II Newtonsche Mechanik 16 Die Newtonschen Axiome In der Newtonschen oder klassischen Mechanik stehen drei Axiome an der Spitze, die nicht unabhängig voneinander sind: 1. das Trägheitsgesetz, 2. die dynamische Grundgleichung, 3. das Wechselwirkungsgesetz, und als Zusatz die Unabhängigkeitssätze zur Überlagerung von Kräften und Bewegungen. Voraussetzungen der Newtonschen Mechanik sind: 1. Die absolute Zeit; das bedeutet, daß die Zeit in allen Koordinatensystemen gleich ist, d. h. invariant ist: t = t . Man kann in allen Koordinatensystemen feststellen, ob ein Ergebnis gleichzeitig ist, weil man sich in der klassischen Physik vorstellen kann, daß Signale mit unendlich großer Geschwindigkeit ausgetauscht werden. 2. Der absolute Raum; das bedeutet, daß es ein absolut ruhendes Koordinatensystem gibt, das den ganzen Raum aufspannt. Dieser absolute Raum kann durch den Weltäther repräsentiert gedacht werden, welcher absolut ruhen soll und gewissermaßen den absoluten Raum verkörpert. Newton selbst hat an den Äther nicht geglaubt; er konnte sich den absoluten Raum auch leer vorstellen. In jüngster Zeit wurde die 2.7 Kelvin-Strahlung beobachtet. Sie stammt aus dem Urknall, in dem unser Universum wahrscheinlich entstanden ist. Ein Koordinatensystem, in dem diese Strahlung isotrop, d. h. in allen Richtungen gleich stark ist, könnte ebenfalls als ein solch absolutes Koordinatensystem dienen. 3. Die von der Geschwindigkeit unabhängige Masse. 4. Die Masse eines abgeschlossenen Systems von Körpern (oder Massenpunkten) ist von den sich in diesem System abspielenden Prozessen, gleich welcher Art diese sein mögen, unabhängig. Die absolute Zeit und der absolute Raum, sowie auch die von der Geschwindigkeit unabhängige Masse gehen in der speziellen Relativitätstheorie verloren. Die 4. Voraussetzung schließlich ist in hochenergetischen Prozessen wie p + p → p + p + π + + π − nicht mehr erfüllt. Hier werden neue Massen erzeugt. Newton hat seine Axiome im wesentlichen wie folgt formuliert: Lex prima: Jeder Körper verharrt in seinem Zustand der Ruhe oder gleichförmigen geradlinigen Bewegung, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, seinen Zustand zu ändern. Newton, I. (1643–1727) → S. 122 122 II Newtonsche Mechanik Lex secunda: Die Änderung der Bewegung ist der Einwirkung der bewegenden Kraft proportional und geschieht nach der Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene Kraft wirkt. Lex tertia: Die Wirkung ist stets der Gegenwirkung gleich, oder die Wirkungen zweier Körper aufeinander sind stets gleich und von entgegengesetzter Richtung. Lex quarta: Zusatz zu den Bewegungsgesetzen: Regel vom Parallelogramm der Kräfte, d. h. Kräfte addieren sich wie Vektoren. Damit wird das Superpositionsprinzip der Kraftwirkungen festgelegt (das Prinzip der ungestörten Überlagerung). Da im folgenden nur Punktmechanik betrieben werden soll, muß die Modellvorstellung des Massenpunktes eingeführt werden. Man sieht hierbei von Form, Größe und Drehbewegungen eines Körpers ab und betrachtet nur seine fortschreitende Bewegung. Dann lauten die Newtonschen Axiome in moderner Form: Axiom 1: Jeder Massenpunkt verharrt im Zustand der Ruhe oder der geradlinig gleichförmigen Bewegung, bis dieser Zustand durch das Einwirken anderer Kräfte I SAAK N EWTON Isaak Newton, geb. 4.1.1643 Woolsthorpe (Lincolnshire), gest. 31.3.1727 London. – Newton studierte seit 1660 am Trinity-College in Cambridge, bes. bei dem bedeutenden Mathematiker und Theologen L. Barrow. Nach Erwerb verschiedener akadem. Grade und einer Reihe wesentl. Entdeckungen wurde Newton 1669 Nachfolger seines Lehrers in Cambridge, war seit 1672 Mitglied der Royal Society und seit 1703 ihr Präsident. 1688/1705 war er auch Parlamentsmitglied, seit 1696 Aufseher und seit 1701 Münzmeister der köngliche Münze. – Newtons Lebenswerk umfaßt neben theologischen, alchemistischen und chronologisch-historischen Schriften vor allem Arbeiten zur Optik und zur reinen und angewandten Mathematik. In seinen optischen Untersuchungen stellt er das Licht als Strom von Korpuskeln dar und deutet damit das Spektrum und die Zusammensetzung des Lichtes sowie die N.schen Farbenringe, Beugungserscheinungen und die Doppelbrechung. Sein Hauptwerk „Philosophiae naturalis principia mathematica“ (Druck 1687) ist grundlegend für die Entwicklung der exakten Wissenschaften. Es enthält z. B. die Definition der wichtigsten Grundbegriffe der Physik, die drei Axiome der Mechanik markoskop. Körper, z. B. das Prinzip der „actio et reactio“, das Gravitationsgesetz, die Ableitung der Keplerschen Gesetze und die erste Veröffentlichung über Fluxionsrechnung. Auch Überlegungen zur Potentialtheorie und über die Gleichgewichtsfiguren rotierender Flüssigkeiten stellte Newton an. Die Ideen für das große Werk stammten vorwiegend aus den Jahren 1665/66, als Newton vor der Pest aus Cambridge geflohen war: In der Mathematik befaßte sich Newton mit der Reihenlehre, z. B. 1669 mit der binomischen Reihe, mit der Interpolationstheorie, mit Näherungsverfahren und mit der Klassifizierung kubischer Kurven und der Kegelschnitte. Logische Schwierigkeiten konnte Newton allerdings auch mit seiner 1704 ausführlich dargestellten Fluxionsrechnung nicht überwinden. – Sein Einfluß auf die Weiterentwicklung der mathematischen Wissenschaften ist schwer zu beurteilen, da Newton außerordentlich ungern publizierte. Als Newton z. B. seine Fluxionsrechnung allgemein bekannt machte, war seine Art der Behandlung von Problemen der Analysis gegenüber dem Kalkül von Leibniz bereits veraltet. Bis ins 20. Jh. zog sich der Streit hin, ob ihm oder Leibniz die Priorität für die Entwicklung der Infinitesimalrechnung gebührte. Detailuntersuchungen haben gezeigt, daß jeder auf diesem Gebiet unabhängig vom anderen zu seinen Ergebnissen kam. 16 Die Newtonschen Axiome (d. h. durch Übertragung von Kräften) beendet wird. Es handelt sich also um einen Spezialfall des zweiten Axioms. Wenn nämlich −−−→ F = 0, so ist also m · v = const. Wegen der vorausgesetzten Geschwindigkeitsunabhängigkeit der Masse gilt also: −−−→ v = const. Bezeichnet man die „Bewegungsgröße“ p = m·v als den linearen Impuls des Massenpunktes, so ist das Trägheitsgesetz identisch mit dem Satz von der Erhaltung des linearen Impulses. Axiom 2: Die erste zeitliche Ableitung des linearen Impulses p eines MassenpunkF: tes ist gleich der auf ihn einwirkenden Kraft v) p d d(m · F = = , dt dt wobei p = mv der lineare Impuls ist. Da die Masse im allgemeinen eine geschwindigkeitsabhängige Größe ist, also auch zeitabhängig ist, darf sie nicht ohne weiteres vor die Klammer gezogen werden. In der nichtrelativistischen, Newtonschen Mechanik (v c; c = 3 · 108 m · s−1 ) wird m jedoch als unabhängig von der Zeit behandelt und man erhält so die dynamische Grundgleichung: 2 F = m dv = m d r = ma. dt dt 2 Das heißt, die Beschleunigung a eines Massenpunktes ist der auf ihn wirkenden Kraft direkt proportional und fällt mit der Richtung der Kraft zusammen. Wirken gleichzeitig mehrere Kräfte auf einen Massenpunkt, so lautet die obige Beziehung gemäß dem Superpositionsprinzip der Kräfte n dp Fi . = ∑ dt i=1 Axiom 3: Die von zwei Massenpunkten aufeinander ausgeübten Kräfte haben gleiche Beträge und entgegengesetzte Richtung; Kraft = – Gegenkraft: Fi j = −Fji , wobei i = j. Fi j ist hier die Kraft, die vom j-ten Punkt auf den i-ten Punkt ausgeübt wird. Fji die, die vom i-ten auf den j-ten Punkt ausgeübt wird. F = d(mv)/ dt ist zum einen Definition der Kraft, Bemerkung: Die Beziehung zum anderen Gesetz. Das Gesetzliche daran ist, daß z. B. die erste zeitliche Ableitung des linearen Impulses vorkommt und nicht die dritte oder vierte oder dgl. Da die Kraft die Ableitung eines Vektors nach einem Skalar (der Zeit) ist, ist sie selbst ein Vektor. Es gilt also für die Addition von Kräften z. B. das Parallelogrammgesetz. 