310 Übersichtsarbeit Adipositas und Schmerzen – nur Ko-Morbiditäten oder mehr als das? Autor M. Reuss-Borst Institut Facharztpraxis am Rehabilitations- & Präventionszentrum, Bad Bocklet, Deutschland Schlüsselwörter ▶Adipositas ● ▶Schmerz ● ▶Zytokine ● ▶Entzündung ● ▶ körperliche Aktivität ● Zusammenfassung Abstract Viele Schmerz-Patienten sind adipös und viele adipöse Patienten klagen über lokalisierte oder auch generalisierte Schmerzen. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Ko-Inzidenz häufiger Erkrankungen. Adipositas kann durch mechanische Überlastung, aber auch durch die Wirkung proinflammatorischer Zytokine Schmerzen verursachen bzw. verstärken. Umgekehrt können Schmerzen z. B. durch Abnahme der körperlichen Aktivität oder Schlafstörungen auch zu einer (weiteren) Gewichtszunahme führen. Kompliziert wird die Gemengelage durch die Tatsache, dass eine Reihe individueller und sozio-ökonomischer Faktoren sowohl die Entwicklung einer Adipositas als auch die Schmerzzunahme und -chronifizierung fördern. In dieser Arbeit werden pathophysiologisch relevante Zusammenhänge zwischen Adipositas und Schmerzen beschrieben. Bei der Therapie adipöser Schmerzpatienten sollten die komplexen bio-psycho-sozialen Interaktionen berücksichtigt werden. Dies erfordert ein multimodales interdisziplinäres Vorgehen, das an verschiedenen Stellschrauben angreift. Many patients are obese and many obese pa­ tients complain of localised or generalised pain. This observation is not only due to the concurrence of frequent diseases. Obesity can enhance pain by mechanical overload and various effects of proinflammatory cytokines. On the other hand, pain can cause obesity due to physical inactivity and sleep problems. The interactions between obesity and pain are further complicated by the fact that numerous individual and socio-economic factors facilitate both the development of obesity and an increase and chronification of pain. In this article, the most relevant recognised pathophysiological interactions between obesity and pain are discussed. Knowledge of the complex bio-psycho-social interactions seems mandatory for the successful treatment of obese patients with pain. This implies a multimodal interdisciplinary treatment that considers the different aspects of the disease. Key Words ▶obesity ● ▶pain ● ▶cytokines ● ▶ inflammation ● ▶ physical activity ● Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0042-108725 Online-Publikation: 11.7.2016 Akt Rheumatol 2016; 41: 310–315 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0341-051X Korrespondenzadresse Prof. Dr. Monika Reuss-Borst Facharztpraxis am Rehabilitations- & Präventionszentrum Frankenstraße 36 97708 Bad Bocklet Deutschland Tel.: + 49/9708/799 200 Fax: + 49/971/6994 878 [email protected] ▼ Einführung ▼ In Deutschland ist fast ein Viertel der Erwachsenen adipös (BMI > 30), in den USA ist es fast jeder Dritte. Die weltweite Zunahme von Adipositas und Adipositas-assoziierten Erkrankungen stellt unsere Gesundheitssysteme vor gewaltige Herausforderungen. Ca. 3,4 Millionen Menschen versterben jährlich an den Folgen der Adipositas [1]. Auch die ökonomischen Folgen dieser Entwicklung durch direkte und indirekte Krankheitskosten sind besorgniserregend. Adipositas ist ein Risikofaktor für eine Vielzahl von Erkrankungen wie