Pavor nocturnus canis – nächtliche Angstattacken beim Hund

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Pavor nocturnus canis – nächtliche Angstattacken beim Hund
(English Cocker Spaniel)
Horst J. Koch
HELIOS Klinikum Aue, Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie
Korrespondenzanschrift:
Dr. med. Dr. rer. nat. Horst J. Koch MFPM DCPSA
HELIOS Klinikum Aue
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Gartenstraße 6
08280 Aue
Tel.: 03771-58-1509
Email: [email protected]
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Zusammenfassung
Der Pavor nocturnus (nächtlicher Angstschreck) ist eine zwei bis drei
Stunden nach dem Einschlafen auftretende Parasomnie
(schlafbegleitende Störung) im Vorschulalter. Die Prognose der 5-15
Minuten dauernden Episoden ist auch ohne spezifische Therapie sehr
gut. Nächtliches Erwachen mit Angst und vegetativer Begleitreaktion
wird erstmals kasuistisch bei einem Cocker spaniel beschrieben und
lässt sich von allgemeiner Ängstlichkeit und anderen Formen
aggressiven Verhaltens gut abgrenzen. Wie beim humanen Pendant hat
die Störung offensichtlich eine gute Prognose und bedarf keiner
speziellen Therapie.
Summary
Pavor nocturnus canis: Anxiety attacks during sleep in the dog
(English Cocker Spaniel)
The pavor nocturnus (night terrors) is a parasomnia (sleep associated
disorder) in pre-school age occurring two to three hours after falling
asleep. The prognosis of the episodes lasting 5-15 minutes is excellent
even without specific treatment. Nocturnal awakening with anxiety
and autonomic symptoms is presented for first time in a Cocker
Spaniel and can be well separated from trait anxiety or other forms of
aggressive behavior. Like the human equivalent the disorder obviously
has a good prognosis and does not need particular treatment.
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Schlüsselwörter: Hund, Cocker, Angst, Pavor nocturnus, spontane
Genesung
Key-words: dog, cocker, anxiety, night terror, spontaneous recovery
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Einleitung
Nächtliche Angstattacken (night terrors, Pavor nocturnus) werden zu
den Parasomnien gezählt und in der ICD 10 unter F51.4 klassifiziert.
Sie treten meist in der ersten NREM (Non-REM-Schlafphase) innert
der ersten Stunde nach dem Einschlafen bei Kindern, häufiger bei
Buben als bei Mädchen, zwischen zwei und 7 Jahren auf und dauern
bis etwa 15 Minuten (3, 5, 9). Charakteristisch und für die Eltern
häufig belastend sind neben dem aus dem Tiefschlaf mit einem Schrei
beginnende Attacke und die vegetativen Begleitreaktionen (z. B.
Tachykardie, Schwitzen, Tachypnoe). Das Kind ist dermaßen durch
Angst aktiviert, dass es meist unmöglich ist, mit dem Kind Kontakt
aufzunehmen und es zu beruhigen. In Bezug auf die Attacke besteht in
der Regel eine Amnesie, im Gegensatz zu Panikattacken, die ebenfalls
in der Nacht auftreten können. Bei guter Gesamtprognose klingen die
Episoden ohne spezifische Therapie allmählich ab (10).
