FÜR DIE WELT - Global Unions

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arbeit
Mai 2009
FÜR DIE WELT
Strategien der
Global Unions für
eine wirtschaftliche
Erholung
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 1
V orwort von Aidan White
E
s gibt keinen Ausweg aus der Verzweiflung, die
durch die Rezession und den Wirtschaftsrückgang
verursacht wurde. Millionen Beschäftigte und ihre
Angehörigen in aller Welt sind betroffen, weil sie
ihre Arbeitsplätze nicht behalten können und keine Arbeit
finden, während die schwerste Rezession seit den 1930er
Jahren ihre Auswirkungen zeitigt.
Das Elend der Massenarbeitslosigkeit ist überall zu
spüren. In den USA setzten die Arbeitsplatzverluste in
den ersten Tagen des Jahres 2008 ein und beschleunigten
sich nach dem Finanzzusammenbruch im Oktober. In
den ersten sechs Monaten allein gingen 3,3 Millionen
Arbeitsplätze verloren. Arbeitslosenraten bis 12% werden
befürchtet. 1 In Europa hat der Abbau von Arbeitsplätzen
eben erst begonnen. Die Europäische Kommission sagt eine
Arbeitslosenrate von 9,5% für das kommende Jahr voraus.
Viele Wirtschaftswissenschaftler befürchten, dass sie noch
höher ausfallen wird.
Sämtliche Prognosen sind düster. Angesichts eines
Produktionsrückgangs in Japan sowie in den asiatischen
Schwellenländern prognostiziert die Internationale
Arbeitsorganisation eine Zunahme der Arbeitslosenzahlen
um weltweit 50 Millionen. Selbst dies wird noch als
optimistisch angesehen. Die Beschäftigten sind mit dem
Desaster eines Einbruchs konfrontiert, den sie in ihrem
ganzen Leben noch nie erlebt hatten.
Zu diesem kritischen Zeitpunkt sind die
Gewerkschaften im Begriff zu mobilisieren. Sie entwickelten
eine Vision für die Weltwirtschaft, die über die Pfuschereien
mit Regulierung und den Wiederaufbau der zerstörten
Modelle des freien Handels hinausgeht. Sie argumentieren,
dass die Zeit gekommen sei, eine neue politische Landschaft
zu schaffen, die eine gerechtere und nachhaltige Welt für
künftige Generationen aufbauen wird.
© Manoocher Deghati/IRIN
Diese Vision ist zeitgemäss und tritt dafür ein, dem
extremen Kapitalismus und der ungezügelten Gier, die den
Großteil des globalen Finanzsystems derart korrumpiert
haben, ein für alle Mal ein Ende zu setzen.
In dieser Sonderpublikation legen die Globalen
Gewerkschaftsverbände in Zusammenarbeit mit dem
Gewerkschaftlichen Beratungsausschuss bei der OECD
und dem Internationalen Gewerkschaftsbund alternative
Strategien für eine Weltwirtschaft dar, die sich darauf
ausrichten, die Menschen in die Arbeit zurückzuführen,
und einen auf humanitären Werten beruhenden Plan zur
Wirtschaftserholung begünstigen.
Diese von den Global Unions vereinbarten Argumente
wurden im November 2008 den Regierungschefs der
Welt vorgelegt und auf der Tagung der Gruppe der 20
im April 2009 in London erneut zur Sprache gebracht.
Einfach ausgedrückt, fordern die Gewerkschaften eine
Richtungsänderung und einen Bruch mit der Gier, dem
Eigeninteresse und den Ungleichheiten der Vergangenheit.
Sie beharren darauf, dass die Regierungen im Hinblick auf
einen Wandel die Menschen an die oberste Stelle setzen.
Umfassende Ergebnisse über den G 20 Gipel in London siehe
http://www.londonsummit.gov.uk/resources/en/PDF/finalcommunique und auf der Global Union Website www.ituccsi.org and www.tuac.org.
1
The Economist 14. März 2009
Vorwort des Herausgebers 2 / Einleitung: Guy Ryder zur Ausmerzung der Gier
INHALT
3 / Anita Normark und Jim Baker über die Art und Weise, wie sich die Global
Unions organisieren 4 / PERSPEKTIVEN DER GLOBAL UNIONS: Manfred Warda
über die Suche nach einer nachhaltigen Energielösung 6 / Marcello Malentacchi
argumentiert zugunsten einer Welt, die für alle arbeitet 8 / Peter Waldorff
stellt die öffentlichen Dienste in den Mittelpunkt 10 / Ron Oswald fordert die Politiker dazu auf, die Kontrolle der
Weltwirtschaft wieder zu übernehmen 12 / Die Herausforderung der Migration betrifft uns alle, sagt Anita Normark
14 / Nach Ansicht von Fred Van Leeuwen ist Bildung der Schlüssel 16 / Neil Kearney findet eine seltene Gelegenheit,
die Geißel der Armut anzufechten 18 / John Evans über den Grund, weshalb die Global Unions eine radikale
Richtungsänderung fordern 4 / Oliver Roethig untersucht Finanztermingeschäfte für Bankangestellte 32 / Die
Medien wenden sich im Hinblick auf einen Wechsel der Ethik zu, sagt Aidan White 34 / David Cockroft sieht Chancen
für eine Wiederbelebung der Gewerkschaften 35 / Wer wir sind – die Global Unions 36
UND EINE 12-SEITIGE SONDERAUSGABE ÜBER DIE ARGUMENTE DER GEWERKSCHAFTEN ZUGUNSTEN
EINES WANDELS GERICHTET AN DIE ADRESSE DER REGIERUNGSCHEFS DER WELT 20
G LO B A L E H E R A U S F O R D E R U N G
Die Gier ausmerzen und das Leben lebenswert machen
Von Guy Ryder
D
ank des Drucks der
Gewerkschaften auf die
Regierungschefs auf dem
G-20-Gipfel in London stehen
Arbeitsplätze und soziale Themen auf der
globalen Agenda für eine Erholung. Unsere
Forderungen nach einem Wandel, die in
dieser Publikation dargelegt sind, führten
zu konkreten Ergebnissen. Die größte
Kraftanstrengung für eine Kehrtwende
in der internationalen Wirtschaftspolitik
steht jedoch noch bevor.
Die Die Gewerkschaften reagierten
nachdrücklich auf die Herausforderung,
rücksichtslosem Eigeninteresse und
Gier ein Ende zu setzen, die laut dem
Geschäftsführenden Direktor des
Internationalen Währungsfonds,
Dominique Strauss-Kahn, der im Januar
2009 mit einer Delegation der Global
Unions sprach, die Grundursache der
derzeitigen Krise sind „Wir müssen einen
Weg finden, diese Gier zu zügeln“, sagte er.
Ein Anfang wurde in London
gemacht. Die Regierungschefs der
Welt einigten sich darauf, dass die
Internationale Arbeitsorganisation (IAO),
die einzige dreigliedrige Organisation
im System der Vereinten Nationen,
am Folgegipfel teilnehmen wird, der
im späteren Verlauf des Jahres 2009
in New York stattfinden wird und
die Maßnahmen zur Schaffung von
Arbeitsplätzen beurteilen soll.
Der Gipfel befürwortete zudem eine
weitere Diskussion über eine von der
deutschen Kanzlerin Angela Merkel und
anderen angeregte „Charta“, mit Hilfe
derer ein neuer globaler Konsens über
die wichtigsten Werte und Grundsätze
für eine nachhaltige Wirtschaftstätigkeit
erzielt werden soll Dies bietet
den Gewerkschaften Gelegenheit,
ihren Forderungen in Bezug auf die
Arbeitnehmerrechte Nachdruck zu
verleihen, damit die soziale Gerechtigkeit
in eine kohärente globale Agenda
integriert wird.
Es wird noch mehr Geld in den Topf
geworfen werden – faktisch weitere
1,1 Bio. USD –, um die Kreditvergabe zu
fördern, doch wird der Großteil davon an
den IWF gehen. Und dies, obwohl nach
wie vor Besorgnis über die Strategie des
IWF herrscht, Kredite an Bedingungen
zu koppeln. Vielfach sehen nationale
Regierungen sich daher gezwungen,
Arbeitsplätze und Dienstleistungen im
Inland abzubauen, um wirtschaftliche
Unterstützung zu erhalten.
Ein wichtiger Erfolg des Gipfels
ist die Vereinbarung die internationale
Finanzregulierung, auch für die
Hedgefonds. zu verstärken. Ausserdem
gab es eine Einigung darüber,
Maßnahmen gegen Steueroasen zu
treffen, die die Normen der Organisation
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (OECD) nicht einhalten, und
nach Bedarf denjenigen, die ausscheren,
Sanktionen aufzuerlegen.
Die G-20-Regierungschefs reagierten
auf die Gewerkschaftsforderungen
nach einer weltweiten Lösung, die
die Bedeutung der „Erfordernisse
und Arbeitsplätze hart arbeitender
Familien“, die Notwendigkeit, „Vertrauen,
Wachstum und Arbeitsplätze“
wiederherzustellen und die Erhaltung
und Schaffung von Arbeitsplätzen als
zentralen Zweck der Steuerausweitung
hervorheben. Die Schlussfolgerungen
des Gipfels fordern die Schaffung von
Arbeitsbeschaffungsmassnahmen
für die von der Krise Betroffenen,
darunter auch Maßnahmen zur
Einkommensunterstützung, den Aufbau
„eines gerechten, familienfreundlichen
Arbeitsmarktes für Frauen und Männer“
und die Unterstützung des Arbeitsmarktes
durch Ankurbelung des Wachstums,
Investitionen in Aus- und Weiterbildung
und eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die die
Verletzlichsten in den Mittelpunkt stellt.
Dies reicht jedoch nicht aus. Wie
viel tatsächlich noch zu tun ist, zeigte
sich deutlich am Vortag des Gipfels,
als die OECD ihre Zwischenprognosen
veröffentlichte, aus denen hervorging,
dass die Weltwirtschaft selbst in den
reicheren Ländern um 2,7% schrumpft und
die Arbeitslosigkeit sich infolgedessen
im Verlauf des Jahres in einigen größeren
Volkswirtschaften verdoppeln dürfte.
Die Gewerkschaften müssen ihre
Forderungen nach einem globalen
Pakt für Arbeitsplätze verstärken,
der die Beschäftigung in den
Mittelpunkt der Erholung stellt. Die
Gewerkschaftskampagne zum Welttag
für menschenwürdige Arbeit am 7.
Oktober wird nun zum Brennpunkt
der internationalen Solidarität, um die
Menschen in die Arbeit zurückzuholen und
die Wirtschaft erneut in jedem Winkel der
Welt wieder zum Laufen zu bringen.
London hat die Tür geöffnet, doch
stehen die grundlegenden Veränderungen
zugunsten einer Erholung, die auf
einem neuen, wertebasierten Kurs
für die Weltwirtschaft beruht, noch
aus. Die Regierungen müssen damit
beginnen, an einem Steuerungsrahmen
zu arbeiten, der das gescheiterte System
des Marktfundamentalismus ändert,
das die Politik in den vergangenen
drei Jahrzehnten beherrschte und eine
verheerende Wirkung auf das Leben von
Millionen zeitigte. Die Unterwerfung
der Wirtschaft unter demokratische
Kontrolle und der Aufbau gerechterer
Gesellschaftsordnungen bedeutet, die
wiedererweckten Werte mit starken,
effizienten und reaktionsfähigen
Regierungen zu kombinieren, die sich zu
kollektiver Aktion verpflichten.
Die derzeitige Krise ist zu
tief, um ignoriert zu werden. Dies
ist nicht die Zeit für kosmetische
Behandlung oder Feinabstimmung der
Regulierungsmechanismen, die bei der
Zügelung der rücksichtslosen Fähigkeit
der Finanzmärkte, dauerhaften Schaden
anzurichten, vollständig versagt haben.
Das Ziel ist ganz einfach, aus
der Krise mit einer Wirtschaft
herauszukommen, die gerechter und
daher nachhaltiger ist. Diese Krise
bietet die Chance, Lösungen für die
langfristige Geißel der Armut und für das
dringliche Problem der Erderwärmung
zu entwickeln. Sie bietet Chancen für die
kurzfristige Schaffung von Arbeitsplätzen
und die Entwicklung einer nachhaltigen
Industriepolitik, die langfristige, stabile
Beschäftigung schaffen wird, so dass sie,
wenn das Wirtschaftswachstum und die
Schaffung von Beschäftigung, wieder in
Gang gekommen sind, sauberer, grüner
und gesünder ist.
Diese Krise lässt sich jedoch nicht
hinter geschlossenen Türen durch eine
kleine, exklusive Gruppe derjenigen
beheben, die überhaupt erst zu ihrer
Entstehung beitrugen. Die neue
Architektur sollte die Gier vielmehr zügeln,
als sie schützen. Deshalb beharren wir auf
einer öffentlichen Grundsatzstrategie, mit
der unter anderem den vielen Millionen
Gewerkschaftsmitgliedern über ihre Global
Unions Gehör verschafft werden kann.
Guy Ryder ist Generalsekretär des
Internationalen Gewerkschaftsbundes.
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 3
Rat der Global Unions: Die Welt in Ordnung bringen dur ch
Gemeinsame
Aktion
Von Anita Normark und Jim Baker
DER LEITSATZ DES RATES DER GLOBAL UNIONS, DER IM JANUAR 2007
UNTERZEICHNET WURDE, SAGT ALLES AUS – „GEWERKSCHAFTLICHE
ORGANISIERUNG, WAHRUNG DER MENSCHENRECHTE UND DER
ARBEITSNORMEN IN ALLER WELT UND FÖRDERUNG DES WACHSTUMS
DER GEWERKSCHAFTEN ZUM NUTZEN ALLER ARBEITNEHMER UND IHRER
FAMILIEN.“ NOCH NIE WAR DIESE EINFACHE SOLIDARITÄTSBEKUNDUNG SO
NOTWENDIG WIE IN DIESEN TURBULENTEN ZEITEN.
Die Rezession im Kielwasser
des Zusammenbruchs der
Finanzdienstleistungen
verstärkte die Notwendigkeit
einer Partnerschaft zwischen
Organisationen, die nationale
Gewerkschaftszentralen
vertreten, und denjenigen, die
Branchengewerkschaften vertreten.
Der Zeitpunkt ist gekommen, da die
Gewerkschaften die ganze politische
und gewerkschaftliche Stärke
benötigen, die sie aufbringen können.
Diese Publikation
erläutert eine strategische
Stellungnahme der internationalen
Gewerkschaftsbewegung
zur globalen Krise. Die hier
dargelegten Gedanken werden der
internationalen Gemeinschaft und
den führenden Persönlichkeiten
vorgelegt – nicht um die bereits
von den einzelnen Global
Unions individuell oder kollektiv
unternommene Arbeit zu
verdoppeln, sondern um mit einer
einzigen, einheitlichen Stimme
für eine Erholungsstrategie zu
sprechen, die die Menschen an an
die erste Stelle setzt.
4 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
Die Bewegung der Global
Unions zieht Kraft aus der
konzertierten Tätigkeit. Sie dient
als Forum für einen Informationsund Gedankenaustausch und
als Katalysator für Aktion
und Operation, die für die
gesamte internationale
Gewerkschaftsbewegung von
Nutzen sind.
Nahezu alle Aktionen des Rates
der Global Unions beziehen sich auf
die gewerkschaftliche Organisierung
und die Gewerkschaftsanerkennung.
Dies kann dabei helfen, geltende
Arbeitsrechte zu vebessern
oder deren Umsetzung zu
bewirkeh. Die internationale
Unterstützung der Bemühungen
der US-Gewerkschaftsbewegung
für den sogenannten US- Employee
Free Choice Act (EFCA), einem
Gesetz, das den US-Arbeitnehmern
den Beitritt zu Gewerkschaften
ermöglichen soll, ohne gleichzeitig
Represalien befürchten zu müssen,
ist ein derartiges und äußerst
wichtiges Beispiel. Aber auch
in vielen weiteren Ländern ist
unsere vereinigte politische und
gewerkschaftliche Stärke gefragt:
Die Arbeitnehmer müssen die
Chance erhalten, das Recht auf
Bildung ihrer Gewerkschaften und
auf Verhandlungen auszuüben.
Hierzu müssen einzelne Länder
identifiziert und die Zusammenarbeit
in Wirtschaftsfreizonen intensiviert
werden.
Auch die wachsende Zahl
prekärer und informeller
Arbeitsverhältnisse in aller Welt
wurde zu einem großen Hindernis für
die gewerkschaftliche Organisierung,
für Verhandlungen und Aufbau
der Gewerkschaftsstärke.
Arbeitnehmer ohne reguläre, direkte
Arbeitsverträge befinden sich in
einer Grauzone prekärer Arbeit
und genießen häufig keinen Sozial-,
Rechts- oder Verhandlungsschutz.
Selbst diejenigen, die auf dem
Papier geschützt sind, haben häufig
Angst, sich zu organisieren und
das Risiko einzugehen, ihre Arbeit
zu verlieren. Diese „Wegwerf“Arbeitnehmer waren die ersten
Opfer der Wirtschaftskrise. Die
Zusammenarbeit in diesem Bereich,
die durch eine Arbeitsgruppe
erleichtert wurde, bildete eine der
höchsten Prioritäten der Global
Unions. Wir müssen aus dieser Krise
herauskommen, indem das Konzept
der regulären Beschäftigung nicht
nur zugunsten der betroffenen
Beschäftigten wiederhergestellt
wird sollte, sondern auch, um dazu
beizutragen, einen „freien Fall“
der Arbeitnehmer zu verhindern,
wann immer wirtschaftliche
Turbulenzen eintreten. Diese
globale Arbeit schreitet dank der
engen Zusammenarbeit zwischen
Global Unions bei der Politik, auch
mit zwischenstaatlichen Gremien,
und bei der branchenspezifischen
Arbeit in den Bereichen der
gewerkschaftlichen Organisierung
den Unsinn der „Auslagerung“
öffentlicher Verantwortlichkeiten
und des Gemeinguts an diejenigen,
die von Profit angetrieben werden.
Die zahlreichen Themen von
öffentlichen Dienstleistungen von
hoher Qualität bis zu gerechter
und angemessener Besteuerung,
den wichtigen Verbindungen
zwischen öffentlichen Regeln
und privater Verhaltensweise
bis hin zu wirtschaftlicher und
sozialer Gerechtigkeit werden von
den Global Unions gemeinsam
untersucht. Eine „Erholung“
mit Regierungen, die erneut im
Geheimen agieren, nachdem
die Banken wieder saniert sind,
oder mit Werten des öffentlichen
Dienstes, die durch privaten Profit
verdrängt werden, wird die Saat
des Marktzusammenbruchs erneut
säen.
Um das Beste aus diesem
umfassenden Programm der
Global Unions zu machen und
ihren Mitgliedern bei einer
besseren Verständigung mit deren
Mitgliedern und der Öffentlichkeit
behilflich zu sein, werden
Elemente einer einheitlichen,
schlüssigen Kampagnen- und
Kommunikationsstrategie
entwickelt. Ein Expertenteam
vereinigt die Global
Unions, um gemeinsame
Kommunikationsansätze und
-hilfsmittel zu entwickeln
und außerdem weiter in das
Internetzeitalter vorzustoßen.
Auch diese Publikation wurde vom
Expertenteam angeregt.
Die Optionen für die Erholung
sind unmöglich zu prüfen, ohne
auf die wachsende Ungleichheit
innerhalb und zwischen den
Ländern einzugehen. Armut und
Arbeitslosigkeit breiten sich so
rasch aus, dass die Zahlen praktisch
sofort wieder veraltet sind.
Eine Reaktion auf die
Wirtschaftskrise betrifft nicht einfach
nur eine Finanzregulierung und
aufsicht, sondern eine Erholung muss
sich auch mit den Ungleichheiten
und Ungerechtigkeiten befassen
und ein neues Vorgehen bei der
Regierungspolitik entwickeln, das
sich auf einen größeren Spielraum für
Kollektivverhandlungen als Prozess
zur Umverteilung des Wohlstands
und Förderung der Gleichstellung
ausrichtet. Die Auswirkungen der
© M. Crozet/ILO
und der Arbeitsbeziehungen rasch
voran.
Die globale Migration
ist ein weiteres wachsendes
Phänomen, das die Möglichkeiten
der gewerkschaftlichen
Organisierung beeinträchtigt,
insbesondere in Sektoren wie
Baugewerbe und Gesundheits- und
Dienstleistungssektoren. Deshalb
wurde eine gemeinsame Arbeit
bezüglich der Migration eingeleitet,
eines Themas, das sowohl eine
politische Dimension aufweist
als auch branchenspezifische
Auswirkungen zeitigt.
MillionenArbeitnehmerwerden in den
kommenden Jahren auf der Suche
nach Arbeit und einem besseren
Leben die Kontinente durchqueren.
Die Zusammenarbeit zwischen den
Global Unions wird als Mittel zur
Verstärkung der politischen und
branchenspezifischen Reaktionen
angesehen.
Von Bedeutung sind auch
Bemühungen zur Einflussnahme auf
die Auswirkungen und die Rolle der
multinationalen Unternehmen an
den internationalen und nationalen
Märkten. Diese arbeiten häufig
mit einem Umsatzetat, der höher
ist als mancher Staatshaushalt.
Dies wirkt sich auch auf die
nationalen Arbeitsmärkte und die
Chancen für die gewerkschaftliche
Organisierung der Arbeitnehmer
und Wahrung ihrer Rechte
aus. Der globale Sozialdialog
zwischen mehreren Globalen
Gewerkschaftsverbänden und
einzelnen Unternehmen wurde
in den letzten Jahrzehnten
beträchtlich ausgeweitet, unter
anderem mit der Aushandlung
von über 60 internationalen oder
globalen Rahmenabkommen mit
multinationalen Unternehmen.
Der Rat der Global Unions tritt
zusammen, um Informationen
über Unternehmensstrategien und
Rahmenabkommen auszutauschen.
Die Erfüllung unserer
Gewerkschaftsambitionen
ist jedoch ohne angemessene
Rechtsvorschriften, die die Rechte
in vollem Umfang schützen und
die durchgesetzt werden, nicht
möglich. Dies setzt funktionierende
Regierungen sowie eine
Wiederherstellung der Werte des
öffentlichen Dienstes voraus. Die
Wirtschaftskrise unterstreicht
Diskriminierung aufgrund des
Geschlechts, der Staatsangehörigkeit,
der Rasse, der Religion und anderer
Aspekte nimmt zu, während sich
die Finanz-, Nahrungsmittel- und
Energiekrisen verschlimmern.
All diese Themen stellen eine
reich befrachtete und umfassende
Agenda für Gewerkschaftsaktion
dar. Der Erfolg ist nicht garantiert,
doch wird er erzielt werden, sofern
es eine bessere Kommunikation
und stärkere Beziehungen zwischen
den nationalen und internationalen
Arbeitnehmergemeinschaften gibt.
Eine Zusammenarbeit zur Förderung
der internationalen Arbeitsnormen,
um die Arbeitnehmerrechte auf
gewerkschaftliche Organisierung
und Kollektivverhandlungen
zu wahren, die Förderung der
Gewerkschaftszusammenarbeit,
neue Rechtsvorschriften und ein
befreiendes Politikumfeld sowie
Aktionen in den Betrieben werden
ihre Früchte tragen. Die Erholung
von dem durch den globalen
Kapitalismus erzeugten Chaos
wird zeitraubend und schmerzlich
sein, doch ist die internationale
Gewerkschaftsbewegung
entschlossen, mit einheitlichen und
wirksamen Gewerkschaftsstrategien
zugunsten der Rechte und des
Wachstums zu den verschiedenen
Lösungen beizutragen.
Anita Normark, ist Generalsekretärin
der Bau- und HolzarbeiterInternationale und Vorsitzende des
Rates der Global Unions
Jim Baker ist Koordinator des Rates
der Global Unions
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 5
SUCHE NACH EINER NACHHALTIGEN ENERGIELÖSUNG
Treibstoff
der Zukunft
Von Manfred Warda
WIE ANDERE GLOBAL UNIONS REAGIERTE AUCH DIE INTERNATIONALE
FÖDERATION VON CHEMIE-, ENERGIE- UND FABRIKARBEITERGEWERKSCHAFTEN (ICEM) ZÜGIG, DIE FINANZKRISE UND DIE GLOBALE
REZESSION IN DEN MITTELPUNKT IHRER ARBEIT ZU STELLEN.
Auf ihrer Tagung vom 6. November
2008 in Genf zu einem Zeitpunkt, als
die Welt über das Ausmaß des globalen
Finanzzusammenbruchs noch immer
unter Schock stand, nahmen die Leiter
der Föderation kein Blatt vor den Mund.
Das ICEM-Präsidium sagte in seiner
Erklärung, dies sei ein Wendepunkt
in der Geschichte, ein Beweis dafür,
dass das derzeitige Finanzsystem
nicht funktionierte, und rief zu
einem Wandel auf – insbesondere
zur Schaffung eines neuen und
gerechteren globalen Finanzsystems
aufgrund „strikter Finanzaufsicht und
kontrolle, einschließlich einer neuen
Serie internationaler Vorschriften“.
Gewerkschaftsleiter wissen
besser als die meisten, dass diejenigen
Menschen in der Welt, die am
wenigstens für den Zusammenbruch
verantwortlich sind, am schwächsten,
am stärksten betroffen und am
unfähigsten sind, mit den Folgen der
Krise fertig zu werden.
Alle ICEM-Sektoren sind betroffen.
Das Jahr 2009 wird mit Sicherheit
tiefergreifende Auswirkungen bringen.
Der Zusammenbruch des Umsatzes
der Automobilindustrie wirkt sich
unverzüglich auf die Reifen-, Gummi-
6 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
und Kunststoffsektoren aus. Die
Beschäftigten in der Flachglasindustrie
hängen zum Teil vom Automobilsektor
ab und sind vom Rückgang im
Baugewerbe gleichermaßen betroffen.
Die gesunkenen Rohstoffpreise fordern
ihren Tribut vom Bergbausektor und
der allgemeinen Chemieindustrie.
Die Krise und die Rezession dürfen
jedoch kein Vorwand dafür sein, die
Situation noch zu verschlechtern,
indem die internationalen
Verpflichtungen zur Entwicklung der
ärmsten Volkswirtschaften der Welt
gelockert werden.
Das ICEM-Präsidium erklärt, die
Finanzinstitutionen der Welt und die
internationale Gemeinschaft dürften die
bestehenden Verpflichtungen bezüglich
der Entwicklung von Projekten in den
Ländern, die diese am dringendsten
benötigen, nicht fallenlassen und
die Arbeit zur Verwirklichung der
Millenniums-Entwicklungsziele nicht
einstellen oder reduzieren.
Die ICEM ihrerseits hat vor, ihre
Verbindungen zum Rat der Global Unions
zu nutzen, um an der Entwicklung einer
Gewerkschaftskampagne mitzuwirken,
die auf eine tiefgreifende Umwandlung
der Weltwirtschaft abzielt – mit strikter
Finanzaufsicht und -kontrolle sowie
nachdrücklichen Vorschriften, die halten
und die Tür für eine neue Ordnung
öffnen, in der mehr Entwicklungsländer
in den Prozess der Überwachung
und Kontrolle des globalen Kapitals
eingebunden werden.
In den Energiebranchen und
insbesondere im Erdölsektor werden
die wirtschaftlichen Turbulenzen und
die Rezession durch die Auswirkungen
des rückläufigen Erdölpreises noch
unsicherer gemacht.
