlassende
Empfindlichkeit des Geräts, die regelmäßige Nachkalibrierungen erforderlich macht (Rosenberg et al. 1992).
Gaschromatographie: Gaschromatographie ist die
bei Weitem am besten geeignete Methode zum
Nachweis von Halitosis unterschiedlichen Ursprungs.
Sie ist als Goldstandard zu betrachten. Die Proben
(Speichel, Zungenbelag oder ausgeatmete Luft) werden
identifiziert, indem man die in den Analysen erzeugten
Massenspektren mit den Spektren in einer international
zugänglichen, computerisierten Referenzbibliothek vergleicht. Die Hauptnachteile der GC-Messung sind,
16
Parodontologie
dass sie vergleichsweise teuer und schwer transportierbar ist sowie hochgradig geschultes Personal erfordert.
Hinzu kommen die aufwendigen Nachweis- und Messverfahren.
Zurzeit wird eine neue Technologie (Abb. 2) auf dem
Markt eingeführt: Es handelt sich um tragbare Geräte
wie z.B. das Oral Chroma ® (Abilit Corporation, Osaka
City, Japan). Es ist speziell auf die digitale Messung der
drei wichtigsten VSC auf molekularer Ebene ausgelegt
(Schwefelwasserstoff, Methylmercaptan und Dimethylsulfid; Murata et al. 2006).
Abb. 2: Tragbarer Gaschromatograph, der eine mengenmäßige Erfassung folgender drei flüchtiger Schwefelzusammensetzungen (VSC) erlaubt: Methylmercaptan,
Schwefelwasserstoff und Dimethylsulfid
Frederique Vancauwenberghe
Prof. Dr. Marc Quirynen
Katholieke Universiteit Leuven
Afdeling Parodontologie
Kapucijnenvoer 33 . B-3000 Leuven . Belgien
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Parodontologie
European Federation of Periodontology (EFP)
Wer oder was ist die EFP?
Die European Federation of Periodontology ist eine
gemeinnützige wissenschaftliche Organisation im
Bereich der Zahnmedizin, der mehr als 15.000 Ärzte aus
26 nationalen parodontologischen Fachorganisationen
in Europa angehören. Die EFP ist die führende Fachgesellschaft in Europa, die sich mit Fragen aus allen
Bereichen der Parodontologie beschäftigt. Vision der
EFP ist, in Europa die treibende Kraft im Bereich der
Parodontologie zu sein.
Die Hauptziele der Organisation bestehen darin,
innerhalb der parodontologischen Fachgesellschaften
Europas einen hohen wissenschaftlichen Kenntnisstand
zu erreichen, insbesondere auf den Gebieten der Parodontologie, der parodontalen Gesundheit und Gesundheitspflege sowie der parodontologischen Aus- und
Weiterbildung für Studenten und Hochschulabsolventen. Darüber hinaus setzt sich die EFP für die Anerkennung der Parodontologie als eigenes Fachgebiet ein.
Auf diese Ziele wird dank der beständigen Anstrengungen der EFP-Mitglieder durch wissenschaftliche
Konferenzen, Aufbaustudiengänge, Workshops in
Europa, die Fachpublikation Journal of Clinical Periodontology sowie durch den Newsletter und die Website der EFP kontinuierlich hingearbeitet.
EuroPerio-Kongress
Der EuroPerio-Kongress, der 1994 seine Premiere
feierte und seitdem alle drei Jahre stattfindet, hat sich
gleichsam zu einem Markenzeichen entwickelt. Mit Teilnehmern aus mehr als 80 Ländern genießt er weltweit
ein hohes professionelles Renommee in der zahnmedizinischen Branche. Bisher haben sieben EuroPerioKongresse erfolgreich zu einem hohen wissenschaftlichen Kenntnisstand auf dem Gebiet der Parodontologie beigetragen – zuletzt EuroPerio7 vom 6. bis 9.
Juni 2012 in Wien.