Parasomnien im Sinne eines Pavor nocturnus, wie in der
nachfolgenden Kasuistik dargestellt, wurden bisher bei Hunden,
speziell Cocker (English Cocker Spaniel) nicht beschrieben. Dagegen
werden generalisierte Ängste – auch im Sinne eines ängstlichen
Charakters-, spezifische objektbezogene Ängste (Phobien) oder
zeitlich begrenzte Angstattacken – bei Hunden nicht selten beobachtet
(8, 12). Eine Besonderheit ist bei diesen Apportier-Stöberhunden eine
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anfallsweise auftretende Aggressivität (Cockerwut, Cocker rage
syndrome) bekannt, die vermutlich genetisch bedingt ist, und bei
Rüden häufiger vorkommt (1, 6, 7). Psychopathologisch lässt sich die
Cockerwut, die durch ein grundloses, vorrübergehend aggressives
Verhalten gekennzeichnet ist, gelegentlich schwer von allgemeiner
Aggressivität abgrenzen. In einer kürzlich erschienenen Publikation
(11) wurde ein REM (Rapid Eye Movement)–Schlaf assoziiertes
Syndrom bei 14 Hunden (Kernsymptomatik: bellen, kauen, beißen,
knurren) beschrieben. Das mittlere Alter lag bei 6 Jahren und die
Störung erforderte regelmäßig eine Pharmakotherapie mit
Kaliumbromid. REM-Schlaf assoziierte Störungen bei Hunden, aber
auch bei Katzen, die z. T. schon in Zeichentrickfilmen (Walt Disney)
thematisiert wurden, sind seit den 1950er Jahren bekannt (2, 4).
Fallbeschreibung
Fred ist ein nunmehr 3,5 Jahre alter Rüde mit schwarzem Fell
(Gewicht: 14 kg), der im Alter von 4 Monaten in einen 3Personenhaus-halt kam. Er war der letzte Welpe seines Wurfes und
fiel beim geplanten Kauf per Zufall durch sein fröhliches, spontan
anhängliches Wesen auf. Er integrierte sich binnen einigen Wochen
problemlos in die Familie und war in 2 bis 3 Wochen stubenrein.
Wegen rezidivierenden externen Otitiden und einer Allergie mit
gelegentlichen Konjunktivitiden (Behandlung mit Panolog) wird er
regelmäßig tierärztlich betreut. Eine Nahrungsmittelallergie
(Hautsymptome und Pruritus) und Laktoseunverträglichkeit mit
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vorübergehenden Durchfällen und Erbrechen liegen offensichtlich vor.
Durch hygienische Maßnahmen (regelmäßige Reinigung des
Gehörgangs) und Pharmakotherapie (vorübergehend Antiallergikum,
Panolog) und Umstellung der Nahrung (Hypoallergic Canine) ließen
sich seine Beschwerden sehr gut kontrollieren. Zu erwähnen sind noch
ein lokalisierter Milben- und Flohbefall (regelmäßige Prophylaxe) im
ersten Lebensjahr, die gut und zügig auf die Lokaltherapie ansprachen.
In der Sprechstunde verhält der Rüde sich stets, bis auf eine leichte
allgemeine Ängstlichkeit vor Neuem und Fremden, völlig unauffällig.
Er beherrscht die Basisbefehle (Gassi, Leine, Fressen, Namen der
Familienmitglieder, usw.) sicher und zeigt eine ausgesprochene
Beißhemmung (wurde konsequent gelehrt) – mit Kindern geht er
grundsätzlich sehr liebevoll um. Er spielt (Apportieren) und badet sehr
gerne, sucht immer die Nähe seiner Familie, fordert seine
„Knuddeleinheiten“ ein. Große Hunde meidet er etwas, geht aber
grundsätzlich auf Artgenossen zu. Aggressive Handlungen sind von
ihm nicht bekannt. Sieht man von seiner Vorliebe für Bleistifte ab, die
er leidenschaftlich gerne zerbeißt, weiß er sehr wohl zwischen dem für
ihn zerknülltem Papier und sonstigen Dokumenten, Büchern etc. zu
unterscheiden. Er respektiert Autoritätspersonen, wobei eine
Hierarchie (Frau > Mann > Sohn) existiert. Er bellt selten, allenfalls
antwortet er auf Hunde in der Nachbarschaft, meldet Fremde oder
Geräusche. Bleibt er, was gelegentlich vorkommt, einige Stunden
allein, verhält er sich ruhig und wartet geduldig. Von ihm vertrauten
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Personen aus der Nachbarschaft lässt er sich nach gutem Zureden
ausführen.
