für DGBS_Neues Bipolarforschung_2015

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WAS GIBT ES NEUES AUS DER FORSCHUNG BEI BIPOLARE
STÖRUNGEN? EINE LITERATURÜBERSICHT 2014/2015
Michael Bauer, Rita Bauer, Jörn Conell, Markus Donix, Ute Lewitzka,
Andrea Pfennig, Maximilian Pilhatsch, Dirk Ritter, Philipp Ritter,
Emanuel Severus
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie,
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität
Dresden
1
1.1
1.2
1.3
2
2.1
2.2
2.3
3
3.1
3.2
4
4.1
4.2
4.3
4.4
5
5.1
5.2
5.3
5.4
5.5
5.6
5.7
5.8
5.9
5.10
5.11
Früherkennung und Frühintervention
Dauer und Art der unterschwelligen Symptome bei Jugendlichen mit
Bipolar-I-Störung vor der ersten manischen Episode
Beschreibung und psychometrische Güte der „Bipolar Prodrome
Symptom Interview and Scale-Prospective“ (BPSS-P)
Vorhersage bipolarer Störungen auf Grundlage der Symptomatik:
Implikationen für Prävention und Früherkennung
Diagnostik und Epidemiologie
DSM-5: Bipolare Störungen
Metabolisches Syndrom bei bipolaren Störungen: Diätetische und
Lifestyle Faktoren im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung
Risikofaktoren für die Konversion von der unipolaren Depression mit
psychotischen Symptomen zur bipolaren Störung
Suizidforschung
Untersuchung über Suizide bipolarer Patienten nach Entlassung aus
einer stationären Behandlung
Risikofaktoren für Suizidgedanken bei bipolaren Patienten
Neurobiologie und Neuropsychologie
Effekte von Schilddrüsenhormonen auf den Gehirnmetabolismus in
der Behandlung der bipolaren Depression
Kognitive Defizite bei remittierten bipolaren Patienten: Gibt es
Unterschiede zwischen Lithium und Valproat?
Entwicklung der langfristigen kognitiven Leistungsfähigkeit von
bipolaren Patienten: Eine 12-monatige Longitudinalstudie
Prophylaktische Lithiumbehandlung und kognitive Funktionsfähigkeit
Pharmakotherapie und andere biologische Verfahren
Lithium in der Rezidivprophylaxe: Übersicht und Metaanalyse
Lithium als add-on Therapie zu Quetiapin: Eine Placebo-kontrollierte
Studie bei akuter Manie
Lithium in der Schwangerschaft
Behandlung der Manie und Psychose in der Postpartumperiode
Switch-Risiko unter Antidepressiva-Behandlung
Die Abwägung erwünschter und unerwünschter Wirkungen in der
Behandlung der bipolaren Depression
Modafinil/Armodafinil: Neue Therapieoption bei der Depression?
Lurasidon: Antidepressive Wirkung und Pharmakodynamik
Ketamin als Antidepressivum?
Neuronale Korrelate des raschen antidepressiven Wirkeintritts von
Ketamin bei bipolaren Störungen
Einsatz der EKT bei bipolarer Depression
Seite 2
6
6.1
6.2
7
Psychologische Faktoren und Psychotherapie
Abläufe bei Veränderungen in der Einstellungen zu Medikation und
Veränderungen in der Compliance bei nicht-complianten Patienten
Psychopharmakotherapie und familienfokussierte Behandlung bei
Jugendlichen: Eine kontrollierte 2-Jahres-Studie
Literatur
Seite 3
1
Früherkennung und Frühintervention
Im Gegensatz zu schizophrenen Psychosen steckt die Früherkennung
bipolarer Störungen noch in den Anfängen. Erste retrospektive Studien gaben
Hinweise, dass der Manifestation der bipolaren Störung eine Phase
dynamischer Symptomentwicklung vorausgeht (Prodromalstadium). Diese
Phase scheint hinsichtlich der Dauer sowie der Frühidentifikation und -Intervention dem Prodromalstadium der Schizophrenie ähnlich zu sein, obwohl
Stimmungsschwankungen häufiger im bipolaren Prodrom und attenuierte,
positive psychotische Symptome häufiger im schizophrenen Prodrom
auftreten. Inwieweit es sich bei diesen Symptomen um erste subsyndromale
Manifestationen der Erkrankung, oder auch z. T. um vorbestehende und nach
Ersterkrankungsbeginn weiterbestehende Komorbiditäten handelt, ist derzeit
aufgrund fehlender Datenlage ungeklärt. Unklar ist derzeit ebenfalls, welche
Symptome oder Symptomkomplexe sich am besten eignen, um reliabel
Patienten vor Beginn einer Manie zu identifizieren, ob Früherkennung einer
Bipolar-II-Störung möglich ist und ob und inwieweit sich Prodromi in Patientenuntergruppen unterscheiden, abhängig vom Vorliegen von z. B. familiärer
Belastung, psychotischen Vollsymptomen, Erkrankungsalter, spezifischen
Komorbiditäten (1-3).
1.1
Dauer und Art der unterschwelligen Symptome bei Jugendlichen
mit Bipolar-I-Störung vor der ersten manischen Episode
In einer US-amerikanischen Studie wurde bei 52 Jugendlichen (7-21 Jahre alt)
mit Bipolar-I-Störung systematisch erfasst, welche Symptome wie lange und
mit welcher Dynamik vor der ersten Manie bestanden haben. Dazu wurden z.T.
auch Eltern befragt. Die Symptomatik wurde mit der Bipolar Prodrome
Symptom Interview and Scale-Prospective (BPSS-P) erfasst. Bei den
allermeisten Jugendlichen (in 89 %) begann die Prodromalphase der Manie
langsam/schrittweise mit einer langsamen (60 %) oder schnellen (29 %)
Verschlechterung unmittelbar vor der Manie. Ein schneller Beginn mit schneller
Verschlechterung war selten (11 %). Die mittlere Dauer der Prodromalphase
beim Vorliegen von mindestens einem mittelschweren Symptom lag bei 19
Monaten. Häufige unterschwellige hypomane Symptome waren Reizbarkeit,
Gedankenrasen und gesteigerte Energie/Aktivität. Häufige unspezifische
Symptome waren ein beeinträchtigtes Funktionsvermögen und Stimmungsschwankungen. Auch Niedergeschlagenheit und Aufmerksamkeitsbeeinträchtigung fanden sich bei >50 %. Immerhin 85 % der Jugendlichen wiesen mindestens ein spezifisches unterschwelliges hypomanisches Symptom auf. (4)
Seite 4
Abb. 1: Correll et al., (2014) Bipolar Disord 16(5):478-92. (4)
Abb. 2: Correll et al., (2014) Bipolar Disord 16(5):478-92. (4)
Fazit: Die Studie zeigt, dass bei den meisten Jugendlichen, die eine Manie
entwickelt haben, bereits im Vorfeld über einen längeren Zeitraum von
mindestens mehreren Monaten unterschwellige Symptome vorgelegen haben,
und sich meist erst kurz vor der Manie eine deutliche Verschlechterung
einstellt. Somit gibt es ein Zeitfenster, in dem der Versuch unternommen
werden kann (sollte), junge Menschen zu identifizieren, die in der nächsten Zeit
eventuell eine Manie entwickeln werden. Die geeignete Hilfestellung über
Aufklärung, engmaschige Beobachtung oder gar (psychotherapeutische)
Behandlung kann dann in Abhängigkeit von der Risikoeinschätzung und der
Seite 5
durch Symptomatik hervorgerufenen Beeinträchtigung im Rahmen des SharedDecision-Making gefunden werden.
1.2
Beschreibung und psychometrische Güte der „Bipolar Prodrome
Symptom Interview and Scale-Prospective“ (BPSS-P)
Das Ziel der Studie von Correll et al. (5) war die Untersuchung der
psychometrischen Eigenschaften des Interviews zur Prodromalphase vor der
Entwicklung einer Manie. Hierzu wurden 205 junge Menschen zwischen 12
und 23 Jahren und/oder ihre Eltern befragt (129 Patienten mit Erkrankungen
aus dem affektiven Spektrum, 34 Patienten mit Erkrankungen, die nicht dem
affektiven Spektrum zugerechnet werden, und 42 gesunde Kontrollen.
Die interne Konsistenz, das Maß dafür, wie die Items einer Skala miteinander
zusammenhängen, war gut bis sehr gut. Die Interrater-Reliabilität, also die
Übereinstimmung mehrerer Untersucher, war hoch. Die konvergente Validität,
also die Übereinstimmung der Messdaten des neuen Interviews mit bewährten
Skalen, die z.B. Manie oder Depression erfassen, war groß. Mit den meisten
Bestandteilen der BPSS-P konnten Patienten gut von gesunden Kontrollen und
von Patienten mit Erkrankungen, die nicht dem affektiven Spektrum
zugerechnet werden, unterschieden werden.
Fazit: Mit der BPSS-P liegt nun ein Instrument vor, welches eine sehr gute
psychometrische Güte aufweist. Es sollte künftig prospektiv in verschiedenen
Settings eingesetzt und seine Vorhersage-Validität in Bezug auf die Entwicklung einer Manie geprüft werden.
1.3
Vorhersage bipolarer Störungen auf Grundlage der
Symptomatik: Implikationen für Prävention und Früherkennung
In einem ausführlichen Review widmeten sich die Autoren der Frage, welche
Symptome und Risikofaktoren für die spätere Entwicklung einer bipolaren
Störung relevant sein könnten. Die bipolare Störung ist eine heterogene
Erkrankung mit einer erheblichen Latenz von den ersten Symptomen bis zur
Diagnose. Die Früherkennung und Frühintervention haben theoretisch das
Potential, die Krankheitsprogression zu mindern und die negativen Folgen der
Erkrankung zu reduzieren. In diesem Zusammenhang wurden mittels einer
systematischen Literaturrecherche mögliche Risikofaktoren und Prodromalsymptome herausgearbeitet. (6)
Aus insgesamt 28 Artikeln ging hervor, dass eine Instabilität der Stimmung,
unspezifische, nicht-affektive andere psychiatrische Symptome, sowie ein
zyklothymes Temperament die häufigsten genannten Prodromalsymptome
waren. Während eine Vielzahl retrospektiver Studien mit bedingter Aussagekraft publiziert worden sind, konnten nur wenige hochwertige prospektive
Studien identifiziert werden.