z. B. Diabetes mellitus, koronare Herzerkrankung (KHK), Gicht oder Gonarthrose – viele davon gehen mit Schmerzen einher. Reuss-Borst M. Adipositas und Schmerzen. Akt Rheumatol 2016; 41: 310–315 ▼ Auch (chronische) Schmerzen sind per se ein häufiges Symptom, das den Patienten zum Arzt führt. Ihre Prävalenz nimmt mit steigendem Alter ebenfalls zu. 13,5–47 % der Bevölkerung klagen über muskuloskeletale Beschwerden, die Prävalenz chronischer Schmerzen beträgt zwischen 11,4 und 24 % [2]. Die Ursachen von Schmerzen sind vielfältig und äußerst komplex. Nach der Pathophysiologie können vereinfacht periphere Schmerzen (sog. Nozizeptorschmerzen durch periphere Schädigung) von neuropathischen Schmerzen (Schmerzleitung- und ­Gedächtnis) und generalisierten (dysfunktionalen) Schmerzen als Störung des zentralen Schmerzund Stressverarbeitungssystems unterschieden werden. Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Pain and Obesity – Only Co-morbidities or More than that? Ein Großteil der Schmerz-Patienten ist übergewichtig oder adipös [3]. In einer Vielzahl von Studien wurde gezeigt, dass adipöse Patienten häufiger Schmerzen haben und die Intensität der Schmerzen bei ihnen stärker ist als bei Nicht-Adipösen [4]. Dies gilt nicht nur für chronische Schmerz-Syndrome wie z. B. dem Fibromyalgie-Syndrom (FMS) und chronischen Rückenschmerzen („Chronic low back pain“), sondern auch für Kopfschmerzen, abdominelle und neuropathische Schmerzen. Warum ist das so? Die zugrundeliegenden Mechanismen sind im Detail noch immer unklar. Schon lange ist bekannt: die zunehmende mechanische Belastung eines Gelenkes durch ein größeres Körpergewicht kann Schmerzen auslösen. Dass diese Erklärung zu kurz greift, zeigt schon die Tatsache, dass sich das gehäufte Vorkommen von Kopfschmerzen bei Adipösen durch diesen Pathomechanismus nicht erklären lässt. Können Schmerzen auch die Manifestation einer Adipositas begünstigen? Gibt es Faktoren, die Adipositas und Schmerzen fördern und wenn ja, welche? Auf diese Fragen soll im Folgenden etwas ausführlicher eingegangen und die derzeit bekannten Wechselwirkungen zwischen Adipositas und Schmerzen erörtert werden. sie dagegen bei 11,6 % [6, 7]. Schmerzen sind Frühsymptom einer Arthrose, lange bevor es in späteren Stadien auch zu zunehmenden Funktionseinschränkungen kommt. Der erhöhten mechanischen Belastung des Gelenkes z. B. bei der Gonarthrose oder der Facettengelenke bzw. Bindegewebsstrukturen und Bandscheiben der Wirbelsäule durch mehr Gewicht wird dabei eine wichtige pathophysiologische Bedeutung zugeschrieben. Durch die höhere mechanische Beanspruchung des Kniegelenkes bzw. der kleinen Wirbelgelenke werden periphere Mechanorezeptoren auf Knorpelzellen und Knochenzellen aktiviert [8]. Konsekutiv kommt es durch die Freisetzung von Metalloproteinasen zum Abbau der extrazellulären Knorpel-Matrix und zur Freisetzung von pro-inflammatorischen Zytokinen wie Interleukin-1. In der Folge kann die Bildung weiterer proinflammatorischer Prostaglandine und Zytokine induziert werden, die zur direkten Erregung von peripheren Nozizeptoren führen. Für eine Vielzahl von Mediatoren sind spezifische Rezeptoren auf den peripheren nozizeptven Endigungen bekannt. Histamin, Bradykinin, Adenosin, Prostaglandine, Leukotriene, Serotonin und Substanz P sind Substanzen, die bei der