arbeit Mai 2009 FÜR DIE WELT Strategien der Global Unions für eine wirtschaftliche Erholung ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 1 V orwort von Aidan White E s gibt keinen Ausweg aus der Verzweiflung, die durch die Rezession und den Wirtschaftsrückgang verursacht wurde. Millionen Beschäftigte und ihre Angehörigen in aller Welt sind betroffen, weil sie ihre Arbeitsplätze nicht behalten können und keine Arbeit finden, während die schwerste Rezession seit den 1930er Jahren ihre Auswirkungen zeitigt. Das Elend der Massenarbeitslosigkeit ist überall zu spüren. In den USA setzten die Arbeitsplatzverluste in den ersten Tagen des Jahres 2008 ein und beschleunigten sich nach dem Finanzzusammenbruch im Oktober. In den ersten sechs Monaten allein gingen 3,3 Millionen Arbeitsplätze verloren. Arbeitslosenraten bis 12% werden befürchtet. 1 In Europa hat der Abbau von Arbeitsplätzen eben erst begonnen. Die Europäische Kommission sagt eine Arbeitslosenrate von 9,5% für das kommende Jahr voraus. Viele Wirtschaftswissenschaftler befürchten, dass sie noch höher ausfallen wird. Sämtliche Prognosen sind düster. Angesichts eines Produktionsrückgangs in Japan sowie in den asiatischen Schwellenländern prognostiziert die Internationale Arbeitsorganisation eine Zunahme der Arbeitslosenzahlen um weltweit 50 Millionen. Selbst dies wird noch als optimistisch angesehen. Die Beschäftigten sind mit dem Desaster eines Einbruchs konfrontiert, den sie in ihrem ganzen Leben noch nie erlebt hatten. Zu diesem kritischen Zeitpunkt sind die Gewerkschaften im Begriff zu mobilisieren. Sie entwickelten eine Vision für die Weltwirtschaft, die über die Pfuschereien mit Regulierung und den Wiederaufbau der zerstörten Modelle des freien Handels hinausgeht. Sie argumentieren, dass die Zeit gekommen sei, eine neue politische Landschaft zu schaffen, die eine gerechtere und nachhaltige Welt für künftige Generationen aufbauen wird. © Manoocher Deghati/IRIN Diese Vision ist zeitgemäss und tritt dafür ein, dem extremen Kapitalismus und der ungezügelten Gier, die den Großteil des globalen Finanzsystems derart korrumpiert haben, ein für alle Mal ein Ende zu setzen. In dieser Sonderpublikation legen die Globalen Gewerkschaftsverbände in Zusammenarbeit mit dem Gewerkschaftlichen Beratungsausschuss bei der OECD und dem Internationalen Gewerkschaftsbund alternative Strategien für eine Weltwirtschaft dar, die sich darauf ausrichten, die Menschen in die Arbeit zurückzuführen, und einen auf humanitären Werten beruhenden Plan zur Wirtschaftserholung begünstigen. Diese von den Global Unions vereinbarten Argumente wurden im November 2008 den Regierungschefs der Welt vorgelegt und auf der Tagung der Gruppe der 20 im April 2009 in London erneut zur Sprache gebracht. Einfach ausgedrückt, fordern die Gewerkschaften eine Richtungsänderung und einen Bruch mit der Gier, dem Eigeninteresse und den Ungleichheiten der Vergangenheit. Sie beharren darauf, dass die Regierungen im Hinblick auf einen Wandel die Menschen an die oberste Stelle setzen. Umfassende Ergebnisse über den G 20 Gipel in London siehe http://www.londonsummit.gov.uk/resources/en/PDF/finalcommunique und auf der Global Union Website www.ituccsi.org and www.tuac.org. 1 The Economist 14. März 2009 Vorwort des Herausgebers 2 / Einleitung: Guy Ryder zur Ausmerzung der Gier INHALT 3 / Anita Normark und Jim Baker über die Art und Weise, wie sich die Global Unions organisieren 4 / PERSPEKTIVEN DER GLOBAL UNIONS: Manfred Warda über die Suche nach einer nachhaltigen Energielösung 6 / Marcello Malentacchi argumentiert zugunsten einer Welt, die für alle arbeitet 8 / Peter Waldorff stellt die öffentlichen Dienste in den Mittelpunkt 10 / Ron Oswald fordert die Politiker dazu auf, die Kontrolle der Weltwirtschaft wieder zu übernehmen 12 / Die Herausforderung der Migration betrifft uns alle, sagt Anita Normark 14 / Nach Ansicht von Fred Van Leeuwen ist Bildung der Schlüssel 16 / Neil Kearney findet eine seltene Gelegenheit, die Geißel der Armut anzufechten 18 / John Evans über den Grund, weshalb die Global Unions eine radikale Richtungsänderung fordern 4 / Oliver Roethig untersucht Finanztermingeschäfte für Bankangestellte 32 / Die Medien wenden sich im Hinblick auf einen Wechsel der Ethik zu, sagt Aidan White 34 / David Cockroft sieht Chancen für eine Wiederbelebung der Gewerkschaften 35 / Wer wir sind – die Global Unions 36 UND EINE 12-SEITIGE SONDERAUSGABE ÜBER DIE ARGUMENTE DER GEWERKSCHAFTEN ZUGUNSTEN EINES WANDELS GERICHTET AN DIE ADRESSE DER REGIERUNGSCHEFS DER WELT 20 G LO B A L E H E R A U S F O R D E R U N G Die Gier ausmerzen und das Leben lebenswert machen Von Guy Ryder D ank des Drucks der Gewerkschaften auf die Regierungschefs auf dem G-20-Gipfel in London stehen Arbeitsplätze und soziale Themen auf der globalen Agenda für eine Erholung. Unsere Forderungen nach einem Wandel, die in dieser Publikation dargelegt sind, führten zu konkreten Ergebnissen. Die größte Kraftanstrengung für eine Kehrtwende in der internationalen Wirtschaftspolitik steht jedoch noch bevor. Die Die Gewerkschaften reagierten nachdrücklich auf die Herausforderung, rücksichtslosem Eigeninteresse und Gier ein Ende zu setzen, die laut dem Geschäftsführenden Direktor des Internationalen Währungsfonds, Dominique Strauss-Kahn, der im Januar 2009 mit einer Delegation der Global Unions sprach, die Grundursache der derzeitigen Krise sind „Wir müssen einen Weg finden, diese Gier zu zügeln“, sagte er. Ein Anfang wurde in London gemacht. Die Regierungschefs der Welt einigten sich darauf, dass die Internationale Arbeitsorganisation (IAO), die einzige dreigliedrige Organisation im System der Vereinten Nationen, am Folgegipfel teilnehmen wird, der im späteren Verlauf des Jahres 2009 in New York stattfinden wird und die Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen beurteilen soll. Der Gipfel befürwortete zudem eine weitere Diskussion über eine von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und anderen angeregte „Charta“, mit Hilfe derer ein neuer globaler Konsens über die wichtigsten Werte und Grundsätze für eine nachhaltige Wirtschaftstätigkeit erzielt werden soll Dies bietet den Gewerkschaften Gelegenheit, ihren Forderungen in Bezug auf die Arbeitnehmerrechte Nachdruck zu verleihen, damit die soziale Gerechtigkeit in eine kohärente globale Agenda integriert wird. Es wird noch mehr Geld in den Topf geworfen werden – faktisch weitere 1,1 Bio. USD –, um die Kreditvergabe zu fördern, doch wird der Großteil davon an den IWF gehen. Und dies, obwohl nach wie vor Besorgnis über die Strategie des IWF herrscht, Kredite an Bedingungen zu koppeln. Vielfach sehen nationale Regierungen sich daher gezwungen, Arbeitsplätze und Dienstleistungen im Inland abzubauen, um wirtschaftliche Unterstützung zu erhalten. Ein wichtiger Erfolg des Gipfels ist die Vereinbarung die internationale Finanzregulierung, auch für die Hedgefonds. zu verstärken. Ausserdem gab es eine Einigung darüber, Maßnahmen gegen Steueroasen zu treffen, die die Normen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) nicht einhalten, und nach Bedarf denjenigen, die ausscheren, Sanktionen aufzuerlegen. Die G-20-Regierungschefs reagierten auf die Gewerkschaftsforderungen nach einer weltweiten Lösung, die die Bedeutung der „Erfordernisse und Arbeitsplätze hart arbeitender Familien“, die Notwendigkeit, „Vertrauen, Wachstum und Arbeitsplätze“ wiederherzustellen und die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen als zentralen Zweck der Steuerausweitung hervorheben. Die Schlussfolgerungen des Gipfels fordern die Schaffung von Arbeitsbeschaffungsmassnahmen für die von der Krise Betroffenen, darunter auch Maßnahmen zur Einkommensunterstützung, den Aufbau „eines gerechten, familienfreundlichen Arbeitsmarktes für Frauen und Männer“ und die Unterstützung des Arbeitsmarktes durch Ankurbelung des Wachstums, Investitionen in Aus- und Weiterbildung und eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die die Verletzlichsten in den Mittelpunkt stellt. Dies reicht jedoch nicht aus. Wie viel tatsächlich noch zu tun ist, zeigte sich deutlich am Vortag des Gipfels, als die OECD ihre Zwischenprognosen veröffentlichte, aus denen hervorging, dass die Weltwirtschaft selbst in den reicheren Ländern um 2,7% schrumpft und die Arbeitslosigkeit sich infolgedessen im Verlauf des Jahres in einigen größeren Volkswirtschaften verdoppeln dürfte. Die Gewerkschaften müssen ihre Forderungen nach einem globalen Pakt für Arbeitsplätze verstärken, der die Beschäftigung in den Mittelpunkt der Erholung stellt. Die Gewerkschaftskampagne zum Welttag für menschenwürdige Arbeit am 7. Oktober wird nun zum Brennpunkt der internationalen Solidarität, um die Menschen in die Arbeit zurückzuholen und die Wirtschaft erneut in jedem Winkel der Welt wieder zum Laufen zu bringen. London hat die Tür geöffnet, doch stehen die grundlegenden Veränderungen zugunsten einer Erholung, die auf einem neuen, wertebasierten Kurs für die Weltwirtschaft beruht, noch aus. Die Regierungen müssen damit beginnen, an einem Steuerungsrahmen zu arbeiten, der das gescheiterte System des Marktfundamentalismus ändert, das die Politik in den vergangenen drei Jahrzehnten beherrschte und eine verheerende Wirkung auf das Leben von Millionen zeitigte. Die Unterwerfung der Wirtschaft unter demokratische Kontrolle und der Aufbau gerechterer Gesellschaftsordnungen bedeutet, die wiedererweckten Werte mit starken, effizienten und reaktionsfähigen Regierungen zu kombinieren, die sich zu kollektiver Aktion verpflichten. Die derzeitige Krise ist zu tief, um ignoriert zu werden. Dies ist nicht die Zeit für kosmetische Behandlung oder Feinabstimmung der Regulierungsmechanismen, die bei der Zügelung der rücksichtslosen Fähigkeit der Finanzmärkte, dauerhaften Schaden anzurichten, vollständig versagt haben. Das Ziel ist ganz einfach, aus der Krise mit einer Wirtschaft herauszukommen, die gerechter und daher nachhaltiger ist. Diese Krise bietet die Chance, Lösungen für die langfristige Geißel der Armut und für das dringliche Problem der Erderwärmung zu entwickeln. Sie bietet Chancen für die kurzfristige Schaffung von Arbeitsplätzen und die Entwicklung einer nachhaltigen Industriepolitik, die langfristige, stabile Beschäftigung schaffen wird, so dass sie, wenn das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Beschäftigung, wieder in Gang gekommen sind, sauberer, grüner und gesünder ist. Diese Krise lässt sich jedoch nicht hinter geschlossenen Türen durch eine kleine, exklusive Gruppe derjenigen beheben, die überhaupt erst zu ihrer Entstehung beitrugen. Die neue Architektur sollte die Gier vielmehr zügeln, als sie schützen. Deshalb beharren wir auf einer öffentlichen Grundsatzstrategie, mit der unter anderem den vielen Millionen Gewerkschaftsmitgliedern über ihre Global Unions Gehör verschafft werden kann. Guy Ryder ist Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes. ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 3 Rat der Global Unions: Die Welt in Ordnung bringen dur ch Gemeinsame Aktion Von Anita Normark und Jim Baker DER LEITSATZ DES RATES DER GLOBAL UNIONS, DER IM JANUAR 2007 UNTERZEICHNET WURDE, SAGT ALLES AUS – „GEWERKSCHAFTLICHE ORGANISIERUNG, WAHRUNG DER MENSCHENRECHTE UND DER ARBEITSNORMEN IN ALLER WELT UND FÖRDERUNG DES WACHSTUMS DER GEWERKSCHAFTEN ZUM NUTZEN ALLER ARBEITNEHMER UND IHRER FAMILIEN.“ NOCH NIE WAR DIESE EINFACHE SOLIDARITÄTSBEKUNDUNG SO NOTWENDIG WIE IN DIESEN TURBULENTEN ZEITEN. Die Rezession im Kielwasser des Zusammenbruchs der Finanzdienstleistungen verstärkte die Notwendigkeit einer Partnerschaft zwischen Organisationen, die nationale Gewerkschaftszentralen vertreten, und denjenigen, die Branchengewerkschaften vertreten. Der Zeitpunkt ist gekommen, da die Gewerkschaften die ganze politische und gewerkschaftliche Stärke benötigen, die sie aufbringen können. Diese Publikation erläutert eine strategische Stellungnahme der internationalen Gewerkschaftsbewegung zur globalen Krise. Die hier dargelegten Gedanken werden der internationalen Gemeinschaft und den führenden Persönlichkeiten vorgelegt – nicht um die bereits von den einzelnen Global Unions individuell oder kollektiv unternommene Arbeit zu verdoppeln, sondern um mit einer einzigen, einheitlichen Stimme für eine Erholungsstrategie zu sprechen, die die Menschen an an die erste Stelle setzt. 4 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 Die Bewegung der Global Unions zieht Kraft aus der konzertierten Tätigkeit. Sie dient als Forum für einen Informationsund Gedankenaustausch und als Katalysator für Aktion und Operation, die für die gesamte internationale Gewerkschaftsbewegung von Nutzen sind. Nahezu alle Aktionen des Rates der Global Unions beziehen sich auf die gewerkschaftliche Organisierung und die Gewerkschaftsanerkennung. Dies kann dabei helfen, geltende Arbeitsrechte zu vebessern oder deren Umsetzung zu bewirkeh. Die internationale Unterstützung der Bemühungen der US-Gewerkschaftsbewegung für den sogenannten US- Employee Free Choice Act (EFCA), einem Gesetz, das den US-Arbeitnehmern den Beitritt zu Gewerkschaften ermöglichen soll, ohne gleichzeitig Represalien befürchten zu müssen, ist ein derartiges und äußerst wichtiges Beispiel. Aber auch in vielen weiteren Ländern ist unsere vereinigte politische und gewerkschaftliche Stärke gefragt: Die Arbeitnehmer müssen die Chance erhalten, das Recht auf Bildung ihrer Gewerkschaften und auf Verhandlungen auszuüben. Hierzu müssen einzelne Länder identifiziert und die Zusammenarbeit in Wirtschaftsfreizonen intensiviert werden. Auch die wachsende Zahl prekärer und informeller Arbeitsverhältnisse in aller Welt wurde zu einem großen Hindernis für die gewerkschaftliche Organisierung, für Verhandlungen und Aufbau der Gewerkschaftsstärke. Arbeitnehmer ohne reguläre, direkte Arbeitsverträge befinden sich in einer Grauzone prekärer Arbeit und genießen häufig keinen Sozial-, Rechts- oder Verhandlungsschutz. Selbst diejenigen, die auf dem Papier geschützt sind, haben häufig Angst, sich zu organisieren und das Risiko einzugehen, ihre Arbeit zu verlieren. Diese „Wegwerf“Arbeitnehmer waren die ersten Opfer der Wirtschaftskrise. Die Zusammenarbeit in diesem Bereich, die durch eine Arbeitsgruppe erleichtert wurde, bildete eine der höchsten Prioritäten der Global Unions. Wir müssen aus dieser Krise herauskommen, indem das Konzept der regulären Beschäftigung nicht nur zugunsten der betroffenen Beschäftigten wiederhergestellt wird sollte, sondern auch, um dazu beizutragen, einen „freien Fall“ der Arbeitnehmer zu verhindern, wann immer wirtschaftliche Turbulenzen eintreten. Diese globale Arbeit schreitet dank der engen Zusammenarbeit zwischen Global Unions bei der Politik, auch mit zwischenstaatlichen Gremien, und bei der branchenspezifischen Arbeit in den Bereichen der gewerkschaftlichen Organisierung den Unsinn der „Auslagerung“ öffentlicher Verantwortlichkeiten und des Gemeinguts an diejenigen, die von Profit angetrieben werden. Die zahlreichen Themen von öffentlichen Dienstleistungen von hoher Qualität bis zu gerechter und angemessener Besteuerung, den wichtigen Verbindungen zwischen öffentlichen Regeln und privater Verhaltensweise bis hin zu wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit werden von den Global Unions gemeinsam untersucht. Eine „Erholung“ mit Regierungen, die erneut im Geheimen agieren, nachdem die Banken wieder saniert sind, oder mit Werten des öffentlichen Dienstes, die durch privaten Profit verdrängt werden, wird die Saat des Marktzusammenbruchs erneut säen. Um das Beste aus diesem umfassenden Programm der Global Unions zu machen und ihren Mitgliedern bei einer besseren Verständigung mit deren Mitgliedern und der Öffentlichkeit behilflich zu sein, werden Elemente einer einheitlichen, schlüssigen Kampagnen- und Kommunikationsstrategie entwickelt. Ein Expertenteam vereinigt die Global Unions, um gemeinsame Kommunikationsansätze und -hilfsmittel zu entwickeln und außerdem weiter in das Internetzeitalter vorzustoßen. Auch diese Publikation wurde vom Expertenteam angeregt. Die Optionen für die Erholung sind unmöglich zu prüfen, ohne auf die wachsende Ungleichheit innerhalb und zwischen den Ländern einzugehen. Armut und Arbeitslosigkeit breiten sich so rasch aus, dass die Zahlen praktisch sofort wieder veraltet sind. Eine Reaktion auf die Wirtschaftskrise betrifft nicht einfach nur eine Finanzregulierung und aufsicht, sondern eine Erholung muss sich auch mit den Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten befassen und ein neues Vorgehen bei der Regierungspolitik entwickeln, das sich auf einen größeren Spielraum für Kollektivverhandlungen als Prozess zur Umverteilung des Wohlstands und Förderung der Gleichstellung ausrichtet. Die Auswirkungen der © M. Crozet/ILO und der Arbeitsbeziehungen rasch voran. Die globale Migration ist ein weiteres wachsendes Phänomen, das die Möglichkeiten der gewerkschaftlichen Organisierung beeinträchtigt, insbesondere in Sektoren wie Baugewerbe und Gesundheits- und Dienstleistungssektoren. Deshalb wurde eine gemeinsame Arbeit bezüglich der Migration eingeleitet, eines Themas, das sowohl eine politische Dimension aufweist als auch branchenspezifische Auswirkungen zeitigt. MillionenArbeitnehmerwerden in den kommenden Jahren auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben die Kontinente durchqueren. Die Zusammenarbeit zwischen den Global Unions wird als Mittel zur Verstärkung der politischen und branchenspezifischen Reaktionen angesehen. Von Bedeutung sind auch Bemühungen zur Einflussnahme auf die Auswirkungen und die Rolle der multinationalen Unternehmen an den internationalen und nationalen Märkten. Diese arbeiten häufig mit einem Umsatzetat, der höher ist als mancher Staatshaushalt. Dies wirkt sich auch auf die nationalen Arbeitsmärkte und die Chancen für die gewerkschaftliche Organisierung der Arbeitnehmer und Wahrung ihrer Rechte aus. Der globale Sozialdialog zwischen mehreren Globalen Gewerkschaftsverbänden und einzelnen Unternehmen wurde in den letzten Jahrzehnten beträchtlich ausgeweitet, unter anderem mit der Aushandlung von über 60 internationalen oder globalen Rahmenabkommen mit multinationalen Unternehmen. Der Rat der Global Unions tritt zusammen, um Informationen über Unternehmensstrategien und Rahmenabkommen auszutauschen. Die Erfüllung unserer Gewerkschaftsambitionen ist jedoch ohne angemessene Rechtsvorschriften, die die Rechte in vollem Umfang schützen und die durchgesetzt werden, nicht möglich. Dies setzt funktionierende Regierungen sowie eine Wiederherstellung der Werte des öffentlichen Dienstes voraus. Die Wirtschaftskrise unterstreicht Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Staatsangehörigkeit, der Rasse, der Religion und anderer Aspekte nimmt zu, während sich die Finanz-, Nahrungsmittel- und Energiekrisen verschlimmern. All diese Themen stellen eine reich befrachtete und umfassende Agenda für Gewerkschaftsaktion dar. Der Erfolg ist nicht garantiert, doch wird er erzielt werden, sofern es eine bessere Kommunikation und stärkere Beziehungen zwischen den nationalen und internationalen Arbeitnehmergemeinschaften gibt. Eine Zusammenarbeit zur Förderung der internationalen Arbeitsnormen, um die Arbeitnehmerrechte auf gewerkschaftliche Organisierung und Kollektivverhandlungen zu wahren, die Förderung der Gewerkschaftszusammenarbeit, neue Rechtsvorschriften und ein befreiendes Politikumfeld sowie Aktionen in den Betrieben werden ihre Früchte tragen. Die Erholung von dem durch den globalen Kapitalismus erzeugten Chaos wird zeitraubend und schmerzlich sein, doch ist die internationale Gewerkschaftsbewegung entschlossen, mit einheitlichen und wirksamen Gewerkschaftsstrategien zugunsten der Rechte und des Wachstums zu den verschiedenen Lösungen beizutragen. Anita Normark, ist Generalsekretärin der Bau- und HolzarbeiterInternationale und Vorsitzende des Rates der Global Unions Jim Baker ist Koordinator des Rates der Global Unions ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 5 SUCHE NACH EINER NACHHALTIGEN ENERGIELÖSUNG Treibstoff der Zukunft Von Manfred Warda WIE ANDERE GLOBAL UNIONS REAGIERTE AUCH DIE INTERNATIONALE FÖDERATION VON CHEMIE-, ENERGIE- UND FABRIKARBEITERGEWERKSCHAFTEN (ICEM) ZÜGIG, DIE FINANZKRISE UND DIE GLOBALE REZESSION IN DEN MITTELPUNKT IHRER ARBEIT ZU STELLEN. Auf ihrer Tagung vom 6. November 2008 in Genf zu einem Zeitpunkt, als die Welt über das Ausmaß des globalen Finanzzusammenbruchs noch immer unter Schock stand, nahmen die Leiter der Föderation kein Blatt vor den Mund. Das ICEM-Präsidium sagte in seiner Erklärung, dies sei ein Wendepunkt in der Geschichte, ein Beweis dafür, dass das derzeitige Finanzsystem nicht funktionierte, und rief zu einem Wandel auf – insbesondere zur Schaffung eines neuen und gerechteren globalen Finanzsystems aufgrund „strikter Finanzaufsicht und kontrolle, einschließlich einer neuen Serie internationaler Vorschriften“. Gewerkschaftsleiter wissen besser als die meisten, dass diejenigen Menschen in der Welt, die am wenigstens für den Zusammenbruch verantwortlich sind, am schwächsten, am stärksten betroffen und am unfähigsten sind, mit den Folgen der Krise fertig zu werden. Alle ICEM-Sektoren sind betroffen. Das Jahr 2009 wird mit Sicherheit tiefergreifende Auswirkungen bringen. Der Zusammenbruch des Umsatzes der Automobilindustrie wirkt sich unverzüglich auf die Reifen-, Gummi- 6 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 und Kunststoffsektoren aus. Die Beschäftigten in der Flachglasindustrie hängen zum Teil vom Automobilsektor ab und sind vom Rückgang im Baugewerbe gleichermaßen betroffen. Die gesunkenen Rohstoffpreise fordern ihren Tribut vom Bergbausektor und der allgemeinen Chemieindustrie. Die Krise und die Rezession dürfen jedoch kein Vorwand dafür sein, die Situation noch zu verschlechtern, indem die internationalen Verpflichtungen zur Entwicklung der ärmsten Volkswirtschaften der Welt gelockert werden. Das ICEM-Präsidium erklärt, die Finanzinstitutionen der Welt und die internationale Gemeinschaft dürften die bestehenden Verpflichtungen bezüglich der Entwicklung von Projekten in den Ländern, die diese am dringendsten benötigen, nicht fallenlassen und die Arbeit zur Verwirklichung der Millenniums-Entwicklungsziele nicht einstellen oder reduzieren. Die ICEM ihrerseits hat vor, ihre Verbindungen zum Rat der Global Unions zu nutzen, um an der Entwicklung einer Gewerkschaftskampagne mitzuwirken, die auf eine tiefgreifende Umwandlung der Weltwirtschaft abzielt – mit strikter Finanzaufsicht und -kontrolle sowie nachdrücklichen Vorschriften, die halten und die Tür für eine neue Ordnung öffnen, in der mehr Entwicklungsländer in den Prozess der Überwachung und Kontrolle des globalen Kapitals eingebunden werden. In den Energiebranchen und insbesondere im Erdölsektor werden die wirtschaftlichen Turbulenzen und die Rezession durch die Auswirkungen des rückläufigen Erdölpreises noch unsicherer gemacht. Insgesamt