Seite 6
Abb. 3: Malhi et al., (2014) Bipolar Disord 16(5):455-70. (6)
Ziele der Früherkennung und bedarfsgerechten Frühintervention sind:
•
Reduktion der frühen Symptomatik,
•
Verbesserung oder zumindest die Stabilisierung des funktionellen
Status auf einem möglichst hohen Niveau,
•
Verhinderung/Verzögerung der Erkrankungsmanifestation,
•
Minimierung des Erkrankungsschweregrades,
•
Verkürzung unbehandelter Krankheitsphasen sowie
•
positive Beeinflussung des Krankheitsverlaufs, falls eine Verhinderung
der Vollmanifestation einer Bipolaren Störung nicht möglich ist.
Fazit: Die unterschiedlichen methodischen Ansätze erschweren die präzise
Charakterisierung eines bipolar Prodroms. Aus diesem Grunde ist es weiterhin
noch nicht möglich aufgrund der Symptomatik allein, die zukünftige Entwicklung einer bipolaren Störung vorherzusagen. Weitere hochwertige prospektive
Studien mit einer geeigneten Kontrollgruppe und Instrumenten sind notwendig.
2
Diagnostik und Epidemiologie
2.1
DSM-5: Bipolare Störungen
Im Frühjahr 2013 ist die 5. Auflage des Klassifikationssystems „Diagnostic and
Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM-5) der American Psychiatric
Association erschienen; die deutsche Auflage wurde nun in Buchform 2015
publiziert (7). DSM-5 hat einige wichtige Neuerungen auf dem Gebiet der
Bipolaren Störungen mit sich gebracht (7, 8, 9):
In DSM-5 finden sich „Bipolar and related Disorders“ nun erstmalig in einem
eigenen Kapitel wieder, lokalisiert zwischen den Kapiteln „schizophrenia
Seite 7
spectrum and other psychotic disorders“ sowie „depressive disorders“.
Krankheitsbilder, die die Kriterien für bipolare Störungen erfüllen, jedoch im
Rahmen von Substanzkonsum oder körperlichen Erkrankungen auftreten
finden sich nunmehr auch in dem neu geschaffenen Kapitel „Bipolar and
related disorders“. Ebensolches gilt für Krankheitsbilder, die bisher als
„subthreshold bipolar disorders“ fungiert hätten, und sich nunmehr in der
Gruppe „other specified bipolar and related disorder“ wiederfinden. Eine
Zunahme zielgerichteter Aktivität bzw. Energie ist, neben einer gehobenen,
expansiven bzw. gereizten Stimmung, nunmehr ein obligatorisches Symptom
für (hypo)manische Episoden. Unter Antidepressiva sich entwickelnde (hypo)manische Episoden können jetzt, sofern die Symptomatik in unveränderter
Form auch nach Absetzen des Antidepressivums über den physiologischen
Effekt des Antidepressivums hinaus in gleicher Ausprägung bestehen bleibt,
für die Diagnosestellung einer Bipolar-I- bzw. II-Störung herangezogen werden.
Fazit: DSM-5 hat einige wichtige Veränderungen hinsichtlich der Diagnostik
bipolarer Störungen mit sich gebracht. Während einige dieser Neuerungen,
insbesondere was den Zusatz von zielgerichteter Aktivität/Energie als
obligatorisches Symptom für (hypo)manische Episoden angeht, als sinnvoll
angesehen werden müssen bleibt dies für andere, z.B. unterschwellige
bipolare Störungen, erst noch abzuwarten.
2.2
Metabolisches Syndrom bei bipolaren Störungen: Diätetische
und Lifestyle-Faktoren im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung
Bei dieser Originalarbeit wurden 143 Patienten mit Schizophrenie und 116
Patienten mit bipolarer Störung hinsichtlich des Auftretens eines metabolischen
Syndroms systematisch miteinander sowie mit einer gesunden Kontrollstichprobe verglichen. Wie erwartet litten sowohl Patienten mit bipolarer Störung
(33 %), als auch Patienten mit Schizophrenie (47 %) häufiger an einem metabolischen Syndrom als die Kontrollgruppe (17 %). Entgegen der Hypothese
ließen sich diese Unterschiede weder durch diätetische oder Lifestyle
bezogene Faktoren erklären. Nebenbefundlich erwies sich die Lebensführung
von Patienten mit bipolarer Störung im Vergleich zu schizophrenen Patienten
als gesünder. Die Autoren schlussfolgerten, dass insbesondere die komplexe
Wechselwirkung zwischen pharmakologischen Mechanismen und Entwicklung
eines metabolischen Syndroms weiter erforscht werden müssen, um die
spezifische Risikoerhöhung psychiatrischer Patienten für diese häufige und
potentiell lebensbedrohliche Assoziation zu vermindern. (10)
Fazit: Bei Patienten mit bipolaren Störungen ist auf das metabolische Syndrom
zu achten und bei positivem Befund entsprechend therapeutisch und psychoedukativ entgegenzuwirken.
2.3
Risikofaktoren für die Konversion von der unipolaren
Depression mit psychotischen Symptomen zur bipolaren
Störung
Patienten die an einer unipolaren Depression mit psychotischen Symptomen
leiden, haben ein hohes Risiko, eine bipolare Erkrankung zu entwickeln.
Østergaard et al. (11) nutzten Daten Dänischer Patientenregister, um Risikofaktoren zu identifizieren, die bei diesen Patienten mit der Konversion zur
bipolaren Erkrankung assoziiert sind. Im Untersuchungszeitraum von 1995 bis
2007 entwickelten von 8.588 Patienten mit einer psychotischen Depression
Seite 8
607 Patienten (entspricht 7,1 %) eine bipolare Erkrankung. Die folgenden
Risikofaktoren zeigten eine signifikante Assoziation mit einer diagnostischen
Konversion zur bipolaren Erkrankung: frühes Erkrankungsalter, mehrere depressive Episoden, alleinstehend zu leben, der Bezug einer Rente aufgrund
Behinderung, sowie höheres Bildungsniveau.
Während frühes Erkrankungsalter bereits in anderen Studien als Risikofaktor
identifiziert wurde, und höhere Bildung einen vermuteten Zusammenhang
zwischen bipolarer Erkrankung und Kreativität/akademischem Erfolg unterstreicht, beschreibt diese Studie neue Risikofaktoren. Deren Assoziation mit
einer Konversion zur bipolaren Erkrankung widerspiegelt jedoch keinen einfachen kausalen Zusammenhang: Alleinstehend zu leben, kann beispielsweise
Folge und nicht Ursache der Entwicklung einer bipolaren Erkrankung sein.
Fazit: Eine Konversion von einer unipolaren Depression mit psychotischen
Symptomen zur bipolaren Erkrankung hat weitreichende therapeutische und
prognostische Konsequenzen. Die Kenntnis von Risikofaktoren für eine solche
Konversion kann die Früherkennung bipolarer Erkrankungen verbessern,
sowie die rasche Anpassung von Behandlungsstrategien unterstützen.
3
Suizidforschung
Die Erkennung und Behandlung suizidalen Verhaltens ist in den letzten Jahren
in den Mittelpunkt psychiatrischer Forschung gerückt. Das Suizidrisiko ist bei
erwachsenen Patienten mit bipolarer Störung ist insgesamt ca. 20 mal höher
verglichen mit dem Risiko für die allgemeine Bevölkerung. Innerhalb verschiedener psychiatrischer Erkrankungen weisen Patienten mit einer bipolaren
Störung den stärksten Zusammenhang zwischen Erkrankung und Suizid auf –
Suizide von bipolaren Patienten machen etwa ein Viertel aller Suizide aus.
3.1
Untersuchung über Suizide bipolarer Patienten nach Entlassung
aus einer stationären Behandlung
Verschiedene Risikofaktoren für einen Suizid sind gut untersucht und bekannt
(z.B. Alter, Suizide in der Familie, Suizidversuche in der Eigenanamnese).
Verschiedene Studien, insbesondere bei Patienten mit anderen Diagnosen
(z.B. Schizophrenie) haben gezeigt, dass der Zeitraum unmittelbar nach einer
Entlassung aus einer stationären Behandlung besonders kritisch hinsichtlich
suizidalen Verhaltens ist. Für bipolare Patienten ist diese Besonderheit bisher
noch nicht ausreichend untersucht. Deshalb analysierten die finnischen
Forscher aus Helsinki anhand von Daten aus verschiedenen finnischen
Registern, inwieweit es möglicherweise zeitliche Muster gibt, die mit einem
erhöhten Risiko für Suizide einhergehen (12). Auch untersuchten sie, ob es
einen Zusammenhang zwischen einem erhöhten Suizidrisiko und der der Art
der Episode gibt, in welcher sich der Patient zum Zeitpunkt der Entlassung
befindet (depressiv, manisch, gemischt).