peripheren Schmerzentstehung eine wichtige Rolle spielen. Die resultierende chronische Begleit-Inflammation fördert wiederum die Progression der Arthrose (Osteoarthritis) und damit die weitere Freisetzung von inflammatorischen und schmerzauslösenden Mediatoren, was letztlich in einen ▶ Abb. 1). Circulus vitiosus mündet ( ● Gewichtsabnahme verzögert die Progression einer Arthrose [9] und geht mit einer Schmerzreduktion einher. Bereits eine ­Gewichtsreduktion von nur 5 kg hat eine signifikante Schmerzreduktion bei Gonarthrose zur Folge [10]. Bei der Gewichtsre- Adipositas kann Schmerz auslösen durch Mechanische Belastung Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Adipositas mit dem Auftreten, dem Schwergrad und der Progression einer Arthrose sowie auch (unspezifischen) chronischen Rückenschmerzen assoziiert ist [5]. Bei einem BMI < 25 beträgt die Prävalenz chronischer Rückenschmerzen weniger als 3 %, bei einem BMI > 40 liegt Tryptophan H N Depression H COOH NH2 Inhibitorische Schmerzmodulation↓ Serotonin↓ TH– IDO/TDO+ Kynurenin Leber Monozyten Schmerz↑ IL-6 MCP 1 CRP Adipozyt Extracell. Matrixdegeneration IL-6 TNF-α IL-6 TNF-α Mechanischer Stress Leptin Mechanorezeptor Metalloproteinasen Chondrozyten Osteozyten Inflammation IL-1 PG Histamin Bradykinin Schmerz↑ Abb. 1 Adipositas als Ursache von Arthrose und Schmerz durch mechanische Belastung und Wirkung proinflammatorischer Zytokine. IL-6 steigert die Aktivität von TDO und IDO, sodass ein verstärkter Abbau des Tryptophan zu Kynurenin stattfindet. Der daraus resultierende Mangel an Tryptophan führt zu einer verminderten Serotoninsynthese und konsekutiv zu einer Depression. CRP: C-reaktives Protein, IDO: Indolamin-2,3-Dioxygenase, IL: Interleukin, MCP1: Monozyten-Chemoattraktives-Protein, PG: Prostaglandine, TDO: Tryptophan-2,3-Dioxygenase, TH: Tryptophan-Hydroxylase, TNF: Tumornekrosefaktor Reuss-Borst M. Adipositas und Schmerzen. Akt Rheumatol 2016; 41: 310–315 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Übersichtsarbeit 311 312 Übersichtsarbeit Pro-inflammatorische Wirkungen des Fettgewebes Arthrosen sind bei adipösen Frauen häufiger als bei adipösen Männern. Auch nicht-gewichttragende Gelenke (z. B. die kleinen Fingergelenke) können arthrotisch verändert sein. Die Prävalenz chronischer Schmerz-Syndrome ist ebenfalls bei Frauen höher als bei Männern. In einer kürzlich publizierten Studie von Yoo et al. [13] konnte gezeigt werden, dass eine enge Assoziation von erhöhter Fettmasse bzw. Fett-Muskel-Verhältnis und der Prävalenz eines chronischen Schmerz-Syndroms besteht. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass die metabolisch-endokrine Funktion des Fettgewebes bei Schmerzen von adipösen Patienten ebenfalls von pathophysiologischer Bedeutung ist. Adipöse Patienten haben höhere Serum-Spiegel von Interleukin-6, TNF-alpha und CRP als normalgewichtige Patienten [14]. Interleukin-6, Interleukin-1ß und TNF-alpha werden im viszeralen Fettgewebe gebildet, das neben seiner EnergieSpeicher-Funktion zahlreiche endokrine Aufgaben („endokrines Organ“) wahrnimmt. Ein weiteres wichtiges, in den Fettzellen gebildetes Adipozytokin ist MCP-1 (Monocyte Chemoattractant Protein 1), das zur Akkumulation von Monozyten/Makrophagen im Fettgewebe führt, die ihrerseits wiederum proinflammatorische Zytokine wie