Jahrbuch 2009/2010 | Hoang, André | Effektive Feldtheorien in der Elementarteilchenphysik Effektive Feldtheorien in der Elementarteilchenphysik Effective field theories in elementary particle physics Hoang, André Max-Planck-Institut für Physik, München Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Effektive Feldtheorien sind Grundw erkzeuge für Vorhersagen in der Elementarteilchenphysik. Beim gerade anlaufenden Large Hadron Collider sind effektive Feldtheorien w ichtig, um die Effekte der starken Wechselw irkung genau zu beschreiben und um die Suche nach neuer Physik zu ermöglichen. Im vorliegenden Übersichtsartikel w erden die Prinzipien von effektiven Feldtheorien vorgestellt und die w ichtigesten effektiven Feldtheorien in der Elementarteilchenphysik erklärt. Am Max-Planck-Institut für Physik w urden viele Beiträge zur Entw icklung und zur Anw endung von effektiven Feldtheorien gemacht. Summary Effective field theories represent one of the main tools to make predictions in elementary particle physics. They are particularly important for the Large Hadron Collider to achieve accurate descriptions of the effects of the strong interactions and are therefore an important ingredient in the search for new physics. In this review article the basic principles of effective field theories are described, and the most important effective field theories used in research are presented. Members of the MPI for Physics have made many contributions in the development and the application of effective field theories. Einführung Es ist ein w ohlbekanntes Prinzip in der Physik, dass die Dynamik von Systemen bei niedrigen Energien oder großen Abständen nicht direkt von der Dynamik bei sehr kleinen Abständen oder großen Energien abzuhängen scheint. So lassen sich Autos mithilfe von Gesetzen aus der klassischen Mechanik bauen (oder fahren), ohne dass man dafür die Prinzipien der Quantenmechanik bemühen müsste. In der Physik benutzt man eine Lagrangefunktion, um ein System vollständig zu beschreiben. Alle Bew egungsgleichungen lassen sich aus ihr ableiten. Um also eine Lagrangefunktion für ein Niederenergiesystem zu formulieren, braucht man dafür lediglich die experimentell sichtbaren relevanten Freiheitsgrade, und die Dynamik w ird vollständig durch die Wechselw irkungsterme beschrieben, die in der Lagrangefunktion enthalten sind. Auf der anderen Seite ist es aber auch klar, Materialkonstanten dass die Quantenmechanik w erden offensichtlich für durch den Autobau sie bestimmt. sehr In w ohl der relevant ist, denn Lagrangefunktion die eines Niederenergiesystems sind es die Koeffizienten der Wechselw irkungsterme, die den Materialkonstanten © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/9 Jahrbuch 2009/2010 | Hoang, André | Effektive Feldtheorien in der Elementarteilchenphysik entsprechen. Also bestimmt die Dynamik bei sehr kleinen Abständen die Kopplungsstärke der Wechselw irkungsterme. Auf der anderen Seite ist es aber auch möglich, die Materialkonstanten oder Kopplungen einfach nur aus Experimenten zu bestimmen. W ill man die Genauigkeit der Beschreibung erhöhen, kann es sein, dass man w eitere kleine Effekte berücksichtigen und somit mehr Materialkonstanten bzw . Kopplungsterme einführen muss. Die Schrödinge r-Gle ichung. Es we rde n die in de r Ele m e nta rte ilche n übliche n Einhe ite n m it ħ=c=1 be nutzt. Da s be de ute t, da ss dim e nsionsbe ha fte te Größe n in Einhe ite n von de r Ene rgie ge m e sse n we rde n k önne n. In de r Ele m e nta rte ilche nphysik be nutzt m a n da be i übliche rwe ise die Einhe it Ele k trone nvolt (e V). © Ein allgemein bekanntes konkreteres Beispiel aus der Quantentheorie ist das Wasserstoffatom. Im nichtrelativistischen Grenzfall lassen sich die Energieniveaus