Insgesamt bleibt die Welt
weitgehend von fossilem Treibstoff
unabhängig. Obwohl Erdöl der führende
Treibstoff der Welt bleibt, ging sein
internationaler Marktanteil in den
vergangenen sechs Jahren stetig zurück
– hauptsächlich zugunsten von Kohle.
Das Wachstum im Kohlesektor
und die erhöhte Nachfrage nach Erdöl
wurden durch die expandierenden
Volkswirtschaften Chinas und Indiens
angetrieben. Die Region Asien/
Pazifik bestritt im Jahre 2007 in der
Tat zwei Drittel des weltweiten
Energieverbrauchs und stieg um
überdurchschnittliche 5% an. China
machte erneut die Hälfte des Wachstums
des weltweiten Energieverbrauchs aus.
Die meisten Prognosen sagen
voraus, dass die fossilen Treibstoffe mit
Erdöl an der Spitze bis zum Jahr 2030
weiterhin über 85% des weltweiten
Energiebedarfs liefern werden. Der
Gesamtbeitrag der nicht fossilen
Schadstoffe zu den verschiedenen
Treibstoffen wird zwar zunehmen,
jedoch ausgehend von einem niedrigen
Anfangsniveau.
Die Energienachfrage geht
aufgrund der Schrumpfung der
Fertigungsindustrie kurzfristig zurück.
Gegen Ende 2008 stürzte die Nachfrage
ab und die weltweiten Erdölvorräte
nahmen zu. Im dritten Quartal 2008
verringerte sich der Erdölverbrauch in
den USA um rund eine Million Barrel pro
Tag – was einem Rückgang von rund 5%
entspricht. Bis Ende 2008 war er um 6,5%
zurückgegangen. Weitere Rückgänge
werden im Jahre 2009 erwartet.
Seit Anfang 2008 schwanken
die Erdölpreise. Die gesteigerte
Nachfrage in den Schwellenländern,
Besorgnis über die Versorgung und
regionale Instabilität sowie schamlose
Spekulation ließen den Referenzpreise
von Rohöl auf nahezu 150 USD pro Barrel
steigen und in der Folge auf einen Stand
von rund 40 USD pro Barrel abstürzen.
Die prozentualen Schwankungen des
Preises betrugen im Januar 2009 in nur
einem einzigen Tag 12% oder mehr.
Die Auswirkungen waren klar. Die
sinkenden Preise führten zur Streichung
oder zum Aufschub verschiedener
Investitionen im Erdölsektor. Während
der Depression werden die Preise
niedrig bleiben, die Schürftätigkeit wird
sich verlangsamen, und es wird einen
Überschuss der Produktionskapazität
über die Nachfrage geben.
Der Preis wird jedoch wieder
ansteigen. Wenn die Industrie die
Investitionen drosselt, wird es
weniger Kapazität für die Deckung der
steigenden Nachfrage geben, wenn sich
die Weltwirtschaft tatsächlich erholt.
Die Welt steht nicht vor dem
Ende der Erdöl- und Gasversorgung,
obwohl es äußerst wahrscheinlich ist,
dass bereits das Ende der künftigen
„billigen“ Erdölreserven abzusehen
ist, deren Produktion lediglich einige
wenige Dollar pro Barrel kostet.
Solche Felder finden sich lediglich
im Nahen Osten in küstennahen Quellen
mit verhältnismäßig einfacher Geologie.
Der Irak ist vermutlich das einzige Land,
in dem diese Reserven zurzeit nicht in
vollem Umfang ausgeschöpft werden.
Es gibt jedoch eine große und
wachsende Ressourcenbasis, die
zusammen mit den enormen Mengen
nicht konventionellen Öls, die genutzt
werden können, genügend Erdöl
liefern, um den Bedarf der Welt in
absehbarer Zukunft zu decken.
Ein Problem ist jedoch die
Lieferbarkeit des erforderlichen
Images © M. Crozet/ILO
“
Die Welt steht nicht vor dem Ende der Erdöl- und
Gasversorgung, obwohl es äußerst wahrscheinlich
ist, dass bereits das Ende der künftigen ‚billigen‘
Erdölreserven abzusehen ist, deren Produktion
lediglich einige wenige Dollar pro Barrel kostet.
Erdöls. Die künftige Produktion wird
sich weitgehend auf die Vorkommen
in tiefen und sehr tiefen küstennahen
Gewässern konzentrieren. Sie wird in
unwirtlichen und umweltsensitiven
Umgebungen stattfinden, wie der
arktischen Region und auch so
genannte „nicht konventionelle“
Vorkommen, einschließlich Ölsand,
Ölschiefer und Schwerölvorkommen,
umfassen.
Der Norden der Provinz Alberta in
Kanada beispielsweise verfügt über die
weltgrößten Teersandvorkommen mit
schätzungsweise 174 Milliarden Barrel
Erdöl. Die Gewinnung ist nach wie
vor kostspielig, da viele der massiven
Projekte, die sich in Entwicklung
befinden, Erdölpreise von rund 75
Dollar pro Barrel voraussetzen.
Selbst diese enormen Vorkommen
erscheinen gering im Vergleich
zu den Ölschieferflözen in den
Rocky Mountains in den USA, die
schätzungsweise 800 Milliarden
Barrel Erdöl enthalten sollen – rund
dreimal mehr als die Vorkommen in
Saudi-Arabien. Die Förderung wäre
”
kostspielig und würde ungeheure
Wassermengen erfordern.
Diese voraussichtlich anhaltende
Abhängigkeit der Weltwirtschaft von
fossilen Kraftstoffen hat bedeutende
Herausforderungen bezüglich des
Klimawandels zur Folge.
Die Welt funktioniert, wenn sie über
die von ihr benötigte Energie verfügt,
doch wird sie sicherstellen müssen, dass
sie den Wandel für eine nachhaltige
Zukunft vollzieht, in der neue
Arbeitsplätze geschaffen werden und
die Lebensqualität für alle verbessert
wird. Deshalb ist die Bewältigung der
Herausforderung des Klimawandels
– ebenso wie die Tatsache, dass die
Menschen an die oberste Stelle gesetzt
werden müssen – eine der wichtigsten
Forderungen der Gewerkschaften, wenn
sie ihre eigenen Strategien zugunsten
einer nachhaltigen und dauerhaften
Erholung entwickeln
.
Manfred Warda ist Generalsekretär
der Internationalen Föderation von
Chemie-, Energie- und FabrikarbeiterGewerkschaften.
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 7
DIE GEWERKSCHAFTEN FORDERN EINE WELT, DIE FÜR ALLE ARBEITET
Menschenwü
für einen Wan
Von Marcello Malentacchi
DIE REGIERUNGEN IN ALLER WELT HATTEN VERMUTLICH KEINE
ANDERE WAHL, ALS DAS KORRUPTE FINANZSYSTEM ZU RETTEN, DAS DIE
WIRTSCHAFTSKRISE VERURSACHTE, FÜR DIE WIR HEUTE BEZAHLEN. ES
IST JEDOCH EIN RETTUNGSPLAN, FÜR DEN DIE ARBEITNEHMER EINEN
SAFTIGEN PREIS ZU ZAHLEN HABEN.
In den letzten Monaten wurden Millionen
Arbeitsplätze in der Industrie und im
Dienstleistungssektor vernichtet. Die
meisten davon waren Arbeitsplätze
von Jugendlichen und Frauen, die die
schwächsten Glieder der berufstätigen
Bevölkerung sind – diejenigen mit
kurzfristigen Arbeitsverträgen, die
Zeitarbeit leisten oder in prekären
Beschäftigungsformen tätig sind.
Die Aussage, dass die Geschehnisse
voraussehbar waren und hätten
vermieden werden können, ist
zwar unbestritten, jedoch kaum
zweckmäßig. Die Gewerkschaften
auf alle Ebenen, nicht zuletzt in der
internationalen Arena, warnten davor,
dass eine unregulierte Spekulation
der Ruin des Finanzsystems sein
werde. Sie argumentierten, dass eine
Kontrolle im Umfeld der nationalen
Regierungen und Parlamente ausgeübt
werden müsse und Regeln für eine
Kontrolle erforderlich seien, die
über demokratische internationale
Institutionen durchgeführt werden soll.
Es ist ein Skandal, dass die
Regierungen in den reichen Ländern
der Welt lediglich ein paar Wochen
benötigten, über 2 000 Mrd. USD zu
beschaffen (richtig – 2 000 Mrd. USD),
um Banken, Versicherungsunternehmen
8 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
und sonstige Finanzinstitutionen am
Rande des Bankrotts zu retten, wenn
man weiß, dass vor zehn Jahren, als die
Vereinten Nationen um ein Zehntel
dieses Betrags ersuchten, um die Armut
zu halbieren, von der die Armen der
Welt betroffen sind, kaum jemand
einen Finger rührte, um dieses Geld zu
beschaffen.
Eine auf Spekulation und
unkontrollierten Kapitalbewegungen
beruhende Marktwirtschaft ist nicht
die Lösung für die Probleme, mit denen
die Welt konfrontiert ist. Wir wissen
das sehr genau, und deshalb ist die
Rettungsaktion nicht die Lösung der
Krise, wenn die von den Regierungen
der USA, Europas und Japans ergriffenen
Maßnahmen nicht durch direkte
Staatsintervention bedingt sind. Wenn
der Staat nicht mit offenen Karten spielt,
wird die so genannte Rettungsaktion
lediglich weitere Spekulation anheizen.
Abgesehen von der Krise der
Finanzinstitutionen ist zugleich eine
neue Industriepolitik erforderlich, um
die Volkswirtschaften anzutreiben,
deren Priorität es sein muss, eine
nachhaltige Beschäftigung zu schaffen.
Die Welt benötigt ein
Bankensystem, das als Triebkraft für
Fortschritt wirkt und der Entwicklung
eines stabilen und nachhaltigen
Wirtschaftssystems Auftrieb gibt.
Banken und Versicherungsunternehmen
müssen durch Regeln gebunden
sein, die nicht durch vage, ehrgeizige
und eigennützige freiwillige
Verhaltenskodexe bestimmt werden,
sondern durch Rechtsvorschriften und
internationale Regeln, die von allen
Regierungen anerkannt werden.
Wichtiger noch ist, dass die
derzeitige Krise ein Weckruf sein
sollte, der die Welt dazu zwingt, ihre
wirtschaftlichen und sozialen Modelle
neu zu überdenken. Wir müssen die
Agenda der wirtschaftlichen und
sozialen Organisation neu gestalten,
um einer verstärkten Sicherheit für die
Arbeitnehmer Priorität einzuräumen
und Menschlichkeit sowie eine Ethik
© R. LOrd/ILO
ürdigkeit
ndel
der Solidarität ins Spiel zu bringen.
Der Maßstab für den Erfolg der heute
angenommenen Politik werden die
Aktionen sein, die vielmehr eine
stabile Beschäftigung schaffen und die
Umverteilung des Wohlstands fördern,
als zur Marktvolatilität und kurzfristigen
Gewinnmitnahmen zurückzukehren.
In einer zivilisierten Welt sollten
alle Zugang zu einem angemessenen
Arbeitsplatz in einer Wirtschaft
haben, die auf die Erzeugung von
Wohlstand und die Bereitstellung von
Chancen für Selbstentfaltung und
Eigenständigkeit ausgerichtet ist. Dies
sind die grundlegenden Ziele für ein
wirtschaftliches, soziales und politisches
System für die moderne Gesellschaft.
Die jüngste Krise wurde
durch Spekulation mittels
Kapitalbewegungen innerhalb des
Börsennetzes in aller Welt verursacht.
Der Wohlstand für die Menschen kann
jedoch nur auf der Erzeugung von
Gütern und Dienstleistungen beruhen.
Die von den Regierungen für
die Rettung der Finanzinstitutionen
beschlossenen enormen Geldsummen
müssen von irgendwoher kommen. Die
Menschen glauben möglicherweise,
dass diese Gelder in den Tresoren der
Zentralbanken lagern und verfügbar
gemacht werden können, sobald die
Entscheidung getroffen ist. So einfach
ist es jedoch nicht.
Der Gleichwert von 2 000 Mrd.
USD muss über den Mehrwert aus
dem Produktionssystem generiert
werden. Erst dann kann dieser
Betrag an die Finanzinstitutionen
verteilt werden, die sie sodann über
das System an Unternehmen und
Privatpersonen bereitstellen. Die
Regierungen sind bereit, Obligationen
auszugeben, die die Garantie für die
von den Banken aufgenommenen
künftigen Schulden leisten.
Mit anderen Worten werden
künftige Generationen größeren
Mehrwert zu erzeugen haben, um die
von den heutigen Entscheidungsträgern
angehäuften Schulden zurückzuzahlen.
Die Hinterlassenschaft unserer
Generation wird nicht nur darin
bestehen, dass die Sicherung besserer
Bedingungen für unsere Kinder und
Großkinder gescheitert ist, sondern
wir werden infolge der derzeitigen
Finanzkrise auch einen größeren
Schuldenberg hinterlassen.
Unserer Gesellschaft beruht auf
Konsum. Das Paradoxon ist, dass wir
nicht konsumieren können, wenn wir
nicht produzieren, und wenn wir nicht
produzieren, können wir auch nicht
konsumieren.
Nichts von alledem deutet auf eine
Rückkehr zu ländlichen Wirtschaften
oder zu den primitiven Modellen der
auf dem Tauschhandel beruhenden
Wirtschaften hin.
Dies ist jedoch eine Zeit, in der wir
einen klaren Kopf bekommen und die
Art und Weise neu überdenken müssen,
wie wir die Grundwerte festigen und
stärken können, auf die die Gesellschaft
nach unserer Überzeugung aufgebaut
werden sollte.
Das System des privaten
Kapitals kommt schlecht weg. Es ist
nachweislich nicht das Modell, das
gerüstet ist, die enormen Probleme
zu lösen, vor denen eine Welt steht,
die mit Armut, unzulänglichem
Gesundheitswesen und ungenügenden
sanitären Anlagen, Unwissenheit und
unzureichender Bildung, Klimawandel
und Wasserknappheit, Migration und
moderner Sklaverei sowie der Geißel
der Not zu kämpfen hat, von der
Millionen von Menschen in aller Welt,
insbesondere aber in Afrika, betroffen
sind. All diese und viele weitere
Probleme sind trotz Versprechungen,
dass die Globalisierung der durch die
freie Marktwirtschaft angetriebenen
Weltwirtschaft Lösungen bringen wird,
nach wie vor ungelöst.
Es wurde erklärt, der Markt könne
auf sich selbst aufpassen. Es bestehe
keinerlei Bedarf an irgendeiner
Form staatlicher Intervention oder
Kontrolle. Nun erfahren wir die Folgen
der törichten Liberalisierung der
Wirtschaft, die zunächst von Reagan
und Thatcher gefördert und in der Folge
von anderen übernommen wurde,
darunter von vielen fortschrittlichen
und sozialen demokratischen Parteien
und Regierungen.
Wir brauchen einen neuen Kurs.
Wir können damit beginnen, auf eine
gerechtere Verteilung des Wohlstandes
der Welt hinzuwirken. Hierbei
hat die Gewerkschaftsbewegung
auf nationaler, regionaler und
internationaler Ebene eine
bedeutende Rolle zu spielen. Mittels
Kollektivverhandlungen können wir mit
der Erneuerung des Dialogs beginnen,
der zu Fairness, Belohnung und
Gerechtigkeit für die Menschen führt,
die im Zuge der überstürzten Stützung
des zusammenbrechenden Systems der
Globalisierung vergessen gingen.
Die Krise kann gelöst werden, und
eine Rückkehr zu Menschenwürdigkeit
ist möglich, doch wird dies nicht
geschehen, wenn wir den Beschäftigten
kein Mitspracherecht einräumen.
Das bedeutet, dass sichergestellt
werden muss, dass das Recht auf
gewerkschaftlichen Zusammenschluss
und auf Kollektivverhandlungen
das Fundament einer neuen
wirtschaftlichen und sozialen Struktur
ist, die uns die Mittel in die Hand gibt,
dafür zu sorgen, dass wir nie wieder
die Geiseln cleverer und zwielichtiger
globaler Marktakteure sein werden.
Marcello Malentacchi ist
Generalsekretär des Internationalen
Metallgewerkschaftsbundes.
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 9
Qualitätsvolle öffentliche Dienste sind der Schlüssel
Eine Alternativ
VON Peter Waldorff
DER ÖFFENTLICHE SEKTOR IST NACH 30 JAHREN MISSWIRTSCHAFT
AUFGERUFEN, DAS DURCH DEN UNGEZÜGELTEN UND WEITGEHEND
UNREGULIERTEN GLOBALEN KAPITALISMUS ANGERICHTETE CHAOS
GIER DER UNTERNEHMENSMANAGER UND DIE FEHLER DER
MARKTFUNDAMENTALISTEN BEZAHLEN. ES IST ZUTIEFST IRONISCH,
DASS ES EINER DER HAUPTSÄCHLICHEN GRUNDSÄTZE IHRER IN VERRUF
GERATENEN IDEOLOGIE WAR, DIE STAATSGEWALT ENTWEDER DURCH
DEREGULIERUNG ODER PRIVATISIERUNG ZU REDUZIEREN. DIES
SCHEINT JEDOCH IN VERGESSENHEIT GERATEN ZU SEIN, DA NUN AN DIE
© tom fewster /istockphoto.com
WIEDER IN ORDNUNG ZU BRINGEN. WIR SOLLEN FÜR DIE UNERSÄTTLICHE
REGIERUNGEN APPELLIERT WIRD, SIE ZU RETTEN UND DEN SCHADEN
INFOLGE DES JAHRELANGEN MISSBRAUCHS DES ÖFFENTLICHEN
WOHLSTANDES ZU REPARIEREN.
Jeffrey Sachs fordert in einem Artikel
des Time Magazine im Januar 2009 mehr
Staatsgewalt. Es ist ein Aufruf an die
Entscheidungsträger, dass akzeptiert
werden muss, dass Regierungen und
öffentliche Dienste Teil der Lösung und
nicht Teil des Problems sind.
Die Panikmache der Medien
wegen der steigenden öffentlichen
Defizite schert die reale Welt nur
wenig. Eine kürzlich erstellte Studie
der Forschungsabteilung des
internationalen Forschungsinstituts
für öffentliche Dienste (Public Services
International Research Unit, PSIRU)
stellt klar, dass die Krise nicht durch
übermäßige Kreditaufnahmen seitens
der Regierungen verursacht wurde.
Sie zieht den Schluss, dass die USA,
Großbritannien und einige andere
Länder der Europäischen Union ihre
Defizite infolge der Verstaatlichung
und der Ankurbelungsmaßnahmen
zwar beträchtlich erhöhen, dass es
jedoch keine Anzeichen dafür gibt, dass
sie Schwierigkeiten haben werden,
diese Defizite zu finanzieren.
Eine kleine Minderheit von Ländern
verzeichnet zwar hohe Defizite und hat
10 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
Probleme, sie zu finanzieren, darunter
Pakistan, Ungarn, die Ukraine, Island
und die Türkei, doch gibt es weder in
anderen Industrienationen noch in
Entwicklungsländern eine allgemeine
Krise bei den Staatsdefiziten.
Es steht fest, dass die
Marktfundamentalisten ihren
Schaden angerichtet haben. Sie
kontrollieren jedoch nach wie vor
umfangreiche finanzielle, politische
oder intellektuelle Ressourcen. Sie
betreiben nach wie vor Lobbyarbeit,
um Rechtsvorschriften zu blockieren,
die ihren Interessen entgegenstehen
könnten, und werden versuchen,
selbst die Argumente bezüglich der
öffentlichen Rettungsmaßnahmen,
die für die Bezahlung ihrer Exzesse
erforderlich sind, neu zu definieren.
Die Internationale der Öffentlichen
Dienste arbeitet zurzeit mit dem
IGB zusammen im Bemühen, die
Rechte der Beschäftigten und ihrer
Familien in die laufende Debatte
über die neue Finanzarchitektur
und die wirtschaftlichen
Ankurbelungsmaßnahmen
einzubringen, sei es auf Ebene des
Gipfels der G-20-Länder oder bei der
Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung. Sie
arbeitet auch mit anderen Globalen
Gewerkschaftsverbänden zusammen,
um die öffentlichen Dienste in den
Mittelpunkt der Strategien für eine
Erholung zu stellen. Die Argumente
zugunsten der Achtung der Werte des
öffentlichen Dienstes im Rahmen der
Dienstleistungen, die die Gesellschaft
benötigt, um funktionieren zu können,
waren nie so wichtig wie zu einer
Zeit, in der der Privatsektor den
Gemeinschaften in aller Welt derart
drastischen Schaden zufügt.
ve zum Kapital
Die derzeitigen Programme
für Infrastrukturinvestitionen
sind ein Weg, den wirtschaftlichen
Anreiz bereitzustellen, der für die
Milderung der Auswirkungen der
derzeitigen globalen Rezession und die
Verbesserung der Lebensqualität für
alle erforderlich ist. In erster Linie als
Mittel für einen wirtschaftlichen Anreiz
geben die Regierungen Milliarden für
die Verbesserung der Infrastruktur
aus, und es ist von entscheidender
Bedeutung, dass wir dafür sorgen,
dass diese öffentlichen Gelder für die
Stärkung der Rechte und Bedingungen
aller Beschäftigten aufgewandt wird.
Was wir nicht benötigen, sind
weitere Vorwände für die Privatisierung.
Wir müssen nachdrücklich Argumente
dafür liefern, dass die Privatisierung
gescheitert ist, zu viel kostet und
die Erfordernisse unserer Familien
und unsere Gemeinschaften nicht
erfüllt. Es gibt keine Entschuldigung
für ineffiziente, intransparente und
reaktionsunfähige Regierungen oder
öffentliche Dienste. Die öffentlichen
Dienste können und müssen verbessert
werden, und die IÖD arbeitet mit
verschiedenen Gewerkschaften
zusammen, um positive Modelle
moderner Kommunen zu schaffen.
Die Gefährdung der
kapitalgedeckten Rentenfonds
der Beschäftigte des öffentlichen
Dienstes ist ein Aspekt, bei dem
die Beschäftigten des öffentlichen
Dienstes die Hoffnungslosigkeit
der Rezession und des finanziellen
Zusammenbruchs zu spüren bekamen.
Diejenigen Pensionskassen, die in
Wertpapiere oder in Private-EquityGesellschaften, Hedgefonds und
komplizierte Schuldtitel investierten,
verloren enorme Geldsummen.
Viele Regierungen werden
zweifellos Lohnbeschränkungen
fordern, um die erwähnten
Verbindlichkeiten auszugleichen.
Wir müssen jedoch unter anderem
die Frage stellen, welche Rolle die
Fondsverwalter bei der Beschleunigung
der Krise spielten und, was noch
wichtiger ist, welche Politik, welche
Richtlinien und welche Schutzklauseln
unsere Rentenfonds umsetzen müssen,
um zur Lösung beizutragen.
In den USA untersuchen wir
Mechanismen, die es ermöglichen,
dass Rentenfonds in das von
Präsident Obama eingeführte massive
Infrastrukturprogramm investieren
können. Es ist zu hoffen, dass die
Finanzsteuerung es erlauben wird,
in öffentliche Dienste, nicht in
Privatisierung zu investieren.
Wir wissen, dass die Finanzkrise
in den kommenden Jahren noch mehr
Armut in der Welt erzeugen wird.
Der Internationale Währungsfonds
prognostiziert eine Zunahme der
Arbeitsplatzverluste für praktisch jedes
Land der Welt. Der Generaldirektor der
Internationalen Arbeitsorganisation
(IAO), Juan Somavia, erklärte kürzlich,
dass die Zahl der erwerbstätigen
Armen, die von weniger als einem
Dollar pro Tag leben, um rund 40
Millionen und die Zahl derjenigen, die
von zwei Dollar pro Tag leben, um über
100 Millionen zunehmen könnte.
Deshalb besteht um so mehr
Grund, auf ein umfassendes System der
sozialen Sicherheit in Anlehnung an die
von der IAO geförderte Basisuntergrenze
für soziale Sicherheit zu dringen. Dieses
System wird eine Altersabsicherung für
Beschäftigte in zahlreichen Ländern
bereitstellen, die über kein öffentliches
kein System und lediglich minimale
private Renten verfügen.
Die Regierungen sollten auch weit
mehr Verantwortung übernehmen,
wenn es um die Schaffung einer aktiven
Arbeitsmarktpolitik geht – indem in
die Entwicklung neuer Kompetenzen
für Menschen investiert wird, die
Gefahr laufen, ihre Arbeitsplätze in den
gefährdeten Sektoren zu verlieren.
Für Banker und die internationale
Gemeinschaft ist es an der Zeit, sich dem
weltweiten Publikum zu stellen. Es ist
Zeit für Transparenz, nicht für geheime
Sitzungen und Insidergeschäfte. Wir
benötigen mehr denn je eine öffentliche
Rechenschaftspflicht und Teilnahme der
Regierungen, um die Welt wieder auf
Kurs zu bringen und zur Beseitigung der
Armut beizutragen. Den Beschäftigten
bietet sich die seltene Gelegenheit, um
menschenwürdige Arbeit und öffentliche
Dienste von hoher Qualität zu kämpfen,
und sie sollten sie nicht verpassen.
Peter Waldorff ist Generalsekretär der
Internationale der Öffentlichen Dienste.
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 11
Menschen und Politik sollen die Kontrolle wieder übernehmen
Es geht um Macht
VON Ron Oswald
DIE KRISE DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS UND DEREN FOLGEN
FÜR DIE WIRTSCHAFT VERSETZT TAUSENDE BESCHÄFTIGTE, VIELE VON
IHNEN MITGLIEDER DER IUL, IN EINE NOTLAGE. ES FÄLLT ÄUSSERST
SCHWER, VON CHANCEN ZU SPRECHEN, DOCH EINES IST SICHER – DIESES
SYSTEM KANN NICHT MEHR FUNKTIONIEREN WIE ZUVOR.
Die Deregulierung der Märkte wird
heftiger als seit Jahrzehnten kritisiert,
und der freie Markt ist als Modell für
die Funktionsweise der Weltwirtschaft
vollständig in Misskredit geraten.
Wir haben nun die Chance, das
neoliberale System zu ändern. Die
Vorstellung, dass die Politik ihre Rolle
als Triebkraft der Wirtschaft erneut
bekräftigen muss, findet weitverbreitete
Unterstützung. Wenn wir daher von
Chancen sprechen, beziehen wir uns auf
politische Chancen, die das Ziel verfolgen,
die internationalen Institutionen,
die bisher den uneingeschränkten
freien Kapitalismus schützten, zu
verbessern und umzugestalten, damit
die Regulierung des Kapitals anstelle
der Deregulierung der Wirtschaft in den
Mittelpunkt gestellt wird.
Wir haben jedoch noch einen
weiten Weg vor uns. Was wir bisher
gesehen haben, sind nationale
Bemühungen in verschiedenen
Ländern in aller Welt, die darauf
abzielen, dem freien Markt eine
politische Kontrolle aufzuerlegen. Viele
Regierungen unternehmen direkte
Interventionen, um die Kontrolle über
das Bankensystem zu übernehmen,
doch sind viele nicht bereit, die Macht
tatsächlich auszuüben, über die sie
verfügen. Die britische Regierung
beispielsweise intervenierte wie
viele andere im Bankensystem, doch
anstatt eine klare Richtung anzugeben,
beschränkt sie sich darauf, bestimmte
Maßnahmen anzuregen oder zu fordern.