123 124 II Newtonsche Mechanik Einfache Seilrolle Aufgabe 16.1 e T T W1 Ein Gewicht W1 = M1 g hängt an einem Seilende. Hier ist g = 980 cm/s2 die Erdbeschleunigung. Am anderen Ende des Seils, welches über eine Rolle hängt, zieht sich ein Junge mit dem Gewicht W2 = M2 g hoch. Seine Beschleunigung relativ zur festverankerten Rolle sei a. Mit welcher Beschleunigung bewegt sich das Gewicht W1 ? W2 Ein Junge und ein Gewicht hängen am Ende des Seils. Lösung: Sei b die Beschleunigung von W1 und T die Seilspannung, dann lauten die Newtonschen Bewegungsgleichungen a) für die Masse M2 (Mensch): −M2 · ae = M2 ge − T e , b) für die Masse M1 (Gewicht W1 ): M1 be = M1 ge − T e . (1) (2) Das sind zwei Gleichungen mit zwei Unbekannten (T, b). Ihre Lösung kann sofort angegeben werden: T = M2 (a + g), T M b =g− = g − 2 (a + g) M1 M1 M = g − 2 (a + g) M1 (M1 − M2 )g − M2 a . = M1 Aufgabe 16.1 (3) (4) Wenn M1 = M2 ist, folgt b = −a, wie es sein sollte. Andererseits, wenn a = 0, folgt b = (M1 − M2 )/M1 · g, und verschwindet erwartungsgemäß für den Fall M1 = M2 . Doppelte Seilrolle Aufgabe 16.2 An einem Seil über einer Rolle A hängt an einem Ende die Masse M1 (vgl. Figur). Am anderen Ende hängt eine zweite Rolle mit der Masse M2 , über der wiederum ein Seil mit den Massen m1 bzw. m2 an dessen beiden Enden hängt. Auf alle Massen wirkt die Schwerkraft. Berechnen Sie die Beschleunigung der Massen m1 und m2 , sowie die Spannungen T1 und T in den Seilen. 16 Die Newtonschen Axiome 125 Aufgabe 16.2 Lösung: Wie führen den Einheitsvektor e⊥ nach oben ein (siehe Figur) T1 = T1e (siehe und nennen die Fadenspannungen T = Te bzw. Figur). An den einzelnen Massen greifen also sowohl die Fadenspannung (das ist die Kraft im Seil) als auch die Schwerkraft an. Wir schreiben nun nach dem Newtonschen Grundgesetz die Bewegungsgleichungen für die einzelnen Massen der Reihe nach auf. M1 a1e = −M1 ge + Te, −M2 a1e = −M2 ge + Te − 2T1e, m1 (a2 − a1 )e = −m1 ge + T1e, m2 (−a2 − a1 )e = −m2 ge + T1e. A T T M1 M2 (1) Dabei haben wir die Beschleunigung der Masse M1 mit a1e bezeichnet, die der Masse M2 ist dann (wegen konstanter Seillänge) −a1e; die Beschleunigung der Masse m1 relativ zur Masse M2 ist a2e, die der Masse m2 ist −a2e. (1) stellt ein System von 4 Gleichungen mit den vier Unbekannten a1 , a2 , T, T1 dar. Subtraktion der zweiten Gleichung von der ersten ergibt T1 m2 T1 m1 e Massen und Kräfte an der doppelten Seilrolle. (M1 + M2 )a1 = −(M1 − M2 )g + 2T1 . (2) Die Addition der beiden letzten Gleichungen von (1) führt auf −(m1 + m2 )a1 + (m1 − m2 )a2 = −(m1 + m2 )g + 2T1 . (3) Die Subtraktion von (3) von (2) liefert dann eine Beziehung zwischen a1 und a2 : (M1 + M2 + m1 + m2 )a1 − (m1 − m2 )a2 = (−M1 + M2 + m1 + m2 )g. (4) Eine zweite Beziehung dieser Art wird durch Subtraktion der beiden letzten Gleichungen (1) voneinander erhalten, nämlich −(m1 − m2 )a1 + (m1 + m2 )a2 = −(m1 − m2 )g. Aus Gleichungen (4) und (5) findet man nun die Beschleunigung a1 und a2 : −M1 (m1 + m2 ) + M2 (m1 + m2 ) + 4m1 m2 g, a1 = (m1 + m2 )(M1 + M2 ) + 4m1 m2 −2M1 (m1 − m2 ) a2 = g, (m1 + m2 )(M1 + M2 ) + 4m1 m2 so daß die Gesamtbeschleunigung der Masse m1 sich zu −M1 m1 + 3M1 m2 − M2 (m1 + m2 ) − 4m1 m2 a2 − a1 = g (m1 + m2 )(M1 + M2 ) + 4m1 m2 ergibt und die der Masse m2 : −3M2 m2 + M2 m1 + M1 (m1 + m2 ) − 4m1 m2 (−a2 − a1 ) = g. (m1 + m2 )(M1 + M2 ) + 4m1 m2 Wären alle Massen gleich (M1 = M2 = m1 = m2 ), so wären 1 a2 = 0 a2 − a1 = − g, 2 (5) (6) (7) (8) (9) 126 II Newtonsche Mechanik und 1 −a2 − a1 = − g, 2 a1 = 1 g, 2 (10) wie man es erwarten würde. Die Fadenspannung T1 erhalten wir mit (6) aus Gleichung (2) nach leichter Rechnung zu 1 1 (M + M2 )a1 + (M1 − M2 )g 2 1 2 4m1 m2 M1 = g. (m1 + m2 )(M1 + M2 ) + 4m1 m2 T1 = (11) Die Seilspannung T ergibt sich aus den ersten beiden Gleichungen (1) unter Benutzung von (6) und (11) zu (M1 + M2 )g (M1 − M2 )a1 + + T1 2 2 = M1 a1 + M1 g = M1 (a1 + g) 2(m1 + m2 )M1 M2 + 8m1 m2 M1 = g. (m1 + m2 )(M1 + M2 ) + 4m1 m2 T= (12) Gemäß (11) verschwindet T1 , wenn eine der Massen m1 , m2 , M1 verschwindet. Das Seil rollt in diesem Fall ohne Spannung ab, wie wir es anschaulich erwarten. Die Seilspannung T verschwindet, wenn entweder M1 = 0 ist oder M2 und eine der Massen m1 oder m2 (oder beide) verschwinden. Verschwinden m1 = m2 = m = 0 und ist M1 = 0, M2 = 0, so resultiert ein Limes m → 0. 2M1 M2 g. T = M1 + M2 Das ist die Seilspannung im Fall der einfachen Rolle mit den beiden Massen M1 und M2 an beiden Seilenden. Aufgabe 16.2 17 Grundbegriffe der Mechanik P z Inertialsysteme: z’ r’ r x’ 0’ y’ ’ r-r R= 0 y x Der Punkt P in Bezug auf die beiden Koordinatensysteme x , y, z und x , y , z . Wir suchen die Kräfte, die auf einen Massenpunkt P wirken, in zwei relativ zueinander bewegten Koordinatensystemen x, y, z, und x , y , z für jeweils mitbewegte Beobachter 0 bzw. 0 . r und r seien die Ortsvektoren von P in x, y, z bzw. in x , y , z . Man erhält dann den Ortsvektor von 0 nach 0 als Differenz r −r = R. Es gilt nach der Newtonschen Grundgleichung: 2 2 F = m d r 2 dt und F = m d r . 2 dt (17.1) 17 Grundbegriffe der Mechanik 127 Die Differenz der beobachteten Kräfte ist: 2 2 F − F = m d (r −r ) = m d R . 2 2 dt (17.2) dt Wegen m = 0 ist diese Differenz dann und nur dann Null, wenn gilt: d2R = 0 bzw. dt 2 dR −−−→ = const. = vR . dt (17.3) Das bedeutet, die Kräfte sind dann gleich, wenn die beiden Koordinatensysteme sich mit konstanter Geschwindigkeit vR relativ zueinander bewegen. Solche Systeme nennt man Inertialsysteme, wenn eines von ihnen – und damit alle – die Newtonschen Axiome erfüllt. Die Tatsache, daß in solchen Inertialsystemen die Newtonschen Gleichungen (17.1) der Form nach gleich und auch die Kräfte gleich F = F ) heißt klassisches Relativitätsprinzip. sind ( Messung von Massen: Massen werden durch Vergleich mit einer willkürlich festgesetzten Einheitsmasse gemessen. Hat man drei verschiedene Massen m1 , m2 und m3 , wobei m1 die Einheitsmasse ist, so läßt sich z. B. m3 ausgehend vom 2. und 3. Newtonschen Gesetz als der Quotient der Beschleunigungen experimentell bestimmen: dv1 dv3 = −m3 , m1 a1 = −m3 a3 dt dt Kraft = −Gegenkraft. m1 a1 a3 m1 m3 Zentraler Stoß. m1 m3 Wirkung der Kraft im nichtzentralen Stoß. Daraus folgt: m3 = m1 |a1 | , |a3 | wobei m1 die Einheitsmasse ist und a1 bzw. a3 bestimmt werden können. Man kann also m3 in Einheiten von m1 messen. Beim Meßprozeß (Stoß) werden die Grundgesetze (2. und 3. Newtonsche Gesetz) benutzt. Entsprechend gilt dann auch m2 = m1 |a1 | . |a2 | (17.4) F ruft eine Verschiebung eines Massenpunktes M um ein Arbeit: Eine Kraft infinitesimal kleines Wegelement dr hervor und leistet die Arbeit dW , die wie folgt definiert ist: F · dr = | F | | dr | cos( F , dr). dW = 128 II Newtonsche Mechanik Die Einheit dieses Skalars ist also: g · cm2 = 1 erg oder s2 kg · m2 = 1 N · m ⇒ 1 erg = 10−7 N · m. s2 kg · m die Einheit der Kraft. Hierbei ist 1 Newton (N) = s2 Die gesamte Arbeit W , die zur Bewegung von M längs einer Kurve C zwischen den Punkten P1 und P2 notwendig ist, ist durch folgendes Linienintegral gegeben: P2 F ϕ M C dr P1 Zur Erläuterung des Arbeitsintegrals. W= F · dr = P2 F · dr. (17.5) P1 C Leistung ist verrichtete Arbeit pro Zeiteinheit: dW dr = = F · v. F· dt dt (17.6) Die Einheit der Leistung ist g cm2 /s3 = erg/s oder kg · m2 /s3 = N · m/s . Kinetische Energie: Um einen Massenpunkt zu beschleunigen und ihn auf eine bestimmte Geschwindigkeit zu bringen, muß Arbeit verrichtet werden. Diese steckt dann in Form von kinetischer Energie im Massenpunkt. Wir gehen also von dem Integral der Arbeit aus: r2 W= F · dr = r1 v2 m t1 F · v dt t1 t2 = t2 dv 1 · v dt = m d(v · v) dt 2 v1 1 = m(v22 − v12 ) = T2 − T1 , 2 1 T = m v 2 = kinetische Energie. 