mithilfe der Schrödinger-Gleichung (Abb. 1) berechnen, w elche die Dynamik eines Elektrons im Coulombfeld des Protons beschreibt. An dieser Stelle braucht man lediglich die Elektronmasse me und die Feinstrukturkonstante α und man erhält das bekannte Balmerspektrum mit E n = me α 2 /2n 2 . Diese Beschreibung ist genau bis auf Korrekturen der Größenordnung α 2 . Um eine auch in dieser Ordnung korrekte Beschreibung zu erreichen, muss man relativistische Korrekturen und den Elektronspin als zusätzliche Operatoren in die Schrödinger-Gleichung einbauen. W ill man auch die Hyperfeinstruktur beschreiben, so muss auch das magnetische Moment des Protons berücksichtigt w erden. Dieses Verfahren lässt sich im Prinzip beliebig w eiterführen. Um eine bestimmte Genauigkeit zu erhalten, braucht man aber immer nur eine endliche Zahl an W echselw irkungstermen zu berücksichtigen. Die gerade beschriebene Wasserstofftheorie ist ein einfaches Beispiel für eine sogenannte effektive Feldtheorie. Effektive Feldtheorien sind quantenfeldtheoretische Modelle, die eine näherungsw eise Beschreibung eines Systems liefern. Nachdem man die kleinen Entw icklungsparameter in einem System ausfindig gemacht und eine bestimmte Ordnung der Beschreibung festgeschrieben hat, lässt sich eine Lagrangedichte formulieren, die feldtheoretische Verallgemeinerung der oben erw ähnten Lagrangefunktion. Effektive Feldtheorien sind gew issermaßen Taylorentw icklungen von fundamentalen Theorien. Analog zu einer Taylorentw icklung ist der Gültigkeitsbereich einer effektiven Theorie auf einen bestimmten Niederenergiebereich eingeschränkt. In der modernen Elementarteilchenphysik gibt es eine Reihe von effektiven Feldtheorien, die bei verschiedenen Prozessen angew endet w erden. Diese beinhalten die Wechselw irkungen von Hadronen und Leptonen bei niedrigen Energien bis hin zu hochenergetischen Jets, w elche bei Beschleunigerexperimenten w ie dem Large-Hadron-Collider (LHC) am CERN in Genf beobachtet w erden. In vielen Fällen sind effektive Feldtheorien die einzige Möglichkeit, um genaue quantitative Vorhersagen zu machen, bei denen Effekte der starken Wechselw irkung auftreten. Sie sind deshalb w esentlich bei der Suche nach neuer Physik. In diesem Artikel w erden die elementaren Prinzipien dargestellt, die bei der Konstruktion von effektiven Feldtheorien eingehen und einige der w ichtigsten effektive Feldtheorien vorgestellt, die in der modernen Elementarteilchen Anw endung finden. Konstruktion von effektiven Feldtheorien Eine effektive Feldtheorie ist bestimmt durch die Wahl der Quantenfelder φ 1 , φ2 , ... und die Form der © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/9 Jahrbuch 2009/2010 | Hoang, André | Effektive Feldtheorien in der Elementarteilchenphysik Lagrangedichte L(φ1 , φ2 , ...), die aus den Quantenfeldern zusammengesetzt ist. Die Quantenfelder beschreiben die Freiheitsgrade für w elche die Feldtheorie formuliert w erden soll. Im Allgemeinen startet die Konstruktion also mit der Ausw ahl der Freiheitsgrade, die durch die Quantenfelder beschrieben w erden sollen. In vielen Fällen ist diese Wahl relativ einfach und man nimmt hierfür Teilchen mit Massen unterhalb einer bestimmten Energieskala Λ. Schw erere Teilchen w erden nicht berücksichtigt. Deren Effekte sind ausintegriert, beeinflussen aber über Quanteneffekte die W echselw irkungen der leichten Quantenfelder. Hat man die Quantenfelder φ1 ,φ2 , ... identifiziert, konstruiert man die Lagrangedichte aus dem allgemeinsten Polynom, das man aus den Quantenfeldern konstruieren kann. Die Produkte von Quantenfelder, die in dem Polynom vorkommen, nennt man Feldoperatoren. Dabei ist w ichtig, dass die Lagrangedichte unter bestimmten Symmetrietransformationen invariant ist, w ie