Teil I WS 2011/2012 Sammlung

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Prof. Dr. Thomas Wolff
Physikalische Chemie
"Physikalische Chemie für Lehramtstudenten"
Teil I WS 2011/2012
Sammlung von Fundamentalkonstanten
2
Kap. 1:
3
Einleitung
Was ist Physikalische Chemie
Notwendige Mathematik
Begriffe
Zustandsgrößen
Kap. 2:
Gase
11
Gasgesetze
Temperaturbegriff
kinetische Gastheorie
Stoßfrequenzen
Kap. 3:
Thermodynamik (phänomenologisch)
Innere Energie und Enthalpie - 1. Hauptsatz
2. Hauptsatz und Entropie
Phasenumwandlungen, Phasendiagramme
Trennprozesse
Kolligative Prozesse
Mehrkomponenten- und Mehrphasensysteme
22
Kap. 4:
Kinetik
43
Reaktionsgeschwindigkeit
Reaktionsordnung
Reaktionsmechanismus
Aktivierungsenergie
Katalyse
Kap. 5:
Chemisches Gleichgewicht
Massenwirkungsgesetz
Gleichgewichtskonstante und Freie Reaktionsenthalpie
47
Kap. 6:
Elektrochemie
52
Leitfähigkeit
Elektrische Doppelschicht
Elektromotorische Kraft und Freie Reaktionsenthalpie
Spannungsreihe
pH-Elektrode
2
Sammlung von Fundamentalkonstanten
Atommasseneinheit
u = L-1 g/mol = NA-1 g/mol = 1,6605655·10-27 kg
Avogadro-Konstante
NA = 6,022045·1023 mol-1 (= Loschmidt-Zahl L)
Bohr-Magneton
µB = eh/(4πme) = 9,274078·10-24 J/Tesla
BOLTZMANN-Konstante
kB = 1,380662·10-23 J/K
Elektrische Feldkonstante
ε0 = 8,85418782·10-12 A2s2/(Jm)
Elektronenmasse
me = 9,109534·10-31 kg
Elementarladung
e =1,6021892·10-19 As = 1,6021892·10-19 C
Erdbeschleunigung
gb = 9,81 m/s2 (Mittelwert)
FARADAY-Konstante
FF = L·e = 96484,56 As/mol
Gaskonstante
R = L·kB = 8,314472 J/(mol K)
Gravitationskonstante
G = 6,6720·10-11 m3/(kgs2)
Kern-Magneton
µK = eh/(4πmp) = 5,050824·10-27 J/Tesla
Lichtgeschwindigkeit
c = 2,99792458·108 m/s (im Vakuum)
Magnetische Feldkonstante µ0 = 4π·10-7 Vs/(Am)
PLANCK-Konstante
h = 6,626176·10-34 Js
Protonenmasse
mp = 1,6726485·10-27 kg
Diese Konstanten werden nicht alle für das Modul PCI benötigt.
Im Allgemeinen reicht es aus, mit 4-5 Dezimalstellen zu rechnen.
3
Kapitel 1: Einleitung
1.1
Was ist Physikalische Chemie?
Die chemische Reaktionsgleichung liefert qualitative Informationen darüber, welche Produkte
aus welchen Edukten entstehen. Darüber hinaus wird quantitativ ausgesagt, wieviele Moleküle
der verschiedenen Edukte nötig sind, um die Produktmoleküle in festgelegter Anzahl zu bilden
und aus welchen Atomen in welcher Anzahl die beteiligten Moleküle bestehen.
Beispiel:
N2 + 3 H2 → 2 NH3
Dies ist eine Reaktion in der Gasphase, die auch in umgekehrter Richtung ablaufen kann. Eine
bloße Mischung der zwei Gase Wasserstoff und Stickstoff reagiert jedoch zunächst überhaupt
nicht. Fragen, die die Physikalische Chemie hierzu beantworten kann, sind folgende:
Wann und warum läuft diese Reaktion überhaupt ab (→Kap. 3, Kap. 6)?
Wie schnell läuft die Reaktion ab (→ Kap. 4)?
Wieviel wird in welche Richtung umgesetzt (Kap. 5)?
Wie ändern sich Druck und Volumen bei der Reaktion (→ Kap. 2, Kap. 5)?
Wird Energie verbraucht oder frei? Muss eventuell gekühlt werden (→ Kap. 3)?
Reaktionen in flüssiger oder fester Phase oder Reaktionen an Phasengrenzen bzw. phasenübergreifende Reaktionen werfen weitere Fragen auf, die im Kap. 6 angesprochen werden:
Werden bei einer Reaktion neben Stoffen auch elektrische Ladungen umgesetzt?
Wie und wie schnell werden Ladungen transportiert, ggf. durch Phasengrenzen hindurch?
Wieviel chemische oder elektrische Energie kann erzeugt bzw. gespeichert werden?
Zur Vor- bzw. Nachbereitung der Vorlesung wird der Gebrauch von umfassenden Lehrbüchern der Physikalischen Chemie empfohlen, z.B. G. Wedler, "Lehrbuch der Physikalischen Chemie", oder P. W. Atkins, "Physikalische Chemie", beide Wiley-VCH, Weinheim. Die Empfehlung ist eine solche, d.h. es können auch andere Lehrbücher benutzt werden. Es wird angeraten, in verschiedene Lehrbücher hineinzuschauen und sich für dasjenige zu
entscheiden, dessen Darstellungen man am besten versteht.
1.2
Notwendige Mathematik
Für die Vorlesung werden die Differentiation, das Differential und die Integration benötigt.
Einiges zur Differentiation und zum Differential:
1) Funktion einer Variablen: y = f(x)
dy
y´;
: Ableitung oder Differentialquotient
dx
d2 y
y´´;
: 2. Ableitung oder 2. Differentialquotient
dx 2
2) Funktion von 2 Variablen: z = f(x, y)
2
2
 ∂z   ∂z   ∂ z   ∂ z 
  ,   ,  2  ,  2  sind partielle Differentialquotienten.
 ∂x  y  ∂y  x  ∂x  y  ∂y  x
Der Index stellt die konstant gehaltene Größe dar und wird oft weggelassen.
4
2
∂  ∂z 
∂ z
  wird hier als
bezeichnet (gemischte zweite Ableitung). Die Reihenfolge der
∂x  ∂y 
∂x ∂y
Differentiale im Nenner findet man jedoch auch umgedreht, dieses ist auch i.a. unwichtig wegen des Satzes von SCHWARZ (siehe weiter unten).
Der Ausdruck
 ∂z 
 ∂z 
dz =   dx +   dy
 ∂x  y
 ∂y  x
wird als totales Differential bezeichnet. Es beschreibt die Änderung von z, wenn sowohl x als
auch y geändert werden.
Einige Beispiele:
1) Das totale Differential von h = u + pv als Funktion von p und v ist
 ∂ ( pv ) 
 ∂ ( pv ) 
dh = du + 
 dp + 
 dv = du + v dp + pdv .
 ∂v  p
 ∂p  v
2) dz = y2 dx + 2xy dx ist ein totales Differential, da
 ∂

∂

y 2 =  y 2 x  und 2 xy =  y 2 x  .
 ∂x
y
 ∂y
x
3) dz = y dx – x dy ist kein totales Differential, da
 ∂

∂

y =  yx  aber − x ≠  yx  .
 ∂x  y
 ∂y  x
Ein allgemeines Verfahren zur Feststellung, ob ein totales Differential vorliegt, ist das folgende:
dz = P dx + Q dy ist dann ein totales Differential, wenn
 ∂P 
 ∂Q 
  = 

 ∂y  x  ∂x  y
gilt. Nachweis: Damit ein totales Differential vorliegt, muss gelten:
 ∂z 
 ∂z 
P =   und Q =   .
 ∂x  y
 ∂y  x
Durch partielle Differentiation folgt
 ∂P 
∂2z
∂2z
 ∂Q 
  =
; 
.
 =
 ∂x  y ∂x ∂y
 ∂y  x ∂y ∂x
Der SCHWARZsche Satz sagt nun, dass
∂2 z
∂2z
=
∂y ∂x ∂x ∂y
unter sehr allgemeinen Bedingungen gilt.
Weitere wichtige Beziehungen folgen aus dem totalen Differential von z für den Fall z = const.
 ∂z 
 ∂z 
0 =   dx +   dy
 ∂x  y
 ∂y  x
oder
5
 ∂z 
 
 ∂x  y
 ∂y 
.
  =−
 ∂z 
 ∂x  z
 
 ∂y  x
Weiterhin gilt
 ∂z 
 ∂x 
  =1   ,
 ∂x  y
 ∂z  y
so dass die vorige Gleichung auch wie folgt geschrieben werden kann:
 ∂z   ∂y   ∂x 
      = −1 .
 ∂y  x  ∂x  z  ∂z  y
Als letzte Gleichung noch ein Analogon zur Kettenregel: Es möge drei Variable geben, die
über eine Gleichung miteinander verknüpft sind (z.B. p, v, T und die Gasgleichung). Dann
kann die Ableitung einer Funktion nach einer Variablen durch eine andere Ableitung wie folgt
geschrieben werden:
 ∂F 
 ∂F   ∂z 

 =
   .
 ∂x  y  ∂z  y  ∂x  y
Ein Beispiel dazu: Es soll (∂pV/∂T)p bestimmt werden, und (∂pV/∂V)p sei bekannt. Es gilt
 ∂pV 
 ∂pV   ∂V 
 =
 
 .

 ∂T  p  ∂V  p  ∂T  p
(∂pV/∂T)p wird mit Hilfe einer Gasgleichung berechnet. Für ein ideales Gas ergeben die linke
und rechte Seite jeweils R.
1.3
Begriffe
Um Missverständnisse zu vermeiden, müssen zunächst einige Begriffe erläutert werden, die im
täglichen Sprachgebrauch nicht vorkommen oder eine andere, evtl. weniger scharfe Bedeutung
haben.
Unter Phase versteht man einen Bereich (z.B. einen Volumenausschnitt), in dem sich keine
physikalische Größe sprunghaft ändert (z. B. Dichte oder Leitfähigkeit).
Ein System ist das, was untersucht wird, im Unterschied zu der Umgebung des Systems; von
der Umgebung ist das System durch eine Wand getrennt, die Wechselwirkungen zulässt oder
ausschließt.
Hierbei unterscheidet man isolierte Systeme, die keine Wechselwirkung (Wärme oder Materieaustausch, mechanische Arbeit) mit der Umgebung zulassen. Weiterhin gibt es geschlossene
Systeme, die zwar keinen Materieaustausch, jedoch Energiezufuhr oder -abfuhr ermöglichen.
Schließlich spricht man von einem offenen System, wenn zusätzlich auch der Austausch von
Materie erlaubt ist.
Messbaren Eigenschaften der Systeme (z.B. Volumen v, Masse m, Temperatur T) können Zahlenwerte zugeordnet werden. Diese sind dann Messwerte oder Größen, d.h. Produkte aus Zahlenwert und Einheit. (In der Regel wird in der Physikalischen Chemie das SI-Einheitensystem
verwendet). Häufig gibt es mehrere Einheiten gleicher Dimension, z.B. 0,5 dm3 = 0,5 l = 500
cm3. Die gemeinsame Dimension ist Länge3.
6
Die messbaren Eigenschaften eines Systems heißen Zustandsgrößen, ein wichtiger und deshalb
genauer zu betrachtender Begriff (→ Kap. 2).
Als Prozess bezeichnet man das Durchlaufen von vorgegebenen Wegen bei kontinuierlicher
(d.h. durch unendlich viele Zwischenstufen verlaufender, reversibler) Änderung des Zustands.
Die Zustandsänderung ist dabei vollkommen festgelegt durch die Angabe des Anfangszustands und
des Endzustands. Ein Kreisprozess ist eine Zustandsänderung mit identischem Anfangs- und
Endzustand. Prozesse können bei konstanter Temperatur (isotherm), bei konstanten Druck (isobar)
oder bei konstantem Volumen (isochor; von ισjς
= gleich und χορωδία = Volumen, Fülle) ablaufen,
und lassen sich dann (zunächst für ideale Gase) in
p-v, v-T bzw. p-T-Diagrammen darstellen.
Derartige Zustandsänderungen werden durch Koeffizienten charakterisiert: Der isobare Prozess durch den thermischen Ausdehnungskoeffizienten α
1  ∂v 

v  ∂T  p
α= 
(1-1),
der isotherme Prozess durch die Kompressibilität χ
1  ∂v 

v  ∂p  T
χ = − 
(1-2),
und der isochore Prozess durch den Spannungskoeffizienten β
β=
1  ∂p 


p  ∂T v
(1-3)
(α, β, χ alle bei dn = 0).
Prozesse können zudem adiabatisch, d.h. wärmeisoliert (s. Kap 3.1), durchgeführt werden.
7
1.4
Zustandsgrößen
Man unterscheidet extensive und intensive Zustandsgrößen1.
Extensiv:
Proportional zur Masse m
Beispiele: Volumen v, Energieinhalt, Stoffmenge n = m/M
(M: molare Masse)
Intensiv:
Funktionen der Raumkoordinaten,
z.B. Druck in verschiedenen Höhen,
r
r
r
p (r ) , Temperatur T (r ) , Dichte ρ (r )
Intensive Größen erhält man durch Division von extensiven, z.B. V = v/n (molares Volumen),
ρ = m/v (Dichte), c = n/v (Konzentration).
Extensive Größen erhält man durch Integration von intensiven, z.B. m = ∫ρ dv.
Zur Betrachtung eines Systems muss man intensive Zustandsgrößen konstant halten. Das kann
relativ einfach sein z.B. bei der Temperatur in gut gerührten Systemen oder beim Druck in
einem Reaktionsgefäß unter Umgebungsdruck. Schwierig kann es werden und nur näherungsweise gelingt es, das Erdmagnetfeld oder die Schwerkraft konstant zu halten (Druck in einem
Reaktionsgefäß ist unten größer).
Zustandsgrößen sind oft voneinander abhängig, z.B. hängt der Zustand eines idealen Gases (→
Kap. 2) von n, v, p, und T ab: Jede Zustandsgröße ist nach Angabe der drei anderen festgelegt.
In einem geschlossenen System ist n konstant, d.h. v = f(p,T). Die Ableitung ist daher aus zwei
partiellen Ableitungen zusammengesetzt:
dv = (dv/dp)Tdp + (dv/dT)pdT
=
X
dp + Y
dT
(1-4)
(1-5)
dv ist ein totales Differential mit der Eigenschaft
∂ 2v
∂ 2v
∂X ∂Y
=
bzw.
=
(1-6)
∂p∂T ∂T∂p
∂T ∂p
Diese Eigenschaft des totalen Integrals ist charakteristisch für eine Zustandsfunktion und kann
deshalb zur Unterscheidung einer Zustandsgröße von einer anderen Größe herangezogen werden. Dies wird an Hand der Gleichung für ideale Gase (→ Kap. 2) gezeigt:
pv = nRT;
(R ist eine Konstante)
v = nRT/p
(1-7)
dv = (dv/dp)Tdp + (dv/dT)pdT
=
X
X = –nRT/p2;
1
dp +
Y
Y = nR/p
dT
(1-4)
(1-5)
(1-8)
Größen, die extensiv und intensiv auftreten, werden in diesem Text mit Kleinbuchstaben (extensiv, z.B. v) und
Großbuchstaben (intensiv, z.B. V = v/n) unterschieden (mit einigen Ausnahmen, z.B. chemisches Potenzial µ). In
Lehrbüchern wird das teilweise anders gemacht, wobei andere Ausnahmen auftreten.
8
∂X
nR
dT = − 2
∂T
p
;
∂Y
nR
dp = − 2
∂p
p
(1-9)
Die gemischten zweiten Ableitungen sind also gleich, d.h. es gilt unabhängig von Integrationsweg
2
(1-10)
∫ dv = v 2 − v1
1
oder: Eine Zustandsänderung von einem Zustand 1 zu einem Zustand 2 führt unabhängig
von dem Prozess, der zu der Zustandsänderung geführt hat, immer zu derselben Differenz von Zustandsgrößen.
Die Arbeit a ist keine Zustandsgröße. Ihre physikalische Definition ist
da = –K ds
(1-11)
(K: Kraft, s: Weg) erweitert mit der Kolbenfläche F
Fda = –KFds
(1-12)
Nun ist Fds = dv, so dass
da = –KF–1dv.
In einem Versuchsaufbau gemäß nebenstehender Skizze entspricht da
der Volumenarbeit pdv.
  ∂v 