Angesichts des ganzen Geredes in
politischen Kreisen von „einer neuen
globalen Finanzarchitektur“ produzierte
die erste Tagung der Regierungschefs der
Welt zur Bewältigung der Finanzkrise im
12 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
November 2008 in Washington lediglich
magere Ergebnisse.
Trotz der Finanzspritzen von
Billionen Dollar öffentlicher Gelder in
die nationalen Bankensysteme geht
das finanzielle Massaker weiter und
vernichtet nunmehr auch den Fertigungsund den Dienstleistungssektor. Während
stündlich Arbeitsplätze in aller Welt
vernichtet werden, werden massive neue
Finanzwetten auf Unternehmensschulden
und Aktienwerte abgeschlossen, da die
Investoren aus dem Schaden Kapital zu
schlagen versuchen.
Der vage und lustlose Zeitplan
des Gipfels für einen Wandel enthüllte
eine politische Gemeinschaft, die
– im Gegensatz zu den präzisen
und schwierigen Erfordernissen
des Finanzsektors – unsicher und
unkonzentriert ist. Das Internationale
Finanzinstitut (IFI), die internationale
Lobbyorganisation des Finanzsektors,
legte am Vortag des Gipfels ihre
Forderungen in einem vom Vorsitzenden
des IFI (und Deutsche-Bank-Chef)
Josef Ackermann und vier weiteren
hochrangigen Bankern unterzeichneten
Schreiben dar. Es nannte zwei
Schlüsselforderungen: erstens die
Einsetzung eines „Global Financial
Regulatory Coordinating Council“, der das
internationale Finanzsystem lenken soll,
und zweitens die Erweiterung des Clubs
ausgewählter Nationen von G-8 auf G-20.
Im Entwurf für den neuen
Rat versucht das IFI die Rolle des
Internationalen Währungsfonds trotz
dessen destruktiver Rolle in früheren
Krisen zu stärken. Der Rat soll als
Dachorganisation für Privatbanken und
die multilateralen Kreditinstitutionen
dienen und mit „Colleges of
Supervisors“ verbunden sein, die
(mit den Worten des Schreibens)
die 30 bis 40 größten globalen
Finanzdienstleistungsinstitutionen
überwachen.
Das IFI hält die Erweiterung
der G-8 auf G-20 und verstärkte
Vertretungsrechte für das, was sie
als „mehrere systemisch wichtige
Entwicklungsländer“ im IWF und
sonstigen multilateralen Organisationen
bezeichnet, für die Grundlage einer
Expansion und weiteren Integration des
globalen Finanzdienstleistungssektors.
Die führenden Köpfe des
Finanzsektors, die vom Wahnwitz
ihrer früheren Aktionen unbeeindruckt
sind, haben einen klaren Zeitplan.
Sie erklärten: „Während die normale
Funktionsweise der Finanzinstitutionen
und der Märkte wiederhergestellt
wird, müssen angemessen definierte
Ausstiegsstrategien formuliert und
umgesetzt werden. Notmaßnahmen
sollte nicht die Grundlage für eine
permanent stärkere Rolle der
Öffentlichkeit im internationalen
Finanzsystem bilden: Dies würde Gefahr
laufen, die Aussichten auf erneuertes
nachhaltiges Wachstum der Produktion
und der Arbeitsplätze zu verzögern,
indem eine erhebliche Ineffizienz in die
globalen Märkte eingeführt wird.“
Die Botschaft ist klar: In Zeiten
der Krise sollen die Regierungen den
Finanzsektor retten und sich sodann
in ihre herkömmlich begrenztere Rolle
zurückziehen, die darin besteht, die
Expansion des privaten Kapitals durch
Garantie der Staatsverschuldung zu
unterstützen.
Reflektiert die kümmerliche
Leistung der Regierungen lediglich
ihre fehlende Bereitschaft und
Vorstellungskraft? Ist die Vorstellung
realistisch, dass sich spontan
Alternativen zur neoliberalen
Orthodoxie aus einer Gruppe von acht
auf 20, 30 oder mehr Zentralbanken
erweiterten Gruppe ergeben werden,
wenn die einzige gemeinsame
Verpflichtung ihrer nationalen
Background image © Palto/istockphoto.com
Finanzlobbies die ist, den Wert ihrer
Dollarreserven zu schützen?
Die Erweiterung der Teilnahme
(ausgewählter) Entwicklungsländer an
den Vorhaben der globalen Gipfeltreffen
erfüllt zwar die Forderungen nach einer
verstärkten Vertretung, lässt jedoch
die sozialen Beziehungen und das
Gleichgewicht der Kräfte unerwähnt, die
die Grundursache des Systems und von
dessen derzeitiger Krise sind.
Eine neue Finanzarchitektur wird
nicht dadurch aufgebaut, das lediglich
neue Räume hinzugefügt werden. Es ist
ein neues Fundament erforderlich, dass
wir nicht durch „Lobbying“ beim IWF
oder periodische Klausurtagungen der
Regierungen erreichen werden.
Wir benötigen eine Intervention,
die jedoch weniger kopfscheu sein
und auf globaler Ebene erfolgen muss.
Die internationalen Institutionen,
die Weltbank und der Internationale
Währungsfonds, die vor 60 Jahren
gegründet wurden, müssen damit
beginnen, als Marktregulierer
aufzutreten. Dadurch können sie die
Grundlage für die Schaffung einer
nachhaltigen Weltwirtschaft legen, die
heute weitgehend fehlt.
Diese internationalen
Organisationen, die nach dem Ort ihrer
Gründung auch als Bretton-WoodsInstitutionen bezeichnet werden, wurden
in einer Welt geschaffen, die von der
heutigen äußerst verschieden ist.
Die Arbeitnehmer fordern neue,
demokratischeren Institutionen,
die den Welthandel und die
Wirtschaftsangelegenheiten lenken. Sie
betrachten die Verbreitung der Armut
und Mittellosigkeit in aller Welt als weit
größeres Problem für die Sicherheit
des Planeten als diejenigen Fragen, die
auf der Agenda des zur Erhaltung des
Friedens verpflichteten Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen stehen.
Waffenstillstände und
Friedensverträge sind jedoch nicht genug,
um eine gerechte und freie Gesellschaft
aufzubauen. Vielleicht könnten wir echte
Macht – ähnlich wie diejenige, über
die der Sicherheitsrat verfügt – in den
Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten
Nationen (ECOSOC) einbringen.
Dieses Gremium, das über das
Mandat und die Autorität sowie die
politische Fähigkeit verfügt, eine
nachhaltige Wirtschaft aufzuerlegen,
könnte viel bewegen, um friedlichere,
prosperierende und sozial gerechtere
Gesellschaften aufzubauen. Die Geißel
der Armut und der Skandal der sozialen
Ungleichheit sind tief wurzelnde
Probleme, die angegangen werden
müssen, wenn wir die Schaffung eines
dauerhaften Friedens ernstnehmen.
Die Forderungen nach einer
verstärkten Ankurbelung der Nachfrage,
mehr Gerechtigkeit und vermehrter
Achtung der Arbeitnehmerrechte
werden voraussichtlich nicht besser als
in der Vergangenheit beachtet werden.
Die ganze Erfahrung der letzten zwei
Jahrzehnte, in denen die historischen
Errungenschaften der Gewerkschaften
an praktisch jeder Front zurückgedrängt
wurden, sagt etwas anderes aus.
Die Gewerkschaftsbewegung ist
auf nationaler und internationaler
Ebene mit einer Krise von enormer
Tiefe und von extremem Umfang
konfrontiert. Institutionen wie dem IWF,
die herkömmlich als Instrumente für die
Beilegung begrenzterer Krisen dienten,
fehlt es heute an den Ressourcen,
diese zu bewältigen. Zudem stehen die
Regierungen zurzeit nicht unter dem
massiven sozialen und politischen
Druck, der sie zur Bewältigung der Krise
in einer Weise zwingen könnte, die eine
jahrzehntelange soziale und ökologische
Vernichtung umkehren und die Fähigkeit
der Arbeitnehmer zur Mobilisierung
stärken könnte.
In dieser Situation sind alle
Fragen – und sind als Chance für die
Gewerkschaften zu verstehen, mittels
neuer Allianzen auf neue Weise zu
intervenieren. Wenn die Regierungen
nicht in der Lage sind zu handeln, reicht
es nicht aus, auf das Programm und
die Strategien des IFI und auf die Leute
zurückzugreifen, die uns dieses Chaos
überhaupt erst beschert haben.
Die IUL ihrerseits steht bei der
Förderung eines neuen Ansatzes
vor zwei Aufgaben. Die erste betrifft
die Zusammenarbeit mit unseren
Mitgliedern, um sie möglichst gut vor den
Auswirkungen der Wirtschaftsrezession
und des Zusammenbruchs zu schützen.
Wir weisen die Illusion zurück,
die bisweilen in Diskussionen
über eine „Finanzwirtschaft“ und
eine „Realwirtschaft“ entsteht. Es
gibt nur eine Wirtschaft. Nur die
Manipulation von Unternehmen
und Körperschaften ermöglichte die
Trennung der Finanzangelegenheiten
von realwirtschaftlichen Fragen.
Wir müssen uns in der einzigen
Weltwirtschaft zusammenschließen,
um uns zu schützen, insbesondere vor
transnationalen Konzernen, die infolge
der Krise stark unter Druck stehen, jedoch
versuchen, die durch die Krise erzeugte
Angst zu nutzen, um die Änderungen
bei der Beschäftigung und den
Gewerkschaftsrechten aufzuzwingen, die
sie seit langem vornehmen wollten.
Unsere zweite Aufgabe wird darin
bestehen, uns anderen in der weltweiten
Gewerkschaftsbewegung und der
breiteren Zivilgesellschaft anzuschließen
und eine Änderung der Art und Weise zu
fordern, wie die Wirtschaft reguliert wird.
Wir müssen zügig handeln, weil diese
lautstarken Forderungen nach einem
Wandel möglicherweise nicht lange
anhalten werden.
Es gibt nach wie vor jene, die der
Überzeugung sind, dass das System „im
Grunde solide“ ist. Das ist es nicht, doch
werden sie, wenn sie die Gelegenheit
erhalten und mit den Milliarden
öffentlicher Gelder, mit denen sie
unterstützten werden, versuchen, ihre
Glaubwürdigkeit und ihre Strukturen
wiederaufzubauen, ohne die Grundlagen
zu verändern, die dem freien Handel
und den Fundamentalisten des freien
Marktes in den vergangenen 30 Jahren
uneingeschränkten Einfluss ermöglichten.
Wir sollten am Arbeitsplatz, auf
den Straßen, auf jedem öffentlichen
Forum und mittels der Schaffung neuer
Foren fordern, dass die Regierungen
und Unternehmen für die Zunahme der
Arbeitslosigkeit in einer Zeit, in der nie
dagewesene Summen öffentlicher Gelder
in das Bankensystem gepumpt werden,
zur Rechenschaft gezogen werden.
Nach der größten Verstaatlichung in der
Geschichte sollten die Gewerkschaften
darauf beharren, dass die Banken als
Gemeingut reguliert, als öffentlicher
Versorgungsbetrieb strukturiert werden
und für die Verfolgung demokratischer
Grundsatzziele rechenschaftspflichtig
sind. Die Mittel zur Finanzierung realer
Investitionen, nicht des Finanzwesens,
müssen aufgewandt werden.
Wir müssen uns einer breiten
Bewegung anschließen, die auf
tiefgreifende und fundamentale
Veränderungen bei den internationalen
Institutionen abzielt, damit sich diese den
Zielen der Kontrolle und der Regulierung
der heutigen Weltwirtschaft anpassen.
Dies wird nicht über Nacht
geschehen, doch haben wir die Chance,
aus diesem Schatten zu treten und
die Gewerkschaftsbewegung in den
Mittelpunkt der Forderungen nach
einem Wandel zu stellen, der eine
Welt schaffen wird, die grundlegend
verschieden von derjenigen sein wird,
wie wir soeben ertragen haben.
Ron Oswald ist Generalsekretär der
IUL, der Internationalen Union der
Lebensmittel-, Landwirtschafts-,
Hotel-, Restaurant-, Café- und
Genussmittelarbeiter-Gewerkschaften.
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 13
Wieder auf de
Arbeitsmigranten/innen in der Rez
VON Anita Normark
MINDESTENS 5 MILLIONEN ARBEITNEHMER WELTWEIT VERLOREN
INFOLGE DER WELTWIRTSCHAFTSKRISE ALLEIN IM JAHRE 2008 IHRE
ARBEITSPLÄTZE. SIE GEHÖRTEN ZU DEN ERSTEN BETROFFENEN ALS DIE
US-IMMOBILIENBLASE PLATZTE.
Allein in den USA verloren im letzten
Quartal 2008 über 30 000 Arbeitnehmer
im Bausektor ihre Arbeitsplätze.
Arbeitsmigranten/innen aus Mexiko und
anderen mittelamerikanischen Ländern,
die im Baugewerbe tätig sind, trugen
die Hauptlast des Zusammenbruchs des
Sektors in den USA.
Da das Baugewerbe für den Bau
von Infrastrukturen und Wohnungen
weitgehend von öffentlichen
Investitionen abhängig ist, ist es
einer der am härtesten betroffenen
Sektoren. Infolgedessen wurden auch
die Beschäftigten in Sektoren, die
Baumaterial und Holz liefern, entlassen,
als die Nachfrage zurückging.
Das Baugewerbe zog
Arbeitsmigranten/innen an, die häufig
in gering qualifizierten und schlecht
bezahlten Arbeitsverhältnissen
beschäftigt sind, und trug erheblich
zum jüngsten Wirtschaftswachstum
bei. Der Sektor stellt im Verhältnis
zu anderen Sektoren mehr
Arbeitsmigranten/innen ein.
Überall in der Welt, wo
Arbeitsmigranten/innen im Zuge des
Aufschwungs des Baugewerbes vor
der Finanzkrise ausgebeutet wurden,
wiederholt sich die Geschichte. Viele
wurden von skrupellosen Arbeitgebern
und Agenturen rücksichtslos ausgenutzt.
Die Gewerkschaften in zahlreichen
Gastländern setzten sich energisch
dafür ein, die Arbeitsmigranten/innen
gewerkschaftlich zu organisieren und
sie bei der Wahrung ihrer Rechte zu
unterstützen sowie die herrschenden
14 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
Entgelts- und nationalen Normen zu
schützen.
Die Arbeitsmigranten/innen
dürften die Ersten sein, die entlassen
werden. In Dubai beispielsweise
gehörten schlecht bezahlte asiatische
Beschäftigte, die man geholt hatte, um
die Wolkenkratzer zu bauen, zu den
ersten Opfern der Weltwirtschaftskrise.
Aus Berichten geht hervor, dass in
den Vereinigten Arabischen Emiraten
Bauvorhaben im Wert von rund 600 Mrd.
USD gestoppt wurden, wodurch über
45% der im Baugewerbe Beschäftigten
ihre Arbeit verloren.
In China meldeten sich Millionen
ländlicher Arbeitsmigranten/innen
für Bauarbeiten im Zusammenhang
mit den Olympischen Spielen im
Jahre 2008 in Peking sowie für
Bauvorhaben in anderen Städten. Von
den schätzungsweise 28 Millionen
Beschäftigten, die aus ländlichen
Gebieten kamen, verloren 3 Millionen
im Jahre 2008 ihre Arbeitsplätze.
Viele Regierungen neigen infolge
der Auswirkungen der Finanzkrise
nunmehr dazu, Schutzmaßnahmen
zu ergreifen, die die ausländischen
Arbeitskräfte dazu zwingen, das Land zu
verlassen. Einige Beispiele:
O
Die Regierung in Thailand
kündigte an, dass sie im Jahre
2009 keine Arbeitsmigranten/
innen neu registrieren werde in
der Hoffnung, dass einige von
ihnen das Land verlassen würden,
wenn ihre Arbeitsgenehmigungen
Background image © clint spencer/istockphoto.com
auslaufen, was Arbeitsplätze für
Thailänder öffnen würde, wenn die
Arbeitslosigkeit ansteigt.
O
Die malaysische Regierung
stoppte die Einwanderung von
Arbeitsmigranten/innen, um die
Arbeitsplätze den malaysischen
Arbeitskräften verfügbar zu
machen, und wies die Unternehmen
an, die ausländischen Beschäftigten
zuerst zu entlassen.
O
Die spanische Regierung bot arbeitslosen Arbeitsmigranten/innen,
die Arbeitslosenversicherungsansprüche erworben hatten,
Pauschalzahlungen an, wenn sie
das Land verlassen würden. Viele
Arbeitsmigranten/innen waren im
Baugewerbe tätig.
O
In Russland engagierte sich die
Jugendsektion der Einheitspartei
in einer Kampagne zur
Rückforderung von Arbeitsplätzen
für Russen, die von ausländischen
Arbeitsmigranten/innen
besetzt sind. Sie wollen auf den
Baustellen Streife gehen, um laut
ihren Aussagen „zu vermeiden,
ausländische Wirtschaften zu
nähren und Geld ins Ausland zu
schicken, indem Arbeitsmigranten/
innen bezahlt werden“.
Die Einschränkung der kontrollierten
und regulären Migration wird dazu
führen, dass vielen Herkunftsländern
die dringend benötigten Geldsendungen
er Straße
zession unter Beschuss
entzogen werden, doch sind viele
Gastländer auf Arbeitsmigranten/innen
angewiesen und profitieren von diesen
Arbeitskräften.
Um diesen Entwicklungen
entgegenzuwirken, sollte den
Arbeitsmigranten/innen in den
Gastländern Gleichbehandlung garantiert
werden, die regulären Migrationskanäle
müssen kontrolliert werden, und es
muss eine einheitliche Migrationspolitik
innerhalb und zwischen den Nationen
umgesetzt werden.
Die Rettungsaktionen für
Banken und Industrie mögen eine
notwendige kurzfristige Lösung für die
unmittelbaren Probleme sein, die auch
für das Baugewerbe die erforderlichen
Kredite bereitstellen, doch reichen
sie für eine nachhaltigere Lösung bei
weitem nicht aus.
Für eine längerfristige Lösung ist ein
neuer Sanierungsplan zur Stabilisierung
der globalen Kapitalmärkte und für
massive öffentliche Investitionen in die
Infrastruktur erforderlich. Dieser Plan
wird auch die hart betroffenen Bau- und
Baumaterialsektoren unterstützen.
Ferner sind Anreizmaßnahmen im
Baugewerbe notwendig, um die
Kohlenstoffemissionen zu verringern,
Energie einzusparen und neue Formen
umweltfreundlicher Energie zu fördern.
Doch während umfangreiche öffentliche
Gelder aufgewandt werden, müssen
auch die sozialen und ökologischen
Bedingungen der Auftragsvergabe
garantiert werden.
Das Umweltprogramm der
Vereinten Nationen und die
Internationale Arbeitsorganisation
fordern die Lancierung eines „grünen
New Deals“. Ein „grüner New Deal“ kann
die Grundlage für eine Erholung bilden,
die sowohl menschenwürdige Arbeit
bereitstellt als auch zur Bekämpfung des
Klimawandels beiträgt.
Der US-Bericht, Green Recovery: A
Program to Create Good Jobs and Start
Building a Low-Carbon Economy (Grüne
Erholung: ein Programm zur Schaffung
angemessener Arbeitsplätze und
zum Aufbau einer kohlenstoffarmen
Wirtschaft) macht geltend, dass ein
Investitionsprogramm von 100 Mrd.
USD in die grüne Wirtschaftserholung
zugunsten der Energieeffizienz im
Laufe von zwei Jahren 2 Millionen
Arbeitsplätze in den USA schaffen und
zugleich die Erderwärmung bekämpfen
und eine grüne, kohlenstoffarme
Wirtschaft aufbauen würde.
Es sind Lösungen vorhanden,
die funktionieren werden. Wenn die
Schaffung von Arbeit für die Menschen der
wichtigste Schritt ist, um die Wirtschaft
wieder in Gang zu bringen, dann können
Lohnkürzungen nicht als Teil der Lösung
angesehen werden. Sie tragen vielmehr
zu dem Problem bei, da die Beschäftigten
weniger Geld ausgeben können und
dadurch weniger indirekte Arbeitsplätze
in anderen Sektoren schaffen.
Menschen mit stabiler
Beschäftigung und angemessenem
Einkommen geben Geld aus und
schaffen dadurch mehr Arbeitsplätze
in anderen Sektoren. Die indirekte
Arbeitsplatzbeschaffung im Baugewerbe
wurde auf rund drei zu eins geschätzt.
Um die Gefahr zu vermeiden, dass
qualifizierte Beschäftigte verloren
gehen, die zu ersetzen Jahre in Anspruch
nehmen würde, ist die Förderung der
beruflichen Aus- und Weiterbildung
eine wichtige Maßnahme. Diese ist
von wesentlicher Bedeutung und
sollte verstärkt werden. Es sollten
Bemühungen unternommen werden,
gemeinsame konstruktive Lösungen
zwischen Sozialpartnern und
Regierungen zu finden.
Im besten Fall sollte die
Arbeitsplatzbeschaffung vorzugsweise
in den Heimatländern der Menschen
erfolgen, damit sie nicht gezwungen
sind, aus wirtschaftlichen oder sozialen
Gründen ihr Land zu verlassen. Die
Migration wird jedoch im Baugewerbe
mit Sicherheit auch in Zukunft Teil
des Sektors bleiben, doch wird
dies nur funktionieren, wenn allen
Beschäftigten gleiche Rechte garantiert
und Maßnahmen zur Bekämpfung der
illegalen Migration getroffen werden.
Die Rezession weist kaum
gute Seiten auf, doch besteht kein
Zweifel, dass sie eine Chance bietet, in
Menschen und deren Lebensqualität
zu investieren. Mit einem verstärkten
Sozialschutz, einschließlich der Renten,
Arbeitslosengelder, Kinderbeihilfe- und
Gesundheitssysteme, mit vermehrter
Achtung der Arbeitnehmerrechte, mit
einem neuen und funktionierenden
System für das globale Finanzwesen
gibt es keinen Grund, weshalb wir,
geleitet von klugen und auf Menschen
ausgerichteten Investitionen, nicht
rasch handeln könnten, um die
darniederliegenden Wirtschaften
wiederaufzubauen und die Weichen
für Erholung und eine nachhaltige
Entwicklung zu stellen.
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 15
Bildung ist ein wesentliches Instrument
Schulbildung für
Wirtschaftsaufschwung
VON Fred van Leeuwen
MANCHMAL IST ES SO, DASS WIR
VERMEHRTE INVESTITIONEN IN DIE
MENSCHEN UND INSBESONDERE IN
IHRE BILDUNG BENÖTIGEN. IN ANBETRACHT DESSEN IST DIE BILDUNGSINTERNATIONALE (EI) IM BEGRIFF,
EINEN AKTIONSPLAN ZU ENTWICKELN, UM NICHT NUR DIE ÖFFENTLICHE FINANZIERUNG DER BILDUNG
ZU VERTEIDIGEN, SONDERN AUCH
POLITISCHE UNTERSTÜTZUNG FÜR
INVESTITIONEN IN DIE BILDUNG ALS
ENTSCHEIDENDEM ELEMENT DES
WIRTSCHAFTSAUFSCHWUNGS ZU
MOBILISIEREN.
Die EI lässt sich von der Washingtoner
Erklärung der Global Unions im November 2008 und von deren Aufruf inspirieren, dass:
es über die Infrastruktur hinaus
auch an der Zeit ist, in die Menschen zu investieren, ebenso für
eine erneuerte Verpflichtung zur
Bereitstellung staatlich finanzierter öffentlicher Dienste von
hoher Qualität. Wir fordern die
Mitgliedsorganisationen dazu
auf, uns ihre Vorstellungen davon
zu übermitteln, wie die Bildungsgewerkschaften proaktiv und
strategisch vorgehen können, um
eine öffentliche Bildung von hoher
Qualität zu wahren.
und Frauen zählen – viele von ihnen
mit hohem Bildungsstand, vielfältigen
Qualifikationen und Kompetenzen
sowie Erfahrung.
Die UNESCO erklärt, die Welt
benötige allein 18 Millionen qualifizierte Lehrkräfte, um die demographischen Herausforderungen in den
Industrieländern zu bewältigen und
eines der wichtigsten MillenniumsEntwicklungsziele zu erreichen – eine
Grundschulbildung für alle Kinder in den
Entwicklungsländern bis zum Jahr 2015.
Weit mehr Lehrkräfte und Ausbilder sind
für die Mittelschulbildung und die berufliche Ausbildung erforderlich.
Viele der in der derzeitigen Krise
von Arbeitslosigkeit Betroffenen dürften sich zum Lehrerberuf oder anderen
Arbeitsaufgaben im Bildungswesen
hingezogen fühlen. Sie würden positiv
auf einen Plan reagieren, der ihnen
eine Chance gibt, Qualifikationen für
den Lehrerberuf zu erwerben oder eine
sonstige Tätigkeit im Bildungswesen zu
übernehmen.
Ein umfassender auf nationaler
Ebene umgesetzter Plan zur Gewinnung
arbeitsloser Männer und Frauen für die
Lehrtätigkeit würde einen bedeutenden
steuerlichen Anreiz bieten. Er würde
einen entscheidenden Teil der Pläne
zur Wirtschaftserholung bilden und die
Bildung und Ausbildung von Kindern
und Jugendlichen verstärken.
Schulen und sonstige Bildungseinrichtungen dienen den Gemeinschaften
in allen Nationen, und die positiven
Auswirkungen der Einstellung von mehr
Lehrkräften in diesem Sektor werden
allen zugute kommen. Investitionen in
Menschen, die im Bildungswesen tätig
sind, werden zur Lösung beitragen. Der
Steueranreiz, der dadurch geschaffen
wird, dass qualifizierte und erfahrene
Menschen aus der Arbeitslosigkeit
geholt und für lohnende Arbeitsplätze
im Bildungswesen gewonnen werden,
wird sich rascher und umfassender als
bloße Infrastrukturprojekte auswirken.
Im Jahre 2007 lancierte die EI
zusammen mit Novib (Oxfam Niederlande) ein neues Projekt „Qualitätslehrkräfte für alle“, das auf die
Bekämpfung des zunehmenden Trends
der Regierungen abzielt, mit Unterstützung und Begünstigung der Weltbank
unqualifizierte Leute als Lehrkräfte zu
Es sind kühne Maßnahmen erforderlich. Wir müssen „um die Ecke“ denken
und die Regierungen und Wähler dazu
bringen, dies ebenfalls zu tun. Die Welt
wird im Jahre 2009 mehrere Millionen
neu arbeitslos gewordener Männer
16 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
© Allan Gichigi/IRIN
beschäftigen. Wir stellen Musterprogramme auf, um für die derzeit Arbeitslosen eine Ausbildung als Lehrkraft
bereitzustellen. Diese Initiative wird
in den Entwicklungsländern an Bedeutung zunehmen, während sich die
Wirkung der Wirtschaftskrise entfaltet.
Lehrkräfte im Norden und im
Süden gehen hier gemeinsam vor.
Überall sind Verhandlungen zwischen
öffentlichen Behörden und Bildungsgewerkschaften über Ausbildungs- und
Einführungsprogramme für Lehrkräfte
der Schlüssel. Das bedeutet auch
erneuerte Bemühungen zur Unterstützung der Kompetenzentwicklung für
die EI-Gewerkschaften in den Entwicklungsländern, damit diese wirksam
verhandeln können.