der Poincaré-Symmetrie oder z. B. einer Eichsymmetrie. Dadurch w ird die Zahl der erlaubten Feldoperatoren eingeschränkt und unter Umständen eine Relation zw ischen verschiedenen Kopplungen hergestellt. Die absoluten Werte der Kopplungen w erden dadurch aber nicht festgelegt. Da die W irkung, das Zeit-Raum-Integral der Lagrangedichte S = ∫ d 4 x L (φ1 ,φ2 , ...) eine Zahl ist, hat die Lagrangedichte die Massendimension 4. Daraus lässt sich ableiten, dass bosonische Felder die Massendimension 1 und fermionische Felder die Massendimension 3/2 besitzen. Dadurch hat jeder Feldoperator ebenfalls eine Massendimension und man kann die Lagrangedichte in der Form L = L ≤4 + L 5 +L 6 … schreiben, w obei L ≤4 alle Feldoperatoren mit Massendimension ≤ 4 und L k alle Feldoperatoren mit Massendimension k enthält. Da die W irkung dimensionslos ist, haben die Feldoperatoren in L k >4 Kopplungen mit der Massendimension 4–k ≤4 also die w ichtigsten, w ährend die Terme in L k >4 um so kleinere Effekte haben, je größer der Wert von k ist. Diese Aufteilung entspricht einem Entw icklungsschema. Die kleinen Entw icklungsparameter sind dabei das Verhältnis von typischen Niederenergieskalen, w elche die effektive Theorie beschreibt, und von Hochenergieskalen, die aus der Theorie ausintegriert w urden. Häufig gibt es in einer effektiven Theorie mehrere dieser Entw icklungsparameter. Die Festlegung der Entw icklungsparameter und gegebenenfalls die Relation dieser zueinander nennt man Power-Counting. Ist man also an einer bestimmten Genauigkeit interessiert, nimmt man entsprechend nur eine endliche Anzahl von Termen aus der effektiven Lagrangedichte mit. Ist die fundamentale Theorie eine Feldtheorie, die sich störungstheoretisch behandeln lässt, kann man die Kopplungen der effektiven Theorie mit der sogenannten Matching-Prozedur berechnen. Renormierungsgruppengleichungen Bei der Berechnung von Quantenkorrekturen in Feldtheorien führen die auftretenden Integrationen über die virtuellen Zustände im Allgemeinen zu Divergenzen bei großen Impulsüberträgen. In effektiven Feldtheorien lassen sich diese Divergenzen in jeder Ordnung im Pow er-Counting in eindeutiger Weise in die Kopplungen absorbieren. Erst diese renormierten Kopplungen haben physikalische Bedeutung. Technisch führt man diese Renormierungsprozedur im Rahmen eines Regularisierungsverfahrens durch, das einen Impulsabschneideparameter μ einführt, oberhalb dessen keine Integrationen mehr ausgeführt w erden. Daraus resultieren die sogenannten Renormierungsgruppengleichungen, Differentialgleichungen w elche die Änderung der Kopplungen mit μ beschreiben. Interessanterw eise ist das mathematische Verhalten einer effektiven Feldtheorie und der dazugehörigen fundamentalen Feldtheorie bei hohen Energien sehr verschieden. Deshalb sind auch die Renormierungsgruppengleichungen in beiden Theorien im Allgemeinen © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/9 Jahrbuch 2009/2010 | Hoang, André | Effektive Feldtheorien in der Elementarteilchenphysik sehr verschieden. Dadurch ist es möglich, effektive Theorien zu benutzen, um große logarithmische Beiträge zu berechnen, die in der fundamentalen Theorie in Quantenkorrekturen höherer Ordnungen auftreten. Speziell in der Elementarteilchenphysik an Beschleunigerexperimenten ist die Summation von großen logarithmischen Korrekturen in verschiedenen Prozessen heute eine der Hauptanw endungen von modernen effektiven Feldtheorien. Bei der Suche von neuen bisher nicht entdeckten Elementarteilchen, die naturgemäß sehr große Massen besitzen, benutzt man an Beschleunigern immer Prozesse, bei denen auch sehr kleine Skalen vorkommen. Die Aufsummation von großen logarithmischen Quantenkorrekturen ist dabei für die Berechnung solcher