Zirconiumdioxid in der abnehmbaren Prothetik. Ein Fallbericht

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Praxis und Fortbildung
Zirconiumdioxid
in der abnehmbaren Prothetik
Ein Fallbericht
Schlüsselwörter: abnehmbare Prothetik, Stegprothese, Vollkeramik, Zirconiumdioxid
Nico M. Bühler1
Eckart Teubner1
Carlo P. Marinello1
1
Klinik für Rekonstruktive Zahnmedizin
und Myoarthropathien, Universitätskliniken für Zahnmedizin, Universität
Basel
Korrespondenzadresse
Dr. med. dent. Nico M. Bühler
Klinik für Rekonstruktive Zahnmedizin
und Myoarthropathien
Universitätskliniken für Zahnmedizin,
Universität Basel
Hebelstrasse 3, CH-4056 Basel
Tel. +41 61 267 26 35
Fax +41 61 267 26 60
E-Mail: [email protected]
Bild oben: Vollkeramische Hybridprothese aus Zirconiumdioxid
Zusammenfassung
Innerhalb der abnehm- sultate werden sogar bereits für Zirconia-Im-
baren Prothetik stellen metallverstärkte, kunst- plantate belegt (Oliva et al. 2010). Die vorstoffverblendete Rekonstruktionen nach wie liegende Falldokumentation zeigt den Einsatz
vor eine Standardversorgung dar, während in von Zirconiumdioxid in Kombination mit mader fest sitzenden Prothetik zunehmend me- nueller Kopierfrästechnik zur Herstellung einer
tallfreie Systeme eingesetzt werden. Zirconi- monolithisch vollkeramischen, steggetragenen
umdioxid bzw. Zirconia (ZrO2) als Hochleis- Hybridprothese sowie deren Primärteile (Stege).
tungskeramik findet so breite Anwendung als Die Möglichkeiten und Grenzen der TechnoGerüstmaterial für vollkeramische Kronen- logie werden dargestellt und das ästhetische
und Brückenversorgungen (Koutayas et al. Resultat bezüglich Stärken und Schwächen
2009, Sailer et al. 2007). Gute Langzeitre- diskutiert.
Einführung
Abnehmbare Rekonstruktionen machen immer noch einen
bedeutenden Teil der prothetischen Therapiemittel im zahnärztlichen Alltag aus. Hierbei steht Kunststoff als Fabrikationsmaterial für Basis und Prothesenzähne im Vordergrund. Falls
notwendig, bieten metallische Gerüste, vornehmlich Chrom-
Cobalt-Molybdän-Legierungen, eine Verstärkung. Die Vorteile
bei der Verwendung von Kunststoffen in der abnehmbaren
Prothetik liegen in den relativ geringen Material- und Herstellungskosten, in der einfachen ästhetischen Gestaltung, sowie in
der Reparatur- und Korrekturmöglichkeit durch den Zahnarzt
und Zahntechniker. Nachteilig wirken sich bei Prothesenkunststoffen die relativ schlechte Oberflächengüte, die erhöhte PlaSchweiz Monatsschr Zahnmed Vol. 121
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Praxis und Fortbildung Zirconiumdioxid in der abnehmbaren Prothetik
queaffinität und die Wasseraufnahme (Quellung) im Vergleich
zu Metallen und Keramiken aus. Zudem treten beschleunigt Alterungsprozesse auf, welche sich auf die Stabilität sowie ästhetisch und hygienisch störend auswirken können (Bettencourt et
al. 2010). Die Verwendung von Metallen zur Gerüstverstärkung
gestaltet sich als technisch aufwendig und beeinflusst die Ästhetik. Selten treten zudem Unverträglichkeitsreaktionen bei Metallen und Kunststoffen auf (Jorge et al. 2003, Wirz et al. 2003).
Zirconiumdioxid, eine Hochleistungskeramik, welche im Rahmen der fest sitzenden Prothetik Anwendung zur Herstellung
von Kronen- und Brückengerüsten, Wurzelstiften sowie zunehmend von Implantaten und Abutments findet (Oliva et al. 2010,
Özkurt & Kazazoglu 2010, Koutayas et al. 2009, Vagkopoulou
et al. 2009, Denry & Kelly 2008, Sailer et al. 2007), wird in der
abnehmbaren Prothetik noch kaum verwendet. Bei abnehmbaren Rekonstruktionen wurden bisher Verankerungselemente
wie Kugeln oder Stege aus Keramik dokumentiert (Büttel et
al. 2008, Rösch & Mericske-Stern 2008, Carracho & Razzoog
2006). Neuerdings besteht die Möglichkeit der Anfertigung der
gesamten abnehmbaren Prothese aus Zirconiumdioxid (Karl
& Bauernschmidt 2010).