 ∂v 
da = − pdv = − p  dp + − p
 dT 
 ∂p  T
  ∂T  p 
(1-13)
da = –X’ (p,T) dp – Y’ (p,T) dT
X ' ( p, T ) = + p
nRT
RT
=n
;
2
p
p
Y ' ( p, T ) = − p
nR
= − nR
p
(1-14)
Man sieht bereits ohne die zweite Ableitung zu bilden, dass die gemischten zweiten Ableitungen nicht gleich sein können, a entsprechend keine Zustandsfunktion ist. Das Integral über da
ist abhängig vom Integrationsweg (in der Chemie: Prozessführung).
9
Einheiten
Im Rahmen des Moduls PCI werden weitgehend mit SI-Einheiten (systeme internationale
d’unites) benutzt. Das Einheitensystem arbeitet mit Einheiten der Basisgrößen
Länge:
m;
Stromstärke: A;
Masse:
kg;
Temperatur: K;
Zeit:
s;
Stoffmenge: mol.
(Lichtstärke cd)
Daneben gibt es davon abgeleitete Größen
Kraft
N = kg m/s2
Druck:
Pa = N/m2;
Energie:
J = Nm = Ws (früher 1 cal = 4,184 J)
J kgm 2
Leistung:
W= = 3
s
s
V kg m
Feldstärke
=
m s3A
kg m 2
Spannung
V= 3
sA
Ladung
C = As
Konventionen in den meisten modernen Lehrbüchern und Journalen
Symbole
kursiv
Zahlen, Einheiten, Operatoren, Indices (sofern nicht selbst Symbole)
steil
3
Beispiele:
Masse m = 1,67 g; Volumen v = 2,1 m ; molares Volumen V = 22,24 dm3/mol;
Zahl e; dy/dx; exp(-EA/RT); m1, m2 KZ (Zentrifugalkraft; aber Kp: Gleichgewichtskonstante); EMK als abgekürzter Name, EMK als Symbol.
Die Symbole selbst sind oft unterschiedlich, z.B. in der Vorlesung Kraft K, oft aber Kraft F
(force). Symbole sollten deshalb beim ersten gebrauch definiert werden. Mehrfachverwendungen sind in größeren Abhandlungen nicht zu vermeiden, da es mehr Größen als Buchstaben
gibt, auch einschließlich des griechischen Alphabets.
Griechische Buchstaben
Buchstabe
groß_ klein
A
α
B
β
Γ
γ
∆
δ
Ε
ε
Ζ
ζ
Η
η
Θ
θ ,h
Ι
ι
Κ
κ
Λ
λ
Μ
µ
Ν
v
Ξ
ξ
Ο
ο
Π
π
Ρ
ρ,k
Σ
σ ,ς *
Name
Alpha
Beta
Gamma
Delta
Epsilon
Zeta
Eta
Theta
Iota
Kappa
Lambda
My
Ny
Xi
Omikron
Pi
Rho
Sigma
Aussprache
altgriechisch
neugriechisch
a
a
b
w
g
g
d
th (weich)
e
e
ds
ds
ä
i
t (th)
th (hart)
i
i
k
k
l
l
m
m
n
n
ks
ks
o
o
p
p
r
r
s
s
10
T
Υ
Φ
Χ
Ψ
Ω
Tau
Ypsilon
Phi
Chi
Psi
Omega
τ
υ
n
χ
ψ
ω
t
ü
f
ch
ps
oh
t
i
f
ch
ps
oh
ai
eï
eu
au
u
ai
i
ef
af
u
*am Wortende
zusammengesetzte Vokale
αι
ει
ευ
αυ
oυ
angehauchte Vokale
© º Ê ß Ò ñ ...
ha he hä hi hü ho hoo hai ...
Umrechnungsmatrix für Konzentrationsangaben in binären Lösungen (Index 1 für Lösemittel,
2 für Gelöstes):
Massenanteile
Konzentrationen (Molaritäten)
g2 = m2 / Σm
c2 = n2 / v
Mengenanteile (Molenbrüche)
Molalitäten
x2 = n2 / Σn
b2 = n2 / m1
Dichte der Lösung
molare Masse
ρ=
Mi = mi / ni
(in g/cm3 oder kg/dm3)
(in kg/mol)
mittlere molare Masse
Mm = Σmi / Σni
(in kg/mol)
(in mol/dm3)
(dimensionslos)
(in mol/kg)
Σmi / v
g2
c2
x2
b2
g2
g2
M2c2 / ρ
M2x2 / [M1 + (M2 – M1) x2]
M2b2 / (1 + M2b2 )
c2
ρ g2 / M2
c2
ρ x2 / Mm
ρb2 / (1 + M2b2 )
x2
M1g2 / [M1g2 +
M2 (1–g2)]
Mm c2 / ρ
x2
M1b2 / (1 + M1b2 )
b2
g2 / [M2 (1–g2)]
c2 / (ρ – M2c2)
x2 / [M1 (1–x2)]
b2
11
Kapitel 2:
Gase
2.1
Gasgesetze
2.1.1 Ideales Gasgesetz (Gesetz für ideale Gase)
Gasteilchen (Atome oder Moleküle) mögen sich in einem Gefäß ungeordnet bewegen. Die
Folge sind Zusammenstöße der Teilchen (wobei sie Impulse übertragen, d.h ihre Richtung und
Eigengeschwindigkeit ändern) aber auch Stöße gegen die Wand. Dabei werden Kräfte auf die
Wand übertragen, welche als Druck (in der Einheit N/m2 = Pa) messbar sind, welcher eine
adäquate Größe zur Beschreibung des Zustands ist. Das Ziel der nachfolgenden Betrachtung ist
Angabe des Drucks als Funktion der anderen Zustandsvariablen Temperatur, Volumen und
Stoffmenge [p = f(T,v,n)], auch thermische Zustandsgleichung genannt.
Um 1670 bereits fanden Boyle und Mariotte den Zusammenhang zwischen p und v bei konstanter Temperatur und Stoffmenge, der im Diagramm für den isothermen Prozess (→ Kap. 1)
dargestellt ist:
p ~ 1/v oder das Produkt aus Druck und Volumen ist konstant.
Um 1802 untersuchte Gay-Lussac den Zusammenhang zwischen
v und T. Das Ergebnis ist in nebenstehendem Diagramm wiedergegeben. Gefunden wurde ein linearer Zusammenhang der Form
v = v0 (1+αT/°C). Hierbei tritt der thermische Ausdehnungskoeffizient α als Steigung auf.
Verlängert man die Gerade zu niedrigeren Temperaturen, so
wird ein Schnittpunkt mit der Temperaturachse bei –273,15 °C
erreicht. Dieser Schnittpunkt definiert den absoluten Nullpunkt
und ermöglicht eine neue, ausschließlich positive Temperaturskala in der Einheit K (Kelvin). –
273,15 °C = 0 K entsprechen v = 0, was für ein reales Gas wegen des Eigenvolumens seiner Teilchen
nicht möglich ist. Es wurde deshalb die Vorstellung
des idealen Gases entwickelt, dessen Teilchen nicht
nur kein Eigenvolumen besitzen sondern auch keine
Wechselwirkungen miteinander haben, d.h. sie üben weder Anziehungs- noch Ab-stoßungskräfte
aufeinander aus.
Die Zusammenfassung der Beobachtungen von
BOYLE und MARIOTTE (v ~ 1/p) sowie von GAYLUSSAC (v ~ T) ergibt v ~ T/p. Weiterhin ist natürlich v ~ n (nachzuvollziehen durch Vereinigung von
zwei Systemen). Damit wird die thermische Zustandsgleichung (id. Gasgesetz)
pv = nRT (extensiv) oder pV = RT (intensiv)
(1-7),
wobei die Proportionalitätskonstante R = 8,314 J mol–1 K–1 Gaskonstante genannt wird. In
Gleichungen mit extensiven Größen ist die BOLTZMANN-Konstante k = 1,3807 · 10-23 JK–1 zu
verwenden, entsprechend der durch die LOSCHMIDT-Zahl oder AVOGADRO-Konstante (L = NA
= 6,022 1023 / mol) geteilten Gaskonstante. Der Zustand eines idealen Gases ist insgesamt
durch die Kombination der Abbildungen auf S. 6 aus einem dreidimensionalen Diagramm ablesbar (Abb. aus Wedlers Lehrbuch).
12
2.1.2 Partialdruck
Jedes Gas in einer Mischung idealer Gase übt seinen eigenen Druck auf die Wand aus. Dieser
Partialdruck pi ist gleich dem Druck, den das Gas ausüben würde, wenn es sich allein in dem
betreffenden Volumen befände. Es gilt also für die Komponenten 1,2,...i jeweils das ideale
Gasgesetz ebenso wie für den Gesamtdruck p:
p1 = n1RT/v; p2 = n2RT/v
(2-1).
Für die Mischung folgt dann mit
p1 + p2 = p;
n1 + n2 = n
(2-2)
das ideale Gasgesetz p = nRT/v.
Damit lassen sich Partialdrücke berechnen:
p1
p1
=
=
p
p1 + p 2
n1 RT
v
n1 RT
v
+
n 2 RT
v
=
n1
= x1
n1 + n 2
(2-3),
wobei x1 als Mengenanteil oder Molenbruch bezeichnet wird.
Es folgt das RAOULTsche Gesetz, (wird hier nicht immer so bezeichnet, vgl. Kap. 3.3.2):
p1 = x1 p
(2-4)
( s. Abbildung:)
2.2
Reale Gase
Im Unterschied zum idealen Gas haben die Teilchen eines realen Gases ein Eigenvolumen und
sie unterliegen Wechselwirkungen, d.h. sie üben Kräfte aufeinander aus. Beides führt zu Abweichungen von dem idealen Verhalten, das mit dem idealen Gasgesetz beschrieben wird. Die
Abweichungen sind umso größer, je kleiner die Abstände zwischen den Teilchen sind (d.h. bei
hohen Drücken) und je tiefer die Temperatur sinkt, weil sich dann das System der Kondensationstemperatur nähert.
Es gibt verschiedene Ansätze, das ideale Gas-Gesetz so zu modifizieren, dass auch reale Gase
richtig oder zumindest besser beschrieben werden. Die bekannteste Gleichung für reale Gase
ist die VAN-DER-WAALS-Gleichung
(p + π)(V – b) = RT
(2-5)
13
Hier wurde zunächst v/n = V zusammengefasst (molares Volumen). Sodann wurde durch die
Korrektur π berücksichtigt, dass der gemessene Druck p wegen der Anziehung der Teilchen
etwas kleiner ist als nach der idealen Gasgleichung zu erwarten. Weiterhin wird mit der Volumenkorrektur b das Eigenvolumen der Gasteilchen berücksichtigt.
Letztere lässt sich mit nebenstehender Abbildung verstehen, wobei
die Gasteilchen kugelförmig angenommen werden, was ein gutes
Modell für frei bewegliche Teilchen in der Gasphase ist.
Die Mittelpunkte zweier Kugeln mit dem Radius r können sich nur
bis auf den Abstand R = 2r nähern. Es ergibt sich daraus ein ausgeschlossenes Volumen für zwei Teilchen von
4 π R3 / 3 = 32 π r3 / 3
(2-6),
folglich für 1 Teilchen 16 π r3 / 3 und für 1 mol Teilchen NA × 16 π r3 / 3. NA ist die Zahl der
Teilchen, die ein Mol einer Substanz enthält (Avogadro-Konstante oder Loschmidtsche Zahl =
6,022 × 1023 / mol). Es zeigt sich, dass b = 4 (NA × 4 π r3 / 3) dem Vierfachen des Eigenvolumens eines Mols der betreffenden Teilchen entspricht. Die experimentelle Bestimmung von b
(aus der Abweichung vom idealen Verhalten) ermöglicht die Ermittlung von Molekülvolumina
in der Gasphase.
Die Druckkorrektur π wird als Kohäsionsdruck oder Binnendruck bezeichnet und ist notwendig wegen der Kräfte, die Gasteilchen aufeinander ausüben. Die Kräfte sind bei Gasen praktisch immer Anziehungskräfte, sie resultieren aus Dipol-Dipol-Wechselwirkungen oder Wechselwirkungen zwischen einem Dipol und einem induzierten Dipol, seltener aus DipolMonopol-Wechselwirkungen (nur bei Ionen). Die Kräfte sind i.a. Anziehungskräfte. Selbst
völlig ungeladene Teilchen ziehen sich ein wenig an (VAN-DER-WAALS-Kräfte), wie man daran
sieht, dass auch Helium bei genügend tiefer Temperatur flüssig wird.
π muss für V→ ∞ gegen Null streben, da für V→ ∞ das ideale Gasgesetz gilt. Ein Ansatz, der
diese Bedingung erfüllen kann, ist der folgende
π = c/V + a/V2 + d/V3 +....
(2-7)
(Virialansatz). Bricht man die Reihenentwicklung nach dem zweiten Glied ab, so lautet die
VAN-DER-WAALS-Gleichung
(p + c/V + a/V2) (V – b) = RT
(2-8)
Damit sich nun dieser Ausdruck für kleine Drücke und große Volumen (damit b vernachlässigt
werden kann) dem idealen Gasgesetz annähert, muss c = 0 sein. Es folgt die übliche Formulierung der VAN-DER-WAALS-Gleichung
(p + a/V2) (V – b) = RT
(2-9).
Die VAN-DER-WAALS-Konstanten a und b sind für viele Gase ermittelt worden und in Tabellenwerken zu finden (z.B. ist für CO2: a = 3,6 bar dm6 mol–2 und b = 0,043 dm3 mol –1)2.
2
Es ist üblich, die VAN-DER-WAALS-Konstanten – obwohl intensive Größen – mit kleinen
Buchstaben zu symbolisieren
14
Im p-V-Diagramm
(siehe
nebenstehend) sind Abweichungen des realen
vom
idealen
Verhalten für sechs
Isothermen schematisch
dargestellt.
Bei tiefen Temperaturen kondensieren
reale Gase, wobei
ein Zwei-PhasenGebiet durchlaufen wird, in dem Gas und Flüssigkeit koexistieren und in welchem sich der
Druck als Funktion der Volumens nicht ändert. Hier beschreibt auch die VAN-DER-WAALSGleichung das Verhalten nicht mehr richtig (vielmehr treten hier Minima und Maxima als Artefakte dieser Gleichung auf). Im zweiten Diagramm ist die Temperaturachse hinzugefügt und
der dargestellte Bereich erweitert, so dass neben dem Zweiphasengebiet Gas-Flüssigkeit auch
das Zweiphasengebiet Flüssigkeit-Feststoff dargestellt ist, welches bei höheren Drücken und
tieferen Temperaturen für reale Substanzen auftreten muss. Die rote Linie ist ein Beispiel für
eine Isotherme
2.3
Kinetische Gastheorie
2.3.1 Temperaturbegriff und mittlere Geschwindigkeit
Der allgemeine Temperaturbegriff hat sich gebildet aus dem menschlichen Gefühl für warm
und kalt sowie der Möglichkeit der Messung der Temperatur z.B. mit Hilfe der thermischen
Ausdehnung. Das Ziel der folgenden Betrachtung ist die Deutung des Temperaturbegriffs auf
molekularer Ebene.
Das nebenstehende Bild skizziert ein (zweidimensional gezeichr
netes) Gefäß. Darin sind die Geschwindigkeitsvektoren w1 und
r
w2 von zwei Teilchen eingezeichnet, die Geschwindigkeitskomponenten in x-Richtung haben. Diese Komponenten entsprechen
Strecken wx1dt und wx2dt, die in der Zeit dt von den Teilchen zurückgelegt werden. Der Behälter soll ein Volumen v haben und N
Teilchen der Masse m enthalten. Daraus ergibt sich eine Molekülzahldichte Nv = N/v. Die Bewegung der Teilchen ist regellos, d.h. alle Geschwindigkeiten w
und alle Richtungen sind gleichwertig. Wir betrachten zunächst die Teilmenge der Moleküle
mit Geschwindigkeitskomponenten wxi in x-Richtung. Deren Dichte ist Nxi und Nxi/2 ist die
Dichte der Moleküle, die sich auf die (im Bild rechte) Wand mit der Fläche F zu bewegen. Die
Fläche F wird innerhalb der Zeit dt von
Nxi/2 · F · wxi · dt
(2-10)
Molekülen erreicht. An der Wand erfolgt Reflexion, d.h. eine Impulsübertragung von
mwxi – (–mwxi) = 2 mwxi
Auf die Wand wirkt deshalb pro Zeiteinheit die Kraft
(2-11).
15
K xi =
d mwxi 2mw xi N xi
=
⋅
⋅ F ⋅ wxi ⋅ d t
dt
dt
2
(2-12),
der entsprechende Druck ist
p xi =
K xi
= m ⋅ N xi ⋅ wxi2
F
(2-13).
Der Gesamtdruck in x-Richtung
px = Σ pxi = m ΣNxi wxi2
(2-14)
ist in allen Raumrichtungen x, y und z gleich
p = px = py = pz
(2-15)
ebenso wie das gemittelte Quadrat der Geschwindigkeit3
wx2 = w 2y = wz2 = (∑ N xi ·wxi2 )/ ∑ N xi = (∑ N xi ·wxi2 )/ Nv
(2-16).
Da w eine Vektorgröße ist, ergibt sich
rr
w 2 = ww = wx2 + w 2y + wz2 = 3wx2
so dass der Gesamtdruck
1 nL
p = N v ⋅ m wx2 = ⋅ ⋅ m w 2
3 v
wird. L ist die Loschmidt-Zahl oder Avogadrokonstante (NA).
Andererseits ist die kinetische Energie ε k = m w 2 /2, so dass
(2-17),
(2-18)
(1/3) · L · m w 2 = (2/3) · L · ε k
(2-19)
und man erhält mit der idealen Gasgleichung
pv/n = (2/3) · L · ε k = RT
(2-20).
Die Temperatur ist somit direkt proportional zur mittleren kinetischen Energie
T = (2/3) · (L/R) · ε k = (2/3) · (1/kB) · ε k
(2-21),
–23
–1
kB = R/NA = R/L= 1,38 · 10 JK heißt BOLTZMANN-Konstante (im Folgenden oft einfach k).
Hätte man sich das früher überlegt, so wäre wohl der Temperatur eine Energieeinheit zugeordnet worden. (2/3) · (1/kB) wäre dann eine dimensionslose Konstante.
Atome und Moleküle in der Gasphase haben drei Freiheitsgrade der Bewegung entsprechend
den drei Raumrichtungen x, y, z (weil sich jede Bewegung in Komponenten dieser Raumrichtungen zerlegen lässt). Die Beziehung
ε k = (3/2) kBT
(2-22)
lässt sich daher so interpretieren, dass die kinetische Energie pro Freiheitsgrad kBT/2 beträgt.
3
Achtung: gemeint ist der Mittelwert der quadrierten Geschwindigkeiten, nicht das Quadrat der
mittleren Geschwindigkeit, das etwas kleiner ist; s. 2.3.2.
16
Ein „Mittelwert der Molekülgeschwindigkeit“ (nicht exakt, vgl. Fußnote 3) ergibt sich zu
w2 =
T g mol −1
·
K M
3kT
3RT
m
=
= 158
m
M
s
(2-23).
2.3.2 Geschwindigkeits-Verteilung
Die Verteilung von Molekülgeschwindigkeiten lässt sich
in einem Molekularstahlexperiment wie nebenstehend
skizziert ermitteln. Hierbei lässt man Gasteilchen aus
einem Gefäß durch eine Öffnung ausströmen, die so klein
ist, dass nur einzelne Teilchen austreten. Diese Teilchen
können nur dann die freien Sektoren der beiden auf einer
Achse rotierenden Sektorscheiben passieren und so den
Detektor erreichen, wenn ihre Geschwindigkeit die Bedingung
w=aν
(2-24)
erfüllt, wobei a der Abstand der Sektorscheiben
und ν (nü) die gemeinsame Rotationsfrequenz der
Scheiben bedeuten. Wird nun durch Variation dieser Frequenz die Häufigkeit der Geschwindigkeiten gemessen, so erhält man nebenstehende Kurve,
die unter Beibehaltung des Flächeninhalts mit
steigender Temperatur ihr Maximum nach rechts
verschiebt.
Die Kurve folgt nach MAXWELL einer Funktion
dN
 m 
= 4π 

N
 2πkT 
3/2
 mw 2 
dw
·w 2 ·exp −
 2kT 
(2-25)
(zur Ableitung siehe Lehrbücher der Physikalischen Chemie, z.B. G. Wedler: „Lehrbuch der
Physikalischen Chemie“, Wiley-VCH). Aus der Funktion lassen sich folgende Werte ermitteln:
2kT
8kT
Häufigste Geschwindigkeit wh =
, mittlere Geschwindigkeit w =
und der Mitπm
m
3kT
. Der Exponentialausdruck in 2-25 ist
m
die Konsequenz einer Erkenntnis von BOLTZMANN, dem
telwert der quadrierten Geschwindigkeiten w 2
−2
=
BOLTZMANN-Satz:
Wenn N Teilchen die kinetische Energie ε haben und N0 Teilchen die kinetische Energie ε0, so
ist ihr Zahlen- oder Wahrscheinlichkeitsverhältnis gegeben durch
ε − ε0
N
= exp( −
)
(2-26).
N0
kT
17
Ein ähnliches Ergebnis erhält man, wenn man die potentiellen Energien mgh und mgh0 (g:
Erdbeschleunigung) von Teilchen betrachtet, die in den Höhen h und h0 im Schwerefeld der
Erde vorkommen:
N
 mg ( h − h0 
= exp  −
(2-26a; barometrische Höhenformel).