Prozesse unerlässlich. Im Folgenden w erden nun die w ichtigsten effektiven Feldtheorien besprochen, die in der modernen Elementarteilchenphysik Verw endung finden. Das Standardmodell Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik ist eine effektive Feldtheorie, deren Lagrangedichte nur Feldoperatoren mit Dimension ≤ 4 besitzt. Die im Standardmodell beschriebenen Materie-Elementarteilchen sind sechs verschiedene Leptonen (das Elektron e, das Myon μ und das Tauon τ mit den jew eils dazugehörigen Neutrinos νe , νμ , ντ) und sechs verschiedene Quarks (Up: u, Dow n: d, Charm: c, Strange: s, Top: t und Bottom: b). Die Quarks w erden oft auch „Flavours“ genannt. Das Standardmodell beschreibt die starke, schw ache und elektromagnetische Wechselw irkung der Materieteilchen. Die Struktur der Wechselw irkungen w ird durch eine Eichsymmetriegruppe der Form SU(3)×SU(2)×U(1) festgelegt, w obei die SU(3)-Gruppe die starke Wechselw irkung und die SU(2)×U(1) die elektroschw achen Wechselw irkungen bestimmen. Eichsymmetrien haben die spezielle Eigenschaft, dass die Symmetrietransformationen raum- und zeitabhängig sind. Man nennt sie deshalb lokale Symmetrien. Daraus resultiert, dass Wechselw irkungen zw ischen den Materieteilchen nur über Wechselw irkungsteilchen, den Eichbosonen vonstatten gehen. Dies sind die Gluonen für die starke Wechselw irkung, die W - und Z-Bosonen für die schw ache Wechselw irkung und das Photon γ für die elektromagnetische Wechselw irkung. Die Quarks sind keine beobachtbaren Freiheitsgrade sondern durch gluonische Wechselw irkungen immer in Form von Hadronen gebunden. In Prozessen bei hohen Energien ist die Benutzung von Quarks und Gluonen allerdings gerechtfertigt, da sich die Effekte der starken Wechselw irkung bei großen Impulsüberträgen störungstheoretisch mit Quarks und Gluonen berechnen lassen. Da die Eichsymmetrien Operatoren für die Masse in der Lagrangedichte verbieten, erhalten alle Teilchen ihre Masse durch Wechselw irkung mit dem Higgsboson, w elches im Grundzustand einen endlichen Wert besitzt. Bis auf das theoretisch postulierte Higgsboson sind alle im Standardmodell vorkommenden Elementarteilchen experimentell beobachtet w orden. Ein Hauptziel der Experimente, die am LHC durchgeführt w erden, ist der Nachw eis des Higgsbosons. Das Standardmodell beschreibt erfolgreich alle in Beschleunigerexperimenten beobachteten Größen mit der experimentell erreichten Genauigkeit. Allerdings gibt man sich in der Elementarteilchenphysik damit nicht zufrieden, da man klären möchte, aus w elcher fundamentalen Theorie das Standardmodell abgeleitet ist. Dabei ist es ein Ziel, die mehr als 20 Kopplungen und Parameter des Standardmodells, die bislang lediglich experimentell gemessen sind, aus dieser fundamentalen Theorie abzuleiten. Es gibt viele experimentelle und theoretische Hinw eise auf eine fundamentale Theorie. So ist z. B. die in der Astrophysik beobachtete dunkle Materie nachw eislich kein Teilchen des Standardmodells. Von den Experimenten am LHC erhofft man sich den Nachw eis von neuen, nicht im Standardmodell enthaltenen, Elementarteilchen und somit konkrete Informationen über die Struktur dieser fundamentalen Theorie. Eine in der Elementarteilchenphysik im Detail studierte Alternative zum Standardmodell ist das sogenannte minimale supersymmetrische © 2010 Max-Planck-Gesellschaft Standardmodell, bei dem w w w .mpg.de zu der im Standardmodell implementierten 4/9 Jahrbuch 2009/2010 | Hoang, André | Effektive Feldtheorien in der Elementarteilchenphysik SU(3)×SU(2)×U(1)-Eichsymmetrie zusätzlich noch eine Symmetrie zw ischen Bosonen und Fermionen – eine sogenannte Supersymmetrie – angenommen w ird. In dieser Theorie verdoppelt sich die Anzahl der Elementarteilchen, da zu jedem