European Workshop
on Periodontology
Seit 1993 bildet sich bei dieser erfolgreichen Workshop-Reihe in Europa ein Konsens der Expertenmeinungen zu wichtigen Fragen auf den Gebieten der
Parodontologie und Implantologie, was auch auf die
Mitwirkenden der EFP außerhalb Europas ausstrahlt.
Die Resultate der Workshops werden veröffentlicht und
über 14.000 Personen sowie mehr als 700 Institutionen
weltweit zur Verfügung gestellt.
PROPHYLAXEdialog
Von der EFP anerkanntes
Graduiertenprogramm auf dem
Gebiet der Parodontologie
Die European Federation of Periodontology hat
dieses Programm als offiziellen Fortbildungskurs für
Absolventen in der Parodontologie übernommen; hierdurch wurden die Standards für die Evaluation parodontologischer Schulungsprogramme neu definiert. Elf
Schulungseinrichtungen sind von der EFP anerkannt.
Das Fachgebiet der Parodontologie
2005 wurde die europäische Richtlinie zur Anerkennung von Berufsqualifikationen angenommen. Hierdurch wurde die Parodontologie als Fachgebiet in
11 europäischen Ländern anerkannt. Im Juni 2011 veröffentlichte die Europäische Kommission ein Grünbuch
zur Spezialisierung innerhalb der Medizin. Demnach soll
die Anzahl der europäischen Länder, in denen eine
Disziplin als Fachgebiet geführt wird, von einem Fünftel
auf ein Drittel erhöht werden, damit eine automatische
Erkennung des jeweiligen Fachgebiets durch die Europäische Kommission erfolgen kann. Im August 2011
unterstützte die EFP diesen Vorschlag ausdrücklich in
einem Schreiben an die Europäische Kommission.
Journal of Clinical Periodontology
Im Dezember 1993 wurde das Journal of Clinical
Periodontology (JCP) die offizielle Publikation der EFP.
Bis 2004 wirkte Jan Lindhe als versierter Herausgeber
dieser Fachzeitschrift und wurde anschließend zum
„Editor Emeritus“ ernannt. Neuer Herausgeber wurde
Maurizio Tonetti, unter dem das JCP ein so hohes
Niveau erreichte, dass es mit einem Impact-Factor von
3.933 in den ISI Journal Citation Reports nunmehr den
1. Platz unter 74 Fachzeitschriften in den Kategorien
Zahnmedizin, Oralchirurgie und Medizin belegt.
Haben Sie Interesse an der European Federation
of Periodontology?
Dann besuchen Sie www.efp.net !
Informationen für Patienten (mit Videos) sind im
öffentlich zugänglichen Bereich der Homepage zu
finden, der sich eher an ein allgemeines Publikum richtet, das an näheren Informationen zur Parodontologie
interessiert ist. Im Mitgliederbereich sind Anzeigen, ein
Anamnese-Fragebogen zum Herunterladen und eine
Einverständniserklärung in 13 Sprachen zu finden.
Außerdem enthält die Internetseite den offiziellen
Newsletter EFP News, der alle Mitglieder über die
neuesten Aktivitäten der EFP auf dem Laufenden hält.
Parodontologie
17
Sonderausgabe Parodontologie
Bei den zentralen Artikeln handelt es sich um Botschaften des Präsidenten und des Herausgebers. Des
Weiteren werden Highlights aus den Sitzungen der
Geschäftsleitung und der Generalversammlung, die
Geschichte der EFP, Nachrichten der nationalen Gesellschaften, Preise und Auszeichnungen, EuroPerio-Sitzungen sowie die European Workshops in Periodontology vorgestellt. Darüber hinaus sind Informationen
über die alle zwei Jahre stattfindenden Symposien für
EFP-Absolventen zu finden sowie die Profile der von
der EFP anerkannten Graduiertenprogramme auf dem
Gebiet der Parodontologie. Abgerundet wird der
Newsletter durch einen Kalender, in dem Veranstaltungen der nationalen Gesellschaften und Organisationen
mit Bezug zur Parodontologie aufgeführt sind.
Dr. Joanna Kamma
Herausgeberin der EFP News
Deutsche Gesellschaft
für Parodontologie e.V.
