LiS Fach beiträge 1/2017 7 Detlef Horster Die Bedeutung der Philosophie im 20. Jahrhundert für die politische Bildung Entwicklung der Philosophie im 20. Jahrhundert Es geht in diesem Beitrag um die Bedeutung der Philosophie des 20. Jahrhunderts für die pol,itische Bildung. Die hier dargestellten phi­ losophischen Richtungen enthalten allesamt fundierende Überlegungen für politisches, gesellschaftsveränderndes Handeln. Die Zeit zwischen dem Ende des 19. und dem Ende des 20. Jahrhunderts ist zum einen gekennzeichnet durch die Annäherung von Philosophie und Sozialwissenschaften bzw. Soziologie, die bis dahin strikt getrennte Gebiete waren; die Philosophie gibt es seit der Antike und die Soziologie ist eine neue Disziplin, al,s deren Begründer der 1798 ge­ borene Auguste Comte gilt, der erstmals den Begriff "Soziologie" verwendete. Ende des 19. Jahrhunderts entstand ein neuer Zweig, in dem beide vereinigt sind, das ist die Sozialphilosophie. Zum anderen sind rein innerphilosophisch neue Zweige entstanden, beispielsweise Phänomenologie, Existenzialis­ mus, analytische Philosophie, Pragmatismus, Naturalismus, Kommunitarismus, Poststruk­ turalismus oder Postmoderne und die Ange­ wandte Ethik. zess einzugehen. Die Diagnose des franzö­ sischen Soziologen Emile Durkheim lautete, dass die Gegenwartsgesellschaft das Indivi­ duum zum Kult erhoben habe. Für den Trierer Soziol,ogen Alois Hahn setzt der Individualisierungsprozess mit der Einführung der Ohrenbeichte durch das vierte Laterankonzil von 1215 ein Die Ohrenbeichte ist das individuelle Schuldbekenntnis vor Gott. noch in den mittelalterlichen christlichen Gemeinden und in den Familien. Sobald die Menschen begannen, sich davon zu lösen und sich zu Individuen entwickelten und freie Entscheidungen zu treffen, wurde die Frage Dr. phi!. habil. Det',ef Horster lehrte mit Unterbrechungen durch Gastprofessuren, u. a. in Vor diesem Datum waren Versuche früherer Konzile, die Ohrenbeichte einzuführen, daran gescheitert, dass die Zeit dafür noch nicht reif war. Bis dahin bekannte die Gemeinde der Schweiz und in Südafrika, von 1984 bis 2007 als Profes­ als ganze ihre Schuld vor Gott. Wenn die Menschen als Individuen definiert werden, lösen sie sich von den Handlungsregeln und -orientierungen, die ihre Gemeinschaftszuge­ hörigkeit ihnen bis dahin vorgegeben hatte. In den Ständen, in den Clans, in den Familien und in den religiösen Gemeinschaften, so tionen zur Sozial philosophie wie sie in der Antike und noch im Mittelalter Bestand hatten, konnten die Menschen sich Der Individualisierungsprozess an die inneren Regeln der jeweiligen Gemein­ schaft oder des Standes, dem sie angehörten, halten, zum Beispiel an die Regeln des Adels: Im 11 Gesang der Ilias, Vers 401ff., scheint Odysseus aus unserer heutigen Sicht vor die Wahl gestellt zu sein, im Kampf standzuhal­ ten oder zu fliehen. Doch als Angehöriger Die Sozial philosophie, aber auch der Prag­ matismus und der Kommunitarismus, die ich vorstellen werde, sind nicht gut zu verstehen, ohne zuvor auf den Individualisierungspro­ des adligen Standes hatte er keine Wahl, er konnte nur standhalten. In Homers Epos gibt es kein Wort für Entscheidung. Eine vergleich­ bare Bindung an die Gemeinschaft bestand sor für SOZIal philosophie an der Leibniz Universität Hanno­ ver. Er hat zahlreiche Publika­ und Ethik veröffentlicht. nach dem Verhältnis von Individuum und