II Newtonsche Mechanik

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II
Newtonsche Mechanik
16
Die Newtonschen Axiome
In der Newtonschen oder klassischen Mechanik stehen drei Axiome an der Spitze,
die nicht unabhängig voneinander sind:
1. das Trägheitsgesetz,
2. die dynamische Grundgleichung,
3. das Wechselwirkungsgesetz,
und als Zusatz die Unabhängigkeitssätze zur Überlagerung von Kräften und Bewegungen.
Voraussetzungen der Newtonschen Mechanik sind:
1. Die absolute Zeit; das bedeutet, daß die Zeit in allen Koordinatensystemen
gleich ist, d. h. invariant ist: t = t . Man kann in allen Koordinatensystemen
feststellen, ob ein Ergebnis gleichzeitig ist, weil man sich in der klassischen
Physik vorstellen kann, daß Signale mit unendlich großer Geschwindigkeit
ausgetauscht werden.
2. Der absolute Raum; das bedeutet, daß es ein absolut ruhendes Koordinatensystem gibt, das den ganzen Raum aufspannt. Dieser absolute Raum kann durch
den Weltäther repräsentiert gedacht werden, welcher absolut ruhen soll und
gewissermaßen den absoluten Raum verkörpert. Newton selbst hat an den Äther
nicht geglaubt; er konnte sich den absoluten Raum auch leer vorstellen. In
jüngster Zeit wurde die 2.7 Kelvin-Strahlung beobachtet. Sie stammt aus dem
Urknall, in dem unser Universum wahrscheinlich entstanden ist. Ein Koordinatensystem, in dem diese Strahlung isotrop, d. h. in allen Richtungen gleich stark
ist, könnte ebenfalls als ein solch absolutes Koordinatensystem dienen.
3. Die von der Geschwindigkeit unabhängige Masse.
4. Die Masse eines abgeschlossenen Systems von Körpern (oder Massenpunkten)
ist von den sich in diesem System abspielenden Prozessen, gleich welcher Art
diese sein mögen, unabhängig.
Die absolute Zeit und der absolute Raum, sowie auch die von der Geschwindigkeit unabhängige Masse gehen in der speziellen Relativitätstheorie verloren. Die
4. Voraussetzung schließlich ist in hochenergetischen Prozessen wie p + p →
p + p + π + + π − nicht mehr erfüllt. Hier werden neue Massen erzeugt.
Newton hat seine Axiome im wesentlichen wie folgt formuliert:
Lex prima: Jeder Körper verharrt in seinem Zustand der Ruhe oder gleichförmigen
geradlinigen Bewegung, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird,
seinen Zustand zu ändern.
Newton, I.
(1643–1727)
→ S. 122
122
II Newtonsche Mechanik
Lex secunda: Die Änderung der Bewegung ist der Einwirkung der bewegenden
Kraft proportional und geschieht nach der Richtung derjenigen geraden Linie, nach
welcher jene Kraft wirkt.
Lex tertia: Die Wirkung ist stets der Gegenwirkung gleich, oder die Wirkungen
zweier Körper aufeinander sind stets gleich und von entgegengesetzter Richtung.
Lex quarta: Zusatz zu den Bewegungsgesetzen: Regel vom Parallelogramm der
Kräfte, d. h. Kräfte addieren sich wie Vektoren. Damit wird das Superpositionsprinzip der Kraftwirkungen festgelegt (das Prinzip der ungestörten Überlagerung).
Da im folgenden nur Punktmechanik betrieben werden soll, muß die Modellvorstellung des Massenpunktes eingeführt werden. Man sieht hierbei von Form, Größe
und Drehbewegungen eines Körpers ab und betrachtet nur seine fortschreitende
Bewegung. Dann lauten die Newtonschen Axiome in moderner Form:
Axiom 1: Jeder Massenpunkt verharrt im Zustand der Ruhe oder der geradlinig
gleichförmigen Bewegung, bis dieser Zustand durch das Einwirken anderer Kräfte
I SAAK N EWTON
Isaak Newton, geb. 4.1.1643 Woolsthorpe (Lincolnshire), gest. 31.3.1727 London. – Newton studierte
seit 1660 am Trinity-College in Cambridge, bes. bei dem bedeutenden Mathematiker und Theologen
L. Barrow. Nach Erwerb verschiedener akadem. Grade und einer Reihe wesentl. Entdeckungen wurde
Newton 1669 Nachfolger seines Lehrers in Cambridge, war seit 1672 Mitglied der Royal Society und
seit 1703 ihr Präsident. 1688/1705 war er auch Parlamentsmitglied, seit 1696 Aufseher und seit 1701
Münzmeister der köngliche Münze. – Newtons Lebenswerk umfaßt neben theologischen, alchemistischen
und chronologisch-historischen Schriften vor allem Arbeiten zur Optik und zur reinen und angewandten
Mathematik. In seinen optischen Untersuchungen stellt er das Licht als Strom von Korpuskeln dar und
deutet damit das Spektrum und die Zusammensetzung des Lichtes sowie die N.schen Farbenringe, Beugungserscheinungen und die Doppelbrechung. Sein Hauptwerk „Philosophiae naturalis principia mathematica“ (Druck 1687) ist grundlegend für die Entwicklung der exakten Wissenschaften. Es enthält z. B. die
Definition der wichtigsten Grundbegriffe der Physik, die drei Axiome der Mechanik markoskop. Körper,
z. B. das Prinzip der „actio et reactio“, das Gravitationsgesetz, die Ableitung der Keplerschen Gesetze und
die erste Veröffentlichung über Fluxionsrechnung. Auch Überlegungen zur Potentialtheorie und über die
Gleichgewichtsfiguren rotierender Flüssigkeiten stellte Newton an. Die Ideen für das große Werk stammten
vorwiegend aus den Jahren 1665/66, als Newton vor der Pest aus Cambridge geflohen war:
In der Mathematik befaßte sich Newton mit der Reihenlehre, z. B. 1669 mit der binomischen Reihe, mit
der Interpolationstheorie, mit Näherungsverfahren und mit der Klassifizierung kubischer Kurven und der
Kegelschnitte. Logische Schwierigkeiten konnte Newton allerdings auch mit seiner 1704 ausführlich dargestellten Fluxionsrechnung nicht überwinden. – Sein Einfluß auf die Weiterentwicklung der mathematischen
Wissenschaften ist schwer zu beurteilen, da Newton außerordentlich ungern publizierte. Als Newton z. B.
seine Fluxionsrechnung allgemein bekannt machte, war seine Art der Behandlung von Problemen der
Analysis gegenüber dem Kalkül von Leibniz bereits veraltet. Bis ins 20. Jh. zog sich der Streit hin, ob ihm
oder Leibniz die Priorität für die Entwicklung der Infinitesimalrechnung gebührte. Detailuntersuchungen
haben gezeigt, daß jeder auf diesem Gebiet unabhängig vom anderen zu seinen Ergebnissen kam.
16 Die Newtonschen Axiome
(d. h. durch Übertragung von Kräften) beendet wird. Es handelt sich also um einen
Spezialfall des zweiten Axioms. Wenn nämlich
−−−→
F = 0,
so ist also
m · v = const.
Wegen der vorausgesetzten Geschwindigkeitsunabhängigkeit der Masse gilt also:
−−−→
v = const.
Bezeichnet man die „Bewegungsgröße“ p = m·v als den linearen Impuls des Massenpunktes, so ist das Trägheitsgesetz identisch mit dem Satz von der Erhaltung
des linearen Impulses.
Axiom 2: Die erste zeitliche Ableitung des linearen Impulses p eines MassenpunkF:
tes ist gleich der auf ihn einwirkenden Kraft v)
p
d
d(m
·
F =
=
,
dt
dt
wobei
p = mv
der lineare Impuls ist.
Da die Masse im allgemeinen eine geschwindigkeitsabhängige Größe ist, also auch
zeitabhängig ist, darf sie nicht ohne weiteres vor die Klammer gezogen werden. In
der nichtrelativistischen, Newtonschen Mechanik (v c; c = 3 · 108 m · s−1 ) wird
m jedoch als unabhängig von der Zeit behandelt und man erhält so die dynamische
Grundgleichung:
2
F = m dv = m d r = ma.
dt
dt 2
Das heißt, die Beschleunigung a eines Massenpunktes ist der auf ihn wirkenden
Kraft direkt proportional und fällt mit der Richtung der Kraft zusammen.
Wirken gleichzeitig mehrere Kräfte auf einen Massenpunkt, so lautet die obige
Beziehung gemäß dem Superpositionsprinzip der Kräfte
n
dp
Fi .
= ∑
dt
i=1
Axiom 3: Die von zwei Massenpunkten aufeinander ausgeübten Kräfte haben
gleiche Beträge und entgegengesetzte Richtung; Kraft = – Gegenkraft:
Fi j = −Fji ,
wobei i = j.
Fi j ist hier die Kraft, die vom j-ten Punkt auf den i-ten Punkt ausgeübt wird. Fji
die, die vom i-ten auf den j-ten Punkt ausgeübt wird.
F = d(mv)/ dt ist zum einen Definition der Kraft,
Bemerkung: Die Beziehung zum anderen Gesetz. Das Gesetzliche daran ist, daß z. B. die erste zeitliche
Ableitung des linearen Impulses vorkommt und nicht die dritte oder vierte oder
dgl. Da die Kraft die Ableitung eines Vektors nach einem Skalar (der Zeit) ist,
ist sie selbst ein Vektor. Es gilt also für die Addition von Kräften z. B. das
Parallelogrammgesetz.
123
124
II Newtonsche Mechanik
Einfache Seilrolle
Aufgabe 16.1
e
T
T
W1
Ein Gewicht W1 = M1 g hängt an einem Seilende. Hier ist
g = 980 cm/s2 die Erdbeschleunigung. Am anderen Ende des
Seils, welches über eine Rolle hängt, zieht sich ein Junge mit
dem Gewicht W2 = M2 g hoch. Seine Beschleunigung relativ
zur festverankerten Rolle sei a. Mit welcher Beschleunigung
bewegt sich das Gewicht W1 ?
W2
Ein Junge und ein Gewicht
hängen am Ende des Seils.
Lösung:
Sei b die Beschleunigung von W1 und T die Seilspannung, dann lauten die Newtonschen
Bewegungsgleichungen
a) für die Masse M2 (Mensch):
−M2 · ae = M2 ge − T e ,
b) für die Masse M1 (Gewicht W1 ):
M1 be = M1 ge − T e .
(1)
(2)
Das sind zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten (T, b). Ihre Lösung kann sofort angegeben werden:
T = M2 (a + g),
T
M
b =g−
= g − 2 (a + g)
M1
M1
M
= g − 2 (a + g)
M1
(M1 − M2 )g − M2 a
.
=
M1
Aufgabe 16.1
(3)
(4)
Wenn M1 = M2 ist, folgt b = −a, wie es sein sollte. Andererseits, wenn a = 0, folgt
b = (M1 − M2 )/M1 · g, und verschwindet erwartungsgemäß für den Fall M1 = M2 .
Doppelte Seilrolle
Aufgabe 16.2
An einem Seil über einer Rolle A hängt an einem Ende die Masse M1 (vgl. Figur). Am
anderen Ende hängt eine zweite Rolle mit der Masse M2 , über der wiederum ein Seil mit den
Massen m1 bzw. m2 an dessen beiden Enden hängt. Auf alle Massen wirkt die Schwerkraft.
Berechnen Sie die Beschleunigung der Massen m1 und m2 , sowie die Spannungen T1 und
T in den Seilen.
16 Die Newtonschen Axiome
125
Aufgabe 16.2 Lösung:
Wie führen den Einheitsvektor e⊥ nach oben ein (siehe Figur)
T1 = T1e (siehe
und nennen die Fadenspannungen T = Te bzw. Figur). An den einzelnen Massen greifen also sowohl die Fadenspannung (das ist die Kraft im Seil) als auch die Schwerkraft
an. Wir schreiben nun nach dem Newtonschen Grundgesetz
die Bewegungsgleichungen für die einzelnen Massen der Reihe
nach auf.
M1 a1e
= −M1 ge + Te,
−M2 a1e
= −M2 ge + Te − 2T1e,
m1 (a2 − a1 )e
= −m1 ge + T1e,
m2 (−a2 − a1 )e = −m2 ge + T1e.
A
T
T
M1
M2
(1)
Dabei haben wir die Beschleunigung der Masse M1 mit a1e bezeichnet, die der Masse M2 ist dann (wegen konstanter Seillänge) −a1e; die Beschleunigung der Masse m1 relativ zur Masse
M2 ist a2e, die der Masse m2 ist −a2e. (1) stellt ein System
von 4 Gleichungen mit den vier Unbekannten a1 , a2 , T, T1 dar.
Subtraktion der zweiten Gleichung von der ersten ergibt
T1
m2
T1
m1
e
Massen und Kräfte an der doppelten
Seilrolle.
(M1 + M2 )a1 = −(M1 − M2 )g + 2T1 .
(2)
Die Addition der beiden letzten Gleichungen von (1) führt auf
−(m1 + m2 )a1 + (m1 − m2 )a2 = −(m1 + m2 )g + 2T1 .
(3)
Die Subtraktion von (3) von (2) liefert dann eine Beziehung zwischen a1 und a2 :
(M1 + M2 + m1 + m2 )a1 − (m1 − m2 )a2 = (−M1 + M2 + m1 + m2 )g.
(4)
Eine zweite Beziehung dieser Art wird durch Subtraktion der beiden letzten Gleichungen
(1) voneinander erhalten, nämlich
−(m1 − m2 )a1 + (m1 + m2 )a2 = −(m1 − m2 )g.