z. B. Il-6 und TNF-alpha freisetzen und so die inflammatorische Reaktion des Fettgewebes verstärken [15]. Das im Fettgewebe gebildete Leptin aktiviert Makrophagen und proinflammatorische Zellen vom sog. Th1-Typ mit ebenfalls vermehrter Produktion proinflammtorischer Zytokine. Darüber ­hinaus scheint Leptin für die Entwicklung einer Arthrose bei Adipositas eine eigenständige Bedeutung zu besitzen, da im Tiermodell Leptin-KO (knock out) Mäuse trotz Adipositas keine Arthrose entwickeln [16]. Zusammengefasst ist die (viszerale) Adipositas mit einer Entzündungsreaktion und Hyperalgesie assoziiert [17]. Histamine, Prostaglandine, Bradykinin und andere Botenstoffe sind direkte Aktivatoren von peripheren Nozizeptoren. Die systemische Entzündungsreaktion spiegelt sich auch in erhöhten CRP-Werten wider. Bei Patientinnen mit Fibromyalgie-Syndrom korreliert der CRP-Spiegel mit dem BMI [18]. Findet sich ein erhöhter CRP-Spiegel bei Patienten mit Adipositas, so haben diese ein erhöhtes Risiko für chronische Rückenschmerzen (OR 2,87; 95 % CI 1,18–6,96) [19]. Reuss-Borst M. Adipositas und Schmerzen. Akt Rheumatol 2016; 41: 310–315 Auch bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ist Adipositas ein ungünstiger Risikofaktor. Adipöse Patienten, die an ­einer rheumatoiden Arthritis (RA) erkrankt sind, haben mehr Schmerzen, erreichen seltener eine Remission und zeigen einen ungünstigeren Krankheitsverlauf als normalgewichtige Rheumatiker [20]. Eine bariatrische Operation führt bei ihnen zu ­einer Abnahme der Krankheitsaktivität (DAS 28) und Entzündungsparameter (CRP-Wert) [21]. Hypovitaminosis D ▼ Bei adipösen Menschen wurden wiederholt niedrige Vitamin-D Spiegel berichtet [22]. Eine kürzlich publizierte Meta-Analyse, in der 3867 adipöse und 9342 gesunde Kontrollen analysiert wurden, bestätigte die Assoziation von Adipositas und Vitamin D-Mangel [23]. Ob es sich dabei um einen kausalen Zusammenhang handelt, bedarf weiterer Studien. Der Vitamin-D Mangel könnte z. B. Folge der geringeren körperlichen Aktivität bei Adipositas sein. Unbestritten ist, dass ein Mangel an Vitamin D auch mit (unspezifischen) muskulo-skeletalen Beschwerden assoziiert ist. Niedrige Vitamin-D Spiegel wurden bei unterschiedlichen Schmerz-Erkrankungen beobachtet, insbesondere unspezifischen muskulo-skeletalen Schmerzen, chronischen SchmerzSyndromen (CWP), Fibromyalgie-Syndrom, chronischen Rückenschmerzen sowie Kopfschmerzen [24]. Auch hier sind die pathophysiologisch relevanten Mechanismen im Detail noch ­unklar. Diskutiert wird, dass das Vitamin D sowohl periphere Nozizeption als auch zentrale Schmerzverarbeitungsprozesse modulieren kann [24]. Dem Vitamin D werden auch anti-inflammatorische Wirkungen zugeschrieben, die bei einem VitaminD-Mangel ein Ungleichgewicht zugunsten pro-inflammatorischer Zytokine begünstigen könnten. Die Übergänge von einem Vitamin D-Mangel zu einer manifesten Osteomalazie sind fließend. Leitsymptome sind dann u. a. dumpfe, lokalisierte oder auch generalisierte Knochenschmerzen. Eine Erhöhung der alkalischen Phosphatase sowie ein erniedrigtes Serum-Phosphat und/oder 25-OH-Vitamin D3 sollten an eine Osteomalazie als seltene Ursache von (generalisierten) Schmerzen denken lassen [25]. Schmerzen können Adipositas begünstigen durch Mangelnde körperliche Aktivität Körperliche Inaktivität