bleibt die Welt weitgehend von fossilem Treibstoff unabhängig. Obwohl Erdöl der führende Treibstoff der Welt bleibt, ging sein internationaler Marktanteil in den vergangenen sechs Jahren stetig zurück – hauptsächlich zugunsten von Kohle. Das Wachstum im Kohlesektor und die erhöhte Nachfrage nach Erdöl wurden durch die expandierenden Volkswirtschaften Chinas und Indiens angetrieben. Die Region Asien/ Pazifik bestritt im Jahre 2007 in der Tat zwei Drittel des weltweiten Energieverbrauchs und stieg um überdurchschnittliche 5% an. China machte erneut die Hälfte des Wachstums des weltweiten Energieverbrauchs aus. Die meisten Prognosen sagen voraus, dass die fossilen Treibstoffe mit Erdöl an der Spitze bis zum Jahr 2030 weiterhin über 85% des weltweiten Energiebedarfs liefern werden. Der Gesamtbeitrag der nicht fossilen Schadstoffe zu den verschiedenen Treibstoffen wird zwar zunehmen, jedoch ausgehend von einem niedrigen Anfangsniveau. Die Energienachfrage geht aufgrund der Schrumpfung der Fertigungsindustrie kurzfristig zurück. Gegen Ende 2008 stürzte die Nachfrage ab und die weltweiten Erdölvorräte nahmen zu. Im dritten Quartal 2008 verringerte sich der Erdölverbrauch in den USA um rund eine Million Barrel pro Tag – was einem Rückgang von rund 5% entspricht. Bis Ende 2008 war er um 6,5% zurückgegangen. Weitere Rückgänge werden im Jahre 2009 erwartet. Seit Anfang 2008 schwanken die Erdölpreise. Die gesteigerte Nachfrage in den Schwellenländern, Besorgnis über die Versorgung und regionale Instabilität sowie schamlose Spekulation ließen den Referenzpreise von Rohöl auf nahezu 150 USD pro Barrel steigen und in der Folge auf einen Stand von rund 40 USD pro Barrel abstürzen. Die prozentualen Schwankungen des Preises betrugen im Januar 2009 in nur einem einzigen Tag 12% oder mehr. Die Auswirkungen waren klar. Die sinkenden Preise führten zur Streichung oder zum Aufschub verschiedener Investitionen im Erdölsektor. Während der Depression werden die Preise niedrig bleiben, die Schürftätigkeit wird sich verlangsamen, und es wird einen Überschuss der Produktionskapazität über die Nachfrage geben. Der Preis wird jedoch wieder ansteigen. Wenn die Industrie die Investitionen drosselt, wird es weniger Kapazität für die Deckung der steigenden Nachfrage geben, wenn sich die Weltwirtschaft tatsächlich erholt. Die Welt steht nicht vor dem Ende der Erdöl- und Gasversorgung, obwohl es äußerst wahrscheinlich ist, dass bereits das Ende der künftigen „billigen“ Erdölreserven abzusehen ist, deren Produktion lediglich einige wenige Dollar pro Barrel kostet. Solche Felder finden sich lediglich im Nahen Osten in küstennahen Quellen mit verhältnismäßig einfacher Geologie. Der Irak ist vermutlich das einzige Land, in dem diese Reserven zurzeit nicht in vollem Umfang ausgeschöpft werden. Es gibt jedoch eine große und wachsende Ressourcenbasis, die zusammen mit den enormen Mengen nicht konventionellen Öls, die genutzt werden können, genügend Erdöl liefern, um den Bedarf der Welt in absehbarer Zukunft zu decken. Ein Problem ist jedoch die Lieferbarkeit des erforderlichen Images © M. Crozet/ILO “ Die Welt steht nicht vor dem Ende der Erdöl- und Gasversorgung, obwohl es äußerst wahrscheinlich ist, dass bereits das Ende der künftigen ‚billigen‘ Erdölreserven abzusehen ist, deren Produktion lediglich einige wenige Dollar pro Barrel kostet. Erdöls. Die künftige Produktion wird sich weitgehend auf die Vorkommen in tiefen und sehr tiefen küstennahen Gewässern konzentrieren. Sie wird in unwirtlichen und umweltsensitiven Umgebungen stattfinden, wie der arktischen Region und auch so genannte „nicht konventionelle“ Vorkommen, einschließlich Ölsand, Ölschiefer und Schwerölvorkommen, umfassen. Der Norden der Provinz Alberta in Kanada beispielsweise verfügt über die weltgrößten Teersandvorkommen mit schätzungsweise 174 Milliarden Barrel Erdöl. Die Gewinnung ist nach wie vor kostspielig, da viele der massiven Projekte, die sich in Entwicklung befinden, Erdölpreise von rund 75 Dollar pro Barrel voraussetzen. Selbst diese enormen Vorkommen erscheinen gering im Vergleich zu den Ölschieferflözen in den Rocky Mountains in den USA, die schätzungsweise 800 Milliarden Barrel Erdöl enthalten sollen – rund dreimal mehr als die Vorkommen in Saudi-Arabien. Die Förderung wäre ” kostspielig und würde ungeheure Wassermengen erfordern. Diese voraussichtlich anhaltende Abhängigkeit der Weltwirtschaft von fossilen Kraftstoffen hat bedeutende Herausforderungen bezüglich des Klimawandels zur Folge. Die Welt funktioniert, wenn sie über die von ihr benötigte Energie verfügt, doch wird sie sicherstellen müssen, dass sie den Wandel für eine nachhaltige Zukunft vollzieht, in der neue Arbeitsplätze geschaffen werden und die Lebensqualität für alle verbessert wird. Deshalb ist die Bewältigung der Herausforderung des Klimawandels – ebenso wie die Tatsache, dass die Menschen an die oberste Stelle gesetzt werden müssen – eine der wichtigsten Forderungen der Gewerkschaften, wenn sie ihre eigenen Strategien zugunsten einer nachhaltigen und dauerhaften Erholung entwickeln . Manfred Warda ist Generalsekretär der Internationalen Föderation von Chemie-, Energie- und FabrikarbeiterGewerkschaften. ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 7 DIE GEWERKSCHAFTEN FORDERN EINE WELT, DIE FÜR ALLE ARBEITET Menschenwü für einen Wan Von Marcello Malentacchi DIE REGIERUNGEN IN ALLER WELT HATTEN VERMUTLICH KEINE ANDERE WAHL, ALS DAS KORRUPTE FINANZSYSTEM ZU RETTEN, DAS DIE WIRTSCHAFTSKRISE VERURSACHTE, FÜR DIE WIR HEUTE BEZAHLEN. ES IST JEDOCH EIN RETTUNGSPLAN, FÜR DEN DIE ARBEITNEHMER EINEN SAFTIGEN PREIS ZU ZAHLEN HABEN. In den letzten Monaten wurden Millionen Arbeitsplätze in der Industrie und im Dienstleistungssektor vernichtet. Die meisten davon waren Arbeitsplätze von Jugendlichen und Frauen, die die schwächsten Glieder der berufstätigen Bevölkerung sind – diejenigen mit kurzfristigen Arbeitsverträgen, die Zeitarbeit leisten oder in prekären Beschäftigungsformen tätig sind. Die Aussage, dass die Geschehnisse voraussehbar waren und hätten vermieden werden können, ist zwar unbestritten, jedoch kaum zweckmäßig. Die Gewerkschaften auf alle Ebenen, nicht zuletzt in der internationalen Arena, warnten davor, dass eine unregulierte Spekulation der Ruin des Finanzsystems sein werde. Sie argumentierten, dass eine Kontrolle im Umfeld der nationalen Regierungen und Parlamente ausgeübt werden müsse und Regeln für eine Kontrolle erforderlich seien, die über demokratische internationale Institutionen durchgeführt werden soll. Es ist ein Skandal, dass die Regierungen in den reichen Ländern der Welt lediglich ein paar Wochen benötigten, über 2 000 Mrd. USD zu beschaffen (richtig – 2 000 Mrd. USD), um Banken, Versicherungsunternehmen 8 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 und sonstige Finanzinstitutionen am Rande des Bankrotts zu retten, wenn man weiß, dass vor zehn Jahren, als die Vereinten Nationen um ein Zehntel dieses Betrags ersuchten, um die Armut zu halbieren, von der die Armen der Welt betroffen sind, kaum jemand einen Finger rührte, um dieses Geld zu beschaffen. Eine auf Spekulation und unkontrollierten Kapitalbewegungen beruhende Marktwirtschaft ist nicht die Lösung für die Probleme, mit denen die Welt konfrontiert ist. Wir wissen das sehr genau, und deshalb ist die Rettungsaktion nicht die Lösung der Krise, wenn die von den Regierungen der USA, Europas und Japans ergriffenen Maßnahmen nicht durch direkte Staatsintervention bedingt sind. Wenn der Staat nicht mit offenen Karten spielt, wird die so genannte Rettungsaktion lediglich weitere Spekulation anheizen. Abgesehen von der Krise der Finanzinstitutionen ist zugleich eine neue Industriepolitik erforderlich, um die Volkswirtschaften anzutreiben, deren Priorität es sein muss, eine nachhaltige Beschäftigung zu schaffen. Die Welt benötigt ein Bankensystem, das als Triebkraft für Fortschritt wirkt und der Entwicklung eines stabilen und nachhaltigen Wirtschaftssystems Auftrieb gibt. Banken und Versicherungsunternehmen müssen durch Regeln gebunden sein, die nicht durch vage, ehrgeizige und eigennützige freiwillige Verhaltenskodexe bestimmt werden, sondern durch Rechtsvorschriften und internationale Regeln, die von allen Regierungen anerkannt werden. Wichtiger noch ist, dass die derzeitige Krise ein Weckruf sein sollte, der die Welt dazu zwingt, ihre wirtschaftlichen und sozialen Modelle neu zu überdenken. Wir müssen die Agenda der wirtschaftlichen und sozialen Organisation neu gestalten, um einer verstärkten Sicherheit für die Arbeitnehmer Priorität einzuräumen und Menschlichkeit sowie eine Ethik © R. LOrd/ILO ürdigkeit ndel der Solidarität ins Spiel zu bringen. Der Maßstab für den Erfolg der heute angenommenen Politik werden die Aktionen sein, die vielmehr eine stabile Beschäftigung schaffen und die Umverteilung des Wohlstands fördern, als zur Marktvolatilität und kurzfristigen Gewinnmitnahmen zurückzukehren. In einer zivilisierten Welt sollten alle Zugang zu einem angemessenen Arbeitsplatz in einer Wirtschaft haben, die auf die Erzeugung von Wohlstand und die Bereitstellung von Chancen für Selbstentfaltung und Eigenständigkeit ausgerichtet ist. Dies sind die grundlegenden Ziele für ein wirtschaftliches, soziales und politisches System für die moderne Gesellschaft. Die jüngste Krise wurde durch Spekulation mittels Kapitalbewegungen innerhalb des Börsennetzes in aller Welt verursacht. Der Wohlstand für die Menschen kann jedoch nur auf der Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen beruhen. Die von den Regierungen für die Rettung der Finanzinstitutionen beschlossenen enormen Geldsummen müssen von irgendwoher kommen. Die Menschen glauben möglicherweise, dass diese Gelder in den Tresoren der Zentralbanken lagern und verfügbar gemacht werden können, sobald die Entscheidung getroffen ist. So einfach ist es jedoch nicht. Der Gleichwert von 2 000 Mrd. USD muss über den Mehrwert aus dem Produktionssystem generiert werden. Erst dann kann dieser Betrag an die Finanzinstitutionen verteilt werden, die sie sodann über das System an Unternehmen und Privatpersonen bereitstellen. Die Regierungen sind bereit, Obligationen auszugeben, die die Garantie für die von den Banken aufgenommenen künftigen Schulden leisten. Mit anderen Worten werden künftige Generationen größeren Mehrwert zu erzeugen haben, um die von den heutigen Entscheidungsträgern angehäuften Schulden zurückzuzahlen. Die Hinterlassenschaft unserer Generation wird nicht nur darin bestehen, dass die Sicherung besserer Bedingungen für unsere Kinder und Großkinder gescheitert ist, sondern wir werden infolge der derzeitigen Finanzkrise auch einen größeren Schuldenberg hinterlassen. Unserer Gesellschaft beruht auf Konsum. Das Paradoxon ist, dass wir nicht konsumieren können, wenn wir nicht produzieren, und wenn wir nicht produzieren, können wir auch nicht konsumieren. Nichts von alledem deutet auf eine Rückkehr zu ländlichen Wirtschaften oder zu den primitiven Modellen der auf dem Tauschhandel beruhenden Wirtschaften hin. Dies ist jedoch eine Zeit, in der wir einen klaren Kopf bekommen und die Art und Weise neu überdenken müssen, wie wir die Grundwerte festigen und stärken können, auf die die Gesellschaft nach unserer Überzeugung aufgebaut werden sollte. Das System des privaten Kapitals kommt schlecht weg. Es ist nachweislich nicht das Modell, das gerüstet ist, die enormen Probleme zu lösen, vor denen eine Welt steht, die mit Armut, unzulänglichem Gesundheitswesen und ungenügenden sanitären Anlagen, Unwissenheit und unzureichender Bildung, Klimawandel und Wasserknappheit, Migration und moderner Sklaverei sowie der Geißel der Not zu kämpfen hat, von der Millionen von Menschen in aller Welt, insbesondere aber in Afrika, betroffen sind. All diese und viele weitere Probleme sind trotz Versprechungen, dass die Globalisierung der durch die freie Marktwirtschaft angetriebenen Weltwirtschaft Lösungen bringen wird, nach wie vor ungelöst. Es wurde erklärt, der Markt könne auf sich selbst aufpassen. Es bestehe keinerlei Bedarf an irgendeiner Form staatlicher Intervention oder Kontrolle. Nun erfahren wir die Folgen der törichten Liberalisierung der Wirtschaft, die zunächst von Reagan und Thatcher gefördert und in der Folge von anderen übernommen wurde, darunter von vielen fortschrittlichen und sozialen demokratischen Parteien und Regierungen. Wir brauchen einen neuen Kurs. Wir können damit beginnen, auf eine gerechtere Verteilung des Wohlstandes der Welt hinzuwirken. Hierbei hat die Gewerkschaftsbewegung auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene eine bedeutende Rolle zu spielen. Mittels Kollektivverhandlungen können wir mit der Erneuerung des Dialogs beginnen, der zu Fairness, Belohnung und Gerechtigkeit für die Menschen führt, die im Zuge der überstürzten Stützung des zusammenbrechenden Systems der Globalisierung vergessen gingen. Die Krise kann gelöst werden, und eine Rückkehr zu Menschenwürdigkeit ist möglich, doch wird dies nicht geschehen, wenn wir den Beschäftigten kein Mitspracherecht einräumen. Das bedeutet, dass sichergestellt werden muss, dass das Recht auf gewerkschaftlichen Zusammenschluss und auf Kollektivverhandlungen das Fundament einer neuen wirtschaftlichen und sozialen Struktur ist, die uns die Mittel in die Hand gibt, dafür zu sorgen, dass wir nie wieder die Geiseln cleverer und zwielichtiger globaler Marktakteure sein werden. Marcello Malentacchi ist Generalsekretär des Internationalen Metallgewerkschaftsbundes. ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 9 Qualitätsvolle öffentliche Dienste sind der Schlüssel Eine Alternativ VON Peter Waldorff DER ÖFFENTLICHE SEKTOR IST NACH 30 JAHREN MISSWIRTSCHAFT AUFGERUFEN, DAS DURCH DEN UNGEZÜGELTEN UND WEITGEHEND UNREGULIERTEN GLOBALEN KAPITALISMUS ANGERICHTETE CHAOS GIER DER UNTERNEHMENSMANAGER UND DIE FEHLER DER MARKTFUNDAMENTALISTEN BEZAHLEN. ES IST ZUTIEFST IRONISCH, DASS ES EINER DER HAUPTSÄCHLICHEN GRUNDSÄTZE IHRER IN VERRUF GERATENEN IDEOLOGIE WAR, DIE STAATSGEWALT ENTWEDER DURCH DEREGULIERUNG ODER PRIVATISIERUNG ZU REDUZIEREN. DIES SCHEINT JEDOCH IN VERGESSENHEIT GERATEN ZU SEIN, DA NUN AN DIE © tom fewster /istockphoto.com WIEDER IN ORDNUNG ZU BRINGEN. WIR SOLLEN FÜR DIE UNERSÄTTLICHE REGIERUNGEN APPELLIERT WIRD, SIE ZU RETTEN UND DEN SCHADEN INFOLGE DES JAHRELANGEN MISSBRAUCHS DES ÖFFENTLICHEN WOHLSTANDES ZU REPARIEREN. Jeffrey Sachs fordert in einem Artikel des Time Magazine im Januar 2009 mehr Staatsgewalt. Es ist ein Aufruf an die Entscheidungsträger, dass akzeptiert werden muss, dass Regierungen und öffentliche Dienste Teil der Lösung und nicht Teil des Problems sind. Die Panikmache der Medien wegen der steigenden öffentlichen Defizite schert die reale Welt nur wenig. Eine kürzlich erstellte Studie der Forschungsabteilung des internationalen Forschungsinstituts für öffentliche Dienste (Public Services International Research Unit, PSIRU) stellt klar, dass die Krise nicht durch übermäßige Kreditaufnahmen seitens der Regierungen verursacht wurde. Sie zieht den Schluss, dass die USA, Großbritannien und einige andere Länder der Europäischen Union ihre Defizite infolge der Verstaatlichung und der Ankurbelungsmaßnahmen zwar beträchtlich erhöhen, dass es jedoch keine Anzeichen dafür gibt, dass sie Schwierigkeiten haben werden, diese Defizite zu finanzieren. Eine kleine Minderheit von Ländern verzeichnet zwar hohe Defizite und hat 10 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 Probleme, sie zu finanzieren, darunter Pakistan, Ungarn, die Ukraine, Island und die Türkei, doch gibt es weder in anderen Industrienationen noch in Entwicklungsländern eine allgemeine Krise bei den Staatsdefiziten. Es steht fest, dass die Marktfundamentalisten ihren Schaden angerichtet haben. Sie kontrollieren jedoch nach wie vor umfangreiche finanzielle, politische oder intellektuelle Ressourcen. Sie betreiben nach wie vor Lobbyarbeit, um Rechtsvorschriften zu blockieren, die ihren Interessen entgegenstehen könnten, und werden versuchen, selbst die Argumente bezüglich der öffentlichen Rettungsmaßnahmen, die für die Bezahlung ihrer Exzesse erforderlich sind, neu zu definieren. Die Internationale der Öffentlichen Dienste arbeitet zurzeit mit dem IGB zusammen im Bemühen, die Rechte der Beschäftigten und ihrer Familien in die laufende Debatte über die neue Finanzarchitektur und die wirtschaftlichen Ankurbelungsmaßnahmen einzubringen, sei es auf Ebene des Gipfels der G-20-Länder oder bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sie arbeitet auch mit anderen Globalen Gewerkschaftsverbänden zusammen, um die öffentlichen Dienste in den Mittelpunkt der Strategien für eine Erholung zu stellen. Die Argumente zugunsten der Achtung der Werte des öffentlichen Dienstes im Rahmen der Dienstleistungen, die die Gesellschaft benötigt, um funktionieren zu können, waren nie so wichtig wie zu einer Zeit, in der der Privatsektor den Gemeinschaften in aller Welt derart drastischen Schaden zufügt. ve zum Kapital Die derzeitigen Programme für Infrastrukturinvestitionen sind ein Weg, den wirtschaftlichen Anreiz bereitzustellen, der für die Milderung der Auswirkungen der derzeitigen globalen Rezession und die Verbesserung der Lebensqualität für alle erforderlich ist. In erster Linie als Mittel für einen wirtschaftlichen Anreiz geben die Regierungen Milliarden für die Verbesserung der Infrastruktur aus, und es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir dafür sorgen, dass diese öffentlichen Gelder für die Stärkung der Rechte und Bedingungen aller Beschäftigten aufgewandt wird. Was wir nicht benötigen, sind weitere Vorwände für die Privatisierung. Wir müssen nachdrücklich Argumente dafür liefern, dass die Privatisierung gescheitert ist, zu viel kostet und die Erfordernisse unserer Familien und unsere Gemeinschaften nicht erfüllt. Es gibt keine Entschuldigung für ineffiziente, intransparente und reaktionsunfähige Regierungen oder öffentliche Dienste. Die öffentlichen Dienste können und müssen verbessert werden, und die IÖD arbeitet mit verschiedenen Gewerkschaften zusammen, um positive Modelle moderner Kommunen zu schaffen. Die Gefährdung der kapitalgedeckten Rentenfonds der Beschäftigte des öffentlichen Dienstes ist ein Aspekt, bei dem die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes die Hoffnungslosigkeit der Rezession und des finanziellen Zusammenbruchs zu spüren bekamen. Diejenigen Pensionskassen, die in Wertpapiere oder in Private-EquityGesellschaften, Hedgefonds und komplizierte Schuldtitel investierten, verloren enorme Geldsummen. Viele Regierungen werden zweifellos Lohnbeschränkungen fordern, um die erwähnten Verbindlichkeiten auszugleichen. Wir müssen jedoch unter anderem die Frage stellen, welche Rolle die Fondsverwalter bei der Beschleunigung der Krise spielten und, was noch wichtiger ist, welche Politik, welche Richtlinien und welche Schutzklauseln unsere Rentenfonds umsetzen müssen, um zur Lösung beizutragen. In den USA untersuchen wir Mechanismen, die es ermöglichen, dass Rentenfonds in das von Präsident Obama eingeführte massive Infrastrukturprogramm investieren können. Es ist zu hoffen, dass die Finanzsteuerung es erlauben wird, in öffentliche Dienste, nicht in Privatisierung zu investieren. Wir wissen, dass die Finanzkrise in den kommenden Jahren noch mehr Armut in der Welt erzeugen wird. Der Internationale Währungsfonds prognostiziert eine Zunahme der Arbeitsplatzverluste für praktisch jedes Land der Welt. Der Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), Juan Somavia, erklärte kürzlich, dass die Zahl der erwerbstätigen Armen, die von weniger als einem Dollar pro Tag leben, um rund 40 Millionen und die Zahl derjenigen, die von zwei Dollar pro Tag leben, um über 100 Millionen zunehmen könnte. Deshalb besteht um so mehr Grund, auf ein umfassendes System der sozialen Sicherheit in Anlehnung an die von der IAO geförderte Basisuntergrenze für soziale Sicherheit zu dringen. Dieses System wird eine Altersabsicherung für Beschäftigte in zahlreichen Ländern bereitstellen, die über kein öffentliches kein System und lediglich minimale private Renten verfügen. Die Regierungen sollten auch weit mehr Verantwortung übernehmen, wenn es um die Schaffung einer aktiven Arbeitsmarktpolitik geht – indem in die Entwicklung neuer Kompetenzen für Menschen investiert wird, die Gefahr laufen, ihre Arbeitsplätze in den gefährdeten Sektoren zu verlieren. Für Banker und die internationale Gemeinschaft ist es an der Zeit, sich dem weltweiten Publikum zu stellen. Es ist Zeit für Transparenz, nicht für geheime Sitzungen und Insidergeschäfte. Wir benötigen mehr denn je eine öffentliche Rechenschaftspflicht und Teilnahme der Regierungen, um die Welt wieder auf Kurs zu bringen und zur Beseitigung der Armut beizutragen. Den Beschäftigten bietet sich die seltene Gelegenheit, um menschenwürdige Arbeit und öffentliche Dienste von hoher Qualität zu kämpfen, und sie sollten sie nicht verpassen. Peter Waldorff ist Generalsekretär der Internationale der Öffentlichen Dienste. ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 11 Menschen und Politik sollen die Kontrolle wieder übernehmen Es geht um Macht VON Ron Oswald DIE KRISE DES INTERNATIONALEN FINANZSYSTEMS UND DEREN FOLGEN FÜR DIE WIRTSCHAFT VERSETZT TAUSENDE BESCHÄFTIGTE, VIELE VON IHNEN MITGLIEDER DER IUL, IN EINE NOTLAGE. ES FÄLLT ÄUSSERST SCHWER, VON CHANCEN ZU SPRECHEN, DOCH EINES IST SICHER – DIESES SYSTEM KANN NICHT MEHR FUNKTIONIEREN WIE ZUVOR. Die Deregulierung der Märkte wird heftiger als seit Jahrzehnten kritisiert, und der freie Markt ist als Modell für die Funktionsweise der Weltwirtschaft vollständig in Misskredit geraten. Wir haben nun die Chance, das neoliberale System zu ändern. Die Vorstellung, dass die Politik ihre Rolle als Triebkraft der Wirtschaft erneut bekräftigen muss, findet weitverbreitete Unterstützung. Wenn wir daher von Chancen sprechen, beziehen wir uns auf politische Chancen, die das Ziel verfolgen, die internationalen Institutionen, die bisher den uneingeschränkten freien Kapitalismus schützten, zu verbessern und umzugestalten, damit die Regulierung des Kapitals anstelle der Deregulierung der Wirtschaft in den Mittelpunkt gestellt wird. Wir haben jedoch noch einen weiten Weg vor uns. Was wir bisher gesehen haben, sind nationale Bemühungen in verschiedenen Ländern in aller Welt, die darauf abzielen, dem freien Markt eine politische Kontrolle aufzuerlegen. Viele Regierungen unternehmen direkte Interventionen, um die Kontrolle über das Bankensystem zu übernehmen, doch sind viele nicht bereit, die Macht tatsächlich auszuüben, über die sie verfügen. Die britische Regierung beispielsweise intervenierte wie viele andere im Bankensystem, doch anstatt eine klare Richtung anzugeben, beschränkt sie sich darauf, bestimmte Maßnahmen anzuregen oder zu fordern. Angesichts des ganzen Geredes in politischen Kreisen von „einer neuen globalen Finanzarchitektur“ produzierte die erste Tagung der Regierungschefs der Welt zur Bewältigung der Finanzkrise im 12 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 November 2008 in Washington lediglich magere Ergebnisse. Trotz der Finanzspritzen von Billionen Dollar öffentlicher Gelder in die nationalen Bankensysteme geht das finanzielle Massaker weiter und vernichtet nunmehr auch den Fertigungsund den Dienstleistungssektor. Während stündlich Arbeitsplätze in aller Welt vernichtet werden, werden massive neue Finanzwetten auf Unternehmensschulden und Aktienwerte abgeschlossen, da die Investoren aus dem Schaden Kapital zu schlagen versuchen. Der vage und lustlose Zeitplan des Gipfels für einen Wandel enthüllte eine politische Gemeinschaft, die – im Gegensatz zu den präzisen und schwierigen Erfordernissen des Finanzsektors – unsicher und unkonzentriert ist. Das Internationale Finanzinstitut (IFI), die internationale Lobbyorganisation des Finanzsektors, legte am Vortag des Gipfels ihre Forderungen in einem vom Vorsitzenden des IFI (und Deutsche-Bank-Chef) Josef Ackermann und vier weiteren hochrangigen Bankern unterzeichneten Schreiben dar. Es nannte zwei Schlüsselforderungen: erstens die Einsetzung eines „Global Financial Regulatory Coordinating Council“, der das internationale Finanzsystem lenken soll, und zweitens die Erweiterung des Clubs ausgewählter Nationen von G-8 auf G-20. Im Entwurf für den neuen Rat versucht das IFI die Rolle des Internationalen Währungsfonds trotz dessen destruktiver Rolle in früheren Krisen zu stärken. Der Rat soll als Dachorganisation für Privatbanken und die multilateralen Kreditinstitutionen dienen und mit „Colleges of Supervisors“ verbunden sein, die (mit den Worten des Schreibens) die 30 bis 40 größten globalen Finanzdienstleistungsinstitutionen überwachen. Das IFI hält die Erweiterung der G-8 auf G-20 und verstärkte Vertretungsrechte für das, was sie als „mehrere systemisch wichtige Entwicklungsländer“ im IWF und sonstigen multilateralen Organisationen bezeichnet, für die Grundlage einer Expansion und weiteren Integration des globalen Finanzdienstleistungssektors. Die führenden Köpfe des Finanzsektors, die vom Wahnwitz ihrer früheren Aktionen unbeeindruckt sind, haben einen klaren Zeitplan. Sie erklärten: „Während die normale Funktionsweise der Finanzinstitutionen und der Märkte wiederhergestellt wird, müssen angemessen definierte Ausstiegsstrategien formuliert und umgesetzt werden. Notmaßnahmen sollte nicht die Grundlage für eine permanent stärkere Rolle der Öffentlichkeit im internationalen Finanzsystem bilden: Dies würde Gefahr laufen, die Aussichten auf erneuertes nachhaltiges Wachstum der Produktion und der Arbeitsplätze zu verzögern, indem eine erhebliche Ineffizienz in die globalen Märkte eingeführt wird.“ Die Botschaft ist klar: In Zeiten der Krise sollen die Regierungen den Finanzsektor retten und sich sodann in ihre herkömmlich begrenztere Rolle zurückziehen, die darin besteht, die Expansion des privaten Kapitals durch Garantie der Staatsverschuldung zu unterstützen. Reflektiert die kümmerliche Leistung der Regierungen lediglich ihre fehlende Bereitschaft und Vorstellungskraft? Ist die Vorstellung realistisch, dass sich spontan Alternativen zur neoliberalen Orthodoxie aus einer Gruppe von acht auf 20, 30 oder mehr Zentralbanken erweiterten Gruppe ergeben werden, wenn die einzige gemeinsame Verpflichtung ihrer nationalen Background image © Palto/istockphoto.com Finanzlobbies die ist, den Wert ihrer Dollarreserven zu schützen? Die Erweiterung der Teilnahme (ausgewählter) Entwicklungsländer an den Vorhaben der globalen Gipfeltreffen erfüllt zwar die Forderungen nach einer verstärkten Vertretung, lässt jedoch die sozialen Beziehungen und das Gleichgewicht der Kräfte unerwähnt, die die Grundursache des Systems und von dessen derzeitiger Krise sind. Eine neue Finanzarchitektur wird nicht dadurch aufgebaut, das lediglich neue Räume hinzugefügt werden. Es ist ein neues Fundament erforderlich, dass wir nicht durch „Lobbying“ beim IWF oder periodische Klausurtagungen der Regierungen erreichen werden. Wir benötigen eine Intervention, die jedoch weniger kopfscheu sein und auf globaler Ebene erfolgen muss. Die internationalen Institutionen, die Weltbank und der Internationale Währungsfonds, die vor 60 Jahren gegründet wurden, müssen damit beginnen, als Marktregulierer aufzutreten. Dadurch können sie die Grundlage für die Schaffung einer nachhaltigen Weltwirtschaft legen, die heute weitgehend fehlt. Diese internationalen Organisationen, die nach dem Ort ihrer Gründung auch als Bretton-WoodsInstitutionen bezeichnet werden, wurden in einer Welt geschaffen, die von der heutigen äußerst verschieden ist. Die Arbeitnehmer fordern neue, demokratischeren Institutionen, die den Welthandel und die Wirtschaftsangelegenheiten lenken. Sie betrachten die Verbreitung der Armut und Mittellosigkeit in aller Welt als weit größeres Problem für die Sicherheit des Planeten als diejenigen Fragen, die auf der Agenda des zur Erhaltung des Friedens verpflichteten Sicherheitsrates der Vereinten Nationen stehen. Waffenstillstände und Friedensverträge sind jedoch nicht genug, um eine gerechte und freie Gesellschaft aufzubauen. Vielleicht könnten wir echte Macht – ähnlich wie diejenige, über die der Sicherheitsrat verfügt – in den Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) einbringen. Dieses Gremium, das über das Mandat und die Autorität sowie die politische Fähigkeit verfügt, eine nachhaltige Wirtschaft aufzuerlegen, könnte viel bewegen, um friedlichere, prosperierende und sozial gerechtere Gesellschaften aufzubauen. Die Geißel der Armut und der Skandal der sozialen Ungleichheit sind tief wurzelnde Probleme, die angegangen werden müssen, wenn wir die Schaffung eines dauerhaften Friedens ernstnehmen. Die Forderungen nach einer verstärkten Ankurbelung der Nachfrage, mehr Gerechtigkeit und vermehrter Achtung der Arbeitnehmerrechte werden voraussichtlich nicht besser als in der Vergangenheit beachtet werden. Die ganze Erfahrung der letzten zwei Jahrzehnte, in denen die historischen Errungenschaften der Gewerkschaften an praktisch jeder Front zurückgedrängt wurden, sagt etwas anderes aus. Die Gewerkschaftsbewegung ist auf nationaler und internationaler Ebene mit einer Krise von enormer Tiefe und von extremem Umfang konfrontiert. Institutionen wie dem IWF, die herkömmlich als Instrumente für die Beilegung begrenzterer Krisen dienten, fehlt es heute an den Ressourcen, diese zu bewältigen. Zudem stehen die Regierungen zurzeit nicht unter dem massiven sozialen und politischen Druck, der sie zur Bewältigung der Krise in einer Weise zwingen könnte, die eine jahrzehntelange soziale und ökologische Vernichtung umkehren und die Fähigkeit der Arbeitnehmer zur Mobilisierung stärken könnte. In dieser Situation sind alle Fragen – und sind als Chance für die Gewerkschaften zu verstehen, mittels neuer Allianzen auf neue Weise zu intervenieren. Wenn die Regierungen nicht in der Lage sind zu handeln, reicht es nicht aus, auf das Programm und die Strategien des IFI und auf die Leute zurückzugreifen, die uns dieses Chaos überhaupt erst beschert haben. Die IUL ihrerseits steht bei der Förderung eines neuen Ansatzes vor zwei Aufgaben. Die erste betrifft die Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedern, um sie möglichst gut vor den Auswirkungen der Wirtschaftsrezession und des Zusammenbruchs zu schützen. Wir weisen die Illusion zurück, die bisweilen in Diskussionen über eine „Finanzwirtschaft“ und eine „Realwirtschaft“ entsteht. Es gibt nur eine Wirtschaft. Nur die Manipulation von Unternehmen und Körperschaften ermöglichte die Trennung der Finanzangelegenheiten von realwirtschaftlichen Fragen. Wir müssen uns in der einzigen Weltwirtschaft zusammenschließen, um uns zu schützen, insbesondere vor transnationalen Konzernen, die infolge der Krise stark unter Druck stehen, jedoch versuchen, die durch die Krise erzeugte Angst zu nutzen, um die Änderungen bei der Beschäftigung und den Gewerkschaftsrechten aufzuzwingen, die sie seit langem vornehmen wollten. Unsere zweite Aufgabe wird darin bestehen, uns anderen in der weltweiten Gewerkschaftsbewegung und der breiteren Zivilgesellschaft anzuschließen und eine Änderung der Art und Weise zu fordern, wie die Wirtschaft reguliert wird. Wir müssen zügig handeln, weil diese lautstarken Forderungen nach einem Wandel möglicherweise nicht lange anhalten werden. Es gibt nach wie vor jene, die der Überzeugung sind, dass das System „im Grunde solide“ ist. Das ist es nicht, doch werden sie, wenn sie die Gelegenheit erhalten und mit den Milliarden öffentlicher Gelder, mit denen sie unterstützten werden, versuchen, ihre Glaubwürdigkeit und ihre Strukturen wiederaufzubauen, ohne die Grundlagen zu verändern, die dem freien Handel und den Fundamentalisten des freien Marktes in den vergangenen 30 Jahren uneingeschränkten Einfluss ermöglichten. Wir sollten am Arbeitsplatz, auf den Straßen, auf jedem öffentlichen Forum und mittels der Schaffung neuer Foren fordern, dass die Regierungen und Unternehmen für die Zunahme der Arbeitslosigkeit in einer Zeit, in der nie dagewesene Summen öffentlicher Gelder in das Bankensystem gepumpt werden, zur Rechenschaft gezogen werden. Nach der größten Verstaatlichung in der Geschichte sollten die Gewerkschaften darauf beharren, dass die Banken als Gemeingut reguliert, als öffentlicher Versorgungsbetrieb strukturiert werden und für die Verfolgung demokratischer Grundsatzziele rechenschaftspflichtig sind. Die Mittel zur Finanzierung realer Investitionen, nicht des Finanzwesens, müssen aufgewandt werden. Wir müssen uns einer breiten Bewegung anschließen, die auf tiefgreifende und fundamentale Veränderungen bei den internationalen Institutionen abzielt, damit sich diese den Zielen der Kontrolle und der Regulierung der heutigen Weltwirtschaft anpassen. Dies wird nicht über Nacht geschehen, doch haben wir die Chance, aus diesem Schatten zu treten und die Gewerkschaftsbewegung in den Mittelpunkt der Forderungen nach einem Wandel zu stellen, der eine Welt schaffen wird, die grundlegend verschieden von derjenigen sein wird, wie wir soeben ertragen haben. Ron Oswald ist Generalsekretär der IUL, der Internationalen Union der Lebensmittel-, Landwirtschafts-, Hotel-, Restaurant-, Café- und Genussmittelarbeiter-Gewerkschaften. ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 13 Wieder auf de Arbeitsmigranten/innen in der Rez VON Anita Normark MINDESTENS 5 MILLIONEN ARBEITNEHMER WELTWEIT VERLOREN INFOLGE DER WELTWIRTSCHAFTSKRISE ALLEIN IM JAHRE 2008 IHRE ARBEITSPLÄTZE. SIE GEHÖRTEN ZU DEN ERSTEN BETROFFENEN ALS DIE US-IMMOBILIENBLASE PLATZTE. Allein in den USA verloren im letzten Quartal 2008 über 30 000 Arbeitnehmer im Bausektor ihre Arbeitsplätze. Arbeitsmigranten/innen aus Mexiko und anderen mittelamerikanischen Ländern, die im Baugewerbe tätig sind, trugen die Hauptlast des Zusammenbruchs des Sektors in den USA. Da das Baugewerbe für den Bau von Infrastrukturen und Wohnungen weitgehend von öffentlichen Investitionen abhängig ist, ist es einer der am härtesten betroffenen Sektoren. Infolgedessen wurden auch die Beschäftigten in Sektoren, die Baumaterial und Holz liefern, entlassen, als die Nachfrage zurückging. Das Baugewerbe zog Arbeitsmigranten/innen an, die häufig in gering qualifizierten und schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind, und trug erheblich zum jüngsten Wirtschaftswachstum bei. Der Sektor stellt im Verhältnis zu anderen Sektoren mehr Arbeitsmigranten/innen ein. Überall in der Welt, wo Arbeitsmigranten/innen im Zuge des Aufschwungs des Baugewerbes vor der Finanzkrise ausgebeutet wurden, wiederholt sich die Geschichte. Viele wurden von skrupellosen Arbeitgebern und Agenturen rücksichtslos ausgenutzt. Die Gewerkschaften in zahlreichen Gastländern setzten sich energisch dafür ein, die Arbeitsmigranten/innen gewerkschaftlich zu organisieren und sie bei der Wahrung ihrer Rechte zu unterstützen sowie die herrschenden 14 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 Entgelts- und nationalen Normen zu schützen. Die Arbeitsmigranten/innen dürften die Ersten sein, die entlassen werden. In Dubai beispielsweise gehörten schlecht bezahlte asiatische Beschäftigte, die man geholt hatte, um die Wolkenkratzer zu bauen, zu den ersten Opfern der Weltwirtschaftskrise. Aus Berichten geht hervor, dass in den Vereinigten Arabischen Emiraten Bauvorhaben im Wert von rund 600 Mrd. USD gestoppt wurden, wodurch über 45% der im Baugewerbe Beschäftigten ihre Arbeit verloren. In China meldeten sich Millionen ländlicher Arbeitsmigranten/innen für Bauarbeiten im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen im Jahre 2008 in Peking sowie für Bauvorhaben in anderen Städten. Von den schätzungsweise 28 Millionen Beschäftigten, die aus ländlichen Gebieten kamen, verloren 3 Millionen im Jahre 2008 ihre Arbeitsplätze. Viele Regierungen neigen infolge der Auswirkungen der Finanzkrise nunmehr dazu, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die die ausländischen Arbeitskräfte dazu zwingen, das Land zu verlassen. Einige Beispiele: O Die Regierung in Thailand kündigte an, dass sie im Jahre 2009 keine Arbeitsmigranten/ innen neu registrieren werde in der Hoffnung, dass einige von ihnen das Land verlassen würden, wenn ihre Arbeitsgenehmigungen Background image © clint spencer/istockphoto.com auslaufen, was Arbeitsplätze für Thailänder öffnen würde, wenn die Arbeitslosigkeit ansteigt. O Die malaysische Regierung stoppte die Einwanderung von Arbeitsmigranten/innen, um die Arbeitsplätze den malaysischen Arbeitskräften verfügbar zu machen, und wies die Unternehmen an, die ausländischen Beschäftigten zuerst zu entlassen. O Die spanische Regierung bot arbeitslosen Arbeitsmigranten/innen, die Arbeitslosenversicherungsansprüche erworben hatten, Pauschalzahlungen an, wenn sie das Land verlassen würden. Viele Arbeitsmigranten/innen waren im Baugewerbe tätig. O In Russland engagierte sich die Jugendsektion der Einheitspartei in einer Kampagne zur Rückforderung von Arbeitsplätzen für Russen, die von ausländischen Arbeitsmigranten/innen besetzt sind. Sie wollen auf den Baustellen Streife gehen, um laut ihren Aussagen „zu vermeiden, ausländische Wirtschaften zu nähren und Geld ins Ausland zu schicken, indem Arbeitsmigranten/ innen bezahlt werden“. Die Einschränkung der kontrollierten und regulären Migration wird dazu führen, dass vielen Herkunftsländern die dringend benötigten Geldsendungen er Straße zession unter Beschuss entzogen werden, doch sind viele Gastländer auf Arbeitsmigranten/innen angewiesen und profitieren von diesen Arbeitskräften. Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, sollte den Arbeitsmigranten/innen in den Gastländern Gleichbehandlung garantiert werden, die regulären Migrationskanäle müssen kontrolliert werden, und es muss eine einheitliche Migrationspolitik innerhalb und zwischen den Nationen umgesetzt werden. Die Rettungsaktionen für Banken und Industrie mögen eine notwendige kurzfristige Lösung für die unmittelbaren Probleme sein, die auch für das Baugewerbe die erforderlichen Kredite bereitstellen, doch reichen sie für eine nachhaltigere Lösung bei weitem nicht aus. Für eine längerfristige Lösung ist ein neuer Sanierungsplan zur Stabilisierung der globalen Kapitalmärkte und für massive öffentliche Investitionen in die Infrastruktur erforderlich. Dieser Plan wird auch die hart betroffenen Bau- und Baumaterialsektoren unterstützen. Ferner sind Anreizmaßnahmen im Baugewerbe notwendig, um die Kohlenstoffemissionen zu verringern, Energie einzusparen und neue Formen umweltfreundlicher Energie zu fördern. Doch während umfangreiche öffentliche Gelder aufgewandt werden, müssen auch die sozialen und ökologischen Bedingungen der Auftragsvergabe garantiert werden. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen und die Internationale Arbeitsorganisation fordern die Lancierung eines „grünen New Deals“. Ein „grüner New Deal“ kann die Grundlage für eine Erholung bilden, die sowohl menschenwürdige Arbeit bereitstellt als auch zur Bekämpfung des Klimawandels beiträgt. Der US-Bericht, Green Recovery: A Program to Create Good Jobs and Start Building a Low-Carbon Economy (Grüne Erholung: ein Programm zur Schaffung angemessener Arbeitsplätze und zum Aufbau einer kohlenstoffarmen Wirtschaft) macht geltend, dass ein Investitionsprogramm von 100 Mrd. USD in die grüne Wirtschaftserholung zugunsten der Energieeffizienz im Laufe von zwei Jahren 2 Millionen Arbeitsplätze in den USA schaffen und zugleich die Erderwärmung bekämpfen und eine grüne, kohlenstoffarme Wirtschaft aufbauen würde. Es sind Lösungen vorhanden, die funktionieren werden. Wenn die Schaffung von Arbeit für die Menschen der wichtigste Schritt ist, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, dann können Lohnkürzungen nicht als Teil der Lösung angesehen werden. Sie tragen vielmehr zu dem Problem bei, da die Beschäftigten weniger Geld ausgeben können und dadurch weniger indirekte Arbeitsplätze in anderen Sektoren schaffen. Menschen mit stabiler Beschäftigung und angemessenem Einkommen geben Geld aus und schaffen dadurch mehr Arbeitsplätze in anderen Sektoren. Die indirekte Arbeitsplatzbeschaffung im Baugewerbe wurde auf rund drei zu eins geschätzt. Um die Gefahr zu vermeiden, dass qualifizierte Beschäftigte verloren gehen, die zu ersetzen Jahre in Anspruch nehmen würde, ist die Förderung der beruflichen Aus- und Weiterbildung eine wichtige Maßnahme. Diese ist von wesentlicher Bedeutung und sollte verstärkt werden. Es sollten Bemühungen unternommen werden, gemeinsame konstruktive Lösungen zwischen Sozialpartnern und Regierungen zu finden. Im besten Fall sollte die Arbeitsplatzbeschaffung vorzugsweise in den Heimatländern der Menschen erfolgen, damit sie nicht gezwungen sind, aus wirtschaftlichen oder sozialen Gründen ihr Land zu verlassen. Die Migration wird jedoch im Baugewerbe mit Sicherheit auch in Zukunft Teil des Sektors bleiben, doch wird dies nur funktionieren, wenn allen Beschäftigten gleiche Rechte garantiert und Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Migration getroffen werden. Die Rezession weist kaum gute Seiten auf, doch besteht kein Zweifel, dass sie eine Chance bietet, in Menschen und deren Lebensqualität zu investieren. Mit einem verstärkten Sozialschutz, einschließlich der Renten, Arbeitslosengelder, Kinderbeihilfe- und Gesundheitssysteme, mit vermehrter Achtung der Arbeitnehmerrechte, mit einem neuen und funktionierenden System für das globale Finanzwesen gibt es keinen Grund, weshalb wir, geleitet von klugen und auf Menschen ausgerichteten Investitionen, nicht rasch handeln könnten, um die darniederliegenden Wirtschaften wiederaufzubauen und die Weichen für Erholung und eine nachhaltige Entwicklung zu stellen. ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 15 Bildung ist ein wesentliches Instrument Schulbildung für Wirtschaftsaufschwung VON Fred van Leeuwen MANCHMAL IST ES SO, DASS WIR VERMEHRTE INVESTITIONEN IN DIE MENSCHEN UND INSBESONDERE IN IHRE BILDUNG BENÖTIGEN. IN ANBETRACHT DESSEN IST DIE BILDUNGSINTERNATIONALE (EI) IM BEGRIFF, EINEN AKTIONSPLAN ZU ENTWICKELN, UM NICHT NUR DIE ÖFFENTLICHE FINANZIERUNG DER BILDUNG ZU VERTEIDIGEN, SONDERN AUCH POLITISCHE UNTERSTÜTZUNG FÜR INVESTITIONEN IN DIE BILDUNG ALS ENTSCHEIDENDEM ELEMENT DES WIRTSCHAFTSAUFSCHWUNGS ZU MOBILISIEREN. Die EI lässt sich von der Washingtoner Erklärung der Global Unions im November 2008 und von deren Aufruf inspirieren, dass: es über die Infrastruktur hinaus auch an der Zeit ist, in die Menschen zu investieren, ebenso für eine erneuerte Verpflichtung zur Bereitstellung staatlich finanzierter öffentlicher Dienste von hoher Qualität. Wir fordern die Mitgliedsorganisationen dazu auf, uns ihre Vorstellungen davon zu übermitteln, wie die Bildungsgewerkschaften proaktiv und strategisch vorgehen können, um eine öffentliche Bildung von hoher Qualität zu wahren. und Frauen zählen – viele von ihnen mit hohem Bildungsstand, vielfältigen Qualifikationen und Kompetenzen sowie Erfahrung. Die UNESCO erklärt, die Welt benötige allein 18 Millionen qualifizierte Lehrkräfte, um die demographischen Herausforderungen in den Industrieländern zu bewältigen und eines der wichtigsten MillenniumsEntwicklungsziele zu erreichen – eine Grundschulbildung für alle Kinder in den Entwicklungsländern bis zum Jahr 2015. Weit mehr Lehrkräfte und Ausbilder sind für die Mittelschulbildung und die berufliche Ausbildung erforderlich. Viele der in der derzeitigen Krise von Arbeitslosigkeit Betroffenen dürften sich zum Lehrerberuf oder anderen Arbeitsaufgaben im Bildungswesen hingezogen fühlen. Sie würden positiv auf einen Plan reagieren, der ihnen eine Chance gibt, Qualifikationen für den Lehrerberuf zu erwerben oder eine sonstige Tätigkeit im Bildungswesen zu übernehmen. Ein umfassender auf nationaler Ebene umgesetzter Plan zur Gewinnung arbeitsloser Männer und Frauen für die Lehrtätigkeit würde einen bedeutenden steuerlichen Anreiz bieten. Er würde einen entscheidenden Teil der Pläne zur Wirtschaftserholung bilden und die Bildung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen verstärken. Schulen und sonstige Bildungseinrichtungen dienen den Gemeinschaften in allen Nationen, und die positiven Auswirkungen der Einstellung von mehr Lehrkräften in diesem Sektor werden allen zugute kommen. Investitionen in Menschen, die im Bildungswesen tätig sind, werden zur Lösung beitragen. Der Steueranreiz, der dadurch geschaffen wird, dass qualifizierte und erfahrene Menschen aus der Arbeitslosigkeit geholt und für lohnende Arbeitsplätze im Bildungswesen gewonnen werden, wird sich rascher und umfassender als bloße Infrastrukturprojekte auswirken. Im Jahre 2007 lancierte die EI zusammen mit Novib (Oxfam Niederlande) ein neues Projekt „Qualitätslehrkräfte für alle“, das auf die Bekämpfung des zunehmenden Trends der Regierungen abzielt, mit Unterstützung und Begünstigung der Weltbank unqualifizierte Leute als Lehrkräfte zu Es sind kühne Maßnahmen erforderlich. Wir müssen „um die Ecke“ denken und die Regierungen und Wähler dazu bringen, dies ebenfalls zu tun. Die Welt wird im Jahre 2009 mehrere Millionen neu arbeitslos gewordener Männer 16 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 © Allan Gichigi/IRIN beschäftigen. Wir stellen Musterprogramme auf, um für die derzeit Arbeitslosen eine Ausbildung als Lehrkraft bereitzustellen. Diese Initiative wird in den Entwicklungsländern an Bedeutung zunehmen, während sich die Wirkung der Wirtschaftskrise entfaltet. Lehrkräfte im Norden und im Süden gehen hier gemeinsam vor. Überall sind Verhandlungen zwischen öffentlichen Behörden und Bildungsgewerkschaften über Ausbildungs- und Einführungsprogramme für Lehrkräfte der Schlüssel. Das bedeutet auch erneuerte Bemühungen zur Unterstützung der Kompetenzentwicklung für die EI-Gewerkschaften in den Entwicklungsländern, damit diese wirksam verhandeln können. Nachstehend ein Zehn-Punkte-Plan für eine globale Vereinbarung, die auf nationaler Ebene mittels Verhandlungen zwischen EI-Mitgliedsgewerkschaften und ihren Regierungen umgesetzt werden soll. EI empfiehlt, dass die Bildungsgewerkschaften: DIE ERFORDERNISSE DARLEGEN 1. die Einzelheiten des Personalbedarfs im Bildungswesen zusammenstellen – für Lehr- und andere Stellen in den Schulen, Berufsschulen und sonstigen Bildungseinrichtungen – indem sie auf ihren bestehenden Kenntnisse, Umfragen und Forschungsarbeiten aufbauen. 