Aus Gleichungen (4) und (5) findet man nun die Beschleunigung a1 und a2 :
−M1 (m1 + m2 ) + M2 (m1 + m2 ) + 4m1 m2
g,
a1 =
(m1 + m2 )(M1 + M2 ) + 4m1 m2
−2M1 (m1 − m2 )
a2 =
g,
(m1 + m2 )(M1 + M2 ) + 4m1 m2
so daß die Gesamtbeschleunigung der Masse m1 sich zu
−M1 m1 + 3M1 m2 − M2 (m1 + m2 ) − 4m1 m2
a2 − a1 =
g
(m1 + m2 )(M1 + M2 ) + 4m1 m2
ergibt und die der Masse m2 :
−3M2 m2 + M2 m1 + M1 (m1 + m2 ) − 4m1 m2
(−a2 − a1 ) =
g.
(m1 + m2 )(M1 + M2 ) + 4m1 m2
Wären alle Massen gleich (M1 = M2 = m1 = m2 ), so wären
1
a2 = 0
a2 − a1 = − g,
2
(5)
(6)
(7)
(8)
(9)
126
II Newtonsche Mechanik
und
1
−a2 − a1 = − g,
2
a1 =
1
g,
2
(10)
wie man es erwarten würde. Die Fadenspannung T1 erhalten wir mit (6) aus Gleichung (2)
nach leichter Rechnung zu
1
1
(M + M2 )a1 + (M1 − M2 )g
2 1
2
4m1 m2 M1
=
g.
(m1 + m2 )(M1 + M2 ) + 4m1 m2
T1 =
(11)
Die Seilspannung T ergibt sich aus den ersten beiden Gleichungen (1) unter Benutzung von
(6) und (11) zu
(M1 + M2 )g
(M1 − M2 )a1
+
+ T1
2
2
= M1 a1 + M1 g = M1 (a1 + g)
2(m1 + m2 )M1 M2 + 8m1 m2 M1
=
g.
(m1 + m2 )(M1 + M2 ) + 4m1 m2
T=
(12)
Gemäß (11) verschwindet T1 , wenn eine der Massen m1 , m2 , M1 verschwindet. Das Seil
rollt in diesem Fall ohne Spannung ab, wie wir es anschaulich erwarten. Die Seilspannung
T verschwindet, wenn entweder M1 = 0 ist oder M2 und eine der Massen m1 oder m2 (oder
beide) verschwinden. Verschwinden m1 = m2 = m = 0 und ist M1 = 0, M2 = 0, so resultiert
ein Limes m → 0.
2M1 M2
g.
T =
M1 + M2
Das ist die Seilspannung im Fall der einfachen Rolle mit den beiden Massen M1 und M2 an
beiden Seilenden.
Aufgabe 16.2
17
Grundbegriffe der Mechanik
P
z
Inertialsysteme:
z’
r’
r
x’
0’
y’
’
r-r
R=
0
y
x
Der Punkt P in Bezug auf die beiden
Koordinatensysteme x , y, z und
x , y , z .
Wir suchen die Kräfte, die auf einen Massenpunkt P
wirken, in zwei relativ zueinander bewegten Koordinatensystemen x, y, z, und x , y , z für jeweils mitbewegte
Beobachter 0 bzw. 0 . r und r seien die Ortsvektoren
von P in x, y, z bzw. in x , y , z . Man erhält dann den
Ortsvektor von 0 nach 0 als Differenz r −r = R.
Es gilt nach der Newtonschen Grundgleichung:
2 2
F = m d r
2
dt
und
F = m d r .
2
dt
(17.1)
17 Grundbegriffe der Mechanik
127
Die Differenz der beobachteten Kräfte ist:
2
2
F − F = m d (r −r ) = m d R .
2
2
dt
(17.2)
dt
Wegen m = 0 ist diese Differenz dann und nur dann Null, wenn gilt:
d2R
= 0 bzw.
dt 2
dR −−−→
= const. = vR .
dt
(17.3)
Das bedeutet, die Kräfte sind dann gleich, wenn die beiden Koordinatensysteme
sich mit konstanter Geschwindigkeit vR relativ zueinander bewegen. Solche Systeme nennt man Inertialsysteme, wenn eines von ihnen – und damit alle – die
Newtonschen Axiome erfüllt. Die Tatsache, daß in solchen Inertialsystemen die
Newtonschen Gleichungen (17.1) der Form nach gleich und auch die Kräfte gleich
F =
F ) heißt klassisches Relativitätsprinzip.
sind (
Messung von Massen: Massen werden durch Vergleich
mit einer willkürlich festgesetzten Einheitsmasse gemessen. Hat man drei verschiedene Massen m1 , m2 und m3 ,
wobei m1 die Einheitsmasse ist, so läßt sich z. B. m3 ausgehend vom 2. und 3. Newtonschen Gesetz als der Quotient der Beschleunigungen experimentell bestimmen:
dv1
dv3
= −m3
,
m1 a1 = −m3 a3
dt
dt
Kraft = −Gegenkraft.
m1
a1
a3
m1
m3
Zentraler Stoß.
m1
m3
Wirkung der Kraft im
nichtzentralen Stoß.
Daraus folgt:
m3 = m1
|a1 |
,
|a3 |
wobei m1 die Einheitsmasse ist und a1 bzw. a3 bestimmt werden können. Man
kann also m3 in Einheiten von m1 messen. Beim Meßprozeß (Stoß) werden die
Grundgesetze (2. und 3. Newtonsche Gesetz) benutzt.
Entsprechend gilt dann auch
m2 = m1
|a1 |
.
|a2 |
(17.4)
F ruft eine Verschiebung eines Massenpunktes M um ein
Arbeit: Eine Kraft infinitesimal kleines Wegelement dr hervor und leistet die Arbeit dW , die wie
folgt definiert ist:
F · dr = |
F | | dr | cos(
F , dr).
dW = 128
II Newtonsche Mechanik
Die Einheit dieses Skalars ist also:
g · cm2
= 1 erg oder
s2
kg · m2
= 1 N · m ⇒ 1 erg =
10−7 N · m.
s2
kg · m
die Einheit der Kraft.
Hierbei ist 1 Newton (N) =
s2
Die gesamte Arbeit W , die zur Bewegung von M längs einer Kurve C zwischen den Punkten P1 und P2 notwendig
ist, ist durch folgendes Linienintegral gegeben:
P2
F
ϕ
M
C
dr
P1
Zur Erläuterung des
Arbeitsintegrals.
W=
F · dr =
P2
F · dr.
(17.5)
P1
C
Leistung ist verrichtete Arbeit pro Zeiteinheit:
dW
dr =
= F · v.
F·
dt
dt
(17.6)
Die Einheit der Leistung ist g cm2 /s3 = erg/s oder kg · m2 /s3 = N · m/s .
Kinetische Energie: Um einen Massenpunkt zu beschleunigen und ihn auf eine
bestimmte Geschwindigkeit zu bringen, muß Arbeit verrichtet werden. Diese steckt
dann in Form von kinetischer Energie im Massenpunkt. Wir gehen also von dem
Integral der Arbeit aus:
r2
W=
F · dr =
r1
v2
m
t1
F · v dt
t1
t2
=
t2
dv
1 · v dt = m d(v · v)
dt
2
v1
1
= m(v22 − v12 ) = T2 − T1 ,
2
1
T = m v 2 = kinetische Energie.
2
(17.7)
Konservative Kräfte: Von einer konservativen Kraft spricht man dann, wenn das
F darstellbar ist als:
Kraftfeld F = − grad V (x, y, z)
(Definition).
(17.8)
17 Grundbegriffe der Mechanik
129
Ist das der Fall, so sind die Arbeitsintegrale wegunabhängig:
P2
P2
F · dr = −
P1
grad V · dr
P1
P2
=−
dV
(siehe totales Differential, Abschnitt 11)
P1
= V (P1 ) − V (P2 ) ≡ V1 − V2
= −(V2 − V1 ).
(17.9)
Es gilt also:
W = V1 − V2 wobei V ein Skalarfeld ist, das jedem Punkt des Raumes einen
Zahlenwert zuordnet. W ist somit wegunabhängig. Das bedeutet aber weiterhin,
daß bei Integration um eine geschlossene Kurve die Gesamtarbeit Null sein muß:
F · dr = 0
(17.10)
C
bei konservativen Kräften. Eine äquivalente Forderung für konservative Kräfte ist:
F = ∇ × F =0
rot (17.11)
bei konservativen Kräften. In der Tat folgt auch direkt aus (17.8)
rot grad V (r) = 0.
(17.12)
F = −∇V , dann wird die skalare Größe V (x, y, z) potentielle
Potential: Gilt Energie, skalares Potential oder kurz Potential genannt:
V (x, y, z) = −
(x,y, z)
F · dr .
(17.13)
(x0 , y0 , z0 )
Potentielle Energie
Beispiel 17.1
Berechnung der potentiellen Energie zwischen zwei Punkten:
P2
W=
P2
F · dr
P1
(x0 ,y0 , z0 )
P2
F · dr +
=
P1
F · dr.
(x0 , y0 , z0 )
Voraussetzung ist ein konservatives Kraftfeld und somit Wegunabhängigkeit des Arbeitsintegrals.
W =−
P1
(x0 , y0 , z0 )
F · dr +
P2
(x0 , y0 , z0 )
P1
x0y0z0
Zur Veranschaulichung der potentiellen Energie in den Punkten P1
und P2 .
F · dr = V (x1 y1 z1 ) − V (x2 y2 z2 ).
130
Beispiel 17.1
II Newtonsche Mechanik
Demnach handelt es sich bei der Arbeit um eine Potentialdifferenz, die von der Wahl des
Bezugspunktes unabhängig ist. Das Potential selbst ist immer relativ zu einem Bezugspunkt
(x0 , y0 , z0 ) definiert und daher um eine additive Konstante unbestimmt. Der Nullpunkt des
Potentials kann willkürlich festgelegt werden. Diese Willkür entspricht der (willkürlichen)
additiven Konstanten im Potential.
Energiesatz: Bei der Herleitung der kinetischen Energie fanden wir folgende
Beziehung für die Arbeit:
W = T2 − T1 .
Für konservative Felder gilt auch noch die andere Beziehung zwischen denselben
Punkten P1 und P2 :
W = V1 − V2 .
Daraus folgt
T2 + V2 = T1 + V1 .
(17.14)
Das ist der Energieerhaltungssatz (kurz: Energiesatz), wobei T + V = E die
Gesamtenergie des Massenpunktes repräsentiert.
Ausführlich geschrieben lautet der Erhaltungssatz der Energie:
P2
P1
1
1 2
F · dr = mv12 + − F · dr
mv2 + − 2
2
P0
(17.15)
P0
oder
1
1
mv22 + V2 = mv12 + V1
2
2
oder
E2 = E1 .
Die Voraussetzungen für diesen Energieerhaltungssatz für die Bewegung eines
Massenpunktes sind:
1. Die Grundannahmen und Grundgesetze der Newtonschen Mechanik (z. B.
nichtrelativistische Behandlung der Masse).
2. Konservative Kraftfelder, d. h. die Kräfte lassen sich als der negative Gradient
eines Potentials schreiben. Dann gilt in zeitlich konstanten Kraftfeldern: E =
T + V = const.
Äquivalenz von Kraftstoß und Impulsänderung: Wirkt auf einen Massenpunkt
während eines Zeitintervalls t = t2 − t1 eine Kraft, so nennt man das Zeitintegral
über diese Kraft einen Kraftstoß:
t2
t1
F (t) dt = Kraftstoß.
(17.16)
17 Grundbegriffe der Mechanik
131
Der Kraftstoß ist der Impulsänderung bzw. der Impulsdifferenz äquivalent. Das
sehen wir folgendermaßen:
Aus der Definition des linearen Impulses p = mv und aus der 2. Newtonschen
Grundgleichung folgt:
t1
F dt =
t2
t1
t2
d
(mv) dt = d(mv) = mv2 − mv1 = p2 − p1 . (17.17)
dt
t1
Eine wirkende Kraft hat also eine Impulsänderung zur
Folge, und zwar nur des Betrages, wenn F in Richtung
F in
von p1 liegt, bzw. von Betrag und Richtung, wenn beliebigem Winkel zu p1 steht.
F während der Zeit Δt, so ändert sich der
Wirkt die Ktaft Impuls um F Δt = p2 − p1 . Nach dem Stoß bewegt sich
die Masse geradlinig mit p2 weiter.
p1=mv1
m
m
F.
Δt
t2
p2=mv2
p1
p 2- p 1=F .Δt
Situation vor (oben) und nach
(unten) dem Kraftstoß.
Impulsstoß durch zeitabhängiges Kraftfeld
Aufgabe 17.1
Ein Teilchen mit der Masse m = 2 g bewegt sich in dem zeitabhängigen homogenen Kraftfeld:
2
F = 24 t , 3 t − 16, − 12 t dyn.
s
s2 s
cm
Hierbei ist 1 dyn = 1 g · 2 = 10−5 N und 1 N = 1 Newton =
s
m
1 kg · 2 .
s
Die Anfangsbedingungen sind:
F ( t 1)
F ( t 2)
Kraftfeld zu verschiedenen Zeiten t1
und t2 : überall im Raum gleich
(homogen), aber zeitlich veränderlich.
Es gilt also für eine feste Zeit t :
r(t=0) = r0 = (3, − 1, 4) cm
rot F (t ) = 0,
und
v(t=0) = v0 = (6, 15, − 8)
cm
.
s
weil F (t ) räumlich konstant ist. Es gibt
daher ein zeitabhängiges Potential.