N0
kT

Beide Beziehungen sind Spezialfälle des sogenannten BOLTZMANN-e-Satz, der allgemein die
Gleichgewichtsverteilung von Teilchen auf Energiezustände beschreibt.
2.3.3 Gleichverteilung der Energie auf Freiheitsgrade
Nach der kinetischen Gastheorie ist die Temperatur Ausdruck der mittleren kinetischen Energie der Gasteilchen, die proportional zur Temperatur ist (kB = 1,38 ·10–23 J/K):
∆ε k = (3/2) kB ∆T
(2-27).
Das Verhältnis
∆ε k /∆T = (3/2) kB = Cv'
(2-28)
entspricht einer spezifischen Wärme Cv' pro Teilchen (2-28) und gilt universell, wenn die
Gasteilchen nur die drei Freiheitsgrade der Translation besitzen (wie bei Atomen, z.B. He).
Mehratomige Moleküle haben zusätzliche Möglichkeiten, Energie aufzunehmen, und zwar bis
zu drei Freiheitsgrade der Rotation und 3N-6 Schwingungsfreiheitsgrade für N-atomige Moleküle, die folglich maximal 3N Freiheitsgrade haben können.
Im Einzelnen sind Bewegungen der Atome in Molekülen stets auf eine Überlagerung von
Grundformen zurückzuführen, die in Translation, Rotation und innere Schwingungen eingeteilt
werden. Wenn m = Σmi die Gesamtmasse der Teilchen ist, ergibt sich für die kinetische Energie der Translation die Gleichung (2-22).
Rotationen
Bei Rotationen gilt für jedes der drei Hauptträgheitsmomente Ix, Iy, Iz: εr = I ω2/2, insgesamt
εr = Ix ωx2/2 + Iy ωy2/2 + Iz ωz2/2
(2-29).
Trägheitsmomente sind definiert als I = Σmiri2, wobei ri der Abstand
des betreffenden Massepunkts von der Drehachse ist. ω = 2πν bezeichnet die Rotationsfrequenz. Einfachster Fall ist ein 2-atomiges
Molekül mit der Gesamtmasse m = m1 + m2, in nebenstehender Skizze
eingezeichnet mit dem Masseschwerpunkt im Ursprung. Es gilt
r = z2 – z1 = | z2 | + | z1 |
und m1 |z1| = m2 |z2| sowie |z1| = r m2/m und |z2| = r m1/m. Die Trägheitsmomente
m1m2 2
I x = I y = I = m1 z12 + m2 z 22 =
r = µr 2
(2-30)
m1 + m2
sind entsprechend und Iz = 0 (Massepunkte), wobei µ als reduzierte Masse bezeichnet wird.
Die Rotationsenergie eines zweiatomigen bzw. linearen mehratomigen Moleküls ist dann
18
εr = (2/2) µr2ω2 = (2/2) kB T
(2-31),
für gewinkelte 3- und mehratomige Moleküle gilt hingegen
εr = (3/2) µr2ω2 = (3/2) kB T
(2-32),
wobei die jeweils letzten Ausdrücke bereits berücksichtigen, dass nach der kinetischen Gastheorie jeder „quadratische Term“ ½ kB T zur Gesamtenergie des Gasteilchens beiträgt.
Schwingungen
Schwingungen eines zweiatomigen Moleküls entsprechen einer ständigen Umwandlung von kinetischer und potentieller Energie (εk, εp).
In nebenstehender Skizze bezeichnet r den Gleichgewichtsabstand der
Atome.
Die Kraft zur Streckung oder Stauchung des Abstands der Atome ist
proportional zur Auslenkung:
K = dε p / d ( r − r ) = f ( r − r )
(f ist die Kraftkonstante). εp folgt aus der Integration von (2-33)
ε p = (1 / 2) f ( r − r ) 2
(2-33)
(2-34).
Für die Bewegungen der Atome erhält man die Geschwindigkeiten
dz
m dr
dz
m dr
w1 = 1 = 2
; w2 = 2 = 1
(2-35).
dt
m dt
dt
m dt
Daraus folgt für die kinetische Energie
1
1
1
dr
ε k = m1 w12 + m 2 w22 = µw 2 mit w =
(2-36)
2
2
2
dt
und die Schwingungsenergie insgesamt ergibt sich zu
1
1
ε s = µw 2 + f ( r − r ) 2 = ε k + ε p
(2-37).
2
2
Die gesamte (thermische) Energie des zweiatomigen Gasmoleküls setzt sich zusammen aus
3
2
2
ε = ε t + ε r + ε s = kT + kT + kT = 3,5kT
(2-38),
2
2
2
wenn man berücksichtigt, dass wie bei den Rotationen nach der kinetischen Gastheorie jeder
"quadratische Term" im Mittel kT/2 zur Gesamtenergie beiträgt. Für die Schwingungsenergie
werden zwei quadratische Terme nach (2-37) pro Freiheitsgrad berücksichtigt. 3,5 kT entspricht einer spezifischen Wärme von C v’ = 4,85 · 10–23 J/K pro Molekül oder 3,5 RT = Cv =
29,1 J mol–1 K–1, das ist die Energie, die benötigt wird, um ein Molekül bzw. 1 mol um 1 K zu
erwärmen.
Etwas komplizierter sind die Verhältnisse bei dreiatomigen Molekülen. Diese können linear
(CO2, HCN) oder gewinkelt (H2O, NO2) sein. Folglich unterscheidet sich die Rotationsenergie
für lineare (kT) und für gewinkelte (3kT/2) Moleküle. Auch die Schwingungsenergien sind für
lineare und gewinkelte Moleküle verschieden. Alle Schwingungen lassen sich auf eine Über-
19
lagerung von Grundformen zurückführen. Im linearen Fall sind dies die symmetrische Streckschwingung (a), die asymmetrische Streckschwingung (b) und zwei Knickschwingungen (c) in
zwei zueinander senkrechten Ebenen) entsprechend einer Schwingungsenergie εs = (8/2) kT
und einer Gesamtenergie ε = (13/2) kT. Für gewinkelte Moleküle findet man nur drei Grundformen der Schwingung, so dass εs = (6/2) kT und ε = (12/2) kT. Die folgende Tabelle fasst die
Freiheitsgrade (FG) für verschiedene Moleküle zusammen (Man beachte, dass es sich um (ideale) Gase handelt, in kondensierter Phase können weitere Schwingungen und Rotationen hinzukommen oder solche unmöglich werden):
Zahl Atome
FG
Translation
FG
Rotation
FG
Schwingung
Σ
1
3
–
–
3
Cv’ / kB = Cv/R
∆ε
=
∆T ·k B
1,5
2
3
2
1
7
3,5
3, linear
3
2
4
13
6,5
3, gewinkelt
3
3
3
12
6,0
N, gewinkelt
3
3
3N – 6
6N – 6
3N – 3
quadrat. Terme
Vergleicht man die nach der kinetischen Gastheorie berechneten Cv/R-Werte mit gemessenen
(s. Abbildung unten), so stellt man fest, dass eine Übereinstimmung streng nur bei einatomigen
Gasen vorliegt. Bei mehratomigen Molekülen findet man eine Temperaturabhängigkeit, die die
kinetische Gastheorie nicht beschreibt. Eine Übereinstimmung wird hier erst bei sehr hohen
Temperaturen erreicht. Dies ist eine direkte Konsequenz der Quantentheorie: Rotationen und
Schwingungen können Energie nicht kontinuierlich sondern nur in Quanten aufnehmen. Offensichtlich sind diese Quanten so groß, dass insbesondere die Anregung von Schwingungen
höhere Temperaturen erfordert.
Für praktische Zwecke hat man Näherungsformeln zur Beschreibung der Temperaturabhängigkeit von Cp (spezifische Wärme bei konstantem Druck, zur näheren Definition siehe Kap.
3.1) und Cv (spezifische Wärme bei konstantem Volumen) aufgestellt, z.B. für NH3:
Cp = (28,7 + 24,78·10–3 T/K + 4,43·10–6 T2/K2) J mol–1 K–1
(2-39).
20
Anschaulich geben die spezifischen Wärmen Cv bzw. Cp an, wie viel Energie notwendig ist,
um ein Mol eines Stoffes um 1 K zu erwärmen.
2.4
Stoßfrequenzen
Die Adsorption von Gasen (oder Flüssigkeiten) an Festkörpern spielt in der modernen Chemie
als Elementarschritt der heterogenen Katalyse eine ganz wesentliche Rolle. Moderne chemische Verfahren werden fast immer katalytisch geführt, was ökonomische und ökologische Vorteile hat (s. Kap. 4). Zur Auslegung der Katalysatoren ist die Kenntnis der Zahl bzw. Frequenz
der Stöße von Gasteilchen auf ein Flächenelement unabdingbar.
2.4.1
Wandstöße
Die Bewegungsrichtung von Molekülen lässt sich durch Angabe eines Raumwinkels in Polarkoordinaten (Kugelkoordinaten) beschreiben:
r sinϑ dϕ ⋅ r dϑ
dΩ =
= sinϑ dϑ dϕ
(2-40),
r2
2π
wobei
∫
dΩ =
∫
π
dϕ
0
∫
sin ϑ dϑ = 4π .
0
Wir betrachten nun Moleküle, die mit einer Geschwindigkeit zwischen w und w + dw aus einer
durch dΩ spezifizierten Richtung auf ein Flächenelement ∆F (Loch) der Wand treffen. Die
Wahrscheinlichkeit der vorgegebenen Geschwindigkeit ist eine Funktion der Geschwindigkeit:
f(w)dw. Die Wahrscheinlichkeit der Bewegungsrichtung ist Ω/4π, da alle Raumrichtungen gleichberechtigt sind. Die Teilchenzahldichte der Moleküle, die sich in der vorgegebenen Richtung mit
der vorgegebenen Geschwindigkeit bewegen, ist
daher
dΩ
(2-41).
4π
Auf das Flächenelement ∆F treffen innerhalb der Zeit ∆t
m s m2
dN = dN v ⋅ w cosϑ ∆t ⋅ ∆F
[ dN ] =
(2-42)
m3s
Moleküle. Insgesamt entspricht daher der Teilchenstrom j der Wandstoßfrequenz ZW
∞
2π
π/2
1
Nv
ZW = j =
d
N
=
w
f(
w
)
d
w
⋅
d
ϕ
⋅
∫0
∫0 cosϑ sinϑ dϑ
∆t ∆F ∫
4π ∫0
dN v = N v f( w)dw
=
Nv
1 1
⋅ w ⋅ 2π ⋅ = N v w =
4π
2 4
p
mit
2π m kT
Nv =
daher ZW =
1
4
pw
=
kT
N
p
=
; und
v kT
p
2kTπm
Die Dimension für Teilchenstrom bzw. Wandstoßfrequenz ist [ j ] = [ Z W ] =
w=
8kT
πm
(2-43).
1
.
m 2s
21
Anwendungen
Effusion von Gasen
Ist ∆F nicht ein Flächenelement, auf welches Gasteilchen stoßen, sondern ein Loch in einem
Gefäß, welches zwei Gase mit den Partialdrücken p1 und p2 enthält, so verhalten sich die ausströmenden Mengen wie
j1
p
M2
= 1⋅
j2 p2
M1
(2-44)
(„GRAHAMs Gesetz“), was zur Isotopentrennung ausgenutzt werden kann.
Katalyse
Die für die heterogene Katalyse wichtige Adsorptions-Geschwindigkeitskonstante ka (Gas →
Feststoff) hängt von Druck, Masse und Querschnitt(sfläche) der Gasteilchen σ ab (erhältlich
aus VAN-DER-WAALS-Konstanten b) und ist gegeben durch
Z σ
σ
ka = W =
(2-45),
p
2π m kT
d.h. mit jedem Treffer wird die Oberfläche mit 1 σ bedeckt. ka wird in (bar s)–1 angegeben.
2.4.2 Häufigkeit von Zusammenstößen (später wichtig zur Abschätzung der Geschwindigkeit
von Reaktionen in der Gasphase).
Ein binäres Gasgemisch bestehe aus den Komponenten A und B, deren Teilchendichten NvA
und NvB sich unterscheiden (entsprechend verschiedenen Partialdrücken) ebenso wie die Teilchendurchmesser dA und dB und –massen mA und mB. Folglich sind auch die mittleren Molekülgeschwindigkeiten w A und w B unterschiedlich. Ein Zusammenstoß kann nur erfolgen,
wenn sich die Molekülmittelpunkte auf den Abstand dAB = (dA +dB)/2 genähert haben (dAB
heißt Stoßdurchmesser).
Falls alle B-Moleküle in Ruhe sind und alle A-Moleküle mit der mittleren Geschwindigkeit
2
bewegen, dann durchfliegt jedes A-Molekül in der Zeit ∆t ein Volumen πd AB
wA ∆t und trifft
2
dabei auf ( ∆NB = πd AB
wA ∆tNvB ) B-Moleküle. Für alle A-Moleküle ergibt sich die Stoßfrequenz zu
∆NB
'
2
Z BA
= N vA
= πd AB
wA N vA N vB
(2-46)
∆t
Eine genauere Beziehung erhält man, wenn man über die Relativgeschwindigkeit der A- und
B-Moleküle wAB mittelt, für die gilt
wA
8kT
wAB
h
mit µ: reduzierte Masse.
w AB = wA2 + wB2 − 2 wA wB cosθ =
πµ
wB
Die genauere Stoßfrequenz ist daher
∆NB
2
Z BA = N vA
= πd AB
wAB N v A N vB
(2-46a)
∆t
1
Wenn A=B ist, muss man schreiben Z AA = πd A2 wAA N v2A ,
(2-47),
2
weil man sonst jeden Stoß zweimal zählen würde. Die Stoßfrequenz ZA eines einzelnen AMoleküls im Einkomponentensystem ist gegeben durch
Z A = πd A2 wAA N vA = 2 πd A2 wA N vA
(2-48)
(man mache sich klar, dass wAA = 2 wA ). Damit ergibt sich die mittlere freie Weglänge λ eines Moleküls zu
λ = wA / Z A = ( 2πd A2 N vA ) −1
(2-49).
22
Kapitel 3:
Thermodynamik
Die historisch entwickelte Thermodynamik wird heute als phänomenologische Thermodynamik bezeichnet. Hierbei wird von 2 bis 3 Hauptsätzen ausgegangen, die sich aus der menschlichen Erfahrung ergeben haben und bis heute nicht widerlegt worden sind. Daraus wird alles
andere streng abgeleitet. Dennoch bleibt wegen der Tatsache, dass man die Aussagen der
Hauptsätze nicht direkt beweisen kann, für moderne Menschen ein ungutes Gefühl.
Ein moderner Ansatz nennt sich statistische Thermodynamik und geht von den Eigenschaften
des Moleküls aus, welches die phänomenologische Thermodynamik nicht kennt. Das Molekül
hat diverse Freiheitsgrade zur Aufnahme von Energie (s. Kap. 2). Für viele (nicht zu große)
Moleküle lässt sich eine Statistik über die Besetzung der Freiheitsgrade (ggf. Energieniveaus)
bei gegebener Temperatur anstellen und man erhält als Summe die Gesamtenergie des betrachteten Systems, die der phänomenologischen inneren Energie u entspricht, jedoch ohne die Annahme der Gültigkeit von Hauptsätzen ermittelt wurde. In der Vorlesung wird zunächst ausschließlich die phänomenologische Thermodynamik behandelt.
3.1
Innere Energie und erster Hauptsatz
Aus den Gasgesetzen folgt, dass die Energie eines geschlossenen Systems durch Zufuhr von
Arbeit a erhöht werden kann (Gas in einseitig geschlossenem Zylinder mit beweglichem Kolben). Nach der kinetischen Gastheorie ist Energieerhöhung auch durch Temperaturerhöhung,
d.h. durch Wärmezufuhr (Wärmemenge q) möglich. Man spricht daher auch von der inneren
Energie u des (geschlossenen) Systems und kann Energieänderungen ausdrücken durch
du = da + dq
(3-1).
Dies ist bereits eine Formulierung des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik, der in Worten
lautet: Die von einem geschlossenen System mit der Umgebung ausgetauschte Summe von
Arbeit und Wärme ist gleich der Änderung der inneren Energie. u ist eine Zustandsgröße
(a und q allein sind sog. Prozessgrößen, d.h. sie sind jeweils keine Zustandsgrößen, jedoch ihre
Summe!). Der Zahlenwert von Änderungen der inneren Energie ∆u hängt nur von den Eigenschaften des Zustands ab, nicht aber vom Weg, auf welchem die Änderung herbeigeführt wurde. Anderenfalls könnte man Energie erzeugen oder vernichten, indem man zwei Zustände in
einem Kreisprozess auf unterschiedlichen Wegen erreicht (vgl. mechanisches pepetuum mobile), was dem Prinzip der Energieerhaltung widerspricht. Der erste Hauptsatz ist so gesehen ein
Energieerhaltungssatz für Chemiker.
Arbeit und Wärme sind also Energieformen, aber keine Zustandsgrößen. Da da = –pdv (1-13)
vom Weg abhängt, muss auch dq vom Weg abhängen, und zwar in einer zu da komplementären Weise, denn die Summe dieser beiden Energiebeträge ergibt eine Zustandsfunktion.
Wärme(menge) kann durch Wärmeleitung von außen zugeführt werden. Arbeitszufuhr erfolgt
z. B. durch Kompression des Systems, d.h. durch Verschieben von Wänden, die das Gefäß
einschließen. Im isolierten System ist weder das eine noch das andere möglich. Dann gilt
du = 0
(3-2),
d.h. die innere Energie eines isolierten Systems ist konstant.
u ist eine extensive Größe. Das Verhältnis U = u/n bezeichnet dagegen eine intensive Größe,
die molare innere Energie (in Lehrbüchern oft anders symbolisiert, z.B. Um). Energiezufuhr ist
daher in einem offenen System auch durch Stoffzufuhr möglich. Dafür gilt dann
23
d u = d a + d q + Σ Ui d n i
(3-3).
Die Ui sind partielle molare innere Energien der Komponenten. Der Ausdruck (3-3) wird auch
kalorische Zustandsgleichung genannt.
Einige Konsequenzen des 1. Hauptsatzes: (a) Wir betrachten zunächst Materie in einem geschlossen Behälter, also ein geschlossenes System, in dem weder Reaktionen ablaufen noch
Kompressionsarbeit geleistet wird (dv = 0; pdv = 0 = da), also nur die Zufuhr oder Abfuhr von
Wärme q in einem isochoren Prozess möglich ist. Dann definiert der Ausdruck
dq
 ∂u 
(3-4)

 = v = cv
 ∂T  v dT
die Wärmekapazität cv - hier eine extensive Zustandsgröße (intensiv Cp: spezifische Wärme);
Zahlenwerte geben an, wieviel Energie (Wärme) benötigt wird, um die Materie um 1 K zu
erwärmen.
(b) Weil leichter messbar, benutzt man bei Flüssigkeiten und Festkörpern die Größe cp, die
Wärmekapazität bei konstantem Druck (isobar, dp = 0):
cp = (dqp/dT)
(3-5).
Unter dieser im Laboralltag häufiger gegebenen Bedingung (Atmosphärendruck) ist die Volumenarbeit nicht zu vermeiden und man verwendet zweckmäßigerweise anstelle der Zustandsgröße u eine andere, die Enthalpie h, definiert als
h = u + pv
(3-6),
weil dann dh = du + pdv + vdp = dq + vdp (mit 1-13 und 3-1) sowie
(∂h/∂T)p = (dqp/dT) = cp
(3-7)
(weil p = const.).
Unterschiede in cp und cv sind leicht einzusehen, weil Volumenarbeit verrichtet wird, wenn der Druck konstant gehalten wird (vgl.
Abb.); ∆q ist dann größer. Man erkennt daran, dass q (genau wie
die Arbeit a, aber im Unterschied zu u, h, p, v und T) keine
Zustandsfunktion ist: Um dieselbe Differenz der Zustandsgröße Temperatur, ∆T, zu erzeugen,
werden unterschiedliche Wärmemengen ∆qv bzw. ∆qp benötigt.
Sowohl die innere Energie als auch die Enthalpie eines idealen Gases hängen nur von der
Temperatur ab:
du = cvdT ;
dh = cpdT
(3-8).
Es ist deshalb (exakt nur für ideale Gase)
cp – cv = p(∂v/∂T)p = pnR/p = nR oder Cp – Cv = p(∂V/∂T)p = pR/p = R
(3-9).
(c) Für isotherme (dT = 0) Zustandsänderungen idealer Gase gilt nach (3-8) du = dh = 0 und
damit dq = – da, also
dqv = pdv = nRT dv/v ; dqp = –vdp = –nRT dp/p
(3-10).
24
(d) Zustandsänderungen, bei denen dq = 0 (kein Wärmeaustausch mit der Umgebung) heißen
adiabatisch. Für diese gilt
du = cv dT = – p dv
und
dh = cp dT = v dp
(3-11).
Division durch T = pv/nR liefert
cv dT/T = –nR dv/v;
cp dT/T = nR dp/p
(3-12).
Durch bestimmte Integration4 erhält man für eine Zustandsänderung von 1 nach 2
T
c v ln 2
 T1

T
 = ln 2
v
 T1



cv
v
= − nR ln 2
 v1

v
 = ln 1

 v2



p 
p 
= nR ln 2  = ln 2 
 p1 
 p1 
nR
nR
(3-13)
und entsprechende Beziehungen für cp:
T 
T 
c p ln  2  = ln 2 
 T1  p
 T1 
cp
(3-13a)
Wegen (3-9) und mit der Abkürzung κ = cp / cv (Adfiabatenexponent) kann man daher auch
schreiben
( c p − cv ) / cv
v 
T2  v1 
=  
=  1 
T1  v2 
 v2 
und es gilt die Adiabatengleichung
p 2  v1
=
p1  v 2
κ −1
p 
=  2 
 p1 
( c p − cv ) / c p
p 
=  2 
 p1 
( κ −1) / κ
(3-14)
κ

 (oder p·vκ = konstant)

(3-15)
(an Stelle von p·v = konstant für Isothermen).
Entsprechend gibt es Unterschiede in den Arbeitsbeträgen, die ein System bei isothermer bzw. adiabatischer
Prozessführung leisten kann (d.i. jeweils die Fläche unter
den Isothermen bzw. Adiabaten): Für den isothermen
Prozess ergibt sich
–∆A = p∆V = (RT/V)∆V = RT ∫(dV/V) = RT ln(V2/V1)
(3-16).
Im adiabatischen Fall (kein Wärmeaustausch mit der Umgebung), bei welchem sich durch den
Prozess die Temperatur des Systems ändert, ist es einfacher, von dem auftretenden Temperaturunterschied auszugehen und den ersten Hauptsatz anzuwenden.
d U = d A + d Q;
4
2
ln x 2 
 ∫ dx / x = ln x 2 − ln x1 =