2. diese Erfordernisse in Bezug auf das Personal ausdrücken, das für die Bereitstellung einer Bildung von hoher Qualität in sicheren Schulen für Kinder und Jugendliche erforderlich ist. NATIONALE PLÄNE FORDERN 3. nationale Pläne aufstellen, um diesen Personalbedarf zu decken. In Ländern mit zwei oder mehr EI-Mitgliedsorganisationen sollten sie versuchen, nach Möglichkeit eine Einigung über einen einzigen Plan zu erzielen. 4. den nationale Plan der Gewerkschaften den Behörden, angeschlossenen und nahestehenden Organisationen, einschließlich der Eltern- und anderen Gewerkschaften unterbreiten und den Plan öffentlich fördern. KAMPAGNE ZUGUNSTEN DER EINSTELLUNG, NICHT DER ENTLASSUNG 5. die Behörden dazu aufrufen, mit Bildungsgewerkschaften zusammenzuarbeiten, um den bestehenden Bestand an Lehrkräften und Unterstützungspersonal aufrechtzuerhalten, sowie Pläne zur Ausbildung und Rekrutierung des Personals zu fordern, das für die Bereitstellung einer Bildung von hoher Qualität in sicheren Schulen benötigt wird. 6. die Gewerkschaftspolitik bezüglich anwendbarer Normen für die Ausbildung der Lehrkräfte bekräftigen. 7. eine verstärkte Ausbildung der Lehrkräfte sowie sonstige Ausbildungsprogramme und Betreuungs- und Einführungsprogramme unterstützen, um das neu eingestellte Personal zu binden. 8. eine Zusammenarbeit in allen Bildungssektoren entwickeln, indem die entscheidende Rolle der Hochschul- und sonstiger höherer Lehrkräfte in den Bereichen Forschung, Innovation und Lehrtätigkeit, einschließlich der Lehrkräfteausbildung, sowie auch die notwendige Verstärkung des Personals für Kleinkindbildung unterstützt werden. © Manoocher Deghati/IRIN O die Bildung sowohl soziale als auch wirtschaftliche Bedeutung hat. Sie spielt eine Schlüsselrolle beim Aufbau und bei der Verteidigung der Demokratie, sie trägt zur individuellen Entfaltung und zum Wohlergehen sowie zur Entwicklung der Gemeinschaft bei, sie ist ein erstklassiger Mechanismus für die Förderung der Gleichstellung, der Nichtdiskriminierung und des Verständnisses zwischen Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund. O eine Bildung von hoher Qualität, die Lehrkräfte von hoher Qualität voraussetzt, deren Status wie auch der Grundsatz anerkannt sind, dass menschenwürdige Arbeitsbedingungen auch menschenwürdige Lernbedingungen sind. O die Bildungsgewerkschaften Schlüsselakteure bei der Entwicklung und Umsetzung der Bildungspolitik sein sollten. Bildung ist ein Menschenrecht. Die Bereitstellung einer öffentlichen Bildung von hoher Qualität für alle in den Entwicklungs- wie in den Industrieländern, ist ein moralisches Gebot. DEN DRUCK AUFRECHTERHALTEN, UM DIE MDG ZU ERREICHEN 9. die Regierungen und die öffentliche Meinung daran erinnern, auf dem Kurs zu bleiben, um die MillenniumsEntwicklungsziele zu erreichen, einschließlich der Bildung für alle; dies ist für die globale Erholung von entscheidender Bedeutung. 10. für mehr, nicht weniger Zusammenarbeit zwischen Norden und Süden eintreten. Die offizielle Entwicklungshilfe muss erhöht werden, multilaterale Entwicklungsstellen müssen gestärkt werden, die Lehrkräfteausbildung muss in Ländern verbessert werden, die sich bemühen, ihre MillenniumsEntwicklungsziele zu erreichen, und die Gewerkschaften können einander mit Kompetenzentwicklung unterstützen. Für eine weltweite Krise muss es eine weltweite Reaktion geben. Aus diesem Grund arbeitet die EI eng mit der UNESCO, der Weltbank, der IAO und der OECD zusammen. Die EI wird bei den Global Unions, bei ihren Partnern in der globalen Kampagne für Bildung, bei Eltern- und Studentengruppen sowie bei Unternehmens- und Industrieorganisationen um Unterstützung nachsuchen. Unsere Vision ist klar. Wenn die Bildung zugunsten der globalen Wirtschaft und zum Nutzen der Gesellschaft insgesamt funktionieren soll, müssen wir anerkennen, dass: O die Bildung ein Gemeingut, nicht eine Ware ist, Wenn diese Grundsätze nicht mehr nur auf dem Papier stehen und als Teil eines durchführbaren Konjunkturprogramms in die Agenda für einen Wandel aufgenommen werden, können sich unsere Kinder und die Bürger/innen insgesamt auf Befriedigenderes als auf höherer Steuerrechnungen und schmerzliche Einschnitte in ihren Lebensstandard freuen. Fred van Leeuwen ist Generalsekretär der Bildungs-Internationale ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 17 Lasst die Krise nicht ungenutzt Krisenzeit VON Neil Kearney IGKEIT EINES FINANZSYSTEMS, IN DEM EIN BESCHÄFTIGTER IM TEXTILSEKTOR IN BANGLADESCH 118 000 JAHRE ARBEITEN MÜSSTE, UM DEN JAHRESBONUS EINES GLOBALEN BANKERS ZU VERDIENEN. Mit unserer Welt ist etwas schrecklich schiefgelaufen. Nach der Bekanntgabe eines Verlustes von 21 Mrd. EUR im Jahre 2008 bildete der Generaldirektor von Merill Lynch eine Rücklage von 3 Mrd. EUR als Boni für Führungskräfte, darunter den atemberaubende Betrag von 27 Mio. EUR für sich selbst. Dies geschah, während Merill Lynch an die Bank of America verkauft wurde, die damals selbst Verluste in Höhe von 31 Mrd. EUR verzeichnete und deren eigener Generaldirektor im vergangenen Jahr 19,5 Mio. EUR an sich selbst auszahlte. Kurz nachdem die Bank of America von der Regierung der USA mit 35 Mrd. EUR gerettet worden war, veranstaltete sie eine Tagung zur Koordinierung der Einwände gegen Vorschläge, die Gewerkschaftsanerkennung in den USA zu erleichtern. Auf der Tagung erklärte der Generaldirektor des Unternehmens Home Depot, es wäre das Ende der Kultur, wie wir sie kennen, wenn die USUnternehmen mit Gewerkschaften zu tun hätten. Es ist dieselbe Home Depot, die ihrem ehemaligen Generaldirektor 195 Mio. EUR bezahlte, als sie ihn nach lediglich 11 Monaten im Job entließ. Die Scheinheiligkeit, Ungerechtigkeit und Unbilligkeit in alledem ist offensichtlich, wenn man bedenkt, dass sich über 2 Millionen Beschäftigte, hauptsächlich Frauen, in der Textilindustrie in Bangladesch mitunter 14 bis 16 Stunden täglich für weniger als 19 EUR pro Monat – 230 EUR pro Jahr – abrackern. Einer dieser Beschäftigten müsste 18 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 118 000 Jahre arbeiten, um den Bonus eines Generaldirektors von Merill Lynch zu verdienen. Angesichts ihrer langen Arbeitszeit und der Hungerlöhne überrascht es nicht, dass viele dieser Beschäftigten wegen Erschöpfung und Mangelernährung häufig an ihren Nähmaschinen zusammenbrechen. Eine derartige Ausbeutung ist das Ergebnis von 20 Jahren unbehinderter Globalisierung. Die Auswirkungen auf die Beschäftigten waren katastrophal. In den letzten zehn Jahren gingen die Reallöhne in der Textil-, Bekleidungs- und Schuhindustrie um 25% zurück, während die Arbeitszeit um 25% zunahm. Marken und Einzelhändler wie WalMart konnten Jahresgewinne von über 10 Mrd. EUR aus dieser Sklavenarbeit ankündigen. Zahlreiche führende Einzelhändler wie Tesco und Marks & Spencer nutzten die weltweite Rezession, um weitere Preissenkungen aus ihren Lieferanten herauszupressen. Diese Preissenkungen werden von den Beschäftigten in Form von Lohnsenkungen, längeren Arbeitszeiten und schlechteren Arbeitsbedingungen zu bezahlen sein. Die Industrie ist nicht zufrieden mit den derzeitigen Lohnuntergrenzen. Sie strebt weiterhin mehr für weniger an und verlässt sich nunmehr zunehmend auf eine wachsende Zahl von Arbeitsmigranten/innen, die für Ausbeutung noch anfälliger sind. Ehemalige Textilbeschäftigte in Rumänien überfluten Westeuropa auf der Suche nach Heimarbeit, weil sie von den in der örtlichen Industrie bezahlten Löhnen nicht leben können. Ihre Arbeitsplätze werden wiederum von Arbeitsmigranten/innen übernommen, die aus China geholt und noch schlechter bezahlt werden. Die Entgelte sind überall im Sektor erschreckend gering, und zwar nicht nur in den am wenigsten entwickelten Ländern. In Bulgarien muss ein Beschäftigter in der Schuhindustrie heute 6,25 Stunden arbeiten, um ein Kilo Rind- fleisch kaufen zu können, 2,5 Stunden für einen Liter Speiseöl und 15 Stunden für ein Kilo Zucker, das heißt, über 10 Stunden pro Tag, und die Miete ist damit nicht bezahlt. Die Regierungen, die auf die globale Rezession reagieren, sprechen davon, dass das Finanzwesen saniert werden muss. Was wir jedoch dringend benötigen, ist eine soziale Sanierung – Arbeitsplätze, die für eine normale Arbeitswoche ein Existenzminimum bezahlen, Schutz vor Verletzungen und Missbrauch sowie das Recht jedes Beschäftigten, einer Gewerkschaft beizutreten und mit seinem Arbeitgeber über menschenwürdige Arbeit zu verhandeln. Meine eigenen Auffassungen entsprechen den Aussagen von jemandem, der sagte: „Lasst nie eine Krise ungenutzt.“ Wir haben genug davon, dass jede Ausbeutung erlaubt ist. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Fertigung zugunsten der Abhängigkeit von Banken und Finanzdienstleistungen aufgegeben wurde. Nun tragen wir die Folgen. Wir sollten einen moralischen und sozialen Kompass schaffen, der menschenwürdige Arbeit in den Mittelpunkt der Aktion stellt, um den Weg aus der Rezession zu weisen. Das bedeutet, diese Krise zu nutzen, um ein neues wirtschaftliches und soziales Terrain als Strategie für eine Erholung und darüber hinaus zu fordern. Hierfür müssen wir © JL Gutierrez/istockphoto.com NEAL KEARNY ZUR SCHEINHEIL- O die zahlreichen Anreizmaßnahmen, die zurzeit eingeführt werden, verstärken und besser planen, indem das Schwergewicht vielmehr auf die Erhaltung und Schaffung menschenwürdige Arbeitsplätze als auf Steuersenkungen für die Reichen und Boni für die Kasino-Cowboys der Bankenwelt gelegt wird, O die Fertigungsindustrie als Schlüssel und wesentliches Element aller Volkswirtschaften fördern, O Lohnkürzungen und schlechtere Bedingungen als Maßnahmen ablehnen, die lediglich einen weiteren Rezessionsdruck erzeugen werden, O auf der Bezahlung eines Existenzminimums für jeden Beschäftigten als wichtigem Anreiz für wachsenden Verbrauch und als Antrieb für den Aufschwung beharren, O Bildung und Ausbildung, insbesondere Schulung für grüne Arbeitsplätze, in den Mittelpunkt der strategischen Planung für eine Erholung stellen, O eine zentrale Rolle für die Beschäftigten und Gewerkschaften auf allen Ebenen bei der Bewältigung der Krise fordern. Der Einfluss der Gewerkschaften bei der Erarbeitung der Maßnahmen Deutschlands zur Verlangsamung und Umkehrung der Rezession verliehen diesen einen eindeutig sozialen Anstrich, der darauf abzielt, die Vernichtung von Arbeitsplätzen zu vermeiden und ein Sprungbrett bereitzustellen, um die allerersten Anzeichen einer Erholung nutzen zu können. Kurzum, wir dürfen die derzeitige Krise nicht ungenutzt lassen, sondern müssen sie stattdessen nutzen, um einen echten Wandel zu bewirken, bei dem menschenwürdige Arbeit, die allen ein Existenzminimum verschafft, der Eckpfeiler der Weltwirtschaft sein wird. Dies ist ein Auszug aus einer Ansprache von Neil Kearney, Generalsekretär der Internationalen Textil-, Bekleidungsund Lederarbeiter-Vereinigung, anlässlich der Lancierung des Werks „Glokers – People, places and ideals about globalised labour“ (Globale Arbeitnehmer – Menschen, Orte und Ideen zur globalisierten Arbeit) von Silvana Cappuccio im Europaparlament. © B. Sandman Superreiche zahlen einen Preis … doch reicht das kaum aus A m Tag, als der größte Gauner der Wallstreet, Bernard Madoff, wegen Betrugs an Tausenden Investoren in Höhe von mindestens 50 Mrd. USD endlich in Handschellen gelegt und ins Gefängnis gebracht wurde, veröffentlichte das Forbes Magazine seine jährliche Liste, aus der hervorgeht, wie die Superreichen der Welt unter dem finanziellen Chaos „leiden“, das viele von ihnen mitverschuldet hatten. Die Liste 2009 der Milliardäre der Welt, die am 11. März veröffentlicht wurde, war um 30% kürzer als diejenige von 2008, was dem ersten Rückgang in sechs Jahren entspricht. Sie zeigte, dass Milliarden Dollar aus dem Vermögen der kapitalistischen Elite vernichtet wurden. Die Zahl der Milliardäre weltweit fiel von einem Höchststand von 1 125 auf 793. Der Gründer von Microsoft, Bill Gates, verlor beim Börsencrash rund 19 Mrd. USD, doch besitzt er noch immer 40 Mrd. USD und ist der reichste Mann der Welt. Selbst der reichste Mann Russlands, Oleg Deripaska, dessen privates Vermögen um 25 Mrd. USD schrumpfte, kann mit 3,5 Mrd. USD in seiner Tasche noch immer ruhig schlafen. Viele der Superreichen waren erheblich an den keineswegs legalen Praktiken an den Finanzmärkten beteiligt, die zur Kreditkrise führten, und im Gegensatz zu Madoff, der den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen dürfte, werden die meisten ohne Gefängnisstrafe davonkommen. Andere müssen noch gefasst und zur Rechenschaft gezogen werden, darunter der mexikanische Drogenhändler Joaquín Guzmán, der von der US-Polizei gesucht wird, jedoch als Neuzugang auf der Liste der Milliardäre von Forbes aufgeführt ist. Selbst wenn Guzmán und andere vor Gericht gebracht werden, besteht kaum Anlass zu Jubel, wenn diejenigen, die in erster Linie für die Finanzkrise verantwortlich sind, ihre gerechte Strafe erhalten. In der Tat bedeutet der schrumpfende Wert der von der reichsten und exklusivsten Gemeinschaft von Milliardären der Welt gesammelten Beute nicht, dass sich die Ungleichheit verringert hat. Die Krise hat jede Gemeinschaft in der ganzen Welt in Mitleidenschaft gezogen, wobei Millionen Menschen und ihre Angehörigen in Arbeitslosigkeit und Armut gestürzt wurden. Diese enorme Wirtschaftsrezession betraf alle, und für die Banker und Spekulanten, die Milliarden verloren, werden keine Tränen vergossen werden. ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 19 ©ftwitty/istockphoto.com Von Washington nach London Die Global Unions setzen auf ihre Vision für Arbeitsplätze und Erholung 20 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 ©Tom Page DIE INTERNATIONALE GEWERKSCHAFTSBEWEGUNG SUCHT DIE FÜHRENDEN PERSÖNLICHKEITEN DER WELT AUF UND STELLEN UMFASSENDE FORDERUNGEN NACH EINEM WANDEL. DIE GLOBAL UNIONS WOLLEN ENERGISCHE MASSNAHMEN ZUR BEWÄLTIGUNG DER WELTWIRTSCHAFTSKRISE, DOCH BEHARREN SIE DARAUF, DASS DIE BESEITIGUNG DES DURCH DEN DESTRUKTIVEN NEOLIBERALISMUS VERURSACHTEN CHAOS LEDIGLICH DER ERSTE SCHRITT SEIN SOLLTE. JOHN EVANS ARGUMENTIERT, DASS DIE ZEIT FÜR EINEN RADIKALEN RICHTUNGSWECHSEL GEKOMMEN IST. D ie Global Unions bedrängen die Treffen von Regierungschefs, Finanz- und Arbeitsministern mit einer Botschaft der Beschäftigten in aller Welt – schafft Arbeitsplätze jetzt, reguliert die Märkte, um sicherzustellen, dass diese wirtschaftliche Katastrophe nie wieder vorkommt, und macht die Welt zu einem gerechteren Ort zum Leben und Arbeiten. Die in der Londoner Erklärung, die dem Gipfel der Gruppe der 20 Nationen im April vorgelegt wurde, und der globale Aktionsplan für Arbeitsplätze, der dem Sozialgipfel der G-8 in Rom unterbreitet wurde, dargelegten Prioritäten umfassen die Gestaltung einer neuen Struktur für die Steuerung des Welthandels und die Entwicklung eines neuen Modells für die Weltwirtschaft, um Arbeitsplätze zu schaffen und eine Krise zu bewältigen, die sowohl die Industrienationen als auch die Entwicklungsländer erschüttert. Die Tatsachen sprechen für sich. Die Weltwirtschaft schrumpft in einem nie dagewesenen Tempo – Arbeitsplätze gehen millionenweise verloren, und jahrelange Fortschritte bei der Erfüllung der Millenniums-Entwicklungsziele für eine Armutsreduzierung wurden in wenigen Monaten vernichtet. Die Leidtragenden sind die Beschäftigten, von denen viele bereits in prekären Arbeitsstellen ohne Sozialschutz tätig sind, und Jugendliche, die in einen Arbeitsmarkt einsteigen, der flauer ist als seit einem halben Jahrhundert. Gruppen wie die G-20 können eine entscheidende Rolle bei der Förderung der Zusammenarbeit zwischen fortgeschrittenen und Schwellenwirtschaften spielen, um die weltweite Finanzstabilität wiederherzustellen. Die Lösung einer Krise, die tiefer und verheerender ist als jede Rezession seit Menschengedenken wird jedoch mehr als lediglich eine Feinabstimmung der Marktregeln voraussetzen, wenn eine dauerhafte Wirtschaftserholung erreicht werden soll. Die Konjunkturpakete, die bisher von den Regierungen der Industrieländer beschlossen wurden, liegen weit unter den 2% des BIP der Welt, die laut den Global Unions und internationalen Institutionen erforderlich sind, um die weltweite Nachfrage zu steigern und die Weltwirtschaft aus dem Abgrund herauszuholen. Die Maßnahmen müssen auf öffentliche Investitionen abzielen, die zügig getätigt werden und sich langfristig positiv auswirken können, indem sie zum einen dazu beitragen, den Klimawandel zu bekämpfen, und zum anderen die Produktivität steigern. Die Regierungen müssen zudem weit mehr Geld für aktive Arbeitsmarktprogramme aufwenden, um die Beschäftigung für die Menschen ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 21 aufrechtzuerhalten und ihnen während der Krise bei der Umschulung zu helfen. Die Gewerkschaften sind davon überzeugt, dass die Krise nicht dadurch gelöst werden kann, dass Arbeitsplätze abgebaut werden, der Lebensstandard gesenkt wird und die Menschen für die Fehler eines Systems büßen müssen, das die weltweiten Bestrebungen nach Gleichstellung und sozialer Gerechtigkeit drastisch verfehlte. Die Botschaft der Global Unions, die in der Londoner Erklärung und in dieser Publikation dargelegt ist, befürwortet einen auf die Menschen ausgerichteten Konjunkturplan, der folgendes fordert O Konzentration auf die Arbeitsplatzbeschaffung und die Erhaltung des Lebensstandards O ein internationales System für wirtschaftliche Steuerung, das in der Achtung der Arbeitnehmerrechte wurzelt O strikte neue Regeln für die Kontrolle der weltweiten Finanzmärkte und O Maßnahmen für Investitionen in eine grüne Agenda, für den Aufbau öffentlicher Dienste und vor allem zur Bekämpfung der wachsenden Ungleichheit in aller Welt. Eine Schlüsselforderung, die von vielen Politikern unterstützt wird – und nun durch den Wechsel in der Administration im Weißen Haus Auftrieb erhält – ist das Beharren der Gewerkschaften darauf, dass die Arbeitskräfte an den Diskussionen über die Gestaltung einer neuen weltweiten Finanzarchitektur beteiligt werden müssen. Die Global Unions bestehen darauf, dass den ärmeren Ländern in den Schwellen- und Entwicklungswirtschaften das Geld zur Verfügung gestellt werden muss, das sie für den Aufbau ihrer Volkswirtschaften benötigen, ohne dass sie durch die von den internationalen Finanzinstitutionen auferlegten strikten Bedingungen behindert werden. Kreditprogramme zur Ankurbelung der Volkswirtschaften in aller Welt dürfen nicht zu einer Senkung der Entgelte und Verschlechterung der Lebensbedingungen für die Beschäftigten führen, wie dies in der Vergangenheit der Fall war. Die Ausweitung der Arbeitnehmerrechte wird zum globalen Wachstum beitragen und die Erholung nicht bremsen, doch gehen die vom 22 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 Internationalen Währungsfonds als Gegenleistung für die Notfinanzierung auferlegten Bedingungen in die falsche Richtung – sie drosseln die Entgelte und die Kaufkraft der Schwächsten. In einer Zeit, in der die Privatkapitalflüsse rückläufig sind und zahlreiche Arbeitsmigranten/innen kein Geld nach Hause schicken können, auf das ihre Familien angewiesen sind, müssen die Regierungen Verpflichtungen eingehen, die offizielle Entwicklungshilfe zu intensivieren. Zudem müssen Maßnahmen getroffen werden, um den kurzfristigen Rückgang der Entgelte zu stoppen, der die Welt in eine Deflationsspirale drängen würde. In der Krise sollten die Arbeitnehmerrechte gestärkt, nicht unterhöhlt werden. Die Gewerkschaften verfügen auch über eine durchdachte Strategie, um eine Wiederholung des Finanzzusammenbruchs zu vermeiden. Ein AchtPunkte-Aktionsplan für eine Finanzreform, der auf diesen Seiten dargelegt wird, bietet eine echte Chance für eine anhaltende und dauerhafte Reform und eine Beendigung des Kasinos der deregulierten Finanzmärkte, und sieht ein System vor, in dem das Finanzwesen die Realwirtschaft und reale Arbeitsplätze unterstützt. Die Notwendigkeit eines Wandels ist jedoch viel dringender. Es besteht die Gefahr, dass eine Rückkehr zur gescheiterten Politik der Vergangenheit erfolgt, wenn die Wirtschaftserholung einsetzt. Es ist bereits bedenklich die Rede von „Strategien für den Ausstieg“ des Staates aus seinen Interventionen an den Finanzmärkten. Die Gewerkschaften fordern für die Zukunft mehr Investitionen in öffentliche Dienste von hoher Qualität, die Annahme einer grünen Agenda für Wandel und eine Beendigung der Wirtschaftspolitik, die den Entwicklungskrediten einschneidende Bedingungen auferlegte, die die Sozialprogramme drosselten und die Arbeitsmärkte deregulierten. Die Gewerkschaften erklären, die IAO und die Arbeitnehmergruppen müssten über die Gestaltung des neuen multilateralen Systems konsultiert werden. Ohne Mitspracherecht der Beschäftigten am Verhandlungstisch wird es unmöglich sein, die Gewerkschaftsrechte und die Arbeitsnormen zu schützen oder sicherzustellen, dass die Beschäftigten und ihre Angehörigen nicht belastet werden, indem sie den © Manoocher Deghati/IRIN Preis für die kolossalen Fehler eines unterregulierten globalen Finanzsystems zu bezahlen haben. Es ist dringend notwendig, dass die wichtigen Debatten über die Lösung der globalen Krise zusammen mit den Gewerkschaften geführt werden, doch wird dies nur geschehen, wenn die Regierungen und internationalen Finanzinstitutionen die Tür für einen neuen Dialog und eine Vision öffnen, die das Gleichgewicht der Politik hin zu einer dauerhaften sozialen Agenda verlagert, die auf die Beseitigung der Geißel der Ungleichheit abzielt. Nach der Bewältigung der Krise benötigen wir ein neues Entwicklungsmodell, bei dem der Staat in der Lage ist, die Marktextreme durch ein soziales Umfeld und Ziele der öffentlichen Politik auszugleichen. Die Regierungen müssen die Grenzen der Finanzwirtschaft festlegen, indem sie die Investitionen in langfristige Ziele zur Schaffung menschenwürdige Arbeit, zur Erwirkung der Gleichheit in der Gesellschaft und zur Sicherstellung einer gerechten Verteilung der Früchte des Wachstums lenken. Die Verwirklichung dieses Ziels wird viele weitere Gewerkschaftsaktionen auf internationaler Ebene erfordern – die Aufgabe der Global Unions steht noch am Anfang. John Evans ist Generalsekretär des Gewerkschaftlichen Beratungsausschusses bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Londoner Erklärung D ie Weltwirtschaft befindet sich mitten in einer allumfassenden dreifachen Krise. Diese begann als Finanzkrise, wandelte sich zu einer weltweiten Wirtschaftskrise von katastrophalem Ausmaß für die Beschäftigten und mutiert nunmehr zu einer sozialen und politischen Krise. Die Krise, die am Immobilienmarkt in den USA ihren Anfang nahm, mündete zunächst in der Kreditmarktkrise, sodann in der Beschäftigungskrise und entwickelte sich zu einem komplexen und gefährlichen Teufelskreis mit sinkenden Immobilienpreisen und Arbeitslosigkeit, die gemeinsam den Zusammenbruch des Kreditmarktes verstärkten. Dieser Teufelskreis übertrug sich auf alle Industrie-, Schwellen- und nun auch auf die Entwicklungswirtschaften. Als die führenden Persönlichkeiten der G-20 im November 2008 erstmals zusammentraten, war die Welt bereits mit einer beispiellosen Verlangsamung des Wachstums mit rückläufiger Produktion in den Industrieländern konfrontiert. Die Situation hat sich nunmehr drastisch verschlimmert. Im ersten Quartal 2008 wurde ein atemberaubender Rückgang beim Bruttoinlandsprodukt (BIP), dem Barometer des nationalen Wohlstandes, verzeichnet. In den Volkswirtschaften der G-7, in der Europäischen Union und in den Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) insgesamt schrumpfte das BIP auf Jahresbasis um 6%. Dies sind die schlechtesten Zahlen, die die OECD jemals verzeichnete. Die Katastrophe breitete sich auf die Schwellen- und Entwicklungswirtschaften aus, wo das Wachstum nun ebenfalls stagniert und das Pro-Kopf-BIP rückläufig ist. Heute steckt die Welt in einer tiefen Rezession. Es sind die Armen, die gefährdet und am stärksten betroffen sind. Die Exporte aus Entwicklungsländern gingen drastisch zurück, und der Zufluss privater Gelder trocknete aus – ein Großteil davon Geld, das Arbeitsmigranten/innen im Ausland verdienen und auf das ihre Familien zu Hause angewiesen sind. Rund 26 NiedriglohnEntwicklungsländer in Afrika, Asien, den Amerikas und Osteuropa wurden vom IWF als gefährdet eingestuft.1 Die Verwirklichung der MillenniumsEntwicklungsziele – die weltweiten Bemühungen, viele der Grundursachen der Armut anzugehen – ist in Gefahr. Zehn Jahre Fortschritt bei der Bekämpfung der Armut wurden in nur wenigen Monaten zunichte gemacht. Die Arbeitslosigkeit nimmt in den ersten Monaten des Jahres 2009 weiter zu, und es hat den Anschein, dass sich das von der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) prognostizierte Szenario des „schlimmsten Falls“, dass die Arbeitslosigkeit im Jahr 2009 weltweit um 50 Millionen2 zunimmt, als zu optimistisch erweisen könnte. Rund 200 Millionen weitere Beschäftigte könnten in extreme Armut gestürzt werden, zumeist in Entwicklungs- und Schwellenländern ohne soziale Sicherungsnetze, was bedeutet, dass die Zahl der arbeitenden Armen –, die weniger als zwei US-Dollar pro Tag je Familienmitglied verdienen auf 1,4 Milliarden steigen könnte. Ohne radikale Reaktion der Regierungen und internationalen Institutionen wird sich die Arbeitslosenkrise zu einer sozialen und letzten Endes politischen Krise wandeln. Zudem bestehen schwerwiegende Risiken, dass die dringlichen, jedoch schwierigen politischen Entscheidungen, die auf der Konferenz der Vereinten Nationen über den Klimawandel im Dezember 2009 in Kopenhagen getroffen werden müssen, um langfristig eine Klimakatastrophe abzuwenden, zum Scheitern gebracht werden. 