Die vorliegende Arbeit dokumentiert die Anfertigung einer
abnehmbaren vollkeramischen, Zirconiumdioxidprothese im
Unterkiefer, die auf zwei individuell gefrästen und eingefärbten
Zirconiastegen auf je zwei Implantaten abgestützt ist. Auf der
Basis des Zirkonzahn®-Systems (Zirkonzahn® GmbH, Gais, I)
werden die klinischen Therapieschritte und das labortechnische Vorgehen aufgezeigt.
Hauptanliegen der Patientin
stärkeren Tonus. Ästhetisch stört der Verlauf der Lachlinie (Tjan
et al. 1984), welcher Zahnhälse und dunkle Interdentalräume
mit fehlenden Papillen in Erscheinung treten lässt (Abb. 1).
Befund intraoral
Bei Behandlungsbeginn besteht eine insuffiziente Mundhygiene (Plaqueindex 45%, O’Leary et al. 1972; Sulcus-Blutungsindex 49%, Mühlemann & Son 1971). Konkremente sind jedoch
kaum vorhanden.
Im Unterkiefer sind die vier Pfeilerzähne (43, 41, 31 und 32)
zur Verankerung für die Hybridprothese mit je einer Teleskopkrone versorgt. Der Pfeilerzahn 43 weist lingual im Bereich des
Randes der Teleskopkrone eine Sekundärkaries, Sondierungswerte bis 4 mm, sowie eine Beweglichkeit von Grad 2 (Mühlemann 1951 und 1974) auf. Die Zähne 43 sowie 32 reagieren auf
den Kältetest mit Kohlensäureschnee negativ. Das Kieferkammrelief im Bereich der Bukkalsegmente ist flach und der Alveolarkamm weitgehend atrophiert.
Der Oberkiefer ist von Zahn 17 bis Zahn 26 voll bezahnt. Die
Sondierungstiefen betragen maximal 5 mm. Im Frontzahnbereich, besteht eine erhöhte Zahnbeweglichkeit von bis zu
Grad 3. Mit Ausnahme von Zahn 13 reagieren alle Zähne positiv auf Kohlensäureschnee (Abb. 2).
Röntgenologischer Befund
Der Einzelröntgenstatus zeigt einen mittelschweren, horizontalen Knochenverlust mit lokalisierten vertikalen Einbrüchen
bei den Zähnen 12 und 11. Bei Zahn 23 ist distal im Zahnhalsbereich und bei den Zähnen 43 und 31 sind periapikal Aufhellungen sichtbar. Die Zähne 43 und 32 zeigen inhomogene,
Die 70-jährige Patientin stört sich aus ästhetischen und funktionellen Gründen an der bestehenden Hybridprothese im
Unterkiefer, welche die generell empfindliche Schleimhaut
reizt und der Patientin Schmerzen bereitet. Subjektiv kann im
Seitenzahngebiet eine schlechte Passgenauigkeit, sowie eine
Infraokklusion festgestellt werden, was zu einem reduzierten
Halt der Prothese – insbesondere beim Kauen – führt. Auf
Wunsch der Patientin soll eine neue abnehmbare Rekonstruktion angefertigt werden, dies vornehmlich auch aus hygienischen Überlegungen. Im Oberkiefer ist die Patientin fest sitzend versorgt. Hier soll in einer späteren Phase lokal eine neue,
konventionelle, fest sitzende Versorgung erfolgen.
Medizinische und zahnmedizinische Anamnese
Aufgrund einer Hypertonie (Cotenolol-Mepha-Neo®) und Hypercholesterinämie (Sortis®) wird die Patientin vom Hausarzt
medikamentös behandelt. Weiterhin nimmt die Patientin
prophylaktisch – bedingt durch einen Netzhautinfarkt vor zwei
Jahren – einen Aggregationshemmer (Aspirin Cardio 100®) ein.
