Die Bedeutung der Philosophie im 20. Jahrhundert

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Fach beiträge
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Detlef Horster
Die Bedeutung der Philosophie im
20. Jahrhundert für die politische Bildung
Entwicklung der Philosophie im 20.
Jahrhundert
Es geht in diesem Beitrag um die Bedeutung
der Philosophie des 20. Jahrhunderts für die
pol,itische Bildung. Die hier dargestellten phi­
losophischen Richtungen enthalten allesamt
fundierende Überlegungen für politisches,
gesellschaftsveränderndes Handeln.
Die Zeit zwischen dem Ende des 19. und
dem Ende des 20. Jahrhunderts ist zum einen
gekennzeichnet durch die Annäherung von
Philosophie und Sozialwissenschaften bzw.
Soziologie, die bis dahin strikt getrennte
Gebiete waren; die Philosophie gibt es seit
der Antike und die Soziologie ist eine neue
Disziplin, al,s deren Begründer der 1798 ge­
borene Auguste Comte gilt, der erstmals
den Begriff "Soziologie" verwendete. Ende
des 19. Jahrhunderts entstand ein neuer
Zweig, in dem beide vereinigt sind, das ist
die Sozialphilosophie. Zum anderen sind rein
innerphilosophisch neue Zweige entstanden,
beispielsweise Phänomenologie, Existenzialis­
mus, analytische Philosophie, Pragmatismus,
Naturalismus, Kommunitarismus, Poststruk­
turalismus oder Postmoderne und die Ange­
wandte Ethik.
zess einzugehen. Die Diagnose des franzö­
sischen Soziologen Emile Durkheim lautete,
dass die Gegenwartsgesellschaft das Indivi­
duum zum Kult erhoben habe.
Für den Trierer Soziol,ogen Alois Hahn
setzt der Individualisierungsprozess mit der
Einführung der Ohrenbeichte durch das vierte
Laterankonzil von 1215 ein Die Ohrenbeichte
ist das individuelle Schuldbekenntnis vor Gott.
noch in den mittelalterlichen christlichen
Gemeinden und in den Familien. Sobald die
Menschen begannen, sich davon zu lösen
und sich zu Individuen entwickelten und freie
Entscheidungen zu treffen, wurde die Frage
Dr. phi!. habil. Det',ef Horster
lehrte mit Unterbrechungen
durch Gastprofessuren, u. a. in
Vor diesem Datum waren Versuche früherer
Konzile, die Ohrenbeichte einzuführen, daran
gescheitert, dass die Zeit dafür noch nicht
reif war. Bis dahin bekannte die Gemeinde
der Schweiz und in Südafrika,
von 1984 bis 2007 als Profes­
als ganze ihre Schuld vor Gott. Wenn die
Menschen als Individuen definiert werden,
lösen sie sich von den Handlungsregeln und
-orientierungen, die ihre Gemeinschaftszuge­
hörigkeit ihnen bis dahin vorgegeben hatte.
In den Ständen, in den Clans, in den Familien
und in den religiösen Gemeinschaften, so
tionen zur Sozial philosophie
wie sie in der Antike und noch im Mittelalter
Bestand hatten, konnten die Menschen sich
Der Individualisierungsprozess
an die inneren Regeln der jeweiligen Gemein­
schaft oder des Standes, dem sie angehörten,
halten, zum Beispiel an die Regeln des Adels:
Im 11 Gesang der Ilias, Vers 401ff., scheint
Odysseus aus unserer heutigen Sicht vor die
Wahl gestellt zu sein, im Kampf standzuhal­
ten oder zu fliehen. Doch als Angehöriger
Die Sozial philosophie, aber auch der Prag­
matismus und der Kommunitarismus, die ich
vorstellen werde, sind nicht gut zu verstehen,
ohne zuvor auf den Individualisierungspro­
des adligen Standes hatte er keine Wahl, er
konnte nur standhalten. In Homers Epos gibt
es kein Wort für Entscheidung. Eine vergleich­
bare Bindung an die Gemeinschaft bestand
sor für SOZIal philosophie an
der Leibniz Universität Hanno­
ver. Er hat zahlreiche Publika­
und Ethik veröffentlicht.
nach dem Verhältnis von Individuum und Ge­
sellschaft virulent.
