Motorische Rehabilitation nach Schlaganfall S. Brandstätter Institut für PM&R, Pav. 6 Plastizität •Gebrauchsabhängige Plastizität •Läsionsabhängige Plastizität Institut für PM&R, Pav. 6 Mechanismen der Plastizität des ZNS Hummelsheim 1998 • • • • • Vikariation durch funktionell verwandte Areale Demaskierung inaktiver Synapsen Long-term Potentiation-Vorgänge Synapsenneubildung Sprouting Institut für PM&R, Pav. 6 Optimierung plastischer Modulierbarkeit • Physiotherapie-induzierte Plastizität (Liepert et al. 2000) • Durch Therapie Aktivierungen im sensomot. Cortex, im inferioren parietalen Cortex und der prämotorischen Areale bds (Nelles et al. 2001) Institut für PM&R, Pav. 6 • Umorganisationsprozesse im ZNS sind benutzungsabhängig. • Repetitives Üben ist Voraussetzung • Geschicklichkeitsübungen einer Extremität sind mit Reorganisation verbunden (nicht die Kraftzunahme in einer Extremität) (Remple et al. 2001) Institut für PM&R, Pav. 6 Funktionswiederherstellung • Nur 5% voll einsetzbare Arm- und Beinfunktion • In 20% keinerlei Arm-Hand-Funktion • 75% werden gehfähig (selbständig oder mit Hilfe) • 25% bleiben rollstuhlabhängig oder bettlägrig Institut für PM&R, Pav. 6 Prognostisch günstige Faktoren für eine Rückbildung motorischer Defizite • • • • Kleine, lakunäre Infarkte Rein motorische Ausfälle Intakte Propriozeption Guter kognitiver Zustand Institut für PM&R, Pav. 6 Prognostisch ungünstige Faktoren • • • • Tiefensensibilitätsstörung Aphasie Neglect Depression Institut für PM&R, Pav. 6 Spastizität • Geschwindigkeitsabhängige Zunahme des Muskeltonus auf passive Dehnung • Übererregbarkeit des Dehnungsreflexes (Lance 1980) • Einschränkung der Gelenksbeweglichkeit, Haltung und Mobilität • Schmerzen, Kontrakturen, Lagerungsprobleme Institut für PM&R, Pav. 6 Sensibilität • Beeinträchtigtes Schmerz- und Temperaturempfinden • Gestörte Gelenkspropriozeption und Stereognosie • Vulnerabilität von Gelenken und Haut • Einfluss auf Gleichgewicht, Koordination und die motorische Kontrolle Institut für PM&R, Pav. 6 Apraxie • Störungen in der Handlungsplanung ohne motorische, sensorische oder kognitive Beeinträchtigung • Häufig bei sprachdominanten (meist linkshirnigen) Schlaganfällen Institut für PM&R, Pav. 6 Neglect (Vernachlässigung) 1 • Unvermögen, auf die kontralateral der Hirnläsion gelegene Seite zu reagieren • Visueller, auditorischer, somatosensibler, motorischer, repräsentionaler Neglect • Oft kombiniert mit Störung der Krankheitseinsicht, posturalen Balance mit Pusher-Symptomatik, Aufmerksamkeit, der zeitlichen und räumlichen Wahrnehmung Institut für PM&R, Pav. 6 Neglect 2 Negative Auswirkungen: • Gleichgewicht im Sitzen und Stehen • Rollstuhlmobilität • Durchführung von ADLs • Perzeption schädigender Einflüsse • Sturzrisiko Institut für PM&R, Pav. 6 Erklärungen für Neglect • • • • Aufmerksamkeitsstörung Störung der Raumorientierung Imbalance zwischen den beiden Hirnhälften Gestörte Interaktion zwischen hemmenden und erregenden Einflüssen Institut für PM&R, Pav. 6 Pusher-Symptomatik • Störung der posturalen Vertikalen nach Schädigung der rechten oder linken Hirnhälfte (Karnath 1995; Karnath et al. 2003) • Aktives Wegdrücken von der nichtparetischen Seite mit Gewichtsverlagerung