Das anomale magnetische Moment des Myons

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Zusammenfassung des Vortrags
Das anomale magnetische Moment des
Myons
Ein Präzisionstest des Standardmodells
Thomas Ruster
gehalten am 17. Januar 2011
Das Standardmodell
Das magnetische Moment
~ besitzen ein in- Das Standardmodell ist eine QuantenfeldtheoElementarteilchen mit Spin S
trinsisches magnetisches Moment µ
~ , für das rie, welche die elektromagnetische, schwache
und starke Wechselwirkung beschreibt. Dafolgender Zusammenhang gilt:
bei entstehen die Kräfte durch Austausch von
q ~
Wechselwirkungsteilchen.
S
µ
~ =g
2m
Zur theoretischen Berechnung der Myonmit der Teilchenladung q, der Teilchenmas- Anomalie müssen alle Wechselwirkungen sose m und dem gyromagnetischen Faktor g. wie alle Elementarteilchen des StandardmoFür fundamentale Spin- 12 -Teilchen gilt nach dells (siehe Abbildung 1) mit einbezogen werden.
der Dirac-Theorie
Drei Generationen
(Fermionen)
g=2
Aufgrund von Quantenfluktuationen entstehen aber kleine Abweichungen gegenüber
g = 2, die im Folgenden für das Myon betrachtet werden sollen. Definiere dazu die sogenannte Myon-Anomalie:
aµ =
Austauschteilchen
(Bosonen)
Quarks
Leptonen
gµ − 2
2
Abbildung 1: Der Teilchenzoo des Standard-
Das Myon ist ein Elementarteilchen mit den
modells
gleichen Eigenschaften wie das Elektron, allerdings zerfällt es nach einer Lebensdauer von
2,2 µs und hat eine um den Faktor 207 höhere Theoretische Berechnung
Masse. Wegen seiner hohen Masse ist das maDie Myon-Anomalie lässt sich nach dem Stangnetische Moment des Myons besonders gut
dardmodell beschreiben durch
geeignet, um das gesamte Standardmodell zu
testen.
aµ = aQED + aschwach + astark
1
Anomalie. Zum Präzisionstest des Standardmodells werden allerdings weitere Entwicklungskoeffizienten benötigt.
Abbildung 2c zeigt ein Diagramm der
nächsten Ordnung. Da hier zwei weitere Vertizes hinzukommen, können nun virtuelle
Lepton-Schleifen entstehen. Solche Schleifen
nennt man auch Vakuumpolarisation. Außerdem tragen 6 weitere Diagramme zu dieser
Ordnung bei, da es verschiedene Diagramme
mit der gleichen Anzahl Vertizes gibt.
Eine besondere Eigenschaft der Vakuumpolarisation ist, dass in den Entwicklungskoeffizienten masseabhängige Terme hinzukommen:
2
mµ
C2 = C2
m2l
Betrachte zunächst den Beitrag aQED der
Quantenelektrodynamik (der Quantenfeldtheorie der elektromagnetischen Wechselwirkung). Mithilfe von Störungstheorie lässt sich
dieser Beitrag in der Feinstrukturkonstante α
entwickeln:
2
3
aQED (α) =C1 απ + C2 απ + C3 απ
4
5
+ C4 απ + C5 απ + . . .
1
1. Die
Die Reihe konvergiert, da α ≈ 137
Entwicklungskoeffizienten lassen sich durch
sehr aufwendige Rechnungen bestimmen, welche sich aber durch Feynman-Diagramme veranschaulichen lassen.
Abbildung 2a zeigt die quantenfeldtheoretische Beschreibung zur Situation g = 2, was
auch schon aus der Dirac-Theorie bekannt ist.
Dieses Diagramm veranschaulicht die Wechselwirkung des Myons mit einem äußeren, konstanten Magnetfeld: Die durchgezogene MyonLinie ist über einen sogenannten Vertex mit
einer Photon-Linie verbunden. Alle Linien
und Vertizes lassen sich durch die Feynman”
Regeln“ in mathematische Terme umformen.
