Statements für den Runden Tisch zur Situation der

Werbung
Statements für den Runden Tisch zur Situation der Heimerziehung am
08.09.16: „Umgang mit Grenzsituationen und mit besonderen Zielgruppen“
Grundsätzliche Anmerkungen:
Die diakonischen Träger arbeiten seit vielen Jahren mit „schwierigen“ Kinder und Jugendlichen. Diese stellen den
kleineren Teil aller Hilfeempfänger/Innen der Hilfen zur Erziehung dar, können aber aufgrund ihres umfassenden
und komplexen Hilfebedarfes die Mitarbeitenden vor zum Teil erhebliche Herausforderungen stellen. In Bezug
auf die Unterbringung schwieriger Kinder und Jugendliche ist derzeitig das Klima angespannt. Es besteht der
Eindruck, dass Einrichtungen sich zunehmend schwertun, sogenannte schwierige Kinder und Jugendliche
aufzunehmen, weil sie befürchten in den Fokus der Aufsichtsbehörde oder der Medien zu geraten. Grundsätzlich
wird für diese Kinder und Jugendlichen und für uns als Träger/Einrichtungen eine Akzeptanz dahingehend
benötigt, dass es beispielsweise bei Jugendlichen mit einer Drogenproblematik zu Drogenfunden und bei
Jugendlichen mit fehlender Impulskontrolle zu Gewaltausbrüchen gegen Sachen und Personen kommen kann.
Dies ist Teil des pädagogischen Prozesses, aber kein besonderes Vorkommnis. Einrichtungen, die sich dieser
Aufgabe stellen brauchen daher eine breite Unterstützung, von der Politik, von den örtlichen Jugendhilfeträgern
und dem überörtlichen Jugendhilfeträger.
Im Einzelnen:

Jugendhilfe ist ein Prozess der Aushandlung und einer Mindestmitwirkungsbereitschaft. Der Entzug der
Freiheit steht dem entgegen und ist daher kein Mittel der Jugendhilfe. Die einzige Begründung für eine
geschlossene Unterbringung besteht, wenn Jugendliche sich oder andere gefährden. Die Entscheidung
über eine geschlossene Unterbringung liegt dann bei Justiz oder Medizin und wird in diesen Bereichen
durchgeführt.

Punktesysteme können ein geeignetes Mittel zur Verstärkung eines Verhaltens sein. Die Methode geht
auf die Forschung von Thorndike und Skinner zurück. Lernen an den Konsequenzen bzw. „Lernen am
Erfolg ist eine von E. L. Thorndike (1913) begründete und von Skinner (1938) bearbeitete
Konditionierung von Tätigkeiten. Verhalten wird gelernt, indem alle Reaktionen (Vorstufen für das
gewünschte Verhalten) durch bestimmte Verstärker bekräftigt werden. Die Wahrscheinlichkeit des
Auftretens von gewünschtem Verhalten wird erhöht (vgl. Peters, 1999, S. 304)“.
(http://lexikon.stangl.eu/4318/operante-konditionierung/ © Online Lexikon für Psychologie und
Pädagogik). Insgesamt ist dies ein sehr mächtiges Mittel, welches einer hohen Selbstreflexion und
Absprache im Team benötigt, um einen Machtmissbrauch ausschließen zu können, bzw. möglichst
früh zu erkennen. Punktesysteme sind nicht zur Sanktionierung geeignet.

Die Gründe für einen Abbruch einer Heimunterbringung sind vielfältig und multikausal (z.B. nicht
passende Zusammensetzung der Gruppe, ein Jugendlicher kommt nicht in dieser Einrichtung an… ). Ein
Abbruch kann auch bei guter, sorgfältiger Vorauswahl durch Gespräche mit dem Jugendlichen und ggf.
dem/den Personensorgeberechtigten und Kennen der „Vorgeschichte“ nie gänzlich ausgeschlossen
werden.