Nachstehend ein Zehn-Punkte-Plan
für eine globale Vereinbarung, die auf
nationaler Ebene mittels Verhandlungen zwischen EI-Mitgliedsgewerkschaften und ihren Regierungen umgesetzt
werden soll. EI empfiehlt, dass die Bildungsgewerkschaften:
DIE ERFORDERNISSE DARLEGEN
1. die Einzelheiten des Personalbedarfs
im Bildungswesen zusammenstellen
– für Lehr- und andere Stellen in den
Schulen, Berufsschulen und sonstigen
Bildungseinrichtungen – indem sie auf
ihren bestehenden Kenntnisse, Umfragen und Forschungsarbeiten aufbauen.
2. diese Erfordernisse in Bezug auf das
Personal ausdrücken, das für die Bereitstellung einer Bildung von hoher Qualität in sicheren Schulen für Kinder und
Jugendliche erforderlich ist.
NATIONALE PLÄNE FORDERN
3. nationale Pläne aufstellen, um diesen
Personalbedarf zu decken. In Ländern
mit zwei oder mehr EI-Mitgliedsorganisationen sollten sie versuchen, nach
Möglichkeit eine Einigung über einen
einzigen Plan zu erzielen.
4. den nationale Plan der Gewerkschaften den Behörden, angeschlossenen
und nahestehenden Organisationen,
einschließlich der Eltern- und anderen
Gewerkschaften unterbreiten und den
Plan öffentlich fördern.
KAMPAGNE ZUGUNSTEN DER
EINSTELLUNG, NICHT DER ENTLASSUNG
5. die Behörden dazu aufrufen, mit Bildungsgewerkschaften zusammenzuarbeiten, um den bestehenden Bestand
an Lehrkräften und Unterstützungspersonal aufrechtzuerhalten, sowie Pläne
zur Ausbildung und Rekrutierung des
Personals zu fordern, das für die Bereitstellung einer Bildung von hoher Qualität in sicheren Schulen benötigt wird.
6. die Gewerkschaftspolitik bezüglich
anwendbarer Normen für die Ausbildung der Lehrkräfte bekräftigen.
7. eine verstärkte Ausbildung der
Lehrkräfte sowie sonstige Ausbildungsprogramme und Betreuungs- und Einführungsprogramme unterstützen, um
das neu eingestellte Personal zu binden.
8. eine Zusammenarbeit in allen Bildungssektoren entwickeln, indem die
entscheidende Rolle der Hochschul- und
sonstiger höherer Lehrkräfte in den
Bereichen Forschung, Innovation und
Lehrtätigkeit, einschließlich der Lehrkräfteausbildung, sowie auch die notwendige Verstärkung des Personals für Kleinkindbildung unterstützt werden.
© Manoocher Deghati/IRIN
O
die Bildung sowohl soziale als
auch wirtschaftliche Bedeutung
hat. Sie spielt eine Schlüsselrolle
beim Aufbau und bei der Verteidigung der Demokratie, sie trägt zur
individuellen Entfaltung und zum
Wohlergehen sowie zur Entwicklung der Gemeinschaft bei, sie ist
ein erstklassiger Mechanismus
für die Förderung der Gleichstellung, der Nichtdiskriminierung
und des Verständnisses zwischen
Menschen mit unterschiedlichem
Hintergrund.
O
eine Bildung von hoher Qualität,
die Lehrkräfte von hoher Qualität
voraussetzt, deren Status wie auch
der Grundsatz anerkannt sind, dass
menschenwürdige Arbeitsbedingungen auch menschenwürdige
Lernbedingungen sind.
O
die Bildungsgewerkschaften
Schlüsselakteure bei der Entwicklung und Umsetzung der
Bildungspolitik sein sollten. Bildung ist ein Menschenrecht. Die
Bereitstellung einer öffentlichen
Bildung von hoher Qualität für
alle in den Entwicklungs- wie in
den Industrieländern, ist ein moralisches Gebot.
DEN DRUCK AUFRECHTERHALTEN,
UM DIE MDG ZU ERREICHEN
9. die Regierungen und die öffentliche
Meinung daran erinnern, auf dem
Kurs zu bleiben, um die MillenniumsEntwicklungsziele zu erreichen, einschließlich der Bildung für alle; dies ist
für die globale Erholung von entscheidender Bedeutung.
10. für mehr, nicht weniger Zusammenarbeit zwischen Norden und Süden
eintreten. Die offizielle Entwicklungshilfe muss erhöht werden, multilaterale
Entwicklungsstellen müssen gestärkt
werden, die Lehrkräfteausbildung
muss in Ländern verbessert werden,
die sich bemühen, ihre MillenniumsEntwicklungsziele zu erreichen, und die
Gewerkschaften können einander mit
Kompetenzentwicklung unterstützen.
Für eine weltweite Krise muss es eine
weltweite Reaktion geben. Aus diesem
Grund arbeitet die EI eng mit der
UNESCO, der Weltbank, der IAO und der
OECD zusammen. Die EI wird bei den
Global Unions, bei ihren Partnern in der
globalen Kampagne für Bildung, bei
Eltern- und Studentengruppen sowie bei
Unternehmens- und Industrieorganisationen um Unterstützung nachsuchen.
Unsere Vision ist klar. Wenn die
Bildung zugunsten der globalen Wirtschaft und zum Nutzen der Gesellschaft
insgesamt funktionieren soll, müssen
wir anerkennen, dass:
O
die Bildung ein Gemeingut, nicht
eine Ware ist,
Wenn diese Grundsätze nicht mehr
nur auf dem Papier stehen und als
Teil eines durchführbaren Konjunkturprogramms in die Agenda für
einen Wandel aufgenommen werden,
können sich unsere Kinder und die
Bürger/innen insgesamt auf Befriedigenderes als auf höherer Steuerrechnungen und schmerzliche Einschnitte
in ihren Lebensstandard freuen.
Fred van Leeuwen ist Generalsekretär
der Bildungs-Internationale
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 17
Lasst die Krise nicht ungenutzt
Krisenzeit
VON Neil Kearney
IGKEIT EINES FINANZSYSTEMS,
IN DEM EIN BESCHÄFTIGTER IM
TEXTILSEKTOR IN BANGLADESCH
118 000 JAHRE ARBEITEN MÜSSTE,
UM DEN JAHRESBONUS EINES GLOBALEN BANKERS ZU VERDIENEN.
Mit unserer Welt ist etwas schrecklich
schiefgelaufen. Nach der Bekanntgabe
eines Verlustes von 21 Mrd. EUR im
Jahre 2008 bildete der Generaldirektor
von Merill Lynch eine Rücklage von 3
Mrd. EUR als Boni für Führungskräfte,
darunter den atemberaubende Betrag
von 27 Mio. EUR für sich selbst. Dies
geschah, während Merill Lynch an die
Bank of America verkauft wurde, die
damals selbst Verluste in Höhe von 31
Mrd. EUR verzeichnete und deren eigener Generaldirektor im vergangenen Jahr
19,5 Mio. EUR an sich selbst auszahlte.
Kurz nachdem die Bank of America
von der Regierung der USA mit 35 Mrd.
EUR gerettet worden war, veranstaltete sie eine Tagung zur Koordinierung
der Einwände gegen Vorschläge, die
Gewerkschaftsanerkennung in den USA
zu erleichtern. Auf der Tagung erklärte
der Generaldirektor des Unternehmens
Home Depot, es wäre das Ende der
Kultur, wie wir sie kennen, wenn die USUnternehmen mit Gewerkschaften zu
tun hätten. Es ist dieselbe Home Depot,
die ihrem ehemaligen Generaldirektor
195 Mio. EUR bezahlte, als sie ihn nach
lediglich 11 Monaten im Job entließ.
Die Scheinheiligkeit, Ungerechtigkeit und Unbilligkeit in alledem ist
offensichtlich, wenn man bedenkt,
dass sich über 2 Millionen Beschäftigte,
hauptsächlich Frauen, in der Textilindustrie in Bangladesch mitunter 14 bis 16
Stunden täglich für weniger als 19 EUR
pro Monat – 230 EUR pro Jahr – abrackern. Einer dieser Beschäftigten müsste
18 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
118 000 Jahre arbeiten, um den Bonus
eines Generaldirektors von Merill Lynch
zu verdienen.
Angesichts ihrer langen Arbeitszeit und der Hungerlöhne überrascht es nicht, dass viele dieser
Beschäftigten wegen Erschöpfung und
Mangelernährung häufig an ihren Nähmaschinen zusammenbrechen. Eine derartige Ausbeutung ist das Ergebnis von
20 Jahren unbehinderter Globalisierung.
Die Auswirkungen auf die Beschäftigten
waren katastrophal. In den letzten
zehn Jahren gingen die Reallöhne in der
Textil-, Bekleidungs- und Schuhindustrie
um 25% zurück, während die Arbeitszeit
um 25% zunahm.
Marken und Einzelhändler wie WalMart konnten Jahresgewinne von über
10 Mrd. EUR aus dieser Sklavenarbeit
ankündigen. Zahlreiche führende Einzelhändler wie Tesco und Marks & Spencer
nutzten die weltweite Rezession, um
weitere Preissenkungen aus ihren Lieferanten herauszupressen. Diese Preissenkungen werden von den Beschäftigten in Form von Lohnsenkungen,
längeren Arbeitszeiten und schlechteren
Arbeitsbedingungen zu bezahlen sein.
Die Industrie ist nicht zufrieden mit
den derzeitigen Lohnuntergrenzen. Sie
strebt weiterhin mehr für weniger an
und verlässt sich nunmehr zunehmend
auf eine wachsende Zahl von Arbeitsmigranten/innen, die für Ausbeutung
noch anfälliger sind. Ehemalige Textilbeschäftigte in Rumänien überfluten
Westeuropa auf der Suche nach Heimarbeit, weil sie von den in der örtlichen
Industrie bezahlten Löhnen nicht leben
können. Ihre Arbeitsplätze werden
wiederum von Arbeitsmigranten/innen
übernommen, die aus China geholt und
noch schlechter bezahlt werden.
Die Entgelte sind überall im Sektor
erschreckend gering, und zwar nicht
nur in den am wenigsten entwickelten
Ländern. In Bulgarien muss ein Beschäftigter in der Schuhindustrie heute 6,25
Stunden arbeiten, um ein Kilo Rind-
fleisch kaufen zu können, 2,5 Stunden
für einen Liter Speiseöl und 15 Stunden
für ein Kilo Zucker, das heißt, über 10
Stunden pro Tag, und die Miete ist damit
nicht bezahlt.
Die Regierungen, die auf die globale
Rezession reagieren, sprechen davon,
dass das Finanzwesen saniert werden
muss. Was wir jedoch dringend benötigen, ist eine soziale Sanierung – Arbeitsplätze, die für eine normale Arbeitswoche ein Existenzminimum bezahlen,
Schutz vor Verletzungen und Missbrauch sowie das Recht jedes Beschäftigten, einer Gewerkschaft beizutreten
und mit seinem Arbeitgeber über menschenwürdige Arbeit zu verhandeln.
Meine eigenen Auffassungen
entsprechen den Aussagen von jemandem, der sagte: „Lasst nie eine Krise
ungenutzt.“ Wir haben genug davon,
dass jede Ausbeutung erlaubt ist. Wir
haben die Erfahrung gemacht, dass die
Fertigung zugunsten der Abhängigkeit
von Banken und Finanzdienstleistungen
aufgegeben wurde. Nun tragen wir die
Folgen.
Wir sollten einen moralischen und
sozialen Kompass schaffen, der menschenwürdige Arbeit in den Mittelpunkt
der Aktion stellt, um den Weg aus der
Rezession zu weisen. Das bedeutet,
diese Krise zu nutzen, um ein neues
wirtschaftliches und soziales Terrain als
Strategie für eine Erholung und darüber
hinaus zu fordern. Hierfür müssen wir
© JL Gutierrez/istockphoto.com
NEAL KEARNY ZUR SCHEINHEIL-
O
die zahlreichen Anreizmaßnahmen, die zurzeit eingeführt
werden, verstärken und besser
planen, indem das Schwergewicht vielmehr auf die Erhaltung
und Schaffung menschenwürdige Arbeitsplätze als auf Steuersenkungen für die Reichen und
Boni für die Kasino-Cowboys der
Bankenwelt gelegt wird,
O
die Fertigungsindustrie als Schlüssel und wesentliches Element
aller Volkswirtschaften fördern,
O
Lohnkürzungen und schlechtere
Bedingungen als Maßnahmen
ablehnen, die lediglich einen weiteren Rezessionsdruck erzeugen
werden,
O
auf der Bezahlung eines Existenzminimums für jeden Beschäftigten
als wichtigem Anreiz für wachsenden Verbrauch und als Antrieb
für den Aufschwung beharren,
O
Bildung und Ausbildung, insbesondere Schulung für grüne
Arbeitsplätze, in den Mittelpunkt
der strategischen Planung für eine
Erholung stellen,
O
eine zentrale Rolle für die
Beschäftigten und Gewerkschaften auf allen Ebenen bei der
Bewältigung der Krise fordern.
Der Einfluss der Gewerkschaften
bei der Erarbeitung der Maßnahmen Deutschlands zur Verlangsamung und Umkehrung der
Rezession verliehen diesen einen
eindeutig sozialen Anstrich, der
darauf abzielt, die Vernichtung
von Arbeitsplätzen zu vermeiden
und ein Sprungbrett bereitzustellen, um die allerersten Anzeichen
einer Erholung nutzen zu können.
Kurzum, wir dürfen die derzeitige
Krise nicht ungenutzt lassen, sondern
müssen sie stattdessen nutzen, um
einen echten Wandel zu bewirken, bei
dem menschenwürdige Arbeit, die allen
ein Existenzminimum verschafft, der
Eckpfeiler der Weltwirtschaft sein wird.
Dies ist ein Auszug aus einer Ansprache
von Neil Kearney, Generalsekretär der
Internationalen Textil-, Bekleidungsund Lederarbeiter-Vereinigung, anlässlich der Lancierung des Werks „Glokers
– People, places and ideals about globalised labour“ (Globale Arbeitnehmer –
Menschen, Orte und Ideen zur globalisierten Arbeit) von Silvana Cappuccio im
Europaparlament. © B. Sandman
Superreiche zahlen
einen Preis … doch
reicht das kaum aus
A
m Tag, als der größte Gauner der Wallstreet, Bernard Madoff,
wegen Betrugs an Tausenden Investoren in Höhe von mindestens
50 Mrd. USD endlich in Handschellen gelegt und ins Gefängnis
gebracht wurde, veröffentlichte das Forbes Magazine seine jährliche Liste, aus der hervorgeht, wie die Superreichen der Welt unter dem
finanziellen Chaos „leiden“, das viele von ihnen mitverschuldet hatten.
Die Liste 2009 der Milliardäre der Welt, die am 11. März veröffentlicht wurde, war um 30% kürzer als diejenige von 2008, was dem ersten
Rückgang in sechs Jahren entspricht. Sie zeigte, dass Milliarden Dollar
aus dem Vermögen der kapitalistischen Elite vernichtet wurden. Die
Zahl der Milliardäre weltweit fiel von einem Höchststand von 1 125 auf
793. Der Gründer von Microsoft, Bill Gates, verlor beim Börsencrash
rund 19 Mrd. USD, doch besitzt er noch immer 40 Mrd. USD und ist der
reichste Mann der Welt. Selbst der reichste Mann Russlands, Oleg Deripaska, dessen privates Vermögen um 25 Mrd. USD schrumpfte, kann
mit 3,5 Mrd. USD in seiner Tasche noch immer ruhig schlafen.
Viele der Superreichen waren erheblich an den keineswegs legalen
Praktiken an den Finanzmärkten beteiligt, die zur Kreditkrise führten,
und im Gegensatz zu Madoff, der den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen dürfte, werden die meisten ohne Gefängnisstrafe
davonkommen. Andere müssen noch gefasst und zur Rechenschaft
gezogen werden, darunter der mexikanische Drogenhändler Joaquín
Guzmán, der von der US-Polizei gesucht wird, jedoch als Neuzugang
auf der Liste der Milliardäre von Forbes aufgeführt ist.
Selbst wenn Guzmán und andere vor Gericht gebracht werden,
besteht kaum Anlass zu Jubel, wenn diejenigen, die in erster Linie für
die Finanzkrise verantwortlich sind, ihre gerechte Strafe erhalten. In
der Tat bedeutet der schrumpfende Wert der von der reichsten und
exklusivsten Gemeinschaft von Milliardären der Welt gesammelten
Beute nicht, dass sich die Ungleichheit verringert hat.
Die Krise hat jede Gemeinschaft in der ganzen Welt in Mitleidenschaft gezogen, wobei Millionen Menschen und ihre Angehörigen in
Arbeitslosigkeit und Armut gestürzt wurden. Diese enorme Wirtschaftsrezession betraf alle, und für die Banker und Spekulanten, die Milliarden verloren, werden keine Tränen vergossen werden.
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 19
©ftwitty/istockphoto.com
Von Washington
nach London
Die Global Unions setzen auf ihre Vision für Arbeitsplätze und Erholung
20 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
©Tom Page
DIE INTERNATIONALE GEWERKSCHAFTSBEWEGUNG
SUCHT DIE FÜHRENDEN PERSÖNLICHKEITEN
DER WELT AUF UND STELLEN UMFASSENDE
FORDERUNGEN NACH EINEM WANDEL. DIE GLOBAL
UNIONS WOLLEN ENERGISCHE MASSNAHMEN ZUR
BEWÄLTIGUNG DER WELTWIRTSCHAFTSKRISE, DOCH
BEHARREN SIE DARAUF, DASS DIE BESEITIGUNG DES
DURCH DEN DESTRUKTIVEN NEOLIBERALISMUS
VERURSACHTEN CHAOS LEDIGLICH DER ERSTE
SCHRITT SEIN SOLLTE. JOHN EVANS ARGUMENTIERT,
DASS DIE ZEIT FÜR EINEN RADIKALEN
RICHTUNGSWECHSEL GEKOMMEN IST.
D
ie Global Unions bedrängen die Treffen von Regierungschefs, Finanz- und Arbeitsministern mit einer Botschaft
der Beschäftigten in aller Welt – schafft Arbeitsplätze
jetzt, reguliert die Märkte, um sicherzustellen, dass diese
wirtschaftliche Katastrophe nie wieder vorkommt, und
macht die Welt zu einem gerechteren Ort zum Leben und Arbeiten.
Die in der Londoner Erklärung, die dem Gipfel der Gruppe der
20 Nationen im April vorgelegt wurde, und der globale Aktionsplan
für Arbeitsplätze, der dem Sozialgipfel der G-8 in Rom unterbreitet
wurde, dargelegten Prioritäten umfassen die Gestaltung einer neuen
Struktur für die Steuerung des Welthandels und die Entwicklung
eines neuen Modells für die Weltwirtschaft, um Arbeitsplätze zu
schaffen und eine Krise zu bewältigen, die sowohl die Industrienationen als auch die Entwicklungsländer erschüttert.
Die Tatsachen sprechen für sich. Die Weltwirtschaft schrumpft
in einem nie dagewesenen Tempo – Arbeitsplätze gehen millionenweise verloren, und jahrelange Fortschritte bei der Erfüllung der
Millenniums-Entwicklungsziele für eine Armutsreduzierung wurden
in wenigen Monaten vernichtet.
Die Leidtragenden sind die Beschäftigten, von denen viele
bereits in prekären Arbeitsstellen ohne Sozialschutz tätig sind, und
Jugendliche, die in einen Arbeitsmarkt einsteigen, der flauer ist als
seit einem halben Jahrhundert.
Gruppen wie die G-20 können eine entscheidende Rolle bei der
Förderung der Zusammenarbeit zwischen fortgeschrittenen und
Schwellenwirtschaften spielen, um die weltweite Finanzstabilität
wiederherzustellen. Die Lösung einer Krise, die tiefer und verheerender ist als jede Rezession seit Menschengedenken wird jedoch mehr
als lediglich eine Feinabstimmung der Marktregeln voraussetzen,
wenn eine dauerhafte Wirtschaftserholung erreicht werden soll.
Die Konjunkturpakete, die bisher von den Regierungen der Industrieländer beschlossen wurden, liegen weit unter den 2% des BIP der
Welt, die laut den Global Unions und internationalen Institutionen
erforderlich sind, um die weltweite Nachfrage zu steigern und die
Weltwirtschaft aus dem Abgrund herauszuholen.
Die Maßnahmen müssen auf öffentliche Investitionen abzielen,
die zügig getätigt werden und sich langfristig positiv auswirken
können, indem sie zum einen dazu beitragen, den Klimawandel
zu bekämpfen, und zum anderen die Produktivität steigern. Die
Regierungen müssen zudem weit mehr Geld für aktive Arbeitsmarktprogramme aufwenden, um die Beschäftigung für die Menschen
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 21
aufrechtzuerhalten und ihnen während
der Krise bei der Umschulung zu helfen.
Die Gewerkschaften sind davon
überzeugt, dass die Krise nicht dadurch
gelöst werden kann, dass Arbeitsplätze
abgebaut werden, der Lebensstandard
gesenkt wird und die Menschen für die
Fehler eines Systems büßen müssen,
das die weltweiten Bestrebungen nach
Gleichstellung und sozialer Gerechtigkeit drastisch verfehlte. Die Botschaft
der Global Unions, die in der Londoner
Erklärung und in dieser Publikation
dargelegt ist, befürwortet einen auf die
Menschen ausgerichteten Konjunkturplan, der folgendes fordert
O
Konzentration auf die Arbeitsplatzbeschaffung und die Erhaltung des
Lebensstandards
O
ein internationales System für
wirtschaftliche Steuerung, das in
der Achtung der Arbeitnehmerrechte wurzelt
O
strikte neue Regeln für die Kontrolle der weltweiten Finanzmärkte und
O
Maßnahmen für Investitionen in
eine grüne Agenda, für den Aufbau
öffentlicher Dienste und vor allem
zur Bekämpfung der wachsenden
Ungleichheit in aller Welt.
Eine Schlüsselforderung, die von vielen
Politikern unterstützt wird – und nun
durch den Wechsel in der Administration im Weißen Haus Auftrieb erhält
– ist das Beharren der Gewerkschaften
darauf, dass die Arbeitskräfte an den
Diskussionen über die Gestaltung einer
neuen weltweiten Finanzarchitektur
beteiligt werden müssen.
Die Global Unions bestehen darauf,
dass den ärmeren Ländern in den
Schwellen- und Entwicklungswirtschaften das Geld zur Verfügung gestellt
werden muss, das sie für den Aufbau
ihrer Volkswirtschaften benötigen,
ohne dass sie durch die von den internationalen Finanzinstitutionen auferlegten strikten Bedingungen behindert
werden. Kreditprogramme zur Ankurbelung der Volkswirtschaften in aller
Welt dürfen nicht zu einer Senkung
der Entgelte und Verschlechterung der
Lebensbedingungen für die Beschäftigten führen, wie dies in der Vergangenheit der Fall war.
Die Ausweitung der Arbeitnehmerrechte wird zum globalen Wachstum beitragen und die Erholung
nicht bremsen, doch gehen die vom
22 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
Internationalen Währungsfonds als
Gegenleistung für die Notfinanzierung
auferlegten Bedingungen in die falsche
Richtung – sie drosseln die Entgelte
und die Kaufkraft der Schwächsten.
In einer Zeit, in der die Privatkapitalflüsse rückläufig sind und zahlreiche Arbeitsmigranten/innen kein
Geld nach Hause schicken können, auf
das ihre Familien angewiesen sind,
müssen die Regierungen Verpflichtungen eingehen, die offizielle Entwicklungshilfe zu intensivieren.
Zudem müssen Maßnahmen
getroffen werden, um den kurzfristigen
Rückgang der Entgelte zu stoppen,
der die Welt in eine Deflationsspirale
drängen würde. In der Krise sollten die
Arbeitnehmerrechte gestärkt, nicht
unterhöhlt werden.
Die Gewerkschaften verfügen auch
über eine durchdachte Strategie, um
eine Wiederholung des Finanzzusammenbruchs zu vermeiden. Ein AchtPunkte-Aktionsplan für eine Finanzreform, der auf diesen Seiten dargelegt
wird, bietet eine echte Chance für eine
anhaltende und dauerhafte Reform
und eine Beendigung des Kasinos
der deregulierten Finanzmärkte, und
sieht ein System vor, in dem das Finanzwesen die Realwirtschaft und reale
Arbeitsplätze unterstützt.
Die Notwendigkeit eines Wandels
ist jedoch viel dringender. Es besteht
die Gefahr, dass eine Rückkehr zur
gescheiterten Politik der Vergangenheit
erfolgt, wenn die Wirtschaftserholung
einsetzt. Es ist bereits bedenklich die
Rede von „Strategien für den Ausstieg“
des Staates aus seinen Interventionen
an den Finanzmärkten.
Die Gewerkschaften fordern für
die Zukunft mehr Investitionen in
öffentliche Dienste von hoher Qualität,
die Annahme einer grünen Agenda
für Wandel und eine Beendigung der
Wirtschaftspolitik, die den Entwicklungskrediten einschneidende Bedingungen auferlegte, die die Sozialprogramme drosselten und die Arbeitsmärkte deregulierten.
Die Gewerkschaften erklären, die
IAO und die Arbeitnehmergruppen
müssten über die Gestaltung des neuen
multilateralen Systems konsultiert
werden. Ohne Mitspracherecht der
Beschäftigten am Verhandlungstisch
wird es unmöglich sein, die Gewerkschaftsrechte und die Arbeitsnormen
zu schützen oder sicherzustellen, dass
die Beschäftigten und ihre Angehörigen
nicht belastet werden, indem sie den
© Manoocher Deghati/IRIN
Preis für die kolossalen Fehler eines
unterregulierten globalen Finanzsystems zu bezahlen haben.
Es ist dringend notwendig, dass die
wichtigen Debatten über die Lösung
der globalen Krise zusammen mit
den Gewerkschaften geführt werden,
doch wird dies nur geschehen, wenn
die Regierungen und internationalen
Finanzinstitutionen die Tür für einen
neuen Dialog und eine Vision öffnen,
die das Gleichgewicht der Politik hin
zu einer dauerhaften sozialen Agenda
verlagert, die auf die Beseitigung der
Geißel der Ungleichheit abzielt.
Nach der Bewältigung der Krise
benötigen wir ein neues Entwicklungsmodell, bei dem der Staat in
der Lage ist, die Marktextreme durch
ein soziales Umfeld und Ziele der
öffentlichen Politik auszugleichen.
Die Regierungen müssen die Grenzen
der Finanzwirtschaft festlegen, indem
sie die Investitionen in langfristige
Ziele zur Schaffung menschenwürdige
Arbeit, zur Erwirkung der Gleichheit in
der Gesellschaft und zur Sicherstellung
einer gerechten Verteilung der Früchte
des Wachstums lenken. Die Verwirklichung dieses Ziels wird viele weitere
Gewerkschaftsaktionen auf internationaler Ebene erfordern – die Aufgabe der
Global Unions steht noch am Anfang.
John Evans ist Generalsekretär des
Gewerkschaftlichen Beratungsausschusses bei der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung.
Die Londoner Erklärung
D
ie Weltwirtschaft befindet
sich mitten in einer
allumfassenden dreifachen
Krise. Diese begann als
Finanzkrise, wandelte sich zu einer
weltweiten Wirtschaftskrise von
katastrophalem Ausmaß für die
Beschäftigten und mutiert nunmehr zu
einer sozialen und politischen Krise.