Man gebe folgende Größen an:
1. Die kinetische Energie zur Zeit t = 1 s und t = 2 s.
2. Die vom Feld geleistete Arbeit, um das Teilchen von r1 = r(t=1 s) nach r2 = r(t=2 s) zu
bewegen.
3. Den linearen Impuls des Teilchens in r1 und r2 .
4. Den Impuls, den das Feld dem Teilchen im Zeitintervall t = 1 s bis t = 2 s erteilt hat.
132
II Newtonsche Mechanik
Lösung:
F = ma = m
1. v ergibt sich aus v =
dv =
F
m
dv
zu:
dt
dt + v0 .
Mit den Angaben der Aufgabe erhält man für v also:
3
t2
cm
cm
t 3 t2
t
+ (6, 15, − 8)
v(t) = 4 3 , 2 − 8 , − 3 2
s
s
s
s 4s
s
und
3
4
v(t=1 s) = 10, 7 , − 11
cm
,
s
cm
.
s
Daraus erhält man für die Energie:
v(t=2 s) = (38, 2, − 20)
1
1
mv 2 = m v 2 ,
2
2
T2 = 1848 erg.
T1 = 281 erg,
T =
2. Die vom Feld verrichtete Arbeit ist gleich der Differenz der kinetischen Energien:
W = T2 − T1 = 1567 erg.
3. Der Impuls des Teilchens ist p = mv :
cm
1
,
p1 = 20, 15 , − 22 g ·
2
s
cm
.
p2 = (76, 4, − 40) g ·
s
4. Der vom Feld erhaltene Impuls ergibt sich aus der Differenz der Impulse p2 und p1 :
cm
1
.
p = p2 − p1 = 56, − 11 , − 18 g ·
2
s
Aufgabe 17.1
Kraftstoß
Aufgabe 17.2
Ein Eisenbahnwaggon der Masse m = 18 000 kg startet auf einem Ablaufberg der Höhe
3 m. Wie ändert sich der Impuls des Waggons und welche mittlere Kraft wird auf ihn beim
Aufprall auf einen Prellbock am Fuß des Ablaufberges ausgeübt, wenn er innerhalb von
0,2 s
a) zum Stillstand kommt,
b) zurückprallt auf eine Höhe von 0,5 m?
Diskutieren Sie die Impulserhaltung.
17 Grundbegriffe der Mechanik
133
Lösung:
Beim Aufprall hat der Waggon einen Impuls p1 , der sich aus der potentiellen Energie beim
Start vom Ablaufberg ergibt:
1
m v12 = mgh
2
⇒
p1 = mv1 = m(2gh)1/2e1 .
Im Fall a) ist der Impuls p2 nach dem Aufprall gleich Null, also
Δp = p1 − p2 = m(2gh)1/2e1
= 138 096,5 m · kg · s−1 · e1 ;
die innerhalb Δt = 0,2 s wirkende mittlere Kraft ist dann:
F = Δp = 690 482,4 N.
Δt
Im Fall b) ist der Impuls p2 gegeben durch
p2 = mv2 = −m(2gh )1/2e1 ,
wobei h die beim Zurückprallen gewonnene Höhe ist. Die Impulsänderung ist dann:
Δp = p1 − p2 = me1 (2gh)1/2 + (2gh )1/2
= 194 474,1 m · kg · s−1 e1 .
Für die mittlere Kraft erhalten wir:
F = Δp = 972 370,7 N.
Δt
Der Waggon alleine stellt kein abgeschlossenes System dar: Die vom fest verankerten
Prellbock ausgeübte Reaktionskraft ist eine äußere Kraft, daher kann der Impuls nicht
erhalten sein.
Aufgabe 17.2
Das ballistische Pendel
Aufgabe 17.3
Die Geschwindigkeit einer Gewehrkugel kann mit Hilfe des
ballistischen Pendels gemessen werden. Dieses besteht aus einem Faden, dessen Gewicht vernachlässigt werden kann, und
einem daran befestigtem Gewicht der Masse mG . Die Gewehrkugel (Masse mK , Geschwindigkeit vK ) wird in den Klotz geschossen und bleibt stecken. Man mißt die vom Mittelpunkt der
Masse mG zurückgelegte Bogenlänge s.
a) Bestimmen Sie die Geschwindigkeit des Klotzes vG nach
dem Stoß, und
b) bestimmen Sie die Geschwindigkeit der Gewehrkugel vK ,
wenn die folgenden Größen gegeben sind: mG = 4 kg,
l = 1,62 m, mK = 0,055 kg, s = 6,5 cm.
θ
θ
l
m G+ m K
mK
mG
y
Ballistisches Pendel und Gewehrkugel.
h
134
II Newtonsche Mechanik
Aufgabe 17.3
Lösung:
a) Aus dem Impulserhaltungssatz folgt:
mK vK = (mG + mK )vG
(1)
und daraus für die Geschwindigkeit vG des Klotzes, direkt nach dem Stoß
mK
vG =
·v .
mG + mK K
Für die kinetische Energie erhält man sofort
T =
mK
1
2
(m + mK ) · vG
=
2 G
mG + mK
1
2
mK vK
.
2
(2)
(3)
Diese Energie ist identisch mit der um den Faktor mK /(mG +mK ) reduzierten kinetischen
Energie der Gewehrkugel. Man mag sich wundern, warum die kinetische Energie des
2 ist. Wo steckt die Verlustenergie
Klotzes nicht gleich der der Kugel 12 mK vK
1
mG
1
1
mK
2
2
2
mK vK
mK vK
=
?
−
ΔE = mK vK
2
mG + mK 2
mG + mK 2
Sie muß offensichtlich der Wärme der beim Steckenbleiben des Geschosses entstehenden Wärme entsprechen. Für mG mK wandelt sich fast die gesamte Geschoßenergie
in Wärme um.
Es ist noch ein zweiter Punkt beachtenswert: Zur Berechnung der Geschwindigkeit vG
des Klotzes gingen wir vom Impulssatz (1) aus und nicht etwa, wie zunächst denkbar,
2 = 1 (m + m )v 2 ). Welche dieser beiden Möglichkeiten ist
vom Energiesatz ( 12 mK vK
K G
G
2
nun richtig? Die Tatsache, daß es überhaupt zwei Möglichkeiten zu geben scheint,
liegt in der unvollständigen Aufgabenstellung begründet. Im Grunde müßte noch der
Prozentsatz der in Wärme umgewandelter Energie gegeben sein. Ohne Kenntnis dieses
Bruchteils können wir jedoch auch so argumentieren: Aus Erfahrung wissen wir, daß
beim Steckenbleiben der Kugel keine kleineren Teile des Klotzes (kleinste Stücke,
Moleküle) wegfliegen, sondern der Klotz sich als Ganzes bewegt. Der Klotz selbst
wird durch Reibung der Kugel auch wärmer. Es muß also auf alle Fälle der Impulssatz
streng gelten, denn die Wärme als ungeordnete Molekülbewegung trägt im Mittel keinen
Impuls weg, wohl aber Energie. Mit anderen Worten, nachdem der Impulssatz (1) streng
erfüllt ist, können wir uns sehr wohl vorstellen, daß die Verlustenergie ΔE in Wärme umgewandelt wurde. Hätten wir streng den Energiesatz ohne Wärmeentwicklung
1
1
2
2
2 mK vK = 2 (mG + mK )vG gefordert, so ergäbe sich ein Verlustimpuls, von dem wir
nicht wüßten, was mit ihm geschehen würde.
b) Aus der Abbildung in der Aufgabenstellung ergibt sich für die Höhe des Blocks
h = l(1 − cos θ ) = 2l sin2
θ
2
und im Grenzfall kleiner Auslenkungen θ
2
2
θ
y
y2
h = 2l
= 2l
= ,
2
2l
2l
wobei sin θ = y/l und sin θ = θ .
(4)
(5)
17 Grundbegriffe der Mechanik
135
Die Änderung der potentiellen Energie des Blocks nach dem Auftreffen der Kugel ist
nach dem Energieerhaltungssatz (bei maximalem Ausschlag)
1
mK
2
m v .
(6)
ΔV = g(mG + mK )h = T =
mG + mK 2 K K
Aus den Gleichungen (5) und (6) erhält man dann für
gh =
m2K
y2
2
vK
=g
2
2l
2(mG + mK )
(7)
und in der Näherung mG + mK ≈ mG folgt die Geschwindigkeit der Kugel vK :
g
m
.
vK = G y
mK
l
(8)
Einsetzen der in der Aufgabenstellung gegebenen Variablen ergibt
m
9,81
4
−2
vK =
· 6,5 · 10
= 11,6 .
0,055
1,62
s
Aufgabe 17.3
Drehimpuls und Drehmoment sind immer in bezug auf
einen festen Punkt, den Drehpunkt, definiert. Ist r der
Vektor von diesem Punkt zum Massenpunkt, so ist der
Drehimpuls gegeben durch
L = r × p.
y
p
m
r
(17.18)
Legen wir das Koordinatensystem in den Bezugspunkt,
so ist r der Ortsvektor des Massenpunktes, p ist sein
linearer Impuls.
x
L =r x p
Zur Definition des Drehimpulses:
L = r × p.
L ist ein axialer Vektor.L definiert eine Achse durch den Drehpunkt, die Drehachse,
die senkrecht auf der von r und p aufgespannten Ebene steht.
Entsprechendes gilt auch für das Moment der Kraft, das
definiert ist als
D = r × F
y
(17.19)
und auch Drehmoment genannt wird.
F
m
r
Die zeitliche Änderung des Drehimpulses ist gleich dem
Drehmoment:
L˙ = D,
denn
D=r x F
Zur Definition des
D = r × F.
Drehmomentes: L˙ = dL = d (r × mv) = dr × mv +r × d(mv)
dt
dt
dt
dp
= r × = v × mv +r ×
F,
dt
weil v × mv = 0.
x
dt
(17.20)
136
II Newtonsche Mechanik
Das Moment der angreifenden Kraft (r × F ) ist gleich der zeitlichen Änderung des
Drehimpulses.
−−−→
˙
Ist speziell D = r × F = 0 = L, so folgt daraus, daß L = const. sein muß. Dies ist
der Drehimpulserhaltungssatz. r × F ist aber nur dann Null (die Trivialfäller = 0,
F = 0 ausgeschlossen), wennr und F in gleicher bzw. in entgegengesetzt gleicher
Richtung liegen. Eine Kraft, die ausschließlich in Richtung bzw. in entgegengesetzt
gleiche Richtung des Ortsvektors wirkt, nennt man Zentralkraft.
Daraus folgt:
Für Zentralkräfte gilt der Drehimpulserhaltungssatz:
−−→
L = −
D = 0.
const.,
weil
Satz von der Erhaltung des linearen Impulses: Solange keine Kräfte wirken, ist
der lineare Impuls p eine konstante Größe. Allgemein gilt
F = d(mv) = m dv ;
dt
dt
und daher folgt für F = 0.
m
dv
= 0.
dt
Daraus wiederum ergibt sich:
−−−→
mv = p = const.
Der Impulserhaltungssatz ist identisch mit der Lex prima von Newton.
Zusammenfassung: Voraussetzung der Erhaltungssätze von Energie, Drehimpuls und linearem Impuls für einen Massenpunkt in der Newtonschen Mechanik
(vgl. Einleitung) sind
a) Energieerhaltung: Wenn die Kräfte, die auf einen Massenpunkt wirken,
F = −∇V ), dann bleibt die Gesamtenergie
konservativ sind (Gradientenfeld: E = T + V des Massenpunktes erhalten.
b) Drehimpulserhaltung: Der Gesamtdrehimpuls L ist zeitlich unveränderlich,
wenn das angewendete (äußere) Drehmoment Null ist, d. h. wenn es sich um
F = 0).
Zentralkraftfelder handelt (r × c) Erhaltung des Impulses: Ist die gesamte äußere Kraft Null, so bleibt der
Gesamtimpuls erhalten (äquivalent mit der Lex prima von Newton).
Der Flächensatz: (siehe dazu auch den Abschnitt 26 über Planetenbewegungen,
insbesondere die Keplerschen Gesetze) Die Voraussetzungen und Inhalte der drei
Erhaltungssätze (Gesamtenergie, linearer Impuls, Drehimpuls) wurden bereits formuliert. Der Drehimpulserhaltungssatz gilt nur in Zentralkraftfeldern, wie sie z. B.
bei den Planetenbewegungen auftreten. Die Erhaltung des Drehimpulses bedeutet
sowohl die Konstanz seiner Richtung als auch die seines Betrages.
276
II Newtonsche Mechanik
28
Die Erde und unser Sonnensystem
Allgemeine Begriffe der Astronomie
Sterne: Sterne sind Himmelskörper (Sonnen) meist großer Massenkonzentration,
die auf Grund von Kernreaktionen Licht aussenden. In der Kernzone unserer
Sonne wird z. B. Wasserstoff (H) zu Helium (4 He) verbrannt. In anderen, älteren Sternen spielen sich höhere Verbrennungsprozesse ab, z. B. 34 He →12 C,
12
C +4 He →16 O usw. Sie sind im einzelnen recht subtil. Eine übersichtliche
Darstellung dieser Vorgänge ist zu finden in J. M. Eisenberg and W. Greiner:
Nuclear Theory 1: Nuclear Models, 3. Auflage, North Holland, Amsterdam (1987).
Planeten: Planeten sind Körper, die im Zentralkraftfeld eines Sternes umlaufen.
Sie können Licht reflektieren (das Verhältnis zwischen reflektiertem und eingestrahltem Lichtstrom heißt Albedo), leuchten aber von selbst praktisch (bis
auf Wärmestrahlung) nicht. Die weiteste Entfernung eines Planeten von seinem
Zentralkörper heißt Aphel, die kürzeste Perihel.