ln x1 
1
–∆A = ∆Q = Cv ∆T
(3-1, 3-8).
25
3.2
Zweiter Hauptsatz und Entropie
3.2.1 Irreversible Prozesse
Es wird ein zweiter Hauptsatz der Thermodynamik benötigt, weil der erste eine Reihe von Beobachtungen nicht erfasst:
1. Wärme wird stets vom wärmeren (1) auf den kälteren Körper (2) übertragen. Nach
dem ersten Hauptsatz gilt dq1 + dq2 = 0, wobei die Erfahrung sagt, dass stets dq1 negativ ist. Der erste Hauptsatz würde jedoch auch das umgekehrte, also die spontane Wärmeübertragung vom kälteren auf den wärmeren Körper zulassen.
2. Die Expansion eines idealen Gases ins Vakuum erfolgt spontan und ohne Wärmeumsatz. Der Prozess könnte nach dem ersten Hauptsatz umkehrbar sein.
3. Die Energie einer Stahlkugel, die man aus einer gewissen Höhe in einen Sandhaufen
fallen lässt, wird im Sand dissipiert. Die Umkehrung, also die Konzentration von Energie derart, dass eine Kugel aus einem Sandhaufen hochgeworfen wird, würde nicht im
Widerspruch zum ersten Hauptsatz sein, wird aber nicht beobachtet.
1. bis 3. sind typische irreversible Prozesse, die nach dem ersten Hauptsatz durchaus umkehrbar sein könnten. Insbesondere wird die Richtung von Prozessen nicht berücksichtigt.
4. Auch spontan und freiwillig ablaufende chemische Reaktionen gehören zu den irreversiblen Prozessen (im thermodynamischen Sinn). Eine wichtige Beobachtung ist in
diesem Zusammenhang zu nennen: Chemische Reaktionen laufen nicht nur dann freiwillig ab, wenn (wie bei Verbrennungen) Energie in Form von Wärme frei wird. Vor
allem Reaktionen, bei denen große Mengen gasförmiger Produkte aus Flüssigkeiten oder Festkörpern entstehen, laufen auch dann spontan ab, wenn offensichtlich Wärmeenergie der Umgebung entzogen wird, wie an einer entsprechenden Abkühlung dieser
Umgebung zu erkennen ist. Zwei Beispiele hierfür:
6 SOCl2 (flüssig) + CoCl2·6H2O (fest) → 12 HCl (gasf.) + 6 SO2 (gasf.) + CoCl2 (fest)
CaF2 (fest) + H2SO4 (flüssig) → CaSO4 (fest) + 2 HF (gasf.)
Offenbar gibt es sowohl exotherme Reaktionen, bei denen Wärme frei wird, als auch
endotherme, bei denen Wärme verbraucht wird. Es stellt sich deshalb die Frage nach
der Triebkraft von Reaktionen, die offensichtlich nicht allein mit dem Freiwerden von
Wärme erklärbar ist (s. 3.2.4).
3.2.2 Entropie
Es ist unmittelbar einleuchtend, dass beim Übergang vom Feststoff zur Flüssigkeit und weiter
zum Gas die Unordnung vermehrt wird. Betrachtet man die oben genannten endothermen Reaktionen daraufhin, so stellt man fest, dass aus einer Flüssigkeit (SOCl2, H2SO4) und/oder einem Feststoff (CoCl2·6H2O; CaF2) große Mengen Gas entstehen (HCl, SO2; HF) und dass entsprechend die Unordnung drastisch größer wird. Diese Unordnungsvermehrung kommt daher
neben dem Freiwerden von Wärme als Triebkraft für eine chemische Reaktion in Betracht.
Ein Maß für die Unordnung ist die Entropie s, die mit der Unordnung ansteigt. Sie wird in J/K
angegeben (bzw. als molare Entropie S in J mol–1K–1 ), und es wird später zu zeigen sein, dass
es sich um eine Zustandsgröße handelt. Ein starres Festkörpergitter bei 0 K hat die Entropie 0.
26
Die folgende Tabelle gibt einige molare Standard-Entropien S⊝ an. Ein Standardzustand liegt
in der Thermodynamik bei p = 1 bar vor5 (Normaldruck) vor und wird meist für T = 298 K und n
= 1 mol für die unter diesen Bedingungen stabile Modifikation (reine Phase) tabelliert.
Substanz
S⊝/J mol–1 K–1
H2O
(gasf.)
189,1
H2O
(fl)
70,1
C
CO2
CO
O2
CaCO3
CaO
H2
5,7
214,1
198,1
206,3
92,9
39,8
130,7
3.2.3 Reaktionsentropie und Reaktionsenthalpie
Mit den Daten der letzten Tabelle lassen sich molare Standard-Reaktionsentropien ∆RS⊝ oft
(auch anders symbolisiert, z.B. ∆RSm⊝) ausrechnen, indem die Summe der Standardentropien
der Edukte von der der Produkte abgezogen wird [∆RS⊝ =
spiele:
1.)
ΣνiS⊝ (i)
(mit Vorzeichen)]. Bei-
C + O2 → CO2
∆RS⊝ = S⊝ (CO2) – S⊝ (C) – S⊝(O2) = (214,1 – 206,3 – 5,7 = + 2,1) J mol–1 K–1
2.)
H2 + 1/2 O2 → H2O (fl)
∆RS⊝= S⊝(H2O) – S⊝ (H2) – 1/2 S⊝ (O2) = (70,1 – 130,7 – 1/2 · 206,3 = –163,75) J mol–1 K–1.
Im zweiten Beispiel ist die Reaktionsentropie negativ, jedoch gibt es einen deutlichen Wärmebzw. Enthalpiegewinn, wie bei Verbrennungen üblich. Die Triebkraft für eine Reaktion setzt
sich also aus zwei Komponenten zusammen, einem Enthalpieanteil ∆RH⊝, der meistens der
gewichtigere ist und in gleicher Weise berechnet werden kann wie die StandardReaktionsentropie, und einem Entropieanteil ∆RS⊝.
Hinter dem Verfahren zur Berechnung von ∆RS⊝ oder ∆RH⊝ steckt der HESSsche Satz, eine
frühe Formulierung der Zustandsfunktion und ein Spezialfall des 1. Hauptsatzes. Dieser Satz
besagt, dass unabhängig vom Reaktionsweg in allen Fällen die gleiche Reaktionsenthalpie gemessen wird:
A + B → C (Weg 1); A+B → D → C (Weg 2);
∆H⊝(Weg 1) = ∆H⊝(Weg 2)
Dies versetzt uns in die Lage, Reaktionsenthalpien (und -entropien) auch für (ggf. hypothetische) unbekannte Reaktionen zu berechnen, wenn wir einen Reaktionsumweg über Reaktionen, deren Reaktionsenthalpien bekannt sind, konstruieren.
Es wird z.B. die Reaktionsenthalpie für die Reaktion 2 C (fest) + O2 → 2 CO gesucht (∆RH⊝(I)
= ?). Diese Reaktion lässt sich so nicht durchführen, sie führt auch bei Sauerstoffunterschuss
immer zu einem Gemisch von CO und CO2. Bekannt sind folgende StandardReaktionsenthalpien, die in diesem Falle gleichzeitig Verbrennungsenthalpien ∆VH⊝ sind und
für zahlreiche Reaktionen tabelliert vorliegen:
C (fest) + O2 → CO2 ; ∆RH⊝ (II) = –393,5 kJ mol–1
2 CO + O2 → 2 CO2; ∆RH⊝(III) = –565,3 kJ FU–1 (s.u.)
5
In Lehrbüchern und Tabellenwerken wird häufig noch p⊝ = 1 atm = 1,013 bar gesetzt (entsprechend eine früheren,
nicht SI-konformen Übereinkunft), was zu kleinen Abweichungen in Tabellenwerten führt.
27
Es gibt jetzt zwei Wege, die zum CO2 führen:
Weg 1:
2 C (fest) + 2 O2 → 2 CO2 ;
(Hypothetischer) Weg 2:
Folglich
2 ∆RH⊝(II)
2 C (fest) + O2 → 2 CO;
∆RH⊝(I)
2 CO + O2 → 2 CO2;
∆RH⊝(III)
∆RH⊝(I)+∆RH⊝(III) = 2∆RH⊝(II)
∆RH⊝(I) = 2 ∆RH⊝(II) – ∆RH⊝(III) = [2(–393,5) – (–565,3) = – 221,7] kJ FU–1.
Bei Berechnungen wie der obigen muss zur Einheit kJ mol–1 folgendes überlegt werden: Man
kann die so angegebenen Messwerte als jeweils auf ein Mol O2 bezogen annehmen und hat
dann keine Schwierigkeiten mit der Einheit. Da jedoch der Reaktionspartner oder das Produkt
normalerweise mehr interessieren, müsste man berücksichtigen, dass von diesen ggf. 2 mol
reagieren oder gebildet werden (Mol als Begriff groß, als Einheit klein geschrieben). Um dies
Problem zu umgehen, gibt man das Ergebnis zweckmäßigerweise in kJ FU–1 an, wobei FU für
einen molaren Formelumsatz steht.
Bildungsenthalpien ∆BH⊝
Manchmal ist die Konstruktion eines Umwegs über Verbrennungsreaktionen etwas umständlich oder man findet die nötigen Daten nicht im Tabellenwerk. Deshalb werden öfter die sogenannten Bildungsenthalpien ∆BH⊝ herangezogen, die ebenfalls vielfach tabelliert vorliegen.
Unter der Bildungsreaktion wird hier die (ggf. hypothetische) Bildung aus den Elementen des
Periodensystems verstanden. Die Elemente kommen dabei so zur Reaktion, wie sie unter Standardbedingungen vorliegen, z. B. Br2 (fl), H2 (gasf), Fe (fest) usw. Elemente in dieser Form
müssen nicht gebildet werden, deshalb ∆BH⊝ = 0.
Zwei Beispiele für Bildungsreaktionen mit Tabellenwerten für die Standardbildungsenthalpie:
bzw.
C (fest) + 2 H2 → CH4;
∆BH⊝ = –79,6 kJ mol–1,
2 H2 + O2 → 2H2O (fl);
∆BH⊝ = –571,6 kJ/FU
H2 + ½ O2 → H2O (fl);
∆BH⊝ = –285,8 kJ mol–1.
(Im zweiten Beispiel ist die Bildungsenthalpie auch die Verbrennungsenthalpie.)
Ein allgemeines Verfahren zur Berechnung von Reaktionsenthalpien (im Standard-Zustand)
ergibt sich aus untenstehendem Schema. Daraus folgt:
∆RH⊝ = νC ∆BH⊝(C) +νD ∆BH⊝(D) –νA ∆BH⊝(A) – νB ∆BH⊝ (B) oder
Σ νi ∆BH⊝ (i)
(mit Vorzeichen)
(3-17)
28
Ganz analog sind auch Standardreaktionsentropien ∆RS⊝ aus tabellierten Standardbildungsentropien ∆BS⊝ auszurechnen.
3.2.4 Triebkraft von Reaktionen
Die Zusammenfassung von Reaktionsenthalpie und Reaktionsentropie muss so erfolgen, dass
jeweils das Freiwerden von Enthalpie und die Produktion von Entropie zur spontanen Reaktion
führen. Die so definierte Größe ist ein Maß für die Triebkraft einer Reaktion. Sie heißt Freie
(Standard-)Reaktionsenthalpie ∆RG⊝, basierend auf der Freien Enthalpie g (GIBBS-Energie)
∆G⊝ = ∆H⊝ – T ∆S⊝
GIBBS-HELMHOLTZ-Gleichung
(3-18),
die mit zweimaliger Hilfe des HESSschen Satzes aus Enthalpie- und Entropiedaten zu berechnen ist. Ist ∆RG⊝ negativ, so läuft die Reaktion spontan ab. In machen Lehrbüchern findet man
hierfür die Größe Affinität AR⊝ = –∆RG⊝, im allgemeinen als intensive Größe. Gleichung (318) gilt für konstanten Druck (in Tabellen meist Standarddruck 1bar) und konstante Temperatur (in Tabellen meist 298 K)6. Unter anderen Bedingungen ist die Berechnung der Triebkraft
mit anderen Zustandsfunktionen zweckmäßiger: [∆H für p und S konstant; ∆U für V und S
konstant; ∆F für V und T konstant („HELMHOLTZ-Energie“ oder „Freie Energie“7); vgl. Lehrbücher].
3.2.5 CARNOT-Prozess und Definition der Entropie
Während der erste Hauptsatz die innere Energie (und analoge thermodynamische Potenziale)
definiert, drückt der zweite Hauptsatz die Rolle der Zustandsgröße Entropie bei irreversiblen
Prozessen aus, erlaubt somit Aussagen zur Richtung von Prozessen. Es gibt je nach Problem
zahlreiche verschiedene Formulierungen des 2. HS, von denen vier folgen:
1.) Bei irreversiblen Zustandsänderungen (Kugel fällt in Sandhaufen) nimmt die Entropie
zu:
s2 – s1 > 0
(3-19) (für is
2.) Wärme geht nicht spontan vom kälteren
zum wärmeren Körper über.
3.) Es ist unmöglich, Wärme ohne
Energieverlust in Arbeit zu verwandeln.
4.) Es gibt keine periodisch funktionierende
Maschine, die nichts anderes tut, als Wärme
in mechanische Arbeit zu verwandeln
(Unmöglichkeit des perpetuum mobile
zweiter Art).
Die Aussage 4 soll quantitativ gezeigt werden. Dies wird i.a. an Hand des CARNOTschen8
Kreisprozesses vollzogen, der Zustandsänderungen einer hypothetischen Wärme-KraftMaschine, die abwechselnd reversible isotherme und adiabatische Schritte durchläuft, beschreibt (Andere Wärme-Kraft-Maschinen sind zwar der Praxis näher, jedoch wird in den entsprechenden Kreisprozessen die Zustandsgröße Entropie weniger deutlich). Eine alternative
6
Ein Verfahren, um ∆RG⊝ auf andere Temperaturen (z.B. Siedetemperatur eines Reaktionsgemisches) umzurechnen, findet
sich in Kap. 6.3.3.
7
Achtung: Im Englischen wird g als “free energy” oder „GIBBS-function“ und f als „work function“ (oft mit a symbolisiert)
bezeichnet, nicht verwechseln!
8
Nicolas Léonard Sadi Carnot (1796-1832)
29
Formulierung des 2. Hauptsatzes nach CARATHEODORY9 erfordert mehr Mathematik. Die
CARNOT-Maschine besteht aus einem idealen Gas in einem Zylinder mit beweglichem Kolben,
der sich entweder in einem Wärmebad (für isotherme Prozesse) befindet oder mit einer Isolierung (für adiabatische Prozesse) versehen ist. Nebenstehend ist der CARNOT-Prozess in zwei
verschiedenen Diagrammen dargestellt: Die (reversibel10 durchzuführenden) Schritte I bis IV
sind:
Schritt I: Isotherme Expansion eines (Mols eines) idealen Gases bei T = T1 von V1 nach V2;
dabei erfolgt die Entnahme von Wärme ∆Qrev(I) aus dem Wärmebad und es wird
Volumenarbeit ∆Arev(I) geleistet. Beim diesem Prozess ändert sich die innere Energie des idealen Gases nicht ∆U = ∆Q + ∆A = ∆Q + p∆V = 0 (vgl. Kap. 3.1).Es folgt
∆Q = ∆Qrev(I) = – ∆Arev(I) = RT1 ∫(dV/V) = RT1 ln(V2/V1)
(3-20)
Schritt II: Adiabatische Expansion von V2 auf V3; dazu wird das Wärmereservoir abgekoppelt
und die Isolation angebracht. Die Folge ist eine Temperaturänderung von T1 nach
T2. Es gilt ∆Qrev(II) = 0, so dass
∆U = ∆Arev (II) = Cv (T2–T1)
(3-21)
Schritt III: Isotherme Kompression; man muss dazu das Wärmebad wieder anschließen bei T2
und dann das Gas von V3 nach V4 komprimieren. Dabei ist wieder ∆U = 0, so dass
∆Qrev(III) = – ∆Arev(III) = RT2 ∫dV/V = RT2 ln(V4/V3)
(3-22)
Schritt IV: Adiabatische Kompression; es sind wieder das Abkoppeln des Wärmebades und die
Schaffung adiabatischer Bedingungen nötig. Sodann wird komprimiert, bis der
Ausgangszustand erreicht ist. Es ist wieder ∆Qrev(IV) = 0, so dass
∆U = ∆Arev(IV) = Cv (T1 – T2)
(3-23)
In die Bilanz der Arbeit im CARNOTschen Kreisprozess gehen nur die isothermen Prozesse ein,
da sich die Beiträge der adiabatischen aufheben. Es ergibt sich (als umschlossene Fläche im pV-Diagramm)
∆Ages = ∆Aisoth. = – R(T1 – T2) ln(V2/V1)
(3-24),
weil wegen der Adiabatengleichung (3-14,3-15) V2/V1 = V3/V4. Und da ∆Uges = 0, muss gelten:
∆Qrev, ges = – ∆Ages
(3-25).
Es zeigt sich, dass im Schritt III „nutzlos“ Wärme an das Reservoir abgegeben wurde. Deshalb
kann für den CARNOTprozess ein Wirkungsgrad
η=
∆Ages
∆Qrev ( I)
=
( ) = ∆Q
RT ln ( )
R(T1 − T2 )ln
1
V2
V1
V2
V1
rev
(I) + ∆Qrev (III) T1 − T2
=
∆Qrev (I)
T1
(3-26)
definiert werden.11.
9
H. Margeneau und G. M. Murphy: The Mathematics of Physics and Chemistry; M. Born, Phys. Z. 22 (1921) 218, 249, 282
10
11
vgl. Kap. 3.2.7
Eine Möglichkeit; insbesondere technische Wirkungsgrade können auch anders definiert sein.
30
Die Betrachtung des CARNOTschen Kreisprozesses liefert einen Zugang zur Zustandsfunktion
Entropie: Wie oben (Kap. 3.1) erwähnt, ist q keine Zustandsfunktion. Betrachtet man jedoch
die jeweiligen Quotienten ∆Q/T im CARNOTschen Kreisprozess, so stellt man fest, dass
 ∆Qrev (I)
Q (III)
V
V 
; 
(3-27)
= R ln 2 = − rev
= − R ln 4  ,
V1
T2
V3 
 T1
d.h. dieser Quotient verhält sich wie eine Zustandsfunktion und diese definiert die Entropie:
Σ(∆Qrev/T) = 0
dq rev
∆qrev
≡ ds ;
= ∆s (für geschlossenes System und T konstant) (3-28)
T
T
Für ein isoliertes System gilt ∆s ≥ 0 und zwar ∆s > 0 für irreversible und ∆s = 0 für reversible
Prozesse (s. 3.2.7). Für offene Systeme müssen wieder Si·dni-Terme ergänzt werden.
Obige Einführung der etwas abstrakten Zustandsfunktion Entropie, die mit "Maß für Unordnung" zwar anschaulich jedoch keineswegs umfassend rationalisiert werden kann, ist sehr gerafft, so dass sich die Lektüre einschlägiger Kapitel am besten in verschiedenen Lehrbüchern
empfiehlt.
3.2.6 Ermittlung von Entropien und Enthalpien
Offen geblieben war zu Beginn des Abschnitts 3.2, wie Entropien, insbesondere StandardEntropien für einzelne Stoffe bestimmt werden. In Kenntnis der thermodynamischen Definition (3-28) ist dies nicht mehr schwer. Bei konstantem Druck ergibt sich die Entropie nach Ermittlung der Wärmekapazität cp (bzw. der spezifischen Wärme Cp) eines Stoffes (dq in 3-28 ist
dann hier cpdT) zu
s=
Tc
T
∫T
p
dT = ∫ c p dln T
0
(3-29)
0
Bei Phasenumwandlungen treten Unstetigkeiten in cp-Temperatur- bzw. Entropie-TemperaturKurven auf, da sich die Entropie sprunghaft ändert (vgl. Bildung gasförmiger Produkte in Kapitel 3.2.1). Die sprunghaften Änderungen entsprechen (Phasen-)Umwandlungsentropien ∆Us
und sind mit den entsprechenden Umwandlungsenthalpien (∆Uh, Schmelzwärme, Verdampfungswärme) verknüpft:
∆Us =
∆Uh
TU
(3-30),
so dass für den Entropieinhalt einer Substanz, die bei gegebener Temperatur T
bereits eine Phasenumwandlung hinter
sich hat, gilt
TU
s=
∫
0
c p dln T +
∆Uh
+
TU
T
∫
c ′p d ln T
TU
(3-31).
31
Zur Illustration soll das Beispiel des Stickstoffs N2 dienen (s. Abbildung), der in zwei festen
Modifikationen sowie flüssig und gasförmig existieren kann. Es treten deutliche Unterschiede
in Cp für die verschiedenen Aggregatzustände zu Tage.
Ganz analog ist die Enthalpie zu bestimmen:
TU
∆h =
∫
0
T
c p dT + ∆ U h +
∫
c ′p dT
(3-32).
TU
Um ein Beispiel zu geben, soll die Frage behandelt werden, ob ein Mensch beim Verzehr von
Speiseeis Energie gewinnt oder verbraucht. Die spezifische Wärme von Eis liegt bei 37,7, die
von Wasser bei 75,5 J mol–1 K–1 (im betrachteten Temperaturbereich). Wir betrachten als Ausgangszustand eine 100 g - Portion Eis bei -10 °C entsprechend 5,55 mol. Diese Portion wird
beim Verzehr auf 37 °C erwärmt. Dafür sind zunächst bis zum Schmelzpunkt
273
JmolK
∫ C p ndT = 37,7·5,55·10 molK = 2,09 kJ
263
aufzuwenden. Sodann wird die Schmelzenthalpie benötigt. Sie beträgt ∆UH = 6,008 kJ/mol,
also [6,008 · 5,55 = 33,34] kJ für 100 g. Die weitere Erwärmung bis zur Körpertemperatur erfordert
310
molJK
n ∫ C p dT = 5,55 ⋅ 75,5 ⋅ 37
= 15,50 kJ .
molK
273
In der Summe müssen somit für Schmelzen des Eises und Erwärmen des Wassers etwa 51 kJ
pro 100 g aufgebracht werden. (Das Verfahren erlaubt generell die Ermittlung von Enthalpieoder Entropiedifferenzen oder z.B. die Bestimmung des Enthalpie- oder Entropiegehalts einer
Substanz, die nicht bei der in Tabellenwerken gegebenen Temperatur vorliegt.)
Auf der anderen Seite enthält Speiseeis i.a. Zucker, woraus der Körper durch "Verbrennung"
Energie gewinnen kann:
C6H12O6 + 6 O2 → 6 CO2 + 6 H2O;
∆VH = -2800 kJ/FU
Die molare Masse des Zuckers ist 180 g/mol; daraus folgt, dass die Verbrennung von 1 g Zucker 15,6 kJ Energie liefert. Das betrachtete Speiseeis kann demnach nur nahrhaft sein, wenn
es mehr als 3,2 g Zucker pro 100 g Eis enthält. (Der Wert hängt natürlich von der Anfangstemperatur und weiteren verdaubaren Inhaltsstoffen des Eises ab, insbesondere bei Portionen
mit Sahne.)
Neben den Reaktionsenthalpien (die ggf. genauer, z.B. als Neutralisationsenthalpie, Verbrennungsenthalpie, usw. bezeichnet werden) und den bei Phasenumwandlungen auftretenden
Umwandlungsenthalpien kennt man in der Chemie weitere Enthalpien12, die nach den damit
verbundenen Prozessen als Verdünnungsenthalpie, Mischungs- bzw. Lösungsenthalpie, u.s.w.
zu bezeichnen sind, und die positive oder negative Werte annehmen können. Gleiches gilt für
die betreffenden Entropien. Ursache ist wie immer jeweils der Unterschied dieser Größen im
12
In deutschsprachigen Lehrbüchern heißt es oft ...-wärme statt ...-enthalpie. - Man erkennt hier noch mal den
praktischen Nutzen der Einführung der Enthalpie h (Gl. (3-6) anstelle der inneren Energie u), da alle hier genannten Prozesse normalerweise bei konstantem Druck (Atmosphärendruck) durchgeführt werden.
32
Ausgangs- und im Endzustand. Es muss z.B. beim Auflösen eines Feststoffs in einem Lösemittel einerseits die Gitterenthalpie des Feststoffs aufgebracht werden, andererseits gewinnt das
System beim Auflösen (Solvatisieren) der Moleküle oder Ionen die Solvatationsenthalpie. Die
Bilanz bestimmt dann, ob ein Stoff in einem bestimmten Lösemittel gut oder schlecht löslich
ist und ob dabei Wärme frei oder verbraucht wird.
3.2.7 Entropieänderung bei nicht-cyclischen Prozessen
Unter den Energieformen nimmt die Wärmeenergie q eine Sonderstellung ein (welche letztlich
der 2. Hauptsatz beschreibt). Kinetische und potentielle, mechanische und elektrische Energie
können jeweils (reversibel) vollständig ineinander und in Wärme umgewandelt werden, nicht
jedoch Wärmeenergie in mechanische Energie, usw. Als Beispiel mag wieder die aus bestimmter Höhe im Schwerefeld der Erde fallende Stahlkugel dienen, deren potentielle und kinetische
Energie beim Aufschlag auf den Untergrund vollständig in Wärme umgewandelt wird., d.h. in
eine heftige Molekülbewegung, die durch Stöße rasch abgeleitet und insgesamt dissipiert wird.
Der umgekehrte Prozess – Ausrichtung und Konzentration der molekularen Wärmebewegung
an einem bestimmten Punkt, von dem aus die Kugel in die Höhe gehoben wird, ist äußerst unwahrscheinlich, würde allerdings dem 1. Hauptsatz nicht widersprechen. Spontane Prozesse
wie Wärmeleitung, Diffusion, usw. verlaufen nach Beobachtung ausschließlich in der Richtung zunehmender Unordnung. Sie sind im thermodynamischen Sinn irreversibel, d.h. sie können nur unter Energieaufwand umgekehrt werden. Die Energie dazu muss der Umgebung des
Systems entnommen werden.
System und Umgebung zusammen bilden ein isoliertes Gesamtsystem, für das sowohl du = 0
als auch dq = 0 gilt. Jede reversible Wärmeaufnahme des von uns betrachteten geschlossenen
(inneren) Systems muss daher von einer Wärmeabgabe der Umgebung (äußeres System) begleitet sein. Hier muss zwischen reversiblen und irreversiblen Prozessen unterschieden werden.
Reversibel ist ein Prozess dann, wenn er jederzeit ohne zusätzlichen Energieaufwand umkehrbar ist und dabei keine „Spuren“ (Verformungen, u.ä.) hinterlässt. In der Praxis ist das nur näherungsweise erreichbar, indem man Prozesse langsam und nur in sehr kleinen Schritten
durchführt (oder durchrechnet). Dagegen sind plötzliche Zustandsänderungen i.a. irreversibel,
ebenso chemische Reaktionen. Beispiele:
1) Reversible Prozesse
a) Reversible isotherme Ausdehnung eines idealen Gases von v1 auf v2.
Wärmeaufnahme im inneren System ∆qi = nRT ln(v2/v1) = –∆a; die Umgebung verliert den
gleichen Betrag, d.h. ∆qa = –∆qi, und die Entropieänderung des Gesamtsystems ist null:
∆s = ∆si + ∆sa = (∆qi + ∆qa)/T = 0.
(3-33)
b) Reversibler Phasenübergang (Schmelzen eines Festkörpers, Schmelzwärme ∆hfest-fl). Beim
Schmelzvorgang erhöht sich die Entropie um ∆si = ∆hfest-fl/Tfest-fl, die Wärmemenge ∆hfest-fl
wird dabei der Umgebung entzogen, deshalb ist ∆sa = –∆si und ∆s = 0.
c) Im Grenzfall können wir ein System auch reversibel erwärmen, indem wir ständig für gleiche Temperatur im inneren und äußeren System sorgen. Dann gilt wieder ∆s = 0 und
T2
T
dq 2 cv dT
∆si = − ∆sa = ∫
=
.
T T∫1 T
T1
(3-34)
In nicht zu großen ∆T ist cv als unabhängig von T anzusehen (s. Abb. S. 30). Dann folgt ∆si =
cv ln(T2/T1). Entsprechendes gilt für die reversible Erwärmung bei konstantem Druck.
33
Obige Beispiele zeigen, dass die Entropie konstant bleibt, wenn im Gesamtsystem nur reversible Prozesse ablaufen. Für irreversible Prozesse gilt das nicht. Beipiele:
2) Irreversible Prozesse
a) Plötzliche Expansion eines idealen Gases in ein Vakuum von v1 auf v2. In diesem Extremfall
sind sowohl ∆u = 0 als auch ∆a = 0 (wegen p = 0), d.h. ∆qa = 0 und daher ist auch ∆sa = 0. Da
die Entropie eine Zustandsfunktion ist, kann man die Entropievermehrung des Gases bzw. Systems aus einem reversiblen (Ersatz-)Prozess entnehmen, der zum gleichen Endzustand führt:
∆si = ∆qi/T = nR ln (v2/v1). ∆si ist jetzt > 0, daher ist auch ∆s =∆si + ∆sa = ∆si > 0.
In realen Fällen ist p2 > 0 (aber < p1) und für die bei der irreversiblen Expansion abgegebene
Arbeit (s. Abb.)13 gilt wegen ∆u = 0: –∆a(p2) = ∆qi(p2) < nRT ln (v2/v1). Die Zunahme der Entropie des inneren Systems ist nach wie vor ∆si , aber die mit der Umgebung ausgetauschte
Wärmemenge ist nur
∆qa(p2) = –∆qi(p2). Infolgedessen ist
∆s = ∆si + ∆qa(p2)/T = nR ln (v2/v1) –
∆qi(p2)/T,
so dass
0 ≤ ∆s < nR ln (v2/v1)
(3-35),
wobei das Gleichheitszeichen für
den reversiblen Fall gilt.
irreversibel
reversibel
b) Übertragung der Wärmemenge ∆q durch Wärmeleitung von einem Wärmereservoir bei der
Temperatur T2 auf ein Reservoir bei niedrigerer Temperatur T1. Wenn ∆q hinreichend klein ist,
bleiben die Temperaturen der beiden Reservoirs in diesem Prozess praktisch unverändert und
die Entropieänderung ist insgesamt
∆s = –∆q/T2 + ∆q/T1 > 0, da T2 > T1
(3-36).
c) Irreversibler Phasenübergang bei der Kristallisation von Wasser, das bei Normaldruck auf –
4 °C unterkühlt ist. ∆si kann wieder mit Hilfe eines reversiblen (Ersatz-) Prozesses ermittelt
werden:
1
2
3
H2O(–4 °C) → H2O(0 °C) → Eis(0 °C) → Eis(–4 °C)
Mit der Schmelzwärme von Wasser und den spezifischen Wärmen von Eis und Wasser
∆Hfest-fl = 6008 J/mol; Cp(Eis) = 37,7 J(mol K)-1, Cp(Wasser) = 75,5 J(mol K)-1
(vgl. Abschnitt 3.2.6) erhält man
∆Si = ∆S1 + ∆S2 + ∆S3 = Cp(Wasser) ln (273/269) – ∆Hfest-fl/Tfest-fl + Cp(Eis) ln (269/273)
= –21,4 J/(mol K). ∆Hfest-fl/Tfest-fl wird negativ eingesetzt, weil die Schmelzwärme bei der
Kristallisation frei wird.
Da Wärme abgegeben wird, ist ∆Sa = ∆Hfest-fl/269 K = + 22,3 J/(mol K), so dass insgesamt
∆S = ∆Si + ∆Sa = 0,9 J/(mol K) > 0
13
aus WEDLERs Lehrbuch
(3-37)
34
Es zeigt sich, dass wie oben gesagt ∆s ≥ 0, wobei das Gleichheitszeichen für reversible, das
Größerzeichen für irreversible Prozesse im Gesamtsystem gilt, welches als isoliertes System
anzusehen ist.
3.3
Phasenumwandlungen
Außer von der Temperatur hängen die Existenzbereiche der verschiedenen Phasen bzw. Aggregatzustände auch vom Druck ab. Dies ist im Kap. 2 schon erwähnt und mit der linken der folgenden Abbildungen illustriert worden. Die rechte Abbildung gibt das Phasendiagramm des
Wassers im p-T- Diagramm wieder. Auf den Phasengleichgewichtslinien zwischen fester und
flüssiger, fester und gasförmiger sowie flüssiger und gasförmiger Phase liegen jeweils 2 Phasen im Gleichgewicht vor, am Tripelpunkt drei Phasen. Oberhalb des kritischen Punktes können Gas und Flüssigkeit nicht mehr unterschieden werden. Substanzen im überkritischen Zustand zeigen Eigenschaften, die teils mit der Flüssigkeit (Lösevermögen) teils mit dem Gas
(Fluidität bzw. Viskosität) verwandt sind. Überkritisches CO2 zum Beispiel (kritischer Punkt:
78,3 bar; 31,1 °C) findet technische Anwendungen bei Extraktions- und Färbeverfahren. Eine
Besonderheit des Wassers ist die negative Steigung der Schmelzkurve (Gleichgewichtslinie
fest-flüssig im p-T-Diagramm), die es erlaubt, dass Eis durch Druckerhöhung verflüssigt werden kann (Beitrag zur Schlittschuhlaufmöglichkeit). Überkritisches Wasser verhält sich wie ein
aprotisches Lösemittel. Phasendiagramme anderer Stoffe können erheblich komplizierter sein,
wenn verschiedene Kristallmodifikationen der festen Phase vorliegen (vgl. oben Stickstoff im
Cp-T-Diagramm), oder wenn flüssigkristalline Phasen im Bereich der Flüssigkeit auftreten.
Das Diagramm enthält dann weitere Phasengleichgewichtslinien und Tripelpunkte.
3.3.1 Siedepunkt und Temperaturabhängigkeit des Dampfdrucks
Unter dem Begriff Siedepunkt versteht man normalerweise die Temperatur, bei der eine Flüssigkeit unter Normaldruck (Standard-Druck) siedet. Siedepunkte Tfl-g (auch Kochpunkte genannt) variieren beträchtlich: Beispiele: He (Tfl-g = 4 K), N2 (Tfl-g = 77 K), H2O (Tfl-g = 373 K),
NaCl (Tfl-g = 1686 K), W (Tfl-g ≈ 6000 K). Der Grund liegt in den unterschiedlichen Kräften,
die die Flüssigkeitsteilchen zusammenhalten. Diese können sein: Kohäsionskräfte, DipolDipol-Kräfte, Wasserstoffbrückenkräfte, Monopol-Monopol-(Coulomb-)Kräfte (bei Salzschmelzen), und weitere i.a. weniger wichtige. Weiterhin gibt es eine Abhängigkeit des Siedepunkts von der molaren Masse: Siedepunkte der Edelgase variieren von 4 K beim Helium
bis 208 K beim Radon, n-Alkane von 112 K beim Methan zu 342 K beim Hexan und weiter.
(Ähnliche Überlegungen können zur Variation von Schmelzpunkten angestellt werden, wobei
zusätzlich Gitterenergien zu berücksichtigen sind.)
Als Maß für die Kräfte kann die Verdampfungsenthaplie ∆hfl-g gelten, zu deren ungefährer
Abschätzung die PICTET-TROUTON-Regel dienen mag, wonach der Quotient ∆Hfl-g/Tfl-g unge-
35
fähr konstant ist und bei etwa 87 J/(mol K) liegt. Die Regel ist jedoch nur für unpolare Stoffe
(Kohlenwasserstoffe, Ether) einigermaßen erfüllt, wenn Wasserstoffbrückenbindungen auftreten, wird der Quotient größer. Er gibt im übrigen die Entropieänderung beim Übergang in die
Gasphase an:
∆q ∆hfl − g
∆s =
=
(3-33).
T
Tfl -g
Siedepunkte hängen vom Druck ab, wie am Beispiel des Wassers an der Gleichgewichtslinie
flüssig-gasförmig im obigen p-T-Diagramm zu erkennen ist. Die Steigung dieser Kurve widerspiegelt generell die Temperaturabhängigkeit des Dampfdrucks: Über Flüssigkeiten gibt es
stets einen Dampfdruck (nicht nur unter Siedebedingungen), der mit der Temperatur steigt.
Wird der Dampfdruck als Funktion der Temperatur (in einem nicht zu großen Temperaturbereich) gemessen, so ergibt sich eine Abhängigkeit14 ln p ~ 1/T + const. Die Proportionalitätskonstante hierzu enthält die Verdampfungsenthalpie ∆Hfl-g wie in der vereinfachten CLAUSIUSCLAPEYRON-Gleichung (3-34) angegeben. (Ähnlich für die Sublimation: ∆Hfest-g)
∆H fl − g
p 
ln 1  = −
R
 p2 
1
1
 −
 T1 T2