2 (17.7) Konservative Kräfte: Von einer konservativen Kraft spricht man dann, wenn das F darstellbar ist als: Kraftfeld F = − grad V (x, y, z) (Definition). (17.8) 17 Grundbegriffe der Mechanik 129 Ist das der Fall, so sind die Arbeitsintegrale wegunabhängig: P2 P2 F · dr = − P1 grad V · dr P1 P2 =− dV (siehe totales Differential, Abschnitt 11) P1 = V (P1 ) − V (P2 ) ≡ V1 − V2 = −(V2 − V1 ). (17.9) Es gilt also: W = V1 − V2 wobei V ein Skalarfeld ist, das jedem Punkt des Raumes einen Zahlenwert zuordnet. W ist somit wegunabhängig. Das bedeutet aber weiterhin, daß bei Integration um eine geschlossene Kurve die Gesamtarbeit Null sein muß: F · dr = 0 (17.10) C bei konservativen Kräften. Eine äquivalente Forderung für konservative Kräfte ist: F = ∇ × F =0 rot (17.11) bei konservativen Kräften. In der Tat folgt auch direkt aus (17.8) rot grad V (r) = 0. (17.12) F = −∇V , dann wird die skalare Größe V (x, y, z) potentielle Potential: Gilt Energie, skalares Potential oder kurz Potential genannt: V (x, y, z) = − (x,y, z) F · dr . (17.13) (x0 , y0 , z0 ) Potentielle Energie Beispiel 17.1 Berechnung der potentiellen Energie zwischen zwei Punkten: P2 W= P2 F · dr P1 (x0 ,y0 , z0 ) P2 F · dr + = P1 F · dr. (x0 , y0 , z0 ) Voraussetzung ist ein konservatives Kraftfeld und somit Wegunabhängigkeit des Arbeitsintegrals. W =− P1 (x0 , y0 , z0 ) F · dr + P2 (x0 , y0 , z0 ) P1 x0y0z0 Zur Veranschaulichung der potentiellen Energie in den Punkten P1 und P2 . F · dr = V (x1 y1 z1 ) − V (x2 y2 z2 ). 130 Beispiel 17.1 II Newtonsche Mechanik Demnach handelt es sich bei der Arbeit um eine Potentialdifferenz, die von der Wahl des Bezugspunktes unabhängig ist. Das Potential selbst ist immer relativ zu einem Bezugspunkt (x0 , y0 , z0 ) definiert und daher um eine additive Konstante unbestimmt. Der Nullpunkt des Potentials kann willkürlich festgelegt werden. Diese Willkür entspricht der (willkürlichen) additiven Konstanten im Potential. Energiesatz: Bei der Herleitung der kinetischen Energie fanden wir folgende Beziehung für die Arbeit: W = T2 − T1 . Für konservative Felder gilt auch noch die andere Beziehung zwischen denselben Punkten P1 und P2 : W = V1 − V2 . Daraus folgt T2 + V2 = T1 + V1 . (17.14) Das ist der Energieerhaltungssatz (kurz: Energiesatz), wobei T + V = E die Gesamtenergie des Massenpunktes repräsentiert. Ausführlich geschrieben lautet der Erhaltungssatz der Energie: P2 P1 1 1 2 F · dr = mv12 + − F · dr mv2 + − 2 2 P0 (17.15) P0 oder 1 1 mv22 + V2 = mv12 + V1 2 2 oder E2 = E1 . Die Voraussetzungen für diesen Energieerhaltungssatz für die Bewegung eines Massenpunktes sind: 1. Die Grundannahmen und Grundgesetze der Newtonschen Mechanik (z. B. nichtrelativistische Behandlung der Masse). 2. Konservative Kraftfelder, d. h. die Kräfte lassen sich als der negative Gradient eines Potentials schreiben. Dann gilt in zeitlich konstanten Kraftfeldern: E = T + V = const. Äquivalenz von Kraftstoß und Impulsänderung: Wirkt auf einen Massenpunkt während eines Zeitintervalls t = t2 − t1 eine Kraft, so nennt man das Zeitintegral über diese Kraft einen Kraftstoß: t2 t1 F (t) dt = Kraftstoß. (17.16) 17 Grundbegriffe der Mechanik 131 Der Kraftstoß ist der Impulsänderung bzw. der Impulsdifferenz äquivalent. Das sehen wir folgendermaßen: Aus der Definition des linearen Impulses p = mv und aus der 2. Newtonschen Grundgleichung folgt: t1 F dt = t2 t1 t2 d (mv) dt = d(mv) = mv2 − mv1 = p2 − p1 . (17.17) dt t1 Eine wirkende Kraft hat also eine Impulsänderung zur Folge, und zwar nur des Betrages, wenn F in Richtung F in von p1 liegt, bzw. von Betrag und Richtung, wenn beliebigem Winkel zu p1 steht. F während der Zeit Δt, so ändert sich der Wirkt die Ktaft Impuls um F Δt = p2 − p1 . Nach dem Stoß bewegt sich die Masse geradlinig mit p2 weiter. p1=mv1 m m F. Δt t2 p2=mv2 p1 p 2- p 1=F .Δt Situation vor (oben) und nach (unten) dem Kraftstoß. Impulsstoß durch zeitabhängiges Kraftfeld Aufgabe 17.1 Ein Teilchen mit der Masse m = 2 g bewegt sich in dem zeitabhängigen homogenen Kraftfeld: 2 F = 24 t , 3 t − 16, − 12 t dyn. s s2 s cm Hierbei ist 1 dyn = 1 g · 2 = 10−5 N und 1 N = 1 Newton = s m 1 kg · 2 . s Die Anfangsbedingungen sind: F ( t 1) F ( t 2) Kraftfeld zu verschiedenen Zeiten t1 und t2 : überall im Raum gleich (homogen), aber zeitlich veränderlich. Es gilt also für eine feste Zeit t : r(t=0) = r0 = (3, − 1, 4) cm rot F (t ) = 0, und v(t=0) = v0 = (6, 15, − 8) cm . s weil F (t ) räumlich konstant ist. Es gibt daher ein zeitabhängiges Potential. Man gebe folgende Größen an: 1. Die kinetische Energie zur Zeit t = 1 s und t = 2 s. 2. Die vom Feld geleistete Arbeit, um das Teilchen von r1 = r(t=1 s) nach r2 = r(t=2 s) zu bewegen. 3. Den linearen Impuls des Teilchens in r1 und r2 . 4. Den Impuls, den das Feld dem Teilchen im Zeitintervall t = 1 s bis t = 2 s erteilt hat. 132 II Newtonsche Mechanik Lösung: F = ma = m 1. v ergibt sich aus v = dv = F m dv zu: dt dt + v0 . Mit den Angaben der Aufgabe erhält man für v also: 3 t2 cm cm t 3 t2 t + (6, 15, − 8) v(t) = 4 3 , 2 − 8 , − 3 2 s s s s 4s s und 3 4 v(t=1 s) = 10, 7 , − 11 cm , s cm . s Daraus erhält man für die Energie: v(t=2 s) = (38, 2, − 20) 1 1 mv 2 = m v 2 , 2 2 T2 = 1848 erg. T1 = 281 erg, T = 2. Die vom Feld verrichtete Arbeit ist gleich der Differenz der kinetischen Energien: W = T2 − T1 = 1567 erg. 3. Der Impuls des Teilchens ist p = mv : cm 1 , p1 = 20, 15 , − 22 g · 2 s cm . p2 = (76, 4, − 40) g · s 4. Der vom Feld erhaltene Impuls ergibt sich aus der Differenz der Impulse p2 und p1 : cm 1 . p = p2 − p1 = 56, − 11 , − 18 g · 2 s Aufgabe 17.1 Kraftstoß Aufgabe 17.2 Ein Eisenbahnwaggon der Masse m = 18 000 kg startet auf einem Ablaufberg der Höhe 3 m. Wie ändert sich der Impuls des Waggons und welche mittlere Kraft wird auf ihn beim Aufprall auf einen Prellbock am Fuß des Ablaufberges ausgeübt, wenn er innerhalb von 0,2 s a) zum Stillstand kommt, b) zurückprallt auf eine Höhe von 0,5 m? Diskutieren Sie die Impulserhaltung. 17 Grundbegriffe der Mechanik 133 Lösung: Beim Aufprall hat der Waggon einen Impuls p1 , der sich aus der potentiellen Energie beim Start vom Ablaufberg ergibt: 1 m v12 = mgh 2 ⇒ p1 = mv1 = m(2gh)1/2e1 . Im Fall a) ist der Impuls p2 nach dem Aufprall gleich Null, also Δp = p1 − p2 = m(2gh)1/2e1 = 138 096,5 m · kg · s−1 · e1 ; die innerhalb Δt = 0,2 s wirkende mittlere Kraft ist dann: F = Δp = 690 482,4 N. Δt Im Fall b) ist der Impuls p2 gegeben durch p2 = mv2 = −m(2gh )1/2e1 , wobei h die beim Zurückprallen gewonnene Höhe ist. Die Impulsänderung ist dann: Δp = p1 − p2 = me1 (2gh)1/2 + (2gh )1/2 = 194 474,1 m · kg · s−1 e1 . Für die mittlere Kraft erhalten wir: F = Δp = 972 370,7 N. Δt Der Waggon alleine stellt kein abgeschlossenes System dar: Die vom fest verankerten Prellbock ausgeübte Reaktionskraft ist eine äußere Kraft, daher kann der Impuls nicht erhalten sein. Aufgabe 17.2 Das ballistische Pendel Aufgabe 17.3 Die Geschwindigkeit einer Gewehrkugel kann mit Hilfe des ballistischen Pendels gemessen werden. Dieses besteht aus einem Faden, dessen Gewicht vernachlässigt werden kann, und einem daran befestigtem Gewicht der Masse mG . Die Gewehrkugel (Masse mK , Geschwindigkeit vK ) wird in den Klotz geschossen und bleibt stecken. Man mißt die vom Mittelpunkt der Masse mG zurückgelegte Bogenlänge s. a) Bestimmen Sie die Geschwindigkeit des Klotzes vG nach dem Stoß, und b) bestimmen Sie die Geschwindigkeit der Gewehrkugel vK , wenn die folgenden Größen gegeben sind: mG = 4 kg, l = 1,62 m, mK = 0,055 kg, s = 6,5 cm. θ θ l m G+ m K mK mG y Ballistisches Pendel und Gewehrkugel. h 134 II Newtonsche Mechanik Aufgabe 17.3 Lösung: a) Aus dem Impulserhaltungssatz folgt: mK vK = (mG + mK )vG (1) und daraus für die Geschwindigkeit vG des Klotzes, direkt nach dem Stoß mK vG = ·v . mG + mK K Für die kinetische Energie erhält man sofort T = mK 1 2 (m + mK ) · vG = 2 G mG + mK 1 2 mK vK . 