Meteore: Sammelname für die Leuchterscheinungen, die durch das Eindringen
fester Partikel (Meteorite) in die Erdatmosphäre verursacht werden. Die Meteorite,
die eine Größe von 10−3 g bis zu 106 kg besitzen können, fallen mit Geschwindigkeiten zwischen 10 und 200 km/s. ein und verglühen gewöhnlich vollständig.
Kometen: Kometen sind Himmelskörper geringer Massenkonzentration, die sich
(sehr wahrscheinlich alle) im Zentralkraftfeld eines Sternes bewegen. Ein Komet
besitzt einen Kern aus Staub und Eiskörnern. Bei ausreichender Sonnenbestrahlung
bildet er eine Gashülle (Koma) und einen Schweif aus. Die gesamte Länge kann
bis zu 300 Millionen km erreichen.
Satelliten: Satelliten sind Körper, die Planeten umkreisen. Man kann unterscheiden
zwischen natürlichen Satelliten, den Monden, und künstlichen (der erste war
Sputnik I (14.10.1957)). Bei Erdsatelliten bezeichnet man die weiteste und kürzeste
Entfernung von der Erde als Apogäum bzw. Perigäum.
Asteroiden und Planetoiden: Es handelt sich um Felsbrocken, deren Größe klein
ist gegen die der gewöhnlichen Planeten. Sie umkreisen die Sonne zwischen Mars
und Jupiter und besitzen meist ähnliche Bahndaten, so daß vermutet wurde, es handele sich um die Reste eines zerfallenen Planeten (Bahnen der Planetoiden kreuzen
sich). Es gibt auch Kommensurabilitätslücken innerhalb des Planetoidengürtels,
vermutlich durch den Jupiter verursacht.
Periode: Als Periode bezeichnet man bei jeder periodischen Bewegung die Zeit
für einen vollen Ablauf. In der Astronomie ist meist die siderische Umlaufzeit
gemeint; das ist die Zeit, die eine Masse für den vollständigen Umlauf um ihren
Zentralkörper benötigt.
28 Die Erde und unser Sonnensystem
277
Sonnensystem: Die Sonne bildet zusammen mit den zu ihr gehörenden Planeten
und deren Monden, sowie den Planetoiden, Kometen und Meteorschwärmen das
Sonnensystem.
Ekliptik: Die Ebene, in der der Schwerpunkt des Erde-Mond-Systems die Sonne
umkreist, nennt man Ekliptik.
Bestimmung astronomischer Größen
Es soll jetzt kurz angedeutet werden, wie man praktisch astronomische Größen
bestimmt.
Die Entfernung der Planeten zur Erde
a) Die Entfernungen lassen sich durch Triangulation bestimmen. Aus der Messung
der Beobachtungswinkel des Planeten von zwei Punkten und deren gegenseitigem Abstand läßt sich der Abstand zum Planeten berechnen.
N
Parallaxe
S
Erde
Planet
Prinzip der Entfernungsmessung
durch Triangulation.
b) Die Entfernungen lassen sich durch Radar bestimmen. Da man die Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen kennt, kann man aus
der Laufzeit des Radarsignals auf die Entfernung schließen. Diese Methode
funktioniert nur für die unmittelbaren Nachbarn der Erde.
c) Im Sinne von a) läßt sich auch die Erdbahn als Basis für die Triangulation
verwenden, um die Entfernung der näheren Fixsterne zu messen.
d) Die Sonne (und die Planeten) bewegt sich etwa 610 Mill. km/Jahr (oder 4.09
Astron. Einh./Jahr) gleichförmig in Richtung des Sonnenapex im Sternbild
Herkules (vgl. später: Ein Modell der Sonnenumgebung). Das kann auch zur
Parallaxenbestimmung und damit zur Entfernungsmessung von Fixsternen bis
mehr als 100 Lichtjahre Distanz benutzt werden.
Bestimmung der Entfernung weit entfernter astronomischer Objekte
Das Universum expandiert. Je weiter entfernt sich die astronomischen Objekte befinden, desto größer ist ihre Geschwindigkeit. Diese außergewöhnliche Entdeckung
machte Edwin Hubble bei der Untersuchung des weiträumigen Verhaltens von
Materie im Universum. Das Hubble-Gesetz
v = H0 d
erlaubt die Bestimmung der Entfernung d von extragalaktischen Objekten aus
ihrer Fluchtgeschwindigkeit v, wenn der numerische Wert der Konstanten H0
Hubble, E.
(1889–1953)
→ S. 278
278
II Newtonsche Mechanik
bekannt ist. Im theoretischen Rahmen des Urknallmodells ist das Hubble-Gesetz
ganz plausibel. Materie, die mit hoher Anfangsgeschwindigkeit erzeugt wurde,
durchläuft in der Zeit T den größten Abstand d = vT , daher v = 1/T · d. Bei
nichtrelativistischen Geschwindigkeiten ist die Fluchtgeschwindigkeit v gleich
dem Produkt aus der Lichtgeschwindigkeit und der Rotverschiebung z, die aus
dem Spektrum des beobachteten Objekts bestimmt werden kann,
λ − λ0
z=
.
λ0
Hierbei ist λ die beobachtete Wellenlänge einer Referenzlinie im Linienspektrum
des Objekts, und λ 0 ist die Wellenlänge dieser Linie bei verschwindender Relativgeschwindigkeit zwischen Quelle und Beobachter. Ist die Schwingungsperiode des
emittierten Lichts gleich T , dann gilt λ 0 = cT und λ = (c + v)T , oder
λ0
λ
=
,
c
c+v
woraus man v = zc erhält.
Um die Hubble-Konstante H0 zu erhalten, müssen die Entfernungen eines geeigneten Satzes von Galaxien gemessen werden. Astronomische Entfernungen
werden üblicherweise Schritt um Schritt bestimmt, wobei man allmählich vom
Sonnensystem über nahe benachbarte Sterne zu immer weiter entfernten Objekten
vordringt und schließlich weit entfernte Galaxien erreicht 1) .
Der erste Schritt besteht in der Bestimmung der Ausdehnung des Sonnensystems und der Entfernungen der Planeten. Dies ist derzeit mit Hilfe von RadarLaufzeitmessungen mit hoher Genauigkeit möglich.
Der einzig mögliche Weg zur direkten Bestimmung größerer Entfernungen ist die
Methode der Triangulation. Diese Methode eignet sich zur Entfernungsbestimmung für Sterne in der Umgebung unserer Milchstraße. Hierbei wird die Änderung
der Richtung zu einem Stern bei Beobachtung von zwei verschiedenen Punkten
mit dem Abstand d aus gemessen. Die Linie zwischen den beiden Beobachtungspunkten wird Basislinie genannt, die Winkeldifferenz wird als Sternparallaxe
bezeichnet. Die Parallaxe ist gleich dem Winkel, unter dem die Basislinie bei
einer Beobachtung vom Stern aus erscheinen würde. Die Entfernung des Sterns
1)
Weitere Details über die Messung astronomischer und kosmologischer Entfernungen findet man
z. B. in Rowan-Robinson, M.: „The cosmological distance ladder“, W. H. Freeman and company,
1985
E DWIN H UBBLE
Hubble, Edwin (1889–1953). Amerikanischer Astronom, der am Mount Wilson Observatorium bei der
Lokalisierung von Cepheiden-Variablen in der Galaxie M31 (der Andromeda-Galaxie) im Jahre 1924, und
von NGC 6822 (1925), die extragalaktische Entfernungsskala bestimmt hat. Nach weiteren Entfernungsbestimmungen für den jeweils hellsten Stern in Galaxien schlug er 1929 das Hubble-Gesetz vor.
28 Die Erde und unser Sonnensystem
kann dann einfach trigonometrisch berechnet werden. Im idealen (und einfachsten)
Fall liegt der beobachtete Stern in einer Ebene, die zur Basislinie senkrecht steht
und diese in der Mitte schneidet. Die Entfernung ist dann in sehr guter Näherung
gegeben durch
b
d= ,
α
wobei b die Länge der Basislinie und α der Parallaxenwinkel ist. Die längste
verfügbare Basislinie ist die Linie zwischen zwei gegenüberliegenden Punkten
der Erdbahn um die Sonne. Dies ist auch der Ursprung der Entfernungseinheit
Parsec (pc). 1 pc ist der Abstand, von dem aus die Erdbahn unter dem Winkel von
einer Bogensekunde gesehen würde, oder – äquivalent – die Entfernung, die eine
Parallaxe von einer Bogensekunde ergibt. 1 Parsec entspricht 3,26 Lichtjahren.
Der Anwendungsbereich der Parallaxenmethode ist gegeben durch den Fehler bei
der Bestimmung des Winkels δ α und durch die Beschränkung in der Länge der
verfügbaren Basislinie. Bei Gaußscher Fehlerfortpflanzung ergibt sich für die mit
der Parallaxenmethode bestimmte Entfernung ein relativer Fehler von
δ d b = δα 1 = δα d.
d α2 d
b
Dies bedeutet, daß bei einem gegebenen Fehler in der Messung des Winkels α und
bei einer gegebenen Basislinie b nicht nur der absolute Fehler für die Entfernung
d, sondern auch der relative Fehler mit wachsender Entfernung zunimmt.
Die erste Sternparallaxe wurde von dem deutschen Astronomen Friedrich Wilhelm
Bessel gemessen. Im Jahre 1838 veröffentlichte Bessel für die Parallaxe des Sterns
61 Cygni seinen Wert von 0,314 Bogensekunden, dies entspricht einer Entfernung
von etwa 10 Lichtjahren. Der korrekte Wert der Parallaxe von 61 Cygni beträgt
0,292 Bogensekunden oder 11,2 Lichtjahre.
Während der 1990er Jahre hat die Satellitenmission Hipparcos die Parallaxe von
118,000 Sternen bis herab zu 1 Milli-Bogensekunde (mas) genau gemessen. Diese
Daten liefern eine sehr genaue Vorstellung über die Entfernungen in der Umgebung
unserer Milchstraße 1) . Aber auch schon vor dem Erscheinen der Hipparcos-Daten
gab es Möglichkeiten, Entfernungen jenseits des Anwendungsbereiches der Triangulationsmethode zu bestimmen. Mit Hilfe der Sternstromparallaxe (auch Fluchtpunktmethode genannt) kann man die Entfernung zu nahen offenen Sternhaufen
messen und somit die absolute Helligkeit von Hauptreihensternen bestimmen.
Die Methode der Sternstromparallaxe beruht auf der Bestimmung der beiden
Komponenten der Bewegung eines Sterns, die von der Erde aus beobachtet werden
können: die Radialgeschwindigkeit (Geschwindigkeit längs der Blickrichtung)
kann aus der Dopplerverschiebung im Sternspektrum bestimmt werden, während
1)
Siehe z. B. Perryman, M.: „The Hipparcos Astrometry Mission“, Physics Today (June 1998),
http://astro.estec.esa.nl/Hipparcos/.
279
280
II Newtonsche Mechanik
die Eigenbewegung des Sterns (die Bewegung auf der Himmelskugel) in eine
Transversalgeschwindigkeit umgerechnet werden kann, wenn die Entfernung des
Sterns bekannt ist. Die Kombination der beiden Geschwindigkeitskomponenten
ergibt den vollständigen dreidimensionalen Geschwindigkeitsvektor des Sterns.
Wenn andererseits die Richtung des Geschwindigkeitsvektors und die Radialgeschwindigkeit eines Sterns bekannt sind, dann kann die Entfernung des Sterns aus
der Eigenbewegung berechnet werden. Dies wird zur Entfernungsbestimmung mit
der Methode der Sternstromparallaxe benutzt.
Kennt man den scheinbaren Fluchtpunkt eines Sternhaufens mit einer kollektiven
Parallelbewegung, dann kann man die Transversalbewegung der Sterne in dem
Haufen aus der Messung ihrer Radialgeschwindigkeiten ableiten. Durch Vergleich
mit der Eigenbewegung lässt sich die Entfernung der Sterne bestimmen. Die
Genauigkeit dieser Methode beruht auf der großen Zahl gemessener Sterne. Das
prominenteste Beispiel für die Anwendung der Sternstromparallaxe ist die Bestimmung der Entfernungen der Hyaden, der Sterne, die einen offenen Haufen um
Aldebaran im Sternbild Stier bilden. Die damit erhaltene Entfernung der Hyaden
beträgt 45 pc. Die Bestimmung der Entfernung zu den Hyaden dient als Eichpunkt
für noch weiter hinaus reichende Methoden wie etwa die Cepheidenmethode.
Trägt man in einem Diagramm die absolute Helligkeit von Sternen über deren
Oberflächentemperatur auf, die aus ihren Spektren abgeleitet werden kann, so findet man eine große Klasse von Sternen, die eine ausgeprägte monotone Beziehung
zwischen diesen beiden Observablen aufweisen. Solche Sterne werden Hauptreihensterne genannt. Das Diagramm wird nach seinen Erfindern als HertzsprungRussell-Diagramm bezeichnet. Bei der Anpassung von großen Sternhaufen auf
der Hauptreihe wird diese Relation zwischen der Oberflächentemperatur und der
absoluten Helligkeit benutzt, um die absolute Helligkeit der Sterne und – durch
Vergleich mit den gemessenen scheinbaren Helligkeiten – die Entfernung des
Haufens abzuschätzen. Das Verhältnis der scheinbaren Helligkeiten von Sternen
in unterschiedlichen Haufen erlaubt daher Schlussfolgerungen über das Verhältnis
der Entfernungen der Haufen zum Sonnensystem.