Die Krise, die am Immobilienmarkt
in den USA ihren Anfang nahm,
mündete zunächst in der
Kreditmarktkrise, sodann in der
Beschäftigungskrise und entwickelte
sich zu einem komplexen und
gefährlichen Teufelskreis mit
sinkenden Immobilienpreisen und
Arbeitslosigkeit, die gemeinsam den
Zusammenbruch des Kreditmarktes
verstärkten. Dieser Teufelskreis
übertrug sich auf alle Industrie-,
Schwellen- und nun auch auf die
Entwicklungswirtschaften.
Als die führenden Persönlichkeiten
der G-20 im November 2008 erstmals
zusammentraten, war die Welt bereits
mit einer beispiellosen Verlangsamung
des Wachstums mit rückläufiger
Produktion in den Industrieländern
konfrontiert. Die Situation hat sich
nunmehr drastisch verschlimmert.
Im ersten Quartal 2008 wurde ein
atemberaubender Rückgang beim
Bruttoinlandsprodukt (BIP), dem
Barometer des nationalen Wohlstandes,
verzeichnet. In den Volkswirtschaften
der G-7, in der Europäischen Union
und in den Ländern der Organisation
für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (OECD) insgesamt
schrumpfte das BIP auf Jahresbasis
um 6%.
Dies sind die schlechtesten
Zahlen, die die OECD jemals
verzeichnete. Die Katastrophe
breitete sich auf die Schwellen- und
Entwicklungswirtschaften aus, wo das
Wachstum nun ebenfalls stagniert
und das Pro-Kopf-BIP rückläufig
ist. Heute steckt die Welt in einer
tiefen Rezession. Es sind die Armen,
die gefährdet und am stärksten
betroffen sind. Die Exporte aus
Entwicklungsländern gingen drastisch
zurück, und der Zufluss privater Gelder
trocknete aus – ein Großteil davon Geld,
das Arbeitsmigranten/innen im Ausland
verdienen und auf das ihre Familien zu
Hause angewiesen sind.
Rund 26 NiedriglohnEntwicklungsländer in Afrika, Asien,
den Amerikas und Osteuropa wurden
vom IWF als gefährdet eingestuft.1
Die Verwirklichung der MillenniumsEntwicklungsziele – die weltweiten
Bemühungen, viele der Grundursachen
der Armut anzugehen – ist in Gefahr.
Zehn Jahre Fortschritt bei der
Bekämpfung der Armut wurden in nur
wenigen Monaten zunichte gemacht.
Die Arbeitslosigkeit nimmt
in den ersten Monaten des Jahres
2009 weiter zu, und es hat den
Anschein, dass sich das von der
Internationalen Arbeitsorganisation
(IAO) prognostizierte Szenario
des „schlimmsten Falls“, dass die
Arbeitslosigkeit im Jahr 2009 weltweit
um 50 Millionen2 zunimmt, als zu
optimistisch erweisen könnte.
Rund 200 Millionen weitere
Beschäftigte könnten in extreme
Armut gestürzt werden, zumeist in
Entwicklungs- und Schwellenländern
ohne soziale Sicherungsnetze, was
bedeutet, dass die Zahl der arbeitenden
Armen –, die weniger als zwei US-Dollar
pro Tag je Familienmitglied verdienen auf 1,4 Milliarden steigen könnte.
Ohne radikale Reaktion der
Regierungen und internationalen
Institutionen wird sich die
Arbeitslosenkrise zu einer sozialen und
letzten Endes politischen Krise wandeln.
Zudem bestehen schwerwiegende
Risiken, dass die dringlichen,
jedoch schwierigen politischen
Entscheidungen, die auf der
Konferenz der Vereinten Nationen
über den Klimawandel im Dezember
2009 in Kopenhagen getroffen
werden müssen, um langfristig eine
Klimakatastrophe abzuwenden, zum
Scheitern gebracht werden.
1
IMB, Die Auswirkungen der globalen Finanzkrise auf Niedriglohnländer, 2009
2
IAO, Globale Beschäftigungstrends, 28. Januar 2009
Dies ist eine abgekürzte und bearbeitete
Fassung der Londoner Erklärung –
der vollständige Wortlaut und die
Einzelheiten der Eingabe sind zu finden
unter www.global-unions.org, www.
ituc-csi.org und www.tuac.org
Diese schwerste Wirtschaftskrise
seit der großen Depression der
1930er Jahre muss das Ende einer
Ideologie der unbehinderten
Finanzmärkte markieren, an denen die
Selbstregulierung als Betrug enthüllt
wurde und sich die Gier über das
vernunftmäßige Urteil zu Lasten der
Realwirtschaft hinwegsetzte.
Eine nationale und internationale
Regulierungsarchitektur muss
aufgebaut werden, damit die
Finanzmärkte zu ihrer primären
Funktion zurückkehren – die stabile
und kosteneffiziente Finanzierung
produktiver Investitionen in die
Realwirtschaft sicherzustellen.
Darüber hinaus besteht
die Notwendigkeit, eine neue
Wirtschaftsordnung zu errichten, die
wirtschaftlich effizient, ökologisch
nachhaltig und sozial gerecht ist.
Die führenden Persönlichkeiten
der G-20 müssen zusammen mit
anderen Institutionen einen
multilateralen Prozess einleiten, um die
Steuerung der Weltwirtschaft in einer
Weise so umzugestalten, dass sozialen
und ökologischen Fragen ebenso viel
Beachtung wie dem Handel und dem
Finanzwesen zuteil wird.
© M. Crozet/ILO
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 23
Die weltweite
Gewerkschaftsbewegung appelliert
an die führenden Persönlichkeiten
der größten Nationen der Welt
in der G-20, mit anderen Ländern
und internationalen Institutionen
zusammenzuarbeiten, um eine FünfPunkte-Strategie zu entwickeln,
die sich mit der Krise und der Zeit
danach befasst, um eine gerechtere
und nachhaltigere Weltwirtschaft für
künftige Generationen aufzubauen.
Die Gewerkschaftsbewegung
fordert:
O
einen koordinierten internationalen
Plan für Erholung und
nachhaltiges Wachstum, der sich
auf Arbeitsplatzbeschaffung,
öffentliche Investitionen und
Sozialschutz für die Bedürftigsten
konzentriert
die Verstaatlichung der
zahlungsunfähigen Banken und
die Aufstellung neuer Regeln und
eines Steuerungsmechanismus
zur Kontrolle des weltweiten
Finanzwesens
O
die Bekämpfung der
Ungleichheiten und den Schutz
der Einkommen durch eine
Erweiterung des Geltungsbereichs
der Kollektivverhandlungen und
eine Stärkung des institutionellen
Schutzes des Lebensstandards
O
eine Strategie für Investitionen
in eine „grüne Wirtschaft“, die
die Weltwirtschaft zu einem
kohlenstoffarmen Wachstum führt
und die Bedingungen für eine
internationale Einigung auf dem
Klimagipfel im Dezember 2009 in
Kopenhagen schafft
O
Änderungen der Global
Governance der sozialen und
wirtschaftlichen Politik und Praxis,
um die Weltwirtschaft zu einem
gerechteren Ort für Leben und
Arbeit zu machen
I. Ein koordinierter
internationaler
Konjunkturplan
Die höchste Priorität für die
führenden Persönlichkeiten der G-20
muss es sein, dem freien Fall des
weltweiten Wachstums Einhalt zu
gebieten und die Arbeitsplatzverluste
rückgängig zu machen.
24 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
Die G-20 muss die
„Trittbrettfahrer“
dazu bringen, sich
koordinierten Maßnahmen
anzuschließen, um
die Weltwirtschaft
anzukurbeln.
Die Global Unions fordern einen
weltweiten Konjunkturplan, der sich
auf mindestens 2% der Weltproduktion
beläuft. Die Zentralbanken sollten
die Zinssätze weiter senken und
eine mengenmäßige Lockerung der
Geldpolitik vornehmen, so dass
staatliche Investitionen zu geringen
Zinskosten finanziert werden können.
Auch innerhalb der Länder
müssen Maßnahmen geplant werden,
um die größtmögliche Wirkung auf
Wachstum und Beschäftigung zu
erzielen. Die Regierungen sollten
Infrastrukturinvestitionsprogramme
vorlegen, die kurzfristig das Wachstum
der Nachfrage fördern und mittelfristig
das Produktivitätswachstum steigern.
Es sollten Maßnahmen zur
Unterstützung der Kaufkraft der Mittelund Großverdiener eingeführt werden,
einschließlich der Haushalte mit einem
Verdiener, in denen häufig Frauen den
Lebensunterhalt bestreiten.
Die Kleinverdiener dürften mit
größerer Wahrscheinlichkeit mehr
Geld ausgeben, was sicherstellt, dass
dies zur Bekämpfung der Rezession
beiträgt. Dies kann durch eine
Erhöhung der Leistungen, Pläne für
direkte Arbeitsplatzbeschaffung und
Besteuerungsänderungen erfolgen. Die
Ressourcen sollten nicht für unwirksame
allgemeine Steuersenkungen
verschwendet werden.
Den Menschen mit
niedrigen und mittleren
Einkommen mehr Geld
in die Taschen und die
Geldbörsen zu geben,
wird die Wirtschaft
ankurbeln.
Der IWF hat aufgezeigt, dass
Ausgaben für Elemente wie soziale
Sicherheitsnetze und Transfers
für kommunale Dienstleistungen,
einschließlich Bildung und
Gesundheit, in Zeiten der Rezession
nahezu den doppelten Effekt wie
Steuersenkungen haben.
© Ahmad Zia Entezar/IRIN
O
Seit November 2008 führten
die meisten bedeutenden
Volkwirtschaften der G 7 Länder und
andere Steuermaßnahmen ein, um
das Wachstum anzukurbeln. Wie der
IWF aufzeigte, hätten diese jedoch die
doppelte Wirkung auf Wachstum und
Arbeitsplätze, wenn sie international
koordiniert würden.
Diese Koordinierung fehlt
bisher – während die Administration
von Barack Obama in den USA ein
Konjunkturprogramm vereinbarte, das
sich auf nahezu 3% des BIP pro Jahr
beläuft, entsprachen die Maßnahmen
der Mitgliedsländer der Europäischen
Union (EU), die bis Anfang Februar 2009
angekündigt wurden, weniger als 1%
des BIP in der EU.
Es ist nun an der Zeit,
in die Menschen zu
investieren – in ihre
Bildung und Gesundheit
und in die Betreuung
der sehr Jungen und der
Betagten.
Die Regierungen müssen die Rolle der
öffentlichen Dienste als Teil des neuen
Entwicklungsmodells verstärken,
um Bildung, Gesundheit, Wasser,
sanitäre Anlagen, Recht, Sicherheit,
Brandbekämpfung und Zivilschutz
bereitzustellen, die die Gesellschaft
benötigt. Diese Investitionen leisten
einen entscheidenden Beitrag zur
Lebensqualität der Menschen und
sind ein Eckpfeiler der gesunden
demokratischen Gesellschaft.
Da in der gesamten Wirtschaft
Arbeitsplätze verloren gehen, ist es
sinnvoll, in Bildung und Ausbildung
zu investieren und Arbeitskräfte
in neue Sektoren zu versetzen,
in denen sie dringend benötigt
werden. Laut Schätzungen der
Weltgesundheitsorganisation
(WHO) benötigt beispielsweise
das Gesundheitswesen weltweit
zusätzliche 4,2 Millionen Arbeitsplätze.
Achtzehn Millionen neue
Lehrkräfte müssen ausgebildet werden,
um nur gerade das Ziel einer Bildung
von hoher Qualität für alle Kinder im
Grundschulalter bis zum Jahr 2015 zu
erfüllen. Millionen weitere Lehrkräfte
und Ausbilder sind erforderlich für die
berufliche Aus- und Weiterbildung in
Qualifikationen, die die Realwirtschaft
stärken, und für die Umschulung
von Arbeitskräften im Zuge der
Umstrukturierung.
Außerdem müssen die Regierungen
ihre Bemühungen zur Reduzierung der
Armut der Frauen intensivieren, die
heute die Mehrheit der Armen der Welt
ausmachen.
Während sich Industrie- und
Schwellenländer um eine Erholung
bemühen, besteht die Gefahr, dass
die Niedriglohnländer an den Rand
gedrängt werden. Dies würde jedoch
die bestehenden Ungleichheiten noch
verschärfen und Millionen weitere
Menschen in extreme Armut stürzen.
Es ist von entscheidender
Bedeutung, die offizielle
Entwicklungshilfe aufrechtzuerhalten
und zu verstärken und die Rolle
der internationalen und regionalen
Entwicklungsbanken und -stellen zu
stärken.
Die meisten Entwicklungs- und
einige Schwellenländer betreiben eine
unnachsichtige Steuerpolitik, die ihre
eigene Bevölkerung schädigt, und zwar
häufig ohne eigenes Zutun, sondern
weil sie von den internationalen
Finanzinstitutionen (IFI) unter Druck
gesetzt werden, als Bedingung für
Kredite eine „Steuerdisziplin“ zu
praktizieren, selbst wenn sie mit
sich verschlechternden externen
Bedingungen konfrontiert sind.
Die internationale Gemeinschaft
muss die von den Entwicklungsländern
umgesetzten umfangreichen
Konjunkturprogramme besser
unterstützen. Diese sind notwendig,
um die weitere Zunahme der Armut zu
stoppen und die globale Nachfrage zu
stützen.
Die unnachgiebigen
Bedingungen im
Zusammenhang mit
Entwicklungskrediten
müssen unterbunden und
das Niveau der Finanzhilfe
erhöht werden.
Die Etats für Entwicklungshilfe für
die am wenigsten entwickelten
Länder müssen aufrechterhalten und
zugleich verbindliche Verpflichtungen
eingegangen und ein Zeitplan für
die Erfüllung des Ziels der Vereinten
Nationen von 0,7% des BIP erstellt
werden.
Steuermaßnahmen müssen
durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik
ergänzt werden, die helfen kann, die
Arbeitskräfte zusammenzuhalten
und die Beschäftigten in der
Erwerbstätigkeit zu halten. Eine Politik
und Programme zur Reduzierung des
Studierende nehmen am öffentlichen Unterricht im
Jahre 2007 in Kabul teil. Laut dem Bildungsministerium
wurden infolge der Angriffe gegen die Bildung Hunderte Schulen geschlossen, zumeist in den südlichen
Provinzen. ©Ahmad Zia Entezar/IRIN
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 25
Risikos der Arbeitslosigkeit und der
Lohneinbußen müssen konzipiert
und umgesetzt und die Einkommen
unterstützt werden.
Unternehmen, die öffentliche
Hilfe erhalten, müssen die
Abkommen mit Regierungen und
Gewerkschaften einhalten, vereinbarte
Umstrukturierungsprogramme
durchzuführen, die Beschäftigungs- und
Ausbildungskomponenten enthalten.
Auf dem IAO-Forum für globalen
Dialog über die Finanzkrise vereinbarten
die Arbeitnehmer, Regierungen und
Arbeitgeber, dass „die Umstrukturierung
auf einem Dialog zwischen
Unternehmensleitung, Gewerkschaften
und Arbeitnehmervertretern
beruhen sollte”.3 Dieser Dialog
steht im Mittelpunkt einer aktiven
Arbeitsmarktpolitik – doch bisher
ist lediglich ein winziger Teil des
Geldes in den massiven Rettungsund Konjunkturprogrammen
der Regierungen für diese Politik
bestimmt. Jedes Unternehmen, das
öffentliche Gelder erhält, sollte
verpflichtet sein, seine Beschäftigten
zu konsultieren und Arbeitsplatz- und
Ausbildungsprogramme einzuführen.
Besondere Beachtung muss
denjenigen zuteil werden, die von
der Krise am stärksten betroffen
sind. Die Regierungen müssen eine
Arbeitsmarktpolitik einführen, die:
O
Unternehmen davon abhält,
bei den ersten Anzeichen von
Problemen Stellen zu streichen,
O
sich auf die von der Krise am
stärksten betroffenen Gruppen
konzentriert – insbesondere
Jugendliche, ältere Menschen und
ungelernte Arbeiter/innen, Zeitund Teilzeitbeschäftigte, Frauen
und Arbeitsmigranten/innen,
O
die Kluft zwischen dem Entgelt von
Männern und Frauen beseitigt,
O
die Einkommen unterstützt,
insbesondere durch erweiterte
Arbeitslosenleistungen,
O
Unternehmen daran
hindert, die Auszahlung der
Arbeitslosenleistungen zu
blockieren oder zu verzögern,
O
die Achtung der Arbeitsnormen
und der Beschäftigungsrechte der
Arbeitskräfte sicherstellt,
IAO-Forum für globalen Dialog über die
Auswirkungen der Finanzkrise auf die Beschäftigten des Finanzsektors, 24. und 25. Februar 2009
3
26 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
O
auf Menschen ausgerichtete
Investitionen fördert,
einschließlich des Angebots
verbesserter Ausbildungschancen,
um die Beschäftigten jeden Alters
beim Erwerb neuer Qualifikationen
zu unterstützen,
Die von den Arbeitsministern
der G-8 in Niigata im Jahre 2008
befürwortete Agenda für „grüne
Arbeitsplätze“ nennt eine Reihe von
Schlüsselgrundsätzen, die von den
Regierungen weltweit unterstützt
werden müssen. Diese Agenda fordert
O
den Arbeitsmigranten/innen
gleiche Rechte wie anderen
Bürgern/innen gewährt, um die
doppelte Geißel von Armut und
Rassismus zu bekämpfen.
O
umfangreiche Investitionen in die
Energieeffizienz und erneuerbare
Energien,
O
die Erhöhung der Finanzmittel
für Forschung und Entwicklung,
Verbreitung und Einsatz neuer
Technologien sowie eine
Verbesserung der Systeme für die
Kompetenzentwicklung, und
O
die Entwicklung gerechter
Übergangsstrategien, die darauf
abzielen, alle Wirtschaftszweige im
Übergang zu einer nachhaltigeren
Gesellschaft zu begleiten.
Während die Arbeitslosigkeit
weltweit zunimmt, haben die meisten
Beschäftigten der Welt keinen
Anspruch auf Arbeitslosenleistungen,
wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren,
und die meisten von ihnen müssen im
Alter von eigenen Ersparnissen oder der
Unterstützung ihrer Familien leben. Die
Krise stellt sowohl eine Verpflichtung
als auch eine Chance dar, angemessene
soziale Sicherheitsnetze zu errichten,
die als automatische Stabilisatoren
in Ländern fungieren können, die
zurzeit über keine solchen verfügen,
welches auch immer der Stand ihrer
Entwicklung ist. Die IAO hat aufgezeigt,
dass dies erreicht werden kann.
II. Das Fundament für ein
internationales Abkommen
über den Klimawandel legen
Der Zeitpunkt wird niemals besser sein
als heute, den „grünen New Deal“ zu
lancieren, der vom Umweltprogramm
der Vereinten Nationen (UNEP), der IAO,
dem IGB und der IOE in ihrem Bericht
über grüne Arbeitsplätze gefordert wird.
Die Regierungen sollten ihre
Aktionen koordinieren, um den
Übergang zu einer kohlenstoffarmen,
umweltfreundlichen und
sozialverträglichen Wirtschaft zu
erleichtern.
Diese Maßnahmen sind
wesentlich, wenn es eine Aussicht
darauf geben soll, dass die Welt die
Mindestmaßnahmen ergreift, die
notwendig sind, um eine umfassende
Klimakatastrophe abzuwenden – mit
den Worten des Stern-Berichts im
besten Fall den Verlust von 5% der
weltweiten Produktionsleistung „heute
und für immer“ oder, im schlimmsten
Fall, den Zusammenbruch der
Gesellschaften, vor dem in anderen
derzeitigen Modellen langfristiger
ökologischer und wirtschaftlicher
Interaktionen gewarnt wird.
Diese „Übergangs“-Strategien setzen
unter anderem eine Konsultation
mit Gewerkschaften, Unternehmen
und der Zivilgesellschaft, eine
Sozialschutzpolitik und eine
wirtschaftliche Diversifizierung voraus.
Die Welt kann nicht zulassen, dass
die dringlichen Maßnahmen, die für
eine Bewältigung des Klimawandels
erforderlich sind, durch die Krise
behindert werden. Diese Agenda
in einem Kontext der Wirtschaftsund Finanzkrise voranzutreiben,
kann dazu beitragen, dieses Jahr in
Kopenhagen wesentliche, ehrgeizige
Klimaabkommen zu erzielen. Damit
dies geschehen kann, muss das
künftige Abkommen auf einem
breit abgestützten und dauerhaften
politischen Konsens beruhen, von dem
die Gewerkschaften eine wichtige
Komponente sind.
III. Neue Regeln für die
globalen Finanzmärkte
Die Regierungen der G-20 müssen
Führung zeigen, wenn die Tagung
in London zu einer echten Reform
des Finanzregulierungssystems
führen soll. Dies bedeutet zuallererst
Maßnahmen zur Wiederherstellung
der Liquidität und der
Zahlungsfähigkeit im Bankensystem
sowie zur Gewährleistung dessen,
dass die nationale und globale
Regulierungsarchitektur ein
Bankensystem bereitstellt, das der
Realwirtschaft eine stabile und
kostenwirksame Finanzierung bietet.
Die Regierungen müssen sicherstellen,
dass eine Krise in diesem Ausmaß nie
wieder vorkommt.
Der Bankensektor zählt
zahlreiche insolvente Banken, und
die Verstaatlichung ist unter diesen
Umständen der einzige Weg zur
Wiederherstellung des Vertrauens, zu
einer gerechten Risikoaufteilung und
zur Sicherstellung dessen, dass die
Steuerzahler von etwaigen Gewinnen
profitieren werden, wenn die Solvenz
einmal wieder hergestellt ist. Die
Begleichung der Rechnung für die so
genannt „toxischen Schulden“ oder
die „Rettung“ der Bankaktionäre
ganz einfach den Steuerzahlern zu
überlassen, wird nicht funktionieren.
Dies liefe auf einen bloßen Transfer
von den Beschäftigten zu den
wohlhabendsten Haushalten der
Welt hinaus.
Die Regierungen müssen das
demokratische Defizit berichtigen, das
in den Vorhaben zur Umgestaltung
der finanziellen Landschaft nach
der Krise entstand. Die Einsetzung
der Arbeitsgruppe der G-20 ist zwar
begrüßenswert, doch bleibt die
Unsicherheit darüber bestehen,
inwieweit die Parteien außerhalb des
Forums für Finanzstabilität (FSF), wie
Gewerkschaften, Zivilgesellschaft, die
Vereinten Nationen, die IAO oder eine
andere nicht mit dem bestehenden
Insidernetz der Finanzinstitutionen
verbundene Partei in der Lage sein
werden, sich aktiv am G 20 Prozess zu
beteiligen.
Dies ist nicht
der Zeitpunkt für
normalen Betrieb.
Die Gewerkschaften
fordern einen Sitz am
Verhandlungstisch.
Die derzeitige Krise deckte die Grenzen
des Ansatzes der „delegierten Aufsicht“
auf, die vorschreibt, dass lediglich
ein kleiner Teil des Finanzsystems
(beispielsweise Geschäftsbanken)
eine angemessene Aufsicht benötigt.
Obwohl die Neuregulierung der RatingAgenturen in den USA und in Europa
bereits begonnen hat, muss noch viel
mehr unternommen werden.
Die weltweite
Gewerkschaftsbewegung schlägt
einen umfassenden Aktionsplan für
die internationale Regulierung der
Finanzmärkte vor:
1.
2.
© M. Crozet/ILO
Die „Schatten“-Finanzwirtschaft
muss energisch bekämpft
werden. Die Hedgefonds und
Private-Equity-Gruppen müssen
reguliert werden, um eine gleiche
Rechenschaftspflicht gegenüber
den Investoren, Transparenz und
nach Bedarf Verantwortung der
Arbeitgeber sicherzustellen. Alle
Formen von kreditbezogenen,
außerbilanzmäßigen
Transaktionen sind zu untersagen,
und der Zugang zu komplexen
strukturierten Produkten ist
drastisch einzuschränken,
bis ein angemessenes Niveau
an öffentlicher Aufsicht und
Transparenz vorhanden ist.
Beseitigung der Steuer- und
Regulierungsoasen. Es ist an der
Zeit, hohe internationale Normen
für Steuer- und Bankentransparenz
und Informationsaustausch zu
entwickeln und durchzusetzen.
Heute stehen rund 38 Steueroasen
und Bankgeheimnissysteme auf
der Beobachtungsliste der OECD,
die die Richtlinie der Organisation
nicht befolgen. Der G-20-Gipfel
muss den „Wettlauf nach unten“
der Steuersysteme bekämpfen und
diese Länder auffordern: Schließt
euch dem Rest der Welt an und
setzt die Normen um, oder wir
werden Sanktionen zum Schutz
der Steueraufkommen auferlegen.
Die Regierungen müssen Schritte
unternehmen, um sicherzustellen,
dass Auslandsinvestitionen
und Kapitalflüsse international
anerkannten Kontroll- und
Transparenznormen unterliegen.
Sie müssen zudem in Bezug auf die
Steuerpolitik zusammenarbeiten
und die internationale Besteuerung
der Finanztransaktionen
vereinbaren, um die von den
Steuerzahlern bezahlte öffentliche
Verschuldung, die eine Folge der
Krise ist, zu finanzieren.
3.
Sicherung eines gerechten
und nachhaltigen Zugangs
der Entwicklungsländer zu
internationalen Finanzen. Die
Entwicklungsländer sollten
Zugang zu Kreditbedingungen
erhalten, die ihren Erfordernissen
und Fähigkeiten angemessen sind.
Diese Maßnahmen umfassen die
Aktivierung des IWF-Programms
der Sonderziehungsrechte (SDR),
die Beschleunigung der regionalen
Devisenzusammenarbeit
und die Umleitung der
Kapitalflüsse von Ländern mit
Leistungsbilanzüberschüssen,
darunter auch ihrer staatlichen
Investitionsfonds, in
Entwicklungsziele.
4.
Reform des Modells des privaten
Bankgeschäfts zur Verhinderung
der Vermögensblasen und der
Fremdfinanzierungsrisiken. Die
Regeln für die Angemessenheit
der Kapitalausstattung – des
Kapitalbetrags, den die Banken
als Sicherung ihrer Kreditvergabe
zurückstellen müssen – müssen
enger an das Wachstum der
Vermögensbestände der Banken
und an den Grad des von diesen
Beständen getragenen Risikos
gebunden werden. Dies würde die
Banken davon abhalten, sich einem
übermäßigen Vermögensrisiko
auszusetzen Es wäre auch
hilfreich, die Vermögensaufteilung
in sozial erwünschte Ziele zu
lenken und die Kontrolle der
Vermögenspreisinflation durch die
Zentralbanken zu erleichtern.
5.
Beendigung der in Verruf
geratenen Bonuskultur. Bonus- und
Sondervergütungssysteme müssen
gesetzlich reguliert werden. Sie
müssen neu konzipiert werden,
um die langfristige wirtschaftliche,
soziale und ökologische Leistung zu
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 27
fördern und es den Unternehmen
zu ermöglichen, die Gewinne
den Reserven zuzuführen,
um sie in produktive Anlagen
zu reinvestieren. Sie müssen
verantwortungsbewusste Verkaufsund Kreditverfahren reflektieren.
Für die Unternehmensleitung
und die Händler sind die Boni
im Einklang mit dem Entgelt der
Beschäftigten zu begrenzen, die
Einlösung von Boni oder sonstigen
leistungsabhängigen Systemen
innerhalb von fünf Jahren zu
untersagen und Vorschriften für
Rückforderungen einzuführen.