Ge­ sellschaft virulent. Sozial philosophie Diese Frage wurde für die Sozialphiloso­ phen zentral. Im Vordergrund sozialphilo­ sophischer Betrachtungen stehen laut Axel Honneth die Pathologien, die aus dem spe­ zifischen Verhältnis von Individuum und Ge­ sellschaft im Individualismus erwachsen sind: Entzweiung, Verdinglichung, Entfremdung, Nihilismus, Gemeinschaftsverlust, Entzaube­ rung, Entpersönlichung, Vermarktung oder kollektive Neurose. Gemeinschaftsverlust, Entfremdung und Vermarktung sind für die Sozialphilosophen der sogenannten Kriti­ Fachbeitr~ge 8 1/2017 schen Theorie der Frankfurter Schule zent­ ale Probleme analysiert und sichtbar gemacht kommen ließ. Arbeitslose leiden unter Mis­ rale Ausgangspunkte ihrer Überlegungen; werden. Diese waren der Ausgangspunkt für sachtung oder zumindest unter einem Man­ also etwa für Max Horkheimer, Theodor W Überlegungen zur gesellschaftlichen Verän­ gel an Anerkennung. Daraus zieht Honneth Adorno, Jürgen Habermas und eben Axel Honneth. derung. Dadurch unterscheidet sich die Kriti­ den Schluss, dass die wechselseitige soziale sche Theorie von soziologischen Theorien, die rein deskriptiv vorgehen. Anerkennung die dem sozialen Interaktions­ Der Sache nach gab es die Sozialphilo­ sophie bereits bevor der Begriff verwendet Vertreter der Kritischen Theorie sahen wurde. Thomas Hobbes, John Locke und Jean-Jacques Rousseau widmeten sich be­ eine Störung der gesamtgesellschaftlichen tung ist. Bleibt die als verdient angenommene Anerkennung aus, erfahren die vergesell­ Ordnung durch die genannten Pathologien, schafteten Subjekte das als Missachtung, reits dem neu zu bestimmenden Verhältnis insbesondere durch das Missverhältnis von von Individuum und Gesellschaft. Ungeachtet Arm und Reich sowie durch Unterdrückung als Verletzung. Die Menschen entwickeln in solchen Fällen Wut und Empörung. Hiermit einiger früherer Formen der Sozialphilosophie und Ausbeutung. Letztere würden für die hat Honneth nach seiner Ansicht einen evi­ wird man deren Entstehung aber im letzten Mitglieder der Arbeiterklasse spürbar, die denten Ausgangspunkt für die gegenwärtige Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts ansiedeln deshalb eine herrschaftsfreie Gesellschaft Weiterentwicklung der Kritischen Theorie ge­ müssen. Ab 1894 wird der Begriff von Ge­ anstrebten. Das Erkenntnisinteresse für die org Simmel und Rudolf Stammler diskutiert, Forschungen der Kritischen Theorie ist die funden. Der Protest habe einen zukunftswei­ senden Gehalt, nämlich die Perspektive auf prozess zugrundeliegende normative Erwar­ eine Gesellschaft, die unter allen Menschen eine gleiche und wechselseitige Achtung ga­ ausgefül!t und in Umlauf gebracht. Beide Realisierung einer solchen herrschaftsfreien bestimmen den Charakter der Sozialphiloso­ Gesellschaft. In der traditionellen Kritischen phie als normativ und deskriptiv zugleich. Es Theorie Horkheimers und Adornos bildete soll an gesellschaftlichen Gegebenheiten an­ das Proletariat, das seinen Protest gegen geknüpft werden, und zwar so, dass sie den normativen Zielen entsprechend verändert Unterdrückung und Ausbeutung artikulierte, Habermas der Auffassung, dass eine Gesell­ den Ausgangspunkt. schaftsanalyse nur erfolgen kann, wenn man werden könnten. Seither findet der Begriff "Sozial philosophie" breitere Verwendung. Auf dem ersten Deutschen Soziologentag Jürgen Habermas, Nachfolger