Die Methoden der Sternstromparallaxe und der Anpassung an die Hauptreihe
erlauben somit die Entfernungsbestimmung von weit entfernten Sternhaufen. Beobachtet man Cepheidensterne in solchen Haufen, dann kann man die PeriodenHelligkeitsrelation dieser Klasse veränderlicher Sterne eichen und Entfernungen
bis zu 4 Mpc messen, die über die Milchstraße hinaus in extragalaktische Regionen
reichen.
Die Cepheiden sind eine Klasse von veränderlichen Sternen, die eine definite Relation zwischen ihren absoluten Helligkeiten (d. h. dem Gesamtbetrag an Energie, der
als sichtbares Licht abgestrahlt wird) und der Periode ihrer Helligkeitsschwankung
aufweisen. Sie sind nach dem ersten bekannten Objekt dieses Typs benannt, dem
veränderlichen Stern δ Cephei. Beobachtet man einen entfernten Cepheiden, dann
kann man aus der gemessenen Variationsperiode die absolute Helligkeit berechnen.
28 Die Erde und unser Sonnensystem
Durch Vergleich mit der scheinbaren Helligkeit (dem im Teleskop aufgefangenen
Licht) kann man die Entfernung des Sterns bestimmen. Um zuverlässige Ergebnisse zu erhalten, muß die Abschwächung des Lichts durch interstellare Materie
berücksichtigt werden.
Der für das Pulsieren der Cepheidensterne verantwortliche astrophysikalische
Mechanismus und die Beziehung zur absoluten Helligkeit sind recht gut bekannt.
Die moderne Astrophysik differenziert zwischen klassischen Cepheiden und W Virginis-Sternen, die unterschiedliche Lichtkurven und Spektren zeigen. Außerdem kennt man die relativ dunklen RR-Lyrae-Sterne, die an Hand ihrer kurzen
Perioden identifiziert werden können. RR-Lyrae-Sterne haben eine konstante Absoluthelligkeit, die zur Entfernungsbestimmung benutzt werden kann. Da sie aber
nicht so hell sind wie die Cepheiden, können sie nur bei kürzeren Entfernungen
verwendet werden.
Mit Hilfe von extragalaktischen Cepheiden kann man den absoluten Durchmesser
der H-II-Regionen von Galaxien bestimmen. Nimmt man an, daß die Durchmesser
von großen H-II-Regionen in unterschiedlichen Galaxien annähernd gleich groß
sind, so kann man die Entfernungen zu anderen Galaxien bestimmen. Nach dieser
Methode können Entfernungen bis zu 25 Mpc erreicht werden.
Die H-II-Regionen wurden so benannt, weil sie aus einfach ionisiertem Wasserstoff
bestehen. Die Annahme, daß diese Regionen, die vermutlich eine wichtige Rolle
bei der Sternbildung spielen, alle etwa die gleiche Größe haben, vertraut auf
die Hypothese, daß die UV-Strahlung aus dem Kern ihrer Galaxien, die sie zum
Leuchten bringt, immer die gleiche Reichweite hat. Dies würde bedeuten, daß der
beobachtbare Radius konstant ist.
Im nächsten Schritt werden die Entfernungen der H-II-Regionen benutzt, um
die absoluten Helligkeiten von sogenannten Sc-I-Galaxien zu bestimmen. In der
Hubble-Klassifizierung der Galaxien sind Sc-I-Galaxien eine Klasse von alten
Spiralgalaxien mit weiten offenen Spiralarmen und einem kleinen Kern. Alle
Galaxien dieser Klasse haben annähernd die gleiche absolute Helligkeit.
Misst man die scheinbare Helligkeit weit entfernter Sc-I-Galaxien, so kann man
unter Verwendung ihrer bekannten absoluten Helligkeit auf ihre Entfernung schließen. Dies erlaubt schließlich, die Beziehung zwischen der Entfernung und der
Rotverschiebung zu bestimmen und ergibt einen Wert für die Hubble-Konstante
H0 .
Bei jedem Schritt der Entfernungsmessungen existieren auch alternative Methoden. Neben der gut etablierten Cepheiden-Eichung kann man nach Novae suchen, die einer definiten Relation zwischen ihrer maximalen absoluten Helligkeit
und der Zeitskala der Helligkeitsabnahme genügen, oder man sucht nach hellen
Hauptreihensternen, die auf Grund ihrer Spektren identifiziert werden können
und deren absolute Helligkeit gut bekannt ist. Supernovae können noch in der
riesigen Entfernung von 400 Mpc beobachtet werden. Während alle Supernovae
281
282
II Newtonsche Mechanik
annähernd die gleiche absolute Helligkeit erreichen, ist dieser Wert nicht leicht
zu eichen. Eine weitere Methode benutzt die dritthellste Galaxie in einem kleinen
Galaxienhaufen, unter der Annahme, daß alle Galaxien dieser Art etwa die gleiche
absolute Helligkeit besitzen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß die dritthellste Galaxie
für diesen Zweck besser geeignet ist als die hellste oder zweithellste Galaxie. Eine
andere Möglichkeit zur Entfernungsbestimmung ist die Verwendung der hellsten
Kugelhaufen von fernen Galaxien. Schließlich verwendet eine radio-astronomische
Methode die beobachtete enge Beziehung zwischen der Halbwertsbreite der 21 cmLinie von Wasserstoff und der absoluten Helligkeit einer Galaxie im blauen
Spektralbereich.
Die Kombination von all diesen unterschiedlichen Methoden ergibt heutzutage ein
ziemlich kohärentes Bild über die Entfernungen im Universum. Der akzeptierte
Wert für die Hubble-Konstante aus verschiedenen Messungen mit dem Hubble
Space Telescope 1) ist H0 = 72 ± 8 km · s−1 · Mpc−1 .
Die Bahngeschwindigkeit der Planeten
a) Für kreisförmige Bahnen läßt sich die Geschwindigkeit aus den meßbaren
Größen Bahnradius und Umlaufdauer (Periode) bestimmen.
b) Für elliptische Bahnen läßt sich die Geschwindigkeit aus den meßbaren Halbachsen und der Periode bestimmen.
Die Masse der Planeten
a) Aus dem Gravitationsgesetz und der Gleichung für die Zentripetalkraft ergibt
sich die Beziehung γ M = 4π 2 a3 T −2 , siehe Gleichung (26.40). Das ist das
3. Keplersche Gesetz. M ist hierbei die Masse des Zentralkörpers, die im
Verhältnis zur Masse des umlaufenden Körpers groß ist. Aus dieser Gleichung
läßt sich die Sonnenmasse und die jedes Planeten, der Monde besitzt, errechnen.
b) Haben Planeten keine Monde, so bestimmt man ihre Masse aus den Bahnstörungen der Nachbarplaneten.
Die Rotationsgeschwindigkeit eines Planeten oder Sterns:
Die Rotationsgeschwindigkeit eines Planeten läßt sich aus der Beobachtung markanter Punkte an dessen Oberfläche bestimmen. Bei Sternen, die nur als punktförmige Lichtquellen sichtbar sind, versagt diese Methode. Bei ihnen kann man
aus dem Spektrum und der aufgrund des Dopplereffektes auftretenden Verzerrung
einer Spektrallinie auf die Rotationsgeschwindigkeit schließen (verschiedene Verschiebung – rot, blau – an entgegengesetzten Seiten des rotierenden Sterns). Der
Ostrand der Sonne zeigt z. B. eine Rot, der Westrand eine Blauverschiebung, aus
welcher eine Rotationsgeschwindigkeit der Sonnenoberfläche von 2 km/s folgt.
1)
Freedman, Wendy L. et al.: „Final Results from the Hubble Space Telescope Key Project to Measure
the Hubble Constant“, The Astrophysical Journal 553 (2001) 47–72.
28 Die Erde und unser Sonnensystem
283
Nachweis von Gasen im All:
In Sternen vorhandene Elemente lassen sich aus dem Spektrum des Sternlichtes
bestimmen. Bei Planeten muß jedoch beachtet werden, daß sie Licht nur reflektieren bzw. absorbieren. Man kann hierbei die Gase der Atmosphäre aus dem
Absorptionsspektrum ermitteln (Fraunhofersche Linien).
Die Gezeiten:
Zwei Massen befinden sich im Gravitationsfeld einer dritten Masse M (siehe
Figur).
Die erste Masse erfährt eine Beschleunigung a1 =
γ M/r12 , die zweite Masse wird mit a2 = γ M/r22 beschleua2
a1
M
nigt. Ein Beobachter auf einer der Massen stellt deshalb
Zwei Massen im Gravitationsfeld der
fest, daß sich die anderen Masse mit der Beschleunigung Masse M erfahren verschiedene Bea1 − a2 = γ M(1/r12 − 1/r22 ) von ihm wegbewegt. Auf- schleunigungen a1 und a2 auf Grund
grund der unterschiedlichen Stärke der Gravitationskraft der Inhomogenitäten des Gravitationswirkt also eine Kraft zwischen den beiden Massen, die feldes.
dadurch auseinander gezogen werden. Eine solche Kraft,
die immer auftritt, wenn das Gravitationsfeld inhomogen
ist, nennt man Gezeitenkraft, weil durch denselben Effekt
die Gezeiten auf der Erde entstehen.
Ebbe und Flut werden durch die Bewegung der Erde im Gravitationsfeld des
Mondes bewirkt. Im Punkt A bzw. B (siehe Figur) erfährt ein Körper aufgrund der
Anziehungskraft des Mondes (Masse MM ) die Beschleunigung a = γ MM /(r ± R)2 ,
wobei r der Abstand zwischen Erd- und Mondmittelpunkt und R der Erdradius ist.
C
Mond
aM
aM
az
A
S
M
az
B
Erde
D
Zur Erklärung der Gezeiten: Erde und
Mond kreisen um den gemeinsamen
Schwerpunkt S .
Die Taylor-Entwicklung liefert aM ≈ (γ MM /r2 )(1 ∓ 2R/r). Die Beschleunigung
im Erdmittelpunkt beträgt az = γ MM /r2 , so daß die Differenz aM − az = aM −
γ MM /r2 = ∓2γ MM R/r3 beträgt. Diese Differenz zeigt immer von der Erdoberfläche weg und beträgt 8 · 10−5 cm/s2 . Die Erdbeschleunigung wird also in den
Punkten A und B um diesen Betrag verringert.
Der gemeinsame Schwerpunkt S von Erde und Mond ist etwa 3/4 · R vom Erdmittelpunkt entfernt. Da der Schwerpunkt erhalten ist, bewegen sich Erde und
Mond mit gleicher Winkelgeschwindigkeit um diesen Punkt S. Der Erdmittelpunkt
284
II Newtonsche Mechanik
bewegt sich also auf einem Kreis mit Radius 3/4 · R um S. Diese Kreisbewegung
ist für alle Punkte der Erde gleich und führt zu einer Zentrifugalbeschleunigung az ,
die parallel zur Achse Erde-Mond und vom Kreismittelpunkt weggerichtet ist. Im
Erdmittelpunkt heben sich die Zentrifugalbeschleunigung und die Gravitationsbeschleunigung γ MM /r2 gerade auf.
Die Verringerung der Erdbeschleunigung in den Punkten A und B führt dazu, daß
sich dort Flutberge bilden. Da das Problem symmetrisch zur Achse Mond – Erde
ist, haben wir in einem zu dieser Achse senkrechten Ring durch C und D Ebbe. Mit
dem Mondumlauf und der Rotation der Erde um ihre Achse wandern die Punkte
A und B über die Erdoberfläche, so daß innerhalb von 24(3/4) h zweimal höchste
Flut an einem Ort auftritt.
Wäre die Erde nur von Ozeanen bedeckt, so würde die
Höhe des Flutberges etwa 90 cm betragen. Durch die
unterschiedlichen Formen der Küstenlinien können sich
die Zeiten der höchsten Flut verschieben und Flutberge
von mehreren Metern Höhe ausbilden.
Sonne
Neumond
Erde
Erde
Halbmond
Vollmond
Springflut
Nippflut
Zur Erklärung von Spring- und Nippflut.
Das Gravitationsfeld der Sonne bewirkt ebenfalls Gezeitenkräfte auf der Erde, die fast die Hälfte der Gezeitenkräfte des Mondes betragen. Wenn Sonne, Mond und
Erde auf einer Geraden liegen (also bei Vollmond und
bei Neumond, etwa alle 13(1/2) Tage), addieren sich die
Gezeitenkräfte und es entsteht eine besonders hohe Flut
(Springflut); bei Halbmond gibt es eine Nippflut (siehe
Figur).
Die Reibung zwischen den Wassermassen und der Erde führt zu einer Bremsung
der Erdrotation, so daß der Tag in den letzten 1000 Jahren um 0,0165 s länger
geworden ist. Da der Gesamtdrehimpuls des Erde-Mond-Systems erhalten ist, muß
die Abnahme des Drehimpulses der Erde von einer Zunahme des Drehimpulses
des Mondes begleitet sein. Der Drehimpuls des Mondes bezogen auf den Erdmittelpunkt ist
LMond = MM vr.
Die Gravitationskraft ist gerade gleich der Zentrifugalkraft:
γ ME MM
γ ME
MM v 2
=
⇒ v=
.
2
r
r
r
√
Also gilt: LMond = MM γ ME r. Wenn LMond zunimmt, nimmt also auch der Abstand
Erde–Mond zu. Diese Zunahme beträgt etwa 3 cm pro Jahr.