Sozial philosophie
Diese Frage wurde für die Sozialphiloso­
phen zentral. Im Vordergrund sozialphilo­
sophischer Betrachtungen stehen laut Axel
Honneth die Pathologien, die aus dem spe­
zifischen Verhältnis von Individuum und Ge­
sellschaft im Individualismus erwachsen sind:
Entzweiung, Verdinglichung, Entfremdung,
Nihilismus, Gemeinschaftsverlust, Entzaube­
rung, Entpersönlichung, Vermarktung oder
kollektive Neurose. Gemeinschaftsverlust,
Entfremdung und Vermarktung sind für die
Sozialphilosophen der sogenannten Kriti­
Fachbeitr~ge
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schen Theorie der Frankfurter Schule zent­
ale Probleme analysiert und sichtbar gemacht
kommen ließ. Arbeitslose leiden unter Mis­
rale Ausgangspunkte ihrer Überlegungen;
werden. Diese waren der Ausgangspunkt für
sachtung oder zumindest unter einem Man­
also etwa für Max Horkheimer, Theodor W
Überlegungen zur gesellschaftlichen Verän­
gel an Anerkennung. Daraus zieht Honneth
Adorno, Jürgen Habermas und eben Axel
Honneth.
derung. Dadurch unterscheidet sich die Kriti­
den Schluss, dass die wechselseitige soziale
sche Theorie von soziologischen Theorien, die
rein deskriptiv vorgehen.
Anerkennung die dem sozialen Interaktions­
Der Sache nach gab es die Sozialphilo­
sophie bereits bevor der Begriff verwendet
Vertreter der Kritischen Theorie sahen
wurde. Thomas Hobbes, John Locke und
Jean-Jacques Rousseau widmeten sich be­
eine Störung der gesamtgesellschaftlichen
tung ist. Bleibt die als verdient angenommene
Anerkennung aus, erfahren die vergesell­
Ordnung durch die genannten Pathologien,
schafteten Subjekte das als Missachtung,
reits dem neu zu bestimmenden Verhältnis
insbesondere durch das Missverhältnis von
von Individuum und Gesellschaft. Ungeachtet
Arm und Reich sowie durch Unterdrückung
als Verletzung. Die Menschen entwickeln in
solchen Fällen Wut und Empörung. Hiermit
einiger früherer Formen der Sozialphilosophie
und Ausbeutung. Letztere würden für die
hat Honneth nach seiner Ansicht einen evi­
wird man deren Entstehung aber im letzten
Mitglieder der Arbeiterklasse spürbar, die
denten Ausgangspunkt für die gegenwärtige
Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts ansiedeln
deshalb eine herrschaftsfreie Gesellschaft
Weiterentwicklung der Kritischen Theorie ge­
müssen. Ab 1894 wird der Begriff von Ge­
anstrebten. Das Erkenntnisinteresse für die
org Simmel und Rudolf Stammler diskutiert,
Forschungen der Kritischen Theorie ist die
funden. Der Protest habe einen zukunftswei­
senden Gehalt, nämlich die Perspektive auf
prozess zugrundeliegende normative Erwar­
eine Gesellschaft, die unter allen Menschen
eine gleiche und wechselseitige Achtung ga­
ausgefül!t und in Umlauf gebracht. Beide
Realisierung einer solchen herrschaftsfreien
bestimmen den Charakter der Sozialphiloso­
Gesellschaft. In der traditionellen Kritischen
phie als normativ und deskriptiv zugleich. Es
Theorie Horkheimers und Adornos bildete
soll an gesellschaftlichen Gegebenheiten an­
das Proletariat, das seinen Protest gegen
geknüpft werden, und zwar so, dass sie den
normativen Zielen entsprechend verändert
Unterdrückung und Ausbeutung artikulierte,
Habermas der Auffassung, dass eine Gesell­
den Ausgangspunkt.
schaftsanalyse nur erfolgen kann, wenn man
werden könnten. Seither findet der Begriff
"Sozial philosophie" breitere Verwendung.