(3-34).
Verdampfungsenthalpien können entweder entsprechend obiger Gleichung aus Dampfdruckmessungen bei verschiedenen Temperaturen ermittelt oder direkt in einem Kalorimeter gemessen werden. Die folgende Tabelle liefert einen Eindruck von der Größenordnung der Verdampfungsenthalpien bei den jeweiligen Siedetemperaturen (die auch der Größenordnung der
bei der physikalischen Adsorption von Gas-Molekülen an Feststoff-Gas-Grenzflächen auftretenden Adsorptionsenthalpien entsprechen).
Stoff
He
N2
Ag
H2O
NH3
CH4
CH3OH
C6H6
∆Hfl-g/kJ/mol
0,084
5,59
251
40,7
23,4
8,18
35,3
30,8
3.3.2 Dampfdruck von Lösungen und Mischungen, Destillation
Unter Dampfdruck versteht man den Druck, der von in der Gasphase über einer Flüssigkeit
befindlichen Gasteilchen ausgeübt wird, die von der gleichen Art sind wie die Flüssigkeitsteilchen. Dies kann in offenen Systemen ein Partialdruck des Luftdrucks sein. Wenn die Luft entfernt wurde, ist der messbare Druck der Dampfdruck selbst. Zwei Situationen sollen betrachtet
werden: a) Eine Komponente hat praktisch keinen Dampfdruck, b) beide Komponenten besitzen Dampfdrücke, die nicht vernachlässigt werden können.
a) Nebenstehende Skizze zeigt ein System, das aus einer Lösung (Lösemittel
und gelöster Stoff, z. B. Anthracen in Benzen) und der darüber liegenden
Gasphase besteht, die zu einem dem Dampfdruck entsprechenden Teil Lösemittelmoleküle gasförmig enthält, während der gelöste Stoff einen vernachlässigbar niedrigen Dampfdruck hat.
Im Gleichgewicht verlassen ebensoviele Lösemittelteilchen die Lösung in
Richtung Gasphase wie umgekehrt Teilchen aus der Gasphase in die Flüssigkeit eintreten. Die entsprechenden Stoffmengenströme n& ↑ und n& ↓ sind
proportional zum Dampfdruck p bzw. zum Mengenanteil des Lösemittels x1, so dass im
Gleichgewicht der Dampfdruck p proportional zu x1 ist. Hieraus folgt das schon bekannte RAOULTsche Gesetz (in seiner eigentlichen Bedeutung)
14
vgl. Krümmung der Phasengleichgewichtslinie flüssig-gasförmig im Phasendiagramm
36
p = x1 p0
(3-35),
wobei p0 der Dampfdruck des reinen Lösemittels ist. Andere Formulierungen dieses Gesetzes
sind
p0 – p = p0 – p0x1 = p0(1 – x1) = p0x2 oder ( p0 – p)/ p0 = x2
(3-35a).
In Worten: Die relative Dampfdruckerniedrigung entspricht dem Molenbruch des Gelösten,
wodurch sich die Möglichkeit der Bestimmung der molaren Masse des gelösten Stoffes mittels
Messung des Dampfdrucks eröffnet.
b) Bei Mischungen zweier Flüssigkeiten kann der Dampfdruck keiner Komponente vernachlässigt werden. Es gibt deshalb zwei Partialdampfdrücke p1 und p2. Für beide gilt (bei idealem
Verhalten) das RAOULTsche Gesetz, so dass man für den Gesamtdampfdruck erhält
p = p1 + p2 = p01x1 + p02 x2
(3-36)
In einer reinen Gasphase gilt dagegen [vgl. (2-3, 2-4, 2-5)]
p = p1 + p2 = py1 + py2
(3-37),
wobei yi den Molenbruch in der Gasphase bezeichnet. Unter Siedebedingungen entspricht
der Dampfdruck dem Umgebungsdruck der Gasphase, so dass man gleichsetzen kann:
x1 p 01
p
y
= 1 = 1
(3-38)
x 2 p 02 p 2 y 2
Die Mengenverhältnisse x1/x2 in der flüssigen und y1/y2 in der Dampfphase unterscheiden sich
um den Faktor p01/p02, was eine Anreicherung der einen Komponente auf Kosten der anderen
im Dampf ermöglicht (Destillation).
Die Diagramme verdeutlichen die Unterschiede: Oben
links wird die Dampfdruckkurve als Funktion des
Molenbruchs nach dem RAOULTschen Gesetz konstruiert (p). Aus der Kurve py1 lässt sich die Zusammensetzung der Dampfphase ablesen.
Nach Kondensation derselben wurde die Komponente
2 angereichert, bzw. der Anteil der Komponente 1 ist
von 50 % auf 15 % zurückgegangen (oben rechts).
Nebenstehend ist der gleiche Vorgang im T-xDiagramm dargestellt. Wiederholte Destillation (Rektifikation) ermöglicht eine immer bessere Trennung der Komponenten.
37
3.3.3 Löslichkeit von Gasen
Wie die Löslichkeit von Feststoffen oder die Mischbarkeit mit anderen
Flüssigkeiten hängt die Löslichkeit von Gasen von den Wechselwirkungen
der Gasmoleküle mit den Lösemittelmolekülen ab. Sind die Wechselwirkungen groß, folgt eine gute Löslichkeit (1 dm3 H2O löst bei 20 °C 702
dm3 NH3). Sind sie klein, ergibt sich eine geringe Löslichkeit (N2 in H2O).
Das mikroskopische Bild zeigt ein Gleichgewicht zwischen Gasmolekülen,
die in die flüssige Phase eintreten und solchen, die diese Phase verlassen:
n& ↑ ~ x und n& ↓ ~ p; im Gleichgewicht:
p = kH x
pi = kHi xi
(HENRY-Gesetz)
(HENRY-DALTON-Gesetz)
bzw.
(3-39)
(letzteres für Gasmischungen), wobei x den Mengenanteil des gelösten Gases und kH die HENRY-Konstante bedeuten.
Beispiel:
Die Löslichkeiten von Sauerstoff und Stickstoff in Wasser sind x(O2) = 2,36 ·10–5 und x(N2) =
1,1·10–5, jeweils bei 25 °C und 1,013 bar. Daraus folgt für dieses System, dass in der Wasserphase im Vergleich zur Luft, die 20 % Sauerstoff und 80 % Stickstoff enthält, relativ mehr
Sauerstoff enthalten ist - sicher wichtig für die Grundlage des Lebens im Wasser. Man kann
nun mit Hilfe obiger Gesetze die Henry-Konstanten und die Konzentrationen von Sauerstoff
und Stickstoff in der Wasserphase des Systems Wasser-Luft berechnen. Für 1 bar und 298 K
ergibt sich (jeweils in bar): kH(O2) = 4,26·104 ; kH(N2) = 9,08·104; kHi(O2) = 0,85·104; kHi(N2) =
7,26·104.
3.3.4 Kolligative Effekte
Hierunter versteht man Effekte in Mischungen oder Lösungen, deren Größe nur von der Teilchenzahl der Unterschusskomponente (Gelöstes) abhängen, nicht aber von deren chemischer
Natur.
3.3.4.1Osmotischer Druck
Nebenstehendes System zeigt eine Lösung, die von einem
reinen Lösemittel durch eine semipermeable Wand, die
nur Lösemittelmoleküle durchlässt, getrennt ist. Das Lösemittel wird durch die Wand strömen wollen, um die
Lösung zu verdünnen (irreversibler Prozess, Entropievermehrung!). Dadurch baut sich ein osmotischer Druck
auf, der mit einer sog. PFEFFERschen Zelle zum messen
ist. Der osmotische Druck π lässt sich aus der Höhendifferenz ∆h der Flüssigkeitssäulen über den Kammern der
∆hρ gb = π
(3-39),
wobei gb die Erdbeschleunigung und ρ die Dichte der Lösung sind. Berechnen lässt sich π wie
ein Gasdruck (VAN’T-HOFF-Gleichung):
38
π=
n2
m 1
1
RT = 2
RT = g 2
RT
v
v M2
M2
(3-40,40a),


1
1
π = g2
RT 1 + Bg 2
RT 
M2
M2


wobei sich der Index 2 auf den gelösten Stoff bezieht. Der osmotische Druck ist die Grundlage
für praktisch wichtige Verfahren, z.B. die Konservierung von Lebensmitteln mit Zucker oder
Salz (Bakterien- oder Pilzzellen trocknen aus) oder die Herstellung alkoholfreien Biers bzw.
die Blutwäsche durch Dialyse. Schließlich erlaubt die Messung nach (3-40a) bei verschiedenen
Einwaagen g2 und Extrapolation auf g2 = 0 die Bestimmung von molaren Massen aus dem
Achsenabschnitt und einer Wechselwirkungsenergie B aus der Steigung einer Auftragen π/g2
gegen g2.
3.3.4.2 Gefrierpunktserniedrigung
Die in Kap. 3.3.2 besprochene Dampfdruckerniedrigung ∆p = p0 – p in Gegenwart gelöster Stoffe
(Gl. 3-35a), die eine Erhöhung des Siedepunkts Tfl-g
bewirkt, führt zwangsläufig zu einer Verschiebung
des Tripelpunkts und damit zu einer Absenkung des
Schmelz- oder Gefrierpunkts Tfest-fl. Dies ist in nebenstehendem Diagramm gezeigt (die Sublimationskurve
wird nur wenig beeinflusst).
Entsprechend der Dampfdruckerniedrigung sind auch
die Siedepunktserhöhung und die Gefrierpunktserniedrigung proportional zu x2 und damit zu c2 (Index 2 für gelösten Stoff):
∆ Tfest-fl = K x2 = KG c2 = KG' b2
(3-41)
(b = Molalität, s. 3.3.7). K wird kryoskopische Konstante genannt; die entsprechende Konstante Es für die Siedepunktserhöhung heißt ebullioskopische Konstante (lat. ebullio = ich sprudele
hervor).
Einige Beispiele:
H2O
Benzen
Campher
Cyclohexanol
Tfest-fl / °C
0
5,5
178,4
25,5
KG/ (K dm3
mol–1)
KG'/ (K kg
mol–1)
Tfl-g/°C
–1,86
–5,07
–37,4
–38,2
Es’/(K kg
mol–1)
Phenol
CCl4
-63,5
–39,7
-4,68
100,0
80,1
181,9
76,7
0,52
2,53
3,04
4,95
Gefrierpunktserniedrigung, Siedepunktserhöhung und osmotischer Druck gehören zu den sogenannten kolligativen Prozessen, d.h. sie sind (in verdünnten Systemen) nur von der Zahl,
nicht aber von der Art gelöster Teilchen abhängig und lassen sich daher zur Bestimmung von
molaren Massen M ausnutzen:
39
∆ Tfest-fl = KG' b2 = KG' n2 / m1 = KG' m2 / (M2 m1)
(3-42)
Wichtig ist dabei, dass die Komponente 2 (Gelöstes) in geringer Konzentration vorliegt, d.h. in
der Größenordnung 1 Gewichtsprozent oder weniger. Damit wird sichergestellt, dass keine
Wechselwirkungen zwischen Teilchen der Komponente 2 auftreten. Es folgt, dass nur Substanzen mit großen KG für diesen Zweck (als Komponente 1) geeignet sind (s. Tabelle).
Andere Anwendungen der Gefrierpunktserniedrigung sind Kältebäder (z.B. Mischungen aus
Eis und Salzen) und die Verwendung von Auftausalzen bei winterlichen Straßenverhältnissen.
Diese Effekte können wie folgt erklärt werden:
Kältemischung: In einer Mischung aus Eis + Wasser + Salz ist 0 °C nicht der
Gefrierpunkt. Infolgedessen schmilzt das Eis, wobei zur Erbringung der
Schmelzenthalpie der Umgebung Wärme entzogen wird. Deshalb kühlt sich die
Umgebung ab, bis der aktuelle Gefrierpunkt erreicht ist.
Mit Eis und NaCl können Kältebäder bis –21 °C, mit Eis und CaCl2 bis –55 °C eingestellt
werden. Darunter nutzt man festes CO2 in Mischung mit Aceton bzw. Methanol (–68 °C) oder
flüssigen Stickstoff (77 K).
Auftausalz: Werden Schnee oder Eis mit Salz gemischt, schmilzt soviel Eis bis
der Schmelzpunkt erreicht ist (s. o.). Liegt dann die Umgebungstemperatur über
dem aktuellen Gefrierpunkt, so schmilzt das restliche Eis auch.
3.3.5 NERNSTscher Verteilungssatz
Nach NERNST15 verteilt sich ein gelöster Stoff (oder eine Komponente i
eines Stoffgemisches) auf zwei in Kontakt stehende nicht mischbare
Lösemittel in einem Verhältnis der Konzentrationen ci(I)/ci(II), welches
konstant ist, d.h. nur von der Temperatur (ggf. vom Druck) abhängt,
nicht aber vom Volumen der beiden Flüssigkeiten.
Diese Konstanz des Konzentrationsverhältnisses ist die Grundlage vieler
Trennverfahren. Trennt man die beiden Phasen z.B. mit Hilfe eines
Scheidetrichters und ergänzt das jeweils fehlende Lösemittel, so stellt
sich die Verteilung nach NERNST wieder ein. So lassen sich Substanzen
„ausschütteln". Die Verteilungschromatographie (Gas-chromatographie,
tographie) basiert auf multipler Anwendung dieses Prinzips.
3.4
Papierchroma-
Mehrkomponentensysteme und chemisches Potenzial
Systeme, in welchen chemische Reaktionen ablaufen, bestehen zwangsläufig aus mehreren
Komponenten: Reaktanden, Produkte, ggf. Lösemittel. Es wird sich als zweckmäßig erweisen,
den Komponenten Anteile der Gesamtpotenziale (z. B. der Triebkraft ∆RG⊝) zuzuordnen entsprechend den Stoffmengenanteilen, in denen die Komponenten vorliegen. Als Komponenten
eines Systems werden nur voneinander unabhängige gezählt. Eine Lösung, die drei gelöste
Stoffe enthält, hat demnach vier Komponenten. In einer wässrigen Lösung, die teilweise dissoziierte Essigsäure enthält, zählen jedoch Essigsäure, H+-Ionen und Acetat-Anionen als eine
Komponente, weil deren Konzentrationen voneinander abhängen.
In Systemen aus mehreren voneinander unabhängigen Komponenten hängen die Zahlenwerte
der thermodynamischen Größen von den Mengen ni der Komponenten i ab; z.B. ist die Freie
Enthalpie g eines aus C Komponenten bestehenden Systems eine Funktion g = g (p,T,n1, ...nC).
Entsprechend ist die innere Energie u = u (s,v,n1, ... nC), das Volumen v = v (p,T,n1, ...nC), usw.
15
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40
Änderungen der Freien Enthalpie lassen sich daher allgemein ausdrücken als
 ∂g 
 ∂g 
dg = 
 dT +   dp + ∑
 ∂T  p , ni
i
 ∂p  T , ni
 ∂g