Boson des Standardmodells noch ein dazugehöriges Fermion und für jedes Fermion des Standardmodells noch ein dazugehöriges Boson postuliert w ird. Bislang ist nicht nachgew iesen, ob die Supersymmetrie in der Natur realisiert ist. Das minimale supersymmetrische Standardmodell ist ebenfalls eine effektive Theorie und hat mehr als 100 Kopplungen. Die chirale Störungstheorie Die chirale Störungstheorie [1] Elementarteilchenphysik. Sie Quantenchromodynamik (QCD), ist w urde der bereits der Prototyp in den moderner 1970er-Jahren SU(3)-Eichtheorie für die effektiver Feldtheorien noch der starke vor in der Entw icklung der Wechselw irkung, oder des Standardmodells entw ickelt. Die chirale Störungstheorie beschreibt die starke Wechselw irkung der leichtesten Hadronen bei sehr kleinen Energieüberträgen. Diese Hadronen sind die Pionen π, Kaonen (K) und η-Teilchen, w elche aus den leichten u-, d- und s-Quarks bestehen. Die chirale Störungstheorie basiert ausschließlich auf Symmetrieprinzipien und sie erlaubt Berechnungen auszuführen, w elche im Rahmen der QCD auch mit heutiger Technologie noch unmöglich sind. Vernachlässigt man die Massen der drei leichtesten Quarkflavours u, d und s, so hat die Lagrangedichte der QCD eine chirale Flavour-Symmetrie mit der Gruppenstruktur SU(3)L ×SU(3)R , die im (u,d,s)-Raum für die chiralen links- und rechtshändigen Quarkfelder gültig ist. Die Flavour-Symmetrien sind im Gegensatz zu den Eichsymme trie n global, d. h. die Symmetrietransformationen sind raum- und zeitunabhängig. Von dieser chiralen Symmetrie ist nur die vektorielle Untergruppe SU(3)V im experimentell beobachteten Hadronenspektrum sichtbar. Der übrige Teil der Symmetrie w ird beim Übergang von den Quarks und Gluonen zu den Hadronen gebrochen. W ie genau dies geschieht, ist bislang im Rahmen der QCD noch nicht quantitativ berechenbar. Aber man geht davon aus, dass die Brechung spontan ist. Das bedeutet, dass lediglich der Grundzustand der starken Wechselw irkung die Symmetrie teilw eise bricht, w ährend die Symmetrie in der Dynamik w eiterhin vorliegt. Die Goldstonebosonen sind gerade die nach dem Goldstone-Theorem Pionen, Kaonen und das dabei auftretenden η-Teilchen. Die masselosen Lagrangedichte dieser Goldstonebosonen kann man bis heute noch nicht aus der QCD ableiten. Ihre Form ist jedoch aufgrund der Symmetrie unter Transformation der SU(3) L ×SU(3)R stark eingeschränkt. In diese Theorie lassen sich nur mithilfe von Symmetrieüberlegungen auch die Effekte der nichtverschw indenden Quarkmassen, der elektrischen und auch der schw achen Wechselw irkung integrieren. Aufgrund der nichtverschw indenden Quarkmassen bekommen dann auch die Goldstonebosonen nichtverschw indene Massen. Die Lagrangedichte der chiralen Störungstheorie stellt eine Entw icklung in p/Λ und mq Λ dar, w obei p der Impuls der Goldstonebosonen und mq die Massen der u-, d- und s-Quarks darstellt. Die Skala Λ ist etw a 1 GeV. Zu den bekanntesten Resultaten, die man aus den führenden Ordnungen der chiralen Störungstheorie ableiten kann, zählen z. B. die Gell-Mann-Okubo-Formel 4 M2 K0 = 3 Mη 2 + Mπ 2 eine Relation zw ischen den Massen der neutralen Kaonen, den Pionen und dem η-Teilchen, oder die Beschreibung des Zerfalls eines neutralen Pions in zw ei Photonen, π 0 → γγ. Die chirale Störungstheorie w ird unter anderem intensiv bei der Analyse von Kaon-Zerfällen eingesetzt und spielt auch eine sehr w ichtige Rolle im Rahmen der QCD-Gittereichtheorie, w o Rechnungen häufig nur in Bereichen des Parameterraumes ausgeführt w erden können, die nicht den experimentell relevanten Bereichen entsprechen. Die chirale © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/9 Jahrbuch 2009/2010 | Hoang, André | Effektive Feldtheorien in der Elementarteilchenphysik