Horkhei­ mers auf dem Lehrstuhl für Sozialphilosophie, . wechselte vom marxistischen Produktionspa­ rantiert. Honneth, der normativ vorgeht, ist wie erstens das Ideal einer gerechten Gesellschaft als normativen Maßstab der Analyse vor Au­ gen hat und zweitens angibt, welche Mecha­ 1910, im Jahr der Gründung der "Deutschen radigma zum Paradigma kommunikativen nismen in der unzulänglichen Gesellschaft die Gesellschaft für Soziologie", hielt Ferdinand Handeins, mit dem er deutlich machen wollte, Weiterentwicklung verhindern. Drittens muss Tönnies die Eröffnungsrede. Er definierte die dass in der Interaktion die Bedingungen ge­ man das Entwicklungspotenzial aufzeigen, Sozialphilosophie noch als rein deskriptive sellschaftlichen Fortschritts angelegt sind. das man zu entfalten hat. Wissenschaft. Soziologie und Sozialphiloso­ Das Kommunikationsparadigma ist nach Ha­ phie sollten wertfrei forschen und sich nur bermas' Auffassung zum einen konstitutiv, Pragmatismus dem widmen, was ist, und nicht dem, was ermöglicht die real bestehende Interaktion, Von den oben erwähnten, neu entstandenen sein soll. Nach Adorno hingegen sollte die So­ weil alle von der Gleichheit der Kommuni­ innerphilosophischen Strömungen seien hier zialphilosophie mit der Problembeschreibung kationspartner ausgehen. Zum anderen ist nur noch die erwähnt, die für den Prozess der zugleich zur Problembehebung beitragE'll. So das Kommunikationsparadigma ein regula­ Gesellschaftsveränderung und damit für die kam ein normativer Aspekt in die Sozialphi­ tiv-emanzipatorisches Prinzip, denn in ihm politische Bildung relevant sind. losophie hinein. Seither wurde der Begriff steckt der Vorschein auf eine zukünftige Der Pragmatismus (pragma, griechisch: "Sozialphilosophie" unterschiedlichen herrschaftsfreie Gesellschaft, in der jede und Konnotationen in Soziologie und Philoso­ jeder das gleiche Recht hat, zu befehlen und mit phie gebraucht, bis Horkheimer ihn als erster sich zu widersetzen, zu erlauben und zu ver­ Vertreter der Kritischen Theorie 1931 näher bieten, Rechenschaft abzulegen und zu ver­ Handlung) ist ein Import aus den USA und wurde ab den 1960er-Jahren in Europa rezi­ piert, in Deutschland namentlich von Karl­ Otto Apel und Jürgen Habermas. Bekannte bestimmte. Der Titel seiner Antrittsvorlesung langen usw. Das wäre eine Gesellschaft, in amerikanische Vertreter sind George H. am Lehrstuhl für Sozial philosophie lautete der die Chancenverteilungen in jeder Hinsicht Mead, Charles W Morris, Clarence I. Lewis, Die gegenwärtige Lage der Sozialphilosophie und die Aufgaben des Instituts für Sozialfor­ schung. Horkheimer macht darauf aufmerk­ gleich sind. Für den nächsten Inhaber des Lehrstuhls Willard Van Orman Quine und Richard Rorty. für Sozialphilosophie in Frankfurt am Main, tung gelten William James, Charles S. Peirce sam, dass die Sozial philosophie zu dieser Zeit Axel Honneth, liegt ein Nachteil dieses Para­ und John Dewey. Nach Ansicht eines der bes­ im Mittelpunkt eines allgemeinen philoso­ digmas darin, dass für die in der Kommunika­ ten Kenner des Pragmatismus, Helmut Pape, phischen Interesses stehe, und er erklärt das tion ungleich Behandelten deren Ungleichbe­ folgendermaßen: Als das letzte Ziel der Sozi­ handlung nicht unbedingt erfahrbar werde. sind Pragmatisten der Auffassung, "dass die Praxis, insbesondere gemeinsames Handeln Als Begründer dieser phdosophischen