Als Folge von Karies und Parodontitis wurden der Patientin
die Molaren und Prämolaren im Unterkiefer extrahiert, sowie
die Oberkieferfrontzähne vor rund 30 Jahren mittels Einzelzahnkronen prothetisch versorgt. Die abnehmbare Prothese im
Unterkiefer ist seit über 15 Jahren auf vier verbliebenen, anterioren Pfeilerzähnen teleskopierend verankert.
Abb. 1 Ausgangssituation von extraoral
Klinische Befunde
Befund extraoral
Das Gesichtsprofil ist geradlinig mit leichter Prominenz des Unterkiefers. Die Nasenspitze und besonders das Philtrum weisen
leicht nach rechts. Die periorale Muskulatur zeigt links einen
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Abb. 2 Ausgangssituation von intraoral
Zirconiumdioxid in der abnehmbaren Prothetik
Praxis und Fortbildung
unvollständige Wurzelfüllungen. Zahn 43 ist zusätzlich mit
einem massiven Wurzelstift versorgt (Abb. 3).
lithischen Zirconia-Versorgung zu evaluieren, wird die Hybridprothese als vollkeramische Rekonstruktion geplant.
Beurteilung der prothetischen Versorgung
Behandlungsablauf
Die teleskopierte Hybridprothese im Unterkiefer weist eine ungenügende Basisgenauigkeit, verkürzte Prothesensättel sowie
Abrasionen der Prothesenzähne auf. Die Teleskopprimärteile
zeigen generell eine reduzierte Passgenauigkeit. Die Rekonstruktionen im Oberkieferfrontzahnbereich mit Porositäten,
Randspalten, Verblendungsfrakturen sowie freiliegendem Wurzeldentin sind für die Patientin ästhetisch nicht mehr akzeptabel. Unter Berücksichtigung des Patientenwunsches ist in
erster Linie eine Neuversorgung des Unterkiefers und sekundär
des Oberkiefers indiziert.
Vorbehandlung und Implantation
Diagnose
Aufgrund des Attachmentverlustes und der klinischen Parameter wird eine generalisierte chronische Parodontitis diagnostiziert (Armitage 1999). Die weiteren Diagnosen sind:
– Parodontaler Abszess bei Zahn 43 und 31.
– Caries profunda an Zahn 43.
– Externes Granulom an Zahn 23 zervikodistal.
– Kieferresorption der Klasse V im Unterkiefer (Cawood & Howell
1988).
Es erfolgt eine professionelle Zahnreinigung des Oberkiefers
sowie eine Mundhygieneinstruktion. Im Unterkiefer werden
die verbliebenen Zähne extrahiert; eine Immediat-Totalprothese, welche sich in der vertikalen und horizontalen Dimension an der früheren Hybridprothese orientiert, wird abgegeben. Nach entsprechender vorbereitender Diagnostik erfolgt
die Implantation. In Regio 46 wird ein Implantat der Dimension 3,5⫻8 mm, in Regio 44 und 33 jeweils 4,3⫻13 mm, und
in Regio 36 3,5⫻10 mm inseriert (NobelReplace™ Tapered;
Nobel Biocare™ AB, Göteborg, S). Drei Monate nach Implantatfreilegung präsentiert sich die orale Situation stabil und
entzündungsfrei (Abb. 4a und 4b). Zur Stabilisierung der provisorischen Versorgung sowie zwecks Vereinfachung des weiteren prothetischen Vorgehens erfolgt eine direkte abnehmbare
Verankerung auf den Implantaten mittels Locator®-Abutments
(Zest Anchors, Escondido, CA, USA). Die Patientin adaptiert
sich problemlos an die provisorische Versorgung, welche sechs
Monate nach Restzahnentfernung und Implantation in eine
definitive Prothese umgesetzt werden soll.
Prognose Unterkiefer
Die Zähne 43 und 32 sind infolge starker Destruktion bis in
den Wurzelbereich nicht mehr erhaltungswürdig. Die protrudierten Unterkieferfrontzähne 41 und 31 könnten zwar erhalten werden, die Patientin wünscht nun aber explizit eine rein
implantatgetragene abnehmbare Versorgung.