Es braucht individuelle und flexible Spezialangebote für Kinder und Jugendliche, die aufgrund ihrer
durch erhebliche belastende Erfahrungen z.B. von Gewalt, Vernachlässigung und Ausgrenzung
geprägten Biografie Überlebensstrategien entwickelt haben, die u.A. selbst- und fremdgefährdend sind
und die bereits verschiedene Angebote der Kinder- und Jugendhilfe, sowie der Kinder- und
Jugendpsychiatrie durchlaufen haben. Dazu müssen Angebote außerhalb des gängigen Rahmens
geschaffen werden, die kreativ und mutig sind. Es braucht dazu eine enge institutionelle Begleitung und
einen fachübergreifenden Austausch aller an der Hilfe Beteiligten.
Die existierenden
altersvorgegebenen gesellschaftlichen Normen sind dann nicht immer erreichbar. Es bedarf des
Vertrauens und der Unterstützung des örtlichen und überörtlichen Trägers, dass wir als Träger die für
diesen Jugendlichen geeignete Maßnahme durchführen.

Es braucht multiprofessionelle Einrichtungen oder Abteilungen für Jugendliche mit einem besonderen
Hilfebedarf, wie z.B. Suchterkrankungen, Psychosen, Traumatisierungen oder massiven
Verhaltensauffälligkeiten. Diese Einrichtungen benötigen einen an den Bedarf angepassten
Personalschlüssel, eine hohe Fachlichkeit, eine angemessene Gruppengröße und ggf. auch ein Angebot
zur Einzelbetreuung einer/eines Jugendlichen.

Da die Betrachtungsweise der jeweiligen Profession verschieden ist, geht es in der Kooperation mit der
Kinder- und Jugendpsychiatrie darum, eine gemeinsame Koordination der Hilfen und eine Akzeptanz für
das jeweils andere System zu erreichen. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie betrachtet den Einzelfall, die
Pädagogik diesen Jugendlichen und alle Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung. Ist es z.B. durch
einen Jugendlichen zu einer Eskalation in der Einrichtung gekommen, mag es sein, dass nach kurzer Zeit
für den Moment betrachtet keine Selbst- oder Fremdgefährdung mehr besteht. Es sollte aber auch
betrachtet werden, was es bedeutet den Jugendlichen in das Setting der Einrichtung wieder zurück zu
schicken. Ist sie oder er wirklich schon so stabil, dass der Heimalltag gelingen kann?? Manchmal ist eine
Rückkehr für den Jugendlichen in die Einrichtung auch nicht ohne Weiteres sofort möglich, weil die
anderen Kinder/Jugendlichen Angst vor ihm/ihr haben. Was würde es bei dem Jugendlichen auslösen,
wenn sie/er nicht zurück darf in die Einrichtung, was bei den anderen Kindern und Jugendlichen wenn
sie /er zurück muss in diese Einrichtung? Es bedarf daher einer guten und engen Kooperation beider
Professionen mit einer ganzheitlichen Betrachtungsweise der Situation. Auch die unterschiedlichen
Finanzierungssysteme, die aufgrund ihrer Versäulung das Arbeiten „an einem Fall“ nicht ermöglichen,
erschweren den Prozess. Insofern bedarf es gemeinsamer inhaltlicher und finanzieller Vereinbarungen
und Konzepte.

Die Eltern sind für Kinder und Jugendliche, selbst dann wenn es ihnen gegenüber zu Gewalt- oder
Missbrauchserfahrungen, gekommen ist, wichtige Personen. Wenn Eltern eine Unterbringung dem Kind
nicht erlauben, kann das Kind/der Jugendliche nicht in der Einrichtung ankommen. Hinzu kommt, dass
eine stationäre Unterbringung vielerorts regelhaft nur noch für max. 1 Jahr angedacht ist. Es braucht
daher ein Fallverständnis was die Eltern wollen und leisten können und es muss daher die Möglichkeit
geben, dass mit den Eltern auch in der Herkunftsfamilie gearbeitet wird.
Eine Finanzierung in den Herkunftsfamilien dieser Arbeit erfolgt, weil sie eine zusätzliche Leistung zur
stationären Unterbringung ist, nur in Ausnahmefällen.

Für die schwierigen Kinder und Jugendlichen stellt die Beschulung in Regelschulen eine große
Herausforderung dar. Grundsätzlich wird erwartet, dass sich die Institution Schule an dem Bedarf der
jeweiligen Schüler/In ausrichtet. Häufig können diese Kinder und Jugendlichen keinen ganzen Schultag
durchstehen oder zeigen Verhaltensauffälligkeiten im Unterricht und sind deshalb im Unterricht nicht
tragbar. Ein Vorschlag wäre die Einführung einer „Insel“ (- Auszeit, wenn es nicht mehr geht –) auch für
die weiterführenden Schulen oder Einzelfalllösungen.
Zugehörige Unterlagen
Herunterladen