7. Filter und der Satz von Tychonoff

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GRUNDLAGEN DER ANALYSIS, TOPOLOGIE UND GEOMETRIE (WWU 2016)
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7. F ILTER UND DER S ATZ VON T YCHONOFF
Unser Ziel für heute ist folgender wichtige und nicht-triviale Satz von Tychonoff:
Xi kompakt ⇒
∏ Xi kompakt.
i
Alle Beweise benutzen das Auswahlaxiom und jeweils entweder
(1)
(2)
(3)
(4)
Überdeckungen (kompliziert),
Häufungspunkte von Netzen (z.B. in [Run05]),
Teilnetze und universelle Netze (dafür benötigt man aber (4)),
Ultrafilter (der vielleicht “konzeptionellste” Beweis).
Wir benutzen Ultrafilter:
Definition 7.1. Sei X eine Menge. Ein F ⊆ P (X) heißt Filter, falls
(1) 0/ 6∈ F ,
(2) A, B ∈ F ⇒ A ∩ B ∈ F ,
(3) A ∈ F , A ⊆ B ⊆ X ⇒ B ∈ F .
Bemerkung 7.2.
(1) Jeder Filter F ist bzgl. A ≤ B :⇔ B ⊆ A eine gerichtete Menge
nach (2).
(2) Jeder Filter hat die endliche Durchschnittseigenschaft nach (2).
Definition 7.3. Ein Filter F heißt Ultrafilter, falls für jedes A ⊆ X entweder A ∈ F oder
Ac ∈ F gilt.
Beispiel 7.4.
(1) Für jedes x ∈ X ist
Px := {A ⊆ X | x ∈ A}
ein Ultrafilter. Jeder Ultrafilter, der nicht diese Form hat, heißt frei.
(2) Sei X ein topologischer Raum und x ∈ X. Dann ist
Ux := {U ⊆ X | U Umgebung von x}
der Umgebungsfilter von x.
(3) Sei A ⊆ P (X) ein System mit der endlichen Durchschnittseigenschaft. Dann ist
{B ⊆ X | A ⊆ B für ein A ∈ A }
ein Filter. Insbesondere: ist (xλ )λ ein Netz in X, so ist
{A ⊆ X | ∃λ0 ∀λ ≥ λ0 : xλ ∈ A}
ein Filter.
(4) Sei f : X → Y eine Abbildung und F ⊆ P (X) ein Filter. Dann ist
f∗ F := {B ⊆ Y : f −1 (B) ∈ F }
der Bild-Filter. Ist F ein Ultrafilter, so auch f∗ F .
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Theorem 7.5. Jeder Filter ist in einem Ultrafilter enthalten.
Beweis. Der Beweis benutzt das Auswahlaxiom in der Form des Lemmas von Zorn. Sei
F ein Filter und P die Menge aller F enthaltenden Filter, geordnet durch Inklusion. Ist
K ⊆ P eine Kette, das heißt
S
K 6= 0/ und F 0 , F 00 ∈ K ⇒ F 0 ⊆ F 00 oder F 00 ⊆ F 0 ,
so ist auch K ein Filter (einfach). Nach dem Lemma von Zorn enthält P dann einen
maximalen Filter F 0 . Behauptung: F 0 ist ein Ultrafilter. Sei A ⊆ X. Falls A ∩ B = 0/ für
ein B ∈ F 0 , folgt B ⊆ Ac , also Ac ∈ F . Andernfalls ist
F 00 := {C ⊆ X | A ∩ B ⊆ C für ein B ∈ A }
ein Filter auf X, der F 0 enthält. Da F 0 maximal ist, folgt A ∈ F 00 = F 0 .
Stetigkeit und Kompaktheit kann man nun durch Konvergenz von Filtern bzw. Ultrafiltern charakterisieren:
Definition 7.6. Ein Filter F auf einem topologischen Raum X konvergiert gegen ein
x ∈ X, geschrieben F → x, falls Ux ⊆ F .
Satz 7.7. Eine Abbildung f : X → Y topologischer Räume ist genau dann stetig, wenn
für jeden Filter F auf X und jedes x ∈ X gilt: aus F → x folgt f∗ F → f (x).
Beweis. “⇒”: Sei V Umgebung von f (x). Dann ist f −1 (V ) eine Umgebung von x, also
f −1 (V ) ∈ F und V ∈ f∗ F .
“⇐”: Sei x ∈ X und V eine Umgebung von f (x). Für den Umgebungsfilter Ux gilt
Ux → x, also f∗ Ux → f (x), also V ∈ f∗ Ux , also U := f −1 (V ) ∈ Ux .
Sei F ein Filter auf X. Bzgl. A ≤ B :⇔ B ⊆ A ist dann F eine gerichtete Menge. Ein
Schnitt von F ist ein Netz (xA )A∈F mit xA ∈ A für alle A ∈ F . Für jeden solchen Schnitt
gilt (ÜA)
A→∞
F → x ⇒ xA −−−→ x.
Satz 7.8. Ein topologischer Raum X ist genau dann quasi-kompakt, wenn jeder Ultrafilter in X konvergiert.
Beweis. “⇒”: Sei F ein Ultrafilter, (xA )A∈F ein Schnitt, x ein Häufungspunkt von (xA )A
und U eine Umgebung von x. Falls U c ∈ F folgt xA 6∈ U für alle A ≥ U c , Widerspruch.