als Folge chronischer Schmerzen kann bei gleichbleibender Energiezufuhr eine Gewichtszunahme begünstigen. So berichten Patienten mit chronischen Schmerz-Syndromen häufig über eine Gewichtszunahme seit Auftreten der Beschwerden. Nur 12,9 % der männlichen und 7,7 % der weiblichen Patienten mit einer Gonarthrose setzen die Empfehlungen für körperliche Aktivität im Alltag um [26]. Inaktive adipöse Patienten mit Rückenschmerzen haben mehr Schmerzen als aktive adipöse Patienten, was die vielfältigen positiven Effekte körperlicher Aktivität u. a. auch auf psychosoziale Symptome wie Depression, Angst, Selbstbewusstsein, soziale Isolation und Lebensqualität unterstreicht. Seit Langem ist bekannt, dass strukturelle Veränderungen z. B. bei der Gonarthrose alleine das Schmerzausmaß nicht erklären können und vor allem auch andere psychosoziale Faktoren einen wichtigen Einfluss auf Schmerzverarbeitung und –wahrnehmung haben [27]. Häufig resultiert Schmerz allerdings in körperlicher Inaktivität („Schonverhalten“) und fördert damit die Chronifizierung und Zunahme Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. duktion kommen meist multimodale Programme zum Einsatz, die diätetische Maßnahmen (geringere Energiezufuhr) und Sport- und Bewegungstherapie (erhöhter Energieverbauch) umfassen. Dabei müssen mit Blick auf die Wirkungen körperlicher Aktivität auch andere (nicht-gewichtsabhängige) schmerzreduzierende Wirkungen z. B. Kräftigung der gelenkumgreifenden Muskulatur durch Medizinische Trainingstherapie und verbesserte neuromuskuläre Koordination durch Bewegungstherapie berücksichtigt werden. Die in multimodalen Therapiestudien beobachtete Besserung der Schmerzen ist deshalb nicht ausschließlich auf Abnahme des Körpergewichts zurückzuführen . Die hohe mechanische Belastung erklärt auch die Beobachtung, dass Fuß-Schmerzen signifikant häufiger von adipösen als von normalgewichtigen Menschen angegeben werden [11]. Allerdings konnten Walsh et al. [12] zeigen, dass der mit der Ganzkörperfettmessung (DXA) bestimmte erhöhter FMI (Fettmasse-Index) und nicht der FFMI (Fettfreie Masse Index) mit Schmerzen in den Füßen assoziiert ist, ein Hinweis darauf, dass die mechanische Belastung allein nicht ausschließlich Ursache der Schmerzen sein kann. Übersichtsarbeit 313 Endog. Opioide Essen R. magnus Vitamin D Mangel Inaktivität Schmerz Depression IL-6 Hypothalamus Inflammation Cortison Periphere Insulinresistenz Adipositas metabolisches Syndrom Arthrose Schlafstörung Abb. 2 Komplexe (wechselseitige) Interaktion zwischen Schmerzen, Adipositas und häufigen Begleitfaktoren. IL: Interleukin, R. magnus: Raphe magnus. des Schmerzes sowie die weitere Gewichtszunahme („Circulus vitiosus). Körperliche Inaktivität kann nicht nur Reaktion des Patienten auf Schmerzen und auch Adipositas sein, sondern auch Ausdruck einer depressiven Grundstimmung mit vermindertem Antrieb. Depressive Verstimmungen fördern die Entwicklung ▶ Abb. 2). von Schmerzen sowie der Adipositas ( ● Schlafstörungen Bei Patienten mit chronischen Schmerzen sind Schlafstörungen häufig. Sie treten bei 53 % der Patienten mit chronischen Schmerzen im Vergleich zu 3 % bei alters-und geschlechtsgematchten Kontrollen auf [28]. Umgekehrt, berichten > 40 % der Patienten mit Schlafstörungen über chronische Schmerzen. Adipöse FMS-Patientinnen