Behandlungsplan
Der Unterkiefer soll erneut mit einer Hybridprothese versorgt
werden. Zur Verankerung sind vier Implantate im Eckzahnund Molarenbereich vorgesehen. Je ein Steg aus Zirconia im
Seitenzahnbereich soll eine schleimhautfreie Lage der Prothese
garantieren. Um die Möglichkeiten und Grenzen einer mono-
Abb. 3
Abb. 4a
Unterkiefer mit Implantaten im Eckzahn- und Molarenbereich
Röntgenstatus bei Behandlungsbeginn
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Praxis und Fortbildung Zirconiumdioxid in der abnehmbaren Prothetik
Abb. 4b
Röntgenologische Darstellung der implantologischen Ausgangslage im Unterkiefer
Abformung und Modellmontage im Artikulator
Für die definitive Abformung mittels individuellem Löffel und
Polyätherabformmaterial (Impregum™; 3M ESPE, Seefeld, D)
werden die Abformpfosten intraoral mit Zahnseide und Kunststoff (DuraLay®; Reliance Dental Mfg. Co., IL, USA) spannungs-
frei verblockt (Abb. 5 und 6). Die Meistermodelle aus Gips
werden mit abnehmbaren Gingivamasken aus Silikon hergestellt. Zur klinischen Rückkontrolle des Meistermodells dient
ein sogenannter Überprüfungsindex aus Gips (Abb. 7). Anschliessend erfolgt eine schädelbezogene Montage der Meistermodelle,
sowie die Bestimmung der vertikalen und horizontalen Dimension im Artikulator (SAM® 2P; SAM Präzisionstechnik GmbH,
Gauting, D).
Prothesenzahnaufstellung
Abb. 5 Spannungsfreie Verblockung der Implantat-Abformpfosten zur Vorbereitung der Überabformung
Abb. 6
Definitive Abformung mittels individuellem Löffel und Polyethermasse
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Im Labor geschieht die Prothesenzahnaufstellung für den
Unterkiefer mit anatomischen Zähnen aus Polyurethan (Frame
A+B; Zirkonzahn® GmbH); diese orientiert sich an der Immediatprothese. Die Polyurethanzähne basieren auf Duplikaten
natürlicher Zähne, einer vom zahntechnischen Labor angelegten Zahnbibliothek. Zur Rückkontrolle dient eine Gesamteinprobe am Patienten (Abb. 8).
Die adaptierte Zahnaufstellung wird dann im Labor mit Silikon dupliziert und gesamthaft in Polyurethan (Frame A+B)
überführt. Mittels provisorischer Abutments lässt sich das Duplikat sowohl auf dem Meistermodell als auch intraoral präzise
reponieren. Die klinische Einprobe der Polyurethanprothese
ist ausserordentlich wichtig: Sowohl die Okklusion als auch die
Basisgestaltung werden am Patienten sorgfältig überprüft und
Abb. 7 Rückkontrolle der Modellsituation mit Überprüfungsindex (verification stent) aus Gips
Zirconiumdioxid in der abnehmbaren Prothetik
gegebenenfalls adaptiert, bevor die Arbeit definitiv in Zirconiumdioxid gefräst wird (Abb. 9).
Stegherstellung aus Zirconiumdioxid
Im Labor wird die Polyurethanprothese mit Silikon verschlüsselt und dann mittels Laboranaloga auf einem Frässockel aus
Gips fixiert. Durch Parallelfräsung werden aus der Polyurethanprothese zwei Stegmodelle gefertigt (Abb. 10). Während des
Fräsens dienen die Silikonschlüssel der Beurteilung der korrekten Stegdimensionierung und -lage sowie des Platzangebots für
die Suprastruktur. Distal und mesial der Stegmodelle werden
zusätzlich Geschiebepatrizen aus Kunststoff (Vario-Soft 3 zircon mini sv; Bredent GmbH & Co. KG, Senden, D) angebracht
(Abb. 11).
Die Stegmodelle sowie der gewählte Zirconiablock (Prettau™
Zirkon; Zirkonzahn® GmbH) werden anschliessend in die Montagescheiben geklebt (Abb. 12), welche ihrerseits in der Kopierfräsmaschine (Zirkograph; Zirkonzahn® GmbH) fixiert werden.