Rich­ alphilosophie gelte "die philosophische Deu­ Nach Honneths Ansicht ist es die lang anhal­ und Sprachgebrauch, den nicht aufhebbaren tung des Schicksals der Menschen, insofern tende Massenarbeitslosigkeit in Verbindung Ausgangspunkt für alles menschliche Den­ sie nicht bloß Individuen, sondern Glieder ei­ mit dem Dauerleiden der Betroffenen, die ken bildet." William James sagte in seiner ner Gemeinschaft sind." Zunächst sollten sozi­ den Gedanken an ein neues Paradigma auf­ Vorlesung mit dem Titel Der Pragmatismus: Fachbeiträge 1/2017 "In welcher Beziehung wäre die Welt anders, wenn diese oder jene Alternative wahr wäre? Wenn ich nichts finden kann, das anders würde, dann hat die Alternative keinen Sinn. [...] Es ist erstaunlich zu sehen, wie viele phi­ losophische Kontroversen in dem Augenblick zur Bedeutungslosigkeit herabsinken, wo Sie dieselben dieser einfachen Probe unter­ werfen, indem Sie nach den konkreten Kon­ sequenzen fragen." Entsprechend schreibt Peirce: "Die Elemente eines jeden Begriffs tre­ ten durch die Pforte der Wahrnehmung in das logische Denken ein und verlassen es durch die Pforte des zweckbestimmten Handeins, und was seinen Paß an diesen beiden Pforten nicht vorweisen kann, wird von der Vernunft als unberechtigt festgenommen." An einem weiteren Zitat kann man unschwer erkennen, dass nicht allein der Praxisbezug der Philo­ sophie angesprochen ist, sondern zugleich die Verbesserung des Denkens. Dazu wieder Helmut Pape: "Der Begriff des Gegenstandes soll durch den Begriff seiner praktischen Wir­ kungen konkretisiert und geklärt werden. [...] Die Erfahrung der praktischen Wirkungen ei­ nes Gegenstandes klärt die Bedeutung einer Aussage, weil sie die Bezugnahme auf einen Gegenstand mit den erfahrbaren Handlun­ gen verknüpft, die ihn einschließen." Kommunitarismus Namhafte Vertreter des Kommunitarismus sind u.a. Benjamin Barber, Alasdair Macln­ tyre, Michael Sandei, (harIes Taylor und Mi­ chael Walzer. Der "Kommunitarismus" (com­ munitas, lateinisch: Gemeinschaft) verdankt seinen Namen der Tatsache, dass seine Ver­ treter der Auffassung sind, dass gesellschafts­ politische Betrachtungen immer soziale Prob­ leme als Ausgangspunkt zu nehmen haben. Kommunitarier beklagen die Instabilität mo­ derner Gesellschaften, die durch die zuneh­ mende Individualisierung entstanden ist. Die gegenwärtigen Gesellschaften seien dadurch instabil, dass die einzelnen Menschen sich nicht mit ihr identifizierten. Diese Uninteres­ siertheit an Gesellschaft berge die Gefahr in sich, dass Despoten die Macht übernehmen könnten. Der Auftrieb der AfD ist gegenwär­ tig ein Beispiel dafür. Die Stabilität der Gesell­ schaft wird nach Auffassung der Kommunita­ rier dadurch erlangt, dass die Menschen sich mit ihren Gemeinschaften (communitates) identifizierten und damit der aufgewiesenen 9 Gefahr entgegenwirkten. Je stärker sich die für das Gute oder das Böse zu entscheiden. Menschen mit ihren Gemeinschaften iden­ tifizierten, desto mehr wachse in der Folge das Interesse an gesellschaftlichen Belangen. Auf diesem Wege erreiche die Gesellschaft höhere Stabilität. Der schon erwähnte Fer­ dinand Tönnies erklärte in seinem Buch Ge­ meinschaft und Gesellschaft, dass sich in der Gemeinschaft, in der man sich mit den Sei­ nen befinde und in der man Wohl und Wehe teile, das vertraute Zusammenleben abspiele. Meist lebe man in dieser vertrauten