Also gilt U ∈ F und F → x.
“⇐”: Sei (xλ )λ∈Λ ein Netz in X und F der zugehörige Filter, F 0 ein Ultrafilter mit
F ⊆ F 0 , sei x ∈ X mit F 0 → x, und U eine Umgebung von x sowie λ ∈ Λ. Dann ist
U ∈ F 0 und {xλ0 : λ0 ≥ λ} ∈ F , also der Schnitt beider Mengen nicht leer. Somit ist x
ein HP von (xλ )λ .
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Nun haben wir alle Zutaten für einen kurzen Beweis des Satzes von Tychonoff:
Theorem 7.9 (Tychonoff). Sei I beliebig, (Xi )i∈I topologische Räume und X := ∏i Xi .
Dann gilt:
Xi (quasi-)kompakt für jedes i ∈ I ⇔ X (quasi-)kompakt.
Beweis. Bezeichne pi : X → Xi die Projektion.
“⇐”: Wende Satz 6.6 auf pi an.
“⇒”: Wir benutzen Satz 7.8. Sei F ⊆ X ein Ultrafilter. Für jedes i ist dann pi∗ F ein
Ultrafilter auf Xi , also pi∗ F → xi für ein xi ∈ Xi . Zeigen: F → x := (xi )i in X. Seien
V ⊆ X eine Umgebung von x. Wähle i1 , . . . , in ∈ I und Uk ∈ Xik offen für k = 1, . . . , n mit
−1
x ∈ p−1
i1 (U1 ) ∩ · · · ∩ pin (Un ) =: U ⊆ V.
Dann folgt xik ∈ Uk , wegen pik ∗ F → xik also Uk ∈ pik ∗ F , d.h. p−1
ik (Uk ) ∈ F und somit
U ∈ F und V ∈ F .
Praktische Anwendungen von Kompaktheit benutzen meist Konvergenz von Teilnetzen:
Definition 7.10. Ein Teilnetz von (xλ )λ ist ein Netz der Form (xλ(i) )i∈I , wobei I eine
gerichtete Menge und Abbildung λ : I → Λ eine Abbildung ist mit folgender Eigenschaft:
für jedes λ0 ∈ Λ existiert ein i0 ∈ I mit λ(i) ≥ λ0 für alle i ≥ i0 .
Bemerkung. Bezüglich der in Aufgabe 3 von Blatt 5 definierten Topologie auf Λ+ =
i→∞
Λ ∪ {∞} ist die Bedingung in (2) gleichbedeutend mit λi −−→ ∞.
Lemma 7.11. Für jedes x ∈ X sind folgende Aussagen äquivalent:
(1) x ist Häufungspunkt von (xλ )λ .
i→∞
(2) Es gibt ein Teilnetz (xλ(i) )i mit xλ(i) −−→ x.
Beweis. (1) ⇒ (2): Die Menge
I := {(λ,U) : λ ∈ Λ,U Umgebung von x}
ist gerichtet bezüglich (λ,U) ≤ (λ0 ,U 0 ) ⇔ λ ≤ λ0 ,U ⊇ U 0 . Wähle für jedes i = (λ,U) ∈ I
ein λ0 wie in (3) und setze λ(U,λ) := λ0 . Dann folgt xλ(i) → x: Ist U eine Umgebung von
x und λ0 ∈ Λ beliebig, i0 = (λ0 ,U) und i0 = (λ0 ,U 0 ) ≥ i0 , so folgt xλ(i0 ) ∈ U 0 ⊆ U.
(2) ⇒ (1): Sei U eine offene Umgebung von x und λ ∈ Λ. Wähle
• i1 ∈ I mit xi ∈ U für alle i ≥ i1 ,
• i2 ∈ I mit λ(i) ≥ λ für alle i ≥ i2 .
Dann folgt für i0 ≥ i1 , i2 und λ0 := λ(i0 ) erstens xλ0 ∈ U und zweitens λ0 ≥ λ.
Als Anwendung zeigen wir, dass Z als Gruppe mittelbar ist:
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Satz 7.12. Es gibt eine lineare Abbildung φ : l ∞ (Z) → C so, dass für alle f ∈ l ∞ (Z)
gilt:
(1) |φ( f )| ≤ k f k∞ ,
(2) f ≥ 0 ⇒ φ( f ) ≥ 0,
(3) φ( f ) = φ( f˜), wobei f˜(k) = f (k − 1) für alle k ∈ Z,
(4) lim f (k) = λ ⇒ φ( f ) = λ.
k→±∞
Beweis-Skizze. Betrachte für n ∈ N das n-te Cesaro-Mittel
n
1
φn : l ∞ (Z) → C, f 7→
∑ f (k).
2n + 1 k=−n
Diese φn erfüllen (1), (2) und
lim (φn ( f ) − φn ( f˜)) = 0
n→∞
sowie
lim φn ( f ) = λ
falls lim f (k) = λ
n→∞
k→±∞
für jedes f ∈ l ∞ (Z). Identifizieren wir
φn ≡ (φn ( f )) f ∈
∏
∞
f ∈l (Z)
|
Bk f k (0) ⊂ Cl
{z
=:K
}
∞ (Z)
,
so ist K nach Tychonoff kompakt und (φn )n besitzt ein konvergentes Teilnetz (φnλ )λ .
Dessen Grenzwert φ erfüllt dann (1)–(4).
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