Auf dem ersten Deutschen Soziologentag
Jürgen Habermas, Nachfolger Horkhei­
mers auf dem Lehrstuhl für Sozialphilosophie, .
wechselte vom marxistischen Produktionspa­
rantiert.
Honneth, der normativ vorgeht, ist wie
erstens das Ideal einer gerechten Gesellschaft
als normativen Maßstab der Analyse vor Au­
gen hat und zweitens angibt, welche Mecha­
1910, im Jahr der Gründung der "Deutschen
radigma zum Paradigma kommunikativen
nismen in der unzulänglichen Gesellschaft die
Gesellschaft für Soziologie", hielt Ferdinand
Handeins, mit dem er deutlich machen wollte,
Weiterentwicklung verhindern. Drittens muss
Tönnies die Eröffnungsrede. Er definierte die
dass in der Interaktion die Bedingungen ge­
man das Entwicklungspotenzial aufzeigen,
Sozialphilosophie noch als rein deskriptive
sellschaftlichen Fortschritts angelegt sind.
das man zu entfalten hat.
Wissenschaft. Soziologie und Sozialphiloso­
Das Kommunikationsparadigma ist nach Ha­
phie sollten wertfrei forschen und sich nur
bermas' Auffassung zum einen konstitutiv,
Pragmatismus
dem widmen, was ist, und nicht dem, was
ermöglicht die real bestehende Interaktion,
Von den oben erwähnten, neu entstandenen
sein soll. Nach Adorno hingegen sollte die So­
weil alle von der Gleichheit der Kommuni­
innerphilosophischen Strömungen seien hier
zialphilosophie mit der Problembeschreibung
kationspartner ausgehen. Zum anderen ist
nur noch die erwähnt, die für den Prozess der
zugleich zur Problembehebung beitragE'll. So
das Kommunikationsparadigma ein regula­
Gesellschaftsveränderung und damit für die
kam ein normativer Aspekt in die Sozialphi­
tiv-emanzipatorisches Prinzip, denn in ihm
politische Bildung relevant sind.
losophie hinein. Seither wurde der Begriff
steckt der Vorschein auf eine zukünftige
Der Pragmatismus (pragma, griechisch:
"Sozialphilosophie"
unterschiedlichen
herrschaftsfreie Gesellschaft, in der jede und
Konnotationen in Soziologie und Philoso­
jeder das gleiche Recht hat, zu befehlen und
mit
phie gebraucht, bis Horkheimer ihn als erster
sich zu widersetzen, zu erlauben und zu ver­
Vertreter der Kritischen Theorie 1931 näher
bieten, Rechenschaft abzulegen und zu ver­
Handlung) ist ein Import aus den USA und
wurde ab den 1960er-Jahren in Europa rezi­
piert, in Deutschland namentlich von Karl­
Otto Apel und Jürgen Habermas. Bekannte
bestimmte. Der Titel seiner Antrittsvorlesung
langen usw. Das wäre eine Gesellschaft, in
amerikanische Vertreter sind George H.
am Lehrstuhl für Sozial philosophie lautete
der die Chancenverteilungen in jeder Hinsicht
Mead, Charles W Morris, Clarence I. Lewis,
Die gegenwärtige Lage der Sozialphilosophie
und die Aufgaben des Instituts für Sozialfor­
schung. Horkheimer macht darauf aufmerk­
gleich sind.
Für den nächsten Inhaber des Lehrstuhls
Willard Van Orman Quine und Richard Rorty.
für Sozialphilosophie in Frankfurt am Main,
tung gelten William James, Charles S. Peirce
sam, dass die Sozial philosophie zu dieser Zeit
Axel Honneth, liegt ein Nachteil dieses Para­
und John Dewey. Nach Ansicht eines der bes­
im Mittelpunkt eines allgemeinen philoso­
digmas darin, dass für die in der Kommunika­
ten Kenner des Pragmatismus, Helmut Pape,
phischen Interesses stehe, und er erklärt das
tion ungleich Behandelten deren Ungleichbe­
folgendermaßen: Als das letzte Ziel der Sozi­
handlung nicht unbedingt erfahrbar werde.