Störungstheorie w ird auszuführen. Die dabei benutzt, um konsistente chirale Störungstheorie lässt sich Extrapolationen in erw eitern, sodass den sie physikalischen die Bereich Wechselw irkung der Goldstonebosonen mit Baryonen (z. B. Neutronen, Protonen) oder schw eren Mesonen (D- oder B-Mesonen) beschreibt. Diese theoretischen Erw eiterung spielen heute eine w ichtige Rolle in der theoretischen Kernphysik. Niederenergietheorie der schwachen Wechselwirkung Für Prozesse, bei denen der Energieübertrag von der Größenordung w eniger GeV ist, kann man zu einer effektiven Feldtheorie des Standardmodells übergehen, bei der die W - oder Z-Bosonen und zusätzlich auch das Higgsboson und das Top-Quark ausintegriert sind, da deren Massen größer als 80 GeV sind. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist z. B. der Zerfall des Myons in ein Elektron und zw ei Neutrinos, μ – → e – νμ anti-νe oder der nuklare β-Zerfall, n→ p + e – + anti-νe , der auf dem Quarkniveau der Reaktion d → e – + anti-νe entspricht. Für den Zerfall des Myons ergibt sich dabei ein 4-Fermion-Operator, dessen Kopplung man die Fermikonstante GF nennt. Mithilfe der Matching-Prozdeur kann man in führender Ordnung die Relation GF = (√2/8)(g 2 /mW 2 ) ableiten, w elche den Zusammenhang der Fermikonstanten mit der SU(2)-Eichkopplung und der Masse des W -Bosons mW darstellt. Diese effektive Theorie der schw achen Wechselw irkung bei niedrigen Energien ist ein Grundelement der modernen Flavour-Physik [2], einem Teilbereich der Elementarteilchphysik, die sich damit beschäftigt, die komplizierte Struktur des Quarksektors im Standardmodell zu erforschen. Ein Hauptstudienziel ist dabei, eine möglichst genaue Messung der sogenannten Cabibbo-Kobayashi-Maskaw a-Matrix (CKM-Matrix) durchzuführen, w elche die Kopplung des W -Boson an die Quarks parametrisiert. Die Einträge dieser Matrix gehören zu den Kopplungen im Standardmodell, die nicht durch Symmetrien festgelegt sind. Aus den genauen experimentellen Messungen dieser Einträge erhofft man sich konkrete indirekte Hinw eise auf die fundamentale Theorie, die dem Quarksektor des Standardmodells zugrunde liegt. Neben der direkten Suche nach bisher noch nicht bekannten Elementarteilchen am LHC, stellt die Flavour-Physik das zw eite Standbein der Elementarteilchenphysik bei der Suche nach neuer Physik dar. Die Hauptstudienobjekte der Flavour-Physik sind die Zerfälle und Mischungseffekte der B- und D-Mesonen und der Kaonen. Die effektive Theorie ermöglicht dabei eine sehr effiziente Methode, um die Effekte der starken Wechselw irkung in einer systematischen Weise zu berechnen. Aufgrund Renormierungsstruktur der lassen durch sich die große Ausintegration logarithmische der Terme, schw eren die von Teilchen veränderten störungstheoretischen Quantenkorrekturen der starken Wechselw irkung herrühren, zu allen Ordnungen aufsummieren. Außerdem erlauben die Symmetrieeigenschaften der effektiven Theorie – ähnlich w ie bei der chiralen Theorie – nichtstörungstheoretische Effekte in systematische Weise zu parametrisieren und in verschiedenen Prozessen in Beziehung zueinander zu setzten. Im Rahmen des kompletten Standardmodells w äre dies nicht möglich. Nichtrelativistische Quantenchromodynamik Die nichtrelativistische Quantenchromodynamik (NRQCD) [3] ist eine effektive Feldtheorie für schw ere nichtrelativistische Quark-Antiquark-Paare, also für Charm-, Bottom- und Top-Quarks. Die großen Massen m dieser Quarks ermöglichen die Entstehung von nichtrelativistischen Bindungszuständen, genannt Quarkonia, die durch ein QCD-Coulombpotenzial zusammengehalten w erden. In Quarkoniumsystemen ist die Geschw indigkeit v der Quarks von der Größenordnung der starken Kopplungskonstante und somit eine Zahl w