2 (2) (3) Diese Energie ist identisch mit der um den Faktor mK /(mG +mK ) reduzierten kinetischen Energie der Gewehrkugel. Man mag sich wundern, warum die kinetische Energie des 2 ist. Wo steckt die Verlustenergie Klotzes nicht gleich der der Kugel 12 mK vK 1 mG 1 1 mK 2 2 2 mK vK mK vK = ? − ΔE = mK vK 2 mG + mK 2 mG + mK 2 Sie muß offensichtlich der Wärme der beim Steckenbleiben des Geschosses entstehenden Wärme entsprechen. Für mG mK wandelt sich fast die gesamte Geschoßenergie in Wärme um. Es ist noch ein zweiter Punkt beachtenswert: Zur Berechnung der Geschwindigkeit vG des Klotzes gingen wir vom Impulssatz (1) aus und nicht etwa, wie zunächst denkbar, 2 = 1 (m + m )v 2 ). Welche dieser beiden Möglichkeiten ist vom Energiesatz ( 12 mK vK K G G 2 nun richtig? Die Tatsache, daß es überhaupt zwei Möglichkeiten zu geben scheint, liegt in der unvollständigen Aufgabenstellung begründet. Im Grunde müßte noch der Prozentsatz der in Wärme umgewandelter Energie gegeben sein. Ohne Kenntnis dieses Bruchteils können wir jedoch auch so argumentieren: Aus Erfahrung wissen wir, daß beim Steckenbleiben der Kugel keine kleineren Teile des Klotzes (kleinste Stücke, Moleküle) wegfliegen, sondern der Klotz sich als Ganzes bewegt. Der Klotz selbst wird durch Reibung der Kugel auch wärmer. Es muß also auf alle Fälle der Impulssatz streng gelten, denn die Wärme als ungeordnete Molekülbewegung trägt im Mittel keinen Impuls weg, wohl aber Energie. Mit anderen Worten, nachdem der Impulssatz (1) streng erfüllt ist, können wir uns sehr wohl vorstellen, daß die Verlustenergie ΔE in Wärme umgewandelt wurde. Hätten wir streng den Energiesatz ohne Wärmeentwicklung 1 1 2 2 2 mK vK = 2 (mG + mK )vG gefordert, so ergäbe sich ein Verlustimpuls, von dem wir nicht wüßten, was mit ihm geschehen würde. b) Aus der Abbildung in der Aufgabenstellung ergibt sich für die Höhe des Blocks h = l(1 − cos θ ) = 2l sin2 θ 2 und im Grenzfall kleiner Auslenkungen θ 2 2 θ y y2 h = 2l = 2l = , 2 2l 2l wobei sin θ = y/l und sin θ = θ . (4) (5) 17 Grundbegriffe der Mechanik 135 Die Änderung der potentiellen Energie des Blocks nach dem Auftreffen der Kugel ist nach dem Energieerhaltungssatz (bei maximalem Ausschlag) 1 mK 2 m v . (6) ΔV = g(mG + mK )h = T = mG + mK 2 K K Aus den Gleichungen (5) und (6) erhält man dann für gh = m2K y2 2 vK =g 2 2l 2(mG + mK ) (7) und in der Näherung mG + mK ≈ mG folgt die Geschwindigkeit der Kugel vK : g m . vK = G y mK l (8) Einsetzen der in der Aufgabenstellung gegebenen Variablen ergibt m 9,81 4 −2 vK = · 6,5 · 10 = 11,6 . 0,055 1,62 s Aufgabe 17.3 Drehimpuls und Drehmoment sind immer in bezug auf einen festen Punkt, den Drehpunkt, definiert. Ist r der Vektor von diesem Punkt zum Massenpunkt, so ist der Drehimpuls gegeben durch L = r × p. y p m r (17.18) Legen wir das Koordinatensystem in den Bezugspunkt, so ist r der Ortsvektor des Massenpunktes, p ist sein linearer Impuls. x L =r x p Zur Definition des Drehimpulses: L = r × p. L ist ein axialer Vektor.L definiert eine Achse durch den Drehpunkt, die Drehachse, die senkrecht auf der von r und p aufgespannten Ebene steht. Entsprechendes gilt auch für das Moment der Kraft, das definiert ist als D = r × F y (17.19) und auch Drehmoment genannt wird. F m r Die zeitliche Änderung des Drehimpulses ist gleich dem Drehmoment: L˙ = D, denn D=r x F Zur Definition des D = r × F. Drehmomentes: L˙ = dL = d (r × mv) = dr × mv +r × d(mv) dt dt dt dp = r × = v × mv +r × F, dt weil v × mv = 0. x dt (17.20) 136 II Newtonsche Mechanik Das Moment der angreifenden Kraft (r × F ) ist gleich der zeitlichen Änderung des Drehimpulses. −−−→ ˙ Ist speziell D = r × F = 0 = L, so folgt daraus, daß L = const. sein muß. Dies ist der Drehimpulserhaltungssatz. r × F ist aber nur dann Null (die Trivialfäller = 0, F = 0 ausgeschlossen), wennr und F in gleicher bzw. in entgegengesetzt gleicher Richtung liegen. Eine Kraft, die ausschließlich in Richtung bzw. in entgegengesetzt gleiche Richtung des Ortsvektors wirkt, nennt man Zentralkraft. Daraus folgt: Für Zentralkräfte gilt der Drehimpulserhaltungssatz: −−→ L = − D = 0. const., weil Satz von der Erhaltung des linearen Impulses: Solange keine Kräfte wirken, ist der lineare Impuls p eine konstante Größe. Allgemein gilt F = d(mv) = m dv ; dt dt und daher folgt für F = 0. m dv = 0. dt Daraus wiederum ergibt sich: −−−→ mv = p = const. Der Impulserhaltungssatz ist identisch mit der Lex prima von Newton. Zusammenfassung: Voraussetzung der Erhaltungssätze von Energie, Drehimpuls und linearem Impuls für einen Massenpunkt in der Newtonschen Mechanik (vgl. Einleitung) sind a) Energieerhaltung: Wenn die Kräfte, die auf einen Massenpunkt wirken, F = −∇V ), dann bleibt die Gesamtenergie konservativ sind (Gradientenfeld: E = T + V des Massenpunktes erhalten. b) Drehimpulserhaltung: Der Gesamtdrehimpuls L ist zeitlich unveränderlich, wenn das angewendete (äußere) Drehmoment Null ist, d. h. wenn es sich um F = 0). Zentralkraftfelder handelt (r × c) Erhaltung des Impulses: Ist die gesamte äußere Kraft Null, so bleibt der Gesamtimpuls erhalten (äquivalent mit der Lex prima von Newton). Der Flächensatz: (siehe dazu auch den Abschnitt 26 über Planetenbewegungen, insbesondere die Keplerschen Gesetze) Die Voraussetzungen und Inhalte der drei Erhaltungssätze (Gesamtenergie, linearer Impuls, Drehimpuls) wurden bereits formuliert. Der Drehimpulserhaltungssatz gilt nur in Zentralkraftfeldern, wie sie z. B. bei den Planetenbewegungen auftreten. Die Erhaltung des Drehimpulses bedeutet sowohl die Konstanz seiner Richtung als auch die seines Betrages. 276 II Newtonsche Mechanik 28 Die Erde und unser Sonnensystem Allgemeine Begriffe der Astronomie Sterne: Sterne sind Himmelskörper (Sonnen) meist großer Massenkonzentration, die auf Grund von Kernreaktionen Licht aussenden. In der Kernzone unserer Sonne wird z. B. Wasserstoff (H) zu Helium (4 He) verbrannt. In anderen, älteren Sternen spielen sich höhere Verbrennungsprozesse ab, z. B. 34 He →12 C, 12 C +4 He →16 O usw. Sie sind im einzelnen recht subtil. Eine übersichtliche Darstellung dieser Vorgänge ist zu finden in J. M. Eisenberg and W. Greiner: Nuclear Theory 1: Nuclear Models, 3. Auflage, North Holland, Amsterdam (1987). Planeten: Planeten sind Körper, die im Zentralkraftfeld eines Sternes umlaufen. Sie können Licht reflektieren (das Verhältnis zwischen reflektiertem und eingestrahltem Lichtstrom heißt Albedo), leuchten aber von selbst praktisch (bis auf Wärmestrahlung) nicht. Die weiteste Entfernung eines Planeten von seinem Zentralkörper heißt Aphel, die kürzeste Perihel. Meteore: Sammelname für die Leuchterscheinungen, die durch das Eindringen fester Partikel (Meteorite) in die Erdatmosphäre verursacht werden. Die Meteorite, die eine Größe von 10−3 g bis zu 106 kg besitzen können, fallen mit Geschwindigkeiten zwischen 10 und 200 km/s. ein und verglühen gewöhnlich vollständig. Kometen: Kometen sind Himmelskörper geringer Massenkonzentration, die sich (sehr wahrscheinlich alle) im Zentralkraftfeld eines Sternes bewegen. Ein Komet besitzt einen Kern aus Staub und Eiskörnern. Bei ausreichender Sonnenbestrahlung bildet er eine Gashülle (Koma) und einen Schweif aus. Die gesamte Länge kann bis zu 300 Millionen km erreichen. Satelliten: Satelliten sind Körper, die Planeten umkreisen. Man kann unterscheiden zwischen natürlichen Satelliten, den Monden, und künstlichen (der erste war Sputnik I (14.10.1957)). Bei Erdsatelliten bezeichnet man die weiteste und kürzeste Entfernung von der Erde als Apogäum bzw. Perigäum. Asteroiden und Planetoiden: Es handelt sich um Felsbrocken, deren Größe klein ist gegen die der gewöhnlichen Planeten. Sie umkreisen die Sonne zwischen Mars und Jupiter und besitzen meist ähnliche Bahndaten, so daß vermutet wurde, es handele sich um die Reste eines zerfallenen Planeten (Bahnen der Planetoiden kreuzen sich). Es gibt auch Kommensurabilitätslücken innerhalb des Planetoidengürtels, vermutlich durch den Jupiter verursacht. Periode: Als Periode bezeichnet man bei jeder periodischen Bewegung die Zeit für einen vollen Ablauf. In der Astronomie ist meist die siderische Umlaufzeit gemeint; das ist die Zeit, die eine Masse für den vollständigen Umlauf um ihren Zentralkörper benötigt. 