1 IMB, Die Auswirkungen der globalen Finanzkrise auf Niedriglohnländer, 2009 2 IAO, Globale Beschäftigungstrends, 28. Januar 2009 Dies ist eine abgekürzte und bearbeitete Fassung der Londoner Erklärung – der vollständige Wortlaut und die Einzelheiten der Eingabe sind zu finden unter www.global-unions.org, www. ituc-csi.org und www.tuac.org Diese schwerste Wirtschaftskrise seit der großen Depression der 1930er Jahre muss das Ende einer Ideologie der unbehinderten Finanzmärkte markieren, an denen die Selbstregulierung als Betrug enthüllt wurde und sich die Gier über das vernunftmäßige Urteil zu Lasten der Realwirtschaft hinwegsetzte. Eine nationale und internationale Regulierungsarchitektur muss aufgebaut werden, damit die Finanzmärkte zu ihrer primären Funktion zurückkehren – die stabile und kosteneffiziente Finanzierung produktiver Investitionen in die Realwirtschaft sicherzustellen. Darüber hinaus besteht die Notwendigkeit, eine neue Wirtschaftsordnung zu errichten, die wirtschaftlich effizient, ökologisch nachhaltig und sozial gerecht ist. Die führenden Persönlichkeiten der G-20 müssen zusammen mit anderen Institutionen einen multilateralen Prozess einleiten, um die Steuerung der Weltwirtschaft in einer Weise so umzugestalten, dass sozialen und ökologischen Fragen ebenso viel Beachtung wie dem Handel und dem Finanzwesen zuteil wird. © M. Crozet/ILO ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 23 Die weltweite Gewerkschaftsbewegung appelliert an die führenden Persönlichkeiten der größten Nationen der Welt in der G-20, mit anderen Ländern und internationalen Institutionen zusammenzuarbeiten, um eine FünfPunkte-Strategie zu entwickeln, die sich mit der Krise und der Zeit danach befasst, um eine gerechtere und nachhaltigere Weltwirtschaft für künftige Generationen aufzubauen. Die Gewerkschaftsbewegung fordert: O einen koordinierten internationalen Plan für Erholung und nachhaltiges Wachstum, der sich auf Arbeitsplatzbeschaffung, öffentliche Investitionen und Sozialschutz für die Bedürftigsten konzentriert die Verstaatlichung der zahlungsunfähigen Banken und die Aufstellung neuer Regeln und eines Steuerungsmechanismus zur Kontrolle des weltweiten Finanzwesens O die Bekämpfung der Ungleichheiten und den Schutz der Einkommen durch eine Erweiterung des Geltungsbereichs der Kollektivverhandlungen und eine Stärkung des institutionellen Schutzes des Lebensstandards O eine Strategie für Investitionen in eine „grüne Wirtschaft“, die die Weltwirtschaft zu einem kohlenstoffarmen Wachstum führt und die Bedingungen für eine internationale Einigung auf dem Klimagipfel im Dezember 2009 in Kopenhagen schafft O Änderungen der Global Governance der sozialen und wirtschaftlichen Politik und Praxis, um die Weltwirtschaft zu einem gerechteren Ort für Leben und Arbeit zu machen I. Ein koordinierter internationaler Konjunkturplan Die höchste Priorität für die führenden Persönlichkeiten der G-20 muss es sein, dem freien Fall des weltweiten Wachstums Einhalt zu gebieten und die Arbeitsplatzverluste rückgängig zu machen. 24 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 Die G-20 muss die „Trittbrettfahrer“ dazu bringen, sich koordinierten Maßnahmen anzuschließen, um die Weltwirtschaft anzukurbeln. Die Global Unions fordern einen weltweiten Konjunkturplan, der sich auf mindestens 2% der Weltproduktion beläuft. Die Zentralbanken sollten die Zinssätze weiter senken und eine mengenmäßige Lockerung der Geldpolitik vornehmen, so dass staatliche Investitionen zu geringen Zinskosten finanziert werden können. Auch innerhalb der Länder müssen Maßnahmen geplant werden, um die größtmögliche Wirkung auf Wachstum und Beschäftigung zu erzielen. Die Regierungen sollten Infrastrukturinvestitionsprogramme vorlegen, die kurzfristig das Wachstum der Nachfrage fördern und mittelfristig das Produktivitätswachstum steigern. Es sollten Maßnahmen zur Unterstützung der Kaufkraft der Mittelund Großverdiener eingeführt werden, einschließlich der Haushalte mit einem Verdiener, in denen häufig Frauen den Lebensunterhalt bestreiten. Die Kleinverdiener dürften mit größerer Wahrscheinlichkeit mehr Geld ausgeben, was sicherstellt, dass dies zur Bekämpfung der Rezession beiträgt. Dies kann durch eine Erhöhung der Leistungen, Pläne für direkte Arbeitsplatzbeschaffung und Besteuerungsänderungen erfolgen. Die Ressourcen sollten nicht für unwirksame allgemeine Steuersenkungen verschwendet werden. Den Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen mehr Geld in die Taschen und die Geldbörsen zu geben, wird die Wirtschaft ankurbeln. Der IWF hat aufgezeigt, dass Ausgaben für Elemente wie soziale Sicherheitsnetze und Transfers für kommunale Dienstleistungen, einschließlich Bildung und Gesundheit, in Zeiten der Rezession nahezu den doppelten Effekt wie Steuersenkungen haben. © Ahmad Zia Entezar/IRIN O Seit November 2008 führten die meisten bedeutenden Volkwirtschaften der G 7 Länder und andere Steuermaßnahmen ein, um das Wachstum anzukurbeln. Wie der IWF aufzeigte, hätten diese jedoch die doppelte Wirkung auf Wachstum und Arbeitsplätze, wenn sie international koordiniert würden. Diese Koordinierung fehlt bisher – während die Administration von Barack Obama in den USA ein Konjunkturprogramm vereinbarte, das sich auf nahezu 3% des BIP pro Jahr beläuft, entsprachen die Maßnahmen der Mitgliedsländer der Europäischen Union (EU), die bis Anfang Februar 2009 angekündigt wurden, weniger als 1% des BIP in der EU. Es ist nun an der Zeit, in die Menschen zu investieren – in ihre Bildung und Gesundheit und in die Betreuung der sehr Jungen und der Betagten. Die Regierungen müssen die Rolle der öffentlichen Dienste als Teil des neuen Entwicklungsmodells verstärken, um Bildung, Gesundheit, Wasser, sanitäre Anlagen, Recht, Sicherheit, Brandbekämpfung und Zivilschutz bereitzustellen, die die Gesellschaft benötigt. Diese Investitionen leisten einen entscheidenden Beitrag zur Lebensqualität der Menschen und sind ein Eckpfeiler der gesunden demokratischen Gesellschaft. Da in der gesamten Wirtschaft Arbeitsplätze verloren gehen, ist es sinnvoll, in Bildung und Ausbildung zu investieren und Arbeitskräfte in neue Sektoren zu versetzen, in denen sie dringend benötigt werden. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) benötigt beispielsweise das Gesundheitswesen weltweit zusätzliche 4,2 Millionen Arbeitsplätze. Achtzehn Millionen neue Lehrkräfte müssen ausgebildet werden, um nur gerade das Ziel einer Bildung von hoher Qualität für alle Kinder im Grundschulalter bis zum Jahr 2015 zu erfüllen. Millionen weitere Lehrkräfte und Ausbilder sind erforderlich für die berufliche Aus- und Weiterbildung in Qualifikationen, die die Realwirtschaft stärken, und für die Umschulung von Arbeitskräften im Zuge der Umstrukturierung. Außerdem müssen die Regierungen ihre Bemühungen zur Reduzierung der Armut der Frauen intensivieren, die heute die Mehrheit der Armen der Welt ausmachen. Während sich Industrie- und Schwellenländer um eine Erholung bemühen, besteht die Gefahr, dass die Niedriglohnländer an den Rand gedrängt werden. Dies würde jedoch die bestehenden Ungleichheiten noch verschärfen und Millionen weitere Menschen in extreme Armut stürzen. Es ist von entscheidender Bedeutung, die offizielle Entwicklungshilfe aufrechtzuerhalten und zu verstärken und die Rolle der internationalen und regionalen Entwicklungsbanken und -stellen zu stärken. Die meisten Entwicklungs- und einige Schwellenländer betreiben eine unnachsichtige Steuerpolitik, die ihre eigene Bevölkerung schädigt, und zwar häufig ohne eigenes Zutun, sondern weil sie von den internationalen Finanzinstitutionen (IFI) unter Druck gesetzt werden, als Bedingung für Kredite eine „Steuerdisziplin“ zu praktizieren, selbst wenn sie mit sich verschlechternden externen Bedingungen konfrontiert sind. Die internationale Gemeinschaft muss die von den Entwicklungsländern umgesetzten umfangreichen Konjunkturprogramme besser unterstützen. Diese sind notwendig, um die weitere Zunahme der Armut zu stoppen und die globale Nachfrage zu stützen. Die unnachgiebigen Bedingungen im Zusammenhang mit Entwicklungskrediten müssen unterbunden und das Niveau der Finanzhilfe erhöht werden. Die Etats für Entwicklungshilfe für die am wenigsten entwickelten Länder müssen aufrechterhalten und zugleich verbindliche Verpflichtungen eingegangen und ein Zeitplan für die Erfüllung des Ziels der Vereinten Nationen von 0,7% des BIP erstellt werden. Steuermaßnahmen müssen durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik ergänzt werden, die helfen kann, die Arbeitskräfte zusammenzuhalten und die Beschäftigten in der Erwerbstätigkeit zu halten. Eine Politik und Programme zur Reduzierung des Studierende nehmen am öffentlichen Unterricht im Jahre 2007 in Kabul teil. Laut dem Bildungsministerium wurden infolge der Angriffe gegen die Bildung Hunderte Schulen geschlossen, zumeist in den südlichen Provinzen. ©Ahmad Zia Entezar/IRIN ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 25 Risikos der Arbeitslosigkeit und der Lohneinbußen müssen konzipiert und umgesetzt und die Einkommen unterstützt werden. Unternehmen, die öffentliche Hilfe erhalten, müssen die Abkommen mit Regierungen und Gewerkschaften einhalten, vereinbarte Umstrukturierungsprogramme durchzuführen, die Beschäftigungs- und Ausbildungskomponenten enthalten. Auf dem IAO-Forum für globalen Dialog über die Finanzkrise vereinbarten die Arbeitnehmer, Regierungen und Arbeitgeber, dass „die Umstrukturierung auf einem Dialog zwischen Unternehmensleitung, Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretern beruhen sollte”.3 Dieser Dialog steht im Mittelpunkt einer aktiven Arbeitsmarktpolitik – doch bisher ist lediglich ein winziger Teil des Geldes in den massiven Rettungsund Konjunkturprogrammen der Regierungen für diese Politik bestimmt. Jedes Unternehmen, das öffentliche Gelder erhält, sollte verpflichtet sein, seine Beschäftigten zu konsultieren und Arbeitsplatz- und Ausbildungsprogramme einzuführen. Besondere Beachtung muss denjenigen zuteil werden, die von der Krise am stärksten betroffen sind. Die Regierungen müssen eine Arbeitsmarktpolitik einführen, die: O Unternehmen davon abhält, bei den ersten Anzeichen von Problemen Stellen zu streichen, O sich auf die von der Krise am stärksten betroffenen Gruppen konzentriert – insbesondere Jugendliche, ältere Menschen und ungelernte Arbeiter/innen, Zeitund Teilzeitbeschäftigte, Frauen und Arbeitsmigranten/innen, O die Kluft zwischen dem Entgelt von Männern und Frauen beseitigt, O die Einkommen unterstützt, insbesondere durch erweiterte Arbeitslosenleistungen, O Unternehmen daran hindert, die Auszahlung der Arbeitslosenleistungen zu blockieren oder zu verzögern, O die Achtung der Arbeitsnormen und der Beschäftigungsrechte der Arbeitskräfte sicherstellt, IAO-Forum für globalen Dialog über die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Beschäftigten des Finanzsektors, 24. und 25. Februar 2009 3 26 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 O auf Menschen ausgerichtete Investitionen fördert, einschließlich des Angebots verbesserter Ausbildungschancen, um die Beschäftigten jeden Alters beim Erwerb neuer Qualifikationen zu unterstützen, Die von den Arbeitsministern der G-8 in Niigata im Jahre 2008 befürwortete Agenda für „grüne Arbeitsplätze“ nennt eine Reihe von Schlüsselgrundsätzen, die von den Regierungen weltweit unterstützt werden müssen. Diese Agenda fordert O den Arbeitsmigranten/innen gleiche Rechte wie anderen Bürgern/innen gewährt, um die doppelte Geißel von Armut und Rassismus zu bekämpfen. O umfangreiche Investitionen in die Energieeffizienz und erneuerbare Energien, O die Erhöhung der Finanzmittel für Forschung und Entwicklung, Verbreitung und Einsatz neuer Technologien sowie eine Verbesserung der Systeme für die Kompetenzentwicklung, und O die Entwicklung gerechter Übergangsstrategien, die darauf abzielen, alle Wirtschaftszweige im Übergang zu einer nachhaltigeren Gesellschaft zu begleiten. Während die Arbeitslosigkeit weltweit zunimmt, haben die meisten Beschäftigten der Welt keinen Anspruch auf Arbeitslosenleistungen, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren, und die meisten von ihnen müssen im Alter von eigenen Ersparnissen oder der Unterstützung ihrer Familien leben. Die Krise stellt sowohl eine Verpflichtung als auch eine Chance dar, angemessene soziale Sicherheitsnetze zu errichten, die als automatische Stabilisatoren in Ländern fungieren können, die zurzeit über keine solchen verfügen, welches auch immer der Stand ihrer Entwicklung ist. Die IAO hat aufgezeigt, dass dies erreicht werden kann. II. Das Fundament für ein internationales Abkommen über den Klimawandel legen Der Zeitpunkt wird niemals besser sein als heute, den „grünen New Deal“ zu lancieren, der vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP), der IAO, dem IGB und der IOE in ihrem Bericht über grüne Arbeitsplätze gefordert wird. Die Regierungen sollten ihre Aktionen koordinieren, um den Übergang zu einer kohlenstoffarmen, umweltfreundlichen und sozialverträglichen Wirtschaft zu erleichtern. Diese Maßnahmen sind wesentlich, wenn es eine Aussicht darauf geben soll, dass die Welt die Mindestmaßnahmen ergreift, die notwendig sind, um eine umfassende Klimakatastrophe abzuwenden – mit den Worten des Stern-Berichts im besten Fall den Verlust von 5% der weltweiten Produktionsleistung „heute und für immer“ oder, im schlimmsten Fall, den Zusammenbruch der Gesellschaften, vor dem in anderen derzeitigen Modellen langfristiger ökologischer und wirtschaftlicher Interaktionen gewarnt wird. Diese „Übergangs“-Strategien setzen unter anderem eine Konsultation mit Gewerkschaften, Unternehmen und der Zivilgesellschaft, eine Sozialschutzpolitik und eine wirtschaftliche Diversifizierung voraus. Die Welt kann nicht zulassen, dass die dringlichen Maßnahmen, die für eine Bewältigung des Klimawandels erforderlich sind, durch die Krise behindert werden. Diese Agenda in einem Kontext der Wirtschaftsund Finanzkrise voranzutreiben, kann dazu beitragen, dieses Jahr in Kopenhagen wesentliche, ehrgeizige Klimaabkommen zu erzielen. Damit dies geschehen kann, muss das künftige Abkommen auf einem breit abgestützten und dauerhaften politischen Konsens beruhen, von dem die Gewerkschaften eine wichtige Komponente sind. III. Neue Regeln für die globalen Finanzmärkte Die Regierungen der G-20 müssen Führung zeigen, wenn die Tagung in London zu einer echten Reform des Finanzregulierungssystems führen soll. Dies bedeutet zuallererst Maßnahmen zur Wiederherstellung der Liquidität und der Zahlungsfähigkeit im Bankensystem sowie zur Gewährleistung dessen, dass die nationale und globale Regulierungsarchitektur ein Bankensystem bereitstellt, das der Realwirtschaft eine stabile und kostenwirksame Finanzierung bietet. Die Regierungen müssen sicherstellen, dass eine Krise in diesem Ausmaß nie wieder vorkommt. Der Bankensektor zählt zahlreiche insolvente Banken, und die Verstaatlichung ist unter diesen Umständen der einzige Weg zur Wiederherstellung des Vertrauens, zu einer gerechten Risikoaufteilung und zur Sicherstellung dessen, dass die Steuerzahler von etwaigen Gewinnen profitieren werden, wenn die Solvenz einmal wieder hergestellt ist. Die Begleichung der Rechnung für die so genannt „toxischen Schulden“ oder die „Rettung“ der Bankaktionäre ganz einfach den Steuerzahlern zu überlassen, wird nicht funktionieren. Dies liefe auf einen bloßen Transfer von den Beschäftigten zu den wohlhabendsten Haushalten der Welt hinaus. Die Regierungen müssen das demokratische Defizit berichtigen, das in den Vorhaben zur Umgestaltung der finanziellen Landschaft nach der Krise entstand. Die Einsetzung der Arbeitsgruppe der G-20 ist zwar begrüßenswert, doch bleibt die Unsicherheit darüber bestehen, inwieweit die Parteien außerhalb des Forums für Finanzstabilität (FSF), wie Gewerkschaften, Zivilgesellschaft, die Vereinten Nationen, die IAO oder eine andere nicht mit dem bestehenden Insidernetz der Finanzinstitutionen verbundene Partei in der Lage sein werden, sich aktiv am G 20 Prozess zu beteiligen. Dies ist nicht der Zeitpunkt für normalen Betrieb. Die Gewerkschaften fordern einen Sitz am Verhandlungstisch. Die derzeitige Krise deckte die Grenzen des Ansatzes der „delegierten Aufsicht“ auf, die vorschreibt, dass lediglich ein kleiner Teil des Finanzsystems (beispielsweise Geschäftsbanken) eine angemessene Aufsicht benötigt. Obwohl die Neuregulierung der RatingAgenturen in den USA und in Europa bereits begonnen hat, muss noch viel mehr unternommen werden. Die weltweite Gewerkschaftsbewegung schlägt einen umfassenden Aktionsplan für die internationale Regulierung der Finanzmärkte vor: 1. 2. © M. Crozet/ILO Die „Schatten“-Finanzwirtschaft muss energisch bekämpft werden. Die Hedgefonds und Private-Equity-Gruppen müssen reguliert werden, um eine gleiche Rechenschaftspflicht gegenüber den Investoren, Transparenz und nach Bedarf Verantwortung der Arbeitgeber sicherzustellen. Alle Formen von kreditbezogenen, außerbilanzmäßigen Transaktionen sind zu untersagen, und der Zugang zu komplexen strukturierten Produkten ist drastisch einzuschränken, bis ein angemessenes Niveau an öffentlicher Aufsicht und Transparenz vorhanden ist. Beseitigung der Steuer- und Regulierungsoasen. Es ist an der Zeit, hohe internationale Normen für Steuer- und Bankentransparenz und Informationsaustausch zu entwickeln und durchzusetzen. Heute stehen rund 38 Steueroasen und Bankgeheimnissysteme auf der Beobachtungsliste der OECD, die die Richtlinie der Organisation nicht befolgen. Der G-20-Gipfel muss den „Wettlauf nach unten“ der Steuersysteme bekämpfen und diese Länder auffordern: Schließt euch dem Rest der Welt an und setzt die Normen um, oder wir werden Sanktionen zum Schutz der Steueraufkommen auferlegen. Die Regierungen müssen Schritte unternehmen, um sicherzustellen, dass Auslandsinvestitionen und Kapitalflüsse international anerkannten Kontroll- und Transparenznormen unterliegen. Sie müssen zudem in Bezug auf die Steuerpolitik zusammenarbeiten und die internationale Besteuerung der Finanztransaktionen vereinbaren, um die von den Steuerzahlern bezahlte öffentliche Verschuldung, die eine Folge der Krise ist, zu finanzieren. 3. Sicherung eines gerechten und nachhaltigen Zugangs der Entwicklungsländer zu internationalen Finanzen. Die Entwicklungsländer sollten Zugang zu Kreditbedingungen erhalten, die ihren Erfordernissen und Fähigkeiten angemessen sind. Diese Maßnahmen umfassen die Aktivierung des IWF-Programms der Sonderziehungsrechte (SDR), die Beschleunigung der regionalen Devisenzusammenarbeit und die Umleitung der Kapitalflüsse von Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen, darunter auch ihrer staatlichen Investitionsfonds, in Entwicklungsziele. 4. Reform des Modells des privaten Bankgeschäfts zur Verhinderung der Vermögensblasen und der Fremdfinanzierungsrisiken. Die Regeln für die Angemessenheit der Kapitalausstattung – des Kapitalbetrags, den die Banken als Sicherung ihrer Kreditvergabe zurückstellen müssen – müssen enger an das Wachstum der Vermögensbestände der Banken und an den Grad des von diesen Beständen getragenen Risikos gebunden werden. Dies würde die Banken davon abhalten, sich einem übermäßigen Vermögensrisiko auszusetzen Es wäre auch hilfreich, die Vermögensaufteilung in sozial erwünschte Ziele zu lenken und die Kontrolle der Vermögenspreisinflation durch die Zentralbanken zu erleichtern. 