zur gelähmten Seite in vertikalisierter Position Institut für PM&R, Pav. 6 Inkontinenz • Harn- und Stuhlinkontinenz sind häufige Folgen nach Schlaganfall • Ursache ist ein Mangel an willkürlicher Miktionshemmung durch Läsion des oberen motorischen Neurons • Immobilität, Neglect, Sprachstörung potenzieren das Problem Institut für PM&R, Pav. 6 Komorbidität und Komplikationen • Fallweise durch Komorbiditäten mehr beeinträchtigt als durch den Schlaganfall (Roth et al. 1988) • Dekonditionierung • Bleibende Harninkontinenz (Wade et al. 1983, 1985) • Schulter-Arm-Syndrom: in bis zu 70-80% (Griffin et al. 1981; Kozin et al. 1976; Teasell et al. 1993) • Sturzrisiko: v.a. bei rechtshirnigen Insulten (Poplingher et al. 1985) Institut für PM&R, Pav. 6 Aufgaben der Rehabilitation im Team • Prävention, Erkennen und Management von Komorbiditäten und interkurrenten medizinischen Komplikationen • Wiederherstellung größtmöglicher funktioneller Unabhängigkeit • Kompensieren von Beeinträchtigung • Schrittweiser Abbau von Hilfestellungen • Psychosoziale Reintegration • Verbesserung der Lebensqualität Institut für PM&R, Pav. 6 Therapeutisches Lagern • • • • Lagerung und Handling (Bobath, Kinästhetik) Gegen das spastische Muster Paretische Seite möglichst viel stimulieren Dekubitusprophylaxe durch regelmäßigen Lagewechsel • Härtere Matratze erleichtern antispastische Lagerung Institut für PM&R, Pav. 6 Bewegungstherapie 1 • Aktives und repetitives Training, v.a. mit hoher Trainingsintensität, bringen signifikant größeren Zuwachs an motorisch funktionellen Fertigkeiten (Bütefisch 1995; Hesse 1995; Sterr 2003) • Zielorientiert übende Verfahren, welche Aktivität und repetitives Training fordern sind erfolgreicher (Duncan 1997; Parry et al. 1999; van der Lee et al. 2001) Institut für PM&R, Pav. 6 Bewegungstherapie 2 • Signifikant kürzere Verweildauer und bessere motorische Ergebnisse durch funktionsorientiertes Training („task“-oriented training of motor control, „motor relearning“): Focus auf Alltagsorientierung und aktives Üben ohne Fazilitierung durch den Therapeuten (Langhammer 2000) Institut für PM&R, Pav. 6 Motorisches Lernen Wesentlich ist, zentral eine adaptive Strategie zur Problemlösung zu veranlassen: • Durch zielorientierte Aufgabenstellung • Durch repetitives Üben ohne Hilfestellung • Durch Optimieren der skeletto-muskulären Bedingungen (Muskeldehnung, Gelenksmobilisation) • Durch Hilfsmitteleinsatz (Carr & Shepherd 2003, Freivogel 1997) Institut für PM&R, Pav. 6 Krafttraining • Verbesserung der funktionellen Leistungsfähigkeit • Üben in funktionellen Ketten wichtig Ng & Shepherd (2000) Weakness in patients with stroke: implications for strength training in neurorehabilitation. Phys Ther Rev 5:227-238 Institut für PM&R, Pav. 6 Laufband-Lokomotion 1 • Motorisches Lernen erfordert wiederholte Abläufe • Vorbereitende Übungen im Sitz und Stand sind hintanstellen • Repetitives Üben ist zu präferieren • Wiederholte Gangbewegungen unterstützen das motorische Lernen ideal • Gewichtsentlastung 0-40% des KG Institut für PM&R, Pav. 6 Laufband-Lokomotion 2 • Laufband-Training erbrachte bessere funktionelle Ergebnisse in der Gangschulung als Bewegungstherapie alleine (Waagfjörd et al. 1990, Hesse