(DGP)
Parodontitis: In Deutschland in aller
Munde
Etwa 12 Millionen Bundesbürger leiden an unbehandelten schweren Formen parodontaler Erkrankungen, zumeist Parodontitis. Das wissen wir Zahnärzte seit
der 4. Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS IV) von
2006. Seither versucht die Deutsche Gesellschaft für
Parodontologie (DGP), für dieses gesundheitspolitische
Problem eine breite Öffentlichkeit zu finden.
Aber sind sich die Betroffenen ihrer Erkrankung
auch bewusst? Das Institut der Deutschen Zahnärzte
(IDZ) hat 2008 einige hochinteressante, aber auch erschreckende Antworten gefunden. Nicht nur, dass in
der Werbung und sicher auch deshalb in den Köpfen
vieler Bundesbürger der falsche Begriff „Parodontose“
für die entzündliche Zerstörung des Zahnhalteapparates immer noch herumgeistert. 10 % von immerhin
1.001 Befragten konnten auf die Frage, was Parodontitis bzw. „Parodontose“ ist, keine Antwort geben.
Die Untersuchung des IDZ verdeutlicht eindrucksvoll:
Den Bundesbürgern fehlt es an Wissen über und an
Bewusstsein für Parodontitis, immerhin die häufigste
orale Erkrankung der Erwachsenen. Es ist durchaus
plausibel, zwischen geringem Bewusstsein für und
hoher Prävalenz von Parodontitis Zusammenhänge herzustellen.
Die DGP hat deshalb eine App zum Selbsttesten
von Parodontitis herausgebracht. Seit März 2012 ist
die App „Selbsttest Parodontitis“ für jeden verfügbar.
Mit der neuen Anwendung sollen auf spielerische Art
Berührungsängste abgebaut und der Zugang zur
Parodontitisbehandlung erleichtert werden.
18
Parodontologie
Viele Betroffene scheuen aus Unsicherheit den Weg
zum Zahnarzt. Einfach, verständlich und leicht zu bedienen, führt die neue App den Laien zu einer groben Einschätzung, ob eine parodontale Erkrankung vorliegen
könnte.
Elf Fragen mit je drei
Antwortmöglichkeiten ermitteln
die persönliche Erkrankungswahrscheinlichkeit. Ist diese
hoch, wird dem Selbsttester
zum Besuch bei seinem Zahnarzt
geraten. Wer einen parodontologisch interessierten Zahnarzt
sucht, wird mit der Mitgliedersuche der DGP-Homepage verbunden. Da der App-Anwender
sich nicht dem Stress des Zahnarztbesuchs unterziehen
muss, um seine Erkrankungswahrscheinlichkeit zu ermitteln, erhofft sich die DGP eine hohe Akzeptanz und
damit auch eine breite Anwendung des Tests in der
Gesellschaft.
Wer oder was ist die DGP?
Die DGP nimmt wissenschaftliche und fachliche
Aufgaben auf dem Gebiet der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, insbesondere der Parodontologie, wahr. Für
ihre fast 4.400 Mitglieder sowie zahnärztliche Organisationen ist sie seit nahezu 90 Jahren beratend und
unterstützend in parodontologischen Fragen tätig. Zu
den Aufgaben der DGP gehört die Förderung der
Forschung auf dem Gebiet der Parodontologie. Im Jahr
2011 hat die DGP u.a. in Kooperation mit ihrem
Industriepartner GABA Forschungsförderungen und
wissenschaftliche Preise in einer Gesamthöhe von
100.000 Euro vergeben. Ferner kümmert sie sich um die
Auswertung, Verbreitung und Vertretung wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Erstmals veröffentlichte die DGP 2011 ein Jahrbuch
mit den 10 klinisch bedeutsamsten Artikeln des Journal
of Clinical Periodontology (JCP) 2010 in deutscher
Sprache. Im Sommer 2012 erscheint das deutsche
JCP-Jahrbuch 2011. Die DGP hat zusammen mit ihrem
Industriepartner GABA Patientenratgeber zu den
Themen Gesundes Zahnfleisch, Parodontitis, Implantate
und Halitosis erstellt, die kostenlos angefordert werden
können. Weitere wesentliche Tätigkeitsschwerpunkte
sind die Durchführung wissenschaftlicher Tagungen
sowie die Fort- und Weiterbildung auf dem Gebiet der
Parodontologie mit der Ausrichtung entsprechender
Veranstaltungen. Die DGP arbeitet, auch interdisziplinär, intensiv mit wissenschaftlichen Gesellschaften,
Arbeitsgemeinschaften und Institutionen des In- und
Auslandes zusammen. Sie verfolgt ausschließlich und
unmittelbar gemeinnützige Zwecke.