5. Beendigung der in Verruf geratenen Bonuskultur. Bonus- und Sondervergütungssysteme müssen gesetzlich reguliert werden. Sie müssen neu konzipiert werden, um die langfristige wirtschaftliche, soziale und ökologische Leistung zu ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 27 fördern und es den Unternehmen zu ermöglichen, die Gewinne den Reserven zuzuführen, um sie in produktive Anlagen zu reinvestieren. Sie müssen verantwortungsbewusste Verkaufsund Kreditverfahren reflektieren. Für die Unternehmensleitung und die Händler sind die Boni im Einklang mit dem Entgelt der Beschäftigten zu begrenzen, die Einlösung von Boni oder sonstigen leistungsabhängigen Systemen innerhalb von fünf Jahren zu untersagen und Vorschriften für Rückforderungen einzuführen. Die Unternehmensleitungen sollten nicht in den Genuss von Rentenansprüchen gelangen, die für ihre Beschäftigten nicht verfügbar sind. Die Aktionäre müssen von der Plünderung des Wohlstandes der Unternehmen in Wachstumszeiten mittels Dividenden und Aktienrückkaufprogrammen abgehalten werden, was den Unternehmen in Zeiten des wirtschaftlichen Rückgangs unterkapitalisierte Bilanzen beschert. Insbesondere die privaten Beteiligungsgesellschaften gefährdeten Millionen Arbeitsplätze infolge ihres unhaltbaren Modells, Unternehmensübernahmen durch Fremdkapital zu finanzieren. 6. 7. Schutz der berufstätigen Familien vor ruinösen Krediten. Erhöhung der Kreditsicherheit für berufstätige Familien durch Transparenz der Finanzverträge (Wohnungsfinanzierung, Kreditkarten, Versicherungen), Zugang zu wirkungsvollen Regressen gegen missbräuchliche Praktiken, kundennahe Dienstleistungen und Bezahlbarkeit (Obergrenzen für Zinssätze und Gebühren). Die Vergütungs- und Anreizsysteme der Banken und sonstiger Kreditgeber sollten so gestaltet sein, dass sie verantwortungsbewusste Kauf- und Kreditverfahren sicherstellen, die den Interessen der Kunden, nicht der Aktionäre, dienen. Erhöhung der Rechenschaftspflicht, Stärkung des Mandats und der Ressourcen der Aufsichtsorgane. Es ist sicherzustellen, dass die Überwachungs- und 28 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 Aufsichtsorgane die Befugnis haben, ihren Willen durchzusetzen, und über eine angemessene Personalbesetzung und Zugang zu Know-how und Technologie verfügen, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Der Aufsichtsrahmen ist zu verstärken, um einen direkten Kommunikationskanal zwischen diesen Regulierern und den Vertretern der Beschäftigten innerhalb der Finanzinstitutionen einzuschließen. Die Regierungen müssen das fragmentierte Vorgehen bezüglich der Finanzregulierung beseitigen und nach Bedarf insbesondere in Europa eine supranationale Konsolidierung einführen. Den Gewerkschaften muss in der Führungsstruktur der Aufsichtsgremien Gehör verschafft werden. Zudem sollte ein Aufsichtsrahmen die Zusammenarbeit der Finanzbehörden mit den Gewerkschaften im Finanzsektor vorsehen, beispielsweise Betriebsräte und internationale Rahmenabkommen zwischen Globalen Gewerkschaftsverbänden und multinationalen Unternehmen. 8. Schaffung einer neuen Landschaft für Finanzdienstleistungen und Bankwesen, die für die Realwirtschaft arbeitet. Die Regierungen sollten das Wachstum von Kreditgenossenschaften, Genossenschaftsbanken, Versicherungsunternehmen auf Gegenseitigkeit und sonstigen gemeinschaftsbasierten und öffentliche Finanzdienstleistungen fördern. Eine solche Vielfalt an Dienstleistungen und Rechtsformen wird dazu beitragen, einen ausgeglichenen und robusten inländischen Finanzdienstleistungssektor aufzubauen, der der Realwirtschaft dient und die Erfordernisse der berufstätigen Familien und Klein- und Mittelunternehmen erfüllt. Zudem sollten sie Schritte unternehmen, um sicherzustellen, dass künftig keine Mischkonzerne errichtet werden, die entweder ‚zu groß sind, um zu scheitern‘ oder verschiedene Geschäftsarten kombinieren: Bankgeschäft, Versicherungsgeschäft, Investmentbanking. Jede Umstrukturierung des Bankensektors muss im Einklang mit den höchsten Normen des sozialen Dialogs erfolgen und beschäftigungsneutral sein. 9. Integration der Vermögens- und Fremdfinanzierungsrisiken in die Sorgfaltsregeln der Banken. Änderungen der Regeln für die Angemessenheit der Kapitalausstattung – damit die Mindestreservevorschriften an das Wachstum des Vermögensbestandes der Banken und an das Ausmaß des Vermögensrisikos gebunden werden. Dies wird die Banken davon abhalten, sich übermäßigen Risiken auszusetzen, und ferner dazu beitragen, die Vermögensaufteilung auf sozial erwünschte Ziele auszurichten, und die Kontrolle der Vermögenspreisinflation durch die Zentralbanken erleichtern. 10. Beschränkung der Aktionärsdividenden, der Aktienrückkaufprogramme und der durch Fremdkapital finanzierten Kredite. Sicherstellen, dass die Gewinne (im Gegensatz zu Dividenden und Rückkäufen) in Wachstumsperioden in ausreichender Menge den Reserven zugeführt werden, um den Wirtschaftsrezessionen und Solvenzrisiken standzuhalten. Das unhaltbare Finanzierungsmodell der durch Fremdkapital finanzierten Übernahmen, das es Private-Equity-Gruppen ermöglichte, Unternehmen auszuplündern, wenn Geld billig war, und sie auf einem Schuldenberg sitzen zu lassen, muss bekämpft werden. IV. Eine effiziente und rechenschaftspflichtige globale Steuerung der Wirtschaft Im Jahre 1944 kamen die größten Länder der Welt zusammen, um neue internationale Finanzregelungen aufzustellen, die die Wirtschaftserholung unterstützen sollten. Heute benötigen wir jedoch weit ehrgeizigere Regelungen als diejenigen, die in Bretton Woods vereinbart wurden. Der Wandel muss über die Finanzregulierung hinausgehen. Die Krise deckte ernsthafte Schwächen © M. Crozet/ILO im Mechanismus für die Steuerung der Weltwirtschaft auf. Es gibt keine Entscheidungsstruktur, bei der zusammenhängende Politikbereiche in einen einheitlichen weltweiten „Grand Deal“ zusammengefasst werden können. Wenn die Gewerkschaftsagenda vorangetrieben werden soll, ist ein weit stärkerer sozialer Pfeiler erforderlich, um der Verlagerung der Beschäftigung, die durch verschärften Wettbewerb verursacht werden wird, zuvorzukommen und sie auszugleichen. Der G-20-Prozess weist einige dieser Elemente auf, doch liegt sein Schwergewicht nach wie vor weitgehend auf Finanzfragen. Die Realwirtschaft und die damit verbundenen Fragen der menschenwürdigen Arbeit und der Armutsreduzierung sind in seinen Diskussionen nebensächlich. Außerdem werden Länder, die nahezu die Hälfte der Weltbevölkerung stellen, am Verhandlungstisch nicht respektiert und verfügen über keine Mittel zur Einflussnahme auf seine Arbeit. Es ist ein neues, überschaubares und begrenztes Entscheidungsforum für die Wirtschafts- und Sozialpolitik auf weltweiter Ebene erforderlich. Dieses muss funktionsfähig und legitim sein. Ein Ausgangspunkt für den Aufbau einer derartigen Struktur könnte die von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel nach ihrer Zusammenkunft vom 5. Februar mit führenden Persönlichkeiten der OECD, der WTO, der IAO, des IWF und der Weltbank angeregte Charta für wirtschaftliche und soziale Global Governance sein. Diese entspräche einer Synthese der Leitsätze dieser Organisationen und von Elementen wie den Leitsätzen der OECD für multinationale Unternehmen, dem Übereinkommen gegen Bestechung und den Grundsätzen für Unternehmensführung, und kombiniert dadurch Regeln bezüglich des Marktverhaltens mit „ergänzenden Elementen bezüglich der Beschäftigung und der Unternehmensentwicklung, des Sozialschutzes, menschenwürdiger Arbeitsbedingungen, solider Arbeitsbeziehungen und Rechten bei der Arbeit”4 der IAO-Agenda für menschenwürdige Arbeit. Die Regierungen müssen die Arbeit beginnen, doch kann sie nicht den Bankern und Beamten der Finanzministerien überlassen werden, die hinter geschlossenen Türen zusammenkommen. Die Gewerkschaften sind bereit, sich konstruktiv an diesem Prozess zu beteiligen und sollten am Verhandlungstisch einen Sitz haben. Die Regierungen der Schwellenund Entwicklungsländer müssen eine uneingeschränkte Rolle in den Institutionen einer neuen Wirtschaftsordnung spielen. Insbesondere muss die Weltbank, deren Schwerpunkt auf den Entwicklungsländern liegt, diesen gleiche Stimmrechte wie den Industrieländern gewähren. Die Weltbank und der IWF müssen aufhören, den Entwicklungsund Schwellenländern unmögliche Bedingungen aufzuerlegen, die sie zu einer prozyklischen Politik zwingen – und sie dazu veranlasst, den Lebensstandard zu senken, obwohl sie expandieren sollten. Die in den letzten Monaten in Ländern wie Lettland und Ungarn auf Notkredite angewandten Bedingungen sind vollständig inakzeptabel – sie führen zu sozialem Chaos und vertiefen die Rezession. Stattdessen müssen die neuen Regelungen gestützt werden, indem menschenwürdige Arbeit erzielt wird und die Kernarbeitsnormen eingehalten werden. Deshalb kommt der Aufruf der IAO in ihrer Erklärung für soziale Gerechtigkeit für eine gerechte Globalisierung, die von der Internationalen Arbeitskonferenz im Juni 2008 angenommen wurde, um gemeinsam mit anderen Organisationen bei der Förderung der menschenwürdigen Arbeit zusammenzuarbeiten, um so mehr zur rechten Zeit. Die Gewerkschaften fordern die G-20Führungspersönlichkeiten dringend dazu auf, den Konsultationsprozess einzuleiten, der für den Aufbau einer Unterstützung für wahrhaft maßgebende internationale V. Die Welt zu einem Gipfeltreffen gerechteren Ort für Leben der führenden und Arbeit machen Persönlichkeiten Vor der Krise nahm die Ungleichheit der Entgelte sowohl innerhalb als auch der Welt zur Lenkung der verflochtenen Erklärung der IAO, der WTO, des IWF, der OECD, Weltwirtschaft der Weltbank und Deutschlands vom 5. Februar 2009, die zu finden ist unter: www.oecd.org/docu notwendig ist. 4 ment/32/0,3343,en_2649_34487_42124384_1_1_1_ 1,00.html ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 29 zwischen den Nationen zu. In vielen Ländern stagnierten die Entgelte und blieben hinter dem allgemeinen Wirtschaftswachstum zurück. Die Entgelte fielen in zwei Dritteln der reichsten Länder, die der OECD angehören, hinter dem allgemeinen Wachstum zurück, und der Anteil der Entgelte am nationalen Einkommen war in allen Ländern, für die Angaben vorliegen, rückläufig. In vielen weiteren Nationen ist die Lage jedoch noch schlimmer. Die Weltbank stellte selbst vor der Krise der Nahrungsmittelpreise in den Jahren 2007 und 2008 und der derzeitigen Finanzkrise fest, dass die Ungleichheit in 46 von 59 untersuchten Entwicklungsländern im Laufe des vergangenen Jahrzehnts zugenommen hat. Sie wird durch die Verschlechterung der Wirtschaftslage zusammen mit der Explosion der Lebensmittelpreise noch erhöht. Dies ist das Ergebnis der fehlerhaften Politik der letzten Jahre sowie eine Ursache der Kreditkrise, da deregulierte Banken und sonstige Kreditgeber die Lücke mit verantwortungslosen Krediten füllten. Anstatt eines stabilen Wirtschaftswachstums auf der Grundlage von Investitionen, Produktivität und wachsendem Wohlstand für die Beschäftigten gab es eine Reihe von Spekulationsblasen, die zwar den Wohlstand einiger erhöhten, nun jedoch von vielen bezahlt werden müssen. Wir benötigen ein neues Wachstumssystem, das umweltverträglich ist, jedoch – wie in der Nachkriegszeit bis zu den frühen 1980er Jahren – ein ausgeglichenes Wachstum der Reallöhne im Einklang mit Produktivitätssteigerungen sicherstellt. Ein gerechtes Besteuerungssystem muss dazu beitragen, eine weniger ungleiche Gesellschaft zu schaffen und zu Wachstum beizutragen. In der heutigen Krise, in der Entgelte nach unten gedrückt werden, ist es von entscheidender Bedeutung, die 30 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 Arbeitsmärkte mit einer Untergrenze zu versehen, um das Risiko einer sich beschleunigenden Deflationsspirale der Einkommen und der Preise zu stoppen. Die Regierungen in den Industrieländern müssen nunmehr den Wiederaufbau der Institutionen fördern, die an der gerechteren Verteilung der Einkommen und des Wohlstands mitwirken, im Gegensatz zur anhaltenden Deregulierung der Arbeitsmärkte, die den Arbeitnehmerschutz abbaut und die sozialen Sicherungsnetze schwächt. Die Einführung von Lohnuntergrenzen und die Ausweitung der Tarifverhandlungen sind wichtige Mittel zur Behandlung der Probleme der Ungleichheit und der Armut. Dies gilt auch für Mindestlöhne. Mindestlöhne werden zurzeit in nahezu allen fortgeschrittenen Volkswirtschaften praktiziert und wurden in der einen oder anderen Form praktisch während der gesamten Nachkriegszeit ununterbrochen angewandt. Sie können entweder nationale Mindestlöhne oder ein System gesetzlich erweiterter Branchen- oder regionaler Mindestbeträge sein, die zunächst von den Arbeitgebern und Gewerkschaften vereinbart wurden. Mindestlöhne werden angewandt, um das Ausmaß der Lohnungleichheit zwischen der oberen und der unteren Grenze der Einkommensverteilung zu beschränken. Zugleich sind sie ein wichtiges Instrument zur Reduzierung des Machtungleichgewichts bei den Arbeitsbeziehungen zwischen Arbeitgebern und schwächeren Gruppen der Arbeitnehmerschaft. Kollektivverhandlungen und Mindestlöhne müssen unterstützt werden, um die Kaufkraft in der Krise zu erhalten – die Regierungen dürfen nicht dieselben Fehler wie in den 1930er Jahren begehen und einen Wettbewerb der Lohndeflation zulassen. Zugleich müssen die Führungspersönlichkeiten der G-20 auch Maßnahmen zum Schutz der Renten ergreifen. Die Krise deckte die © M. Crozet/ILO Gefahr der unbegrenzten Anlagen der Arbeitnehmerrenten in den ‚Schatten‘Finanzsektor auf. Die OECD-basierten Rentenfonds verloren im Jahre 2008 infolge der Finanzkrise über 3,3 Bio. USD bzw. real ausgedrückt 20% an Wert. Die unmittelbare Wirkung wird von denjenigen Beschäftigten am stärksten zu spüren sein, die sich dem Rentenalter nähern, und deren Renten in ungeschützte Systeme mit ‚festgelegten Beiträgen‘ fallen, bei denen die endgültige Höhe der Rente von der Performance des Rentenfonds abhängt. Die Regierungen müssen eine angemessene Altersabsicherung für die Beschäftigten im Rahmen vorfinanzierter Systeme sicherstellen und außerdem dafür sorgen, dass die Arbeitgeber ihren Anteil am Rentenrisiko und an der Rentenfinanzierung übernehmen und die bestehenden staatlichen Garantiesysteme und die Vorschriften für die Rentenfondsanlagen ganz allgemein stärken. Längerfristig müssen die dreigliedrigen Strukturen für die wirtschaftlichen und sozialen Konsultationen und die Politikplanung, die das Sprungbrett für die 30 Jahre hohen Wirtschaftswachstums und die Verbesserung des Lebensstandards in der Nachkriegszeit bildeten, wiederhergestellt werden. Erklärung der IAO, der WTO, des IWF, der OECD, der Weltbank und Deutschlands vom 5. Februar 2009, die zu finden ist unter: www.oecd.org/docu ment/32/0,3343,en_2649_34487_42124384_1_1_1_ 1,00.html 4 Es entspricht nicht nur demokratischen Grundsätzen, sondern ist wirtschaftlich auch sinnvoll, Vertreter der Beschäftigten an den Entscheidungen zu beteiligen, die das Beschäftigungs- und Wirtschaftswachstum bestimmen. Das alternative neoliberale Modell verdammt uns dazu, die Fehler der 1920er und 1990er Jahre zu wiederholen und das Niveau der Ungleichheitsspirale aufrechtzuerhalten, die zu finanzieller Instabilität und letzten Endes zum Zusammenbruch der Börsen führte. Der Handel bricht ein, jedoch vielmehr wegen der schrumpfenden Realwirtschaft als infolge von Protektionismus. Dennoch müssen wir die Fehler der Krise der 1930er Jahre vermeiden, indem wir in eine Politik des „Beggar thy neighbour“ zurückverfallen. Dies ist eine globale Krise – ihre Beseitigung setzt eine weltweite Zusammenarbeit voraus, und nationale Maßnahmen zum Schutz der Arbeitsplätze müssen den internationalen Auswirkungen auf die Beschäftigten in anderen Ländern Rechnung tragen. Der Handel kann das Wirtschaftswachstum, die Erholung und die Entwicklung ankurbeln, jedoch lediglich unter den richtigen Bedingungen. Die Wiederherstellung der öffentlichen Legitimität des Welthandelssystems und der Abschluss der Doha-Runde der Wirtschaftsverhandlungen erfordert Fortschritte bei der Durchsetzung des Schutzes der grundlegenden Arbeitnehmerrechte und die Gewährleistung dessen, dass die Entwicklungsländer in der Lage sind, eine Wirtschaftserholung, Beschäftigung und künftige Industrieentwicklung zu erreichen. Schlussfolgerung Die Gewerkschaften auf nationaler und internationaler Ebene kritisieren seit langem das mangelnde Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen und sozialen Institutionen. Um menschenwürdige Arbeit für alle bereitzustellen, attackierten wir die Beherrschung des Finanzierungsbedarfs der Realwirtschaft durch unregulierte und unüberschaubare Finanzmärkte. Nun, da sich die Probleme der Rezession in allen Gemeinschaften der Welt zunehmend bemerkbar machen, rufen wir alle globalen – institutionellen und staatlichen – Akteure dazu auf, an der Schaffung einer neuen Weltwirtschaftsordnung mitzuwirken, die die Menschen in den Mittelpunkt stellt. Die Triebkraft für den Wandel ist die globale Finanz- und Wirtschaftskrise, und die weltweite Gewerkschaftsbewegung kann eine entscheidende Rolle bei der Festlegung eines wirksamen Kurses für Erholung und Aufbau einer gerechteren und robusteren Ordnung für künftige Generationen spielen. Es wird nie Gewissheit geben, dass die Banker und Regierungen, die sich hinter geschlossenen Türen treffen, richtig handeln. Es muss uneingeschränkte Transparenz, Offenlegung und Konsultation geben. Die Beschäftigten müssen an diesen Zusammenkünften vertreten sein. Sie müssen Gehör erhalten. Die Global Unions sind bereit, ihren Beitrag zum Aufbau dieser gerechteren und grüneren Zukunft zu leisten. AKTIONSPLAN DER GLOBAL UNIONS FÜR EINE FINANZREFORM 1 Energische Bekämpfung der Schatten-Finanzwirtschaft (Hedgefonds, Private Equity, Derivate) 2 Beseitigung der Steuer- und Regulierungsoasen und Schaffung neuer internationaler Besteuerungsmechanismen 3 Gewährleistung eines gerechten und nachhaltigen Zugangs der Entwicklungsländer zum internationalen Finanzwesen 4 Reform des Modells der Privatbankgeschäfte, um Vermögensblasen zu verhindern und die Fremdfinanzierungsrisiken zu reduzieren 5 Kontrolle der Boni und Finanzvergütungssysteme der Führungskräfte und anderer Parteien 6 Schutz der berufstätigen Familien vor ruinösen Krediten 7 Konsolidierung und Verstärkung der öffentlichen Rechenschaftspflicht, des Mandats und der Ressourcen der Aufsichtsorgane 8 Umstrukturierungen und Diversifizierung des Bankensektors ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 31 Auf die Zuku Die Beschäftigten anhören, um Zuversicht un VON Oliver Roethig, Leiter von UNI Finanz IN JEDEM SEKTOR WURDEN DIE BESCHÄFTIGTEN IN DEN LETZTEN MONATEN IN MITLEIDENSCHAFT GEZOGEN, ALS DIE DURCH DIE KREDITKRISE VERURSACHTE REZESSION EINSETZTE. EINE GRUPPE, DIE SICH VON ANFANG AN VORDERSTER FRONT BEFAND, SIND DIE BESCHÄFTIGTEN DES FINANZSEKTORS, IN DEM DIE ZAHL DER MENSCHEN, DIE IHRE ARBEITSPLÄTZE UND IHREN LEBENSUNTERHALT VERLIEREN, TÄGLICH ANSTEIGT. Niemand weiß, wie viele weitere Arbeitsplätze verloren gehen, wie viele Häuser zwangsversteigert oder Rentenfonds geplündert werden, bevor diese Krise endet. Das Finanzsystem in Ordnung zu bringen, ist für UNI Finanz Global Union der erste Schritt hin zur Beendigung der Abwärtsspirale und zu einer Erholung. „In Ordnung bringen“ geht nicht lediglich darum sicherzustellen, dass die staatliche Aufsicht und Besitzrechte mit jedem Kredit an eine Bank einhergehen, noch darum, lediglich die Regulierung zu verbessern, obwohl eine vollständige Überholung der Aufsichtsorgane notwendig ist. Aufsicht und Regulierung des Finanzsektors müssen vielmehr mit einem grundlegenden Wandel der Art und Weise einhergehen, wie die Banken Geschäfte betreiben. Es ist an der Zeit, dass sich das Bankgeschäft weniger um Gewinnstreben und mehr um eine Verpflichtung zu verantwortungsvollen, nachhaltigen Finanzprodukten und eine Beratung dreht, die sich auf die Erfordernisse der Verbraucher konzentriert. Der Finanzsektor steht vor der großen Aufgabe, das Vertrauen seiner Kunden und, was ebenso wichtig ist, das Vertrauen seiner Beschäftigten wiederzugewinnen. Die Beschäftigten sollte nicht 32 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 diejenigen sein, die für das Scheitern des Managements und der Regulierer zu zahlen haben. UNI widersetzt sich allen Zwangsentlassungen und beharrt darauf, dass eine Umstrukturierung auf einem Dialog zwischen Management und Gewerkschaften auf örtlicher, nationaler und internationaler Ebene beruhen muss. Zunächst müssen die Unternehmen ihre Bücher öffnen und den Arbeitnehmervertretern und Gewerkschaften, die das Unternehmen erfassen, rechtzeitig alle einschlägigen Informationen über die Umstrukturierung verfügbar machen, damit eine angemessene Konsultation stattfinden kann. Insbesondere Beschäftigte außerhalb des Stammlandes eines multinationalen Unternehmens müssen berücksichtigt werden. Dies wird geschehen, wenn die Unternehmen globale Abkommen, die die Kernarbeitsnormen und den Sozialdialog schützen, aushandeln und schließen. Diese Abkommen errichten einen Unternehmensrahmen für einen sinnvollen Sozialdialog und Arbeitsbeziehungen in aller Welt. Wenn eine nachhaltige Geschäftsstrategie im Hinblick auf Erholung funktionieren soll, müssen die Finanzregulierer und Aufsichtsorgane sowie die Unternehmen ihre Verfahren für die Risikobeurteilung verbessern. Background image © peter memmott/istockphoto.com Sie müssen die internen Verfahren und die Realitäten der Arbeitsweise berücksichtigen. Angesichts des Mangels an Sensibilität, der Ignoranz und der Gier, die die Spitzenbosse an den Tag legten, steht fest, dass die Art und Weise der Auszahlung der Boni, des Verkaufs der Produkte sowie der Bedarf an Ausbildung des Personals bezüglich der Einhaltung der Vorschriften und des Verständnisses der Finanzprodukte und die Ermittlung neuer Risiken und Trends die Schlüsselfragen sind. Auch die Geschäftsverfahren müssen geändert werden, damit die Beschäftigten nicht mehr energisch dazu gedrängt werden, Kreditkarten oder Hypotheken oder sonstige Finanzprodukte an Verbraucher zu verkaufen, die es sich nicht leisten können, sie nicht benötigen oder lediglich Geld verlieren werden. Das Wesen des Wandels besteht darin, eine Kultur zu schaffen, die sicherstellt, dass die Geschäftstätigkeit darum geht, die Kunden an die erste Stelle zu setzen. Mit anderen Worten müssen kurzfristige Ziele für maximale Rendite durch eine langfristige und nachhaltige Geschäftsstrategie ersetzt werden. Das bedeutet, dass Vergütungsund Anreizsysteme auf allen Ebenen realistisch, nachhaltig, langfristig und kundenorientiert sein sollten. Grundsätzlich sollten Anreizzahlungen oder Verkaufsprovisionen für Bankangestellte nie über ihrem festen Gehalt liegen. Durch die Festlegung von Richtlinien und Regeln müssen Finanzaufsichtsorgane und Regulierer sicherstellen, dass diese Grundsätze von den Unternehmen angewandt werden. UNI Finanz entwickelt zurzeit ein Verfahren für die unft bauen nd öffentliches Vertrauen wiederaufzubauen Beschaffung von Informationen und Auswertung von Angaben in diesem Bereich durch die Gewerkschaften. Ziel ist es, internationale und regionale Trends auszuweisen und sie in die Risikobeurteilung und Finanzaufsicht von der örtlichen bis zur internationalen Ebene