et al. 1995) • Das Gangbild wird nicht unphysiologisch (Hesse et al. 1997) • Der Transfer wird auf das normale Gehen mit vollem Gewicht übertragen (Visintin et al. 1989) Institut für PM&R, Pav. 6 Positive Effekte der LaufbandLokomotion 1 • • • • Funktionelles Gangbild Verbesserte Balance Verbesserung der motorischen Kontrolle Verbesserung der Ganggeschwindigkeit und Gangstrecke Institut für PM&R, Pav. 6 Positive Effekte der LaufbandLokomotion 2 • • • • • • Aufrechte Körperhaltung Minimiertes Sturzrisiko durch Gurtsystem Fazilitieren eines reziproken Gangmusters Funktionelles Üben Kardio-vaskuläres Ausdauertraining Konzentration des PT auf Bewegungsabläufe im Becken, Knie- und Sprunggelenk (Macko et al. 1997) Institut für PM&R, Pav. 6 Laufband-Lokomotion Institut für PM&R, Pav. 6 Gangtrainer • Der gurtgesicherte Patient steht auf 2 Fußplatten. • Servomotor hält, abhängig von der Unterstützung des Patienten, die gewählte Umlaufgeschwindigkeit konstant. • Das Abrollverhalten ist nicht physiologisch. Institut für PM&R, Pav. 6 Lokomat • Kombination eines Laufbandes mit einem Gehroboter (Hesse et al. 2003) Institut für PM&R, Pav. 6 Ergotherapie 1 • ADL-Training • Funktionelles Training (Einsatz der paretischen Hand oder Entwicklung von Kompensationsstrategien) • Entscheidend für eine anhaltende Funktionswiederherstellung sind Trainingsintensität, Häufigkeit der Übungswiederholungen und die Umsetzung in den Alltag (Kwakkel et al. 1999) Institut für PM&R, Pav. 6 Ergotherapie 2 • • • • Hilfsmittelabklärung Handlagerungsschienen Wohnraumabklärung und Therapeutischer Hausbesuch Institut für PM&R, Pav. 6 „Constraint induced movement“ Therapie (CIMT) 1 Funktionelle Einschränkungen nach Schlaganfall: • durch Schwäche und • durch Nicht-Gebrauch oder Verlernen des Gebrauchs Positive Ergebnisse durch Immobilisieren des nicht-beeinträchtigten Armes und HandFunktionstraining des hemiparetischen Armes (Taub et al. 1993; Wolf et al. 1989; Barton et al. 1993, van der Lee et al. 1999) Institut für PM&R, Pav. 6 Voraussetzungen für HandFunktionstraining 1 • 6 Std/Tag • HG-Extension aktiv 10-20 Grad gegen die Schwerkraft • Finger-Extension in allen Gelenken 10 Grad • Gestreckten Arm anheben bis auf ca. Nabelhöhe Institut für PM&R, Pav. 6 Voraussetzungen für HandFunktionstraining 2 • • • • • • Kognitive Situation Keine globale o. rezeptive Aphasie Keine akute Depression Motivation (nur Freiwillige) Keine starke Antriebsstörung Keine ausgeprägte Spastizität Institut für PM&R, Pav. 6 Management von Spastizität 1 • • • • • Entfernen nozizeptiver Reize Lagerung und Positionierung Passive Range-of-Motion-Übungen Vorher ev. Physik. Modalitäten (Wärme) Bewegungstherapie (Kontrakturprophylaxe bei Immobilen, Funktionswiederherstellung bei Mobilen) Institut für PM&R, Pav. 6 Management von Spastizität 2 • Orale Medikation (Baclofen, Tizanidin) • Lokal Botulinustoxin (Hesse et al. 1994; Lagalla et al. 2000; Sampaio et al. 1997) • Baclofen intrathekal (Remy-Neris et al. 2003) • Chirurgische Intervention Institut für PM&R, Pav. 6 Therapie des Neglect Gezieltes vermehrtes Hinwenden zur betroffenen Raumseite mit Stimulationsreizen • Kalorisch-vestibuläre Stimulation • Optokinetische Stimulation (Nachschauen bewegter