Gemein­ Schon Kant war der Auffassung, dass nur Gott und die Heiligen keine Moral brauchten, weil sie nur das Gute tun. Die Menschen hin­ gegen bräuchten die Moral als Orientierung, weil sie sowohl zum Guten wie zum Bösen fähig wären und sich für die eine oder andere Seite entscheiden könnten. Hitler wollte nach Ansicht von Arendt die Negation der Moral. Er wollte die Umkehrung der 10 Gebote und somit ein Recht auf Tötung und Folterung herstellen, wie Arendt in ihrem erst 2005 in deutscher Sprache erschienenen Buch Über das Böse schreibt. Das bedeutete für Hitler, dass die Schöpfer der Moral, in der Töten und Foltern verboten ist, mit dieser Moral unter­ gehen müssten. Darum mussten Millionen Juden in Deutschland sterben. Ausschwitz war das Ergebnis der Hand'lungen tausender von Menschen als Rädchen im Räderwerk des schaft von Geburt an. Gesellschaft hingegen ist für Tönnies die Öffentlichkeit, die Welt, in die man gehe wie in die Fremde. Den Gedanken, dass das Interesse an der Gesellschaft in dem Maße wächst, in dem Menschen die Möglichkeit bekommen, sich mit überschaubaren politischen Einheiten zu identifizieren, hat auch Hannah Arendt aufgegriffen: In kleinen, überschaubaren Gemeinschaften werde politischer Bürger­ sinn kultiviert. Arendt beruft sich auf den Staatstheoretiker Thomas Jefferson, der der dritte Präsident der USA war: "Jefferson war in der Tat der Meinung, daß ohne solche Un­ terteilung der Land- und Stadtkreise in kleine, übersehbare Bezirke die Existenz der Repu­ blik auf dem Spiel steht." Für Arendt muss die Gemeinschaft eine Gemeinschaft freier und verantwortungsbewusster Menschen sein. Damit sind Menschen gemeint, deren Individualität geschützt ist; doch um in den Genuss dieses Schutzes kommen zu können, müssen sie Verantwortung für das Ganze übernehmen. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus Die Auseinandersetzung mit dem Nationalso­ zialismus ist für die politische Bildung eben­ falls von Bedeutung, weil man genauestens wissen muss, was gesellschaftlich falsch gelaufen ist, damit man solche Entwicklun­ gen in der Gegenwart verhindern kann. Die wohl ernsthafteste Auseinandersetzung hat Hannah Arendt mit ihrem Bericht über den Eichmann-Prozess geleistet. Wenn Arendt darin von der "Banalität des Bösen" spricht, so wollte sie die Gräueltaten der Nazis da­ mit nicht verharmlosen, wie ihr vorgeworfen wurde, sondern sie meint damit, dass Eich­ mann kein Dämon war, sondern ein ganz normaler Mensch, der in der Lage war, sich Nationalsozialismus, so wie Eichmann nur ein Rädchen war. Er habe sich nach Arendts An­ sicht in völliger Gedankenlosigkeit nie vorge­ stellt, was er da eigentlich angerichtet habe. Arendt, die Eichmann in Jerusalem selbst erlebte, stellt fest, dass er gänzlich in die Na­ zi-Ideologie verstrickt war. Eichmann sprach in einem Interview 15 Jahre nach dem Unter­ gang des Dritten Reiches davon, dass er ein fanatischer Kämpfer für die Freiheit seines Blutes sei, dass für ihn heiliger Befehl sei, was seinem Volke nütze, dass er sich der Vorse­ hung unterzuordnen habe, dass ihn gar nichts reue, dass er nicht zu Kreuze kriechen wolle, dass er nicht vom Saulus zum Paulus werden wolle. Und dass er versagt habe, weil nur 6 Millionen Juden ermordet wurden und nicht die vorgesehenen 10,3 MIi'lionen. Diese Ideo­ logiegläubigkeit machte Eichmann nach Han­ nah Arendt völlig blind für die Realität.