Die Übertragung vom Drehimpuls von der Erde auf den Mond wird im folgenden
in einem etwas vereinfachten Modell erklärt. Die Reibung zwischen den Wassermassen der Ozeane und der Erdkruste bewirkt, daß die beiden Flutberge hinter
der Achse Erde–Mond hinterherlaufen (siehe Figur). Die Unterschiede in den
28 Die Erde und unser Sonnensystem
285
Gravitationskräften N und F ergeben ein Drehmoment, das den Drehimpuls der
Erde verringert. Die Summe der am Mond angreifenden Gegenkräfte hat eine
Komponente in Richtung der Mondbewegung. Also existiert ein Drehmoment, das
den Drehimpuls des Mondes vergrößert.
Die Gezeitenkräfte der Erde auf den Mond haben bewirkt, daß der Mond immer
mit derselben Seite zur Erde steht: Die Mondrotation ist schon so weit abgebremst,
daß ihre Periode mit der Umlaufsdauer des Mondes übereinstimmt 1) .
N
N
Erde
Mond
F
F
Die Flutberge werden von
der Erdrotation teilweise
mitgerissen
Wirkung der Gezeitenreibung.
Erdpräzession und Erdnutation:
Bei den weiteren Betrachtungen wird stets berücksichtigt, daß die Himmelskörper
(z. B. Erde) ausgedehnt sind.
Pol der Ekliptik
Ekliptikebene
23,4°
L
N
S
Erdachse
Die Geometrie bei der Erdpräzession.
Da die Erde keine exakte Kugelform besitzt, sondern ein abgeplattetes Rotationsellipsoid ist, und da die Rotationsachse der Erde gegen die Ekliptik geneigt
ist, wird von der Sonne auf die Erde ein Drehmoment D ausgeübt, das der Erde
˙
die Drehimpulsänderung dL erteilt: L = D oder dL = D dt. Das Drehmoment
D und damit auch dL stehen senkrecht auf L. Weil das zu jeder Zeit so ist,
muß L auf einem Kegelmantel um die Polachse der Ekliptik laufen. So entsteht
der Präzessionskegel. Mehr darüber wird in der Kreiseltheorie in Mechanik II
besprochen.
1)
Wir empfehlen zur Lektüre: Peter Brosche: Die Abbremsung der Erdrotation, Physik in unserer Zeit,
Vol. 20 (1989) Heft 3, Seite 70.
286
II Newtonsche Mechanik
Wir betrachten das Problem unter der Annahme, die Erde werde von der Sonne
umkreist und die Sonnenmasse sei homogen auf der angenommenen Bahn verteilt.
(Dies wird bald noch gerechtfertigt.) Dann befindet sich für unsere Betrachtung ein
Massenring im Abstand Erde–Sonne um die Erde. Dieser Massenring erzeugt für
den Kreisel „Erde“ eine Drehimpulsänderung, die bewirkt, daß sich die Drehimpulsachse um den Pol der Ekliptik dreht. Der Pol der Ekliptik steht in der Zeichnung
senkrecht auf der gedachten (schraffierten) Sonnenbahnebene, der Ekliptik.
Die Drehimpulsachse beschreibt einen Präzessionskegel um den Pol der Ekliptik.
Die Umlaufdauer der Erdpräzession beträgt 25 730 Jahre („platonisches“ Jahr).
Dies rechtfertigt nun unsere Annahme des homogenen Massenringes „Sonne“, da
in der Zeit des Präzessionsumlaufes die Sonne 25 730 mal die Erde umkreist hätte.
Auf die Erde wirken außer der Sonnenanziehung noch andere Anziehungskräfte
von Planeten und Mond, die ebenfalls eine Drehimpulsänderung hervorrufen.
Die größten Störungen verursacht der Mond, sie führen zu Präzessionen mit einer
Periode von 9,3 Jahren.
Aufgrund der Abplattung der Erde fallen die Erdachse und die Drehimpulsachse
nicht genau zusammen, so daß sich die Erdachse um die Drehimpulsachse bewegt.
Diese Schwankungen der Erdachse heißen Nutationen. Die gemessene Periode der
Nutationsbewegung der Erde beträgt 433 Tage.
Eine ausführliche quantitative Diskussion dieser Phänomene finden Sie im Kapitel
über Kreiseltheorie der Mechanik II der Vorlesungen.
Kleine Körper im Sonnensystem:
Je gründlicher die Astronomen das Sonnensystem erforschen, desto schwieriger
wird es für sie, bei den kleineren Himmelskörpern die klassische Einteilung in die
verschiedenen Kategorien aufrechtzuerhalten. Von den Monden, die die Planeten
umkreisen, haben sich einige eindeutig als eingefangene Kleinplaneten (Asteroiden) entpuppt. Die meisten der Asteroiden, die vermutlich aus dem Material eines
„verhinderten“ Planeten bestehen, bewegen sich zwischen den Bahnen von Mars
und Jupiter um die Sonne. Einige kommen auf ihrem Flug aber auch nahe an die
Erde heran.
Durch verfeinerte Beobachtungstechniken ist es möglich geworden, in unserer
Nachbarschaft sogar Kleinplaneten mit einem Durchmesser von wenigen Metern
nachzuweisen. Damit sind sie von der Größe her mit den Meteroiden vergleichbar.
Zu bestimmten Zeiten im Jahr häufen sich am Himmel Sternschnuppen, und zwar
immer dann, wenn die Erde die Bahn eines Kometen kreuzt. Daraus haben die
Astronomen geschlossen, daß viele Meteroite Bruchstücke von Kometen sind. Andere weisen eine Zusammensetzung auf, die eine Kleinplaneten-Herkunft nahelegt.
Man weiß auch, daß Kometen sich aufspalten und in Trümmer zerfallen können.
Anfangs intakte Kometen sind bei einer späteren Wiederkehr als Zwillingskometen
aufgetaucht.
28 Die Erde und unser Sonnensystem
Einen solchen Zerfall gibt es offenbar auch bei Kleinplaneten. Im Rahmen eines
englisch-australischen Beobachtungsprogramm ist im Jahr 1991 ein Asteroid entdeckt worden, der die Bezeichung 1991 RC erhielt und später „5786 Talos“ genannt
wurde 1) . Er befindet sich praktisch in derselben Bahn wie der Kleinplanet Ikarus,
der sich der Erde im Jahr 1968 bis auf sechs Millionen Kilometer genähert hatte.
Im Oktober 1990 fanden die Astronomen einen Kleinplaneten, der einen Durchmesser von nur 60 bis 120 Metern hat. Einen Monat vorher war auf dem Kit Peak
in Arizona ein Teleskop zur systematischen Suche nach erdnahen Kleinplaneten
in Betrieb genommen worden, das ernsthafte Schwierigkeiten bei der Zuordnung
kleiner kosmischer Objekte aufzeigt. Mit dem Gerät wurde ein „Kleinplanet“ (1991
BA) mit nur fünf bis zehn Meter Durchmesser entdeckt, der zwölf Stunden später
in 170 000 Kilometer Abstand an der Erde vorbeiflog. Er ist so klein, daß es sich
auch um einen Meteor handeln könnte.
Weil die systematische Suche nach kosmischen Brocken auf dem Kit Peak erstmals
mit elektronischen Detektoren (CCDs) betrieben wird, ist mit solchen Entdeckungen künftig häufiger zu rechnen. Im Oktober und November 1991 wurden allein
vier weitere Objekte gefunden, deren Durchmesser jeweils weniger als dreißig
Meter beträgt. Ob es sich um Kleinplaneten oder um Meteore handelt, läßt sich in
keinem Fall feststellen. Von einem Meteor, der 1972 vom Westen der Vereinigten
Staaten aus zu sehen war, schätzt man, daß sein glühender Körper einen Durchmesser von vier Metern hatte – also nicht viel weniger als das Objekt 1991 BA.
Mit dem Teleskop auf dem Kit Peak haben die Astronomen in nur zehn Monaten
fünfzehn vorher unbekannte „Kleinplaneten“ auf dem Weg zur Erde nachgewiesen,
außerdem monatlich 2000 weitere Asteroiden. Wie oft solche Objekte auf der Erde
einschlagen, wird man wohl bald mit zusätzlichen Daten neu berechnen müssen.
Auf einer 1991 in St. Petersburg veranstalteten Konferenz („The Asteroid Hazard“)
haben die Teilnehmer noch geschätzt, daß man etwa einmal pro Jahrhundert mit
dem Einschlag eines Brockens mit 50 Meter Durchmesser rechnen muß. Das klingt
nach einer größeren Gefährdung. Tatsächlich allerdings haben Meteore bislang
nur selten nennenswerte Schäden verursacht, weil nur ein sehr kleiner Teil der
Erdoberfläche bewohnt ist.
Wäre das Objekt 1991 BA mit der Erde kollidiert, hätte die Einschlagsenergie –
eine Dichte wie bei typischen Meteoritenmaterial vorausgesetzt – etwa 40 Kilotonnen TNT betragen. Das ist die dreifache Energie der Bombe von Hiroshima. Die
amerikanische Raumfahrtbehörde NASA schmiedet seit einiger Zeit Pläne, kleine,
auf die Erde zukommende Objekte systematisch zu orten und gegebenenfalls vor
einer Kollision zu vernichten. Ob ein solches Vorhaben sinnvoll und mit den
heutigen Mitteln überhaupt möglich ist, bleibt abzuwarten.
In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß die NASA im Dezember 2001
entschieden hat, ein Routineprogramm zur Suche nach kleinen nahen Asteroiden am 300-m-Radioteleskop in Arecibo/Puerto Rico zu stoppen. Die NASA
1)
D. Steel, Nature 354 265–267 (1991).
287
288
II Newtonsche Mechanik
war vom amerikanischen Kongress beauftragt worden, bis zum Jahre 2008 alle
astronomischen Körper mit Größen oberhalb von 1 km zu verfolgen, die eine
Gefahr für die Erde darstellen können. Der Kongress hat jedoch nicht genügend
Fördermittel bewilligt, um diese Aufgabe zu erfüllen, wie die NASA feststellt. Die
Beobachtungen mit dem Arecibo-Teleskop sind extrem wichtig, um die gegenwärtigen Positionen, Geschwindigkeiten und Bahnorientierungen von möglicherweise
gefährlichen kleinen Objekten zu bestimmen. Außerdem erlaubt dieses Teleskop,
Radarabbildungen von einigen dieser Körper zu erstellen. Das einzige verbleibende
Radioteleskop für die Suche nach den sogenannten „NEOs“ (Near Earth Objects)
ist nun die Antenne des NASA Deep Space Network in Goldstone/California. Alle
anderen mit der Suche nach NEOs befassten Teleskope sind optische Teleskope.
Neuere Forschungen zum Sonnensystem – Jupiters große Familie von Monden.
Die Erforschung unseres Sonnensystems ist offensichtlich weit davon entfernt,
abgeschlossen zu sein. Diese Auffassung kann bestärkt werden durch die unlängst
erfolgte Entdeckung von 11 bisher unbekannten Jupitermonden im Dezember 2001
und weiteren 18 Monden im Laufe des Jahres 2002, womit sich die Gesamtzahl
von Monden des größten Planeten unseres Sonnensystems auf 58 erhöht hat (April
2003).
Jupiter hat offensichtlich mehrere Asteroiden und kleinere Planeten in sein Gravitationsfeld eingefangen. Die unlängst entdeckten Monde waren während eines
gezielten Suchprogramms von einer Gruppe von Astronomen aus England und
Hawaii 1) gefunden worden. Man erwartet, daß die Gesamtzahl der Jupitersatelliten
mit einem Durchmesser von mindestens 1 km in die Hunderte geht.
Die neu entdeckten Monde sind allesamt sogenannte irreguläre Satelliten von
Jupiter. Diese werden charakterisiert durch weit ausgedehnte, elliptische Bahnen,
die nicht innerhalb der Ekliptik liegen. Viele dieser irregulären Satelliten (einschließlich aller neu entdeckten) bewegen sich auf rückläufigen Bahnen, d. h. in
einer zur Rotationsrichtung des Jupiter entgegengesetzten Richtung.
Der größte dieser irregulären Satelliten, Himalia, ist bereits im Jahre 1904 entdeckt
worden. Die rückläufige Bahn dieser Körper ist ein klarer Hinweis darauf, daß
sie keine Ursatelliten des Jupiter, sondern eingefangene Objekte sind. Bisher ist
noch nicht bekannt, wie Jupiter diese kleinen Planetoiden einfangen und an sich
binden konnte. Astronomen können diese Ereignisse nicht durch die Himmelsmechanik allein erklären. Möglicherweise hatte Jupiter in den frühen Stadien seiner
Geschichte eine weit hinaus reichende Atmosphäre, welche die kleinen Planetoiden
abgebremst haben könnte.
1)
siehe z. B. die Web-Seite des Gruppenleiters, David Jewitt von der Universität Hawaii, unter
http://www.ifa.hawaii.edu/˜sheppard/satellites/jup.html.
28 Die Erde und unser Sonnensystem
Die 11 neuen Monde des Jupiter haben allesamt Durchmesser zwischen 2 und 4 km.
Sie wurden mit Hilfe des Canada-Frankreich-Hawaii-Teleskops (Durchmesser
3,6 m) mit einer der größten Digitalbildkameras der Welt, der „12K“, entdeckt.
Diese Kamera lieferte hochaufgelöste Bilder von einem weit ausgedehnten Gebiet
um Jupiter. Die Digitalbilder wurden mit Hochleistungscomputern verarbeitet und
dann mit einem effizienten Computeralgorithmus nach Objekten abgesucht, deren
Bewegungen für jupiternahe kleine Monde charakteristisch sind. Wenn ein Objekt
vom Programm gefunden wurde, dann wurde es per Auge visuell bestätigt. Wenn
der Kandidat gut aussah, dann wurde er während der folgenden Monate am 2,2-mTeleskop der Universität Hawaii beobachtet. Diese Beobachtungen erlaubten die
Bahnen zu berechnen.