Gegenstände) • Propriozeptive Stimulation (Nackenmuskelvibration, TENS) • Funktionsorientierte Therapien Institut für PM&R, Pav. 6 Therapie der Pusher-Symptomatik Ziel ist • das Erkennen der gestörten Wahrnehmung durch visuelle Reizsetzungen (visuelle Rahmensetzungen) zu ermöglichen • eine aktive Korrektur der Körperposition (vertikale Strukturen im Raum, Pendel, „Therapierucksack“) • Beibehaltung der korrigierten Körperposition bei gleichzeitiger Durchführung zusätzlicher Aktivitäten (Karnath et al. 2003) Institut für PM&R, Pav. 6 Elektrotherapie • Antispastische Elektrostimulation (Dimitrijevic 1994) • EMG-getriggerte Elektrostimulation (Hummelsheim et al. 1997) Institut für PM&R, Pav. 6 Biofeedback Adjuvante Therapie • EMG-Feedback M. tibialis anterior in der Gangschulung • Feedback der Gewichtsübernahme mit Fußsensoren • Gelenkwinkel-Feedback zur Therapie der Hyperextension in der Standbeinphase Institut für PM&R, Pav. 6 Hilfsmittelversorgung • Verordnung von Gehhilfen und Rollstuhl • Hilfsmittel für den ADL-Bereich (Anziehhilfen, Toilettensitzerhöhung, Haltegriffe, Badewannengriffe, Badebrett, Duschhocker, Griffverdickungen, Greifhilfen, Schneidebretter, rutschfeste Unterlagen..) Institut für PM&R, Pav. 6 Orthesen, Schuhversorgung • Lagerungsschiene für die paretische Hand • Sprunggelenksorthese (AFO) (Fowler et al. 1993; Hummelsheim et al. 1994) Institut für PM&R, Pav. 6 Sonstige Therapien • Akupunktur Aktuell kein ausreichender Nachweis für eine Wirksamkeit in der motorischen Rehabilitation nach Schlaganfall (Johansson et al. 2001; Sze et al. 2002) Institut für PM&R, Pav. 6 Angehörigenschulung • Einbindung der Angehörigen so früh wie möglich • Aufklärung (realistische Ziele) • Miteinbeziehung (Nahrung verabreichen, ADLs in der Pflege und ADL-Therapie, Erklärung des Hausübungsprogramms inkl. Transfer, Schluck- und Sprachübungen) Institut für PM&R, Pav. 6 Skalen und Scores 1 • NIH Stroke Scale: in der Frühphase (Quantifizierung neurologischer Ausfälle) • Barthel-Index, FIM • Motorisches Assessment: – Rivermead Motor Assessment (Lincoln et al. 1979) – MAS (Carr et al. 1985) – MFAS (Freivogel et al. 1990) – FAC (Holden et al. 1984, 1986) Institut für PM&R, Pav. 6 Skalen und Scores 2 • Gehen: – Dauer für 10m Gehstrecke – 6 oder 3 min Walking-Test – Timed-Up-and-Go-Test (Podsiadlo 1991) – Tinetti-Test (Tinetti et al. 1986, 1988) • Arm-Hand-Funktion: – „Nine-Hole-Peg-Test“ Institut für PM&R, Pav. 6 Skalen und Scores 3 • Balance: – Trunk Control Test (Sheikh et al. 1980) • Pusher-Symptomatik: – Klinische Skala für Contraversive PusherSymptomatik (Karnath et al. 2001) Institut für PM&R, Pav. 6 Skalen und Scores 4 • Kraft- und Paresegrad: – MRC –Kraftgrade (MRC 1976) • Spastik: – Ashworth-Skala modif. nach Bohannon & Smith (Bohannon et al. 1987) • Gelenksbeweglichkeit: – Aktives und passives ROM • Schmerzen: – VAS Institut für PM&R, Pav. 6 Literatur • Carr JH, Shepherd RB (2003) Stroke Rehabilitation. Butterworth-Heinemann, Oxford • Freivogel S (1997) Motorische Rehabilitation nach Schädelhirntrauma. Pflaum, München • http://www.uniduesseldorf.de/WWW/AWMF/II/neur-062.htm Institut für PM&R, Pav. 6 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Institut für PM&R, Pav. 6