 ∂ni


dni
 p ,T , n j ≠ ni
(3-43)
vgl. (3-3) u. ä.. Wenn alle ni konstant gehalten werden, entfällt der Summen-Term, und dg
nimmt die gleiche Form an wie im Einkomponenten-System; allerdings hängen Entropie und
Volumen nunmehr ebenfalls von den ni ab:
 ∂g 
= − s ( p, T , n i )


 ∂T  p , ni
(durch partielle Ableitung von g = h –Ts nach T)
 ∂g 
 
= v( p, T , n i )
 ∂p  T ,ni
(3-44)
(3-45)
wegen dg = (dh) – Tds = (du+ pdv + vdp) – Tds = (dq +da + pdv+ vdp) – Tds =
(Tds – pdv + pdv + vdp) – Tds = vdp.
Man definiert jetzt als Anteil der Komponente i an der Freien Enthalpie das chemische Potenzial µι:
 ∂g 

µ i = 
 ∂ni  p ,T , n
(3-46).
j
≠ ni
g
Für ein Ein-Komponentensystem ist   = G bzw. falls die Stoffmenge variiert
 n  p ,T
 ∂g 
  = µ , jedoch treten bei praktizierter Chemie immer mehrere Komponenten auf, deren
 ∂n  p ,T
Stoffmengen sich ändern (Stoffumsatz). Das chemische Potenzial kann als (partielle) Triebkraft bezogen auf die Komponente i betrachtet werden.
Aus Gründen der Zweckmäßigkeit wird (neben u, g und h) noch ein weiteres thermodynamisches Potenzial verwendet, die Freie Energie f (auch HELMHOLTZ-Energie genannt, häufig
auch mit a symbolisiert). Es ist schon bekannt, dass g = h – Ts und u = h – pv; die Freie Energie wird jetzt definiert als
f = g – pv
bzw.
f = u – Ts
(3-47).
Für Änderungen von f gilt dann
df = − s dT − p dv + ∑ µ i dn i
(3-48),
i
wobei die Zweckmäßigkeit der Einführung von f erkennbar wird, wenn das chemische Potenzial als
41
 ∂f 

µ i = 
 ∂ni  v ,T , n
(3-49)
j ≠ ni
geschrieben wird, weil es experimentell für Gasphasensysteme relativ einfach ist, v und T konstant zu halten. Für kondensierte Systeme benutzt man meist das chemische Potenzial nach (346), weil es experimentell einfach ist, p und T konstant zu halten (z. B. Normaldruck und
Raumtemperatur oder Siedetemperatur eines kochenden Gemisches). Bei Bedarf kann jedoch
das chemische Potenzial auch entsprechend durch
 ∂h 