Das Diagramm in Abbildung 2b nennt
man auch Schwinger-Term“, dieser ist der
”
erste Korrekturterm der Entwicklung von
aQED . Solche Korrekturterme werden in den
Feynman-Diagrammen durch virtuelle Prozesse dargestellt. Pro Ordnung kommen im Diagramm zwei weitere Vertizes
√ hinzu, da jeder
Vertex mit einem Faktor α beiträgt.
Aus dem Schwinger-Term ergibt sich
C1 = 21 . Dieser Entwicklungskoeffizient beschreibt bereits über 99% der Myon-
Wegen dieser Abhängigkeit haben Teilchen
mit höherer Masse einen geringeren Einfluss
auf das Endresultat. Gerade deshalb sind
Präzisionsmessungen von magnetischen Momenten besonders wichtig: Nur mit sehr hoher Genauigkeit lassen sich die Wirkungen von
schweren Teilchen überprüfen, oder sogar neue
schwere Teilchen entdecken. Das macht auch
das Myon gegenüber dem Elektron so attraktiv: Da im Zähler die Myon-Masse anstatt der
Elektron-Masse auftaucht, werden solche Terme um den Faktor
m2µ
' 43000
m2e
verstärkt! Deshalb spricht man auch davon, dass das Myon empfindlicher gegenüber
neuer Physik“ ist. Für die weiteren Ent”
wicklungskoeffizienten C3 , C4 und C5 gilt
Zeit
(a) g = 2
(b) Schwinger-Term
(c) Vakuumpolarisation
Abbildung 2: Wichtigste Feynman-Diagramme der Quantenelektrodynamik
2
ebenfalls, dass weitere Vertizes hinzukommen, sodass noch mehr Feynman-Diagramme
berücksichtigt werden müssen. Während C3
und C4 bereits bekannt sind, wurde der Koeffizient C5 noch nicht vollständig berechnet. Für
diesen sind über 10000 Feynman-Diagramme
zu berücksichtigen.
Ganz analog funktioniert die Auswertung
des Beitrages der schwachen Wechselwirkung,
aschwach . Hier treten nun die Austauschteilchen
der schwachen Wechselwirkung auf, die W ±
und Z-Bosonen. Bisher wurden die ersten beiden Entwicklungskoeffizienten berechnet. Dies
genügt, um an die momentane experimentelle
Genauigkeit heranzukommen.
Schwieriger zu handhaben ist der Beitrag astark der starken Wechselwirkung. Da
die Kopplungskonstante αstark ≈ O(1)
für niedrige Energien ist, versagt hier die
Störungsrechnung. Der wichtigste Beitrag ist
die hadronische Vakuumpolarisation (Abbildung 3). Dieser Beitrag beinhaltet viele
verschiedene Feynman-Diagramme mit inneren Quark-Gluon-Vertizes, die unabhängig
von der Anzahl der Vertizes alle mit
der selben Größenordnung beitragen, sodass
Störungstheorie hier nicht anwendbar ist.
=
Abbildung 4: Symbolische Schreibweise des optischen Theorems
10
-2
-3
10
-4
10
10
-5
-6
10
10
-7
-8
10
1
10
10
2
Abbildung 5: Hadronischer
Wirkungsquerschnitt in Abhängigkeit der Schwerpunktsenergie
Das Experiment am BNL
Speicherring
Protonenbeschleuniger
Target
Zerfallskanal
(72m)
Abbildung 6: Skizze des Experiments
In den Jahren 1997-2001 wurde die MyonAnomalie experimentell am BNL (Brookhaven National Laboratory) gemessen. Abbildung 6 zeigt eine Skizze dieses Experiments.
Ein Protonenstrahl wird zunächst auf ein TarAbbildung 3: Hadronische Vakuumpolarisation
get geschossen, sodass die Quarks der Protonen und Nukleonen des Targets miteinander
stark wechselwirken. Dabei entstehen uu und
Stattdessen lässt sich hier aber das optidd-Paare, die mit anderen u bzw. d-Quarks
sche Theorem der Streutheorie nutzen: Die
Bindungszustände eingehen, sodass als Resulhadronische Vakuumpolarisation kann mittat Pionen entstehen:
hilfe des hadronischen Wirkungsquerschnitts
σ(e+ e− → qq → Hadronen) berechnet werden
π −: ud
bzw.