esentlich kleiner als eins. Die Quarkonia sind also das QCD-Analogon zum Positronium-Zustand in QED und in © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/9 Jahrbuch 2009/2010 | Hoang, André | Effektive Feldtheorien in der Elementarteilchenphysik vielerlei Hinsicht ähnlich dem Wasserstoffatom. Aufgrund der größeren Kopplung der starken Wechselw irkung sind relativistische Korrekturen allerdings w esentlich größer. Die NRQCD w ird aus der QCD abgeleitet, indem die im nichtrelativistischen Limes kleinen Komponenten der schw eren Quarkfelder ausintegriert w erden. Dieser Vorgang ist das feldtheoretische Pendant zur Foldy-Wouthuysen-Transformation, die man vom Wasserstoffatom kennt, und führt zu einer Separation von Quark- und Antiquarkfreiheitsgraden. Die Freiheitsgrade, die in die Formulierung der NRQCD eingehen, sind Quantenfelder für das schw ere Quark, das Antiquark und für dynamische Gluonen. Die Quarkquantenfelder beschreiben Quark- und Antiquarkzustände mit der Energie-Impuls-Relation E ~ p 2 /m ~ mv2 . Die Quantenfelder für die Gluonen beschreiben Zustände mit E~p~mv2 und sind das QCD-Analagon der Retardierungsphotonen, die im Wasserstoff z. B. für den Lambshift verantw ortlich sind. Die Potenziale sind 4-Quark-Operatoren, die durch das Ausintegrieren von Gluonen der vollen QCD mit raumartigem Impuls entstehen. Die Renormierungsstruktur der NRQCD unterscheidet sich sehr stark von der der vollen QCD und erlaubt es, Logarithmen der Geschw indigkeit v und der Kopplung α, die in höheren Korrekturen auftreten, zu allen Ordnungen aufzusummieren [4]. Eines der Hauptanw endungsgebiete der NRQCD ist die Berechnung von W irkungsquerschnitten für die Produktion von Quarkoniumzuständen in Beschleunigerexperimenten. So lassen sich z. B. Charmonium- (c antic) und Bottomoniumzustände (b anti-b) relativ leicht experimentell identifizieren. Sie dienen – da deren Eigenschaften gut bekannt sind – als Zustände, die zur Detektorkalibration benutzt w erden können. Eine interessante Anw endung an einem zukünftigen Elektron-Positron-Linearbeschleuniger ist die Produktion von nichtrelativistischen Top-Antitop-Quarkpaaren, die eine äußerst präzise Messung der Top-Quarkmasse erlauben w ürde. Man kann die Prinzipien, die in die NRQCD eingehen, auch anw enden, um eine nichtrelativistische effektive Feldtheorie im Rahmen der QED herzuleiten, die NRQED. Diese Theorie lässt sich für Berechnungen von elektrischen Bindungszuständen w ie Positronium, Myonium oder myonischen Atomen anw enden. Eine vereinfachte Variante der NRQCD ergibt sich, w enn man entw eder Feldoperatoren nur für nichtrelativistischen Quarks oder nur für Antiquarks in der effektiven Theorie zulässt. Die resultierende Feldtheorie nennt man effektive Theorie für schwere Quarks (Heavy-Quark-Effective-Theory, HQET). Diese Theorie w ird bei der Beschreibung von B- und D-Mesonen eingesetzt, die aus einem schw eren und einem leichten Quark zusammengesetzt sind. Soft-kollineare effektive Theorie Die in Beschleunigerexperimenten oder in Zerfällen von schw eren Elementarteilchen am häufigsten vorkommenden Objekte sind sogenannte Jets. Ein Jet ist eine bestimmte Anzahl von leichten Hadronen (hauptsächlich Pionen und Kaonen) mit großer Energie, die alle sehr nahe beieinander liegen und in fast dieselbe Richtung laufen. Bei Beschleunigerexperimenten mit sehr hohen Energien – w ie dem LHC – können in einer Reaktion eine sehr große Anzahl von Jets erzeugt w erden. Jets entstehen erst nach der Hauptreaktion, die bei der Kollision der beschleunigten Teilchen auftritt. Deshalb ist ein genaues theoretisches Verständnis von Jets notw endig, um Rückschlüsse auf die Art der Hauptreaktion ziehen zu können. Die soft-kollineare effektive Theorie (Soft Collinear Effective