µ i = 
 ∂ni  s , p , n
oder
j
≠ ni
 ∂u 

µ i = 
 ∂ni  s ,v , n
(3-50)
j
≠ ni
ausgedrückt werden.
3.5
Mehrphasensysteme
3.5.1 Phasenregel
Bekanntlich wird ein homogener Materiebereich einheitlicher Zusammensetzung, in keine
sprunghaften Änderungen physikalischer Größen auftreten, als Phase bezeichnet. Beispiele
sind hierfür Gasmischungen, wässrige Lösungen, Eis aber auch Mischkristalle u.ä. Bringt man
zwei Phasen α und β in Kontakt miteinander (z.B. Dampf - Flüssigkeit, Lösung – Niederschlag, Elektrode - Elektrolyt), so finden Austauschprozesse an der Phasengrenze statt, weil
die thermodynamischen Potenziale, die sich in den isolierten Phasen unterscheiden, ausgeglichen werden müssen und sich deshalb ändern. Bei dp = 0 gilt für Änderungen der Freien
Enthalpie
dg = dg α + dg β = ∑ µ α i dn α i + ∑ µ β i dn β i
i
(3-51)
i
Wegen Massenerhaltung muss für jede Komponente i gelten (i = 1,2,...C)
– dnαi = dnβi = dni
(3-52).
Wenn der Gleichgewichtszustand erreicht ist, hat die Freie Enthalpie ihren Minimalwert erreicht, d.h. dg = 0, und man erhält für jede der C Komponenten eine Gleichgewichtsbedingung
der Form µ αi = µ βi, und wenn nicht zwei sondern P Phasen im Gleichgewicht vorliegen, ergeben sich für jede der C Komponenten die (P –1) Gleichgewichtsbedingungen nach
µ αi = µ βi = µ γi = ... = µ Pi
(3-53).
Die Zahl der Phasen, die im thermodynamischen Gleichgewicht nebeneinander existieren können, hängt auch von Druck und Temperatur ab. Beispielsweise bilden Flüssigkeiten und ihre
Dämpfe bei niedrigen Temperaturen Zweiphasensysteme, bei hinreichend hohen Temperaturen
verdampft jedoch die Flüssigkeit, so dass nur noch eine Phase übrig bleibt. Man bezeichnet
daher als „Freiheitsgrad“ fg eines Mehrphasensystems die Zahl der intensiven Zustandsgrößen,
die unabhängig voneinander variiert werden können, ohne dass sich dabei die Zahl der Phasen
ändert. Hierfür gilt die Phasenregel nach GIBBS:
42
fg = C + 2 – P
(3-54).
Herleitung: Der Zustand des Gesamtsystems hängt von p, T und von den Mengen nνi der C
Komponenten in den P Phasen ab, d.h. von insgesamt 2 + C·P Zustandsvariablen. Die Mengenanteile
n vi
x vi =
mit i = 1,2,...C und v = 1,2,...P
(3-55)
∑ nvi
i
der Komponenten in den einzelnen Phasen müssen die P Gleichungen folgender Art erfüllen:
C
∑
(3-56).
x vi = x v1 + x v 2 ... + x vC
i
Außerdem gelten die C· (P – 1) Gleichgewichtsbedingungen nach (3-53), so dass aus (3-54)
fg = 2 + C·P – P – C(P – 1) = 2 – P + C
(3-57)
wird.
Die einfachste Anwendung der Phasenregel kann im Phasendiagramm eines Einkomponentensystems erfolgen. Ein solches System kann entweder in jeweils einer Phase, z. B. in der Gasphase, zwei Phasen (z.B. Festkörper und Schmelze: Punkte auf der Schmelzkurve) oder dreiphasig (am Tripelpunkt, s. nebenstehende Skizze)
vorliegen. Die Anwendung der Phasenregel ergibt:
P
fg
1
2
bivariantes System
2
1
univariantes System
3
0
invariantes System
Im Fall P = 1 können p und T frei gewählt werden, ohne dass das Einphasengebiet verlassen
wird. Im Fall P = 2 kann man p oder T verändern, die jeweils andere Größe ist dann dadurch
festgelegt, dass das System auf der Gleichgewichtslinie bleiben muss.
3.5.2 Verdampfungsgleichgewicht
Während im Einkomponentensystem das chemische Potenzial die Bedeutung einer molaren
Freien Enthalpie hat (µ = g/n = G) und deshalb dµ = – SdT + Vdp ist (vgl. 3-44 bis 3-46), muss
für zwei im Gleichgewicht stehende Phasen (d.h. fg = 1) gelten:
dµ α = dµ β = – Sα dT + Vα dp = – Sβ dT + Vβ dp
(3-58).
dp S α − S β ∆ S
=
=
dT Vα − Vβ ∆V
(3-59)
Daraus folgt
43
und der Entropieunterschied zwischen beiden Phasen lässt sich mit Hilfe der Umwandlungsenthalpie ∆UH ausdrücken:
∆S = ∆UH/TU
(3-60)
entsprechend (3-33), wobei TU die Phasenumwandlungstemperatur (Siedepunkt, Schmelzpunkt, Sublimationspunkt) ist.
Ist ∆UH die Verdampfungswärme ∆Hfl-g, so bezeichnet Vα das Molvolumen des Dampfes VD
und Vβ das Molvolumen Vfl der Flüssigkeit, die mit dem Dampf im Gleichgewicht steht. In der
Regel (d.h. bei relativ niedrigen Dampfdrücken) ist Vfl << VD ≈ RT/p, so dass
dp ∆H fl-g
p
=
dT
RT 2
bzw.
∆H fl -g  1 
dp ∆H fl -g dT
=
= d ln p =
d − 
2
p
R T
R
 T
(3-61)
Nach Integration erhält man die Gleichung für die Dampfdruckkurve (CLAUSIUS-CLAPEYRONGleichung; entspricht (3-34))
ln p − ln p0 = ln
Kapitel 4:
p ∆H fl -g
=
p0
R
 1 1
 − 
 T0 T 
(3-62)
Kinetik
4.1.1 Definiton der Reaktionsgeschwindigkeit r
Als Beispiel soll die Reaktion
H2 + I2 → 2 HI
dienen, die in der Gasphase bei ca.
500 K so abläuft. Im Verlauf der Reaktion nehmen die Partialdrücke von H2 und I2 ab, während der HI-Druck zunimmt. Die Geschwindigkeit dieser Vorgänge ist
der
zu
beschreiben
als
Differentialquotient
–dp(H2)/dt,
Reaktionsgeschwindigkeit r genannt wird (Ableitung des Drucks oder
der Konzentration eines Reaktionspartners nach der Zeit t) Es ist
r = –dp(H2)/ dt = –dp(I2)/ dt = +dp(HI)/2 dt
(4-1)
oder allgemein mit den stöchiometrischen Koeffizienten ν (nü) der Reaktionsgleichung
r = νj–1 dpj / dt
(4-2).
Das Experiment (Messung von p(H2) nach verschiednen Zeiten t) ergibt typischerweise die
abgebildete Kurve p(H2) = f (t), bei der die jeweilige Steigung der Reaktionsgeschwindigkeit r
entspricht. Diese ändert sich während der Reaktion ständig und ist somit nicht charakteristisch
für eine Reaktion.
4.1.2 Reaktion 2. Ordnung
Wir betrachten die in der Atmosphärenchemie wichtige Reaktion (Luftverschmutzung)
44
NO + O3 → NO2 + O2.
Über den Reaktionsmechanismus weiß man, dass er sehr einfach ist: Stickstoffmonoxid und
Ozon stoßen zusammen und bilden Stickstoffdioxid und Sauerstoff-Moleküle. So etwas nennt
man eine bimolekulare Reaktion, deren Ablauf mit Hilfe eines Übergangszustands formuliert
werden kann (vgl. Skizze in Kap. 4.3). Selbst wenn nicht jeder Zusammenstoß erfolgreich sein
sollte, ist r proportional zur Zahl der Zusammenstöße und daher r ~ p(NO) sowie r ~ p(O3);
zusammengefasst:
r = k ·p(NO) · p(O3)
(4-3)
k heißt Reaktionsgeschwindigkeitskonstante, sie ist charakteristisch für eine Reaktion. Die
differentielle Form der Reaktionsgeschwindigkeitsgleichung (Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz)
lautet für obige Reaktion
r = –dp(NO) / dt = k ·p(NO) · p(O3)
(4-4).
Man nennt (4-4) Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz zweiter Ordnung, wenn wie hier die Reaktionsgeschwindigkeit von zwei Drücken (Konzentrationen, etc.) abhängt. Eine bimolekulare
Reaktion kann nach der zweiten Ordnung abkaufen, muss aber nicht; z.B. erhält man bei großem Überschuss eines Reaktionspartners experimentell eine Reaktion erster Ordnung, weil
sich die Konzentration des Überschussreaktionspartners während der Reaktion praktisch nicht
ändert.
Zur Vereinfachung der Integration von Gl. (4-4) lassen wir die Reaktion mit gleichen Ausgangsdrücken p0(O3) = p0(NO) starten; dann gilt immer p(O3) = p(NO) und man kann schreiben
-dp(NO) / dt = k · p2(NO)
Die Integration liefert
1
1
−
= kt
p (NO) p0 (NO)
(4-5).
(4-6),
k ist also als Steigung einer Auftragung 1/p(NO) gegen t zu bestimmen.
Bimolekulare Reaktionen laufen auch in Lösung ab, z.B. die Esterverseifung
CH3COOCH3 + OH– → CH3COO + CH3OH
Hier wird dann üblicherweise mit Konzentrationen an Stelle von Drücken gerechnet.
4.1.3. Reaktion erster Ordnung
Von einer monomolekularen Reaktion spricht man, wenn ein Molekül reagiert, ohne dass andere Moleküle beteiligt sind, z.B. Valenz-Umlagerungen (s. Abb.) oder radioaktive Zerfälle.
A →
B
Für die Valenzumlagerung in der Gasphase ist der Partialdruck wieder das adäquate Konzentrationsmaß, so dass für die Reaktionsgeschwindigkeit gilt
r = –dp(A) / dt = k ·p(A)
45
ln p(A) = ln p0(A) – kt
bzw. integriert
oder p(A) = p0(A) · e–kt
(4-7).
Das Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz für den radioaktiven Zerfall lautet – dN / dt = kN, wobei N
die Teilchenzahl ist. Integration von der Anfangs-Teilchenzahl N0 bis N ergibt:
N = N0 · e–kt
oder ln N = ln N0 – kt
(4-7a),
wobei wieder die Geschwindigkeitskonstante nach Messung von N bei verschiedenen Zeiten t
graphisch ermittelt werden kann (Wichtig zur Unterscheidung von Reaktionen erster und zweiter Ordnung ist, dass tatsächlich der Graph angeschaut wird; bloße lineare Regression kann
täuschen). Bei radioaktiven Zerfällen wird häufig nicht k sondern die Halbwertszeit τ1/2 angegeben. Beide können ineinander umgerechnet werden, wie man sich nach Integration bis t =
τ1/2 klarmachen kann: τ1/2 = (ln 2)/k.
4.2
Reaktionsmechanismus
Nebenstehendes Diagramm zeigt ein Beispiel zur Ermittlung
eines Reaktionsmechanismus (thermischer Zerfall von Aceton).
Nach der Reaktionsgleichung
2 CH3COCH3 → 2 CH4 + 2 CO + C2H4
könnte man erwarten, dass CO mit der gleichen Geschwindigkeit gebildet wird, mit der auch Aceton verschwindet. Die Kurve des CO-Drucks zeigt, dass
dies nicht der Fall ist. Zudem wird eine Kinetik 1. Ordnung bestimmt. Der Grund liegt in der
vorübergehenden Bildung des Zwischenprodukts Keten (CH2CO) nach der Gleichung:
CH3COCH3 → CH2CO + CH4. Entsprechend liefert die Kurve für p(Aceton) in obigem Diagramm eine Konstante erster Ordnung. Aus Keten wird dann CO abgespalten:
2 CH2CO → CH2CH2 + 2 CO.
4.3
Aktivierungsenergie
Die Betrachtung der bereits bekannten bimolekularen
Reaktion NO + O3 → NO2 + O2 in einem Energiediagramm liefert die rechtsstehende Abbildung. Die hervorgehobenen Punkte 1 bis 6 sind links unten illustriert.
Demnach müssen die Reaktionspartner einen Übergangszustand 3 durchlaufen, in welchem
das zu übertragende Sauerstoffatom zu beiden Molekülen gehört.
Der Zustand 5 entspricht den Produktmolekülen im Gleichgewichtszustand. Noch kürzere N-O-Abstände (6) bedeuten wegen
der Kernabstoßung wieder höhere Energie. Der Übergangszustand
entspricht i.a. höherer Energie als der Produkt- oder Eduktzustand.
Deshalb muss den Reaktionspartnern die Aktivierungsenergie EA
zu Verfügung stehen, wenn eine Begegnung (Zusammenstoß) der
Moleküle zur Reaktion führen soll.
Mit steigender Temperatur steigt die Frequenz der Zusammenstöße, bei welchen die (von der
Geschwindigkeit beider Reaktionspartner abhängende) Stoßenergie größer als EA ist, stark an.
46
Die Reaktionswahrscheinlichkeit steigt also mit der Temperatur16 (und mit der Zahl der Zusammenstöße). Experimentell macht sich dies in einer Temperaturabhängigkeit der Geschwindigkeitskonstanten bemerkbar. Der Anteil der Molekülzusammenstöße pro Zeiteinheit ZAB*,
bei welchen die Stoßenergie größer ist als EA, ist nach BOLTZMANN gegeben durch den Ausdruck:
E
− A
Z AB *
= e RT
(4-8)
Z AB
(vgl. 2-26). Dagegen steigt insgesamt die Frequenz der Zusammenstöße ZAB vernachlässigbar,
nämlich mit T–1/2 (vgl. 2-46). Zusammenfassend sollte die Reaktionsgeschwindigkeit proportional sein zu Stoßzahl, BOLTZMANN-Faktor und Druck (Konzentration) der reagierenden Moleküle. Es folgt für die Reaktionsgeschwindigkeit
 E 
(4-9),
r = k ⋅ p ( NO) p (O3 ) = k∞ exp − A  p ( NO) p (O3 )
 RT 
wobei k∞ der Stoßfrequenz (vgl. Kap.2.4) entspricht (nur bei einfachen Reaktionen, Genaueres
in Teil II). Daraus ergibt sich die ARRHENIUS-Gleichung für die Temperaturabhängigkeit der
Geschwindigkeitskonstanten
 E 
k = k ∞ exp − A 
(4-10).
 RT 
Bestimmen lässt sich EA durch Messen von k bei mehreren Temperaturen und graphische Auftragung von lnk gegen 1/T. Die Steigung der erhaltenen Geraden ist –EA/R.
4.4
Katalyse
Der Begriff Katalysator wird gebraucht für einen Stoff, der die Reaktionsgeschwindigkeit erhöht, ohne in der Reaktionsgleichung vorzukommen. Beispielsweise beschleunigt Vanadiumpentoxid V2O5 die Oxidation von SO2 zu SO3, die für die Herstellung von Schwefelsäure notwendig ist. Genauere Untersuchungen haben folgenden Mechanismus gezeigt:
1. Schritt
2. Schritt
SO2 + V2O5 → V2O4 + SO3
V2O4 + 1/2 O2 → V2O5
Summe: SO2 + 1/2 O2 → SO3;
Das Vandiumpentoxid dient also nur als Sauerstoffüberträger. Offensichtlich ist die Summe
der Aktivierungsenergien für die Schritte 1 und 2 kleiner als die der direkten Oxidation. Die
Wirkung des V2O5 nennt man Katalyse, und zwar heterogene Katalyse, wenn wie hier Katalysator und Reaktanden in verschiedenen Aggregatzuständen vorliegen (vgl. Abgasreinigung im
Auto). Bei der homogenen Katalyse liegen Katalysator und reagierende Stoffe in derselben
Phase, z.B. gelöst vor. Negative Katalyse wird als Inhibierung bezeichnet. Eine geeignete Katalyse ermöglicht die Optimierung der Führung chemischer Verfahren in vielerlei Hinsicht:
Effekte
Vorteile
Beschleunigung von Reaktionen durch niedrigere Ak- Zeitgewinn
tivierungsenergie im katalysierten Prozess
oder Möglichkeit der Durchführung von Reaktionen Energieeinsparung
bei niedrigerer Temperatur
Steuerung von Reaktionen: Es wird bei mehreren Mög- Minimierung von Trennproblemen,
lichkeiten die gewünschte Reaktion katalysiert, da- bessere Ausnutzung der eingesetzten
durch wird die Bildung von Nebenprodukten unter- Chemikalien,
drückt
vermindertes Entsorgungsproblem
16
Radioaktiver Zerfall ist keine chemische Reaktion, Radionuclid-Halbwertszeiten sind nicht temperaturabhängig
47
Kapitel 5:
5.1
Chemisches Gleichgewicht
Gleichgewichtsreaktionen und Massenwirkungsgesetz
Die schon bekannte Reaktion H2 + I2 → 2 HI
verläuft so bei Temperaturen um 500 K. Ab
etwa 700 K läuft die Reaktion auch in umgekehrter Richtung ab: 2 HI → H2 + I2. In diesem Temperaturbereich beobachtet man also
beides, d.h. ausgehend von H2 und I2 wird HI
gebildet und ausgehend von HI bilden sich
Wasserstoff und Iod, in beiden Reaktionen
erzielt man jedoch keinen vollständigen Umsatz sondern erreicht einen identischen
Gleichgewichtszustand (s. Skizze), in welchem
Hin- und Rückreaktion gleich schnell sind
(sog. dynamisches Gleichgewicht). Man
schreibt dann in einer Gleichung
H2 + I2 ⇌ 2 HI
(5-1).
Für die im Gleichgewicht gleichen Reaktionsgeschwindigkeiten gilt
rhin = khin p(H2) p(I2) und rrück = krück p2(HI)
(5-2).
Dies kann wegen rhin = rrück zusammengefasst werden zu
pG2 ( HI )
k
= hin = K
pG (H 2 ) pG ( I 2 ) k rück
(5-3).
Solche Gleichungen heißen Massenwirkungsgesetz, die Massenwirkungskonstante K ist (wie
die Geschwindigkeitskonstanten) von der Temperatur und von dem Gesamtdruck abhängig,
jedoch nicht von den Partialdrücken. Zur Aufstellung von Massenwirkungsgesetzen werden
konventionsgemäß die Drücke (Konzentrationen, Mengenanteile, etc.) der Produkte in den
Zähler, die der Edukte in den Nenner geschrieben. Der Index G besagt, dass es sich um
Gleichgewichtsdrücke handelt, nicht um sich ändernde Drücke während der Reaktion.
Das Massenwirkungsgesetz bedeutet für obige Reaktion, dass sich in jeder Probe, die H2, I2
und HI in irgendeinem Verhältnis enthält, die Partialdrücke durch Hin- oder Rückreaktion solange ändern, bis das Massenwirkungsgesetz erfüllt ist. Erhöhung des HI-Partialdrucks führt zu
vermehrter Bildung von Wasserstoff und Iod, Erhöhung des Wasserstoff-Partialdrucks zu vermehrter HI-Bildung und zur Verringerung des Iod-Partialdrucks.
Eine allgemeine Formulierung des Massenwirkungsgesetzes für beliebige Reaktionsgleichungen
ist
νA A + νB B + ... ⇌ νN N +νMM + ...
K (T ) =
pνGN ( N )· pνGM ( M )·...
pνGA ( A )· pνGB ( B) ⋅ ...
(5-4)
48
Als weiteres Beispiel sei die Synthese des Ammoniaks NH3 genannt:
N2 + 3 H2 ⇌ 2 NH3
Man erkennt zunächst, dass die Massenwirkungskonstante
p 2 ( NH 3 )
K= 3 G
(5-5)
pG ( H 2 ) pG ( N 2 )
hier im Unterschied zum Iodwasserstoff-Beispiel dimensionsbehaftet ist17. Konstanten verschiedener Gleichgewichte können also – ebenso wie Geschwindigkeitskonstanten verschiedener Ordnung – nicht einfach durch Unterschiedsbildung verglichen werden.
Technisch wird die Reaktion unter hohem Druck und in Gegenwart eines Katalysators durchgeführt (HABER-BOSCH-Verfahren). Gesamtdruckerhöhung verschiebt das Gleichgewicht zu
NH3, weil sich bei der Reaktion die Zahl der Gasteilchen verringert (Prinzip vom kleinsten
Zwang, LE-CHATELIER-Prinzip). Der Katalysator kann die Gleichgewichtslage nicht beeinflussen, weil Hin- und Rückreaktionen gleiche Übergangszustände durchlaufen (Prinzip der Mikroreversibilität). Er kann aber die Reaktionsgeschwindigkeiten und damit die Geschwindigkeit
der Einstellung des Gleichgewichts beschleunigen.
Schwache Säuren wie Essigsäure CH3COOH dissoziieren in Wasser nicht vollständig in Acetat-Anionen CH3COO- und Protonen H+. Am Massenwirkungsgesetz5
cG,CH COO − ·cG, H +
3
CH3COOH ⇌ CH3COOH– +H+;
(5-6)
Kc =
cG,CH 3COOH
(jetzt nicht mit Partialdrücken sondern mit Gleichgewichtskonzentrationen formuliert) kann
nachvollzogen werden, dass 1. eine Erhöhung der Essigsäurekonzentration nicht eine proportionale Erhöhung der H+-Ionenkonzentration zur Folge hat (stark saure Lösungen können mit
Essigsäure nicht hergestellt werden) und 2. eine Erhöhung der Acetat-Konzentration die
Gleichgewichtslage nach links verschiebt (Pufferwirkung).
Löslichkeitsprodukt
Steht ein Salz als Feststoff mit einer Lösung im Gleichgewicht, so nennt man die zugehörige
Gleichgewichtskonstante Löslichkeitsprodukt KL. Beispiel 1 zeigt eine Möglichkeit der Herleitung.
Beispiel 1:
+
–
ABfest↓ ⇌
ABgelöst
⇌A +B
↓
Bodenkörper
K=
cG, A + ·cG, B−
cG, AB gelöst
cG,ABgelöst ist konstant (jedoch in der Regel nicht messbar), wenn die Lösung in Kontakt mit
Bodenkörper steht (und nur dann!), so dass man schreiben kann
(5-7)
K · cABgelöst = KL1 = cG,A+ · cG,B–
17
Das Auftreten einer Dimension ist eine Folge der gegebenen kinetischen Ableitung des Massenwirkungsgesetzes. Bei der im
Grunde exakteren und allgemeineren thermodynamischen Ableitung, bei der Gl. 5-10 unmittelbar folgt, verschwindet die
Dimension, indem mit Aktivitäten a (s.u.) gerechnet wird oder jeder Druck bzw. jede Konzentration auf einen Standard
bezogen wird: z.B. c/c⊝ (c⊝ = 1 mol dm–3) oder p/p⊝, (p⊝ = 1 bar) vgl. Lehrbücher. Ähnlich kann auch bei
Geschwindigkeitskonstanten verfahren werden.
49
2
mol
.
l2
Nötigenfalls kann die Einheit wieder durch Bezug auf Standardwerte beseitigt werden.
In diesem Fall ist [ K L1 ] =
Etwas anders muss Beispiel 2 behandelt werden:
A2Bfest ⇌ A2Bgelöst ⇌ 2 A+ + B2–
2
A+
K L2 = c ·cB −
mol3
l3
(5-8),
mol3
wobei jetzt [ K L 2 ] = 3 .
l
Berechnung der Konzentrationen im Gleichgewicht mit einem Bodensatz (gesättigte
Lösung)
Für Beispiel 1:
cB– = cA+
cA2 + = K L1 ; cA + = K L1
Für Beispiel 2:
½ cA3 + = K L2
cB– = ½ cA+
; cA + = 3 2 K L2
Erheblich eleganter ist die Herleitung des Löslichkeitsprodukts, wenn Aktivitäten (vgl. 5-17)
betrachtet werden, die in realen Mischungen oder Lösungen oft als Konzentrationsmaß genutzt
werden, welches bereits Wechselwirkungen der Komponenten berücksichtigt (und dimensionslos ist). Die Aktivität a einer Komponente i in Elektrolytlösungen ist dann z.B. ai = γi٠ci , wobei γi der sog. Aktivitätskoeffizient ist, der die Konzentrationen bezüglich der Wechselwirkungen mit anderen Ionen korrigiert und meistens < 1 ist (Dazu mehr im Teil II). Die Aktivität
eines reinen Stoffes ist definitionsgemäß 1 (vgl. 5-17). In Aktivitäten würde man das Löslichkeitsgleichgewicht in obigem Beispiel 1 als K L =
aG, A + ·aG, B−
aG, AB fest
= aG, A + ⋅ aG, B- schreiben. Der
Nenner ist dann gleich 1 (reiner Stoff).
5.2
Triebkraft und Gleichgewicht
Wie schon in der Skizze zum Iod-Wasserstoff-Gleichgewicht angedeutet, haben Gleichgewichtslage und Triebkraft der Reaktion miteinander zu tun. Die vor der Reaktion zur Verfügung stehende Triebkraft lässt sich mit den Mitteln des Kapitels 3 als ∆RG⊝ berechnen. Diese
Größe ist eine Konstante (wenn p und T konstant sind). Während die Reaktion dem Gleichgewicht zustrebt, nimmt die Triebkraft ab. Sie ist dann eine Variable: die Freie Reaktionsenthalpie ∆RG, die 0 wird, wenn das Gleichgewicht erreicht ist. Diese Variable gibt den "Abstand"
zum Gleichgewicht an. Sie ist mit der Konstanten ∆RG⊝ verknüpft durch die Beziehung
∆ R G = ∆ R G Θ + RT ln ∏ pνi i
(5-9)
( pi ≠ pi , G ). Im Gleichgewicht (∆RG = 0, pi = pG ,i ) gilt daher die wichtige Gleichung
∆RG⊝ = –RT lnKp
(5-10).
50
Zur Herleitung von 5-10 werden die Begriffe Chemisches Potential µ (Kap. 3.4) und Reaktionslaufzahl ξ benötigt (µ i = ∂g/∂ni; dξ = dni /νi).
Reaktionslaufzahl
Für eine allgemein formulierte Reaktion
|νA| A + |νB| B → |νC| C + |νD| D
ergibt sich ein differentieller Umsatz
dnA/νA = dnB/νB = dnC/νC = dnD/νD
(5-11),
wobei die Vorzeichen zu den stöchiometrischen Koeffizienten gezogen werden, d.h. νA
und νB sind negativ. Die Definition von ξ lautet
d ξ = dn i / ν i
(5-12).
dξ ist demnach gleich 1 mol, wenn sich νA mol A mit νB mol B verbinden entsprechend einem Formelumsatz. Es ist dann für alle i
ni
∫
n
ξ
dn i = n i − n = ν i ∫ dξ
0
i
0
i
(5-13).
0
Mit Hilfe der Reaktionslaufzahlen ξ kann die Problematik unterschiedlicher stöchiometrischer Koeffizienten in verschiedenen Gleichungen aufgelöst werden (vgl. "Formelumsatz").
Zahlenbeispiel: Gibt man 1 mol H2 und 1 mol N2 zusammen, so reagieren diese
nach N2 + 3 H2 → 2 NH3. Wenn 1/3 mol H2 reagiert hat, ist nach Anwendung
von (5-10)
n N 2 = n0 N 2
2 −1
1
ξ= 3
mol = mol , so dass
−3
9
− ξ = 8 mol
und
n NH 3 = 2ξ = 2 mol sowie
9
9
8
2
3 =3 ; x = 9 =1 ; x
9 =1
=
N2
NH 3
8
2
8
2
16
16
2−
9
9
9
2
xH2 =
(5-14)
Herleitung von 5-10 (endgültiges Verstehen der physikalischen Chemie chemischer Reaktionen)
Für eine beliebige chemische Reaktion
|νA| A + |νB| B → |νC| C + |νD| D,
51
gilt wie immer, dass für spontan und freiwillig ablaufende Reaktionen ∆RG negativ sein muss,
wenn p und T konstant sind, bzw. ∆RF < 0, wenn T und V konstant sind. Bekanntlich gilt:
∆G = -SdT + Vdp + 3νiµidξ;
∆F = -SdT – pdV + 3νiµidξ.
(vgl. 3-44 bis 3-50)
Deshalb fallen die mit dp, dT bzw. dV behafteten Terme weg und
 ∂ G
∆RG =  R  = ∑νi µi
 ∂ξ  p,T
sowie
∂ F 
∆R F =  R  = ∑νi µi
 ∂ξ V ,T
(5-15)
(5-16)
werden jeweils ≤ 0. Sie heißen Freie Reaktionsenthalpie ∆RG bzw. Freie Reaktionsenergie
∆RF. (Nochmals: ∆G ist eine Variable, die im Verlauf der Reaktion gegen 0 geht, ∆G⊝ ist eine
Konstante!)
Die µi können in einem Reaktionsgemisch keine reinen Stoffe sein, daher18 müssen sie als
µi = µi⊝* + RTlnxi bzw. für reale Mischungen µi = µi⊝* + RTlnai
(5-17)
angesetzt werden, wobei im realen System die Stoffmengenanteile xi durch Aktivitäten ai ersetzt sind, bei welchen Abweichungen vom idealen Verhalten durch Aktivitätskoeffizienten fi
korrigiert werden: ai = xifi. Man beachte, dass die Aktivität in dieser Definition dimensionslos
ist, und man mache sich klar, dass für einen reinen Stoff ai = 1 und damit µi = µi⊝*. µi⊝* ist also
das chemische Potenzial des reinen Stoffes i, µi das der Komponente i in der Mischung. Für
das gesamte Reaktionsgemisch erhält man
∆RG = ∑νi µiΘ∗ + RT∑νi lnai
, was dasselbe ist wie
( )
∆RG = ∑νi µiΘ∗ + RTln Πaνi i
(5-18)
i
und entsprechendes für ∆RF. Für eine Gasphasenreaktion folgt die thermodynamisch abgeleitete Gleichgewichtskonstante Kp aus der Gleichgewichtsbedingung
( )
∆RG = 0 = ∑νi µiΘ* + RTln ΠaνG,i i = ∆RGΘ + RTlnΠaνG,i i
i
i
bzw.
ln(ΠaνG,i i ) = −
i
∆RGΘ
= lnKp
RT
(5-19),
entsprechend 5-10, was zu beweisen war. Für die (spontan) laufende Reaktion gilt mit diesen
Größen
∆RG = Σµ i dni = (∂g / ∂ξ )T,p = Σ(νi µ i) ≤ 0
(5-20)
Analog 5-18 kann man für sich ideal verhaltende Systeme auch schreiben
∆RG = Σ(νi µ i⊝*) + RT Σ(νi ln xi)
18
zum Verständnis des RTln...-Gliedes siehe (5-23)
(5-21),
52
wobei xi Mengenanteile sind, die ggf. durch Aktivitäten ersetzt werden müssen. 5-21 definiert
eine Abhängigkeit der Freien Reaktionsenthalpie ∆RG von der Zusammensetzung des Systems.
Diese soll an Hand einer Skizze für ein nicht reagierendes System erläutert werden. Es handelt
sich dabei um zwei gasförmige Teilsysteme A und B, die in Temperatur und Druck übereinstimmen. A enthält eine Gasmischung mit k–i Komponenten, B nur ein Gas, die Komponente i. Entfernt man jetzt die Trennwand, so wird spontane Durchmischung eintreten, d.h. es
gibt für die Durchmischung eine Triebkraft:
∆G = Σµ k < 0
(5-22).
Dabei ändern sich die Stoffmengen nk und ni nicht;
trotzdem muss die Triebkraft |µ i| kleiner werden, ist
also abhängig von der Zusammensetzung des Systems, hier auszudrücken durch die Partialdrücke.
Für die Komponente i wird p zum Partialdruck pi.
k
p = ∑ p j ≠i
p
1
Die Abhängigkeit des chemischen Potentials des
Gases vom Partialdruck (oder vom Mengenanteil xi,
oder allgemein von der Zusammensetzung) ist von der Form (für Gesamtdruck und T konstant)
µi
pi
pi
pi
1
∫ dµ = ∫ V d pi = RT ∫ p d pi = RT ∫ d ln pi
µ
p
p
p
(5-23),
wobei V = v/n nach dem idealen Gasgesetz substituiert wurde. Es gilt also ∆µ = RT ln (pi/p)
oder mit 2-4: ∆µ = RT ln xi, womit sich 5-17 ergibt. Diese Betrachtung erläutert allgemein das
Auftreten von RT ln ... - Gliedern in thermodynamischen Gleichungen, die insbesondere zur
Beschreibung von Konzentrations- bzw. Zusammensetzungsabhängigkeiten dienen.
Kapitel 6:
Elektrochemie
Die Elektrochemie behandelt (physikalische) Chemie unter Beteiligung von Ionen und Phasengrenzen. Sie teilt sich in drei große Gebiete:
Elektrische Leitfähigkeit von Elektrolyt-Lösungen,
Elektrodenspannungen und
Kinetik der Elektrodenprozesse
6.1
Grundlagen
OHMsches Gesetz
U / I = R;
OHMscher Widerstand
R=ρl/F
Leitfähigkeit
κ=1/ρ
(F: Elektrodenfläche, l: Elektrodenabstand ρ:
spezifischer Widerstand)
Messtechnisch wird i.a. mit Elektroden gearbeitet, die in Lösungen eintauchen. Dabei treten
bereits Grenzflächeneffekte auf, die Messungen beeinflussen: Dipole richten sich aus, Ladungen (Elektronen oder Ionen) treten aus der festen Phase aus oder in diese ein. Diese ersten Ladungsübertritte bedingen entsprechende Ladungen der Elektroden bzw. der Lösung, die dem
weiteren Durchtritt von Ladungen elektrostatisch entgegenwirken. Dadurch bilden sich
Gleichgewichtszustände aus, die als elektrische Doppelschichten bekannt sind und nach
53
Modellen von HELMHOLTZ, GOUY-CHAPMAN und
STERN eingeteilt werden können. Das Helmholtzmodell beschreibt eine starre Doppelschicht mit
linearem Abfall des Potenzials ψ, das GOUYCHAPMAN Modell einen exponentiellen Potenzialabfall, das STERN-Modell vereinigt beide Vorstellungen.
Die Wirklichkeit dürfte am häufigsten dem STERNModell entsprechen, HELMHOLTZ- und GOUYCHAPMAN-Situationen lassen sich oft durch
experimentelle Bedingungen einstellen.
Die Betrachtung erlaubt zwei Schlussfolgerungen:
1) Es ist grundsätzlich unmöglich, das Potenzial einer Lösung zu bestimmen, weil beim Einbringen einer Elektrode eine unbekannte Potenzialdifferenz zwischen ihr und der Lösung entsteht.
2) Beim Übertritt von Teilchen, die eine Ladung q tragen, von der festen in die flüssige Phase
kann der in den vorangegangenen Kapiteln betrachtete chemische Anteil am Potenzial (∆µ)
nicht vom elektrischen Anteil getrennt werden:
dgp,T = Σµ idni + ψ dqi
(6-1).
(ψ wird inneres elektrisches Potenzial oder GALVANI-Potenzial genannt.) Hierbei sind ni und
die Ladung qi gekoppelt: Ein Mol der Ionensorte i trägt die Ladung qi = ziFF, wobei z die Zahl
der Ladungen pro Teilchen ist, und FF = NA e = [6,023·1023 · 1,602·10–19 = 96488] C/mol die
Ladung eines Mols Ladungen bedeutet (FARADAY Konstante). Damit wird
dgp,T = Σµ idni + Σψ ziFF dni = Σ(µ i + ψziFF )dni = Σ µ~i dni
(6-2)
µ~i = µ i + ziFFψ heißt elektrochemisches Potenzial.
6.2
Bewegung von Ionen im elektrischen Feld: Elektrolytische Leitfähigkeit
Die spezifische Leitfähigkeit κ ist gegeben als Kehrwert des spezifischen Widerstands ρ:
κ = 1 / ρ = l / (RF) = lI / (FU)
(6-3)
und lässt sich aus der Steigung von Stromstärke-Spannungs-Kurven ermitteln. In der Praxis
wird κ meist durch Vergleich mit einer Lösung, die eine bekannte Leitfähigkeit κ* aufweist, in
einer Leitfähigkeitszelle gemessen, deren Zellkonstante C = κ* · R* bekannt ist; κ ist dann
C/R. Bei 6-3 entspricht die Spannung U der Potenzialdifferenz ∆ψ in der Lösung. Man muss
also die Mitmessung des Potenzialsprungs an den Elektroden verhindern. Dies geschieht durch
Messung mit Wechselstrom, dessen Frequenz so groß ist, dass die Doppelschichtladungsänderung (bei großer Kapazität) nur unwesentliche Spannungsänderungen bewirkt, und dass keine
Elektrolyse auftritt. Zudem sollte die Elektrodenfläche möglichst groß sein.
Es soll hier nur die Leitfähigkeit in wässrigen Lösungen betrachtet werden, das Phänomen existiert aber auch in nicht-wässrigen Lösungen und in Festkörpern (Ionen-Leiter, -Halbleiter).
In einem elektrischen Feld der Feldstärke E wirkt auf ein Ion i die Kraft
54
K i = qi E = zi e E
(6-4).
Dieser entgegen wirkt die im Gleichgewicht gleich große Reibungskraft KR = Ki
K R = K i = 6 π η ri w i
(6-5).
Hierbei bedeuten e die Elementarladung (1,602 · 10–19 C), zi die Zahl der Ladungen des Ions,
η die Viskosität des Lösemittels (für Wasser bei Raumtemperatur η ≈ 1 mPa s), ri den Radius
eines Ions und wi dessen Geschwindigkeit:
wi =
Ki
z eE
= i
6πηri 6πηri
(6-6).
Diese Geschwindigkeiten sind normalerweise klein, z.B. ist wi = 0,00042 m/s bei zi = 1, η = 1
mPa s, E = 10000 V/m und ri = 2 Å.
Um eine nicht von der Feldstärke abhängende Größe zu haben, definiert man Beweglichkeiten
ui der Ionen, die nur von Ionen- und Lösemitteleigenschaften abhängen:
ui =
z e
wi
= i
E
6πηri
(6-7).
Berechnung der Leitfähigkeit eines verdünnten Elektrolyten
Hierzu wird angenommen, dass der Elektrolyt zu 100 % dissoziiert vorliegt:
Kν + Aν– →ν+ Kz+ + ν– Az– .
Der in nebenstehender Zelle fließende Strom der Stärke I
entspricht der Summe der durch einzelne Ionen transportierten Ströme (mit den Geschwindigkeiten w±):
I = q/t = |w+| F ν+ | z+| e L c + |w–| F ν– | z–| e L c
= u+ E F ν+| z+| FF c + u– E F ν– |z–| FF c
(6-8)
Mit 6-3 ergibt sich für κ:
κ = FF c (u+ ν+ |z+| + u– ν– |z–|)
(6-9).
6-9 ermöglicht die Einführung der molaren Leitfähigkeit
Λ = κ/c = l (R F c)–1
oft angegeben als molare Äquivalentleitfähigkeiten Λäq =
(6-10),
κ
c ⋅ z±
.
55
Die Gleichungen zeigen, dass sich die Leitfähigkeit additiv aus den Anteilen von Kation und
Anion zusammensetzt (bei hinreichender Verdünnung, s.u.). Deshalb unterscheidet man die
molare Leitfähigkeit der Kationen Λ+ = FF u+ |z+| und der Anionen Λ– = FF u–|z–| mit Λ = ν+Λ+
+ ν–Λ–. Beispielsweise ist bei 25 °C in hoher Verdünnung ΛNaCl = 126,43 cm2 Ω–1 mol–1 und
ΛKCl = 149,81 cm2 Ω–1 mol-1; daraus Λ+(K) – Λ+(Na) = 23,38 cm2 Ω–1 mol–1. Mit weiteren Bestimmungen lassen sich dann die Λ± ausrechnen; einige Beispiele:
H+
Cs+
Ag+
NH4+
Mg2+
Ca2+
Cu2+
Λ+äq/cm2 Ω–1 mol–1 349,6 38,6 50,1 73,5 77,8
61,9
73,6
53,1
59,5
56,6
Kation
Li+
F-
Na+
Cl-
K+
Anion
OH-
Br-
Λ-äq/cm2 Ω–1 mol–1
198,6 55,4 76,8 78,1
NO3- CH3COO- CO32- HCO3- [Fe(CN6)]4- SO4271,5
40,9
69,3
44,5
110,5
80
Die nach Gleichung 6-7 gerechtfertigte Erwartung,
dass Λ+ proportional 1/ri ist, bestätigt sich nicht.
Der Grund liegt in der unterschiedlichen Solvatation, d.h. die Ionen tragen eine unterschiedlich dicke
Hülle von Solvatations-Wassermolekülen mit sich.
Eine Besonderheit ist für H+-Ionen zu beachten,
welche als H3O+ vorliegen und H-Brücken ausbilden: Nebenstehende Skizze verdeutlicht, dass die Ionen zum Ladungstransport nicht physisch
wandern müssen.
Schwache Elektrolyte dissoziieren nicht vollständig:
HS ⇌ H+ + SDies kann (mit Hilfe des Massenwirkungsgesetzes oder) durch den Dissoziationsgrad α beschrieben werden
c S−
cS−
α=
=
c 0 c HS + c S−
(6-11).
Entsprechend ist cH+ = cS– = α c0 (c0: Einwaagekonzentration) und für unendliche Verdünnung
cH+ = cS– = c0 (dann entsprechend einem starken Elektrolyten). Es folgt eine molare Leitfähigkeit bei unendlicher Verdünnung nach
Λ∞ = Λ/ α
(6-12).
Diese Beziehung ermöglicht die Bestimmung von Gleichgewichtskonstanten Kc = cH+ cS– / cHS:
Λ
(
αc0 ·αc0
α 2 c0
Λ ) ·c0
Kc =
=
=
(1 − α )c0 (1 − α ) 1 − ΛΛ
2
∞
(6-13).
∞
6-13 stellt bereits das OSTWALDsche Verdünnungsgesetz dar, das nach Umformung zu 6-14
1
1
1
=
+
· Λc0
Λ Λ∞ K c Λ∞2
(6-14)
56
und Messung von Λ nach entsprechender Auftragung die Ermittlung von Λ∞ und K erlaubt.
Nebenstehende Diagramme zeigen den Unterschied von Λ als Funktion der Konzentration für
schwache und starke Elektrolyte. Für letztere ist
die molare Leitfähigkeit bis zu etwa 5·10–4
mol/dm3 so gut wie konstant. Die Ursache für das
Verhalten bei höheren Konzentrationen war lange
Zeit unklar und wurde durch DEBYE, ONSAGER
und HÜCKEL mit "intrinsischen Wechselwirkungen" der Ionen erklärt. Generell konnte schon vorher die Abhängigkeit der molaren Leitfähigkeeit
mit dem KOHLRAUSCHschen Wurzel-c-Gesetz empirisch beschrieben werden:
Λ = Λ∞ – kK (c/c⊝)1/2
(6-15).
KK: materialabhängige Kohlrausch-Konstante (sehr klein für starke Elektrolyte)
6.3
Elektromotorische Kräfte (EMK)
Der Begriff "elektromotorische Kraft" ist historisch
bedingt und heute irreführend, weil ein Elektromotor
anders funktioniert. Gemeint ist die Spannung einer
elektrochemischen Zelle (galvanischen Kette) ohne
Stromfluss.
Ein Beispiel für eine solche Zelle ist nebenstehend
skizziert. Die Zelle wird i.a. so gezeichnet, dass das
elektropositivere Element (später mit der Spannungsreihe zu definieren) die rechte Elektrode darstellt. Eine
positive Anzeige des Millivoltmeters entspricht dann einer positiven EMK). Die Zellreaktion
lässt sich dann so hinschreiben, dass die ungeladenen Metalle die dem Bild entsprechende Seite in der Gleichung einnehmen: Zn + 2 Ag+ → Zn2+ + 2 Ag. Die semipermeable Wand (Diaphragma) soll Ladungstransport ermöglichen, jedoch die Durchmischung der Lösungen verhindern (ferner soll an dieser Wand kein Potenzialsprung auftreten, was technisch meist anders
als in dieser Skizze gelöst wird).
Zur Erläuterung19 der hier auftretenden EMK werden zunächst die beiden Hälften der Zelle
betrachtet. In jeder der Hälften gibt es (wenn kein Strom fließt!) ein Gleichgewicht,
links: Zn ⇌ Zn2+ + 2 e;
rechts: 2 Ag+ + 2 e ⇌ 2 Ag
(6-16).
Dafür werden die Gleichgewichtsbedingungen mit den elektrochemischen Potenzialen (s. Gl.
6-2) hingeschrieben, wobei berücksichtigt werden muss, dass sich die Ionen in der Lösung und
die ungeladenen Atome in den Metallen befinden.
µ~ (Zn) = µ~ (Zn2+) + 2 µ~ (e,l);
19
2 µ~ (Ag+) + 2 µ~ (e,r) = 2 µ~ (Ag) (6-17).
Die folgende Ableitung unterscheidet sich von den meisten Lehrbuchbeispielen. Dort steht meist im
ln-Term der NERNST-Gleichung das Massenwirkungsgesetz für die Zellreaktion. Die Metalle haben, da
sie reine Stoffe sind, eine Aktivität von 1 nach (5-17).
57
Die Metalle in den Gleichungen sind ungeladen; wegen zi = 0 gilt dann µ~ = µ. Die elektrischen Potenziale in den Lösungen sind gleich (semipermeable Wand) und wir setzen sie 0.
Deshalb gilt auch dort µ~ = µ. Damit wird aus 6-16
µ(Zn) = µ(Zn2+) + 2 µ~ (e,l);
2 µ(Ag+) + 2 µ~ (e,r) = 2 µ(Ag)
(6-18).
Wir führen jetzt die Konzentrationsabhängigkeit des Potenzials ein (vgl. 5-17):
µ(Zn) = µ ⊝ (Zn2+) + RT ln a(Zn2+) + 2 µ~ (e,l);
2 µ ⊝(Ag+) +2 RT ln a(Ag+) + 2 µ~ (e,r) = 2 µ(Ag)
(6-19).
Nach Addition der Gleichungen und Umordnung ergibt sich
2 µ~ (e,r)–2 µ~ (e,l) = 2µ(Ag)–µ(Zn)–2µ ⊝(Ag+)+µ ⊝(Zn2+)+RT ln a(Zn2+)–RT ln a2(Ag+)
(6-20).
Für die Elektronen gilt µ~ (e) = µ(e)–FFψ. Die µ(e) in den Metallen sind ein wenig unterschiedlich. Zur Spannungsmessung müssen deshalb an die Elektroden Drähte aus einheitlichem Material, z.B. Cu, geklemmt werden (mit gutem "OHMschen Kontakt" zu möglichster Vermeidung
weiterer Potenziale an der Klemmstelle). Durch Differenzbildung fällt dann µ(e) auf der linken
Seite heraus:
–2 FF(ψr –ψl) = 2 µ(Ag) – µ(Zn) – 2 µ ⊝(Ag+) +µ ⊝(Zn2+) + RT ln a(Zn2+)/a2(Ag+)
(6-21)
Mit (ψr – ψl) = EMK und Zusammenfassung der konstanten und nicht-konzentrationsabhängigen Größen auf der rechten Seite in (6-20) zu EMK⊝ folgt die NERNST-Gleichung:
EMK = EMK⊝ – RT/(2FF) ln a(Zn2+)/a2(Ag+)
(6-22).
Dieses Verfahren lässt sich auf beliebige Reaktionen in den Halbzellen anwenden: Die zugehörigen Reaktionen werden so hingeschrieben, dass in beiden Zellhälften nE Elektronen umgesetzt werden. Die beiden Gleichungen nach (6-16a) werden addiert, wobei die Elektronen wegen ihrer unterschiedlichen Potenziale nicht gestrichen werden dürfen. Im Gleichgewicht gilt
– nE FFψr = – nE FFψl + Σνi µ~ i = – nE FFψl + Σνi µ i = – nE FFψl + const. + Σνi RT ln ai
– nE FF(ψr – ψl) = const. + RT ln Π aiνi
(6-23)
Dies entspricht der bekannten NERNSTschen20 Gleichung (in allgemeiner Fassung), die meist
wie folgt formuliert wird:
EMK = EMK⊝ −
( )
RT
ln Π aνi i
n E FF
(6-24),
wobei const. = EMK⊝ der Differnz der Normalspannungen entspricht. Da in obiger Ableitung
nur Aktivitäten der gelösten Komponenten vorkommen, erkennt man nicht sofort, dass im Argument des ln im Grunde die Massenwirkungskonstante der (als Gleichgewichtsreaktion ge20
Zu Person und Wirken von WALTHER NERNST siehe www.Nernst.de
58
schriebenen) Zellreaktionsgleichung steht. Dabei verschwinden die Aktivitäten der Metallelektroden, weil diese für reine Stoffe jeweils 1 sind (Die Konzentrationen der ungeladenen
Metalle in der Lösung sind 0!).
Bei hoher Verdünnung (ideale Lösungen, ci < 10–4 mol/dm3) kann in Gl. (6-24) mit Stoffmengenanteilen xi bzw. Konzentrationen ci/c⊝ anstelle der Aktivitäten ai gerechnet werden. Bei
höheren Konzentrationen treten Wechselwirkungen zwischen den Ionen auf (vgl. 6.2). Daher
müssen Konzentrationen mittels Ionenaktivitätskoeffizienten γι korrigiert werden. Das entsprechende Konzentrationsmaß ist dann die Aktivität ai = γi ci21 bzw. ai = γi bi22. Je nach Lehrbuch
und Lehrmeinung wird entweder der Aktivitätskoeffizient oder die Aktivität dimensionslos
definiert23. Letzteres ist thermodynamisch richtig (vgl. Kap. 5.2) und macht thermodynamische
Ableitungen (und den Umgang mit logarithmierten Größen) einfacher.
Ein anderer Weg zur NERNST-Gleichung ist der folgende: Die EMK einer (offenen) Zelle soll
stromlos gemessen werden, d.h. die (offene) Zelle soll sich bezüglich chemischer Reaktionen
und Ladungsaustausch im Gleichgewicht befinden. Dann gilt dg = 0 im Sinne von Gleichung
(6-1) für beide Elektroden. Dies bedeutet „elektrochemisches Gleichgewicht“ (bei offener Zelle, d.h. bei außenstromlosen Elektroden) im Unterschied vom chemischen Gleichgewicht, bei
welchem die betreffende Reaktion bereits abgelaufen ist. Im einzelnen gilt im elektrochemischen Gleichgewicht für die potenziellen chemischen Reaktionen unter Beteiligung geladener
Teilchen
dg = Σνi µ~ i dξ = Σνi µ i dξ + Σνi zi FFψi dξ = 0
(6-25).
(Die Reaktionslaufzahl ξ ist in Kap. 5.2 erläutert.) Hierbei beschreibt die erste Summe im unterstrichenen Teil von (6-25) den chemischen Anteil ∆RG, während in der zweiten Summe
Terme für Ionen und Metalle 0 sind. Es verbleiben hier nur die Elektronen. Entsprechend gilt
0 = ∆RG⊝ + nE (–1)FFψl – nE (–1)FFψr;
∆RG⊝ = nE FFψl – nE FFψr = nE FF(ψl – ψr) = – nE EMK FF
(6-26).
(6-26) stellt den Zusammenhang zwischen Thermodynamik und Elektrochemie her. Die EMK
ist also ein Maß für die Triebkraft elektrochemischer Reaktionen.
6.3.2 Normalpotenziale
Die Standardwerte EMK⊝ in der NERNSTschen Gleichung (6-25) entsprechen der Differenz
sogenannter Normalpotenziale (Standardpotenziale) E⊝. Diese liegen weitgehend tabelliert
vor. Zu ihrer Ermittlung müssen beliebige Elektroden unter Standardbedingungen (alle ai = γιci
jeweils links und rechts gleich, p = 1 bar) gegen eine Normal-Wasserstoff-Elektrode gemessen
werden. Diese besteht aus einem platinierten Platinblech, welches in eine Lösung von H+-
21
in diesem Text (und den folgenden Teilen II und III) werden Aktivitätskoeffizienten mit den Symbolen f (für
Flüssigkeiten), γ (für Ionen) und φ (für Gase) bezeichnet.
22
Weil bei Elektrolytlösungen die Dichten der Lösungen merklich von der Konzentration abhängen, rechnet man
hier gern mit Molalitäten b.
23
oder beides für Stoffmengenanteile ai = γi xi oder nach ai = γi ci/c⊝ bzw. ai = γi bi/b⊝.
59
Ionen eintaucht und von Wasserstoffgas mit Normaldruck umspült wird. Eine Auswahl der
dabei gemessenen Spannungen E⊝ sind in der folgenden Tabelle für T = 298 K aufgelistet24.
Halbzelle
Halbzellreaktion
Li |Li
Li+ + e ⇌ Li
E⊝ / V
–3,05
K+|K
K+ + e ⇌ K
–2,93
Na+|Na
Na+ + e ⇌ Na
–2,71
Mg2+|Mg
Mg2+ + 2 e ⇌ Mg
–2,36
Al3+|Al
–1,66
Zn2+|Zn
Al3+ + 3 e ⇌ Al
Zn2+ + 2 e ⇌ Zn
–0,76
H+|H2|Pt
0
Cu2+|Cu
2 H+ + 2 e ⇌ H2
Cu2+ + 2 e ⇌ Cu
+0,34
Ag+|Ag
Ag+ + e ⇌ Ag
+0,8
Cl–|Cl2|Pt
Cl2 + 2 e ⇌ 2 Cl-
+1,36
Au+ + e ⇌ Au
+1,42
+
Au+|Au
Die Festlegung des Potenzials der Normal-Wasserstoffelektrode = 0 ist willkürlich aber allgemein üblich und eine Festlegung ist notwendig, da es keine Absolutwerte der Potenziale gibt.
Metalle mit negativem Normalpotenzial heißen unedel, solche mit positivem Normalpotenzial
edel; gemeint ist, dass letztere sich nicht freiwillig in wässrigen Säuren auflösen.
6.3.3 Temperaturabhängigkeit der EMK (KIRCHHOFF-Satz)
Die Temperaturabhängigkeit der EMK ist unübersichtlich: Einerseits gibt es das RT-ln-Glied
in der NERNST-Gleichung, andererseits ist eine gewisse T-Abhängigkeit von EMK⊝ gegeben.
Daher berechnet man am besten ∆RG⊝ für eine bestimmte Temperatur mit Hilfe des KIRCHHOFF-Satzes (der den SCHWARZschen Satz auf die Enthalpie anwendet) und rechnet dann auf
die EMK bei der neuen Temperatur um nach
− nE EMK (T ) ⋅ FF = ∆ R G Θ (T ) = ∆ R H Θ (T ) − T∆ R S Θ (T )
(6.27)
Nach KIRCHHOFF ist zunächst die T-Abhängigkeit von ∆RH gegeben als
∂ h
∂ R 
 ∂∆ R H 
 ∂2Rh
 ∂ξ  p ,T  ∂ 2 R h 