Zwischen dem 4. Monat (Aufnahme in die Familie) und 12. Monat
schreckte Fred 1 gelegentlich (etwa einmal pro Monat) in der Nacht
auf (Schlafplatz Wohnung: Decke, Körbchen), rannte gespannt, ziellos
hin und her, bellte von außen nicht beeinflussbar vor sich hin. Bei dem
Versuch, sich zu nähern, versteckte er sich ängstlich unter Tischen
oder Bänken. Erst durch sanftes Zureden, vorsichtiges Halten und
Streicheln ließ er sich nach etwa 5 Minuten beruhigen. Danach schlief
er ohne weitere Attacken weiter, d. h. die Attacken traten nie
mehrmals pro Nacht auf. Die der Episode folgenden Tage verliefen für
Fred wie gewohnt. Die Anfälle verloren sich allmählich und sind seit
gut 2,5 Jahren nicht mehr zu beobachten.
Schlussfolgerung
Die vorliegende Kasuistik beschreibt eine spontan sistierende
Parasomnie (Pavor nocturnus canis) bei einem männlichen Cocker
Spaniel im ersten Lebensjahr. Die Störung kann als Entität von
bekannten aggressiven Verhaltensmustern und sehr seltenen REMSchlaf assoziierten Schlafstörungen mit aggressiven Komponenten
abgegrenzt werden. Sie ähnelt sowohl in Bezug auf die vegetative
Begleitreaktion, der Frequenz der Attacken als auch deren Dauer und
dem Spontanverlauf dem humanen Pavor nocturnus. Für den
Hundehalter ist es wichtig, Ruhe zu bewahren, Geduld aufzubringen
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und dem Tier Zeit, die es zur spontanen Genesung braucht, zu geben.
Freundliches Zureden, Verständnis, Geborgenheit und Zuwendung
dürften ausreichen, um den Hund dauerhaft psychisch zu stabilisieren.
Literatur
1. Amat M, Manteca X, Mariotti VM et al. Aggressive Behaviour in
the English Cocker Spaniel. Journal of Veterinary Behavior: Clinical
Applications and Research 2009; 4:111-117
2. Iranzo A, Schenck CH, Fonte. REM sleep behavior disorder and
other sleep disturbances in Disney animated films. Sleep Med 2007;
8:531-836
3. Jenni O, Latal B. Verhaltensauffälligkeiten im Vorschulalter.
Kinderärztliche Praxis 2009; 80: 3-7
4. Janković TSM, Sokić DV, Vojvodić NM, Ristić AJ. The first film
presentation of REM sleep behavior disorder precedes its scientific
debut by 35 years]. Srp Arh Celok Lek 2006; 134:466-469. (Serbisch)
5. Pesikoff RB, Davis PC. Treatment of pavor nocturnus and
somnambulism in children. Am J Psychiatr 1971; 128:778-781
9
6. Podberscek AL, Serpell JA. The English Cocker Spaniel:
preliminary findings on aggressive behaviour. Applied Animal
Behaviour Science 1997; 47:75-89
7. Podberscek AL, Serpell JA. Aggressive behaviour in English cocker
spaniels and the personality of their owners. The Veterinary Record
1997; 141: 73-76
8. Rütter M, Przygoda J. Angst bei Hunden: Unsicherheiten Erkennen
und verstehen, Vertrauen aufbauen. Stuttgart: Kosmos Verlag; 2008
9. Semple D, Smyth R, Burns J et al. Oxford Handbook of Psychiatry.
Oxford: Oxford University Press; 2005
10. Schroeder CS., and Gordon BN. Assessment & Treatment of
Childhood Problems, 2nd ed. New York: Guilford Press; 2002
11. Schubert TA, Chidester RM, Chrisman CL. Clinical
characteristics, management and long-term outcome of suspected
rapid eye movement sleep behaviour disorder in 14 dogs. J Small
Anim Pract 2011; 52:93-100
12. Wilde N (Übersetzung: v. Canstein A): Der ängstliche Hund:
Stress, Unsicherheit und Angst wirkungsvoll begegnen. Nerdien:
Kynos Verlag; 2009
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