28 Die Erde und unser Sonnensystem 277 Sonnensystem: Die Sonne bildet zusammen mit den zu ihr gehörenden Planeten und deren Monden, sowie den Planetoiden, Kometen und Meteorschwärmen das Sonnensystem. Ekliptik: Die Ebene, in der der Schwerpunkt des Erde-Mond-Systems die Sonne umkreist, nennt man Ekliptik. Bestimmung astronomischer Größen Es soll jetzt kurz angedeutet werden, wie man praktisch astronomische Größen bestimmt. Die Entfernung der Planeten zur Erde a) Die Entfernungen lassen sich durch Triangulation bestimmen. Aus der Messung der Beobachtungswinkel des Planeten von zwei Punkten und deren gegenseitigem Abstand läßt sich der Abstand zum Planeten berechnen. N Parallaxe S Erde Planet Prinzip der Entfernungsmessung durch Triangulation. b) Die Entfernungen lassen sich durch Radar bestimmen. Da man die Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen kennt, kann man aus der Laufzeit des Radarsignals auf die Entfernung schließen. Diese Methode funktioniert nur für die unmittelbaren Nachbarn der Erde. c) Im Sinne von a) läßt sich auch die Erdbahn als Basis für die Triangulation verwenden, um die Entfernung der näheren Fixsterne zu messen. d) Die Sonne (und die Planeten) bewegt sich etwa 610 Mill. km/Jahr (oder 4.09 Astron. Einh./Jahr) gleichförmig in Richtung des Sonnenapex im Sternbild Herkules (vgl. später: Ein Modell der Sonnenumgebung). Das kann auch zur Parallaxenbestimmung und damit zur Entfernungsmessung von Fixsternen bis mehr als 100 Lichtjahre Distanz benutzt werden. Bestimmung der Entfernung weit entfernter astronomischer Objekte Das Universum expandiert. Je weiter entfernt sich die astronomischen Objekte befinden, desto größer ist ihre Geschwindigkeit. Diese außergewöhnliche Entdeckung machte Edwin Hubble bei der Untersuchung des weiträumigen Verhaltens von Materie im Universum. Das Hubble-Gesetz v = H0 d erlaubt die Bestimmung der Entfernung d von extragalaktischen Objekten aus ihrer Fluchtgeschwindigkeit v, wenn der numerische Wert der Konstanten H0 Hubble, E. (1889–1953) → S. 278 278 II Newtonsche Mechanik bekannt ist. Im theoretischen Rahmen des Urknallmodells ist das Hubble-Gesetz ganz plausibel. Materie, die mit hoher Anfangsgeschwindigkeit erzeugt wurde, durchläuft in der Zeit T den größten Abstand d = vT , daher v = 1/T · d. Bei nichtrelativistischen Geschwindigkeiten ist die Fluchtgeschwindigkeit v gleich dem Produkt aus der Lichtgeschwindigkeit und der Rotverschiebung z, die aus dem Spektrum des beobachteten Objekts bestimmt werden kann, λ − λ0 z= . λ0 Hierbei ist λ die beobachtete Wellenlänge einer Referenzlinie im Linienspektrum des Objekts, und λ 0 ist die Wellenlänge dieser Linie bei verschwindender Relativgeschwindigkeit zwischen Quelle und Beobachter. Ist die Schwingungsperiode des emittierten Lichts gleich T , dann gilt λ 0 = cT und λ = (c + v)T , oder λ0 λ = , c c+v woraus man v = zc erhält. Um die Hubble-Konstante H0 zu erhalten, müssen die Entfernungen eines geeigneten Satzes von Galaxien gemessen werden. Astronomische Entfernungen werden üblicherweise Schritt um Schritt bestimmt, wobei man allmählich vom Sonnensystem über nahe benachbarte Sterne zu immer weiter entfernten Objekten vordringt und schließlich weit entfernte Galaxien erreicht 1) . Der erste Schritt besteht in der Bestimmung der Ausdehnung des Sonnensystems und der Entfernungen der Planeten. Dies ist derzeit mit Hilfe von RadarLaufzeitmessungen mit hoher Genauigkeit möglich. Der einzig mögliche Weg zur direkten Bestimmung größerer Entfernungen ist die Methode der Triangulation. Diese Methode eignet sich zur Entfernungsbestimmung für Sterne in der Umgebung unserer Milchstraße. Hierbei wird die Änderung der Richtung zu einem Stern bei Beobachtung von zwei verschiedenen Punkten mit dem Abstand d aus gemessen. Die Linie zwischen den beiden Beobachtungspunkten wird Basislinie genannt, die Winkeldifferenz wird als Sternparallaxe bezeichnet. Die Parallaxe ist gleich dem Winkel, unter dem die Basislinie bei einer Beobachtung vom Stern aus erscheinen würde. Die Entfernung des Sterns 1) Weitere Details über die Messung astronomischer und kosmologischer Entfernungen findet man z. B. in Rowan-Robinson, M.: „The cosmological distance ladder“, W. H. Freeman and company, 1985 E DWIN H UBBLE Hubble, Edwin (1889–1953). Amerikanischer Astronom, der am Mount Wilson Observatorium bei der Lokalisierung von Cepheiden-Variablen in der Galaxie M31 (der Andromeda-Galaxie) im Jahre 1924, und von NGC 6822 (1925), die extragalaktische Entfernungsskala bestimmt hat. Nach weiteren Entfernungsbestimmungen für den jeweils hellsten Stern in Galaxien schlug er 1929 das Hubble-Gesetz vor. 28 Die Erde und unser Sonnensystem kann dann einfach trigonometrisch berechnet werden. Im idealen (und einfachsten) Fall liegt der beobachtete Stern in einer Ebene, die zur Basislinie senkrecht steht und diese in der Mitte schneidet. Die Entfernung ist dann in sehr guter Näherung gegeben durch b d= , α wobei b die Länge der Basislinie und α der Parallaxenwinkel ist. Die längste verfügbare Basislinie ist die Linie zwischen zwei gegenüberliegenden Punkten der Erdbahn um die Sonne. Dies ist auch der Ursprung der Entfernungseinheit Parsec (pc). 1 pc ist der Abstand, von dem aus die Erdbahn unter dem Winkel von einer Bogensekunde gesehen würde, oder – äquivalent – die Entfernung, die eine Parallaxe von einer Bogensekunde ergibt. 1 Parsec entspricht 3,26 Lichtjahren. Der Anwendungsbereich der Parallaxenmethode ist gegeben durch den Fehler bei der Bestimmung des Winkels δ α und durch die Beschränkung in der Länge der verfügbaren Basislinie. Bei Gaußscher Fehlerfortpflanzung ergibt sich für die mit der Parallaxenmethode bestimmte Entfernung ein relativer Fehler von δ d b = δα 1 = δα d. d α2 d b Dies bedeutet, daß bei einem gegebenen Fehler in der Messung des Winkels α und bei einer gegebenen Basislinie b nicht nur der absolute Fehler für die Entfernung d, sondern auch der relative Fehler mit wachsender Entfernung zunimmt. Die erste Sternparallaxe wurde von dem deutschen Astronomen Friedrich Wilhelm Bessel gemessen. Im Jahre 1838 veröffentlichte Bessel für die Parallaxe des Sterns 61 Cygni seinen Wert von 0,314 Bogensekunden, dies entspricht einer Entfernung von etwa 10 Lichtjahren. Der korrekte Wert der Parallaxe von 61 Cygni beträgt 0,292 Bogensekunden oder 11,2 Lichtjahre. Während der 1990er Jahre hat die Satellitenmission Hipparcos die Parallaxe von 118,000 Sternen bis herab zu 1 Milli-Bogensekunde (mas) genau gemessen. Diese Daten liefern eine sehr genaue Vorstellung über die Entfernungen in der Umgebung unserer Milchstraße 1) . Aber auch schon vor dem Erscheinen der Hipparcos-Daten gab es Möglichkeiten, Entfernungen jenseits des Anwendungsbereiches der Triangulationsmethode zu bestimmen. Mit Hilfe der Sternstromparallaxe (auch Fluchtpunktmethode genannt) kann man die Entfernung zu nahen offenen Sternhaufen messen und somit die absolute Helligkeit von Hauptreihensternen bestimmen. Die Methode der Sternstromparallaxe beruht auf der Bestimmung der beiden Komponenten der Bewegung eines Sterns, die von der Erde aus beobachtet werden können: die Radialgeschwindigkeit (Geschwindigkeit längs der Blickrichtung) kann aus der Dopplerverschiebung im Sternspektrum bestimmt werden, während 1) Siehe z. B. Perryman, M.: „The Hipparcos Astrometry Mission“, Physics Today (June 1998), http://astro.estec.esa.nl/Hipparcos/. 