Dieses schematische Bild zeigt die Bahnen der irregulären Satelliten des Jupiter. Zum
Vergleich wurde der am weitesten außen befindliche reguläre Satellit von Jupiter, der
Galileische Mond Callisto, angegeben. Die Bahnen der neuen Satelliten sind als schwarze
c University of Hawaii, mit freundlicher Genehmigung)
Kurven wiedergegeben worden. (
Eigenschaften, Lage und Entstehung des Sonnensystems
Allgemeines über das Sonnensystem: Unser Sonnensystem gehört dem Spiralnebel „Milchstraße“ an. Die folgende Skizze zeigt die Milchstraße von der
Seite her gesehen; die zweite Figur dasselbe in Draufsicht. Die Linien bezeichnen
289
290
II Newtonsche Mechanik
Zonen gleicher Materiedichte, wobei die Dichte von innen nach außen abnimmt.
Unser Sonnensystem ist ungefähr 10 kpc vom Zentrum der Galaxie entfernt (die
Längeneinheit parsec besitzt die Größe 1 pc = 3,086 · 1013 km = 3,26 Lichtjahre.
Dieser Zahlenwert ergibt sich aus folgender Definition: 1 pc ist die Entfernung, in
welcher man den großen Erdbahnradius unter 1 sieht).
Sonne
Spiralarme
(Querschnitt)
4 kpc
30 kpc
Draufsicht.
Veranschaulichung der
Titus-Bodesche-Beziehung.
Galaktisches Halo
mit alten Sternen
dünn besetzt
~ 105 Lichtjahre
Seitenansicht.
Merkur n = −2
Venus
−1
Erde
0
Mars
1
Planetoiden
2
Jupiter
3
Saturn
4
Uranus
5
Neptun
6
Pluto
7
an
ln a
0
−2 − 1
0 1 2 3 4 5 6 7 n
Merkur
Venus
Erde
Mars
Ceres
Jupiter
Saturn
Uranus
Neptun
Pluto
Schematischer Querschnitt
durch die Galaxis Milchstraße.
Bei der Betrachtung des Sonnensystems (siehe dazu die Abbildung auf S. 292) fällt
auf, daß alle Planeten den gleichen Umlaufssinn und beinahe dieselbe Bahnebene
besitzen, nur Pluto weicht in seinen Daten stärker ab, so daß man annimmt, er
sei erst nach der Entstehung des Planetensystems von der Sonne eingefangen
worden. Im Zusammenhang mit der Entstehung des Planetensystems ist folgende,
bisher noch nicht erklärte empirische Gesetzmäßigkeit für die großen Halbachsen
der Planeten interessant (die Planetoiden fügen sich hier gut ein). Es ist die
sogenannte Titus-Bodesche Beziehung für die großen Halbachsen an der Planeten:
an = a0 kn . Dabei sind a0 = 1 AE und k ≈ 1,85. Die Abkürzung „AE“ bedeutet
„Astronomische Einheit“ = großer Erdbahnradius. Die ganzen Zahlen n werden
hierbei den Planeten zugeordnet (siehe dazu die obere Abbildung).
291
28 Die Erde und unser Sonnensystem
Name
Sonne
Merkur
Venus
Erde
Mars
5,46
−243d
58d 17h
2
1
0
0
160
216
288
740
—
CO2 , N2 ,
O2 , H2 O
N2 , O2
CO2 , N2 ,
H2 O
100–625 He, H
9h 0,5m
0
3,3
Fe, Si
Fe, Si, O
Fe, Si, O
Fe, Si
—
H2 , He, CH4 , H, He
NH3 , H2 O
9h 55m
58 134
1,33
5,06
H, He
0,4
H, He
0,9
— 5785
0,054
∼ 25 d
0,814
2,4
H2 , He, CH4 , H, He
NH3
10h 40m
57
(?)
H2 , He, CH4 , H, He
NH3
H2 O, CH4 ,
NH3
8
43 (?)
(?)
1
H2 , CH4
21 97
0,71
−23h 50m 5 60
24h 37m
1,4
0,949
317,45
0,9
1,55
0,8 (?) 6h 23m
17h 50m
23m 56m
3,3 · 105 —
∼ 2◦
95,21
0,9
Mittlere Oberflächentemperatur (in K)
2,41
3,93
109
∼ 3◦
14,9
1,7
5,52
—
0,206 7◦
0,4
1
—
57,9
0,107
17,2
∼ 0,0001 —
1
—
108,2 0,007 3◦
23◦ 27 1
—
0,387
23◦ 59 0,533
—
0,723
227,9 0,093 1◦ 51 149,6 0,017 0◦
—
0,205
1
—
0,615
1,524
—
—
1
—
0,055
10,97
3,72
3,43
5966 0,247 17◦ 10 > 50◦ 0,24 (?) 0,002 (?) 0,1
0,048 1◦ 18 0,382
—
1,88
—
—
—
—
—
—
2,767
—
1846 Leverrier
Galle
1930 Lowell
247,7
Tombaugh
0,076 10◦ 37 —
4,6
3◦ 04 ♀
♁
♂
— 1801 Piazzi
Gauss
Jupiter
Saturn
Neptun
Pluto
Unser Sonnensystem in Zahlen. mErde = 5,976 · 1024 kg, 1 AE = 1,496 · 106 km
39,50
779
Vermutete chemische
Zusammensetzung
(Hauptanteile)
5,203
Spektroskopisch
nachgewiesene Gase
in der Atmosphäre
11,8
Monde
—
Siderische
Rotationsdauer
26◦ 44 9,03
Dichte (g/cm3 )
1432 0,056 2◦ 29 Masse in Erdmassen
9,539
Radius in Erdradien
29,45
Neigung des Äquators
—
Neigung der Bahn
—
Exzentrizität der Bahn
98◦
Mittlere Entfernung
Sonne–Planet in 106 km
84,015 19,128 2888 0,047 0◦ 46 Mittlere Entfernung
Sonne–Planet in AE
1781 Herschel
Siderische Periode
(in Erdjahren)
29◦
Entdecker
164,78 30,057 4509 0,009 1◦ 46 Jahr der Entdeckung
Uranus
Ceres
(Planetoid)
Schwerebeschleunigung
an der Oberfläche in g
Symbol
292
II Newtonsche Mechanik
Veranschaulichung der relativen Größen
von Planeten und Sonne.
Pluto
Saturn
Neptun
Jupiter
Uranus
Merkur
Venus
Erde
Mars
Weitere Daten über das Sonnensystem sind in der Tabelle auf S. 291 und in den
folgenden Abbildungen festgehalten.
Sonne
Pluto
Jupiter
Neptun
Asteroidengürtel
Uranus
Saturn
Merkur
Venus
Erde
Mars
Jupiter
1 AU
10 AU
Karte des Sonnensystems mit zwei verschiedenen Maßstäben. 1 AU (astronomical unit) ist
der Radius der Erdbahn. Das Symbol für jeden Planeten ist am Perihel seiner Umlaufbahn
eingezeichnet.
Geschlossene Bahnen und Periheldrehung: Wie wir sahen, existieren im 1/rKraftfeld räumlich feststehende in sich geschlossene Bahnen. Ist das Gravitationspotential dagegen etwas verschieden von r−1 , also V (r) = r−1 , z. B.
V (r) = Ar−1 + Br−2 + Cr−3 + · · · ,
so kann es zu einer Rosettenbewegung kommen. Das effektive Potential hat nach
wie vor ein Minimum, so daß ein größter und ein kleinster Radius existieren. Die
Bahnen sind aber im allgemeinen nicht mehr geschlossen wie im Falle des 1/rPotentials. Sie müssen dann Rosettenbahnen sein. (Wir verweisen dazu auf die
Aufgabe 26.10.)
28 Die Erde und unser Sonnensystem
Abweichungen von V (r) ∼ r−1 , so daß also das Potential
verschieden von cr−1 wird, werden durch Wirkungen
anderer Planeten auf die Bahn eines Planeten oder durch
Deformation (Abplattung) des Zentralgestirns hervorgerufen. Durch diese Störungen kommt es dann bei den
Planeten zu einer Drehung des Perihels und der typischen
Rosettenbahn. Die Planetenbahnen stimmen mit den nach
Newton errechneten Werten überein, außer wenn der Planet der Sonne sehr nahe steht. Die normalen Störungen
der Planeten untereinander lassen sich mit den Mitteln
der Himmelsmechanik berechnen. Beim Merkur ist jedoch der beobachtete Wert für das Vorrücken des MerkurPerihels zu groß, um sich restlos auf Störungen durch
Planeten und die Abplattung der Sonne zurückführen zu
lassen. Der berechnete Wert ist um 43 pro Jahrhundert
kleiner als der gemessene. Durch Einsteins Relativitätstheorie ließ sich eine Erklärung für diesen Effekt finden.
Für die mathematische Behandlung der Periheldrehung
verweisen wir auf die Aufgaben 26.10 und 28.2.
293
V(r) ~ 1r
V(r) = 1r
rmin
rmax
Geschlossene und Rosettenbahnen im
Kraftfeld eines Zentralkörpers.
Die Entstehung des Sonnensystems: Eine Sonne entsteht, wenn sich eine dichte
Wolke aus interstellarem Gas und Staub aufgrund der Gravitationskraft zusammenzieht. Unsere Sonne ist aber von vielen anderen Körpern umgeben, die das
Planetensystem bilden. Die Entstehung dieses Planetensystems ist heute noch nicht
vollständig verstanden, so daß es konkurrierende Theorien gibt, die jeweils nur
einige der Eigenschaften des Planetensystems erklären können.
Die Vielzahl der Theorien kann man in drei Hauptklassen einteilen, die sich durch
den Mechanismus der Planetenentstehung unterscheiden.
1. Theorien, bei denen die Planetenentstehung nichts mit der Entstehung der
Sonne zu tun hat, sondern die Planeten erst entstanden sind, als die Sonne schon
ein normaler Stern war. Zu dieser Klasse gehören z. B. die Gezeitentheorien.
2. Theorien, bei denen die Planeten nach der Entstehung der Sonne aus der
interstellaren Materie entstehen. Dies sind die sogenannten Akkretionstheorien
(Akkretion = Zuwachs). Hier ist der Zuwachs von Masse in einer Ebene (der
Ekliptik) gemeint.
3. Theorien, bei denen die Planeten aus demselben Nebel und durch einen ähnlichen Vorgang entstanden sind wie die Sonne (Nebulartheorien).
Im folgenden werden einige der Hauptmechanismen dieser Theorien dargestellt.
1. Gezeitentheorien (Bickerton 1878, Chamberlain 1901, Moulton 1905, Jeans
1916, Jeffreys 1918).
294
II Newtonsche Mechanik
Zwei Sonnen fliegen aneinander vorbei, ohne sich jedoch gegenseitig einzufangen. Aufgrund der Gezeitenkräfte wird Materie aus den Sonnen herausgerissen,
die zu Planeten kondensieren soll. Abgesehen von der geringen Wahrscheinlichkeit einer solchen Begegnung hat diese Theorie einige weitere Nachteile.
Die chemische Zusammensetzung der Planeten läßt sich damit überhaupt nicht
erklären, und die Planetenbahnen müßten nach dieser Theorie stark elliptisch
sein. Außerdem zeigen neuere Rechnungen (Spitzer 1939), daß Materie, die
aus einem Stern herausgeschleudert wird, aufgrund ihrer hohen Temperatur
gar nicht zu Planeten kondensieren kann. Deshalb wurden die Gezeitentheorien
inzwischen wieder fallengelassen.
2. Akkretionstheorien (Hoyle und Littleton 1939).
Kant, I.
(1724–1804)
→ unten
Wenn die Sonne sich durch eine Wolke interstellarer Materie bewegt, kann sie
Partikel durch die Gravitationskraft an sich binden. Durch die Anziehungskraft
zwischen den Teilchen und durch Kollisionen können sich größere Massen
bilden, die bis zur Größe der heutigen Planeten anwachsen sollen. Dabei
sind auch die Auswirkungen elektromagnetischer Effekte zu berücksichtigen
(Alfven 1942). Wie in Beispiel 28.1 gezeigt wird, bewirkt das Magnetfeld der
Sonne, daß ein Teilchen mit der Ladung q und der Masse m nicht näher an die
Sonne kommen kann als bis zu einem kritischen Radius rc , der zu (q/m)2/3
proportional ist. Damit häufen sich die schwereren Partikel in Sonnennähe an.
Mit geeigneten Annahmen über das Magnetfeld der Sonne läßt sich damit die
chemische Zusammensetzung der Planeten ungefähr erklären.
3. Nebulartheorien (Descartes 1644, Kant 1755, Laplace 1796)
Der Gasnebel, aus dem die Sonne entstanden ist, war durch seine Rotation
abgeplattet. Aufgrund von Turbulenzen spalten sich Teile des Nebels ab, die
sich dann kontrahieren. Dabei rotieren sie immer schneller, da der Drehimpuls
erhalten ist. Der zentrale Teil des Nebels bildet die Sonne, während sich in den
peripheren Teilen viele Protoplaneten bilden. Im Inneren dieser Protoplaneten
bildet sich ein Kern aus den festen Bestandteilen des Nebels. Durch Kollision
kann sich die Anzahl der Protoplaneten verringern.
I MMANUEL K ANT
Kant, Immanuel, Philosoph, geb. in Königsberg 22.4.1724, gest. ebenda 12.2.1804.