Um diese Fragestellungen zu untersuchten, wurden alle zwischen 1987 und
2003 stationären Aufnahmen, die zum Entlassungszeitpunkt die Diagnose
einer bipolaren Störung gestellt bekommen hatten, erfasst. Hierbei wurden
auch wiederholte stationäre Aufnahmen desselben Patienten im Verlauf
gezählt. Die stationären Aufnahmen wurden anhand der vorliegenden Episode
in vier Kategorien eingeteilt – Manie, gemischte Episode, Depression und
„andere“. Für jede Entlassung wurde die dazugehörige Verweildauer sowie der
Seite 9
Status des Patienten (freiwillig in die Klinik gekommen, gegen den Willen etc.)
dokumentiert. Weiterhin konnten Daten zum klinischen Status (anhand der
GAF-Skala) sowie zur pharmakologischen Behandlung (z.B. mit Lithium,
Valproat, Antidepressiva) vor und nach der stationären Behandlung erhoben
werden. Im Weiteren wurden dann alle innerhalb eines Jahres nach
Entlassung aufgetretenen Suizide in die Analyse eingeschlossen.
In dem genannten Zeitraum gab es insgesamt 466 Suizide nach 52.747
gezählten Entlassungen von 13.581 Patienten. Das höchste Risiko wiesen
Patienten auf, die sich zum Zeitpunkt der Entlassung noch in einer depressiven
Episode befanden, gefolgt von gemischten und dann manischen Episoden.
Über den weiteren Zeitverlauf sank dann das Risiko wieder. Männliche
Patienten hatten ein zwei-, zum Teil sogar dreifach höheres Risiko als
weibliche Patienten. Ein zwischen den Episoden stattgefundener Suizidversuch erhöhte das Risiko für einen Suizid um das Zwölffache.
Abb. 4: Isometsä et al., (2014) Bipolar Disord 16(8):867-74. (12)
Fazit: Bei Patienten mit anhaltender depressiver Symptomatik bei Entlassung
besteht ein erhöhtes Suizidrisiko, insbesondere bei Männern. Interessanterweise konnte auch in dieser Arbeit gezeigt werden, dass Lithium einen
suizidpräventiven Effekt hat (Übersicht: 13). Hatten Patienten nach einer
Entlassung bei vorliegender depressiver Episode Lithium verschrieben
bekommen, wiesen diese ein 7-fach niedrigeres Risiko auf; wurde Valproat
verschrieben, zeigte sich kein signifikant niedrigeres Risiko.
3.2
Risikofaktoren für Suizidgedanken bei bipolaren Patienten
Suizidale Gedanken stellen einen bedeutenden Indikator für spätere Suizidversuche bzw. Suizide dar. Die Lebenszeitprävalenz für Suizidgedanken beträgt
bei bipolaren Patienten ca. 30-75 % – im Vergleich dazu beträgt diese in der
Allgemeinbevölkerung zwischen 2 und 25 %.
Bisher gibt es wenige Studien, die die Risikofaktoren für Suizidgedanken bei
dieser Erkrankung untersuchen, insbesondere bei Vorliegen einer depressiven
Episode. Frühere Arbeiten zeigten, dass u.a. das Alter der Erkrankung, ein
früherer Suizidversuch, Drogenmissbrauch, die Schwere der Depression aber
Seite 10
auch das Vorliegen von Hoffnungslosigkeit und das gleichzeitige Auftreten von
Angstsymptomen Risikofaktoren für Suizidgedanken darstellen.
In der Studie von Umamaheswari et al. (13) werden die Ergebnisse einer
Untersuchung an 130 Patienten mit bipolarer Depression vorgestellt. Patienten,
deren klinische Diagnose mit Hilfe eines neuropsychiatrischen Interviews
(MINI) gesichert wurde, absolvierten einmalig folgende psychometrische Tests
(Fragebögen): Beck-Depressions-Inventar (BDI), Beck-HoffnungslosigkeitsSkala (BHS), Patient-Gesundheits-Fragebogen (PHQ-15), Barratt-Impulsivitäts-Skala (BIS), Irritabilität, Angst und Depressionsskala (IDA), YoungManie-Skala (YMRS), Buss-Durke-Feindseligkeitsinventar (BDHI) sowie die
Brief Psychiatric Rating Scale (BPRS). Anhand des Items 9 der Beck
Depressions-Skala wurden die Patienten in zwei Gruppen eingeteilt: Gruppe
mit (N=65) sowie Gruppe ohne Suizidgedanken (N=65). Beide Gruppen unterschieden sich nicht hinsichtlich soziodemografischer Parameter sowie Alter
und Geschlecht, allerdings wies die Gruppe bipolarer Patienten mit Suizidgedanken einen deutlich größeren Anteil an Patienten, die nicht der hinduistischen Religion angehörten, auf.
Die Autoren konnten zeigen, dass zu den Faktoren, die im Zusammenhang mit
dem Auftreten von Suizidgedanken stehen, das Vorkommen einer bipolaren
Störung sowie von Suiziden in der Familie gehört. Bipolare Patienten mit
Suizidgedanken hatten längere depressive Phasen – und damit verknüpft –
kürzere interepisodische Phasen. Eine signifikante höhere Anzahl von
Patienten der Gruppe mit Suizidgedanken wies in der Vorgeschichte einen
Suizidversuch sowie eine stationäre Behandlung aufgrund der affektiven
Erkrankung auf. Keine Unterschiede bestanden zwischen den Gruppen
hinsichtlich des Schädlichen Gebrauchs bzw. der Abhängigkeit von Drogen.
Patienten mit Suizidgedanken wiesen häufiger bedeutende Lebensereignisse
in der Vorgeschichte auf. Bezüglich der Schwere der Depression wies die
Gruppe mit Suizidgedanken höhere Werte für Depressivität, gemessen mit
dem Beck-Depressions-Inventar auf. Aber auch in den anderen Skalen
(YMRS, BPRS, PHQ-15, IDA, BHS, BDHI) zeigte diese Gruppe höhere Werte.
Interessanterweise unterschieden sich beide Gruppen nicht hinsichtlich der
Impulsivität (BIS). Mit dieser Untersuchung ergänzen die Autoren das vorwiegend aus Studien der westlichen Welt vorliegende Wissen um Risikofaktoren für Suizidgedanken bei Patienten mit bipolarer Erkrankung insbesondere für Indien. (14)
Fazit: Nicht allein die Schwere der Depression hat einen Einfluss auf das
Risiko suizidale Gedanken zu entwickeln, sondern vielmehr auch andere
Faktoren im Langzeitverlauf der Erkrankung. Es wird empfohlen, dass bei Patienten mit bipolarer Depression und Suizidgedanken auch besonderes Augenmerk auf andere Risikofaktoren wie die Schwere und Dauer der Depression,
das Vorliegen von Angst, psychotischen Symptomen, Feindseligkeit etc. gelegt
wird, um damit möglicherweise Suizidversuche und Suizide zu verhindern.
4
Neurobiologie und Neuropsychologie
4.1
Effekte von Schilddrüsenhormonen auf den Gehirnmetabolismus
in der Behandlung der bipolaren Depression
Eine Therapiealternative bei depressiven therapieresistenten Patienten ist die
Augmentationsbehandlung mit Schilddrüsenhormonen. Die Augmentation mit
Seite 11
L-Thyroxin (L-T4) in supraphysiologischer Dosis (300 µg/Tag) wurde nun
erstmals in einer randomisierten, Plazebo-kontrollierten Studie bei bipolarer
Depression untersucht; zusätzlich wurden die Wirkungen der Hormontherapie
auf den Gehirnmetabolismus mit FDG-PET (Positronen Emissions Tomographie) erfasst. Patienten mit therapieresistenter depressiver Episode wurden
über 6 Wochen augmentativ mit dem Schilddrüsenhormon behandelt; zu
Beginn und nach 6-wöchiger Therapie mit L-T4 erfolgte eine PET-Untersuchung des Gehirns. Im primären Outcome-Parameter zeigte sich eine deutliche Absenkung der Depressionsschwere im Vergleich zur Plazebo-Behandlung. Die Verträglichkeit wurde insgesamt als gut bewertet; innere Unruhe trat
in der Verumgruppe (L-T4) etwas häufiger auf. (15)
Abb. 5: Bauer et al., (2015) Mol Psychiatry [Epub ahead of print]. (15)
In der PET-Analyse zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den beiden
Gruppen: nur in der L-Thyroxin-Gruppe (n=15) zeigten sich signifikante Veränderungen prä-post im Gehirnmetabolismus; dies war besonders prominent in
Regionen des vorderen limbischen Netzwerkes (subgenuales Cingulum
Amygdala, Hippocampus, Striatum). Die Veränderungen im Metabolismus
korrelierten zudem signifikant mit der Reduktion der Depressionsschwere.
Seite 12
Abb. 6: Bauer et al., (2015) Mol Psychiatry [Epub ahead of print]. (15)
Fazit: Eine Augmentationstherapie mit hochdosiertem L-Thyroxin ist eine neue
Behandlungsalternative bei therapieresistenten Patienten mit bipolarer Depression. Die Autoren weisen auf die sorgfältige Auswahl (z.B. Ausschluss
kardial kranker Patienten) der Patienten hin, die für dieses Verfahren ausgewählt werden.
4.2
Kognitive Defizite bei remittierten bipolaren Patienten: Gibt es
Unterschiede zwischen Lithium und Valproat?
Muralidharan und Kollegen untersuchen die Medikamenten-assoziierten
kognitiven Einschränkungen von Patienten mit einer frühen bipolaren
Erkrankung und nutzten hierzu Daten der kanadischen STOP-EM Studie. Zu
diesem Zweck verglichen sie die kognitive Leistungsfähigkeit (Verarbeitungsgeschwindigkeit, Aufmerksamkeit, verbales Gedächtnis, nonverbales Gedächtnis, Arbeitsgedächtnis, Exekutivfunktionen) von Patienten nach einer
remittierten ersten manische Episode unter Lithium- (N=34) und Valproat
(N=38)-Behandlung sowie bei einer gesunden Kontrollgruppe (N=40). Die drei
Gruppen waren vergleichbar bezüglich ihrer soziodemografischen und
klinischen Daten, unterschieden sich aber statistisch signifikant im globalen
kognitiven Leistungsniveaus (p<0.001). Der post-hoc-Test zum Einzelgruppenvergleich ergab außer einem signifikant schlechterem Abschneiden der
Patienten der Valproat-Gruppe gegenüber den beiden anderen Gruppen
(p=0.001 bzw. p<0.001) beim Arbeitsgedächtnis keine sign. Unterschiede
zwischen der Lithium- und Valproat-Gruppe. (16)
Fazit: Die Behandlung mit Valproat – im Gegensatz zur Lithiumbehandlung –
könnte mit Arbeitsgedächtnisproblemen assoziiert sein.