Im manuell gesteuerten Zirkografen erfolgt die Fräsung im
Grünzustand in einem 1,25-fach vergrösserten Massstab. Der
Vergrösserungsfaktor korrigiert die beim Sinterprozess bedingte
Schrumpfung. Die Fräsung erfolgt schrittweise, wobei anfangs
grobe, dann zunehmend feinere Fräsen und entsprechende Abtastinstrumente zur Anwendung gelangen. Die Fräsung umfasst
das gesamte Stegdesign inklusive der durch die Abutments
dargestellten Implantatschnittstellen und der entsprechenden
Geschiebepatrizen. Es resultiert ein vollständig aus Zirconium-
Abb. 8
Kontrolle der Gesamtaufstellung in Wachs
Abb. 9 Überprüfung der Basisausdehnung und Okklusion anhand der Polyurethanprothese
Praxis und Fortbildung
dioxid bestehender, homogener Stegrohling. Dieser kann bei
Bedarf mittels wässrigen Färbelösungen (Colour Liquids; Zirkonzahn® GmbH) und Tauchtechnik eingefärbt werden. Mittels
Infrarotlicht wird die Feuchtigkeit entzogen (40 min), bevor
der Sinterbrand erfolgt (8 h bei 1600 °C – Keramikofen 1500;
Zirkonzahn® GmbH). Nach einer Abkühlungssequenz bis auf
30 °C kann die Arbeit dem Ofen entnommen werden (Abb. 13).
Die Stege werden vom Sockel abgetrennt, poliert und die Passung wird primär auf dem Meistermodell kontrolliert (Abb. 14).
Abb. 10
these
Parallelfräsen des Stegprofils basierend auf der Polyurethanpro-
Abb. 11 Die fertigen Stegmodelle mit Geschiebepatrizen stehen für die Abtastung beim Kopierfräsen bereit
Abb. 12
Stegmodelle in Montagescheiben fixiert
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Praxis und Fortbildung Zirconiumdioxid in der abnehmbaren Prothetik
Prothesenherstellung aus Zirconiumdioxid
Zur Fertigung der Hybridprothese wird nun mittels der Silikonverschlüsselung der Polyurethanprothese ein neues Abtastmodell aus Polyurethan hergestellt, welches als Suprastruktur über
den Stegen reponierbar ist. Hierzu werden die Stege auf dem
Meistermodell montiert und mit entsprechenden Matrizen
bestückt (Vario-Soft 3 zircon mini sv). Unter sich gehende Stellen werden ausgeblockt und die Stege mit lichthärtendem
Komposit abgeformt (Rigid Blue; Zirkonzahn® GmbH). Das Silikonnegativ wird auf dem Meistermodell reponiert und das Abtastmodell aus Polyurethan gegossen (Abb. 15). In Analogie
zur Stegfertigung erfolgt im Zirkografen die Kopierfräsung der
Hybridprothese aus einem Zirconiablock (Prettau™ Zirkon)
(Abb. 16a und 16b). Zur Fräsung eines gesamten Kiefers muss
mit etwa fünf Arbeitsstunden gerechnet werden. Die Einfärbung
erfolgt auch hier mit Color Liquids und der Pinseltechnik.
Anschliessend wird mit Infrarotlicht getrocknet, bei 1600 °C
während acht Stunden gesintert und anschliessend gemäss
Protokoll abgekühlt (Abb. 17). Die gesinterte Prothese wird
sowohl im Artikulator als auch klinisch überprüft, bevor eine
weitere Ausarbeitung erfolgt (Abb. 18a und 18b).
Abb. 13 Zirconasteg im Rohzustand vor (oben) und nach (unten) Sinterung –
Darstellung des Grössenunterschieds basierend auf einer Sinterschrumpfung
von 20%
Abb. 16a Manuelle Kopierfräsung (links: Fräseinheit und Rohling, rechts:
Abtasteinheit und Prothesenmodell)
Abb. 14
Abb. 16b Okklusionsgestaltung beim Kopierfräsen mit dem Zirkograf
Ausgearbeitete Zirconiastege
Abb. 15 Prothesenmodell zur Kopierfräsung
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Abb. 17 Gesinterte Prothese im Rohzustand
Zirconiumdioxid in der abnehmbaren Prothetik
Verblendung/Bemalung
Die Arbeit wird nun sandgestrahlt (90 μm, bei 4 bis 5 bar) und
mittels Dampfstrahler gesäubert. Bei 920 °C erfolgt während
zwei Minuten ein Wash-Brand. Im Bereich der Prothesenbasis
wird die Gingiva mittels Glaskeramik beschichtet (ICE-ZirkonKeramik; Zirkonzahn® GmbH) (Abb. 19) und bei 820 °C während
zweier Minuten gebrannt. Da die Dentition durch die Fräsung
definitiv ausgeformt wurde, entfällt die Schichtung von Dentin- und Schmelzmassen. Alternativ besteht aus Gründen der
Ästhetik die Möglichkeit, Zahnbereiche im Grünzustand zu
reduzieren und glaskeramisch zu verblenden. Hier erfolgt je-
doch die farbliche Gestaltung des Zahnbogens lediglich durch
oberflächliche Bemalung (ICE-Zirkon-Malfarben Prettau; Zirkonzahn® GmbH) mit nachfolgenden Malfarbenbränden (ein
bis zwei) bei 700 °C während einer Minute. Der Glanzbrand mit
Glasurmasse (Glaze; Zirkonzahn® GmbH) bei 780 bis 800 °C
während einer Minute schliesst den Fertigungsprozess ab
(Abb. 20a und 20b).