Sie interessieren sich für Parodontologie?
Werden Sie Mitglied!
Weitere Informationen: www.dgparo.de
PROPHYLAXEdialog
Sonderausgabe Parodontologie
DGP-Veranstaltungen 2012 und 2013
19.– 21.7.2012
Update Paro in München
Thema:
Update Parodontologie und Implantattherapie (Prof. Hürzeler)
24.11.2012
DGP-Teamtag in Heidelberg
Thema:
Update Mundhygiene – Welches Hilfsmittel soll wo und wann eingesetzt werden?
(Prof. Dörfer)
1. – 2.2.2013
DGP-Frühjahrstagung in Frankfurt, Campus West
Thema:
Implantattherapie heute – die Evolution des Züricher prothetischen Konzeptes
(Prof. Hämmerle und PD Jung)
19.– 21.9.2013
DGP-Jahrestagung in Erfurt
Thema:
Notwendig vs. machbar – parodontale Therapie am älteren Patienten
Prof. Dr. Peter Eickholz
DGP-Präsident
Das Unsichtbare sichtbar
machen
Colgate und GABA sind gemeinsamer Sponsor
einer innovativen Computer-Animation
Das Unsichtbare sichtbar zu machen und gleichzeitig eine Faszination für die Wissenschaft zu wecken, ist
die Absicht einer neuen hochwertigen Computeranimation, herausgegeben von Quintessenz. „Cell-toCell Communication – Inflammatory Reactions“ lautet
der Titel der Animation, in welcher sich in HD-Qualität
die Kommunikation zwischen Körperzellen erleben
lässt. Der Film zeigt die hochkomplexen Prozesse des
interzellulären Zusammenspiels mit Botenstoffen während einer entzündlichen parodontalen Reaktion. Die
verschiedenen Zelltypen fungieren als Hauptdarsteller
des Films. In einem perfekt aufeinander abgestimmten
Prozess kommunizieren sie in dem Bestreben, die bakteriellen Eindringlinge zu zerstören. Die Botenstoffe als
Nebendarsteller unterstützen sie darin.
Die Premiere dieses neuen und innovativen Fortbildungs-Tools fand auf der EuroPerio7 in Wien statt. Die
Animation ist als DVD mit und ohne Begleitbuch verfügbar. Sie wurde durch das „Oral Health Network“, eine
gemeinsame Fortbildungsinitiative von Colgate und
GABA, gesponsert.
Enzyklopädie der Zahnmedizin
Ebenfalls mit Unterstützung des Oral Health Networks
wird in Kürze ein weiteres Fortbildungs-Tool des
Quintessenz-Verlags verfügbar sein: das GOPP (Glossary
of Preventive Dentistry and Periodontology). Dieses wird
die im Aufbau befindliche universelle Enzyklopädie der
Zahnmedizin um Fachbegriffe aus der Prävention und
Parodontologie ergänzen. Schon jetzt enthält die
Zusammenstellung Definitionen und Beschreibungen von
mehr als 5.300 zahnmedizinischen Fachausdrücken, von
denen viele illustriert sind. Es handelt sich um ein mehrsprachiges Lexikon, das als weltweite Referenzquelle
dient und in den Sprachen Englisch, Spanisch,
Französisch, Deutsch, Italienisch und Portugiesisch verfügbar ist. Viele Lexikon-Artikel enthalten Verweise auf
andere Einträge.
Weitere Informationen: www.quintessenz.de
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Parodontologie
19
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