 =
 = 
= 
∂T
 ∂ξ∂T  p  ∂T∂ξ
 ∂T  p
k
= ∆C p = ∑ν i C pi


p
  ∂Rh  
 ∂
 
 ∂c p 
  ∂T  p 

=
= 

∂ξ
∂ξ  p ,T




T
(6-28)
(falls ∂ξ = 1mol)
i
24
In der Elektrochemie werden Standardwerte manchmal für 20 °C tabelliert, während ∆RG⊝ in der Regel für 25
°C angegeben wird. Dies muss für genaue Rechnungen nach (6-26) berücksichtigt werden (vgl. 6.2.3 KirchhoffSatz).
60
∆Cp ist die Differenz der Einzel-Cp von Produkten und Edukten für einen Formelumsatz (analog zur Berechnung von ∆RH⊝; νi in 6-28 mit Vorzeichen und Dimension mol-1). ∆RH ergibt
sich dann aus der Integralbildung
T2
∆ R H (T2 ) − ∆ R H (T1 ) = ∫ ∆C p d T
(6-29),
T1
wobei z.B. T1 = 298 K. Für die Ammoniak-Synthese ist
∆C p = [2C p ( NH 3 ) − C p ( N 2 ) − 3C p ( H 2 )] pro Formelumsatz.
Die T-Abhängigkeit von ∆RS ergibt sich analog mit
T2
∆ R S (T2 ) − ∆ R S (T1 ) =
∫
T1
∆C p
T
dT ,
(6-30)
und anschließend kann ∆RG⊝ für die neue Temperatur T2 mit (3-18) berechnet werden.
6.3.4 Anwendungen
Neben der Entwicklung von transportablen Stromquellen (Batterien, Akkumulatoren) trägt
insbesondere die Messung der EMK von Konzentrationsketten zur Lösung analytischer Probleme und zur Prozesskontrolle bei.
pH-Elektrode
Die Bestimmung der Konzentration von H+-Ionen
ist in der Chemie sehr wichtig, da für viele Reaktionen eine bestimmter pH-Wert oder pH-WertBereich eingestellt, konstant gehalten und kontrolliert werden muss (pH-Wert = –log a(H+)).
Die Messung wäre unter großem apparativen
Aufwand mit der Wasserstoffelektrode möglich.
In der Praxis verwendet man Glaselektroden, die
gemäß nebenstehender Skizze funktionieren. Die
Glaselektrode ist gefüllt mit einer Pufferlösung
bekannten pH-Wertes. An ihrem unteren Ende besteht sie aus dünnwandigem Glas mit (relativ) großer Leitfähigkeit. Falls die H+-Ionenkonzentration c1 (bzw. die H+-Ionenaktivität a1)
größer ist als c2 (a2)wandern die H+-Ionen quasi durch die Glaswand (in Wirklichkeit erfolgt
auf beiden Seiten ein Austausch Na+ ↔ H+), um die Konzentration auszugleichen. Dabei lädt
sich die Elektrode positiv auf. Die zugehörige Spannung wird am Messgerät registriert und
entspricht der EMK einer sog. Konzentrationskette (EMK⊝ entfällt, wenn gleiche Elektroden
links und rechts).
EMK = (RT/FF) ln a2 – (RT/FF) ln a1 = const. – (RT/FF) ln a1
(6-31)
Bei Raumtemperatur ist RT/FF ln a2 = 0,059 log a2. In heutigen Messinstrumenten sind die
Konstanten bereits einprogrammiert, so dass der pH-Wert direkt zur Anzeige kommt.
Quantitative Bestimmung von Metallionen
Analog lässt sich mit Hilfe von Konzentrationsketten die Konzentration wässriger
Metallionenlösungen durch Vergleich mit einer gleichartigen Halbzelle, die eine bekannte
Konzentration der Metallionen enthält, bestimmen.
61
Anhang
Verschiedene Formulierungen des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
„Jedes System wird, sich selbst überlassen, im Mittel in einen Zustand größter Wahrscheinlichkeit übergehen“ (G.N. Lewis)
„Der Zustand größter Entropie ist für ein isoliertes System der stabilste Zustand“ (Enrico Fermi)
„Jedes System, das sich selbst überlassen ist, ändert sich schnell oder langsam dergestalt, dass es einem
genau bestimmten Endzustand der Ruhe zustrebt. Kein System wird sich vom Gleichgewichtszustand
wegbewegen, es sei denn, es würde durch eine äußere Einwirkung veranlasst.“ G.N. Lewis)
„In der Natur besteht die Tendenz, dass die Energie von einer besser nutzbaren in eine weniger nutzbare
übergeht“ (J.A.V. Butler)
„Bei einem irreversiblen Vorgang erhöht sich die gesamte Entropie aller beteiligten Körper.“ (G.N. Lewis)
„Die Entropiefunktion eines Systems von Körpern hat das Bestreben, sich bei allen in der Natur ablaufenden physikalischen und chemischen Prozessen zu erhöhen, wenn wir in das System alle Körper einbeziehen, die durch die Veränderung berührt werden.“ (Saha)
„Es ist auf keinerlei Weise möglich, die Entropie eines Systems von Körpern zu verkleinern, ohne dass
in anderen Körpern Änderungen zurückbleiben.“ (Max Planck)
Es ist unmöglich, für einen freiwillig ablaufenden Prozess eine Vorrichtung zu erfinden, die jedes beteiligte System in den Ausgangszustand zurückversetzt.“ (G.N. Lewis)
„Jeder in der Natur stattfindende physikalische und chemische Prozess verläuft in der Art, dass die Entropien sämtlicher am Prozess irgendwie beteiligten Körper vergrößert wird. Im Grenzfall, für reversible
Prozesse, bleibt jene Summe ungeändert.“ (Max Planck)
„Für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts in einem isolierten System ist es notwendig und hinreichend, dass bei allen möglichen Zustandsänderungen des Systems, bei denen sich seine Energie nicht
ändert, die Entropieänderung entweder verschwindet oder negativ ist.“ (J.W. Gibbs)
„Bei einem adiabatischen Vorgang nimmt die Entropie entweder zu oder sie bleibt unverändert: ∆s ≥ 0,
wobei sich das >-Zeichen auf den irreversiblen, das =-Zeichen auf den reversiblen Fall bezieht.“ (P.S.
Epstein)
„Wärme kann nicht spontan aus einem kälteren in einen wärmeren Körper übergehen.“ (R.J.E. Clausius)
Es ist unmöglich, Wärme von einem kälteren System auf ein wärmeres System zu übertragen, ohne dass
gleichzeitig in den beiden Systemen oder in ihrer Umgebung Veränderungen eintreten.“ (P.S. Epstein)
Es ist unmöglich, einen Kreisprozess vorzunehmen, dessen Effekt nur darin besteht, dass der Umgebung
Wärme bei tieferer Temperatur entzogen und bei höherer wieder zurückgegeben wird.“ (J.R.E. Clausius)
Es ist unmöglich, einem System Wärme zu entziehen und in Arbeit zu verwandeln, ohne dass gleichzeitig Änderungen in dem System oder in seiner Umgebung vor sich gehen.“ (P.S. Epstein)
Es ist unmöglich, einen Kreisprozess zu verwirklichen, bei dem Arbeit geleistet wird, indem der Umgebung bei nur einer Temperatur Wärme entzogen wird.“ (Lord Kelvin)
„Spontane Vorgänge (d.h, Vorgänge, die aus eigenem Antrieb ablaufen) können, wenn sie unter geeigneten Bedingungen durchgeführt werden, so gelenkt werden, dass sie Arbeit leisten. Unter reversiblen Bedingungen liefern sie die größtmögliche Arbeit; unter den natürlichen irreversiblen Bedingungen erhält
man nie die maximale Arbeit.“ (J.A.V. Butler)
„Es gibt eine charakteristische thermodynamische Funktion, die sog. Entropie. Der Unterschied zwischen den Zuständen (1) und (2) eines Systems ist durch folgende Ausdrücke gegeben:
2
2
q
q
s2 − s1 = ∫ dT über jeden reversiblen Weg zwischen (1) und (2), s2 − s1 > ∫ dT über jeden irreT
T
1
1
19.
versiblen Weg zwischen den beiden Zuständen. Die Entropie ist nur eine Eigenschaft des Zustands; in
einem isolierten System kann ihr Wert niemals abnehmen.“ (R.E. Gibson)
„Ein Informationsgewinn bedeutet stets einen Entropieverlust.“ (G.N. Lewis)
Für eine vertiefende Beschäftigung mit der Entropie wird empfohlen:
Manfred Eigen, „From Entropy to information – the physical chemistry of living matter“; Ber. Bunsenges. Phys. Chem. 98 (1994) 1351-1364.
Oder für alle, die es nicht unbedingt vertiefen aber leicht aufbereitet verstehen wollen:
Daniel Kehlmann, „Mahlers Zeit“, Suhrkamp Taschenbuch 3238
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