Theory, SCET) ist eine effektive Feldtheorie für Jets [5]. Sie stellt eine der neuesten Entw icklungen im Bereich der effektiven Feldtheorien dar. Um die Lagrangedichte der SCET herzuleiten, kann man eine Methode benutzen, die der Foldy-WouthuysenTransformation bei nichtrelativistischen Teilchen ähnlich ist. Sehr energetische und in eine Richtung kollimierte Quantenfelder haben eine große und eine kleine Komponente. Die letztere w ird bei der Konstruktion der SCET © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 7/9 Jahrbuch 2009/2010 | Hoang, André | Effektive Feldtheorien in der Elementarteilchenphysik ausintegriert. Die resultierende Feldtheorie besitzt für jeden Jet, der in einem Prozess vorkommt, sogenannte kollineare Quark- und Gluonfelder, die voneinander unabhängig sind. Diese Felder beschreiben jew eils die Dynamik der Teilchen, die in einem Jet kollimiert sind. Zudem besitzt die SCET niederenergetische Quark- und Gluonfelder, w elche die Wechselw irkung zw ischen den Jets beschreiben. Mithilfe der SCET lassen sich für viele Prozesse sogenannte Faktorisierungsformeln herleiten, die es erlauben, die dynamischen Vorgänge in prozessabhängige und prozessunabhängige Beiträge aufzuteilen. Die prozessunabhängigen Beiträge können dabei meistens nicht mittels Störungstheorie berechnet w erden. Die Faktorisierungsformeln erlauben es aber, diese Beiträge aus Referenzprozessen zu bestimmen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die sogenannte Proton-Parton-Verteilungsfunktion, w elche die Impulsverteilung von Quarks im Proton beschreibt. Die Zukunft von effektiven Feldtheorien Obw ohl es das eigentliche Ziel der Elementarteilchphysik ist, die Strukturen der letztlich fundamentalen Theorie von allem aufzudecken, der sogenannten Theory of Everything, ist es sehr w ahrscheinlich, dass dies nicht auf einen Schlag, sondern vielmehr in vielen kleinen Schritten und über viele Physikergenerationen vonstatten gehen w ird. So w ird man auch am LHC nur Hinw eise auf diese Strukturen finden und nicht alle Fragen, die sich im Rahmen des Standardmodells stellen, klären können. Dies geht einher mit der Tatsache, dass die am LHC erreichbaren Energien mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht ausreichen w erden, um die Strukturen der fundamentalen Theorie genügend gut auflösen zu können. Es ist deshalb abzusehen, dass effektive Feldtheorien auch in Zukunft das theoretische Grundw erkzeug in der Elementarteilchenphysik darstellen w erden. Originalveröffentlichungen Nach Erw eiterungen suchenBilderw eiterungChanneltickerDateilisteHTML- Erw eiterungJobtickerKalendererw eiterungLinkerw eiterungMPG.PuRe-ReferenzMitarbeiter Editor)Personenerw eiterungPublikationserw eiterungTeaser (Employee mit BildTextblockerw eiterungVeranstaltungstickererw eiterungVideoerw eiterungVideolistenerw eiterungYouTubeErw eiterung [1] S. Weinberg: Phenom enological Lagrangians. Physica A 96, 327–340 (1979). [2] G. Buchalla, A. J. Buras, M. E. Lautenbacher: Weak decay s bey ond leading logarithm s. Review s of Modern Physics 68, 1125–1244 (1996). [3] G. T. Bodwin, E. Braaten, R. P. Lepage: Rigorous QCD analy sis of inclusiv e annihilation and production of heav y quarkonium . Physical Review D 51, 1125–1171 (1995). [4] A. H. Hoang, I. W. Stewart: Ultrasoft renorm alization in nonrelativ istic QCD. Physical Review D 67, 114020 (2003). © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 8/9 Jahrbuch 2009/2010 | Hoang, André | Effektive Feldtheorien in der Elementarteilchenphysik [5] C. W. Bauer, S. Fleming, D. Pirjol, I. Z. Rothstein, I. W. Stewart: Hard scattering factorization from effectiv e field theory . Physical Review D 66, 014017 (2002). © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 9/9