sind Pragmatisten der Auffassung, "dass die
Praxis, insbesondere gemeinsames Handeln
Als Begründer dieser phdosophischen Rich­
alphilosophie gelte "die philosophische Deu­
Nach Honneths Ansicht ist es die lang anhal­
und Sprachgebrauch, den nicht aufhebbaren
tung des Schicksals der Menschen, insofern
tende Massenarbeitslosigkeit in Verbindung
Ausgangspunkt für alles menschliche Den­
sie nicht bloß Individuen, sondern Glieder ei­
mit dem Dauerleiden der Betroffenen, die
ken bildet." William James sagte in seiner
ner Gemeinschaft sind." Zunächst sollten sozi­
den Gedanken an ein neues Paradigma auf­
Vorlesung mit dem Titel Der Pragmatismus:
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"In welcher Beziehung wäre die Welt anders,
wenn diese oder jene Alternative wahr wäre?
Wenn ich nichts finden kann, das anders
würde, dann hat die Alternative keinen Sinn.
[...] Es ist erstaunlich zu sehen, wie viele phi­
losophische Kontroversen in dem Augenblick
zur Bedeutungslosigkeit herabsinken, wo
Sie dieselben dieser einfachen Probe unter­
werfen, indem Sie nach den konkreten Kon­
sequenzen fragen." Entsprechend schreibt
Peirce: "Die Elemente eines jeden Begriffs tre­
ten durch die Pforte der Wahrnehmung in das
logische Denken ein und verlassen es durch
die Pforte des zweckbestimmten Handeins,
und was seinen Paß an diesen beiden Pforten
nicht vorweisen kann, wird von der Vernunft
als unberechtigt festgenommen." An einem
weiteren Zitat kann man unschwer erkennen,
dass nicht allein der Praxisbezug der Philo­
sophie angesprochen ist, sondern zugleich
die Verbesserung des Denkens. Dazu wieder
Helmut Pape: "Der Begriff des Gegenstandes
soll durch den Begriff seiner praktischen Wir­
kungen konkretisiert und geklärt werden. [...]
Die Erfahrung der praktischen Wirkungen ei­
nes Gegenstandes klärt die Bedeutung einer
Aussage, weil sie die Bezugnahme auf einen
Gegenstand mit den erfahrbaren Handlun­
gen verknüpft, die ihn einschließen."
Kommunitarismus
Namhafte Vertreter des Kommunitarismus
sind u.a. Benjamin Barber, Alasdair Macln­
tyre, Michael Sandei, (harIes Taylor und Mi­
chael Walzer. Der "Kommunitarismus" (com­
munitas, lateinisch: Gemeinschaft) verdankt
seinen Namen der Tatsache, dass seine Ver­
treter der Auffassung sind, dass gesellschafts­
politische Betrachtungen immer soziale Prob­
leme als Ausgangspunkt zu nehmen haben.
Kommunitarier beklagen die Instabilität mo­
derner Gesellschaften, die durch die zuneh­
mende Individualisierung entstanden ist. Die
gegenwärtigen Gesellschaften seien dadurch
instabil, dass die einzelnen Menschen sich
nicht mit ihr identifizierten. Diese Uninteres­
siertheit an Gesellschaft berge die Gefahr in
sich, dass Despoten die Macht übernehmen
könnten. Der Auftrieb der AfD ist gegenwär­
tig ein Beispiel dafür. Die Stabilität der Gesell­
schaft wird nach Auffassung der Kommunita­
rier dadurch erlangt, dass die Menschen sich
mit ihren Gemeinschaften (communitates)
identifizierten und damit der aufgewiesenen
9
Gefahr entgegenwirkten. Je stärker sich die
für das Gute oder das Böse zu entscheiden.
Menschen mit ihren Gemeinschaften iden­
tifizierten, desto mehr wachse in der Folge
das Interesse an gesellschaftlichen Belangen.
Auf diesem Wege erreiche die Gesellschaft
höhere Stabilität. Der schon erwähnte Fer­
dinand Tönnies erklärte in seinem Buch Ge­
meinschaft und Gesellschaft, dass sich in der
Gemeinschaft, in der man sich mit den Sei­
nen befinde und in der man Wohl und Wehe
teile, das vertraute Zusammenleben abspiele.