Die Unternehmensleitungen
sollten nicht in den Genuss von
Rentenansprüchen gelangen,
die für ihre Beschäftigten nicht
verfügbar sind. Die Aktionäre
müssen von der Plünderung des
Wohlstandes der Unternehmen
in Wachstumszeiten
mittels Dividenden und
Aktienrückkaufprogrammen
abgehalten werden, was den
Unternehmen in Zeiten des
wirtschaftlichen Rückgangs
unterkapitalisierte Bilanzen
beschert. Insbesondere die privaten
Beteiligungsgesellschaften
gefährdeten Millionen Arbeitsplätze
infolge ihres unhaltbaren Modells,
Unternehmensübernahmen durch
Fremdkapital zu finanzieren.
6.
7.
Schutz der berufstätigen
Familien vor ruinösen Krediten.
Erhöhung der Kreditsicherheit
für berufstätige Familien durch
Transparenz der Finanzverträge
(Wohnungsfinanzierung,
Kreditkarten, Versicherungen),
Zugang zu wirkungsvollen
Regressen gegen missbräuchliche
Praktiken, kundennahe
Dienstleistungen und Bezahlbarkeit
(Obergrenzen für Zinssätze und
Gebühren). Die Vergütungs- und
Anreizsysteme der Banken und
sonstiger Kreditgeber sollten
so gestaltet sein, dass sie
verantwortungsbewusste Kauf- und
Kreditverfahren sicherstellen, die
den Interessen der Kunden, nicht
der Aktionäre, dienen.
Erhöhung der
Rechenschaftspflicht,
Stärkung des Mandats und der
Ressourcen der Aufsichtsorgane.
Es ist sicherzustellen, dass
die Überwachungs- und
28 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
Aufsichtsorgane die Befugnis
haben, ihren Willen durchzusetzen,
und über eine angemessene
Personalbesetzung und Zugang
zu Know-how und Technologie
verfügen, um ihre Aufgabe zu
erfüllen. Der Aufsichtsrahmen
ist zu verstärken, um einen
direkten Kommunikationskanal
zwischen diesen Regulierern und
den Vertretern der Beschäftigten
innerhalb der Finanzinstitutionen
einzuschließen. Die Regierungen
müssen das fragmentierte
Vorgehen bezüglich der
Finanzregulierung beseitigen und
nach Bedarf insbesondere in Europa
eine supranationale Konsolidierung
einführen. Den Gewerkschaften
muss in der Führungsstruktur
der Aufsichtsgremien Gehör
verschafft werden. Zudem
sollte ein Aufsichtsrahmen
die Zusammenarbeit der
Finanzbehörden mit den
Gewerkschaften im Finanzsektor
vorsehen, beispielsweise
Betriebsräte und internationale
Rahmenabkommen zwischen
Globalen Gewerkschaftsverbänden
und multinationalen Unternehmen.
8.
Schaffung einer neuen Landschaft
für Finanzdienstleistungen
und Bankwesen, die für die
Realwirtschaft arbeitet. Die
Regierungen sollten das Wachstum
von Kreditgenossenschaften,
Genossenschaftsbanken,
Versicherungsunternehmen auf
Gegenseitigkeit und sonstigen
gemeinschaftsbasierten und
öffentliche Finanzdienstleistungen
fördern. Eine solche Vielfalt
an Dienstleistungen und
Rechtsformen wird dazu
beitragen, einen ausgeglichenen
und robusten inländischen
Finanzdienstleistungssektor
aufzubauen, der der Realwirtschaft
dient und die Erfordernisse der
berufstätigen Familien und
Klein- und Mittelunternehmen
erfüllt. Zudem sollten sie Schritte
unternehmen, um sicherzustellen,
dass künftig keine Mischkonzerne
errichtet werden, die entweder
‚zu groß sind, um zu scheitern‘
oder verschiedene Geschäftsarten
kombinieren: Bankgeschäft,
Versicherungsgeschäft,
Investmentbanking. Jede
Umstrukturierung des
Bankensektors muss im Einklang
mit den höchsten Normen des
sozialen Dialogs erfolgen und
beschäftigungsneutral sein.
9.
Integration der Vermögens- und
Fremdfinanzierungsrisiken
in die Sorgfaltsregeln der
Banken. Änderungen der Regeln
für die Angemessenheit der
Kapitalausstattung – damit die
Mindestreservevorschriften
an das Wachstum des
Vermögensbestandes der
Banken und an das Ausmaß des
Vermögensrisikos gebunden
werden. Dies wird die Banken davon
abhalten, sich übermäßigen Risiken
auszusetzen, und ferner dazu
beitragen, die Vermögensaufteilung
auf sozial erwünschte Ziele
auszurichten, und die Kontrolle der
Vermögenspreisinflation durch die
Zentralbanken erleichtern.
10. Beschränkung der
Aktionärsdividenden, der
Aktienrückkaufprogramme
und der durch Fremdkapital
finanzierten Kredite. Sicherstellen,
dass die Gewinne (im Gegensatz
zu Dividenden und Rückkäufen)
in Wachstumsperioden in
ausreichender Menge den
Reserven zugeführt werden, um
den Wirtschaftsrezessionen und
Solvenzrisiken standzuhalten. Das
unhaltbare Finanzierungsmodell
der durch Fremdkapital
finanzierten Übernahmen,
das es Private-Equity-Gruppen
ermöglichte, Unternehmen
auszuplündern, wenn Geld
billig war, und sie auf einem
Schuldenberg sitzen zu lassen,
muss bekämpft werden.
IV. Eine effiziente und
rechenschaftspflichtige
globale Steuerung der
Wirtschaft
Im Jahre 1944 kamen die größten
Länder der Welt zusammen,
um neue internationale
Finanzregelungen aufzustellen, die
die Wirtschaftserholung unterstützen
sollten. Heute benötigen wir jedoch
weit ehrgeizigere Regelungen als
diejenigen, die in Bretton Woods
vereinbart wurden.
Der Wandel muss über die
Finanzregulierung hinausgehen. Die
Krise deckte ernsthafte Schwächen
© M. Crozet/ILO
im Mechanismus für die Steuerung
der Weltwirtschaft auf. Es gibt keine
Entscheidungsstruktur, bei der
zusammenhängende Politikbereiche in
einen einheitlichen weltweiten „Grand
Deal“ zusammengefasst werden können.
Wenn die
Gewerkschaftsagenda
vorangetrieben
werden soll, ist ein
weit stärkerer sozialer
Pfeiler erforderlich, um
der Verlagerung der
Beschäftigung, die durch
verschärften Wettbewerb
verursacht werden wird,
zuvorzukommen und sie
auszugleichen.
Der G-20-Prozess weist einige
dieser Elemente auf, doch liegt
sein Schwergewicht nach wie vor
weitgehend auf Finanzfragen.
Die Realwirtschaft und die
damit verbundenen Fragen der
menschenwürdigen Arbeit und der
Armutsreduzierung sind in seinen
Diskussionen nebensächlich. Außerdem
werden Länder, die nahezu die Hälfte
der Weltbevölkerung stellen, am
Verhandlungstisch nicht respektiert
und verfügen über keine Mittel zur
Einflussnahme auf seine Arbeit.
Es ist ein neues, überschaubares
und begrenztes Entscheidungsforum
für die Wirtschafts- und Sozialpolitik auf
weltweiter Ebene erforderlich. Dieses
muss funktionsfähig und legitim sein.
Ein Ausgangspunkt für den Aufbau
einer derartigen Struktur könnte die
von der deutschen Kanzlerin Angela
Merkel nach ihrer Zusammenkunft
vom 5. Februar mit führenden
Persönlichkeiten der OECD, der WTO,
der IAO, des IWF und der Weltbank
angeregte Charta für wirtschaftliche
und soziale Global Governance sein.
Diese entspräche einer Synthese
der Leitsätze dieser Organisationen und
von Elementen wie den Leitsätzen der
OECD für multinationale Unternehmen,
dem Übereinkommen gegen
Bestechung und den Grundsätzen
für Unternehmensführung, und
kombiniert dadurch Regeln bezüglich
des Marktverhaltens mit „ergänzenden
Elementen bezüglich der Beschäftigung
und der Unternehmensentwicklung,
des Sozialschutzes, menschenwürdiger
Arbeitsbedingungen, solider
Arbeitsbeziehungen und Rechten
bei der Arbeit”4 der IAO-Agenda für
menschenwürdige Arbeit.
Die Regierungen müssen die
Arbeit beginnen, doch kann sie
nicht den Bankern und Beamten
der Finanzministerien überlassen
werden, die hinter geschlossenen
Türen zusammenkommen. Die
Gewerkschaften sind bereit, sich
konstruktiv an diesem Prozess
zu beteiligen und sollten am
Verhandlungstisch einen Sitz haben.
Die Regierungen der Schwellenund Entwicklungsländer müssen
eine uneingeschränkte Rolle in
den Institutionen einer neuen
Wirtschaftsordnung spielen.
Insbesondere muss die Weltbank,
deren Schwerpunkt auf den
Entwicklungsländern liegt, diesen
gleiche Stimmrechte wie den
Industrieländern gewähren.
Die Weltbank und der IWF
müssen aufhören, den Entwicklungsund Schwellenländern unmögliche
Bedingungen aufzuerlegen, die
sie zu einer prozyklischen Politik
zwingen – und sie dazu veranlasst, den
Lebensstandard zu senken, obwohl sie
expandieren sollten.
Die in den letzten Monaten in
Ländern wie Lettland und Ungarn auf
Notkredite angewandten Bedingungen
sind vollständig inakzeptabel – sie
führen zu sozialem Chaos und vertiefen
die Rezession. Stattdessen müssen die
neuen Regelungen gestützt werden,
indem menschenwürdige Arbeit erzielt
wird und die Kernarbeitsnormen
eingehalten werden.
Deshalb kommt der Aufruf
der IAO in ihrer Erklärung für
soziale Gerechtigkeit für eine
gerechte Globalisierung, die von der
Internationalen Arbeitskonferenz
im Juni 2008 angenommen wurde,
um gemeinsam mit anderen
Organisationen bei der Förderung
der menschenwürdigen Arbeit
zusammenzuarbeiten, um so mehr zur
rechten Zeit. Die Gewerkschaften
fordern die G-20Führungspersönlichkeiten
dringend dazu auf, den
Konsultationsprozess
einzuleiten, der für
den Aufbau einer
Unterstützung für
wahrhaft maßgebende
internationale
V. Die Welt zu einem
Gipfeltreffen
gerechteren Ort für Leben
der führenden
und Arbeit machen
Persönlichkeiten
Vor der Krise nahm die Ungleichheit
der Entgelte sowohl innerhalb als auch
der Welt zur Lenkung
der verflochtenen
Erklärung der IAO, der WTO, des IWF, der OECD,
Weltwirtschaft
der Weltbank und Deutschlands vom 5. Februar
2009, die zu finden ist unter: www.oecd.org/docu
notwendig ist.
4
ment/32/0,3343,en_2649_34487_42124384_1_1_1_
1,00.html
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 29
zwischen den Nationen zu. In vielen
Ländern stagnierten die Entgelte
und blieben hinter dem allgemeinen
Wirtschaftswachstum zurück.
Die Entgelte fielen in zwei Dritteln
der reichsten Länder, die der OECD
angehören, hinter dem allgemeinen
Wachstum zurück, und der Anteil der
Entgelte am nationalen Einkommen
war in allen Ländern, für die Angaben
vorliegen, rückläufig. In vielen
weiteren Nationen ist die Lage jedoch
noch schlimmer.
Die Weltbank stellte selbst vor
der Krise der Nahrungsmittelpreise
in den Jahren 2007 und 2008 und
der derzeitigen Finanzkrise fest,
dass die Ungleichheit in 46 von 59
untersuchten Entwicklungsländern
im Laufe des vergangenen Jahrzehnts
zugenommen hat. Sie wird durch die
Verschlechterung der Wirtschaftslage
zusammen mit der Explosion der
Lebensmittelpreise noch erhöht.
Dies ist das Ergebnis der
fehlerhaften Politik der letzten Jahre
sowie eine Ursache der Kreditkrise,
da deregulierte Banken und
sonstige Kreditgeber die Lücke mit
verantwortungslosen Krediten füllten.
Anstatt eines stabilen
Wirtschaftswachstums auf der
Grundlage von Investitionen,
Produktivität und wachsendem
Wohlstand für die Beschäftigten gab
es eine Reihe von Spekulationsblasen,
die zwar den Wohlstand einiger
erhöhten, nun jedoch von vielen
bezahlt werden müssen.
Wir benötigen ein neues
Wachstumssystem, das
umweltverträglich ist, jedoch – wie in
der Nachkriegszeit bis zu den frühen
1980er Jahren – ein ausgeglichenes
Wachstum der Reallöhne im Einklang mit
Produktivitätssteigerungen sicherstellt.
Ein gerechtes
Besteuerungssystem
muss dazu beitragen,
eine weniger ungleiche
Gesellschaft zu schaffen
und zu Wachstum
beizutragen.
In der heutigen Krise, in der Entgelte
nach unten gedrückt werden, ist es
von entscheidender Bedeutung, die
30 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
Arbeitsmärkte mit einer Untergrenze
zu versehen, um das Risiko einer sich
beschleunigenden Deflationsspirale der
Einkommen und der Preise zu stoppen.
Die Regierungen in den Industrieländern
müssen nunmehr den Wiederaufbau
der Institutionen fördern, die an der
gerechteren Verteilung der Einkommen
und des Wohlstands mitwirken,
im Gegensatz zur anhaltenden
Deregulierung der Arbeitsmärkte, die
den Arbeitnehmerschutz abbaut und die
sozialen Sicherungsnetze schwächt.
Die Einführung von
Lohnuntergrenzen und
die Ausweitung der
Tarifverhandlungen
sind wichtige Mittel zur
Behandlung der Probleme
der Ungleichheit und der
Armut. Dies gilt auch für
Mindestlöhne.
Mindestlöhne werden zurzeit in
nahezu allen fortgeschrittenen
Volkswirtschaften praktiziert und
wurden in der einen oder anderen
Form praktisch während der gesamten
Nachkriegszeit ununterbrochen
angewandt. Sie können entweder
nationale Mindestlöhne oder ein System
gesetzlich erweiterter Branchen- oder
regionaler Mindestbeträge sein, die
zunächst von den Arbeitgebern und
Gewerkschaften vereinbart wurden.
Mindestlöhne werden angewandt,
um das Ausmaß der Lohnungleichheit
zwischen der oberen und der unteren
Grenze der Einkommensverteilung
zu beschränken. Zugleich sind sie ein
wichtiges Instrument zur Reduzierung
des Machtungleichgewichts bei
den Arbeitsbeziehungen zwischen
Arbeitgebern und schwächeren
Gruppen der Arbeitnehmerschaft.
Kollektivverhandlungen und
Mindestlöhne müssen unterstützt
werden, um die Kaufkraft in der Krise
zu erhalten – die Regierungen dürfen
nicht dieselben Fehler wie in den 1930er
Jahren begehen und einen Wettbewerb
der Lohndeflation zulassen.
Zugleich müssen die
Führungspersönlichkeiten der G-20
auch Maßnahmen zum Schutz der
Renten ergreifen. Die Krise deckte die
© M. Crozet/ILO
Gefahr der unbegrenzten Anlagen der
Arbeitnehmerrenten in den ‚Schatten‘Finanzsektor auf. Die OECD-basierten
Rentenfonds verloren im Jahre 2008
infolge der Finanzkrise über 3,3 Bio. USD
bzw. real ausgedrückt 20% an Wert.
Die unmittelbare Wirkung wird
von denjenigen Beschäftigten am
stärksten zu spüren sein, die sich
dem Rentenalter nähern, und deren
Renten in ungeschützte Systeme mit
‚festgelegten Beiträgen‘ fallen, bei
denen die endgültige Höhe der Rente
von der Performance des Rentenfonds
abhängt. Die Regierungen müssen
eine angemessene Altersabsicherung
für die Beschäftigten im Rahmen
vorfinanzierter Systeme sicherstellen
und außerdem dafür sorgen, dass die
Arbeitgeber ihren Anteil am Rentenrisiko
und an der Rentenfinanzierung
übernehmen und die bestehenden
staatlichen Garantiesysteme und die
Vorschriften für die Rentenfondsanlagen
ganz allgemein stärken.
Längerfristig müssen die
dreigliedrigen Strukturen für die
wirtschaftlichen und sozialen
Konsultationen und die Politikplanung,
die das Sprungbrett für die 30 Jahre
hohen Wirtschaftswachstums und die
Verbesserung des Lebensstandards
in der Nachkriegszeit bildeten,
wiederhergestellt werden.
Erklärung der IAO, der WTO, des IWF, der OECD,
der Weltbank und Deutschlands vom 5. Februar
2009, die zu finden ist unter: www.oecd.org/docu
ment/32/0,3343,en_2649_34487_42124384_1_1_1_
1,00.html
4
Es entspricht nicht nur
demokratischen Grundsätzen,
sondern ist wirtschaftlich auch
sinnvoll, Vertreter der Beschäftigten
an den Entscheidungen zu beteiligen,
die das Beschäftigungs- und
Wirtschaftswachstum bestimmen.
Das alternative neoliberale
Modell verdammt uns dazu, die
Fehler der 1920er und 1990er
Jahre zu wiederholen und das
Niveau der Ungleichheitsspirale
aufrechtzuerhalten, die zu finanzieller
Instabilität und letzten Endes zum
Zusammenbruch der Börsen führte.
Der Handel bricht ein, jedoch
vielmehr wegen der schrumpfenden
Realwirtschaft als infolge von
Protektionismus. Dennoch müssen
wir die Fehler der Krise der 1930er
Jahre vermeiden, indem wir in eine
Politik des „Beggar thy neighbour“
zurückverfallen.
Dies ist eine globale
Krise – ihre Beseitigung
setzt eine weltweite
Zusammenarbeit
voraus, und nationale
Maßnahmen zum Schutz
der Arbeitsplätze müssen
den internationalen
Auswirkungen auf die
Beschäftigten in anderen
Ländern Rechnung
tragen.
Der Handel kann das
Wirtschaftswachstum, die Erholung
und die Entwicklung ankurbeln,
jedoch lediglich unter den richtigen
Bedingungen. Die Wiederherstellung
der öffentlichen Legitimität des
Welthandelssystems und der
Abschluss der Doha-Runde der
Wirtschaftsverhandlungen erfordert
Fortschritte bei der Durchsetzung
des Schutzes der grundlegenden
Arbeitnehmerrechte und die
Gewährleistung dessen, dass die
Entwicklungsländer in der Lage
sind, eine Wirtschaftserholung,
Beschäftigung und künftige
Industrieentwicklung zu erreichen.
Schlussfolgerung
Die Gewerkschaften auf nationaler und
internationaler Ebene kritisieren seit
langem das mangelnde Gleichgewicht
zwischen wirtschaftlichen und sozialen
Institutionen. Um menschenwürdige
Arbeit für alle bereitzustellen,
attackierten wir die Beherrschung
des Finanzierungsbedarfs der
Realwirtschaft durch unregulierte und
unüberschaubare Finanzmärkte.
Nun, da sich die Probleme der
Rezession in allen Gemeinschaften
der Welt zunehmend bemerkbar
machen, rufen wir alle globalen
– institutionellen und staatlichen –
Akteure dazu auf, an der Schaffung
einer neuen Weltwirtschaftsordnung
mitzuwirken, die die Menschen in den
Mittelpunkt stellt. Die Triebkraft für
den Wandel ist die globale Finanz- und
Wirtschaftskrise, und die weltweite
Gewerkschaftsbewegung kann eine
entscheidende Rolle bei der Festlegung
eines wirksamen Kurses für Erholung
und Aufbau einer gerechteren und
robusteren Ordnung für künftige
Generationen spielen.
Es wird nie Gewissheit geben,
dass die Banker und Regierungen,
die sich hinter geschlossenen Türen
treffen, richtig handeln. Es muss
uneingeschränkte Transparenz,
Offenlegung und Konsultation geben.
Die Beschäftigten müssen an diesen
Zusammenkünften vertreten sein. Sie
müssen Gehör erhalten. Die Global
Unions sind bereit, ihren Beitrag
zum Aufbau dieser gerechteren und
grüneren Zukunft zu leisten.
AKTIONSPLAN DER GLOBAL UNIONS
FÜR EINE FINANZREFORM
1 Energische Bekämpfung der Schatten-Finanzwirtschaft
(Hedgefonds, Private Equity, Derivate)
2 Beseitigung der Steuer- und Regulierungsoasen und Schaffung
neuer internationaler Besteuerungsmechanismen
3 Gewährleistung eines gerechten und nachhaltigen Zugangs der
Entwicklungsländer zum internationalen Finanzwesen
4 Reform des Modells der Privatbankgeschäfte, um Vermögensblasen
zu verhindern und die Fremdfinanzierungsrisiken zu reduzieren
5 Kontrolle der Boni und Finanzvergütungssysteme der
Führungskräfte und anderer Parteien
6 Schutz der berufstätigen Familien vor ruinösen Krediten
7 Konsolidierung und Verstärkung der öffentlichen
Rechenschaftspflicht, des Mandats und der Ressourcen der
Aufsichtsorgane
8 Umstrukturierungen und Diversifizierung des Bankensektors
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 31
Auf die Zuku
Die Beschäftigten anhören, um Zuversicht un
VON Oliver Roethig, Leiter von UNI Finanz
IN JEDEM SEKTOR WURDEN DIE BESCHÄFTIGTEN IN DEN LETZTEN MONATEN
IN MITLEIDENSCHAFT GEZOGEN, ALS DIE DURCH DIE KREDITKRISE
VERURSACHTE REZESSION EINSETZTE. EINE GRUPPE, DIE SICH VON
ANFANG AN VORDERSTER FRONT BEFAND, SIND DIE BESCHÄFTIGTEN DES
FINANZSEKTORS, IN DEM DIE ZAHL DER MENSCHEN, DIE IHRE ARBEITSPLÄTZE
UND IHREN LEBENSUNTERHALT VERLIEREN, TÄGLICH ANSTEIGT.
Niemand weiß, wie viele weitere
Arbeitsplätze verloren gehen, wie
viele Häuser zwangsversteigert oder
Rentenfonds geplündert werden, bevor
diese Krise endet. Das Finanzsystem in
Ordnung zu bringen, ist für UNI Finanz
Global Union der erste Schritt hin zur
Beendigung der Abwärtsspirale und zu
einer Erholung.
„In Ordnung bringen“ geht nicht
lediglich darum sicherzustellen, dass
die staatliche Aufsicht und Besitzrechte
mit jedem Kredit an eine Bank
einhergehen, noch darum, lediglich
die Regulierung zu verbessern, obwohl
eine vollständige Überholung der
Aufsichtsorgane notwendig ist.
Aufsicht und Regulierung des
Finanzsektors müssen vielmehr mit
einem grundlegenden Wandel der
Art und Weise einhergehen, wie die
Banken Geschäfte betreiben. Es ist an
der Zeit, dass sich das Bankgeschäft
weniger um Gewinnstreben und
mehr um eine Verpflichtung zu
verantwortungsvollen, nachhaltigen
Finanzprodukten und eine Beratung
dreht, die sich auf die Erfordernisse der
Verbraucher konzentriert.
Der Finanzsektor steht vor der
großen Aufgabe, das Vertrauen seiner
Kunden und, was ebenso wichtig ist,
das Vertrauen seiner Beschäftigten
wiederzugewinnen.
Die Beschäftigten sollte nicht
32 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
diejenigen sein, die für das Scheitern
des Managements und der Regulierer
zu zahlen haben. UNI widersetzt sich
allen Zwangsentlassungen und beharrt
darauf, dass eine Umstrukturierung auf
einem Dialog zwischen Management und
Gewerkschaften auf örtlicher, nationaler
und internationaler Ebene beruhen muss.
Zunächst müssen die
Unternehmen ihre Bücher öffnen
und den Arbeitnehmervertretern
und Gewerkschaften, die das
Unternehmen erfassen, rechtzeitig alle
einschlägigen Informationen über die
Umstrukturierung verfügbar machen,
damit eine angemessene Konsultation
stattfinden kann.
Insbesondere Beschäftigte
außerhalb des Stammlandes eines
multinationalen Unternehmens
müssen berücksichtigt werden.
Dies wird geschehen, wenn die
Unternehmen globale Abkommen,
die die Kernarbeitsnormen und den
Sozialdialog schützen, aushandeln
und schließen. Diese Abkommen
errichten einen Unternehmensrahmen
für einen sinnvollen Sozialdialog und
Arbeitsbeziehungen in aller Welt.
Wenn eine nachhaltige
Geschäftsstrategie im Hinblick auf
Erholung funktionieren soll, müssen die
Finanzregulierer und Aufsichtsorgane
sowie die Unternehmen ihre Verfahren
für die Risikobeurteilung verbessern.
Background image © peter memmott/istockphoto.com
Sie müssen die internen Verfahren
und die Realitäten der Arbeitsweise
berücksichtigen. Angesichts des
Mangels an Sensibilität, der Ignoranz
und der Gier, die die Spitzenbosse an
den Tag legten, steht fest, dass die Art
und Weise der Auszahlung der Boni, des
Verkaufs der Produkte sowie der Bedarf
an Ausbildung des Personals bezüglich
der Einhaltung der Vorschriften und
des Verständnisses der Finanzprodukte
und die Ermittlung neuer Risiken und
Trends die Schlüsselfragen sind.
Auch die Geschäftsverfahren
müssen geändert werden, damit die
Beschäftigten nicht mehr energisch
dazu gedrängt werden, Kreditkarten
oder Hypotheken oder sonstige
Finanzprodukte an Verbraucher zu
verkaufen, die es sich nicht leisten
können, sie nicht benötigen oder
lediglich Geld verlieren werden.
Das Wesen des Wandels besteht
darin, eine Kultur zu schaffen, die
sicherstellt, dass die Geschäftstätigkeit
darum geht, die Kunden an die erste
Stelle zu setzen. Mit anderen Worten
müssen kurzfristige Ziele für maximale
Rendite durch eine langfristige und
nachhaltige Geschäftsstrategie ersetzt
werden.
Das bedeutet, dass Vergütungsund Anreizsysteme auf allen Ebenen
realistisch, nachhaltig, langfristig
und kundenorientiert sein sollten.
Grundsätzlich sollten Anreizzahlungen
oder Verkaufsprovisionen für
Bankangestellte nie über ihrem festen
Gehalt liegen.
Durch die Festlegung von
Richtlinien und Regeln müssen
Finanzaufsichtsorgane und Regulierer
sicherstellen, dass diese Grundsätze
von den Unternehmen angewandt
werden. UNI Finanz entwickelt
zurzeit ein Verfahren für die
unft bauen
nd öffentliches Vertrauen wiederaufzubauen
Beschaffung von Informationen und
Auswertung von Angaben in diesem
Bereich durch die Gewerkschaften.
Ziel ist es, internationale und
regionale Trends auszuweisen und
sie in die Risikobeurteilung und
Finanzaufsicht von der örtlichen bis zur
internationalen Ebene einzubringen.
Eine angemessene Risikobeurteilung
kann nur funktionieren, wenn sie die
Erfahrungen und Ansichten derjenigen
berücksichtigt, die die Geschäftstätigkeit
des Unternehmens tatsächlich ausführen
– die Beschäftigten.