4.3
Entwicklung der langfristigen kognitiven Leistungsfähigkeit von
bipolaren Patienten: Eine 12-monatige Longitudinalstudie
Seite 13
In dieser Arbeit untersuchten Torres und Kollegen aus Vancouver (Kanada) die
Entwicklung der langfristigen kognitiven Leistungsfähigkeit von bipolaren
Patienten. Zu diesem Zweck wurden 65 bipolare Patienten spätestens 3
Monate nach dem Ende der ersten manischen Episode und 36 gesunde Kontrollen mit vergleichbaren demografischen Daten in dieser Studie eingeschlossen. Von diesen Probanden komplettierten 42 Patienten und 23
Gesunde alle drei neuropsychologischen Untersuchungen (Baseline, nach 6
Monaten und nach einem Jahr), die Tests zur Überprüfung der Verarbeitungsgeschwindigkeit, der Aufmerksamkeit, des verbalen und nonverbalen Gedächtnisses, des Arbeitsgedächtnisses und der Exekutivfunktionen enthielten. (17)
Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die Patienten gegenüber den
Gesunden zwar in den meisten Bereichen eine schlechtere kognitive
Leistungsfähigkeit aufweisen, über die Studienzeit hinweg aber eine kontinuierliche signifikante Verbesserung der Verarbeitungsgeschwindigkeit und der
Exekutivfunktionen im Vergleich zur Vergleichsgruppe zeigen. Insbesondere
Patienten ohne Alkohol- und Substanzabusus und Patienten, bei denen ein
Antipsychotikum im Verlauf der Studie abgesetzt wurde, zeigten eine deutlichere kognitive Verbesserung. Um ein besseres Verständnis des Einflusses
dieser und anderer Faktoren auf die langfristige kognitive Leistungsfähigkeit
von bipolaren Patienten zu bekommen, ist aber weitere Forschung in diesem
Bereich notwendig.
Abb. 7: Torres et al., (2014) Bipolar Disord 16(2):159-71. (17)
Seite 14
Abb. 8: Torres et al., (2014) Bipolar Disord 16(2):159-71. (17)
Fazit: Auch wenn die kognitive Leistungsfähigkeit von Patienten mit früher
bipolarer Störung durch vielfältige Faktoren (negativ) beeinflusst wird, zeigen
sich bis zu einem Jahr nach dem Ende der ersten manischen Episode
spezifische Verbesserungen, die unter anderem von klinischen Faktoren
abhängig zu sein scheinen. Therapeutische Maßnahmen zur Verbesserung der
kognitiven Leistungsfähigkeit sind besonders bei jungen Patienten zu
empfehlen.
4.4
Prophylaktische Lithiumbehandlung und kognitive
Funktionsfähigkeit
Patienten mit bipolarer Störung weisen während symptomatischer Phasen
kognitive Defizite auf, welche auch in euthymen Phasen bestehen bleiben. Es
gibt Belege für Unterschiede in der Hirnstruktur zwischen bipolaren Patienten
und gesunden Kontrollen, ebenso für Veränderungen der Hirnstruktur von
Patienten über die Zeit. In der Langzeit-Prophylaxebehandlung stellt Lithium
den Goldstandard dar. Eine angemessene Therapie zur Phasenprophylaxe
kann gleichzeitig den Verlauf der Krankheit verbessern und die Häufigkeit
schädlicher Folgen reduzieren. Außerdem weisen vorklinische Daten darauf
hin, dass Lithium zudem einen neuroprotektiven Effekt hat. Es existieren nur
begrenzt Daten hinsichtlich der Effekte beim Menschen und noch weniger zur
Langzeitverabreichung bei bipolaren Patienten.
In dieser multizentrischen Querschnittsstudie der International Group for the
Study of Lithium-treated Patients (IGSLi) werden drei Gruppen verglichen:
bipolare Patienten ohne Langzeit-Lithiumbehandlung (non-Li Gruppe; weniger
als 3 Monate Lebenszeit-Lithium-Therapie, ≥24 Monate zurückliegend),
bipolare Patienten mit Langzeit-Lithiumbehandlung (Li Gruppe, LebenszeitLithium-Therapie ≥24 Monate, aktuell andauernd) und gesunde Kontrollpersonen. Einschlusskriterien für die Patientengruppen waren: Diagnose
Bipolar-I- oder II- Störung, Erkrankungsdauer ≥ 10 Jahre, ≥5 Episoden in der
Anamnese und aktuell euthymer Status. Die neurokognitive Funktionsfähigkeit
Seite 15
wurde mittels Wechsler Adult Intelligence Scale-Revised (WAIS-R), California
Verbal Learning Test (CVLT), und einer visuellen Rückwärtsmaskierung (visual
backward masking VBM) untersucht. Es wurden insgesamt 142 Probanden
eingeschlossen, 31 in der non-Li-, 58 in der Li- und 53 in der Kontrollgruppe.
(18)
Zwischen Patienten und Kontrollen bestehen keine signifikanten Unterschiede
im kognitiven Funktionsvermögen und im verbalen Lernen, Erinnern und
Wiedererkennen, unabhängig davon, ob Lithium Teil der Behandlung war. Die
Patienten unterscheiden sich allerdings von den Kontrollpersonen hinsichtlich
der visuellen Informationsverarbeitung, wobei die mit Lithium behandelten
Patienten schlechtere Ergebnisse erzielen als die Patienten ohne Lithium.
Abb. 9: Pfennig et al., (2014) Int J Bipolar Disord 2:1. (18)
Fazit: Bipolare Patienten mit langer Erkrankungsdauer und effektiver Prophylaxebehandlung weisen keine signifikanten Beeinträchtigungen im kognitiven
Funktionsvermögen oder im verbalen Lernen und Erinnern auf. Allerdings sind
hinsichtlich der Verarbeitung visueller Informationen Beeinträchtigungen zu
beobachten, wobei die mit Lithium behandelten Patienten die schlechtesten Ergebnisse erzielen. Begleitende volumetrische und spektroskopische Daten der
Forschergruppe belegen einen Zellverlust bei Patienten ohne Lithiumbehandlung, welcher möglicherweise durch eine Langzeit-Lithiumbehandlung
ausgeglichen werden kann.
5
Pharmakotherapie und andere biologische
Verfahren
5.1
Lithium in der Rezidivprophylaxe: Übersicht und Metaanalyse
In einer früheren Meta-Analyse randomisierter kontrollierter Studien, die
Lithium mit Placebo in der Langzeitbehandlung bipolarer Erkrankungen verglichen (Geddes et al., Lancet 2004), zeigte sich ein klarer rezidivprophy-
Seite 16
laktischer Effekt für Lithium hinsichtlich manischer Episoden, bezüglich depressiver Episoden war das Ergebnis weniger eindeutig. Die hier vorliegende
Arbeit stellt nun zum einen ein Update dieser Meta-Analyse von 2004 dar –
zum anderen jedoch auch eine Erweiterung, da zum einen ein Vergleich von
Lithium mit Antikonvulsiva (Carbamazepin, Lamotrigin, Valproat) hinzugekommen ist, zum anderen die Zielparameter ergänzt wurden um Drop-outs aus
Gründen abseits affektiver Episoden als auch Verbleib in der Studie bis zum
Studienende. In der nun hier vorliegenden Meta-Analyse zeigte sich Lithium
Placebo stat. Signifikant überlegen hinsichtlich der Prophylaxe der affektiver
Episoden jedweder Polarität, manischer Episoden als auch, abhängig von der
verwandten Methodik, depressiver Episoden. Hinsichtlich Drop-outs aus Gründen abseits affektiver Episoden zeigte sich Placebo Lithium gegenüber überlegen, während Lithium Placebo überlegen war hinsichtlich des Verbleibs in
der Studie bis zum Studienende. Bezüglich Lithium und Antikonvulsiva zeigte
sich Lithium letzterer Substanzklasse gegenüber überlegen, hinsichtlich der
anderen Zielgrößen ergab sich hingegen kein signifikanter Unterschied. (19)
Abb. 10: Severus et al., (2014) Int J Bipolar Disord 2:15. (19)
Abb. 11: Severus et al., (2014) Int J Bipolar Disord 2:15. (19)
Seite 17
Fazit: Die Evidenzbasis hinsichtlich des rezidivprophylaktischen Effektes von
Lithium hat sich seit 2004 weiter erhöht und verbessert. Somit ist Lithium auch
vor dem Hintergrund der langjährigen klinischen Erfahrung (>60 Jahre) die
wertvollste Behandlungsoption in der Langzeitbehandlung bipolarer Erkrankungen.
5.2
Lithium als add-on Therapie zu Quetiapin: Eine Placebokontrollierte Studie bei akuter Manie
Quetiapin retard als auch Lithium stellen effektive Behandlungsmethoden für
die Behandlung der akuten Manie dar. Doch wie steht es um die Wirksamkeit
der Kombinationsbehandlung von Lithium und Quetiapin im Vergleich zu
Quetiapin Monotherapie? Die vorliegende randomisierte kontrollierte Studie
ging dieser Frage in einer doppel-blinden, Placebo-kontrollierten 6-wöchigen
Studie bei erwachsenen Patienten mit einer manischen oder gemischten
Episode im Rahmen einer Bipolar-I-Erkrankung (DSM-IV-TR) nach. Einschlusskriterien waren ferner ein Young Mania Rating Scale (YMRS) Gesamtscore ≥20 sowie ein Score ≥4 bei 2 von 4 Kernitems der YMRS. Alle Patienten
erhielten Quetiapin retard (400 bis 800 mg/Tag) als auch randomisiert
zusätzlich Lithium (600 bis 1.800 mg/Tag) oder Placebo. Primäres Zielkriterium
war die Veränderung im YMRS Gesamtscore von Baseline zu Tag 43,
analysiert über ein „mixed-model for repeated measures“ (MMRM) Ansatz.