Kant stammte aus einer Handwerkerfamilie, besuchte das pietistische Friedrichsgymnasium in seiner
Heimatstadt und studierte dort bis 1746 Naturwissenschaften, Mathematik und Philosophie; 1747 bis 1754
war er Hauslehrer. 1755 habilitierte er sich in Königsberg als Magister der Philosophie; er war auch
Unterbibliothekar der Schloßbibliothek. 1763 schlug er eine ihm angebotene Professur für Dichtkunst aus
und wurde 1770 Professor für Logik und Metaphysik. 1786 und 1788 verwaltete er das Rektorat. 1796 stellt
er aus Gesundheitsrücksichten seine Vorlesungen ein. Sein Leben verlief ohne größere äußere Ereignisse,
er hat Ostpreußen nie, Königsberg kaum je verlassen. [BR]
28 Die Erde und unser Sonnensystem
In neuerer Zeit wird der folgende Mechanismus untersucht: Die festen Bestandteile des Nebels reichern sich durch die Gravitationskraft in der Mittelebene
des scheibenförmigen Gasnebels an (siehe Figur). Diese Staubscheibe wird
bei zunehmender Konzentration instabil und zerfällt in Bereiche von einigen Kilometern Durchmesser. Diese Bereiche sind die Kerne für die weitere
Massenanhäufung. Es entstehen durch Anziehung weiterer fester Partikel und
durch Zusammenstöße immer größerer Gebilde, die bis zur Größe der Planeten
anwachsen.
Wird erst einmal eine bestimmte Größe überschritten, so können auch die
gasförmigen Reste des Nebels (H2 ,He) gravitativ gebunden werden, so daß mit
dieser Theorie auch die Entstehung von Jupiter und Saturn erklärt werden kann.
Bewegung der Staubteilchen in die Mittelebene der Scheibe.
Innerhalb des Gasnebels herrscht ein Temperaturgradient, so daß die nichtflüchtigen Stoffe (Staubteilchen) in der heißen Zone im Inneren kondensieren,
während die Gase (z. B. H2 O, NH3 und CH4 ) nur in den kälteren Zonen weiter
entfernt von der jungen Sonne kondensieren können. Dieser Mechanismus
erklärt im Prinzip die chemische Zusammensetzung der Planeten.
Der Drehimpuls in unserem Sonnensystem findet sich hauptsächlich in den
Planeten. Unsere Sonne besitzt zwar 99,87 % der Masse, aber nur 0,54 % des
gesamten im Sonnensystem vorhandenen Drehimpulses. Würde der gesamte Drehimpuls auf die Sonne vereinigt, so ergäbe sich ein für junge Sterne
typischer Wert. Daraus läßt sich schließen, daß die Sonne Drehimpulse an
die Planeten abgegeben haben muß. Einen Mechanismus hierfür bietet die
Magnetohydrodynamik (Hoyle 1960, Edgeworth 1962): Im Plasma (ionisierte
Materie) des Gasnebels können sehr große Störungen auftreten und stabilisierte
Magnetfelder mitgeführt werden. Ähnlich dem Prinzip der Wirbelstrombremse
läßt sich dadurch die Übertragung des Drehimpulses vom Zentrum auf die
Peripherie erklären.
Erst in neuester Zeit lassen sich mit Computern detailliertere Rechnungen zur
Entwicklung eines Gasnebels durchführen, wobei noch weitere physikalische
Effekte (z. B. Druck, Reibung, Sonnenwind, Gezeitenkräfte usw.) berücksichtigt werden müssen. Erst dann läßt sich beurteilen, ob diese Theorien wirklich
die heute beobachteten Eigenschaften des Planetensystems erklären können.
295
296
II Newtonsche Mechanik
Weltbilder
Ptolemäus, C.
(83–161)
→ unten
1. Geozentrisch – Das Ptolemäische Weltbild (um 140 n. Ch.):
Das Ptolemäische Weltbild, das Grundlage der Astronomie bis ins 17. Jahrhundert
war, betrachtet die Erde als ruhenden Mittelpunkt der Welt. Mond, Sonne und die
Planeten umkreisen die Erde. Daß das Weltbild über eine so lange Zeit unangefochten bestehen konnte, erklärt sich am besten an einer Skizze, die zeigt, daß man
damit durchaus Vorhersagen über die Stellung der Planeten machen konnte. Es
hatte also Vorhersagekraft („predictive power“).
Erde
Erde
R
äußerer
Planet
rE
innerer
Planet
rp
R
rE
rp
Sonne
Sonne
Zur Erklärung der Epizykel (vgl. auch die folgende Figur).
Betrachten wir die richtigen Verhältnisse (Sonne im Zentrum des Planetensystems),
so ergeben sich die beiden Zeichnungen, für die rp = R + rE oder R = rp − rE
gelten. Demnach läuftrp in einem Planetenjahr undrE in einem Erdjahr einmal um
die Sonne.
Für das geozentrische Weltbild erhalten wir folgende Skizze:
Auch im geozentrischen Weltbild hat die Gleichung R = rp −rE ihre Richtigkeit,
nur wurde hier der Ptolemäische Deferent eingeführt. Es ist ein immaterieller
Kreis, den rp mit der siderischen Umlaufzeit des Planeten um die Erde beschreibt.
Da man noch nicht die Entfernung eines Planeten bestimmen konnte, kam es nur
auf die Richtung von R und nicht auf dessen Betrag an. Dies erklärt die völlig
einwandfreie Darstellung der Planetenbewegung in der Epizykeltheorie.
C LAUDIUS P TOLEMÄUS
Ptolemäus, Claudius, geb. nach 83 u. Z. in Ptolemais (Mittelägypten), gest. nach 161 u. Z. – Von seinem
Leben ist nur bekannt, daß er in Alexandria tätig war. Er gilt als der bedeutendste Astronom der Antike.
Er ist der Hauptvertreter des geozentrischen Weltbildes. Sein „Großes astronomisches System“ ist in der
arabischen Übersetzung Kitab al-magisti als „Almagest“ bis Kopernikus grundlegend für die Astronomie
gewesen. Zur Darstellung benutzt Ptolemäus die Epizyklentheorie der Apollonios sowie eine Sehnentrigonometrie und die stereographische Projektion. – Von Ptolemäus stammen noch eine „Optik“, das sehr
einflußreiche astrologische Werk „Tetrabiblos“ sowie die sehr wertvolle „Einführung in die Geographie“,
die ebenso wie die Astrologie die mittelalterliche Wissenschaft außerordentlich beeinflußt hat.
28 Die Erde und unser Sonnensystem
Epizykel
297
Deferent
rE
Deferent
Erde
rp
R
Erde
innerer
Planet
R
äußerer
Planet
Sonne
rE
rp
Sonne
Epizykel
Zum Verständnis der Epizykeltheorie.
2. Das Heliozentrische System – Das Kopernikanische Weltbild:
Im Kopernikanischen Weltbildwurde erkannt, daß die Sonne Mittelpunkt (Zentralkörper) unseres Planetensystems ist. Es fand in den Keplerschen Gesetzen seine
Krönung, da sich mit ihnen alle Vorgänge im Planetensystem leicht und exakt
berechnen ließen.
Kopernikus, N.
(1473–1543)
→ unten
Ein Modell der Sonnenumgebung 1) : Bereits die nächsten Sterne sind so weit
von der Erde entfernt, daß es Schwierigkeiten bereitet, sich davon eine Vorstellung
zu machen. Das folgende Modell soll dazu verhelfen: Das Planetensystem und die
Sonnenumgebung werden im Maßstab 1 : 100 Milliarden verkleinert. Es entspricht
dann 1 cm im Modell 1 Million km in der Natur. Das Sonnensystem wäre damit
noch auf einem Schulhof oder auf einer großen Straßenkreuzung unterzubringen:
Die Sonne selbst hätte einen Durchmesser von 1,4 cm. In 1,5 m Abstand stünde
die 0,1 mm große Erde, in fast 8 m Sonnenentfernung der 1,4 mm große Jupiter
und in 59 m Abstand der 0,05 mm große Pluto. Verlegt man das so verkleinerte
Sonnensystem nach Frankfurt a. M., dann wäre Proxima Centauri 410 km, Sirius
820 km usw. von dort entfernt.
1)
Wir folgen hier dem ausgezeichneten Büchlein von J. Hermann: dtv-Atlas zur Astronomie (Tafeln
und Texte mit Sternatlas), Deutscher Taschenbuch Verlag München.
N IKOLAUS KOPERNIKUS
Kopernikus, Nikolaus, deutsch Koppernigk, polnisch Kopernik, Nikolaus, Astronom und Begründer des
heliozentrischen, nach ihm kopernikanisch genannten Weltbildes, ∗ Thorn 19.2.1473, † Frauenburg (Ostpreußen) 24.5.1543, trieb seit 1491 an der Universität Krakau humanistische, mathematische und astronomische Studien und studierte 1496 bis 1500 in Bologna weltliches und geistliches Recht. Auf Betreiben
seines Onkels, des Bischofs Lukas Watzelrode, wurde er 1497 in das ermländ. Domkapitel zu Frauenburg
aufgenommen. Seit Herbst 1501 studierte er in Padua und Ferrara, wurde dort am 31.5.1503 zum Doktor
des Kirchenrechts promoviert und studierte anschließend Medizin. Nach seiner Heimkehr 1506 lebte er
als Sekretär seines Onkels von 1506 bis zu dessen Tod 1512 in Heilsberg und nahm an der Verwaltung
des Bistums Ermland teil. Als Kanzler des Domkapitels hielt sich Kopernicus von 1512 an meist in
Frauenberg auf, residierte als Statthalter des Kapitels 1516 – 21 in Mehlsack und Allenstein und war 1523
Bistumsverweser von Ermland. Als Deputierter vertrat er das Domkapitel 1522 – 29 auf den preußischen
Landtagen und setze sich dort besonders für eine Münzreform ein.
298
II Newtonsche Mechanik
Die der Sonne nächsten Sterne sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt.
Stern
α -Centauri/Proxima Centauri
Barnards Pfeilstern
Wolf 359
Luyten 726-8
Lalande 21 185
Sirius
Ross 154
Ross 248
ε Eridani
Ross 128
61 Cygni
Luyten 789-6
Sternbild
Centaur
Ophiuchus
Löwe
Walfisch
Großer Bär
Großer Hund
Schütze
Andromeda
Eridanus
Jungfrau
Schwan
Wassermann
Entfernung in Lj
4,3
5,9
7,7
7,9
8,2
8,7
9,3
10,3
10,8
10,9
11,1
11,2
N IKOLAUS KOPERNIKUS (Fortsetzung)
Die väterliche Familie von Kopernicus stammt aus dem Neißer Bistumsland in Schlesien, so daß seine
deutsche Herkunft als erwiesen angesehen werden kann, zumal er sich schriftlich nur der deutschen oder
lateinischen Sprache bediente. Kopernicus galt auch als bedeutender Arzt, worauf das Maiglöckchen
in einem Holzschnitt von ihm hindeutet. Als Astronom vollendet Kopernicus das, was Regiomontan
vorgeschwebt hatte, eine Revision der Lehre von der Planetenbewegung unter Anlehnung an eine Reihe
kritisch gesichteter Beobachtungen. Erst auf solcher Grundlage konnte an eine Kalenderreform gedacht
werden, deren Dringlichkeit zu Beginn des 16. Jahrh. allgemein erkannt wurde. Auch bei Kopernicus
dürften solche Erwägungen eine Rolle gespielt haben. Im Laufe seiner Arbeit entschied er sich dann,
angeregt durch vage antike Überlieferungen, zur Annahme eines heliozentrischen Weltsystems. Einen
kurzen vorläufigen Bericht darüber bildet der wohl vor 1514 verfaßte „Commentariolus“. Bereits hier
werden die entscheidenden Annahmen ausgesprochen, daß die Sonne den Mittelpunkt der kreisförmigen
Planetenbahnen bildet und daß auch die Erde um sie kreist, die sich täglich um ihre Achse dreht und
ihrerseits vom Mond umkreist wird. Die Öffentlichkeit erhielt von der kopernikanischen Lehre erste Kunde
durch die „Narratio prima“ des G. J. Rheticus.
Das Hauptwerk des Kopernicus, die „Sechs Bücher über die Umläufe der Himmelskörper“ (De revolutionibus orbium coelestium libri VI, 1543, dt. 1879, Neudr. 1939), erschien erst im Todesjahr des Verfassers.
Es war Papst Paul II. gewidmet, wurde aber statt durch das originale Vorwort des Kopernicus durch eine
den Sinn des Ganzen verkehrende Vorrede des prot. Theologen A. Osiander eingeleitet. Die Lehren des
Kopernicus blieben bis zum Erlaß der Indexkongregation 1616 von der Kirche unbeanstandet. Die Unvollkommenheiten, die die kopernikanische Planetentheorie noch aufwies, wurden durch J. Kepler beseitigt.
Ebensowenig wie Kopernicus konnte aber auch Kepler einen Beweis im heutigen Sinn für die Richtigkeit
des heliozentrischen Systems erbringen. Denn noch z. Z. von I. Newton waren die astronomischen Beobachtungen nicht genau genug, um die sehr geringen „Kopernicus-Effekte“ nachzuweisen. Dies gelang erst
J. Bradley 1728 mit der Entdeckung der Aberration der Fixsterne und F. W. Bessel 1839 mit der Messung
der ersten Fixsternparallaxe. Die Bedenken der Gegner der Kopernikanischen Auffassung sind verständlich,
denn für die meisten Fixsterne sind wegen ihrer großen Entfernungen von der Sonne die Parallaxen auch
durch moderne Meßmethoden nicht nachweisbar. Seine Gegner veranlaßten z. B. den großen Beobachter
T. Brahe, ein eigenes Modell für unser Planetensystem aufzustellen, das einen Kompromiß zwischen dem
geozentrischen und dem heliozentrischen System bildet [BR].
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