Meist lebe man in dieser vertrauten Gemein­
Schon Kant war der Auffassung, dass nur
Gott und die Heiligen keine Moral brauchten,
weil sie nur das Gute tun. Die Menschen hin­
gegen bräuchten die Moral als Orientierung,
weil sie sowohl zum Guten wie zum Bösen
fähig wären und sich für die eine oder andere
Seite entscheiden könnten. Hitler wollte nach
Ansicht von Arendt die Negation der Moral.
Er wollte die Umkehrung der 10 Gebote und
somit ein Recht auf Tötung und Folterung
herstellen, wie Arendt in ihrem erst 2005 in
deutscher Sprache erschienenen Buch Über
das Böse schreibt. Das bedeutete für Hitler,
dass die Schöpfer der Moral, in der Töten und
Foltern verboten ist, mit dieser Moral unter­
gehen müssten. Darum mussten Millionen
Juden in Deutschland sterben. Ausschwitz
war das Ergebnis der Hand'lungen tausender
von Menschen als Rädchen im Räderwerk des
schaft von Geburt an. Gesellschaft hingegen
ist für Tönnies die Öffentlichkeit, die Welt, in
die man gehe wie in die Fremde.
Den Gedanken, dass das Interesse an der
Gesellschaft in dem Maße wächst, in dem
Menschen die Möglichkeit bekommen, sich
mit überschaubaren politischen Einheiten
zu identifizieren, hat auch Hannah Arendt
aufgegriffen: In kleinen, überschaubaren
Gemeinschaften werde politischer Bürger­
sinn kultiviert. Arendt beruft sich auf den
Staatstheoretiker Thomas Jefferson, der der
dritte Präsident der USA war: "Jefferson war
in der Tat der Meinung, daß ohne solche Un­
terteilung der Land- und Stadtkreise in kleine,
übersehbare Bezirke die Existenz der Repu­
blik auf dem Spiel steht." Für Arendt muss
die Gemeinschaft eine Gemeinschaft freier
und verantwortungsbewusster Menschen
sein. Damit sind Menschen gemeint, deren
Individualität geschützt ist; doch um in den
Genuss dieses Schutzes kommen zu können,
müssen sie Verantwortung für das Ganze
übernehmen.
Die Auseinandersetzung mit dem
Nationalsozialismus
Die Auseinandersetzung mit dem Nationalso­
zialismus ist für die politische Bildung eben­
falls von Bedeutung, weil man genauestens
wissen muss, was gesellschaftlich falsch
gelaufen ist, damit man solche Entwicklun­
gen in der Gegenwart verhindern kann. Die
wohl ernsthafteste Auseinandersetzung hat
Hannah Arendt mit ihrem Bericht über den
Eichmann-Prozess geleistet. Wenn Arendt
darin von der "Banalität des Bösen" spricht,
so wollte sie die Gräueltaten der Nazis da­
mit nicht verharmlosen, wie ihr vorgeworfen
wurde, sondern sie meint damit, dass Eich­
mann kein Dämon war, sondern ein ganz
normaler Mensch, der in der Lage war, sich
Nationalsozialismus, so wie Eichmann nur ein
Rädchen war. Er habe sich nach Arendts An­
sicht in völliger Gedankenlosigkeit nie vorge­
stellt, was er da eigentlich angerichtet habe.
Arendt, die Eichmann in Jerusalem selbst
erlebte, stellt fest, dass er gänzlich in die Na­
zi-Ideologie verstrickt war. Eichmann sprach
in einem Interview 15 Jahre nach dem Unter­
gang des Dritten Reiches davon, dass er ein
fanatischer Kämpfer für die Freiheit seines
Blutes sei, dass für ihn heiliger Befehl sei, was
seinem Volke nütze, dass er sich der Vorse­
hung unterzuordnen habe, dass ihn gar nichts
reue, dass er nicht zu Kreuze kriechen wolle,
dass er nicht vom Saulus zum Paulus werden
wolle. Und dass er versagt habe, weil nur 6
Millionen Juden ermordet wurden und nicht
die vorgesehenen 10,3 MIi'lionen. Diese Ideo­
logiegläubigkeit machte Eichmann nach Han­
nah Arendt völlig blind für die Realität.
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