279 280 II Newtonsche Mechanik die Eigenbewegung des Sterns (die Bewegung auf der Himmelskugel) in eine Transversalgeschwindigkeit umgerechnet werden kann, wenn die Entfernung des Sterns bekannt ist. Die Kombination der beiden Geschwindigkeitskomponenten ergibt den vollständigen dreidimensionalen Geschwindigkeitsvektor des Sterns. Wenn andererseits die Richtung des Geschwindigkeitsvektors und die Radialgeschwindigkeit eines Sterns bekannt sind, dann kann die Entfernung des Sterns aus der Eigenbewegung berechnet werden. Dies wird zur Entfernungsbestimmung mit der Methode der Sternstromparallaxe benutzt. Kennt man den scheinbaren Fluchtpunkt eines Sternhaufens mit einer kollektiven Parallelbewegung, dann kann man die Transversalbewegung der Sterne in dem Haufen aus der Messung ihrer Radialgeschwindigkeiten ableiten. Durch Vergleich mit der Eigenbewegung lässt sich die Entfernung der Sterne bestimmen. Die Genauigkeit dieser Methode beruht auf der großen Zahl gemessener Sterne. Das prominenteste Beispiel für die Anwendung der Sternstromparallaxe ist die Bestimmung der Entfernungen der Hyaden, der Sterne, die einen offenen Haufen um Aldebaran im Sternbild Stier bilden. Die damit erhaltene Entfernung der Hyaden beträgt 45 pc. Die Bestimmung der Entfernung zu den Hyaden dient als Eichpunkt für noch weiter hinaus reichende Methoden wie etwa die Cepheidenmethode. Trägt man in einem Diagramm die absolute Helligkeit von Sternen über deren Oberflächentemperatur auf, die aus ihren Spektren abgeleitet werden kann, so findet man eine große Klasse von Sternen, die eine ausgeprägte monotone Beziehung zwischen diesen beiden Observablen aufweisen. Solche Sterne werden Hauptreihensterne genannt. Das Diagramm wird nach seinen Erfindern als HertzsprungRussell-Diagramm bezeichnet. Bei der Anpassung von großen Sternhaufen auf der Hauptreihe wird diese Relation zwischen der Oberflächentemperatur und der absoluten Helligkeit benutzt, um die absolute Helligkeit der Sterne und – durch Vergleich mit den gemessenen scheinbaren Helligkeiten – die Entfernung des Haufens abzuschätzen. Das Verhältnis der scheinbaren Helligkeiten von Sternen in unterschiedlichen Haufen erlaubt daher Schlussfolgerungen über das Verhältnis der Entfernungen der Haufen zum Sonnensystem. Die Methoden der Sternstromparallaxe und der Anpassung an die Hauptreihe erlauben somit die Entfernungsbestimmung von weit entfernten Sternhaufen. Beobachtet man Cepheidensterne in solchen Haufen, dann kann man die PeriodenHelligkeitsrelation dieser Klasse veränderlicher Sterne eichen und Entfernungen bis zu 4 Mpc messen, die über die Milchstraße hinaus in extragalaktische Regionen reichen. Die Cepheiden sind eine Klasse von veränderlichen Sternen, die eine definite Relation zwischen ihren absoluten Helligkeiten (d. h. dem Gesamtbetrag an Energie, der als sichtbares Licht abgestrahlt wird) und der Periode ihrer Helligkeitsschwankung aufweisen. Sie sind nach dem ersten bekannten Objekt dieses Typs benannt, dem veränderlichen Stern δ Cephei. Beobachtet man einen entfernten Cepheiden, dann kann man aus der gemessenen Variationsperiode die absolute Helligkeit berechnen. 28 Die Erde und unser Sonnensystem Durch Vergleich mit der scheinbaren Helligkeit (dem im Teleskop aufgefangenen Licht) kann man die Entfernung des Sterns bestimmen. Um zuverlässige Ergebnisse zu erhalten, muß die Abschwächung des Lichts durch interstellare Materie berücksichtigt werden. Der für das Pulsieren der Cepheidensterne verantwortliche astrophysikalische Mechanismus und die Beziehung zur absoluten Helligkeit sind recht gut bekannt. Die moderne Astrophysik differenziert zwischen klassischen Cepheiden und W Virginis-Sternen, die unterschiedliche Lichtkurven und Spektren zeigen. Außerdem kennt man die relativ dunklen RR-Lyrae-Sterne, die an Hand ihrer kurzen Perioden identifiziert werden können. RR-Lyrae-Sterne haben eine konstante Absoluthelligkeit, die zur Entfernungsbestimmung benutzt werden kann. Da sie aber nicht so hell sind wie die Cepheiden, können sie nur bei kürzeren Entfernungen verwendet werden. Mit Hilfe von extragalaktischen Cepheiden kann man den absoluten Durchmesser der H-II-Regionen von Galaxien bestimmen. Nimmt man an, daß die Durchmesser von großen H-II-Regionen in unterschiedlichen Galaxien annähernd gleich groß sind, so kann man die Entfernungen zu anderen Galaxien bestimmen. Nach dieser Methode können Entfernungen bis zu 25 Mpc erreicht werden. Die H-II-Regionen wurden so benannt, weil sie aus einfach ionisiertem Wasserstoff bestehen. Die Annahme, daß diese Regionen, die vermutlich eine wichtige Rolle bei der Sternbildung spielen, alle etwa die gleiche Größe haben, vertraut auf die Hypothese, daß die UV-Strahlung aus dem Kern ihrer Galaxien, die sie zum Leuchten bringt, immer die gleiche Reichweite hat. Dies würde bedeuten, daß der beobachtbare Radius konstant ist. Im nächsten Schritt werden die Entfernungen der H-II-Regionen benutzt, um die absoluten Helligkeiten von sogenannten Sc-I-Galaxien zu bestimmen. In der Hubble-Klassifizierung der Galaxien sind Sc-I-Galaxien eine Klasse von alten Spiralgalaxien mit weiten offenen Spiralarmen und einem kleinen Kern. Alle Galaxien dieser Klasse haben annähernd die gleiche absolute Helligkeit. Misst man die scheinbare Helligkeit weit entfernter Sc-I-Galaxien, so kann man unter Verwendung ihrer bekannten absoluten Helligkeit auf ihre Entfernung schließen. Dies erlaubt schließlich, die Beziehung zwischen der Entfernung und der Rotverschiebung zu bestimmen und ergibt einen Wert für die Hubble-Konstante H0 . Bei jedem Schritt der Entfernungsmessungen existieren auch alternative Methoden. Neben der gut etablierten Cepheiden-Eichung kann man nach Novae suchen, die einer definiten Relation zwischen ihrer maximalen absoluten Helligkeit und der Zeitskala der Helligkeitsabnahme genügen, oder man sucht nach hellen Hauptreihensternen, die auf Grund ihrer Spektren identifiziert werden können und deren absolute Helligkeit gut bekannt ist. Supernovae können noch in der riesigen Entfernung von 400 Mpc beobachtet werden. Während alle Supernovae 281 282 II Newtonsche Mechanik annähernd die gleiche absolute Helligkeit erreichen, ist dieser Wert nicht leicht zu eichen. Eine weitere Methode benutzt die dritthellste Galaxie in einem kleinen Galaxienhaufen, unter der Annahme, daß alle Galaxien dieser Art etwa die gleiche absolute Helligkeit besitzen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß die dritthellste Galaxie für diesen Zweck besser geeignet ist als die hellste oder zweithellste Galaxie. Eine andere Möglichkeit zur Entfernungsbestimmung ist die Verwendung der hellsten Kugelhaufen von fernen Galaxien. Schließlich verwendet eine radio-astronomische Methode die beobachtete enge Beziehung zwischen der Halbwertsbreite der 21 cmLinie von Wasserstoff und der absoluten Helligkeit einer Galaxie im blauen Spektralbereich. Die Kombination von all diesen unterschiedlichen Methoden ergibt heutzutage ein ziemlich kohärentes Bild über die Entfernungen im Universum. Der akzeptierte Wert für die Hubble-Konstante aus verschiedenen Messungen mit dem Hubble Space Telescope 1) ist H0 = 72 ± 8 km · s−1 · Mpc−1 . Die Bahngeschwindigkeit der Planeten a) Für kreisförmige Bahnen läßt sich die Geschwindigkeit aus den meßbaren Größen Bahnradius und Umlaufdauer (Periode) bestimmen. b) Für elliptische Bahnen läßt sich die Geschwindigkeit aus den meßbaren Halbachsen und der Periode bestimmen. Die Masse der Planeten a) Aus dem Gravitationsgesetz und der Gleichung für die Zentripetalkraft ergibt sich die Beziehung γ M = 4π 2 a3 T −2 , siehe Gleichung (26.40). Das ist das 3. Keplersche Gesetz. M ist hierbei die Masse des Zentralkörpers, die im Verhältnis zur Masse des umlaufenden Körpers groß ist. Aus dieser Gleichung läßt sich die Sonnenmasse und die jedes Planeten, der Monde besitzt, errechnen. b) Haben Planeten keine Monde, so bestimmt man ihre Masse aus den Bahnstörungen der Nachbarplaneten. Die Rotationsgeschwindigkeit eines Planeten oder Sterns: Die Rotationsgeschwindigkeit eines Planeten läßt sich aus der Beobachtung markanter Punkte an dessen Oberfläche bestimmen. Bei Sternen, die nur als punktförmige Lichtquellen sichtbar sind, versagt diese Methode. Bei ihnen kann man aus dem Spektrum und der aufgrund des Dopplereffektes auftretenden Verzerrung einer Spektrallinie auf die Rotationsgeschwindigkeit schließen (verschiedene Verschiebung – rot, blau – an entgegengesetzten Seiten des rotierenden Sterns). Der Ostrand der Sonne zeigt z. B. eine Rot, der Westrand eine Blauverschiebung, aus welcher eine Rotationsgeschwindigkeit der Sonnenoberfläche von 2 km/s folgt. 