Sekundäre Wirksamkeits- und Sicherheitskriterien wurden ebenso erfasst. Von
den eingeschlossenen 356 Patienten erhielten alle Quetiapin retard, 173
wurden zusätzlich zu Lithium randomisiert, 183 zu Placebo. 291 Patienten
(81.7 %) beendeten die Studie. Am Tag 43 betrug der “least squares mean
change” im YMRS total score -22.8 für add-on Lithium und -20.1 für add-on
Placebo, ein statistisch signifikanter Behandlungserfolg zugunsten von Lithium
(p < 0.001). Was die sekundären Outcome Kriterien angeht war add-on Lithium
ebenso mit signifikanten Verbesserungen hinsichtlich Response, Remission,
Schwere der Erkrankung und Erkrankung insgesamt assoziiert (p < 0.05). The
“number needed to treat” war 9.1 für Response und 7.9 für Remission für addon Lithium im Vergleich zu add-on Quetiapin. Die Kombinationsbehandlung
von Lithium mit Quetiapin retard wurde insgesamt gut toleriert, mit einem
vergleichbaren Nebenwirkungsprofil wie Quetiapin retard in Kombination mit
Placebo. (20)
Abb. 12: Bourin et al., (2014) Int J Bipolar Disord 2:14. (20)
Seite 18
Fazit: Die Kombination aus Quetiapin und Lithium ist eine sinnvolle Behandlungsoption für den klinischen Alltag für Patienten mit einer manischen oder
gemischten Episode im Rahmen einer Bipolar-I-Erkrankung.
5.3
Lithium in der Schwangerschaft
Lithium gilt als Goldstandard in der Langzeitbehandlung (Rückfallprophylaxe)
bipolarer Erkrankungen und speziell auch in der Schwangerschaft und Postpartalzeit. Lithium hat allerdings auch einen engen therapeutischen Index und
ein teratogenes Risiko (Ebstein Anomalie: eine sehr seltene angeborene Herzfehlbildung, die medikamentös und i.R. auch chirurgisch behandelbar ist.
Trotz dieses Risikos wird Lithium in den gängigen Leitlinien als das „Mittel der
1. Wahl“ in der Schwangerschaft empfohlen, da die anderen Stimmungsstabilisierer (insbesondere Antikonvulsiva) gravierendere Auswirkungen und
teratogene Risiken für den Fötus bedeuten bzw. wenig Erfahrungen bestehen
(z.B atypische Neuroleptika). Grundsätzlich muss bei einer/einem Schwangerschaft(wunsch) in einem ausführlichen Gespräch zw. Patient und Arzt
(Psychiater und Gynäkologe) entschieden werden, ob und wenn ja, welche
medikamentöse Therapie notwendig ist.
Die Autoren Diav-Citrin et al. (21) untersuchten in einer prospektiv angelegten,
vergleichenden Beobachtungsstudie die Auswirkungen einer Lithiumtherapie in
der Schwangerschaft bei 183 Patientinnen mit bipolarer Störung, die das
Teratologische Informationszentrum Israels kontaktierten. Die Gruppe wurden
verglichen mit einer Gruppe (n=72) von Patientinnen mit gematchten Diagnosen (ohne Lithiumbehandlung) und mit einer Gruppe von 748 Schwangerschaften, die keinen teratogenen Risiken ausgesetzt waren. In der mit Lithium
exponierten Gruppe gab es signifikant mehr Fehlgeburten (adjustierte Odds
Ratio=1.94) und elektive Abbrüche der Schwangerschaften (17 von 183,
9.3 %) als in der Kontrollgruppe ohne teratogene Risiken (15 von 748, 2,0 %).
In der Rate an angeborenen Fehlbildungen war zwischen den Gruppen kein
signifikanter Unterschied festzustellen; es fand sich ein Fall einer Ebstein
Anomalie in der Lithium-Gruppe.
Abb. 13: Diav-Citrin et al., (2014) Am J Psychiatry 171(7):785-94. (21)
Seite 19
Fazit: Auch wenn die Lithium-Behandlung in der Schwangerschaft Risiken
birgt, ist Lithium nach wie vor das Medikament der ersten Wahl. Die Autoren
aus Israel (21) empfehlen neben einem regelmäßigen Monitoring (insbesondere Lithiumspiegel, Niere, Elektrolyte) und ausreichender Trinkmenge die
regelmäßige Durchführung von Echocardiographie und Stufe 2-Ultraschall bei
schwangeren Frauen, die mit Lithium behandelt werden. Anderen Autoren (22)
empfehlen darüber hinaus generell eine Monotherapie mit Lithium sowie eine
Therapie mit zwei Dosen/Tag um hohe Lithium Serumpeaks zu vermeiden.
5.4
Behandlung der Manie und Psychose in der Postpartumperiode
Ähnlich wie in der Schwangerschaft, ist die Behandlung schwerer postpartaler
psychischer
Störungen
durch
wenig
Evidenz
aus
kontrollierten
Untersuchungen gekennzeichnet. Die niederländischen Autoren legen eine
prospektive Untersuchung vor, in der insgesamt 64 Patientinnen mit der
Erstdiagnose (Psychose oder Manie) in der Postpartalzeit mit einem
sequentiellen Behandlungsalgorithmus, bestehend aus 4 verschiedenen
pharmakologischen Therapiestufen, über 9 Monate behandelt wurden (23). In
den verschiedenen Behandlungsstufen kamen Benzodiazepine (Stufe 1),
zusätzlich Antipsychotika (Stufe 2), sowie zusätzlich Lithium (Stufe 3) zum
Einsatz. Bei Remissionseintritt wurde zunächst das Benzodiazepin,
anschließend das Antipsychotikum, aber nicht Lithium in Stufe 3 langsam
ausgeschlichen. Bei Pat. in Stufe 2 wurde das Antipsychotikum weitergeführt.
Bei fast allen Patientinnen (98 %) konnte eine Remission während der ersten 3
Behandlungsschritte im Laufe des Beobachtungszeitraums (9 Monate) erzielt
werden. Keine Patientin erhielt eine EKT Behandlung (Stufe 4).
Bemerkenswert war die Rate an anhaltender Remission bei Patientinnen, die
eine Monotherapie mit Lithium erhielten, signifikant besser als bei Patientinnen
mit einer antipsychotischen Monotherapie. (23)
Abb. 14: Bergink et al., (2015) Am J Psychiatry 2015 172(2):115-23. (23)
Fazit: Die Autoren empfehlen einen strukturierten, sequentiellen pharmakologischen Behandlungsalgorithmus (der Benzodiazepine, Antipsychotika und
Lithium enthält) zur Behandlung schwerer (psychotischer) postpartaler
Seite 20
Störungen. Insbesondere die positiven Lithiumresultate werden von den
Autoren hervorgehoben.
5.5
Switch-Risiko unter Antidepressiva-Behandlung
Seit vielen Jahren wird kontrovers diskutiert, ob die Verordnung von Antidepressiva bei Patienten mit bipolarer Störung das Switch-Risiko in die Manie
erhöhen. Ein erhöhtes Switch-Risiko wurde insbesondere für trizyklische Antidepressiva und Venlafaxin beschrieben.
Ein Ansatz zur Untersuchung dieser Frage sind pharmakoepidemiologische
Studien mit Hilfe von nationalen Registerdaten. Die Studie von Viktorin et al.
(24) verwendeten Behandlungsdaten von 3.240 bipolaren Patienten aus dem
nationalen Register Schwedens, um die Frage des Switch-Risikos unter der
Therapie mit Antidepressiva zu untersuchen. Das einzigartige Register enthält
alle Daten der stationären psychiatrischen Behandlungen in Schweden seit
1973, und alle ambulanten Behandlungen seit 2011. Es wurden nur Patienten
eingeschlossen, bei denen eine Therapie mit Antidepressiva begonnen wurde
und im vorangehenden Jahr keine Antidepressiva erhalten hatten. Das
Studiendesign ist in der nachstehenden Abbildung 15 dargestellt.
Abb. 15: Victorin et al., (2014) Am J Psychiatry 171(10):1067-73. (24)
Die Kohorte wurde dann stratifiziert in eine Patientengruppe mit einer Antidepressiva Monotherapie (35 % der Kohorte) und in eine Gruppe, die
zusätzlich einen Stimmungsstabilisierer (mood stabilizer) erhielt. In der Gruppe
der Antidepressiva fanden sich faktisch alle verfügbaren Antidepressiva, mit
einem Schwerpunkt auf den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern
(SSRI). Als Stimmungsstabilisierer wurden folgende Substanzen festgelegt:
Lithium, Valproat und Lamotrigin (Anmerkung: keine Neuroleptika). Die Antidepressiva Monotherapie mit Antidepressiva war deutlich mit dem Risiko eines
Switches assoziiert (Hazard Ratio, HR von 2.83), während die Gruppe mit
zusätzlichem Stimmungsstabilisierer kein erhöhtes Risiko aufwies (HR=0.79);
das Risiko war besonders niedrig in den Monaten 3-9 nach Beginn der
Seite 21
Behandlung (HR=0.63). Die Autoren ziehen den Schluss, dass diese Untersuchung weitere Belege liefert, dass ein zusätzlich verordneter Stimmungsstabilisierer einen guten Schutz vor dem Switch in die Manie bietet. Die
Aussagekraft dieser Analyse ist limitiert aufgrund der bekannten Schwächen
eines nationalen Registers (z.B. Genauigkeit der Diagnosen).