einzubringen. Eine angemessene Risikobeurteilung kann nur funktionieren, wenn sie die Erfahrungen und Ansichten derjenigen berücksichtigt, die die Geschäftstätigkeit des Unternehmens tatsächlich ausführen – die Beschäftigten. Aus diesem Grund schlägt UNI Finanz vor, dass jedes Unternehmen mit den Gewerkschaften und seinen übrigen Unternehmensbeteiligten eine Charta – ein Leitbild – für den Verkauf von Finanzprodukten vereinbart, die ausdrückliche, öffentliche und verifizierbare Normen für seine Geschäftstätigkeit und Arbeitsverfahren vorsieht. UNI Finanz fordert Banken und Versicherungsunternehmen, Verbraucherorganisationen, Regierungen und sonstige Anspruchsgruppen dazu auf, gemeinsam eine Mustercharta aufzustellen. Obwohl viel von der Reform des Finanzsystems die Rede war und politische Führungskräfte eine entschlossene und koordinierte Aktion zusagten, ist dies noch nicht geschehen, und die Zeit läuft davon. Es müssen konkrete Schritte für die Eindämmung der Krise und die Einleitung der Reform des Finanzsystems unternommen werden. Zu diesen Schritten sollte zunächst mehr Transparenz über die Verbindlichkeiten der Banken und Versicherungsunternehmen gehören. Der Teufelskreis von Zugeständnissen, Wunschdenken und der Unvermeidlichkeit darauffolgender schlechter Nachrichten muss unterbrochen werden. Die Geschäftskonten müssen in Zukunft von den Verbindlichkeiten aus Spekulationen und Investmentbanking getrennt werden – dies dürfte bei Millionen Menschen, die ihre kostbaren Ersparnisse bedroht sahen, Anklang finden. Es muss ein umfassender Rahmen für eine globale Finanzaufsicht errichtet werden, der das „Regime Shopping“ unterbindet. Es muss eine strikte Durchsetzung der Finanzregulierung geben. Es muss internationale Abkommen geben, die die Banken daran hindern, ihren Hauptsitz ganz einfach in Länder mit geringer Regulierung zu verlegen. Es muss eine enge Koordinierung zwischen Regulierern und Aufsichtsorganen auf allen Ebenen geben. Risikoreiche Finanzpraktiken müssen durch strikte Strafmaßnahmen für Regelverletzer unterbunden werden. Außerbilanzmäßige Transaktionen, der Handel mit Finanzprodukten, die nicht an einer anerkannten Börse notiert sind, und Finanztransaktionen mit Unternehmen und Personen, die legal in Steueroasen oder in Ländern mit unzureichender Finanzregulierung und aufsicht registriert sind, müssen untersagt werden. Während die Regierungen den Bankensektor retten und die Finanzmärkte stützen, müssen sie sicherstellen, dass die Vielfalt der Finanzinstitutionen erhalten bleibt. Wir müssen uns der Gefahr einer Finanzkrise bewusst sein, die zu oligopolistischen Strukturen der Privatinstitutionen führen kann. Die Stabilität des Sektors hängt von der Erhaltung einer Palette kleiner, mittlerer und großer, örtlicher, regionaler, nationaler © B. Marquet/ILO und multinationaler sowie privater, öffentlicher und genossenschaftlicher Akteure ab. Dies ist eine reich befrachtete Agenda, und UNI Finanz koordiniert die Gewerkschaftsaktion weltweit im Hinblick auf eine öffentliche Kampagne, um arbeitnehmer- und verbraucherfreundliche Lösungen für die Krise zu finden. Diese Kampagne wird von den UNI-Mitgliedern auf nationaler Ebene übernommen, um eine Regulierung und Rechtsvorschriften sicherzustellen, die die Beschäftigten und Verbraucher schützen. Unsere Kampagne ruft zu einem Bottom-up-Ansatz gegenüber Banken- und Versicherungsverfahren auf. Wir fordern die Unternehmen dringend dazu auf, diesen umzusetzen, und die Regierungen, gesetzliche und ordnungspolitische Mechanismen einzuführen, um ihn durchzusetzen. Ohne einen grundlegenden Wandel werden die dem Finanzsektor zugrundeliegenden Probleme nicht gelöst werden. All dies ist erforderlich, wenn wir sicherstellen wollen, dass sich die derzeitige Krise nicht wiederholt. ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 33 Ethik vor Profit in den News VON Aidan White DER FINANZZUSAMMENBRUCH HOB EINE KRISE IM MEDIENSEKTOR HERVOR, IN DEREN ZUSAMMENHANG DER TECHNOLOGISCHE WANDEL UND DAS INTERNET EIN CHAOS AUF DEN MEDIENMÄRKTEN ANRICHTETEN. IM JAHRE 2008 GINGEN ZEHNTAUSENDE ARBEITSPLÄTZE IM HERKÖMMLICHEN JOURNALISMUS VERLOREN, ALS ZEITUNGEN UND GROSSE RUNDFUNKMEDIEN DIE REDAKTIONSETATS DROSSELTEN UND PUBLIKATIONEN EINSTELLTEN. Selbst Titel des Weltjournalismus mit Symbolcharakter – die New York Times, die BBC, Le Monde, The Guardian – strichen Stellen, als sich die Besitzer der Realität bewusst wurden, dass Marktmodelle für Massenmedien, insbesondere Zeitungen, durch das Internet zerschlagen wurden, das ihnen Werbung und Publikum – das Herzblut des Sektors – entzieht. Die Zeitungen sind kein lukratives Geschäft mehr und werden es vermutlich nie wieder sein. Die Rezession hat den Prozess des Rückgangs in den herkömmlichen Medien beschleunigt. In den USA traten in den letzten Monaten des Jahres 2008 drastische Veränderungen mit Tausenden Arbeitsplatzverlusten wöchentlich ein. Die Gruppe Chicago Tribune kündigte an, sie stehe vor dem Konkurs. Die New York Times entließ erstmals in ihrer Geschichte Journalisten. Bedeutende Titel – die San Francisco Chronicle, der Philadelphia Inquirer – schienen vor dem Absturz zu stehen. Der Christian Science Monitor beschloss seine Tage als Zeitung und verlegte sich ins Internet. Insgesamt wurden allein in den USA 50 000 Stellen abgebaut. In Europa und anderswo nahm die sich ausbreitende Krise in den ersten Monaten 2009 eine globale Dimension an, als große Rundfunkanstalten und Medienunternehmen Stellenstreichungen bekannt gaben. Selbst im Unterhaltungsbereich, der den Ruf hat, in harten Zeiten für die dringend benötigte Wirklichkeitsflucht und Entspannung zu sorgen, sind Drosselungen an der Tagesordnung, 34 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 da Sony und andere Medienkonzerne Kostensenkungsmaßnahmen und Arbeitsplatzverluste melden. Als Reaktion lancierte die Internationale Journalisten-Föderation einen Kriseninformationsdienst für ihre Mitgliedsorganisationen – Monitoring Change (Überwachung des Wandels) –, der täglich einen aktuellen Bericht über Neuigkeiten aus dem Sektor vermittelt und auf Maßnahmen von Gewerkschaften auf nationaler Ebene, den Abbau zu bekämpfen, aufmerksam macht. Die rücksichtslosen Aktionen des europäischen Zeitungskonzerns Mecom mit 300 Titeln, die nach der Aufnahme enormer Geldsummen zur Finanzierung einer Einkaufsorgie erworben wurden, veranlassten beispielsweise die Gewerkschaften in Deutschland, Dänemark, den Niederlanden und Norwegen zur Entwicklung einer grenzüberschreitenden Kampagne. Das Unternehmen sah sich gezwungen, einige seiner wertvollsten Akquisitionen zu veräußern, um die Forderungen nach einer Schuldenrückzahlung zu erfüllen. In der gesamten Gruppe gab es Kürzungen, die zu Protesten seitens von Journalisten und Chefredakteuren führten, dass der Qualitätsjournalismus dabei geopfert worden sei. Diese Besorgnis über das sinkende Niveau veranlasste auch die IFJ, eine neue internationale Kampagne, die Initiative für ethischen Journalismus, zu lancieren. Die von einer eigenen Webseite (www.ethicaljournalisminitiative. org) unterstützte Initiative sowie ein umfangreiches Werk, To Tell you the Truth, waren den Gewerkschaften dabei behilflich, die Notwendigkeit des Schutzes des Journalismus und der Nachrichtenmedien im Kontext der derzeitigen Krise in den Mittelpunkt zu stellen. Die Initiative wurde auf Sonderkonferenzen im Nahen Osten und in Europa lanciert, und weitere Lancierungen sind in den Jahren 2009 und 2010 in Afrika, Lateinamerika und Asien geplant. Die Gewerkschaftsbewegung unterhielt bereits eine Beziehung der Hassliebe zur Presse, doch bieten der Finanzzusammenbruch und die Informationsrevolution im Journalismus erneut Gelegenheit, wieder eine Debatte rund um die Rolle der Medien in der demokratischen Gesellschaft anzustoßen. Die großen Medienkonzerne sind nach wie vor vorhanden und werden womöglich noch stärker, da sie kleinere Unternehmen schlucken, die nicht mehr existenzfähig sind, doch hat die Krise aufgezeigt, wie der durch rücksichtslose Kostensenkungen verarmte Journalismus auf ein Programm sensationslüsterner, populistischer und prominentensüchtiger Nachrichten reduziert wurde. Im Mittelpunkt der Ethikkampagne stehen Bemühungen, Medien und Journalismus von hoher Qualität auf die nationale und internationale Agenda zurückzubringen. Da der Privatsektor immer weniger fähig ist, Pluralismus und Medieninhalte von hohem Niveau zu bieten, besteht weitverbreitete Besorgnis über das demokratische Defizit, das durch den mangelnden Zugang zu zuverlässigen, zweckdienlichen und genauen Informationen für die Bürger/ innen entstand. Die Initiative für ethischen Journalismus fördert neue Formen öffentlicher Investitionen in die Medien, um den Zugang der Bevölkerung zu Informationen von hoher Qualität aufrechtzuerhalten. Sie ruft außerdem zu einer Erneuerung der Werte des öffentlichen Dienstes in den Medien auf, ein Thema, das laut den Mediengewerkschaften auf einer Konferenz über die Stärkung der öffentlichen Dienste in aller Welt entwickelt werden sollte, die vom Rat der Global Unions für das kommende Jahr vorgesehen ist. Aidan White ist Generalsekretär der Internationalen JournalistenFöderation. Die Transportbeschäftigten org anisieren sich für die Zukunft Bewegende Herzen VON David Cockroft ANGESICHTS DES RÜCKLÄUFIGEN WELTHANDELS UND DER EINBRECHENDEN VERBRAUCHERNACHFRAGE STEHEN DIE TRANSPORTBESCHÄFTIGTEN VOR NIE DAGEWESENEN HERAUSFORDERUNGEN, DOCH IST ES AUCH EINE ZEIT DER CHANCE – FÜR GEWERKSCHAFTSWACHSTUM UND GEWERKSCHAFTSDRUCK ZUR GESTALTUNG EINER ERHOLUNG, DIE AUF EINER GERECHTEREN WELT AUFBAUEN WIRD. Im Luftverkehr wurden beunruhigende Rückgänge im Passagier- und Frachtmarkt verzeichnet. Im Frachtbereich beispielsweise erfuhr die Region Asien und Pazifik, die über den größten Marktanteil verfügt, gemäß den Zahlen des Transportsektors im vergangenen Jahr einen Rückgang von 28,1% im Frachtverkehr. Das Passagiergeschäft ist ebenfalls rückläufig. Der US-Luftfahrtsektor verzeichnete im November 2008 den stärksten Rückgang bei den vergleichbaren monatlichen Passagierzahlen seit Januar 2002, und das Passagieraufkommen auf britischen Flughäfen schrumpfte im vergangenen Jahr erstmals seit 17 Jahren. Die Krise reduziert auch den Schiffsverkehr mit einem Rückgang des Seefrachtguts, rückläufigen Volumen im Containerverkehr und sinkenden Frachtraten, die zu „einem Abbau der Kapazitäten und der Dienstleistungen“ führt – einfach ausgedrückt, werden Arbeitsplätze abgebaut und verschlechtern sich die Bedingungen. Ein Bereich, in dem es einen Hoffnungsschimmer geben sollte, ist der öffentliche Verkehr, da der effiziente und kostengünstige öffentliche Verkehr in einer Rezession immer wichtiger wird und für die Wirtschaftserholung wesentlich ist. Dies könnte potenziell als Chance für den öffentlichen, nachhaltigen Verkehr angesehen werden. Im Februar wurde beispielsweise berichtet, dass Pendler in Sydney, Australien, wegen wirtschaftlicher und ökologischer Besorgnisse ihre Autos zugunsten von Zügen und Bussen stehen lassen und dass Experten den Beginn einer grundlegenden, langfristigen Veränderung des Verkehrsverhaltens voraussagen. Dennoch geht der Trend dahin, dass Investitionen in den öffentlichen Verkehr im vergangenen Jahrzehnt stärker von privater Finanzierung abhängig wurden, was bestehende wesentliche Dienste sowie die Finanzierung einer verbesserten Verkehrsinfrastruktur potenziell schwächt. Das britische Eisenbahnnetz beispielsweise gab eine Kürzung der Investitionen in die Wartung der Infrastruktur um 30% im Jahre 2009 bekannt. Der Verkehr im Zusammenhang mit dem Tourismus dürfte ebenfalls zurückgehen. Die Welttourismusorganisation (UNWTO) der Vereinten Nationen berichtete, dass der weltweite Tourismus im zweiten Halbjahr 2008 um 1% zurückgegangen sei und die Aussichten für 2009 düster seien. Die Lage ist jedoch nicht völlig trostlos. Laut UNWTO „kann der Tourismus als Sektor mit einzigartiger Wiederbelebungsfähigkeit eine entscheidende Rolle im Erholungsprozess spielen“. Eine Momentaufnahme der Auswirkungen des Abschwungs zeigt, dass Arbeitsplätze und Entgelte unter starkem Druck stehen. Infolgedessen sind neuerliche Bemühungen, die nicht gewerkschaftlich erfassten Beschäftigten zu organisieren, von wesentlicher Bedeutung. Die Rolle der Gewerkschaften beim Schutz der Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen dürfte neuen Anklang finden – es ist eine Chance für Wachstum und Organisierung der gewerkschaftlich nicht erfassten Beschäftigten, die auch den Lohnwettbewerb zwischen Beschäftigten verhindern oder abschwächen kann. Voraussichtlich werden die Frauen unverhältnismäßig stark unter dem Wirtschaftsabschwung zu leiden haben. Die Zahl der arbeitslosen Frauen dürfte sich infolge der Rezession um bis zu 22 Millionen erhöhen, da sich die weltweite Beschäftigungskrise laut der Internationalen Arbeitsorganisation dieses Jahr „extrem verschärfen“ könnte. Die ITF verfolgt das Ziel, diese Bedrohung zu bekämpfen und eine Gewerkschaftspräsenz in Bereichen sicherzustellen, in denen Frauen beschäftigt sind. Die ITF und ihre Mitglieder hegen keine Illusionen über die schmerzlichen Auswirkungen der Krise, doch erkennen sie an, dass es auch Chancen für ihre Gewerkschaften gibt. Es wäre zu viel gesagt, dass der Kapitalismus vollständig in Misskredit geraten ist, doch ist der Laissez-faire-Kapitalismus der letzten Jahrzehnte vom Tisch. Stattdessen müssen wir die Regulierung der Märkte, die Förderung neuer Formen sozialverantwortlicher Geschäftsverfahren und staatliche Investitionen in die Infrastruktur vorantreiben. Für die Gewerkschaftsbewegung öffnete sich ein Spielraum, um für menschenwürdige, nachhaltige Arbeitsplätze und die Grundwerte der Solidarität, Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit einzutreten. Die ITF setzt sich energisch für ihre Mitgliedsorganisationen ein, um ihnen bei dieser doppelten Herausforderung behilflich zu sein, für neue Arbeitsweisen einzutreten und die Mitgliedschaft aufzubauen. Die Gewerkschaften müssen nun im Rahmen ihrer politischen, Lobby- und Kommunikationskampagnen handeln, wenn sie Einfluss auf die künftigen Entwicklungen nehmen wollen. Im Mittelpunkt der Strategie, die zurzeit geprüft wird, steht ein Element der „Gewerkschaftshilfe“, das auf die Unterstützung der von der Krise stark betroffenen Gewerkschaften ausgerichtet ist und zwischen verschiedenen Gewerkschaften in denselben multinationalen Unternehmen koordinieren könnte. Wenn die Gewerkschaften auf den weltweiten Aufruf zu Aktionen für eine Erholung, die diesen Namen verdient, reagieren sollen, müssen sie ihre Arbeit und ihre Aktivitäten überprüfen und neue Energie in den Prozess des Gewerkschaftsaufbaus und Beschäftigungsschutzes einbringen. Ebenso wichtig wird der Bedarf an einem kämpferischen Ansatz sein, die Arbeitsplätze der Beschäftigten und ihre Rechte in den Mittelpunkt der Agenda für Erholung zu stellen. David Cockroft ist Generalsekretär der Internationalen TransportarbeiterFöderation ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 35 GLOBALE GEWERKSCHAFTSVERBÄNDE Internationale Transportarbeiter-Föderation Die Internationale TransportarbeiterFöderation (ITF), ein Verband von 650 Transportgewerkschaften, hat ihren Schwerpunkt verlagert, um sich intensiv auf Kampagnen, internationale Vernetzung und gewerkschaftliche Organisierung zu konzentrieren. Seit ihrer Gründung im Jahre 1896 nach einer Zusammenarbeit zwischen niederländischen und britischen Seefahrtgewerkschaften während eines Streiks gründet sie auf internationaler Solidarität und nutzt ihre Branchenstrukturen, um die Gewerkschaftsstärke von Hafenarbeitern, Seeleuten, Luftfahrtbeschäftigten, Arbeitskräften im Straßen- und Bahntransport aufzubauen. Die 60 Jahre alte Kampagne der ITF gegen Billigflaggen unterstützt die Rechte von Seeleuten im ältesten globalisierten Wirtschaftszweig der Welt. Die Bemühungen der Seefahrtgewerkschaften gipfelten im Jahre 2003 im ersten jemals auf internationaler Ebene ausgehandelten internationalen Tarifabkommen. In Straßen- und Bahntransport sowie in Häfen und Flughäfen hat die ITF mit multinationalen Konzernen zu tun und entwickelt eine Politik für den Aufbau einer Gewerkschaftsstärke in heutigen aufstrebenden Sektor – der Logistik. Wie im Bereich der Passagierbeförderung veranlassten Änderungen der Beschäftigungsstruktur die ITF auch hier, das Alters- und Geschlechterprofil der Beschäftigten genau zu untersuchen. Die ITF reagiert heute unter Leitung ihrer Mitgliedsgewerkschaften auf die Globalisierung mit einem geplanten Vorgehen für die gewerkschaftliche Organisierung in der globalen Transport- und Versorgungskette, gekoppelt mit strategischen Kampagnen, um sicherzustellen, dass die Rechte der Transportbeschäftigen in aller Welt geachtet werden. KONTAKT: ITF House, 49-60 Borough Road London SE1 1DR Großbritannien T: +44 (0) 20 7403 2733 F: +44 (0) 20 7357 7871 [email protected] Bildungs-Internationale Die EI ist die Global Union für Lehrkräfte und sonstige Beschäftigte im Bildungswesen und zählt 30 Millionen Mitglieder in über 400 Mitgliedsorganisationen in 172 Ländern und Territorien. Sie veranstaltet vier Regionalkonferenzen: EI Europa, einschließlich des Gewerkschaftsausschusses der Europäischen Union für Bildung, EI Asien und Pazifik, EI Afrika und EI Lateinamerika. Die Mitgliedsorganisationen in Nordamerika und in der Karibik treten regelmäßig in einer fünften regionalen Gruppierung zusammen. Die Mitglieder der EI kommen aus allen Ebenen des Bildungswesens – von der Vorschule bis zur Hochschule. Über 50% der Mitglieder sind Frauen. Die Satzung der EI schreibt die Geschlechtergleichstellung in ihren Leitungsorganen vor. 36 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 Der Weltkongress, der über 1 000 Delegierte vereinigt, tritt alle drei Jahre zusammen, und zwischen den Kongressen tagen Regionalkonferenzen. Der Vorstand zählt zurzeit 27 Mitglieder aus 24 Ländern. Die EI organisiert sich für die Förderung des Rechts auf Bildung ohne Unterschied für alle in der Welt mit folgenden Zielen: das Ziel der Errichtung und des Schutzes offener, öffentlich finanzierter und kontrollierter Bildungssysteme sowie akademischer und kultureller Einrichtungen zu verfolgen, die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen zu fördern, die für die Verwirklichung des Rechts auf Bildung in allen Nationen und die Erzielung gleicher Bildungschancen für alle erforderlich sind. Nebst der Interessenvertretung ist die Solidarität ein weiterer Schwerpunkt für EI, nämlich Entwicklungszusammenarbeitsprogramme für Solidarität zwischen den Mitgliedern in Industrieund Entwicklungsländern zur Unterstützung der Ausbildung von Führungskräften und der Kompetenzentwicklung. Ein bedeutender Schwerpunkt ist die Entwicklung der Gewerkschaftsfähigkeit, sich für Bildung für alle in jedem Land einzusetzen, und zwar in Verbindung mit einem ausgedehnten Programm, das auf die HIV/Aids-Prävention abzielt. Programme sind in 27 Ländern im Gange. Die EI wendet auch den Grundsatz an, die örtliche Mobilisierung mit weltweiter Interessenvertretung zur Wahrung der Menschen- und Gewerkschaftsrechte zu verbinden. Die Führungskräfte von Lehrergewerkschaften werden häufig von Regierungen oder bewaffneten Gruppen anvisiert. Wenn sie angegriffen oder inhaftiert werden oder Gewerkschaftsmitglieder unterdrückt werden, lanciert die EI dringliche Aktionsaufrufe, und die Mitgliedsorganisationen reagieren mit Protestwellen gegen die betreffenden Regierungen. KONTAKT: Bildungs-Internationale 5, Bd. du Roi Albert II 1210 Brüssel Belgien Tel.: +32 2 224 06 11 Fax: +32 2 224 06 06 [email protected] http://www.ei-ie.org Internationale JournalistenFöderation ‚Es kann keine Pressefreiheit geben, wenn Journalisten unter Bedingungen der Korruption, der Armut oder der Angst leben.