Aus diesem Grund schlägt UNI
Finanz vor, dass jedes Unternehmen
mit den Gewerkschaften und seinen
übrigen Unternehmensbeteiligten eine
Charta – ein Leitbild – für den Verkauf
von Finanzprodukten vereinbart,
die ausdrückliche, öffentliche und
verifizierbare Normen für seine
Geschäftstätigkeit und Arbeitsverfahren
vorsieht. UNI Finanz fordert Banken
und Versicherungsunternehmen,
Verbraucherorganisationen,
Regierungen und sonstige
Anspruchsgruppen dazu auf, gemeinsam
eine Mustercharta aufzustellen.
Obwohl viel von der Reform
des Finanzsystems die Rede war
und politische Führungskräfte eine
entschlossene und koordinierte
Aktion zusagten, ist dies noch
nicht geschehen, und die Zeit läuft
davon. Es müssen konkrete Schritte
für die Eindämmung der Krise
und die Einleitung der Reform des
Finanzsystems unternommen werden.
Zu diesen Schritten sollte
zunächst mehr Transparenz über
die Verbindlichkeiten der Banken
und Versicherungsunternehmen
gehören. Der Teufelskreis von
Zugeständnissen, Wunschdenken und
der Unvermeidlichkeit darauffolgender
schlechter Nachrichten muss
unterbrochen werden.
Die Geschäftskonten müssen in
Zukunft von den Verbindlichkeiten aus
Spekulationen und Investmentbanking
getrennt werden – dies dürfte
bei Millionen Menschen, die ihre
kostbaren Ersparnisse bedroht sahen,
Anklang finden.
Es muss ein umfassender Rahmen
für eine globale Finanzaufsicht
errichtet werden, der das „Regime
Shopping“ unterbindet. Es muss
eine strikte Durchsetzung der
Finanzregulierung geben. Es muss
internationale Abkommen geben,
die die Banken daran hindern, ihren
Hauptsitz ganz einfach in Länder mit
geringer Regulierung zu verlegen. Es
muss eine enge Koordinierung zwischen
Regulierern und Aufsichtsorganen auf
allen Ebenen geben.
Risikoreiche Finanzpraktiken
müssen durch strikte Strafmaßnahmen
für Regelverletzer unterbunden werden.
Außerbilanzmäßige Transaktionen,
der Handel mit Finanzprodukten, die
nicht an einer anerkannten Börse
notiert sind, und Finanztransaktionen
mit Unternehmen und Personen, die
legal in Steueroasen oder in Ländern
mit unzureichender Finanzregulierung
und aufsicht registriert sind, müssen
untersagt werden.
Während die Regierungen
den Bankensektor retten und die
Finanzmärkte stützen, müssen sie
sicherstellen, dass die Vielfalt der
Finanzinstitutionen erhalten bleibt. Wir
müssen uns der Gefahr einer Finanzkrise
bewusst sein, die zu oligopolistischen
Strukturen der Privatinstitutionen
führen kann. Die Stabilität des
Sektors hängt von der Erhaltung
einer Palette kleiner, mittlerer und
großer, örtlicher, regionaler, nationaler
© B. Marquet/ILO
und multinationaler sowie privater,
öffentlicher und genossenschaftlicher
Akteure ab.
Dies ist eine reich befrachtete
Agenda, und UNI Finanz koordiniert
die Gewerkschaftsaktion weltweit
im Hinblick auf eine öffentliche
Kampagne, um arbeitnehmer- und
verbraucherfreundliche Lösungen für
die Krise zu finden.
Diese Kampagne wird von den
UNI-Mitgliedern auf nationaler Ebene
übernommen, um eine Regulierung und
Rechtsvorschriften sicherzustellen,
die die Beschäftigten und Verbraucher
schützen. Unsere Kampagne ruft zu
einem Bottom-up-Ansatz gegenüber
Banken- und Versicherungsverfahren
auf. Wir fordern die Unternehmen
dringend dazu auf, diesen umzusetzen,
und die Regierungen, gesetzliche und
ordnungspolitische Mechanismen
einzuführen, um ihn durchzusetzen.
Ohne einen grundlegenden
Wandel werden die dem Finanzsektor
zugrundeliegenden Probleme nicht
gelöst werden. All dies ist erforderlich,
wenn wir sicherstellen wollen, dass sich
die derzeitige Krise nicht wiederholt.
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 33
Ethik vor Profit
in den News
VON Aidan White
DER FINANZZUSAMMENBRUCH HOB EINE KRISE IM MEDIENSEKTOR
HERVOR, IN DEREN ZUSAMMENHANG DER TECHNOLOGISCHE
WANDEL UND DAS INTERNET EIN CHAOS AUF DEN MEDIENMÄRKTEN
ANRICHTETEN. IM JAHRE 2008 GINGEN ZEHNTAUSENDE ARBEITSPLÄTZE
IM HERKÖMMLICHEN JOURNALISMUS VERLOREN, ALS ZEITUNGEN UND
GROSSE RUNDFUNKMEDIEN DIE REDAKTIONSETATS DROSSELTEN UND
PUBLIKATIONEN EINSTELLTEN.
Selbst Titel des Weltjournalismus mit
Symbolcharakter – die New York Times,
die BBC, Le Monde, The Guardian –
strichen Stellen, als sich die Besitzer
der Realität bewusst wurden, dass
Marktmodelle für Massenmedien,
insbesondere Zeitungen, durch das
Internet zerschlagen wurden, das ihnen
Werbung und Publikum – das Herzblut
des Sektors – entzieht. Die Zeitungen
sind kein lukratives Geschäft mehr und
werden es vermutlich nie wieder sein.
Die Rezession hat den Prozess
des Rückgangs in den herkömmlichen
Medien beschleunigt. In den USA
traten in den letzten Monaten des
Jahres 2008 drastische Veränderungen
mit Tausenden Arbeitsplatzverlusten
wöchentlich ein. Die Gruppe Chicago
Tribune kündigte an, sie stehe vor dem
Konkurs. Die New York Times entließ
erstmals in ihrer Geschichte Journalisten.
Bedeutende Titel – die San Francisco
Chronicle, der Philadelphia Inquirer –
schienen vor dem Absturz zu stehen.
Der Christian Science Monitor beschloss
seine Tage als Zeitung und verlegte sich
ins Internet. Insgesamt wurden allein in
den USA 50 000 Stellen abgebaut.
In Europa und anderswo nahm die
sich ausbreitende Krise in den ersten
Monaten 2009 eine globale Dimension
an, als große Rundfunkanstalten
und Medienunternehmen
Stellenstreichungen bekannt gaben.
Selbst im Unterhaltungsbereich, der
den Ruf hat, in harten Zeiten für die
dringend benötigte Wirklichkeitsflucht
und Entspannung zu sorgen, sind
Drosselungen an der Tagesordnung,
34 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
da Sony und andere Medienkonzerne
Kostensenkungsmaßnahmen und
Arbeitsplatzverluste melden.
Als Reaktion lancierte die
Internationale Journalisten-Föderation
einen Kriseninformationsdienst
für ihre Mitgliedsorganisationen –
Monitoring Change (Überwachung des
Wandels) –, der täglich einen aktuellen
Bericht über Neuigkeiten aus dem
Sektor vermittelt und auf Maßnahmen
von Gewerkschaften auf nationaler
Ebene, den Abbau zu bekämpfen,
aufmerksam macht.
Die rücksichtslosen Aktionen des
europäischen Zeitungskonzerns Mecom
mit 300 Titeln, die nach der Aufnahme
enormer Geldsummen zur Finanzierung
einer Einkaufsorgie erworben wurden,
veranlassten beispielsweise die
Gewerkschaften in Deutschland,
Dänemark, den Niederlanden und
Norwegen zur Entwicklung einer
grenzüberschreitenden Kampagne.
Das Unternehmen sah sich gezwungen,
einige seiner wertvollsten Akquisitionen
zu veräußern, um die Forderungen
nach einer Schuldenrückzahlung zu
erfüllen. In der gesamten Gruppe gab
es Kürzungen, die zu Protesten seitens
von Journalisten und Chefredakteuren
führten, dass der Qualitätsjournalismus
dabei geopfert worden sei.
Diese Besorgnis über das sinkende
Niveau veranlasste auch die IFJ, eine neue
internationale Kampagne, die Initiative
für ethischen Journalismus, zu lancieren.
Die von einer eigenen Webseite
(www.ethicaljournalisminitiative.
org) unterstützte Initiative sowie ein
umfangreiches Werk, To Tell you the
Truth, waren den Gewerkschaften
dabei behilflich, die Notwendigkeit des
Schutzes des Journalismus und
der Nachrichtenmedien im Kontext der
derzeitigen Krise in den Mittelpunkt
zu stellen.
Die Initiative wurde auf
Sonderkonferenzen im Nahen Osten
und in Europa lanciert, und weitere
Lancierungen sind in den Jahren 2009
und 2010 in Afrika, Lateinamerika und
Asien geplant.
Die Gewerkschaftsbewegung
unterhielt bereits eine Beziehung
der Hassliebe zur Presse, doch bieten
der Finanzzusammenbruch und die
Informationsrevolution im Journalismus
erneut Gelegenheit, wieder eine Debatte
rund um die Rolle der Medien in der
demokratischen Gesellschaft anzustoßen.
Die großen Medienkonzerne sind
nach wie vor vorhanden und werden
womöglich noch stärker, da sie kleinere
Unternehmen schlucken, die nicht mehr
existenzfähig sind, doch hat die Krise
aufgezeigt, wie der durch rücksichtslose
Kostensenkungen verarmte
Journalismus auf ein Programm
sensationslüsterner, populistischer und
prominentensüchtiger Nachrichten
reduziert wurde.
Im Mittelpunkt der Ethikkampagne
stehen Bemühungen, Medien und
Journalismus von hoher Qualität auf die
nationale und internationale Agenda
zurückzubringen. Da der Privatsektor
immer weniger fähig ist, Pluralismus
und Medieninhalte von hohem Niveau
zu bieten, besteht weitverbreitete
Besorgnis über das demokratische Defizit,
das durch den mangelnden Zugang zu
zuverlässigen, zweckdienlichen und
genauen Informationen für die Bürger/
innen entstand.
Die Initiative für ethischen
Journalismus fördert neue Formen
öffentlicher Investitionen in die Medien,
um den Zugang der Bevölkerung zu
Informationen von hoher Qualität
aufrechtzuerhalten. Sie ruft außerdem
zu einer Erneuerung der Werte
des öffentlichen Dienstes in den
Medien auf, ein Thema, das laut den
Mediengewerkschaften auf einer
Konferenz über die Stärkung der
öffentlichen Dienste in aller Welt
entwickelt werden sollte, die vom Rat
der Global Unions für das kommende
Jahr vorgesehen ist.
Aidan White ist Generalsekretär
der Internationalen JournalistenFöderation.
Die Transportbeschäftigten org anisieren sich für die Zukunft
Bewegende Herzen
VON David Cockroft
ANGESICHTS DES RÜCKLÄUFIGEN WELTHANDELS UND DER EINBRECHENDEN
VERBRAUCHERNACHFRAGE STEHEN DIE TRANSPORTBESCHÄFTIGTEN VOR NIE
DAGEWESENEN HERAUSFORDERUNGEN, DOCH IST ES AUCH EINE ZEIT DER CHANCE –
FÜR GEWERKSCHAFTSWACHSTUM UND GEWERKSCHAFTSDRUCK ZUR GESTALTUNG
EINER ERHOLUNG, DIE AUF EINER GERECHTEREN WELT AUFBAUEN WIRD.
Im Luftverkehr wurden beunruhigende
Rückgänge im Passagier- und Frachtmarkt
verzeichnet. Im Frachtbereich
beispielsweise erfuhr die Region
Asien und Pazifik, die über den
größten Marktanteil verfügt, gemäß
den Zahlen des Transportsektors im
vergangenen Jahr einen Rückgang
von 28,1% im Frachtverkehr. Das
Passagiergeschäft ist ebenfalls rückläufig.
Der US-Luftfahrtsektor verzeichnete im
November 2008 den stärksten Rückgang
bei den vergleichbaren monatlichen
Passagierzahlen seit Januar 2002, und
das Passagieraufkommen auf britischen
Flughäfen schrumpfte im vergangenen
Jahr erstmals seit 17 Jahren.
Die Krise reduziert auch den
Schiffsverkehr mit einem Rückgang des
Seefrachtguts, rückläufigen Volumen
im Containerverkehr und sinkenden
Frachtraten, die zu „einem Abbau der
Kapazitäten und der Dienstleistungen“
führt – einfach ausgedrückt,
werden Arbeitsplätze abgebaut und
verschlechtern sich die Bedingungen.
Ein Bereich, in dem es einen
Hoffnungsschimmer geben sollte, ist der
öffentliche Verkehr, da der effiziente und
kostengünstige öffentliche Verkehr in
einer Rezession immer wichtiger wird und
für die Wirtschaftserholung wesentlich
ist. Dies könnte potenziell als Chance für
den öffentlichen, nachhaltigen Verkehr
angesehen werden.
Im Februar wurde beispielsweise
berichtet, dass Pendler in Sydney,
Australien, wegen wirtschaftlicher und
ökologischer Besorgnisse ihre Autos
zugunsten von Zügen und Bussen
stehen lassen und dass Experten
den Beginn einer grundlegenden,
langfristigen Veränderung des
Verkehrsverhaltens voraussagen.
Dennoch geht der Trend dahin, dass
Investitionen in den öffentlichen Verkehr
im vergangenen Jahrzehnt stärker
von privater Finanzierung abhängig
wurden, was bestehende wesentliche
Dienste sowie die Finanzierung einer
verbesserten Verkehrsinfrastruktur
potenziell schwächt. Das britische
Eisenbahnnetz beispielsweise gab
eine Kürzung der Investitionen in die
Wartung der Infrastruktur um 30% im
Jahre 2009 bekannt.
Der Verkehr im Zusammenhang
mit dem Tourismus dürfte
ebenfalls zurückgehen. Die
Welttourismusorganisation (UNWTO)
der Vereinten Nationen berichtete, dass
der weltweite Tourismus im zweiten
Halbjahr 2008 um 1% zurückgegangen
sei und die Aussichten für 2009
düster seien. Die Lage ist jedoch
nicht völlig trostlos. Laut UNWTO
„kann der Tourismus als Sektor mit
einzigartiger Wiederbelebungsfähigkeit
eine entscheidende Rolle im
Erholungsprozess spielen“.
Eine Momentaufnahme der
Auswirkungen des Abschwungs zeigt,
dass Arbeitsplätze und Entgelte unter
starkem Druck stehen. Infolgedessen
sind neuerliche Bemühungen, die
nicht gewerkschaftlich erfassten
Beschäftigten zu organisieren, von
wesentlicher Bedeutung. Die Rolle
der Gewerkschaften beim Schutz der
Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen
dürfte neuen Anklang finden – es
ist eine Chance für Wachstum und
Organisierung der gewerkschaftlich nicht
erfassten Beschäftigten, die auch den
Lohnwettbewerb zwischen Beschäftigten
verhindern oder abschwächen kann.
Voraussichtlich werden die Frauen
unverhältnismäßig stark unter dem
Wirtschaftsabschwung zu leiden
haben. Die Zahl der arbeitslosen Frauen
dürfte sich infolge der Rezession um
bis zu 22 Millionen erhöhen, da sich die
weltweite Beschäftigungskrise laut der
Internationalen Arbeitsorganisation
dieses Jahr „extrem verschärfen“
könnte. Die ITF verfolgt das Ziel, diese
Bedrohung zu bekämpfen und eine
Gewerkschaftspräsenz in Bereichen
sicherzustellen, in denen Frauen
beschäftigt sind.
Die ITF und ihre Mitglieder hegen
keine Illusionen über die schmerzlichen
Auswirkungen der Krise, doch erkennen
sie an, dass es auch Chancen für ihre
Gewerkschaften gibt. Es wäre zu
viel gesagt, dass der Kapitalismus
vollständig in Misskredit geraten ist,
doch ist der Laissez-faire-Kapitalismus
der letzten Jahrzehnte vom Tisch.
Stattdessen müssen wir die
Regulierung der Märkte, die Förderung
neuer Formen sozialverantwortlicher
Geschäftsverfahren und
staatliche Investitionen in die
Infrastruktur vorantreiben. Für die
Gewerkschaftsbewegung öffnete sich
ein Spielraum, um für menschenwürdige,
nachhaltige Arbeitsplätze und die
Grundwerte der Solidarität, Gleichheit,
Freiheit und Gerechtigkeit einzutreten.
Die ITF setzt sich energisch für ihre
Mitgliedsorganisationen ein, um ihnen
bei dieser doppelten Herausforderung
behilflich zu sein, für neue Arbeitsweisen
einzutreten und die Mitgliedschaft
aufzubauen. Die Gewerkschaften
müssen nun im Rahmen ihrer politischen,
Lobby- und Kommunikationskampagnen
handeln, wenn sie Einfluss auf die
künftigen Entwicklungen nehmen wollen.
Im Mittelpunkt der Strategie, die
zurzeit geprüft wird, steht ein Element
der „Gewerkschaftshilfe“, das auf
die Unterstützung der von der Krise
stark betroffenen Gewerkschaften
ausgerichtet ist und zwischen
verschiedenen Gewerkschaften
in denselben multinationalen
Unternehmen koordinieren könnte.
Wenn die Gewerkschaften auf
den weltweiten Aufruf zu Aktionen
für eine Erholung, die diesen Namen
verdient, reagieren sollen, müssen
sie ihre Arbeit und ihre Aktivitäten
überprüfen und neue Energie in den
Prozess des Gewerkschaftsaufbaus und
Beschäftigungsschutzes einbringen.
Ebenso wichtig wird der Bedarf an
einem kämpferischen Ansatz sein, die
Arbeitsplätze der Beschäftigten und ihre
Rechte in den Mittelpunkt der Agenda
für Erholung zu stellen.
David Cockroft ist Generalsekretär
der Internationalen TransportarbeiterFöderation
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 35
GLOBALE GEWERKSCHAFTSVERBÄNDE
Internationale
Transportarbeiter-Föderation
Die Internationale TransportarbeiterFöderation (ITF), ein Verband von
650 Transportgewerkschaften, hat
ihren Schwerpunkt verlagert, um
sich intensiv auf Kampagnen, internationale
Vernetzung und gewerkschaftliche Organisierung
zu konzentrieren.
Seit ihrer Gründung im Jahre 1896 nach einer
Zusammenarbeit zwischen niederländischen
und britischen Seefahrtgewerkschaften während
eines Streiks gründet sie auf internationaler
Solidarität und nutzt ihre Branchenstrukturen,
um die Gewerkschaftsstärke von Hafenarbeitern,
Seeleuten, Luftfahrtbeschäftigten, Arbeitskräften
im Straßen- und Bahntransport aufzubauen.
Die 60 Jahre alte Kampagne der ITF
gegen Billigflaggen unterstützt die Rechte
von Seeleuten im ältesten globalisierten
Wirtschaftszweig der Welt. Die Bemühungen
der Seefahrtgewerkschaften gipfelten im Jahre
2003 im ersten jemals auf internationaler Ebene
ausgehandelten internationalen Tarifabkommen.
In Straßen- und Bahntransport sowie
in Häfen und Flughäfen hat die ITF mit
multinationalen Konzernen zu tun und
entwickelt eine Politik für den Aufbau
einer Gewerkschaftsstärke in heutigen
aufstrebenden Sektor – der Logistik. Wie im
Bereich der Passagierbeförderung veranlassten
Änderungen der Beschäftigungsstruktur die ITF
auch hier, das Alters- und Geschlechterprofil
der Beschäftigten genau zu untersuchen.
Die ITF reagiert heute unter Leitung ihrer
Mitgliedsgewerkschaften auf die Globalisierung
mit einem geplanten Vorgehen für die
gewerkschaftliche Organisierung in der globalen
Transport- und Versorgungskette, gekoppelt mit
strategischen Kampagnen, um sicherzustellen,
dass die Rechte der Transportbeschäftigen in
aller Welt geachtet werden.
KONTAKT: ITF House, 49-60 Borough Road
London SE1 1DR Großbritannien
T: +44 (0) 20 7403 2733 F: +44 (0) 20 7357 7871
[email protected]
Bildungs-Internationale
Die EI ist die Global Union für Lehrkräfte
und sonstige Beschäftigte im
Bildungswesen und zählt 30
Millionen Mitglieder in über 400
Mitgliedsorganisationen in 172
Ländern und Territorien. Sie veranstaltet
vier Regionalkonferenzen: EI Europa,
einschließlich des Gewerkschaftsausschusses
der Europäischen Union für Bildung, EI Asien
und Pazifik, EI Afrika und EI Lateinamerika. Die
Mitgliedsorganisationen in Nordamerika und in
der Karibik treten regelmäßig in einer fünften
regionalen Gruppierung zusammen.
Die Mitglieder der EI kommen aus
allen Ebenen des Bildungswesens – von der
Vorschule bis zur Hochschule. Über 50% der
Mitglieder sind Frauen. Die Satzung der EI
schreibt die Geschlechtergleichstellung in
ihren Leitungsorganen vor.
36 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
Der Weltkongress, der über 1 000
Delegierte vereinigt, tritt alle drei Jahre
zusammen, und zwischen den Kongressen
tagen Regionalkonferenzen. Der Vorstand zählt
zurzeit 27 Mitglieder aus 24 Ländern.
Die EI organisiert sich für die Förderung
des Rechts auf Bildung ohne Unterschied für
alle in der Welt mit folgenden Zielen:
das Ziel der Errichtung und des Schutzes
offener, öffentlich finanzierter und
kontrollierter Bildungssysteme sowie
akademischer und kultureller Einrichtungen
zu verfolgen,
die politischen, sozialen und wirtschaftlichen
Bedingungen zu fördern, die für die
Verwirklichung des Rechts auf Bildung in
allen Nationen und die Erzielung gleicher
Bildungschancen für alle erforderlich sind.
Nebst der Interessenvertretung ist die Solidarität
ein weiterer Schwerpunkt für EI, nämlich
Entwicklungszusammenarbeitsprogramme für
Solidarität zwischen den Mitgliedern in Industrieund Entwicklungsländern zur Unterstützung
der Ausbildung von Führungskräften und der
Kompetenzentwicklung. Ein bedeutender
Schwerpunkt ist die Entwicklung der
Gewerkschaftsfähigkeit, sich für Bildung für
alle in jedem Land einzusetzen, und zwar in
Verbindung mit einem ausgedehnten Programm,
das auf die HIV/Aids-Prävention abzielt.
Programme sind in 27 Ländern im Gange.
Die EI wendet auch den Grundsatz an,
die örtliche Mobilisierung mit weltweiter
Interessenvertretung zur Wahrung der
Menschen- und Gewerkschaftsrechte
zu verbinden. Die Führungskräfte von
Lehrergewerkschaften werden häufig von
Regierungen oder bewaffneten Gruppen
anvisiert. Wenn sie angegriffen oder inhaftiert
werden oder Gewerkschaftsmitglieder
unterdrückt werden, lanciert die EI dringliche
Aktionsaufrufe, und die Mitgliedsorganisationen
reagieren mit Protestwellen gegen die
betreffenden Regierungen.
KONTAKT: Bildungs-Internationale
5, Bd. du Roi Albert II 1210 Brüssel Belgien
Tel.: +32 2 224 06 11 Fax: +32 2 224 06 06
[email protected] http://www.ei-ie.org
Internationale JournalistenFöderation
‚Es kann keine Pressefreiheit
geben, wenn Journalisten unter
Bedingungen der Korruption, der
Armut oder der Angst leben.‘
Die IFJ ist die Global Union für Journalisten. Sie
wurde zunächst im Jahre 1926 gegründet und
1952 in ihrer heutigen Form neu lanciert. Sie
vertritt heute über 600 000 Journalisten in 150
nationalen Gewerkschaften und 119 Ländern.
Die IFJ setzt sich energisch für die
Rechte der Journalisten ein. Sie fördert
die Gewerkschaftsentwicklungsarbeit
und beharrt darauf, dass die beruflichen
Rechte nur gewahrt werden können, wenn
es unabhängige, starke und repräsentative
Gewerkschaften für Journalisten gibt.
Die IFJ arbeitet eng mit Sonderorganisation
der Vereinten Nationen zusammen und
arbeitet an der Medienentwicklung, um
die soziale Ausgrenzung zusammen mit
Journalistengewerkschaften zu bekämpfen.
Die Föderation verfügt über Regionalbüros in
Lateinamerika, Afrika, Asien, im Nahen Osten
und in Europa.
Ein vorrangiges Anliegen der IFJ ist
die Sicherheit der Journalisten und des
Medienpersonals, und sie ist zusammen mit
führenden Medienarbeitgebern Gründerin
des International News Safety Institute,
einer spezialisierten NRO, die sich für die
Verbesserung des Schutzes für Journalisten und
Medienpersonal einsetzt.
Die IFJ nimmt aktiv an Kampagnen auf
nationaler, regionaler und internationaler
Ebene teil, um das Niveau des
Medienpluralismus zu verbessern und die
Bedrohung für demokratische Rechte und
sichere Arbeitsbedingungen durch exzessive
Medienkonzentration abzuwehren. Zusammen
mit anderen Gewerkschaftsgruppen im
Medien- und Unterhaltungssektor arbeitet
die IFJ an der Förderung der Werte von
öffentlichem Interesse in den Medien,
um die Urheberrechte zu verteidigen und
menschenwürdige Arbeitsbedingungen im
Journalismus zu fördern.
KONTAKT: Internationales Pressezentrum
Résidence Palace, Block C
155 Rue de la Loi B-1040 Brüssel Belgien
Tel.: +32 2 235 2200 Fax: +32 2 235 2219
E-Mail: [email protected] Website: www.ifj.org
UNI Global Union
UNI ist die Global Union in den
Bereichen Fachwissen und
Dienstleistungen mit 20 Millionen
Mitgliedern in 900 Gewerkschaften
und vier Regionalorganisationen, UNI-Africa,
UNI-Americas, UNI-Asia & Pacific und UNIEuropa. Jede von diesen setzt sich für eine
wahrhaft soziale Dimension der regionalen
Wirtschaftsintegration ein.
UNI Global Union arbeitet daran, das
Gewerkschaftswachstum aufzubauen, und
vertritt Mitglieder in folgenden Sektoren:
Handel, Elektrizität, Finanz, Glücksspiel,
Grafik, Haarpflege und Kosmetik, IT,
Unternehmensdienstleistungen, Industrie,
Medien und Unterhaltung, Post, Reinigung
und Sicherheit, Telekom, Tourismus und
Sozialversicherung. Jeder Sektor ist eine
eigenständige globale Gewerkschaft mit
Aktionsplänen, die auf gewerkschaftliche
Organisierung, Anhebung der branchenweiten
Normen und Aushandlung globaler Abkommen
mit Unternehmen abzielen.
Zur Entwicklung von Themen in allen
Sektoren verfügt UNI über drei Gruppen, die
an der Förderung der weltweiten Gleichheit,
der Verteidigung der Jugend und der
Organisierung von Fach- und Führungskräften
in Gewerkschaften arbeiten.
KONTAKT: UNI Global Union
Avenue Reverdil 8-10 1260 Nyon, Schweiz
Tel.: (+41 22) 365 21 00 Fax: (+41 22) 365 21 21
[email protected]
www.union-network.org
Internationale Textil-,
Bekleidungs- und
Lederarbeiter-Vereinigung
Die Internationale Textil-,
Bekleidungs- und LederarbeiterVereinigung ist ein Globaler
Gewerkschaftsverband mit 217
Mitgliedsorganisationen in 110 Ländern.