1) Freedman, Wendy L. et al.: „Final Results from the Hubble Space Telescope Key Project to Measure the Hubble Constant“, The Astrophysical Journal 553 (2001) 47–72. 28 Die Erde und unser Sonnensystem 283 Nachweis von Gasen im All: In Sternen vorhandene Elemente lassen sich aus dem Spektrum des Sternlichtes bestimmen. Bei Planeten muß jedoch beachtet werden, daß sie Licht nur reflektieren bzw. absorbieren. Man kann hierbei die Gase der Atmosphäre aus dem Absorptionsspektrum ermitteln (Fraunhofersche Linien). Die Gezeiten: Zwei Massen befinden sich im Gravitationsfeld einer dritten Masse M (siehe Figur). Die erste Masse erfährt eine Beschleunigung a1 = γ M/r12 , die zweite Masse wird mit a2 = γ M/r22 beschleua2 a1 M nigt. Ein Beobachter auf einer der Massen stellt deshalb Zwei Massen im Gravitationsfeld der fest, daß sich die anderen Masse mit der Beschleunigung Masse M erfahren verschiedene Bea1 − a2 = γ M(1/r12 − 1/r22 ) von ihm wegbewegt. Auf- schleunigungen a1 und a2 auf Grund grund der unterschiedlichen Stärke der Gravitationskraft der Inhomogenitäten des Gravitationswirkt also eine Kraft zwischen den beiden Massen, die feldes. dadurch auseinander gezogen werden. Eine solche Kraft, die immer auftritt, wenn das Gravitationsfeld inhomogen ist, nennt man Gezeitenkraft, weil durch denselben Effekt die Gezeiten auf der Erde entstehen. Ebbe und Flut werden durch die Bewegung der Erde im Gravitationsfeld des Mondes bewirkt. Im Punkt A bzw. B (siehe Figur) erfährt ein Körper aufgrund der Anziehungskraft des Mondes (Masse MM ) die Beschleunigung a = γ MM /(r ± R)2 , wobei r der Abstand zwischen Erd- und Mondmittelpunkt und R der Erdradius ist. C Mond aM aM az A S M az B Erde D Zur Erklärung der Gezeiten: Erde und Mond kreisen um den gemeinsamen Schwerpunkt S . Die Taylor-Entwicklung liefert aM ≈ (γ MM /r2 )(1 ∓ 2R/r). Die Beschleunigung im Erdmittelpunkt beträgt az = γ MM /r2 , so daß die Differenz aM − az = aM − γ MM /r2 = ∓2γ MM R/r3 beträgt. Diese Differenz zeigt immer von der Erdoberfläche weg und beträgt 8 · 10−5 cm/s2 . Die Erdbeschleunigung wird also in den Punkten A und B um diesen Betrag verringert. Der gemeinsame Schwerpunkt S von Erde und Mond ist etwa 3/4 · R vom Erdmittelpunkt entfernt. Da der Schwerpunkt erhalten ist, bewegen sich Erde und Mond mit gleicher Winkelgeschwindigkeit um diesen Punkt S. Der Erdmittelpunkt 284 II Newtonsche Mechanik bewegt sich also auf einem Kreis mit Radius 3/4 · R um S. Diese Kreisbewegung ist für alle Punkte der Erde gleich und führt zu einer Zentrifugalbeschleunigung az , die parallel zur Achse Erde-Mond und vom Kreismittelpunkt weggerichtet ist. Im Erdmittelpunkt heben sich die Zentrifugalbeschleunigung und die Gravitationsbeschleunigung γ MM /r2 gerade auf. Die Verringerung der Erdbeschleunigung in den Punkten A und B führt dazu, daß sich dort Flutberge bilden. Da das Problem symmetrisch zur Achse Mond – Erde ist, haben wir in einem zu dieser Achse senkrechten Ring durch C und D Ebbe. Mit dem Mondumlauf und der Rotation der Erde um ihre Achse wandern die Punkte A und B über die Erdoberfläche, so daß innerhalb von 24(3/4) h zweimal höchste Flut an einem Ort auftritt. Wäre die Erde nur von Ozeanen bedeckt, so würde die Höhe des Flutberges etwa 90 cm betragen. Durch die unterschiedlichen Formen der Küstenlinien können sich die Zeiten der höchsten Flut verschieben und Flutberge von mehreren Metern Höhe ausbilden. Sonne Neumond Erde Erde Halbmond Vollmond Springflut Nippflut Zur Erklärung von Spring- und Nippflut. Das Gravitationsfeld der Sonne bewirkt ebenfalls Gezeitenkräfte auf der Erde, die fast die Hälfte der Gezeitenkräfte des Mondes betragen. Wenn Sonne, Mond und Erde auf einer Geraden liegen (also bei Vollmond und bei Neumond, etwa alle 13(1/2) Tage), addieren sich die Gezeitenkräfte und es entsteht eine besonders hohe Flut (Springflut); bei Halbmond gibt es eine Nippflut (siehe Figur). Die Reibung zwischen den Wassermassen und der Erde führt zu einer Bremsung der Erdrotation, so daß der Tag in den letzten 1000 Jahren um 0,0165 s länger geworden ist. Da der Gesamtdrehimpuls des Erde-Mond-Systems erhalten ist, muß die Abnahme des Drehimpulses der Erde von einer Zunahme des Drehimpulses des Mondes begleitet sein. Der Drehimpuls des Mondes bezogen auf den Erdmittelpunkt ist LMond = MM vr. Die Gravitationskraft ist gerade gleich der Zentrifugalkraft: γ ME MM γ ME MM v 2 = ⇒ v= . 2 r r r √ Also gilt: LMond = MM γ ME r. Wenn LMond zunimmt, nimmt also auch der Abstand Erde–Mond zu. Diese Zunahme beträgt etwa 3 cm pro Jahr. Die Übertragung vom Drehimpuls von der Erde auf den Mond wird im folgenden in einem etwas vereinfachten Modell erklärt. Die Reibung zwischen den Wassermassen der Ozeane und der Erdkruste bewirkt, daß die beiden Flutberge hinter der Achse Erde–Mond hinterherlaufen (siehe Figur). Die Unterschiede in den 28 Die Erde und unser Sonnensystem 285 Gravitationskräften N und F ergeben ein Drehmoment, das den Drehimpuls der Erde verringert. Die Summe der am Mond angreifenden Gegenkräfte hat eine Komponente in Richtung der Mondbewegung. Also existiert ein Drehmoment, das den Drehimpuls des Mondes vergrößert. Die Gezeitenkräfte der Erde auf den Mond haben bewirkt, daß der Mond immer mit derselben Seite zur Erde steht: Die Mondrotation ist schon so weit abgebremst, daß ihre Periode mit der Umlaufsdauer des Mondes übereinstimmt 1) . N N Erde Mond F F Die Flutberge werden von der Erdrotation teilweise mitgerissen Wirkung der Gezeitenreibung. Erdpräzession und Erdnutation: Bei den weiteren Betrachtungen wird stets berücksichtigt, daß die Himmelskörper (z. B. Erde) ausgedehnt sind. Pol der Ekliptik Ekliptikebene 23,4° L N S Erdachse Die Geometrie bei der Erdpräzession. Da die Erde keine exakte Kugelform besitzt, sondern ein abgeplattetes Rotationsellipsoid ist, und da die Rotationsachse der Erde gegen die Ekliptik geneigt ist, wird von der Sonne auf die Erde ein Drehmoment D ausgeübt, das der Erde ˙ die Drehimpulsänderung dL erteilt: L = D oder dL = D dt. Das Drehmoment D und damit auch dL stehen senkrecht auf L. Weil das zu jeder Zeit so ist, muß L auf einem Kegelmantel um die Polachse der Ekliptik laufen. So entsteht der Präzessionskegel. Mehr darüber wird in der Kreiseltheorie in Mechanik II besprochen. 1) Wir empfehlen zur Lektüre: Peter Brosche: Die Abbremsung der Erdrotation, Physik in unserer Zeit, Vol. 20 (1989) Heft 3, Seite 70. 