‘ Die IFJ ist die Global Union für Journalisten. Sie wurde zunächst im Jahre 1926 gegründet und 1952 in ihrer heutigen Form neu lanciert. Sie vertritt heute über 600 000 Journalisten in 150 nationalen Gewerkschaften und 119 Ländern. Die IFJ setzt sich energisch für die Rechte der Journalisten ein. Sie fördert die Gewerkschaftsentwicklungsarbeit und beharrt darauf, dass die beruflichen Rechte nur gewahrt werden können, wenn es unabhängige, starke und repräsentative Gewerkschaften für Journalisten gibt. Die IFJ arbeitet eng mit Sonderorganisation der Vereinten Nationen zusammen und arbeitet an der Medienentwicklung, um die soziale Ausgrenzung zusammen mit Journalistengewerkschaften zu bekämpfen. Die Föderation verfügt über Regionalbüros in Lateinamerika, Afrika, Asien, im Nahen Osten und in Europa. Ein vorrangiges Anliegen der IFJ ist die Sicherheit der Journalisten und des Medienpersonals, und sie ist zusammen mit führenden Medienarbeitgebern Gründerin des International News Safety Institute, einer spezialisierten NRO, die sich für die Verbesserung des Schutzes für Journalisten und Medienpersonal einsetzt. Die IFJ nimmt aktiv an Kampagnen auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene teil, um das Niveau des Medienpluralismus zu verbessern und die Bedrohung für demokratische Rechte und sichere Arbeitsbedingungen durch exzessive Medienkonzentration abzuwehren. Zusammen mit anderen Gewerkschaftsgruppen im Medien- und Unterhaltungssektor arbeitet die IFJ an der Förderung der Werte von öffentlichem Interesse in den Medien, um die Urheberrechte zu verteidigen und menschenwürdige Arbeitsbedingungen im Journalismus zu fördern. KONTAKT: Internationales Pressezentrum Résidence Palace, Block C 155 Rue de la Loi B-1040 Brüssel Belgien Tel.: +32 2 235 2200 Fax: +32 2 235 2219 E-Mail: [email protected] Website: www.ifj.org UNI Global Union UNI ist die Global Union in den Bereichen Fachwissen und Dienstleistungen mit 20 Millionen Mitgliedern in 900 Gewerkschaften und vier Regionalorganisationen, UNI-Africa, UNI-Americas, UNI-Asia & Pacific und UNIEuropa. Jede von diesen setzt sich für eine wahrhaft soziale Dimension der regionalen Wirtschaftsintegration ein. UNI Global Union arbeitet daran, das Gewerkschaftswachstum aufzubauen, und vertritt Mitglieder in folgenden Sektoren: Handel, Elektrizität, Finanz, Glücksspiel, Grafik, Haarpflege und Kosmetik, IT, Unternehmensdienstleistungen, Industrie, Medien und Unterhaltung, Post, Reinigung und Sicherheit, Telekom, Tourismus und Sozialversicherung. Jeder Sektor ist eine eigenständige globale Gewerkschaft mit Aktionsplänen, die auf gewerkschaftliche Organisierung, Anhebung der branchenweiten Normen und Aushandlung globaler Abkommen mit Unternehmen abzielen. Zur Entwicklung von Themen in allen Sektoren verfügt UNI über drei Gruppen, die an der Förderung der weltweiten Gleichheit, der Verteidigung der Jugend und der Organisierung von Fach- und Führungskräften in Gewerkschaften arbeiten. KONTAKT: UNI Global Union Avenue Reverdil 8-10 1260 Nyon, Schweiz Tel.: (+41 22) 365 21 00 Fax: (+41 22) 365 21 21 [email protected] www.union-network.org Internationale Textil-, Bekleidungs- und Lederarbeiter-Vereinigung Die Internationale Textil-, Bekleidungs- und LederarbeiterVereinigung ist ein Globaler Gewerkschaftsverband mit 217 Mitgliedsorganisationen in 110 Ländern. Die ITBLAV verfolgt die Ziele, Grundsatzrichtlinien zu wichtigen Fragen für Gewerkschaften in den Sektoren aufzustellen und die Tätigkeiten der Mitgliedsorganisationen in aller Welt zu koordinieren. Sie fungiert als zentrale Stelle für Informationen, die für die tägliche Arbeit der Gewerkschaften von Belang sind, und unternimmt Solidaritätsaktionen zur Unterstützung der Gewerkschaften im Sektor. Die ITBLAV führt ein Programm für Bildung und Entwicklungshilfe durch, um den Gewerkschaften in den Entwicklungsländern bei der gewerkschaftlichen Organisierung der Beschäftigten behilflich zu sein, und betreibt aktive Lobbyarbeit bei zwischenstaatlichen Organisationen und sonstigen einschlägigen Institutionen, um sicherzustellen, dass die Interessen der Beschäftigten in ihren Sektoren bei den auf internationaler Ebene gefällten Entscheidungen berücksichtigt werden. Die ITBLAV wird durch die Beiträge ihrer Mitgliedsorganisationen finanziert. Die Bildungsund Entwicklungshilfeprogramme werden von Geberorganisationen bestritten. Der Kongress ist das oberste Organ der ITBLAV und tritt alle vier Jahre zusammen, um über die allgemeine Politik zu entscheiden. Er setzt sich aus den Delegierten der Mitgliedsorganisationen zusammen. Der Vorstand tritt einmal jährlich zusammen und ist für die Leitung der Tätigkeiten der ITBLAV und die Umsetzung der Entscheidungen des Kongresses verantwortlich. Die Vertretung beruht auf der Anzahl zahlender Mitglieder je Land und umfasst zurzeit 34 Länder. Während die Gesamtprioritäten und die Politik der ITBLAV auf internationaler Ebene behandelt werden, werden die regionalen Tätigkeiten und Beziehungen von den Regionalorganisationen abgedeckt, die als Bestandteil der ITBLAV auftreten, obwohl jede von ihnen über eigene Entscheidungsorgane verfügt und eigene Tätigkeiten durchführt: Die FITTVCC/ORI ist die Regionalorganisation der Amerikas mit Sitz in Venezuela, die ITBLAV/ ERO die europäische Regionalorganisation mit Sitz in Belgien, die TWARO ist die asiatische Regionalorganisation und in Japan stationiert, und der afrikanische regionale Beratungsausschuss befindet sich in Südafrika. KONTAKT: , rue Joseph Stevens 1000 Brüssel Belgien Tel.: +32 (0)2 512 26 06; +32 (0)2 512 28 33 Fax: +32 (0)2 511 09 04 E-Mail: [email protected] Internationale Union der Lebensmittel-, Landwirtschafts-, Hotel-, Restaurant-, Café- und GenussmittelarbeiterGewerkschaften Die Internationale Union der Lebensmittel-, Landwirtschafts-, Hotel-, Restaurant-, Caféund GenussmittelarbeiterGewerkschaften (IUL) ist der Globale Gewerkschaftsverband der Gewerkschaften, die Beschäftigte in der Landwirtschaft, in Plantagen, in der Zubereitung und Herstellung von Lebensmitteln und Getränken, in Hotels, Restaurants und im Catering sowie in allen Stadien der Tabakverarbeitung vertreten. Die IUL setzt sich aus 348 Gewerkschaften in 127 Ländern zusammen und zählt eine Gesamtmitgliedschaft von über 12 Millionen Beschäftigten. Seit ihrer Gründung im Jahre 1920 bildet die internationale Gewerkschaftssolidarität das Leitprinzip der IUL. Die Organisation baut Solidarität in jedem Stadium der Lebensmittelkette auf, führt gewerkschaftliche Organisierung in transnationalen Konzernen durch und unterstützt weltweite Aktionen zur Wahrung der Menschen-, demokratischen und Gewerkschaftsrechte. Stärkung der Mitgliedsorganisationen. Die IUL ist dafür da, die Mitgliedsgewerkschaften durch gegenseitige Unterstützung zu stärken. Sie bewerkstelligt dies durch Unterstützung der Mitgliedsorganisationen bei Organisierungskampagnen und Konflikten mit Arbeitgebern und Regierungen, Koordinierung und Umsetzung von Solidaritäts- und Unterstützungsaktionen, branchenweite Organisierung, Forschungsarbeit und Veröffentlichungen, Förderungen der Gleichstellung der Frauen im Betrieb, in der Gesellschaft und in der Gewerkschaftsbewegung sowie Gewerkschaftsbildungsprogramme. Internationale Anerkennung und Kollektivverhandlungen. Keiner der IUL Sektoren blieb von der Globalisierung verschont. Die IUL bemüht sich, ein internationales Gewerkschaftsgegengewicht zur Macht der transnationalen Konzerne zu schaffen. Sie setzt sich für die Anerkennung der Gewerkschaften auf jeder, auch auf internationaler Ebene ein. In der heutigen globalen Wirtschaft müssen international ausgehandelte Rechte und Normen bei den international tätigen Unternehmen das Ziel sein. Wahrung der Menschen-, demokratischen und Gewerkschaftsrechte. Die aktive Verteidigung der Gewerkschafts-, Menschenund demokratischen Rechte bildet wesentlichen Bestandteil der laufenden Tätigkeit der IUL. Die Wahrung dieser Rechte ist eine grundlegende Klassenfrage. Die IUL unterstützt aktiv diejenigen Bewegungen in aller Welt, die gegen Unterdrückung ankämpfen. Sie reagiert international auf jeden Angriff gegen ihre Mitgliedsorganisationen und die Gewerkschaftsbewegung. Sie engagiert sich für die Bildung von Bündnissen mit Menschenrechts-, Umwelt-, Verbraucher- und sonstigen Organisationen der Zivilgesellschaft, die ihre Ziele teilen. Regionen. IUL-Regionalorganisationen sind präsent in Afrika, Asien/Pazifik, der Karibik, Europa, Lateinamerika und Nordamerika. Die Regionen sind autonom und verfolgen unabhängiger Aktivitäten in enger Zusammenarbeit mit der IUL und ihren Leitungsorganen. Zudem bestehen subregionale Gremien zur Koordinierung dieser Tätigkeit auf dieser Ebene. KONTAKT: 8, rampe du Pont-Rouge CH-1213 Petit-Lancy, Genf Schweiz Tel.: +41 22 793 22 33 Fax: +41 22 793 22 38 E-Mail: [email protected] Website: www.iuf.org Bau- und HolzarbeiterInternationale Die Bau und HolzarbeiterInternationale (BHI) ist der Globale Gewerkschaftsverband der Gewerkschaften, die Beschäftigte im Baugewerbe, in der Baumaterial- und Holzindustrie, in der Forstwirtschaft und in verwandten Sektoren vertritt. Die BHI zählt 338 nationale Mitgliedsorganisationen in Afrika und im Nahen Osten (88), Asien (75), Europa (119), Nordamerika (7), Lateinamerika und der Karibik (49). Da Millionen Kinder arbeiten müssen, viele von ihnen im Baugewerbe, fördert die BHI praktische Lösungen zur Beseitigung der Kinderarbeitskrise durch Schulbildung, Kampagnen und gewerkschaftliche Organisierung. In Indien errichtete die BHI Kampagne Children Should Learn, Not Earn (Kinder sollten lernen, nicht arbeiten) Schulen für Kinderarbeiter, die Tausende Kinder von den Baustellen holen und sie in die Schulzimmer bringen. Das BHI-Programm für die Ermächtigung der Frauen trug gleichermaßen dazu bei, Tausende weiblicher Beschäftigter auf dem Gebiet der Gewerkschaftsarbeit auszubilden, um geringes Entgelt und gefährliche Arbeit im Baugewerbe, in der Holzindustrie und in der Forstwirtschaft zu bekämpfen. Da jedes Jahr 100 000 Beschäftigte an asbestbedingten Krankheiten sterben, bildet der Arbeitsschutz ein Schlüsselanliegen. Die BHI-Mitgliedsorganisationen setzen sich für ein weltweites Asbestverbot ein. In Lateinamerika wurden bereits in mehreren Ländern Verbote eingeführt. Die BHI erwirkte die Aufnahme der IAOKernarbeitsnormen in die Systeme für die Zertifizierung von Holz- und Forstprodukten, wie der Forestry Stewardship Council und das Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes (PEFC). In Afrika unterstützte dies die Gewerkschaften ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 37 GLOBALE GEWERKSCHAFTSVERBÄNDE bei der Bekämpfung der Armut durch nachhaltige Forstbewirtschaftung und bessere Arbeitsbedingungen. Bei der Wahrung der Menschen- und Arbeitnehmerrechte ist die BHI den Förderern der Gewerkschafts- und Menschenrechte behilflich und unterstützt legale Maßnahmen durch internationale Solidaritätsarbeit. Da über zehn multinationale Unternehmen im Baugewerbe und in der Holzindustrie die globalen Abkommen unterzeichnet haben, verlieh die BHI dem internationalen Sozialdialog und der Förderung der IAO-Übereinkommen praktische Bedeutung. Die BHI lobbyierte bei der Weltbank zugunsten der Annahme und Umsetzung der IAO Kernarbeitsnormen als verbindlich für die Beschaffungspolitik. Im Mai 2005 wurden die Bauverträge der Weltbank durch zwingende Klauseln über Zwangsarbeit, Kinderarbeit, Nichtdiskriminierung und sonstige Arbeitsnormen ergänzt. Im Jahre 2006 verlangte die Abteilung der Bank für den Privatsektor von ihren Kunden, die Kernarbeitsnormen einzuhalten. KONTAKT: BHI, 54 route des Acacias CH-1227 Carouge GE Schweiz Tel.: +41 22 827 37 77 Fax: +41 22 827 37 70 Internationaler Metallgewerkschaftsbund Der Internationale Metallgewerkschaftsbund (IMB) vertritt die kollektiven Interessen von 25 Millionen Metallbeschäftigten aus über 200 Gewerkschaften in 100 Ländern. Der 1893 gegründete Verband erfasst Industriezweige wie Stahl, Buntmetalle und Erzbergbau, Maschinenbau, Schiffsbau, Automobilfertigung, Luftfahrt, Elektro- und Elektronik-Industrie. Ziel des Verbandes ist es, die Entgelte sowie die Arbeits- und Lebensbedingungen der Metallbeschäftigten zu verbessern und dafür zu sorgen, dass die Rechte der Metallbeschäftigten geachtet werden. Um dies zu verwirklichen, arbeitet der IMB mit seinen nationalen Mitgliedsorganisationen sowie auf internationaler Ebene zusammen, um: Außer der Veranstaltung von Branchenund Regionalkonferenzen vereinigt der IMB Gewerkschaftsvertreter zur Erörterung der internationalen Gewerkschaftspolitik zu Themen wie Handel und Entwicklung, Organisierung der gewerkschaftlich nicht erfassten Beschäftigten und Arbeitsschutz. Der IMB hat seit 2002 verschiedene internationale Rahmenabkommen (IRA) mit transnationalen Konzernen geschlossen, die die Kernarbeitsnormen als Mindestanforderung für das Unternehmen und seine Lieferanten etabliert. KONTAKT: Internationaler Metallarbeiterbund 54 bis, route des Acacias Potfach 1516 CH-1227 Genf Schweiz Tel.: +41 22 308 50 50 Fax: +41 22 308 50 55 [email protected] www.imfmetal.org Internationale Föderation von Chemie-, Energieund FabrikarbeiterGewerkschaften (ICEM) Die ICEM vertritt über ihre 467 nationalen Mitgliedsgewerkschaften in 133 Ländern 20 Millionen Mitglieder. Die Sektoren der ICEM sind: • • Chemikalien und Biowissenschaften: Erforschung, Produktion und Raffination chemischer Elemente, Verbundstoffe und Produkte, chemotechnische Produkte, petrochemische Produkte, Agrochemikalien, Kunststoffe, Kunststofferzeugnisse und -komponenten und Kunstfasern. Außerdem Erforschung und Fertigung von Erzeugnissen und Materialien aus biotechnischen Methoden oder gentechnischen Verfahren. • Holzstoff und Papier: Herstellung und Umwandlung von Holzstoff, Papier, Pappe und Papierverpackung. • Kautschuk: Erforschung und Herstellung von Synthetikkautschuk und Verbundstoffen sowie Herstellung von Erzeugnissen aus natürlichem und synthetischem Kautschuk. • Glas, Keramik, Zement: Erforschung und Fertigung von Flachglas, Behälterglas, Glasfasern, Haushaltsglas sowie aller sonstigen Glaserzeugnisse, alle Arten von Töpferwaren, Tonerdeund Keramikmaterialien, Zement, aufzubauen • die internationale Solidarität zu stärken, befassen, • die Arbeitnehmerrechte zu sichern, einschließlich der Rechte der weiblichen Beschäftigten, und • für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung zu kämpfen. Der IMB hält Schritt mit den Entwicklungen in der Metallindustrie, indem er Forschungsarbeiten über wirtschaftliche und soziale Fragen für seine Mitglieder bereitstellt und sich für Gewerkschafts- und Menschenrechte einsetzt. 38 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 Bergbau und Natursteingewinnung: Schürfung, Förderung und Verarbeitung von Stein- und Braunkohle, Metall- und Nichtmetallerzen, Tonerde, Sand, Kies und Edelsteinen. Außerdem Diamantund Edelsteinsortieren, -schleifen und -polieren sowie Verzierungs- und Schmuckherstellung. • • eine weltweite Metallarbeiterbewegungen • sich mit transnationalen Konzernen zu Energie: Erdöl- und Erdgasschürfung, -förderung, -produktion, einschließlich Raffination und Vertrieb, Erzeugung und Verteilung von Elektrizität und Kernenergie. Buntmetallerze, verbundstoffe und -erzeugnisse. • Umweltdienstleistungen: Müllbeseitigung und -wiederverwertung, Schadstoffkontrolle, Wiederaufbereitung, Reinigung und Wartung, Wäscherei, chemische Reinigung und Hygienedienstleistungen, Transport- und Sicherheitsdienste sowie verbundene Tätigkeiten. Hauptsächliche Tätigkeiten und Programme: Die ICEM setzt sich weltweit für praktische Gewerkschaftssolidarität ein. Der GGV vereinigt Gewerkschaften in seinen Sektoren und leistet den Gewerkschaften in den Entwicklungsländern mittels von Gebern finanzierten Projekten praxisbezogene Unterstützung beim Aufbau von Gewerkschaften. Die ICEM hat in einer Kampagne zur Verringerung der zunehmenden Inanspruchnahme von Vertrags- und Zeitarbeitskräften weltweit die Führung übernommen, in dem sie die Nachhaltigkeit und die Vorteile der Vollzeit- und der festen Beschäftigung fördert. Die ICEM arbeitet mit den größten Bergbauunternehmen der Welt zusammen, um der Verbreitung von HIV/AIDS Einhalt zu gebieten, indem medizinische Kliniken, zu denen die ganze Gemeinschaft Zugang hat, in der Nähe von Bergwerken in abgelegenen Regionen errichtet werden. KONTAKT: 20, rue Adrien-Lachenal 1207 Genf Schweiz Tel.: +41 22 304 18 40 Fax: +41 22 304 18 41 Website: www.icem.org Internationale der Öffentlichen Dienste Die IÖD ist der Globale Gewerkschaftsverband für die Gewerkschaften des öffentlichen Sektors. Sie vertritt rund 646 Mitgliedsgewerkschaften in 158 Ländern. Diese Gewerkschaften organisieren insgesamt über 20 Millionen Beschäftigte im öffentlichen Sektor, die in der Zentralregierung, im Gesundheits- und Sozialwesen, in Kommunalund Gemeinschaftsdiensten sowie öffentlichen Versorgungsbetrieben tätig sind. Die IÖD vertritt die Interessen der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Seit ihrer Gründung im Jahre 1907 koordiniert sie im öffentlichen Sektor den Kampf um Arbeitnehmerrechte, soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit und effiziente und zugängliche öffentliche Dienste. Die IÖD setzt sich für die Verbesserung der Qualität der öffentlichen Dienste ein. Dies beinhaltet eine enge Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen, nationalen Regierungen, Verbraucherorganisationen und NRO. Die Projekte der IÖD für Solidarität und Gewerkschaftsentwicklung sind den Mitgliedsgewerkschaften behilflich, indem sie Unterstützung durch Ausbildung und Kompetenzentwicklung im Einsatzgebiet leisten, insbesondere in Ländern, in denen die Gewerkschaften um ihre Anerkennung kämpfen. Die IÖD tritt bei der Internationalen Arbeitsorganisation und anderen Organisationen der Vereinten Nationen, der Weltbank und den regionalen Entwicklungsbanken, dem Internationalen Währungsfonds, der Welthandelsorganisation, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und vielen anderen für den öffentlichen Sektor ein. Die IÖD verfügt über aktive Frauenausschüsse auf internationaler, regionaler und subregionaler Ebene. Alle Entscheidungsorgane basieren auf der Geschlechtergleichheit. Die IÖD hat Regionalbüros auf Barbados, in Belgien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Costa Rica, der Tschechischen Republik, Indien, Japan, Libanon, Singapur, Neuseeland, Rumänien, Russland, Südafrika, Togo, der Ukraine und den USA. Die IÖD arbeitet eng mit dem IGB – dem Internationalen Gewerkschaftsbund – und weiteren Gewerkschaftsverbänden zusammen, insbesondere mit der Bildungs Internationale EI und dem Europäischen Gewerkschaftsverband für den öffentlichen Dienst. KONTAKT: Internationale der Öffentlichen Dienste Postfach 9 01211 Ferney-Voltaire Cedex Frankreich T: +33 (0)450 40 64 64 F: +33 (0)450 40 73 20 [email protected] www.world-psi.org Internationale Kunst- und Unterhaltungsallianz Dieser Globale Gewerkschaftsverband umfasst FIM, FIA und UNI-MEI und ist ein vollständig unabhängiges und repräsentatives Gremium, das vom IGB und in Bezug auf seine europäische Tätigkeit vom EGB anerkannt wird. Zu den jüngsten Tätigkeiten gehörten Arbeitstagungen in Lateinamerika mittels der regionalen Koordinierung der IAEA (CREA) zur Förderung der Arbeitnehmerrechte in der Filmproduktion. Die Mitglieder der Allianz werden von der WIPO, der UNESCO und der IAO sowie vom Europarat und der Europäischen Union anerkannt. Außerdem hat die FIM Beobachterstatus bei der internationalen Organisation der Frankophonie. Der Internationale Schauspielerverband (FIA) wurde im Jahre 1952 von der französischen Gewerkschaft der darstellenden Künstler und deren Schwesterorganisation in Großbritannien gegründet und vertritt heute über 100 Gewerkschaften, Gilden und Berufsverbände darstellender Künstler in über 75 Ländern. KONTAKT: Guild House Upper St. Martin’s Lane London WC2H 9EG Tel.: +44 20 7379 0900 Fax: +44 20 7379 8260 Website: http://www.fia-actors.com Der Internationale Verband der Musiker (FIM) wurde 1948 gegründet und ist die einzige internationale Organisation, die Musiker weltweit vertritt. Sie zählt Mitgliedsgewerkschaften in über 70 Ländern. KONTAKT: 21 bis, rue Victor Massé F-75009 Paris Frankreich Tel.: +33 0 145 263 123 Fax: +33 0 145 263 157 E-Mail: [email protected] Website: http://www.fim-musicians.com UNI-MEI (Medien, Unterhaltung und Kunst), die Abteilung Medien und Unterhaltung von UNI Global Union, vertritt die Rundfunkbeschäftigten, Techniker und Personal des Film- und Theatersektors, spezifische Kulturschaffende und Berufsgruppen (Schriftsteller, Drehbuchautoren, visuelle Künstler), sonstige Beschäftigte im Bereich der Kunst und Unterhaltung, sowie Arbeitskräfte im Sportbereich und eine Vielfalt verwandter Gruppen. KONTAKT: 8-10 avenue Reverdil CH-1260 Nyon Schweiz Tel.: +41 22 365 21 00 Fax: +41 22 365 21 21 E-Mail: [email protected] Gewerkschaftlicher Beratungsausschuss bei der OECD Der Gewerkschaftliche Beratungsausschuss bei der OECD (TUAC) ist das offizielle Sprachrohr der Gewerkschaftsbewegung bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Der TUAC spielt seit über 40 Jahren eine wichtige Rolle bei der Arbeit der OECD und bringt die Stimme von über 60 Millionen Beschäftigten in 30 Industrieländern in die internationale Politikdebatte ein. Die Mitgliedschaft des TUAC setzt sich aus 56 nationalen Gewerkschaftszentralen zusammen. Sie finanzieren die Tätigkeit des TUAC, entscheiden über die Politik und wählen die TUACFunktionäre. Der TUAC wurde im Jahre 1948 als gewerkschaftlicher Beratungsausschuss für das wirtschaftliche Wiederaufbauprogramm für Europa – den Marshall-Plan – eingesetzt. Seit seiner Bildung im Jahre 1961 vertritt er die Standpunkte der gewerkschaftlich organisierten Arbeitskräfte bei der OECD. Angesichts der einsetzenden Globalisierung der Debatte in der OECD als potenziellem Regulierer intensivierte der TUAC die Zusammenarbeit mit globalen Gewerkschaftspartnern im Bemühen, dafür zu sorgen, dass die weltweiten Märkte durch die Achtung der Arbeitnehmerrechte und wirksame Regeln für multinationale Unternehmen ins Gleichgewicht gebracht werden. Der TUAC koordiniert und vertritt die Ansicht der Gewerkschaftsbewegung in den Industrieländern mittels Konsultationen mit den Regierungen und Experten der OECD. Ferner koordiniert er den Beitrag der Gewerkschaften zu den jährlichen Wirtschaftsgipfeln und Beschäftigungskonferenzen der G-8. Die hauptsächlichen Arbeitsbereiche des TUAC sind: • die Beschäftigungspolitik im Allgemeinen (einschließlich der Ausarbeitung der Gewerkschaftserklärung für die Wirtschaftsgipfel und Beschäftigungskonferenzen der G-8), die Politik bezüglich der strukturellen Anpassung und der Arbeitsmärkte und die nachhaltige Entwicklung. • die Aus- und Weiterbildungspolitik, die Renten- und Altersabsicherung, die Auswirkungen der Globalisierung auf die Beschäftigung. • die Steuerung der globalen Märkte, einschließlich der Umsetzung der OECD Leitsätze für multinationale Unternehmen und der Beziehungen der OECD zu Nichtmitgliedsländern, namentlich in Mittel- und Osteuropa und in Asien. Die OECD-Vertragswerke, wie die Leitsätze für multinationale Unternehmen, sind nicht rechtsverbindlich, können jedoch als Hilfsmittel zur Wahrung der Arbeitnehmerrechte wirksam sein. Eine bedeutende Überarbeitung im Jahre 2000 fügte neue Leitsätze (beispielsweise die Umwelt) hinzu. Sie verstärkte zudem Mechanismen zur Umsetzung der Leitsätze und erweiterte deren Geltungsbereich auf Unternehmensbetriebe weltweit sowie auf Subunternehmer. Der TUAC unterstützt die Gewerkschaften bei der Darlegung von Fällen bei nationalen Kontaktstellen der Regierungen, um sicherzustellen, dass die Leitsätze umgesetzt werden. Der TUAC war im Zeitraum 2003-2004 im Kielwasser der Unternehmensskandale auch von Anfang an der Überarbeitung der OECD Grundsätze für Unternehmensführung beteiligt und nahm an der Lenkungsgruppe teil, die den überarbeiteten Wortlaut entwickelte. KONTAKT: TUAC 15, rue Lapérouse 75016 Paris Frankreich Tel.: +33 (0)1 55 37 37 37 Fax: +33 (0)147 54 98 28 E-Mail: [email protected] Website: http://www.tuac.org ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 39 RAT DER GLOBAL UNIONS Der Rat wurde im Jahre 2007 eingesetzt und vereinigt den neu gegründeten Internationalen Gewerkschaftsbund, die Globalen Gewerkschaftsverbände und den Gewerkschaftlichen Beratungsausschuss bei der OECD (TUAC). Zu den Zielen des Rates der Global Unions gehören die Förderung der Gewerkschaftsmitgliedschaft und der gemeinsamen Gewerkschaftsinteressen weltweit durch verstärkte Zusammenarbeit. Die Globalen Gewerkschaftsverbände vertreten Beschäftigte in den verschiedenen Wirtschaftszweigen, die von Bildungswesen, öffentlichen Diensten und Fertigung bis zu Einzelhandel und Medien reichen. VORSITZENDE: Anita Normark STELLVERTRETENDER VORSITZENDER: Aidan White KOORDINATOR: Jim Baker Rat der Global Unions (CGU) Bd. Roi Albert II 5 bte. 1, Room 343 B-1210 Brüssel Belgien Tel.: +32 (2) 224-0343 IGB Der Internationale Gewerkschaftsbund vereinigt nationale Gewerkschaftszentralen, die sich wiederum aus Branchengewerkschaften zusammensetzen. Er konzentriert sich auf Grundsatzangelegenheiten und die Wahrung der Gewerkschaftsrechte und vertritt die Interessen der Arbeitnehmer bei internationalen Organisationen, einschließlich der Vereinten Nationen. Er spielt insbesondere in der dreigliedrigen Internationalen Arbeitsorganisation eine wichtige Rolle, wo er die Arbeitnehmergruppe koordiniert. Er mobilisiert seine Mitgliedsorganisationen, bei ihren Regierungen zu intervenieren und an internationalen Aktionen teilzunehmen. Er arbeitet eng mit allen übrigen Global Unions zusammen. Gestaltung: Mary Schrider, [email protected] Druck: Druk, Hoeilaart, Belgien 40 • ARBEIT FÜR DIE WELT • MaI 09 Internationaler Gewerkschaftsbund (IGB) 5 Boulevard du Roi Albert II Bte. 1 1210 Brüssel Belgien Tel.: +32 (0)2 224 0211 Fax: +32 (0)2 201 5815 E-Mail: [email protected] Website: www.ituc-csi.org Overflow from p. 35 ARBEIT FÜR DIE WELT • MAI 09 • 41