Die ITBLAV verfolgt die Ziele,
Grundsatzrichtlinien zu wichtigen Fragen für
Gewerkschaften in den Sektoren aufzustellen
und die Tätigkeiten der Mitgliedsorganisationen
in aller Welt zu koordinieren. Sie fungiert als
zentrale Stelle für Informationen, die für die
tägliche Arbeit der Gewerkschaften von Belang
sind, und unternimmt Solidaritätsaktionen zur
Unterstützung der Gewerkschaften im Sektor.
Die ITBLAV führt ein Programm für
Bildung und Entwicklungshilfe durch, um den
Gewerkschaften in den Entwicklungsländern
bei der gewerkschaftlichen Organisierung der
Beschäftigten behilflich zu sein, und betreibt
aktive Lobbyarbeit bei zwischenstaatlichen
Organisationen und sonstigen einschlägigen
Institutionen, um sicherzustellen, dass die
Interessen der Beschäftigten in ihren Sektoren
bei den auf internationaler Ebene gefällten
Entscheidungen berücksichtigt werden.
Die ITBLAV wird durch die Beiträge ihrer
Mitgliedsorganisationen finanziert. Die Bildungsund Entwicklungshilfeprogramme werden von
Geberorganisationen bestritten. Der Kongress ist
das oberste Organ der ITBLAV und tritt alle vier
Jahre zusammen, um über die allgemeine Politik
zu entscheiden. Er setzt sich aus den Delegierten
der Mitgliedsorganisationen zusammen.
Der Vorstand tritt einmal jährlich
zusammen und ist für die Leitung der
Tätigkeiten der ITBLAV und die Umsetzung der
Entscheidungen des Kongresses verantwortlich.
Die Vertretung beruht auf der Anzahl zahlender
Mitglieder je Land und umfasst zurzeit 34 Länder.
Während die Gesamtprioritäten und die
Politik der ITBLAV auf internationaler Ebene
behandelt werden, werden die regionalen
Tätigkeiten und Beziehungen von den
Regionalorganisationen abgedeckt, die als
Bestandteil der ITBLAV auftreten, obwohl jede
von ihnen über eigene Entscheidungsorgane
verfügt und eigene Tätigkeiten durchführt: Die
FITTVCC/ORI ist die Regionalorganisation der
Amerikas mit Sitz in Venezuela, die ITBLAV/
ERO die europäische Regionalorganisation
mit Sitz in Belgien, die TWARO ist die
asiatische Regionalorganisation und in Japan
stationiert, und der afrikanische regionale
Beratungsausschuss befindet sich in Südafrika.
KONTAKT: , rue Joseph Stevens
1000 Brüssel Belgien
Tel.: +32 (0)2 512 26 06; +32 (0)2 512 28 33
Fax: +32 (0)2 511 09 04 E-Mail: [email protected]
Internationale Union
der Lebensmittel-,
Landwirtschafts-, Hotel-,
Restaurant-, Café- und
GenussmittelarbeiterGewerkschaften
Die Internationale Union der
Lebensmittel-, Landwirtschafts-,
Hotel-, Restaurant-, Caféund GenussmittelarbeiterGewerkschaften (IUL) ist der Globale
Gewerkschaftsverband der Gewerkschaften,
die Beschäftigte in der Landwirtschaft, in
Plantagen, in der Zubereitung und Herstellung
von Lebensmitteln und Getränken, in Hotels,
Restaurants und im Catering sowie in allen
Stadien der Tabakverarbeitung vertreten.
Die IUL setzt sich aus 348 Gewerkschaften
in 127 Ländern zusammen und zählt
eine Gesamtmitgliedschaft von über 12
Millionen Beschäftigten. Seit ihrer Gründung
im Jahre 1920 bildet die internationale
Gewerkschaftssolidarität das Leitprinzip
der IUL. Die Organisation baut Solidarität
in jedem Stadium der Lebensmittelkette
auf, führt gewerkschaftliche Organisierung
in transnationalen Konzernen durch und
unterstützt weltweite Aktionen zur Wahrung
der Menschen-, demokratischen und
Gewerkschaftsrechte.
Stärkung der Mitgliedsorganisationen. Die
IUL ist dafür da, die Mitgliedsgewerkschaften
durch gegenseitige Unterstützung zu
stärken. Sie bewerkstelligt dies durch
Unterstützung der Mitgliedsorganisationen bei
Organisierungskampagnen und Konflikten mit
Arbeitgebern und Regierungen, Koordinierung
und Umsetzung von Solidaritäts- und
Unterstützungsaktionen, branchenweite
Organisierung, Forschungsarbeit und
Veröffentlichungen, Förderungen der
Gleichstellung der Frauen im Betrieb, in der
Gesellschaft und in der Gewerkschaftsbewegung
sowie Gewerkschaftsbildungsprogramme.
Internationale Anerkennung und
Kollektivverhandlungen. Keiner der IUL
Sektoren blieb von der Globalisierung verschont.
Die IUL bemüht sich, ein internationales
Gewerkschaftsgegengewicht zur Macht der
transnationalen Konzerne zu schaffen. Sie setzt
sich für die Anerkennung der Gewerkschaften
auf jeder, auch auf internationaler Ebene
ein. In der heutigen globalen Wirtschaft
müssen international ausgehandelte Rechte
und Normen bei den international tätigen
Unternehmen das Ziel sein.
Wahrung der Menschen-, demokratischen
und Gewerkschaftsrechte. Die aktive
Verteidigung der Gewerkschafts-, Menschenund demokratischen Rechte bildet
wesentlichen Bestandteil der laufenden
Tätigkeit der IUL. Die Wahrung dieser Rechte
ist eine grundlegende Klassenfrage.
Die IUL unterstützt aktiv diejenigen
Bewegungen in aller Welt, die gegen
Unterdrückung ankämpfen. Sie reagiert
international auf jeden Angriff gegen
ihre Mitgliedsorganisationen und die
Gewerkschaftsbewegung. Sie engagiert
sich für die Bildung von Bündnissen mit
Menschenrechts-, Umwelt-, Verbraucher- und
sonstigen Organisationen der Zivilgesellschaft,
die ihre Ziele teilen.
Regionen. IUL-Regionalorganisationen
sind präsent in Afrika, Asien/Pazifik,
der Karibik, Europa, Lateinamerika und
Nordamerika. Die Regionen sind autonom
und verfolgen unabhängiger Aktivitäten
in enger Zusammenarbeit mit der IUL und
ihren Leitungsorganen. Zudem bestehen
subregionale Gremien zur Koordinierung dieser
Tätigkeit auf dieser Ebene.
KONTAKT: 8, rampe du Pont-Rouge
CH-1213 Petit-Lancy, Genf Schweiz
Tel.: +41 22 793 22 33 Fax: +41 22 793 22 38
E-Mail: [email protected] Website: www.iuf.org
Bau- und HolzarbeiterInternationale
Die Bau und HolzarbeiterInternationale (BHI) ist der Globale
Gewerkschaftsverband der
Gewerkschaften, die Beschäftigte
im Baugewerbe, in der Baumaterial- und
Holzindustrie, in der Forstwirtschaft und in
verwandten Sektoren vertritt. Die BHI zählt 338
nationale Mitgliedsorganisationen in Afrika und
im Nahen Osten (88), Asien (75), Europa (119),
Nordamerika (7), Lateinamerika und der
Karibik (49).
Da Millionen Kinder arbeiten müssen,
viele von ihnen im Baugewerbe, fördert die
BHI praktische Lösungen zur Beseitigung
der Kinderarbeitskrise durch Schulbildung,
Kampagnen und gewerkschaftliche
Organisierung. In Indien errichtete die BHI
Kampagne Children Should Learn, Not Earn
(Kinder sollten lernen, nicht arbeiten) Schulen
für Kinderarbeiter, die Tausende Kinder
von den Baustellen holen und sie in die
Schulzimmer bringen.
Das BHI-Programm für die Ermächtigung
der Frauen trug gleichermaßen dazu bei,
Tausende weiblicher Beschäftigter auf dem
Gebiet der Gewerkschaftsarbeit auszubilden,
um geringes Entgelt und gefährliche Arbeit im
Baugewerbe, in der Holzindustrie und in der
Forstwirtschaft zu bekämpfen.
Da jedes Jahr 100 000 Beschäftigte an
asbestbedingten Krankheiten sterben, bildet
der Arbeitsschutz ein Schlüsselanliegen.
Die BHI-Mitgliedsorganisationen setzen
sich für ein weltweites Asbestverbot ein. In
Lateinamerika wurden bereits in mehreren
Ländern Verbote eingeführt.
Die BHI erwirkte die Aufnahme der IAOKernarbeitsnormen in die Systeme für die
Zertifizierung von Holz- und Forstprodukten,
wie der Forestry Stewardship Council und
das Programme for the Endorsement of
Forest Certification Schemes (PEFC). In
Afrika unterstützte dies die Gewerkschaften
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 37
GLOBALE GEWERKSCHAFTSVERBÄNDE
bei der Bekämpfung der Armut durch
nachhaltige Forstbewirtschaftung und bessere
Arbeitsbedingungen.
Bei der Wahrung der Menschen- und
Arbeitnehmerrechte ist die BHI den Förderern
der Gewerkschafts- und Menschenrechte
behilflich und unterstützt legale Maßnahmen
durch internationale Solidaritätsarbeit.
Da über zehn multinationale Unternehmen
im Baugewerbe und in der Holzindustrie die
globalen Abkommen unterzeichnet haben,
verlieh die BHI dem internationalen Sozialdialog
und der Förderung der IAO-Übereinkommen
praktische Bedeutung. Die BHI lobbyierte bei
der Weltbank zugunsten der Annahme und
Umsetzung der IAO Kernarbeitsnormen als
verbindlich für die Beschaffungspolitik.
Im Mai 2005 wurden die Bauverträge
der Weltbank durch zwingende Klauseln über
Zwangsarbeit, Kinderarbeit, Nichtdiskriminierung
und sonstige Arbeitsnormen ergänzt. Im
Jahre 2006 verlangte die Abteilung der Bank
für den Privatsektor von ihren Kunden, die
Kernarbeitsnormen einzuhalten.
KONTAKT: BHI, 54 route des Acacias
CH-1227 Carouge GE Schweiz
Tel.: +41 22 827 37 77 Fax: +41 22 827 37 70
Internationaler
Metallgewerkschaftsbund
Der Internationale
Metallgewerkschaftsbund
(IMB) vertritt die kollektiven
Interessen von 25 Millionen
Metallbeschäftigten aus über 200
Gewerkschaften in 100 Ländern. Der 1893
gegründete Verband erfasst Industriezweige
wie Stahl, Buntmetalle und Erzbergbau,
Maschinenbau, Schiffsbau, Automobilfertigung,
Luftfahrt, Elektro- und Elektronik-Industrie.
Ziel des Verbandes ist es, die Entgelte
sowie die Arbeits- und Lebensbedingungen
der Metallbeschäftigten zu verbessern
und dafür zu sorgen, dass die Rechte der
Metallbeschäftigten geachtet werden. Um dies
zu verwirklichen, arbeitet der IMB mit seinen
nationalen Mitgliedsorganisationen sowie auf
internationaler Ebene zusammen, um:
Außer der Veranstaltung von Branchenund Regionalkonferenzen vereinigt der
IMB Gewerkschaftsvertreter zur Erörterung
der internationalen Gewerkschaftspolitik
zu Themen wie Handel und Entwicklung,
Organisierung der gewerkschaftlich nicht
erfassten Beschäftigten und Arbeitsschutz.
Der IMB hat seit 2002 verschiedene
internationale Rahmenabkommen (IRA) mit
transnationalen Konzernen geschlossen, die die
Kernarbeitsnormen als Mindestanforderung für
das Unternehmen und seine Lieferanten etabliert.
KONTAKT: Internationaler
Metallarbeiterbund
54 bis, route des Acacias Potfach 1516
CH-1227 Genf Schweiz
Tel.: +41 22 308 50 50 Fax: +41 22 308 50 55
[email protected] www.imfmetal.org
Internationale Föderation
von Chemie-, Energieund FabrikarbeiterGewerkschaften (ICEM)
Die ICEM vertritt über ihre 467
nationalen Mitgliedsgewerkschaften
in 133 Ländern 20 Millionen
Mitglieder. Die Sektoren der ICEM sind:
•
•
Chemikalien und Biowissenschaften:
Erforschung, Produktion und Raffination
chemischer Elemente, Verbundstoffe
und Produkte, chemotechnische
Produkte, petrochemische Produkte,
Agrochemikalien, Kunststoffe,
Kunststofferzeugnisse und -komponenten
und Kunstfasern. Außerdem Erforschung
und Fertigung von Erzeugnissen und
Materialien aus biotechnischen Methoden
oder gentechnischen Verfahren.
•
Holzstoff und Papier: Herstellung und
Umwandlung von Holzstoff, Papier, Pappe
und Papierverpackung.
•
Kautschuk: Erforschung und
Herstellung von Synthetikkautschuk
und Verbundstoffen sowie Herstellung
von Erzeugnissen aus natürlichem und
synthetischem Kautschuk.
•
Glas, Keramik, Zement: Erforschung
und Fertigung von Flachglas,
Behälterglas, Glasfasern, Haushaltsglas
sowie aller sonstigen Glaserzeugnisse,
alle Arten von Töpferwaren, Tonerdeund Keramikmaterialien, Zement,
aufzubauen
• die internationale Solidarität zu stärken,
befassen,
• die Arbeitnehmerrechte zu sichern,
einschließlich der Rechte der weiblichen
Beschäftigten, und
• für eine nachhaltige
Wirtschaftsentwicklung zu kämpfen.
Der IMB hält Schritt mit den Entwicklungen
in der Metallindustrie, indem er
Forschungsarbeiten über wirtschaftliche
und soziale Fragen für seine Mitglieder
bereitstellt und sich für Gewerkschafts- und
Menschenrechte einsetzt.
38 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
Bergbau und Natursteingewinnung:
Schürfung, Förderung und Verarbeitung
von Stein- und Braunkohle, Metall- und
Nichtmetallerzen, Tonerde, Sand, Kies
und Edelsteinen. Außerdem Diamantund Edelsteinsortieren, -schleifen
und -polieren sowie Verzierungs- und
Schmuckherstellung.
•
• eine weltweite Metallarbeiterbewegungen
• sich mit transnationalen Konzernen zu
Energie: Erdöl- und Erdgasschürfung,
-förderung, -produktion, einschließlich
Raffination und Vertrieb, Erzeugung und
Verteilung von Elektrizität und Kernenergie.
Buntmetallerze, verbundstoffe und
-erzeugnisse.
•
Umweltdienstleistungen:
Müllbeseitigung und
-wiederverwertung, Schadstoffkontrolle,
Wiederaufbereitung, Reinigung und
Wartung, Wäscherei, chemische
Reinigung und Hygienedienstleistungen,
Transport- und Sicherheitsdienste sowie
verbundene Tätigkeiten.
Hauptsächliche Tätigkeiten und Programme:
Die ICEM setzt sich weltweit für praktische
Gewerkschaftssolidarität ein. Der GGV vereinigt
Gewerkschaften in seinen Sektoren und leistet
den Gewerkschaften in den Entwicklungsländern
mittels von Gebern finanzierten Projekten
praxisbezogene Unterstützung beim Aufbau
von Gewerkschaften. Die ICEM hat in einer
Kampagne zur Verringerung der zunehmenden
Inanspruchnahme von Vertrags- und
Zeitarbeitskräften weltweit die Führung
übernommen, in dem sie die Nachhaltigkeit
und die Vorteile der Vollzeit- und der festen
Beschäftigung fördert. Die ICEM arbeitet mit
den größten Bergbauunternehmen der Welt
zusammen, um der Verbreitung von HIV/AIDS
Einhalt zu gebieten, indem medizinische Kliniken,
zu denen die ganze Gemeinschaft Zugang hat,
in der Nähe von Bergwerken in abgelegenen
Regionen errichtet werden.
KONTAKT: 20, rue Adrien-Lachenal
1207 Genf Schweiz
Tel.: +41 22 304 18 40 Fax: +41 22 304 18 41
Website: www.icem.org
Internationale der
Öffentlichen Dienste
Die IÖD ist der Globale
Gewerkschaftsverband für die
Gewerkschaften des öffentlichen
Sektors. Sie vertritt rund 646
Mitgliedsgewerkschaften in 158 Ländern. Diese
Gewerkschaften organisieren insgesamt über
20 Millionen Beschäftigte im öffentlichen
Sektor, die in der Zentralregierung, im
Gesundheits- und Sozialwesen, in Kommunalund Gemeinschaftsdiensten sowie öffentlichen
Versorgungsbetrieben tätig sind.
Die IÖD vertritt die Interessen der
Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Seit
ihrer Gründung im Jahre 1907 koordiniert
sie im öffentlichen Sektor den Kampf
um Arbeitnehmerrechte, soziale und
wirtschaftliche Gerechtigkeit und effiziente
und zugängliche öffentliche Dienste.
Die IÖD setzt sich für die Verbesserung
der Qualität der öffentlichen Dienste ein. Dies
beinhaltet eine enge Zusammenarbeit mit
internationalen Organisationen, nationalen
Regierungen, Verbraucherorganisationen
und NRO.
Die Projekte der IÖD für Solidarität
und Gewerkschaftsentwicklung sind den
Mitgliedsgewerkschaften behilflich, indem
sie Unterstützung durch Ausbildung und
Kompetenzentwicklung im Einsatzgebiet
leisten, insbesondere in Ländern, in denen die
Gewerkschaften um ihre Anerkennung kämpfen.
Die IÖD tritt bei der Internationalen
Arbeitsorganisation und anderen
Organisationen der Vereinten Nationen,
der Weltbank und den regionalen
Entwicklungsbanken, dem Internationalen
Währungsfonds, der Welthandelsorganisation,
der Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung und vielen
anderen für den öffentlichen Sektor ein.
Die IÖD verfügt über aktive
Frauenausschüsse auf internationaler,
regionaler und subregionaler Ebene. Alle
Entscheidungsorgane basieren auf der
Geschlechtergleichheit.
Die IÖD hat Regionalbüros auf Barbados,
in Belgien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Costa
Rica, der Tschechischen Republik, Indien,
Japan, Libanon, Singapur, Neuseeland,
Rumänien, Russland, Südafrika, Togo, der
Ukraine und den USA.
Die IÖD arbeitet eng mit dem IGB – dem
Internationalen Gewerkschaftsbund – und
weiteren Gewerkschaftsverbänden zusammen,
insbesondere mit der Bildungs Internationale EI
und dem Europäischen Gewerkschaftsverband
für den öffentlichen Dienst.
KONTAKT: Internationale der
Öffentlichen Dienste
Postfach 9
01211 Ferney-Voltaire Cedex Frankreich
T: +33 (0)450 40 64 64 F: +33 (0)450 40 73 20
[email protected] www.world-psi.org
Internationale Kunst- und
Unterhaltungsallianz
Dieser Globale Gewerkschaftsverband umfasst
FIM, FIA und UNI-MEI und ist ein vollständig
unabhängiges und repräsentatives Gremium,
das vom IGB und in Bezug auf seine europäische
Tätigkeit vom EGB anerkannt wird. Zu den
jüngsten Tätigkeiten gehörten Arbeitstagungen
in Lateinamerika mittels der regionalen
Koordinierung der IAEA (CREA) zur Förderung
der Arbeitnehmerrechte in der Filmproduktion.
Die Mitglieder der Allianz werden von der WIPO,
der UNESCO und der IAO sowie vom Europarat
und der Europäischen Union anerkannt.
Außerdem hat die FIM Beobachterstatus bei der
internationalen Organisation der Frankophonie.
Der Internationale
Schauspielerverband (FIA)
wurde im Jahre 1952 von der
französischen Gewerkschaft der
darstellenden Künstler und deren
Schwesterorganisation in Großbritannien
gegründet und vertritt heute über 100
Gewerkschaften, Gilden und Berufsverbände
darstellender Künstler in über 75 Ländern.
KONTAKT: Guild House
Upper St. Martin’s Lane London WC2H 9EG
Tel.: +44 20 7379 0900 Fax: +44 20 7379 8260
Website: http://www.fia-actors.com
Der Internationale Verband
der Musiker (FIM) wurde 1948
gegründet und ist die einzige
internationale Organisation,
die Musiker weltweit vertritt. Sie zählt
Mitgliedsgewerkschaften in über 70 Ländern.
KONTAKT: 21 bis, rue Victor Massé
F-75009 Paris Frankreich
Tel.: +33 0 145 263 123 Fax: +33 0 145 263 157
E-Mail: [email protected]
Website: http://www.fim-musicians.com
UNI-MEI (Medien, Unterhaltung und
Kunst), die Abteilung Medien und
Unterhaltung von UNI Global Union,
vertritt die Rundfunkbeschäftigten,
Techniker und Personal des Film- und
Theatersektors, spezifische Kulturschaffende und
Berufsgruppen (Schriftsteller, Drehbuchautoren,
visuelle Künstler), sonstige Beschäftigte im
Bereich der Kunst und Unterhaltung, sowie
Arbeitskräfte im Sportbereich und eine Vielfalt
verwandter Gruppen.
KONTAKT: 8-10 avenue Reverdil
CH-1260 Nyon Schweiz
Tel.: +41 22 365 21 00
Fax: +41 22 365 21 21
E-Mail: [email protected]
Gewerkschaftlicher Beratungsausschuss bei der OECD
Der Gewerkschaftliche
Beratungsausschuss bei der OECD
(TUAC) ist das offizielle Sprachrohr
der Gewerkschaftsbewegung
bei der Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung. Der
TUAC spielt seit über 40 Jahren eine wichtige
Rolle bei der Arbeit der OECD und bringt die
Stimme von über 60 Millionen Beschäftigten
in 30 Industrieländern in die internationale
Politikdebatte ein. Die Mitgliedschaft
des TUAC setzt sich aus 56 nationalen
Gewerkschaftszentralen zusammen. Sie
finanzieren die Tätigkeit des TUAC, entscheiden
über die Politik und wählen die TUACFunktionäre.
Der TUAC wurde im Jahre 1948 als
gewerkschaftlicher Beratungsausschuss für
das wirtschaftliche Wiederaufbauprogramm
für Europa – den Marshall-Plan – eingesetzt.
Seit seiner Bildung im Jahre 1961 vertritt
er die Standpunkte der gewerkschaftlich
organisierten Arbeitskräfte bei der OECD.
Angesichts der einsetzenden
Globalisierung der Debatte in der OECD als
potenziellem Regulierer intensivierte der
TUAC die Zusammenarbeit mit globalen
Gewerkschaftspartnern im Bemühen, dafür zu
sorgen, dass die weltweiten Märkte durch die
Achtung der Arbeitnehmerrechte und wirksame
Regeln für multinationale Unternehmen ins
Gleichgewicht gebracht werden.
Der TUAC koordiniert und vertritt
die Ansicht der Gewerkschaftsbewegung
in den Industrieländern mittels
Konsultationen mit den Regierungen und
Experten der OECD. Ferner koordiniert
er den Beitrag der Gewerkschaften zu
den jährlichen Wirtschaftsgipfeln und
Beschäftigungskonferenzen der G-8. Die
hauptsächlichen Arbeitsbereiche des TUAC
sind:
•
die Beschäftigungspolitik im Allgemeinen
(einschließlich der Ausarbeitung
der Gewerkschaftserklärung
für die Wirtschaftsgipfel und
Beschäftigungskonferenzen der G-8),
die Politik bezüglich der strukturellen
Anpassung und der Arbeitsmärkte und die
nachhaltige Entwicklung.
•
die Aus- und Weiterbildungspolitik,
die Renten- und Altersabsicherung, die
Auswirkungen der Globalisierung auf die
Beschäftigung.
•
die Steuerung der globalen Märkte,
einschließlich der Umsetzung der
OECD Leitsätze für multinationale
Unternehmen und der Beziehungen
der OECD zu Nichtmitgliedsländern,
namentlich in Mittel- und Osteuropa und
in Asien.
Die OECD-Vertragswerke, wie die Leitsätze
für multinationale Unternehmen,
sind nicht rechtsverbindlich, können
jedoch als Hilfsmittel zur Wahrung der
Arbeitnehmerrechte wirksam sein. Eine
bedeutende Überarbeitung im Jahre 2000 fügte
neue Leitsätze (beispielsweise die Umwelt)
hinzu. Sie verstärkte zudem Mechanismen zur
Umsetzung der Leitsätze und erweiterte deren
Geltungsbereich auf Unternehmensbetriebe
weltweit sowie auf Subunternehmer. Der
TUAC unterstützt die Gewerkschaften bei
der Darlegung von Fällen bei nationalen
Kontaktstellen der Regierungen, um
sicherzustellen, dass die Leitsätze umgesetzt
werden. Der TUAC war im Zeitraum 2003-2004
im Kielwasser der Unternehmensskandale auch
von Anfang an der Überarbeitung der OECD
Grundsätze für Unternehmensführung beteiligt
und nahm an der Lenkungsgruppe teil, die den
überarbeiteten Wortlaut entwickelte.
KONTAKT: TUAC
15, rue Lapérouse
75016 Paris Frankreich
Tel.: +33 (0)1 55 37 37 37
Fax: +33 (0)147 54 98 28
E-Mail: [email protected]
Website: http://www.tuac.org
ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 39
RAT DER GLOBAL UNIONS
Der Rat wurde im Jahre 2007 eingesetzt und vereinigt den
neu gegründeten Internationalen Gewerkschaftsbund,
die Globalen Gewerkschaftsverbände und den
Gewerkschaftlichen Beratungsausschuss bei der OECD
(TUAC). Zu den Zielen des Rates der Global Unions gehören
die Förderung der Gewerkschaftsmitgliedschaft und der gemeinsamen
Gewerkschaftsinteressen weltweit durch verstärkte Zusammenarbeit.
Die Globalen Gewerkschaftsverbände vertreten Beschäftigte in den
verschiedenen Wirtschaftszweigen, die von Bildungswesen, öffentlichen
Diensten und Fertigung bis zu Einzelhandel und Medien reichen.
VORSITZENDE: Anita Normark
STELLVERTRETENDER
VORSITZENDER: Aidan White
KOORDINATOR: Jim Baker
Rat der Global Unions (CGU)
Bd. Roi Albert II 5 bte. 1, Room 343
B-1210 Brüssel Belgien
Tel.: +32 (2) 224-0343
IGB
Der Internationale Gewerkschaftsbund vereinigt
nationale Gewerkschaftszentralen, die sich wiederum aus
Branchengewerkschaften zusammensetzen. Er konzentriert
sich auf Grundsatzangelegenheiten und die Wahrung
der Gewerkschaftsrechte und vertritt die Interessen der
Arbeitnehmer bei internationalen Organisationen, einschließlich der Vereinten
Nationen. Er spielt insbesondere in der dreigliedrigen Internationalen
Arbeitsorganisation eine wichtige Rolle, wo er die Arbeitnehmergruppe
koordiniert. Er mobilisiert seine Mitgliedsorganisationen, bei ihren Regierungen
zu intervenieren und an internationalen Aktionen teilzunehmen. Er arbeitet eng
mit allen übrigen Global Unions zusammen.
Gestaltung: Mary Schrider, [email protected]
Druck: Druk, Hoeilaart, Belgien
40 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09
Internationaler
Gewerkschaftsbund (IGB)
5 Boulevard du Roi Albert II
Bte. 1
1210 Brüssel
Belgien
Tel.: +32 (0)2 224 0211
Fax: +32 (0)2 201 5815
E-Mail: [email protected]
Website: www.ituc-csi.org
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ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 41
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