leiden häufiger unter Schlafstörungen als nicht-adipöse Patientinnen [29]. Bei ihnen korreliert das Ausmaß der Schlaflosigkeit bzw. Schläfrigkeit mit dem BMI. FMS-Patientinnen mit Schlafstörungen nehmen stärker an ­Gewicht zu als ohne Schlafstörungen. Auch im Maus-Tiermodell fördern Schlafunterbrechungen die Entwicklung einer Adipositas [30]. Eine Ursache für die Auswirkungen des Schlafmangels könnten die Appetithormone Leptin und Ghrelin sein. Ghrelin steigert Hungergefühle, Leptin dämpft den Appetit. Bei Schlafmangel nimmt die Konzentration von Leptin ab und Ghrelin zu, was erklären würde, dass Schlafmangel zu größerem Appetit und Übergewicht führt. Essen als Analgetikum („Eating Analgesia“) Essen kann bei (chronischen) Schmerzen eine analgetische Wirkung haben. Ein analgetischer Effekt wurde dabei nur für gut schmeckende Nahrungsmittel nachgewiesen und hält -zumindest im Experiment- nur so lange an wie Nahrung zugeführt wird [31]. Die hohe und ständige Verfügbarkeit kaloriendichter Nahrungsmittel („Junk Food“) steigert die Gefahr einer Gewichtszunahme von Patienten mit Schmerzen. Zugrunde liegt dieser Reaktion vermutlich die Ausschüttung endogener Cannabinoide sowie die Stimulierung bestimmter Hirnzentren wie dem Raphe magnus [32]. Dieser aktiviert ist inhibitorische Neurone, die die aus der Peripherie kommenden Schmerzfasern hemmen und Schmerzempfindungen drosseln. Neurotransmitter der Raphe-Kerne ist Serotonin. Faktoren, die zu Schmerzen und Adipositas prädisponieren Depression Depressionen sind ein wichtiger Risikofaktor für Schmerzen und auch Adipositas. Bei der komplexen Interaktion von Schmerz, Adipositas und Depression scheint dem (proinflammatorischen) Interleukin-6 ebenfalls eine pathophysiologische Bedeutung zuzukommen, in dem es die Bildung von Serotonin aus Tryptophan hemmt. Serotonin-Depletion ist nicht nur bei der Depression, sondern auch bei der zentralen Schmerzverarbeitung von pathophysiologischer Bedeutung (s. o.). Serotonin-Re-UptakeHemmer sind seit Langem eine etablierte Therapie von Schmerzen und auch Depressionen. Typisch für depressive Patienten sind zudem funktionelle Einschränkungen mit verminderter körperlicher Aktivität, Antriebslosigkeit, geringer Motivation und Selbstwirksamkeit – alles Faktoren, die sowohl die Entwicklung eines Schmerz-Syndroms als auch der Adipositas begünstigen können. Metabolisches Syndrom Eine Hyperinsulinämie als Folge zunehmender Insulinresistenz kann das sympathische Nervensystem aktivieren und die Freisetzung von Adrenalin fördern. Katecholamine lösen über die Stimulation afferenter Nervenfasern Schmerzen aus. So konnte bspw. gezeigt werden, dass Patienten mit FMS erhöhte Noradrenalinspiegel aufweisen können [33]. Umgekehrt können inflammatorische Zytokine, vor allem Interleukin-1 auch zu einem Anstieg des Cortisolspiegels durch Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse führen mit konsekutiven BZ-Anstieg und damit eine Insulinresistenz fördern. Sozio-ökonomische Faktoren Sowohl Adipositas als auch chronische Schmerz-Syndrome sind invers mit dem sozio-ökonomischen Status assoziiert sind [34]. Psychosoziale Stressoren spielen bei beiden Krankheitsbildern eine wichtige Rolle. Daher sollten persönliche und umweltbezoge▶ Tab. 1). ne Kontextfaktoren berücksichtigt und erfragt werden ( ● Einkommen, Bildung, Arbeitszufriedenheit, Arbeitsplatzsicherheit u. a. sind invers korreliert mit chronischen Schmerz-Syndromen und Adipositas. Negative Kindheitserfahrungen (Gewalterfahrung, Mißbrauch usw.) prädisponieren zu Adipositas und Schmerz-Syndromen [35]. Förderliche Kontextfaktoren wie z. B. soziale Unterstützung sind oft nur gering ausgeprägt. Schmerzen sind ein komplexes Symptom, dessen Entwicklung, WahrReuss-Borst M. Adipositas und Schmerzen. Akt Rheumatol 2016; 41: 310–315 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. IL-1 314 Übersichtsarbeit Persönliche Faktoren: Alter Geschlecht Genetische Faktoren Psychische Ko-Morbiditäten – z. B. Depression/Angststörungen Körperliche Inaktivität Schlafstörungen Trauma-, Gewalterfahrung in der Anamnese Kultureller Hintergrund Sozialisation Sozio-ökonomische (Umwelt)-Faktoren Geringes Einkommen Geringe Bildung Arbeitslosigkeit/Arbeitsplatzsicherheit Einfache körperliche Tätigkeiten Soziale Unterstützung Soziale Absicherung nehmen und -Erleben von vielfältigen bio-psycho-sozialen Faktoren beeinflusst wird. Ein Großteil dieser Faktoren sind auch Risikofaktoren für die Entwicklung einer Adipositas, was zu komplexen Interaktionen führen kann. Auch wenn die genauen pathophysiologischen Zusammenhänge noch unklar sind, kann sog. „toxischer“ Stress durch psycho-soziale Stressoren zur Aktivierung der Hypothalamus-HypophysenNNR-Achse und erhöhten Ausschüttung von Cortison führen. Dies steigert das Verlangen nach mehr Glukose (als wichtigste Energiequelle des Gehirns). Die gesteigerte Zufuhr hochkalorischer Nahrung („Comfort Food“) bei Dauerstress führt zu Gewichtszunahme, vor allem Zunahme des visceralen (metabolisch aktiven) Fettgewebes [36] mit den bereits dargestellten Auswirkungen. Das Erlernen von Bewältigungsstrategien (u. a. auch Umgang mit individuellen und sozialen Stressfaktoren) spielt deshalb in der multimodalen (interdisziplinären) Therapie von Schmerz und Adipositas eine wichtige Rolle. Fazit ▼ Das Zusammenspiel von Adipositas und Schmerz ist äußerst komplex. Adipositas fördert durch Freisetzung proinflammatorischer Zytokine sowie durch mechanische Überlastung das Auftreten von Schmerzen. Schmerzen können z. B. durch verminderten Energieverbauch bei körperlicher Inaktivität und vermehrte Zufuhr energiereicher Nahrung („Analgetisches Essen“) zur Gewichtszunahme und Adipositas führen. Depressionen, Trauma- und Missbrauchserfahrungen sowie sozioökonomischer Status (geringe Bildung und Einkommen, einfache Tätigkeiten) begünstigen sowohl Adipositas als auch Schmerzen. Auch genetische Faktoren spielen vermutlich eine Rolle. Ein besseres Verständnis der komplexen Interaktion von Schmerz und Adipositas ist daher notwendig, um bessere multimodale Therapiestrategien bei adipösen Schmerzpatienten in der Routineversorgung zu implementieren. Interessenkonflikt: Nein Reuss-Borst M. Adipositas und Schmerzen. Akt Rheumatol 2016; 41: 310–315 Literatur 1 Factsheet. World Health Organization.http://www.who.int/mediacen tre/factsheets/en/ last accessed on June 24, 2014 2 Cimmino MA, Ferrone C, Cutolo M. Epidemiology of chronic musculoskeletal pain. Best Pract Res Clin Rheumatol 2011; 25: 173–183 3 Chronic Pain in America: Roadblocks to Relief. American Pain Society Web site. 1999. 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