Unter kritischer Würdigung dieser neuen Befunde kommt Vieta (25) in einer
Übersicht zu der Ansicht, dass eine Monotherapie mit Antidepressiva in der
Behandlung bipolar depressiver Patienten vermieden werden sollte („Antidepressants in bipolar I disorder: never as monotherapy“). Obwohl Leitlinien
den Einsatz von Antidepressiva Monotherapie seit Jahren nicht empfehlen, ist
dies offensichtlich immer noch gängige klinische Praxis, wie die Registerstudie
aus Schweden zeigt (35 % erhielten eine Monotherapie mit einem Antidepressivum). An dieser Stelle sei auch an die internationale Task Force
Expertengruppe der „International Society for Bipolar Disorders“ (ISBD)
erinnert, die erst kürzlich ein Konsensuspapier über den Einsatz von Antidepressiva in den verschiedenen Behandlungsphasen bipolarer Störungen
entwickelt hat (26). Als Basis für die Umfrage unter den Experten diente eine
systematische Literatursuche zur Identifizierung aller relevanten kontrollierten
Studien zu den verschiedenen Fragestellungen. Die wesentlichen Ergebnisse:
5.6
•
Es existiert eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem weitverbreiteten
Einsatz von Antidepressiva und der zugrundeliegenden geringen
Evidenz aus kontrollierten Studien (u.a. Studienzahl, Effektstärken).
•
Insgesamt ist die Zahl aussagekräftiger kontrollierter Studien als zu
gering zu bezeichnen, um sichere Aussagen über den Einsatz von
Antidepressiva zu machen. Wenn es im Einzelfall anamnestisch positive Behandlungserfahrungen mit Antidepressiva gibt, ist der Einsatz
gerechtfertigt (gilt für Akutphase-Therapie als auch Rezidivprophylaxe).
•
Bei der Bipolar-I-Störung sollten Antidepressiva allerdings nur zusammen mit einem Stimmungsstabilisierer gegeben werden; für die
Gruppe der SSRI und Bupropion ist das Risiko eines „Switch“ niedriger
als für die Gruppe der Trizyklika, Tetrazyklika oder SNRIs (Venlafaxin,
Duloxetin).
Die Abwägung erwünschter und unerwünschter Wirkungen in
der Behandlung der bipolaren Depression
Die bipolare Depression tritt deutlich häufiger auf, als die Manie. Dennoch
existieren dafür weit weniger evidenz-basierte Behandlungen. Anhand von
publizierten multizentrischen, randomisierten, Plazebo-kontrollierten Studien
und Meta-Analysen errechneten Ketter et al. (27) die „number needed to treat“
(NNT) und die „number needed to harm“(NNH) für ausgewählte Nebenwirkungen selektierter Substanzen, die bei der Behandlung der bipolaren
Depression zum Einsatz kommen.
Sowohl Quetiapin (QTP), wie auf das Kombi-Päparat Fluoxetine+Olanzapin
(OFC) waren effektiv (Response NNT=6 für QTP; NNT=4 für OFC). Die
Nebenwirkungen bewegten sich in einer ähnlichen Größenordnung (OFC
Gewichtszunahme NNH=6; QTP Sedierung NNH=5). Häufig eingesetzte aber
nicht formal zugelassene Therapieoptionen wie Lamotrigin (LMT) und
adjuvante Antidepressiva (AD) stellten sich als gut verträglich heraus, dies
allerdings auf Kosten einer geringeren Effektivität (NNT=12 LMT; NNT=29 für
AD). Das neue Neuroleptikum Lurasidon war sowohl effektiv (NNT=5 bei
Seite 22
Monotherapie; NNT=7 als Augmentation) und wurde gut toleriert (NNH=15
Akathisie; NNH=16 Übelkeit).
Abb. 16: Ketter et al., (2014) J Affect Disord 169S1:S24-S33. (27)
Fazit: In der Akutphasetherapie sind sowohl Quetiapin und OFC nach
Datenlage zur Behandlung der bipolaren Depression angemessen. In einer
Situation mit weniger drängendem Handlungsbedarf wären Antidepressiva und
Lamotrigin eine sinnvolle Option. Zukünftig könnte sich das Atypikum
Lurasidon als neue Option hilfreich erweisen.
5.7
Modafinil/Armodafinil: Neue Therapieoption bei der Depression?
Während in den USA zur Behandlung der Manie zahlreiche Medikamente
zugelassen sind, gibt es zur Behandlung der bipolaren Depression dort derzeit
nur 3 von der FDA genehmigte Alternativen: Quetiapin (Monotherapie),
Olanzapin + Fluoxetin (in Kombination) sowie Lurasidon (als Monotherapie
oder zusätzlich zu Lithium oder Valproat). Armodafinil (R-Modafinil) ist in den
USA zur Behandlung starker Schläfrigkeit bei Schichtarbeitern, Narkolepsie
und als Zusatztherapie bei obstruktiver Schlafapnoe zugelassen. In einer
Proof-of-Concept-Study (Phase II) hatten Calabrese und Mitarbeiter zuvor
2010 gezeigt, dass die Zugabe von Armodafinil eine Verbesserung depressiver
Symptome bei Patienten mit Bipolar-I-Erkrankung im Vergleich zu Placebo
brachte.
Eine amerikanische Forschergruppe veröffentlichte nun eine randomisierte,
Placebo-kontrollierte, multizentrische Studie zu Wirksamkeit und Sicherheit
einer zusätzlichen Gabe von Armodafinil bei Patienten, die im Rahmen einer
Bipolar-I-Störung eine depressive Episode hatten: Tagesdosen von 150 mg
Armodafinil, 200 mg Armodafinil oder Placebo (28). Primärer Endpunkt war die
durchschnittliche Änderung vom Ausgangswert bis Woche 8 in dem 30-Item
Inventar des „Depressive Symptomatology Clinician rated total score“ (IDSC30). 786 Patienten wurden gescreent, davon 433 Patienten randomisiert
(n = 199 Placebo, n = 201 Armodafinil 150 mg, n = 33 Armodafinil 200 mg). Die
200-mg-Gruppe Armodafinil wurde frühzeitig beendet. In Woche 8 (Endpunkt)
Seite 23
erzielte die 150-mg-Gruppe Armodafinil im Vergleich zu Placebo eine
signifikant größere Abnahme des mittleren IDS-C30-Gesamtscore (-21,7 vs.
-17,9; p = 0,0097) und eine deutlich höhere IDS-C30-Responder-Rate (≥50 %
Rückgang): 46,2 % vs. 34,2 %; p=0,0147. Der Anteil der remittierten Patienten
(IDS-C30 Gesamtpunktzahl ≤ 11) lag bei 21 % für Armodafinil (150 mg) im
Vergleich zu 17 % in der Placebogruppe (p = 0,3343) bei der letzten Visite.
Unerwünschte Ereignisse, die häufiger in der 150-mg-Gruppe Armodafinil im
Vergleich zu Placebo auftraten, waren Durchfall (9 % [17/198] vs. 7 %
[13/199]) und Übelkeit (6 % [11/198] vs. 5 % [9/199]). In der 200-mg-Gruppe
Armodafinil gab es zwei schwerwiegende unerwünschte Ereignisse (n = 1,
Leberversagen mit Todesfolge; n = 1, akute Hepatitis). Der Tod wurde nicht im
Zusammenhang mit der Behandlung gesehen.
Abb. 17: Calabrese et al., (2014) J Clin Psychiatry 75(10):1054-61. (28)
Fazit: Zugelassene Behandlungsoptionen für bipolare Depressionen sind
begrenzt, weswegen zusätzliche Therapiemöglichkeiten benötigt werden. Die
zusätzliche Gabe von Armodafinil verbesserte (bei allgemein guter Verträglichkeit) die Symptome der bipolaren Depression signifikant, wenngleich die Effektstärke insgesamt gering war. Die klinische Bedeutung der Untersuchungsergebnisse ist noch unbestimmt und bedarf weiterer Untersuchungen.
Goss und Mitarbeiter (London, UK) legten 2013 eine Metaanalyse von
randomisierten kontrollierten Studien (RCT) zur Augmentation von Modafinil
bei uni- und bipolaren Depressionen vor (29). Klinischer Ausgangspunkt war
die Tatsache, dass aktuelle pharmakologische Behandlungen für eine
depressive Episode bei unipolaren Major Depressionen (MDD) und bipolaren
Depression durch geringe Remissionsraten gekennzeichnet sind. RestSymptome sind oftmals eine anhaltende gedrückte Stimmung und neurovegetative Symptome, wie Müdigkeit. Es wurden zur Analyse doppelblinde,
randomisierte, Placebo-kontrollierte klinische Studien in MEDLINE/PubMed
sowie PsycINFO (1980-2013) gesucht und ausgewählt, die eine Augmentation
der Standard-Behandlung für depressive Episoden bei MDD und bipolaren
Depression mit Modafinil oder Armodafinil beinhalteten.
Die Einschlusskriterien waren: randomisierte kontrollierte Studie (RCT) mit erwachsenen Patienten (18-65 Jahre) mit unipolarer oder bipolarer Depression;
Diagnose nach DSM-IV, ICD-10 oder anderen allgemein anerkannten Kriterien;
Modafinil oder Armodafinil als Zusatztherapie in mindestens einem Arm der
Seite 24
Studie und die Veröffentlichung in englischer Sprache in einer Fachzeitschrift.
Es handelt sich um Daten aus 6 RCTs, mit insgesamt 910 Patienten mit uni(major depressive disorder: MDD) oder bipolarer Depression, bestehend aus 4
RCTs mit MDD-Patienten (n = 568) und 2 RCTs mit Patienten mit bipolaren
Depressionen (n = 342).