(Abbildung 4). Dieser wird durch Messungen
π +: ud
bestimmt (Abbildung 5), deren Ergebnis allerdings fehlerbehaftet ist, was die Genauigkeit Diese Pionen werden in einen Zerfallskanal
des Endresultats einschränkt.
geleitet, wo sie nach dem Feynmangraphen
3
Mit analoger Begründung wie beim PionZerfall werden die Zerfallselektronen bzw. positronen aufgrund der Paritätsverletzung
der schwachen Wechselwirkung bevorzugt in
Spinrichtung des Myons emittiert (Abbildung
9). In Richtung des Speicherringmittelpunkts
sind Kalorimeter angebracht, die die Zerfallselektronen bzw. -positronen detektieren. Da
sich außerhalb des Speicherrings keine Detektoren befinden, wird eine höhere Zählrate registriert, wenn der Spin in das Innere des
Speicherrings gerichtet ist, wie wenn der Spin
in entgegengesetzte Richtung zeigt. Dadurch
entstehen Oszillationen, aus denen sich die
Anomalie-Frequenz direkt bestimmen lässt
(Abbildung 10).
in Abbildung 7 über schwache Wechselwirkung in Myonen zerfallen. Aufgrund der Paritätsverletzung der schwachen Wechselwirkung sind diese Myonen polarisiert: Da das
W -Boson nur an (Anti-)Neutrinos koppelt,
deren Spin antiparallel (parallel) zur Impulsrichtung steht, ist der Spin der Myonen durch
die Drehimpulserhaltung festgelegt (Abbildung 8).
Abbildung 7: Feynmangraph des Pionzerfall
Kalorimeter
Abbildung 8: Spins beim Pionzerfall
Die polarisierten Myonen werden daraufhin in einen Speicherring geleitet, der sich in
einem homogenen Magnetfeld befindet. Dort
führen die Myonen eine Kreisbewegung mit
der Zyklotronfrequenz
Abbildung 9: Skizze des Myonzerfalls
~
qB
m
aus. Außerdem präzediert der Spin mit der
Larmorfrequenz
ω
~c = −
~
gq B
2m
Da der gyromagnetische Faktor g etwas größer
als 2 ist, ändert der Spin seine Richtung
schneller als der Impulsvektor, und zwar mit
der Anomalie-Frequenz
q ~
ω
~a = ω
~L − ω
~ c = − aµ B
m
Die Myon-Anomalie lässt sich also aus einer Messung der Anomalie-Frequenz sowie des
Magnetfeldes gewinnen.
Zur Messung der Anomalie-Frequenz nutzt
man den Myon-Zerfall:
ω
~L = −
Abbildung 10: Messung
Das Magnetfeld wird mittels Kernspinresonanz (NMR) gemessen. Dazu sind nicht nur
375 stationäre Sonden entlang des Speicherrings angebracht, sondern auch 17 Sonden innerhalb eines Wagens, der sich mit Rollen auf
den im Speicherring befindlichen Schienen bewegen lässt (Abbildung 11). Die Messung des
Magnetfeldes erreicht eine Genauigkeit von ca.
0,05ppm.
µ− → e− + ν e + νµ
µ + → e + + νe + ν µ
4
Der Fehler ist zum Großteil durch Statistik
dominiert. Der Theoriewert lautet
atheo
= 1,16591834(49) · 10−3
µ
[0,42ppm]
Hier entsteht der Fehler hauptsächlich durch
die Messung des hadronischen Wirkungsquerschnitts. Vergleicht man die beiden Ergebnisse, so stellt man eine Abweichung von 3,1σ
fest. Das entspricht einer Wahrscheinlichkeit
von über 99%, dass die Abweichung keine
Abbildung 11: Querschnitt durch den Speistatistische Ursache hat. Woher diese Abweicherring mit beweglichem Wagen
chung kommt, ist noch unklar. Im Folgenden
sollen kurz zwei Erklärungsansätze vorgestellt
Neben einer sehr genauen Magnetfeldmes- werden.