Die verwendeten Nylonmatrizen sind einfach austauschbar
und farbcodiert in verschiedenen Friktionsstärken erhältlich
(Abb. 21a und 21b).
Abb. 18a Rohbrandeinprobe von okklusal
Abb. 20a
Definitive fertiggestellte Zirconiaprothese
Abb. 18b
Abb. 20b
Detailgetreue Morphologie
Rohbrandeinprobe von frontal
Abb. 19 Schichtung der Prothesenbasis mittels glaskeramischer Gingivamassen
Praxis und Fortbildung
Abb. 21a Auf der Protheseninnenseite sind Friktionsmatrizen aus Nylon
eingebracht
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Praxis und Fortbildung Zirconiumdioxid in der abnehmbaren Prothetik
Abb. 21b Detail aus Abbildung 21a. Man beachte die hygienefreundlichen
und glatten Oberflächen.
Abb. 23a Inserierte Zirconiastege, die mit 25 Ncm–1 verschraubt sind. Die
Schraubenöffnungen sind mit Komposit abgedeckt.
Insertion und Nachsorge
Die Stege werden mit Abutmentschrauben aus Titan bei einem
Drehmoment von 25 Ncm–1 (Abutment Screw (TorqTite®);
Nobel Biocare™ AB) inkorporiert. Die Kontrollröntgenbilder
bestätigen die korrekte Lage der Stege (Abb. 22). Die Schraubenzugänge werden zunächst mittels Schaumstoffpellets und
Fermit (Fermit®: Ivoclar Vivadent AG, Schaan, L) provisorisch
verschlossen. Nachkontrollen erfolgen nach 24 Stunden sowie
einer Woche. Anlässlich der zweiten Kontrollsitzung wird der
Schraubensitz nachkontrolliert. Die Schraubenzugänge werden
nun definitiv mithilfe von Schaumstoffpellets und Komposit
(Tetric EvoCeram®: Ivoclar Vivadent AG) verschlossen (Abb. 23a,
23b, 23c und 23d). Es folgt eine Instruktion der Patientin bezüglich Prothesenhandhabung und Hygiene sowie eines regelmässigen Recalls bei der Dentalhygienikerin. Auch 18 Monate
nach Abgabe der Zirconiahybridprothese funktioniert die Rekonstruktion zur völligen Zufriedenheit der Patientin, ohne Notwendigkeit einer prothetischen Intervention.
Diskussion
Die vorliegende Arbeit zeigt die erfolgreiche Versorgung einer
70-jährigen Patientin mit einer implantatgetragenen Unterkieferhybridprothese, bei der sowohl Primär- wie Sekundärteile
vollständig aus Zirconia hergestellt wurden. Die Langzeitstabilität dieser Strukturen wird insofern als gut beurteilt, als es
Abb. 22
Kontrollröntgen nach Behandlungsschluss
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Abb. 23b
Inkorporierte Zirconiahybridprothese von okklusal
sich um sogenannte monolithische Strukturen handelt (Karl
& Bauernschmidt 2010); die zusätzliche Verblendung der Prothesenbasis dient dabei einzig der Farbgestaltung. Für Rekonstruktionen auf Basis der konventionellen Gusstechnik bestehen
gute klinische Langzeitdaten, die für dieses Kopierverfahren
einerseits und für keramische Primär- und Sekundärteile anderseits erst noch erarbeitet werden müssen. Eine kürzlich erschienene systematische Literaturübersicht von Harder & Kern
(2009) zeigt, dass mit konventionellen Verfahren hergestellte
Zirconiumdioxid in der abnehmbaren Prothetik
Abb. 23c
Praxis und Fortbildung
Inkorporierte Zirconiahybridprothese von frontal
Rekonstruktionen den auf CAD/CAM-Basis fabrizierten Arbeiten nicht nachstehen. Als Vorteile einer solchen Rekonstruktion
werden in der abnehmbaren Prothetik insbesondere Biokompatibilität, Metallfreiheit, gute Hygienefähigkeit dank glatter
Keramikoberflächen, aber auch die Möglichkeit einer CAD-CAMFertigung ins Feld geführt (Scarano et al. 2004, Rimondini et
al. 2002). Letztere erlaubt eine Kostenreduktion bei konstanter
Materialqualität sowie eine standardisiert hohe Passgenauigkeit
(Al-Fadda et al. 2007, Ortorp et al. 2003). Umgekehrt können
solche Rekonstruktionen nur in denjenigen Fällen eingesetzt
werden, bei denen eine Unterfütterung bzw. Reparatur der Basis
nicht vorgesehen sind. Zudem bleibt noch unklar, inwieweit
Prothesenzähne aus Zirconia sich bezüglich Abrasionsverhalten negativ auf die Gegendentition auswirken (Steger & Trejo
Caballero 2010).