Die Meta-Analyse ergab eine signifikante Wirkung von Modafinil auf
Verbesserungen bei den allgemeinen Depressions-Scores und den Remissionsraten (Odds Ratio=1,61). Die Behandlungseffekte wurden offensichtlich sowohl bei der MDD, als auch der bipolaren Depression erzielt, wobei
kein Unterschied zwischen den Störungen erkennbar war. Modafinil zeigte eine
signifikant positive Wirkung auf die Ermüdungserscheinungen; die Nebenwirkungen waren nicht anders als bei Placebo.
Fazit: Eine Modafinil-Augmentation einer laufenden antidepressiven Medikation hat einen signifikanten Effekt auf die depressive Episode sowohl bei uni-,
als auch bei bipolaren Patienten. Dabei zeigt sich eine signifikante Verbesserung von Müdigkeit.
5.8
Lurasidon: Antidepressive Wirkung und Pharmakodynamik
Lurasidon ist ein neues atypisches Antipsychotikum, das von der amerikanischen FDA zur Behandlung der Schizophrenie und bipolaren Depression
zugelassen wurde, von der europäischen Zulassungsbehörde bislang nur zur
Behandlung der Schiophrenie. Die Effektivität und das Sicherheitsprofil von
Lurasidon bei der Behandlung von Patienten mit einer depressiven Episode bei
Bipolar-I-Störung wurde in zwei großen Placebo-kontrollierten Studien
demonstriert (Studie 1: Monotherapie; Referenz 30; Studie 2: als add-on
Therapie bei Therapie mit Lithium oder Valproat). Im Vergleich zu Placebo war
in zwei verschiedenen Dosisgruppen von Lurasidon eine signifikante Überlegenheit gegenüber der Placebo-Bedingung zu sehen. Nach 6 Wochen war in
der 20-60 mg/Tag Gruppe eine Reduktion von 15,4 (Effektstärke=0,51), in der
80-120 mg/Tag Gruppe eine Reduktion von ebenfalls 15,4 (Effektstärke=0,51)
und in der Placebo-Gruppe eine Reduktion von 10,7 im MADRS Score ermittelt
worden. Eine signifikante Verbesserung trat auch in den sekundären Endpunkten dem CGI-BP, sowie der Angstsymptomatik und der Lebensqualität
auf. Die Drop-out Raten unterschieden sich zwischen den Gruppen nicht signifikant. Die am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen waren Übelkeit, Kopfschmerzen, Bewegungsunruhe und Schläfrigkeit. Es wurden minimale Veränderungen im Gewicht, den Blutfetten und dem Glucosestoffwechsel gemessen.
Eine Begleittherapie (add-on) mit Lurasidon in der Dosis zwischen
20-120 mg/Tag bei vorbestehender Behandlung mit entweder Lithium oder
Valproat führte ebenfalls zu einer signifikanten Besserung der depressiven
Symptomatik bei Patienten mit einer bipolaren Depression.
Wirkmechanismus (Pharmakodynamik): Es stellt sich die berechtigte Frage,
auf welchem Wege ein atypisches Antipsychotikum deutliche antidepressive
Effekte bewirkt. Dieser Frage gingen die Autoren in dieser Übersichtsarbeit
nach (31). Neben der „klassischen D2-Rezeptorblockade (verantwortlich vor
allem für antipsychotische Effekte) besitzt Lurasidon (ähnlich wie andere
Atypika, z.B. Quetiapin, Olanzapin) pharmakologische Wirkungen an
Rezeptoren des serotonergen und noradrenergen Transmittersystems (5-HT1A
Agonismus, 5-HT2A Antagonismus, Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung,
sowie an D1 und D3 Rezeptoren antagonistische Effekte.
Seite 25
Abb. 18: Fountoulakis et al., (2014) Eur Neuropsychopharmacol [Epub ahead of print]. (31)
Fazit: Eine Monotherapie mit Lurasidon führt, bei einem günstigen Nebenwirkungsprofil- zu einer signifikanten Besserung der depressiven Symptomatik
in Patienten mit einer Bipolar-Typ-I-Depression. Verantwortlich für diese antidepressiven Effekte sind vermutlich pharmakologische Wirkungen an
Rezeptoren der serotonergen und noradrenergen Neurotransmittersysteme.
5.9
Ketamin als Antidepressivum?
Ketamin ist ein N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptor-Antagonist mit hypnotischen und analgetischen Eigenschaften. Aufgrund der schwachen oralen
Bioverfügbarkeit (ca. 20 %), steht Ketamin in Deutschland bisher nur in der
intravenösen bzw. intramuskulären Verabreichungsform zur Verfügung. Nach
intravenöser Gabe werden rasch hohe intrazerebrale Konzentrationen erreicht
(6,5-Fache des Plasmaspiegels). Die Eliminationshalbwertszeit beträgt
79-186 min. Der antidepressive Wirkmechanismus ist nicht abschließend
geklärt. Im Tiermodell konnte die Beteiligung präsynaptischer Mechanismen
und intrazellulärer Signalkaskaden auf molekularer, zellmorphologischer und
behavioraler Ebene nachgewiesen werden (32).
Seite 26
Abb. 19: Ritter et al., (2014) Nervenarzt 85(11):1432-5. (32)
Aus den Studienergebnissen der letzten Jahre ergeben sich nun zunehmend
Hinweise für eine gute antidepressive Wirksamkeit von Ketamin. Für eine
nahezu euphorische Begeisterung – in der Fachwelt und in den populären
Medien – sorgt vor allem der rasche Wirkungseintritt, der das Problem der
langen Wirklatenz klassischer Antidepressiva verbessern könnte. Für Patienten
mit einer bipolaren Depression erscheint Ketamin zudem kein nennenswertes
Switch-Risiko zu bergen. Zudem konnten die veröffentlichen Studien in klinisch
relevanten Domänen, wie Suizidalität oder Therapieresistenz, beachtliche
Effektstärken nachweisen. Die nunmehr neu hinzugewonnene nasale Applikationsform könnte die klinische Handhabung deutlich vereinfachen.
Allerdings gibt es noch eine Reihe von ungelösten Fragen (32). Zunächst ist
Ketamin derzeit lediglich in der Anästhesie zugelassen. Die gegenwärtige
Studienlage wäre für eine Zulassung als Antidepressivum (noch) nicht ausreichend. Fast alle kontrollierten Studien in der Indikation Depression entstanden in einigen wenigen, fast ausschließlich US-amerikanischen, spezialisierten Zentren. Die Frage, wie eine Weiterbehandlung nach Abklingen des
ersten antidepressiven Effektes gestaltet werden sollte, bleibt unbeantwortet.
Studien, die die wiederholte Applikation oder Kombination mit anderen NMDARezeptor-modulierenden Substanzen untersucht haben, haben gemischte
Resultate hervorgebracht. Ketamin ist zudem eine Substanz mit erheblichem
Missbrauchspotenzial, die in der „Club-Szene“ verbreitet ist. Die langfristigen
Auswirkungen und Risiken einer breiten Anwendung wurden bisher wenig
diskutiert. Nicht zuletzt kann Ketamin in höheren Dosen psychotische Episoden
provozieren und wird zu diesem Zweck im Tiermodell genutzt. Während im
Rahmen klinischer Studien eine sorgfältige Auswahl von Probanden, z. B. mit
einem geringen Psychose- oder Suizidrisiko, getroffen wird, ist dies im
klinischen Routinebetrieb wesentlich schwieriger.
Fazit: Obwohl in wissenschaftlicher Hinsicht attraktiv, sollten die Ergebnisse –
klinisch betrachtet – derzeit noch mit einer gewissen Skepsis hinterfragt
werden. Zusammenfassend bietet die klinische und präklinische Anwendung
von Ketamin eine Möglichkeit, die Bedeutung des glutamatergen Systems in
der Pathophysiologie affektiver Störungen modellartig zu untersuchen. Die
Seite 27
ersten Studiendaten bei therapierefraktären depressiven Patienten geben
Anlass zu optimistischer Betrachtung. Zur Etablierung eines breiten therapeutischen Nutzens und Einsetzbarkeit werden allerdings weitere Studiendaten
zur klinischen Wirksamkeit und vor allem auch Verträglichkeit langfristiger Anwendungen dringend benötigt. In Deutschland ist Ketamin nicht als Antidepressivum zugelassen.
5.10
Neuronale Korrelate des raschen antidepressiven Wirkeintritts
von Ketamin bei bipolaren Störungen
Bei der Arbeit von Nugent (33) handelt es sich um eine Interventionsstudie zu
spezifischen neuronalen Wirkmechanismen des sich zunehmend in der
antidepressiven Behandlung eingesetzten Anästhetikums Ketamin. Mittels
FDG-PET (Positronen Emissions Tomographie) wurden hirnmetabolische
Korrelate einer klinischen Ketaminwirkung untersucht. 21 Patienten mit
bipolarer Depression erhielten eine Placebo- oder Ketamininfusion in einem
randomisierten, doppelblinden Crossover-Design. Das klinische Ansprechen
auf Ketamin war dabei mit einer gesteigerten Aktivierung des ventralen
Striatums und des subgenualen anterioren Cingulums assoziiert.
Abb. 20: Nugent et al., (2014) Bipolar Disord 16(2):119-28. (33)
Fazit: Die Studienergebnisse zeigen, dass Ketamin offenbar spezifische metabolische Veränderungen in Hirnregionen hervorruft, welche in der Pathogenese
affektiver Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen. Sie unterstreichen den
potentiellen Nutzen von Ketamin als Antidepressivum in der klinischen Praxis.
5.11
Einsatz der EKT bei bipolarer Depression
Im Gegensatz zur unipolaren Depression, wo die Elektrokrampftherapie (EKT)
aufgrund einer Vielzahl von positiven Studien unbestritten als sehr wirksame
Behandlung eingestuft wird, ist die Datenlage zur Behandlung der bipolaren
Depression weitaus dürftiger. Ein weiterer Grund für die zurückhaltende
Indikationsstellung bei bipolar depressiven Patienten stellt die Angst vor einem
Switch in die Manie dar.