sungen wurden viele weitere Vorkehrungen
getroffen, um die Präzision des Experiments
Intrinsisches elektrisches
zu erhöhen, wie z.B. die Beschleunigung der
Myonen auf die sogenannte magische Ener- Dipolmoment
”
gie“. Unter Berücksichtigung relativistischer Führe analog zum magnetischen Moment
Effekte ändert sich nämlich die Anomalie- ein intrinsisches elektrisches Dipolmoment für
Frequenz zu
Elementarteilchen ein:
"
~ ~#
q ~
d~µ = η
S
β×E
1
q
~
aµ B − aµ − 2
ω
~a = −
2mc
m
γ −1
c
Dabei ist η das Analogon zum g-Faktor. Die
Anschaulich lässt sich der Zusatzterm dadurch Existenz eines solchen Dipolmoments würde
erklären, dass sich elektrische Felder im La- die Anomalie-Frequenz ändern zu
borsystem für die bewegten Myonen in Maqη ~ ~
(β × B)
ω
~ a0 = ω
~a −
gnetfelder transformieren, die mit dem magne2m
tischen Moment wechselwirken. Solche elektrischen Felder werden im Experiment zur Fo- Der Zusatzterm lässt sich anschaulich dakussierung des Teilchenstrahls verwendet und durch erklären, dass aus den Magnetfelwürden damit die Anomalie-Frequenz ändern. dern des Speicherrings im bewegten MyonDer relativistische Zusatzterm lässt sich nun Bezugssystem elektrische Felder entstehen,
aber durch eine passende Wahl von γ = 29,3 die mit dem Dipolmoment wechselwirken.
wieder eliminieren, das entspricht einer Myon- Man kann nun ausrechnen, dass ein DiEnergie von Eµ = 3,094 GeV. Durch diese polmoment von dµ ≈ 2 · 10−19 e cm die 3,1σEnergie verlängert sich außerdem die Myon- Abweichung ausgleichen würde. Da allerLebensdauer im Laborsystem auf τ = 64,5 µs, dings für das Elektron ein Grenzwert von
de < 1,6 · 10−27 e cm bekannt ist und einiwas zu einer guten Statistik beiträgt.
ge Standardmodellerweiterungen den Zusammenhang
mµ
Vergleich der Ergebnisse
dµ ≈
de
me
Die Messungen am BNL ergaben folgenden voraussagen, schließt man diese Erklärung
aus, da trotz der höheren Myon-Masse beiWert für die Myon-Anomalie
de Dipolmomente um viele Größenordnungen
−3
verschieden sind.
aexp
=
1,16592080(63)
·
10
[0,54ppm]
µ
5
Literatur und Quellen
Supersymmetrie
In supersymmetrischen Erweiterungen des
Standardmodells werden zu jedem Teilchen entsprechende Superpartner eingeführt
( SUSY-Transformation“). Die Superpartner
”
von Bosonen sind dabei Fermionen und umgekehrt. Das bedeutet, dass aufgrund neuer Teilchen zusätzliche Feynman-Graphen zur
Myon-Anomalie beitragen. Abbildung 12 zeigt
Feynman-Graphen der wichtigsten Beiträge.
Man kann nun ausrechnen, dass SUSYTeilchenmassen im Bereich ≈ 100 − 400 GeV
die 3,1σ-Abweichung ausgleichen könnten. Die
Messung der Myon-Anomalie kann supersymmetrische Theorien also nicht hundertprozentig bestätigen oder ausschließen, sie liefert aber strenge Grenzwerte zu deren Einschränkung.
• The E821 Muon (g-2) Home Page:
http://www.g-2.bnl.gov
• Final report of the E821 muon anomalous magnetic moment measurement at
BNL, Physical Review D 73, 072003
(2006)
• Muon (g − 2): Experiment and Theory,
arXiv:hep-ph/0703049v2
• Essentials of the Muon g − 2, F. Jegerlehner, arXiv:hep-ph/0703125v3
• Vorlesung Experimentalphysik VI,
V. Büscher
Abbildung 12: Links:
Sneutrino-CharginoLoop, Rechts: Smuon-Neutralino-Loop
6
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