Das klinische Vorgehen unterscheidet sich grundsätzlich nicht
von der konventionellen Herstellung einer Hybridprothese mit
Gerüst. Die Einprobe der Polyurethanprothese ist insofern von
grosser Bedeutung, als nachträgliche Modifikationen (Schleifen) an der Prothese unbedingt zu vermeiden sind (Frakturprophylaxe), bzw. nachträgliche Korrekturen nur bedingt möglich
sind. Auch wenn das System eine CAD-CAM-Anfertigung anbietet, so erlaubt die manuell gesteuerte Kopierfrästechnik eine
maximale Freiheit in der Gestaltung von individuellem Zahnersatz aus Zirconia durch den Zahntechniker auf Zähnen wie
auf Implantaten.
Das ästhetische Resultat der vorliegenden Arbeit wird als gelungen beurteilt. Für ästhetisch anspruchsvollere Regionen
empfiehlt sich die labiale und gegebenenfalls inzisale Reduktion der im Rohzustand gefrästen Restauration. Die reduzierten
Areale werden anschliessend mit Glaskeramik verblendet, was
wiederum zu einer biphasischen Konstruktion führt.
Anhand eines Fallbeispieles konnte gezeigt werden, dass der
Einsatz von Zirconia als Hochleistungskeramik auch in der abnehmbaren Prothetik als Primär- und Sekundärstruktur Anwendung findet.
Bezüglich Langzeitverhalten gilt es, zwei Aspekte zu berücksichtigen: erstens die Langzeitstabilität und zweitens das Oberflächenverhalten. Für beides sind kontrollierte Langzeitstudien
vor der routinemässigen Anwendung in der Praxis abzuwarten.
Nichtsdestotrotz erscheint die Möglichkeit einer klinischen
Materialalternative zu Metall und Kunststoff im Einzelfall als
äusserst attraktiv.
Abb. 23d Eine zufriedene Patientin strahlt nach erfolgreichem Behandlungsabschluss
Verdankungen
Herrn ZTM Andreas Lorenzon (Zürich, CH) danken wir für die
Unterstützung bei der technischen Planung und Diagnostik.
Herrn ZTM Georg Walcher (Bruneck, I) gilt unser Dank für
seine engagierte sowie hochwertige Umsetzung und Ausführung
der Arbeiten. Ohne den bemerkenswerten Einsatz der beiden
Herren wäre dieses Projekt nicht möglich gewesen.
Abstract
Bühler N M, Teubner E, Marinello C P: Zirconia in removable
prosthodontics – A case report (in German). Schweiz Monatsschr Zahnmed 121: 659–668 (2011)
Zirconia as a framework material is well established in fixed
prosthodontics. However, for its application for removable
dentures little experience exists. Zirkonzahn® has developed a
copy-milling unit, that is a manually operated machine for the
manufacture not only of frameworks but also of complete removable dentures. The aim of this case report is to show the
step-by-step clinical and technical fabrication of a zirconia bar
on implants and of a corresponding zirconia complete denture.
The advantages and disadvantages of the system are presented
and problems are critically discussed.
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Praxis und Fortbildung Zirconiumdioxid in der abnehmbaren Prothetik
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