Seite 28
Hintergrund zur Evidenzlage: In einer Metaanalyse untersuchten die Autoren,
ob Patienten mit einer Major Depression und Patienten, die an einer
depressiven Episode im Rahmen einer Bipolaren Störung leiden, Unterschiede
im Ansprechen auf eine Elektrokrampftherapie (EKT) aufweisen (34). In einer
systematischen Literaturrecherche fanden sie 105 Studien, von denen sechs
den inhaltlichen und methodischen Ansprüchen der Autoren genügten. In
diesen zwischen 2001 und 2010 publizierten Arbeiten wurden insgesamt 790
an einer Major Depressive Episode Erkrankte sowie 316 Patienten mit einer
depressiven Episode im Rahmen einer Bipolar-I- oder Bipolar-II-Störung mit
EKT behandelt. Im primären Outcomeparameter, der Remissionsrate, unterschieden sich beide Gruppen nicht signifikant: 50,9 % der unipolar und 53,2 %
der bipolar Depressiven erreichten durch die EKT-Remission. Verschiedene
Autoren (34, 35) schlussfolgern, dass hinsichtlich der Effektivität der EKT kein
Unterschied zwischen der Behandlung depressiver Episoden bei uni- oder
bipolar affektiv Erkrankten besteht. Sie betonen den Stellenwert der EKT in der
Behandlung der bipolaren Depression, da einerseits die bipolaren Patienten
der berücksichtigen Studien einen schwereren Krankheitsverlauf hatten und da
andererseits Vorarbeiten das schlechtere Ansprechen dieser Patienten auf
Antidepressiva und das Risiko eines Antidepressiva-induzierten Switches zu
einer manischen Episode gezeigt haben.
In einer aktuellen Studie von Schoeyen et al. (36) wurde die Wirksamkeit der
EKT (3 x pro Woche, unilateral mit Kurz-Puls-Stimulation) mit einem medikamentösen Standardtherapieprogramm (Algorithmus-basiert) bei Patienten mit
bipolarer Depression untersucht. Diese 6-wöchige randomisiert-kontrollierte
Multizenterstudie aus Norwegen wurde bei 73 Patienten mit therapieresistenter
bipolarer Depression durchgeführt. Insgesamt waren die Behandlungsergebnisse in beiden Gruppen nur moderat, aber mit leichten Vorteilen für die
EKT-Gruppe: Zum Zeitpunkt Studienende (Woche 6) zeigte die EKT-Gruppe
niedrigere Depressionswerte auf der MADRS Skala (Differenz von 6.6 Punkten
vs. Medikamentengruppe). Die Responserate war signifikant höher in der EKT
Gruppe (73,9 % vs. 35 %), aber am Studienende zeigten die beiden Gruppen
keine wesentlichen Unterschiede in der Remissionsrate (34,8 % vs. 30 %). Ein
Switch in die Manie wurde nicht beobachtet.
Abb. 21: Schoeyen et al., (2015) Am J Psychiatry 172(1):41-51. (36)
Seite 29
Fazit: Diese vergleichende Studie liefert bei einer schwierigen Patientengruppe
(therapieresistente bipolare Depression) weitere Hinweise, dass die EKT auch
bei der bipolaren Depression gute Wirksamkeit zeigt und mit einem geringen
Switch-Risiko assoziiert ist.
6
Psychologische Faktoren und Psychotherapie
6.1
Abläufe bei Veränderungen in der Einstellungen zu Medikation
und Veränderungen in der Compliance bei nicht-complianten
Patienten
Obgleich eine medikamentöse Behandlung für eine erfolgreiche Behandlung
der bipolaren Störung (BD) notwendig ist, liegen die Raten der NonCompliance bei bis zu 60 %, und Einstellungen zur Medikation als relevant für
compliantes Verhalten erkannt worden sind, haben bisher nur wenige Studien
die Abläufe bei Compliance-Veränderungen analysiert. Diese Studie untersuchte Einflussfaktoren für Veränderungen in der Compliance bei 86 schlecht
complianten Menschen mit bipolarer Störung. In weiterführenden Analysen
wurden die Daten von zwei unkontrollierten prospektiven Versuchen zur Verbesserung der individuellen Compliance (CAE) mit Hilfe einer psychosozialen
Intervention über 4-6 Wochen untersucht. Eine schlechte Compliance wurde
definiert, wenn mindestens 20 % der verordneten Medikation zur Behandlung
der bipolaren Störungen basierend auf den Selbstratings im Fragebogen zur
regelmäßigen Tabletteneinnahme („Tablets Routine Questionnaire“ (TRQ)
nicht eingenommen worden sind. Die Stichprobe wurde dichotomisiert in eine
Gruppe „Converter“, welche gute Compliance erreichte (n=44) und eine
Gruppe „Non-Converter“, welche bei ihrer schlechten Compliance blieben
(n=21). Diese beiden Gruppen wurden hinsichtlich ihrer Compliance, ihrer
Einstellungen und ihrer Symptome zu Beginn der Untersuchung, sowie nach 6
Wochen und nach 3 Monaten verglichen.
Die Ergebnisse zeigen, dass die beiden Gruppen hinsichtlich demographischer
und klinischer Merkmale zu Untersuchungsbeginn ähnlich waren, aber die
Gruppe der „Converter“ weniger nicht-compliant war (32 % der Tabletteneinnahmen wurden „versäumt“) als die Gruppe der „Non-Converter“ (welche
59 % der Tabletteneinnahme „versäumten“). Nach sechs Wochen hatten die
„Converter“ bessere Einstellungen als die Gruppe der „Non-Converter“. Nach
drei Monaten konnten die „Converter“ ihre Verbesserungen erhalten, die
Gruppenunterschiede waren aber weniger ausgeprägt hinsichtlich einiger Verbesserungen bei den „Non-Converter“. Die „Converter“-Gruppe hatten eine
bessere Compliance nach drei Monaten und diejenigen, welche eine Veränderung hatten, unterschieden sich hinsichtlich der Gruppe der Einstellungen.
Die Symptomschwere verbesserte sich in beiden Gruppen, „Converter“ wie
„Non-Converter“ sukzessive. (37)
Fazit: Die Studie weist für die Praxis folgende Zusammenhänge auf: 1) Bei
mehr als Zweidrittel der bipolar erkrankten Patienten mit schlechter
Compliance, welche eine 4-6 Wochen dauernde psychosoziale Intervention zur
Verbesserung der individuellen Compliance erhalten haben, konnte ein
Wechsel von schlechter zu guter Compliance erreicht werden. 2) Verbesserte
Einstellungen zur Medikation können eine bessere Compliance im Einnahmeverhalten befördern und helfen somit letztlich, Symptome der bipolaren
Störung zu reduzieren.
Seite 30
6.2
Psychopharmakotherapie und familienfokussierte Behandlung
bei Jugendlichen: Eine kontrollierte 2-Jahres-Studie
Frühere Studien haben gezeigt, dass die Familienfokussierte Behandlung eine
effektive Ergänzung der Pharmakotherapie zur Stabilisierung von Erwachsenen mit bipolarer Erkrankung darstellt. Die Autoren der vorliegenden
Studie untersuchen die Frage, ob Pharmakotherapie mit familienfokussierter
Behandlung bei Jugendlichen mit bipolarer Erkrankung effektiver ist als
Pharmakotherapie mit kurzer Psychoedukation (erweiterte Pflege) hinsichtlich
der Kriterien 1) Verkürzung der Regenerationsphase (recovery) nach einer
manischen Episode, 2) Verlängerung der Zeit bis zum Rückfall (recurrence)
und 3) Minderung des Schweregrades der Symptome innerhalb von zwei
Jahren. Dafür wurden 145 Jugendliche mit einem Durchschnittsalter von 15,6
Jahren mit Bipolar-I- oder II-Erkrankung und einer hypomanischen, manischen,
depressiven oder gemischten Episode in den letzten drei Monaten mit ihren
Familienangehörigen zufällig folgenden Gruppen zugewiesen: 1) Pharmakotherapie und Familienfokussierte Behandlung mit Psychoedukation (Früherkennung von Frühwarnzeichen und -intervention), Kommunikations- und
Problembewältigungstraining, vermittelt in 21 Sitzungen über 9 Monaten oder
2) Pharmakotherapie und drei wöchentliche Sitzungen mit erweiterter Pflege
(Familienpsychoedukation). Unabhängige Auswerter beurteilen die Teilnehmer
zu Beginn sowie im 1. Studienjahr alle drei Monate und im 2. Studienjahr alle
sechs Monate mit Hilfe wöchentlicher Stimmungsbarometer. 22 Teilnehmer
(15,2 %) schieden kurz nach der zufälligen Gruppenzuweisung aus eigener
Entscheidung aus der Studie aus. (38)
Die Zeit der Regenerationsphase bzw. bis zum Rückfall und die Anzahl der
erkrankten Wochen unterschied sich in den zwei untersuchten Gruppen nicht.
Weitergehende Analysen zeigten jedoch, dass die Teilnehmer der Familienfokussierten Behandlung weniger schwere manische Symptome während des
untersuchten Zwei-Jahres-Zeitraumes hatten, als die Teilnehmer in der Gruppe
mit der erweiterten Pflege.
Abb. 22: Miklowitz et al., (2014) Am J Psychiatry 171(6):658-67. (38)
Fazit: Die Ergebnisse zeigen keinen Vorteil von intensiver Psychotherapie
kombiniert mit anerkannter Pharmakotherapie gegenüber kurzer Psycho-
Seite 31
therapie und Pharmakotherapie hinsichtlich der Kriterien „schnellere Regeneration“ oder „Verlängerung der Zeit bis zum Rückfall“ bei Jugendlichen mit
bipolarer Erkrankung nach einer akuten Krankheitsphase.
Seite 32
7
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