286 II Newtonsche Mechanik Wir betrachten das Problem unter der Annahme, die Erde werde von der Sonne umkreist und die Sonnenmasse sei homogen auf der angenommenen Bahn verteilt. (Dies wird bald noch gerechtfertigt.) Dann befindet sich für unsere Betrachtung ein Massenring im Abstand Erde–Sonne um die Erde. Dieser Massenring erzeugt für den Kreisel „Erde“ eine Drehimpulsänderung, die bewirkt, daß sich die Drehimpulsachse um den Pol der Ekliptik dreht. Der Pol der Ekliptik steht in der Zeichnung senkrecht auf der gedachten (schraffierten) Sonnenbahnebene, der Ekliptik. Die Drehimpulsachse beschreibt einen Präzessionskegel um den Pol der Ekliptik. Die Umlaufdauer der Erdpräzession beträgt 25 730 Jahre („platonisches“ Jahr). Dies rechtfertigt nun unsere Annahme des homogenen Massenringes „Sonne“, da in der Zeit des Präzessionsumlaufes die Sonne 25 730 mal die Erde umkreist hätte. Auf die Erde wirken außer der Sonnenanziehung noch andere Anziehungskräfte von Planeten und Mond, die ebenfalls eine Drehimpulsänderung hervorrufen. Die größten Störungen verursacht der Mond, sie führen zu Präzessionen mit einer Periode von 9,3 Jahren. Aufgrund der Abplattung der Erde fallen die Erdachse und die Drehimpulsachse nicht genau zusammen, so daß sich die Erdachse um die Drehimpulsachse bewegt. Diese Schwankungen der Erdachse heißen Nutationen. Die gemessene Periode der Nutationsbewegung der Erde beträgt 433 Tage. Eine ausführliche quantitative Diskussion dieser Phänomene finden Sie im Kapitel über Kreiseltheorie der Mechanik II der Vorlesungen. Kleine Körper im Sonnensystem: Je gründlicher die Astronomen das Sonnensystem erforschen, desto schwieriger wird es für sie, bei den kleineren Himmelskörpern die klassische Einteilung in die verschiedenen Kategorien aufrechtzuerhalten. Von den Monden, die die Planeten umkreisen, haben sich einige eindeutig als eingefangene Kleinplaneten (Asteroiden) entpuppt. Die meisten der Asteroiden, die vermutlich aus dem Material eines „verhinderten“ Planeten bestehen, bewegen sich zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter um die Sonne. Einige kommen auf ihrem Flug aber auch nahe an die Erde heran. Durch verfeinerte Beobachtungstechniken ist es möglich geworden, in unserer Nachbarschaft sogar Kleinplaneten mit einem Durchmesser von wenigen Metern nachzuweisen. Damit sind sie von der Größe her mit den Meteroiden vergleichbar. Zu bestimmten Zeiten im Jahr häufen sich am Himmel Sternschnuppen, und zwar immer dann, wenn die Erde die Bahn eines Kometen kreuzt. Daraus haben die Astronomen geschlossen, daß viele Meteroite Bruchstücke von Kometen sind. Andere weisen eine Zusammensetzung auf, die eine Kleinplaneten-Herkunft nahelegt. Man weiß auch, daß Kometen sich aufspalten und in Trümmer zerfallen können. Anfangs intakte Kometen sind bei einer späteren Wiederkehr als Zwillingskometen aufgetaucht. 28 Die Erde und unser Sonnensystem Einen solchen Zerfall gibt es offenbar auch bei Kleinplaneten. Im Rahmen eines englisch-australischen Beobachtungsprogramm ist im Jahr 1991 ein Asteroid entdeckt worden, der die Bezeichung 1991 RC erhielt und später „5786 Talos“ genannt wurde 1) . Er befindet sich praktisch in derselben Bahn wie der Kleinplanet Ikarus, der sich der Erde im Jahr 1968 bis auf sechs Millionen Kilometer genähert hatte. Im Oktober 1990 fanden die Astronomen einen Kleinplaneten, der einen Durchmesser von nur 60 bis 120 Metern hat. Einen Monat vorher war auf dem Kit Peak in Arizona ein Teleskop zur systematischen Suche nach erdnahen Kleinplaneten in Betrieb genommen worden, das ernsthafte Schwierigkeiten bei der Zuordnung kleiner kosmischer Objekte aufzeigt. Mit dem Gerät wurde ein „Kleinplanet“ (1991 BA) mit nur fünf bis zehn Meter Durchmesser entdeckt, der zwölf Stunden später in 170 000 Kilometer Abstand an der Erde vorbeiflog. Er ist so klein, daß es sich auch um einen Meteor handeln könnte. Weil die systematische Suche nach kosmischen Brocken auf dem Kit Peak erstmals mit elektronischen Detektoren (CCDs) betrieben wird, ist mit solchen Entdeckungen künftig häufiger zu rechnen. Im Oktober und November 1991 wurden allein vier weitere Objekte gefunden, deren Durchmesser jeweils weniger als dreißig Meter beträgt. Ob es sich um Kleinplaneten oder um Meteore handelt, läßt sich in keinem Fall feststellen. Von einem Meteor, der 1972 vom Westen der Vereinigten Staaten aus zu sehen war, schätzt man, daß sein glühender Körper einen Durchmesser von vier Metern hatte – also nicht viel weniger als das Objekt 1991 BA. Mit dem Teleskop auf dem Kit Peak haben die Astronomen in nur zehn Monaten fünfzehn vorher unbekannte „Kleinplaneten“ auf dem Weg zur Erde nachgewiesen, außerdem monatlich 2000 weitere Asteroiden. Wie oft solche Objekte auf der Erde einschlagen, wird man wohl bald mit zusätzlichen Daten neu berechnen müssen. Auf einer 1991 in St. Petersburg veranstalteten Konferenz („The Asteroid Hazard“) haben die Teilnehmer noch geschätzt, daß man etwa einmal pro Jahrhundert mit dem Einschlag eines Brockens mit 50 Meter Durchmesser rechnen muß. Das klingt nach einer größeren Gefährdung. Tatsächlich allerdings haben Meteore bislang nur selten nennenswerte Schäden verursacht, weil nur ein sehr kleiner Teil der Erdoberfläche bewohnt ist. Wäre das Objekt 1991 BA mit der Erde kollidiert, hätte die Einschlagsenergie – eine Dichte wie bei typischen Meteoritenmaterial vorausgesetzt – etwa 40 Kilotonnen TNT betragen. Das ist die dreifache Energie der Bombe von Hiroshima. Die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA schmiedet seit einiger Zeit Pläne, kleine, auf die Erde zukommende Objekte systematisch zu orten und gegebenenfalls vor einer Kollision zu vernichten. Ob ein solches Vorhaben sinnvoll und mit den heutigen Mitteln überhaupt möglich ist, bleibt abzuwarten. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, daß die NASA im Dezember 2001 entschieden hat, ein Routineprogramm zur Suche nach kleinen nahen Asteroiden am 300-m-Radioteleskop in Arecibo/Puerto Rico zu stoppen. Die NASA 1) D. Steel, Nature 354 265–267 (1991). 287 288 II Newtonsche Mechanik war vom amerikanischen Kongress beauftragt worden, bis zum Jahre 2008 alle astronomischen Körper mit Größen oberhalb von 1 km zu verfolgen, die eine Gefahr für die Erde darstellen können. Der Kongress hat jedoch nicht genügend Fördermittel bewilligt, um diese Aufgabe zu erfüllen, wie die NASA feststellt. Die Beobachtungen mit dem Arecibo-Teleskop sind extrem wichtig, um die gegenwärtigen Positionen, Geschwindigkeiten und Bahnorientierungen von möglicherweise gefährlichen kleinen Objekten zu bestimmen. Außerdem erlaubt dieses Teleskop, Radarabbildungen von einigen dieser Körper zu erstellen. Das einzige verbleibende Radioteleskop für die Suche nach den sogenannten „NEOs“ (Near Earth Objects) ist nun die Antenne des NASA Deep Space Network in Goldstone/California. Alle anderen mit der Suche nach NEOs befassten Teleskope sind optische Teleskope. Neuere Forschungen zum Sonnensystem – Jupiters große Familie von Monden. Die Erforschung unseres Sonnensystems ist offensichtlich weit davon entfernt, abgeschlossen zu sein. Diese Auffassung kann bestärkt werden durch die unlängst erfolgte Entdeckung von 11 bisher unbekannten Jupitermonden im Dezember 2001 und weiteren 18 Monden im Laufe des Jahres 2002, womit sich die Gesamtzahl von Monden des größten Planeten unseres Sonnensystems auf 58 erhöht hat (April 2003). Jupiter hat offensichtlich mehrere Asteroiden und kleinere Planeten in sein Gravitationsfeld eingefangen. Die unlängst entdeckten Monde waren während eines gezielten Suchprogramms von einer Gruppe von Astronomen aus England und Hawaii 1) gefunden worden. Man erwartet, daß die Gesamtzahl der Jupitersatelliten mit einem Durchmesser von mindestens 1 km in die Hunderte geht. Die neu entdeckten Monde sind allesamt sogenannte irreguläre Satelliten von Jupiter. Diese werden charakterisiert durch weit ausgedehnte, elliptische Bahnen, die nicht innerhalb der Ekliptik liegen. Viele dieser irregulären Satelliten (einschließlich aller neu entdeckten) bewegen sich auf rückläufigen Bahnen, d. h. in einer zur Rotationsrichtung des Jupiter entgegengesetzten Richtung. Der größte dieser irregulären Satelliten, Himalia, ist bereits im Jahre 1904 entdeckt worden. Die rückläufige Bahn dieser Körper ist ein klarer Hinweis darauf, daß sie keine Ursatelliten des Jupiter, sondern eingefangene Objekte sind. Bisher ist noch nicht bekannt, wie Jupiter diese kleinen Planetoiden einfangen und an sich binden konnte. Astronomen können diese Ereignisse nicht durch die Himmelsmechanik allein erklären. Möglicherweise hatte Jupiter in den frühen Stadien seiner Geschichte eine weit hinaus reichende Atmosphäre, welche die kleinen Planetoiden abgebremst haben könnte. 1) siehe z. B. die Web-Seite des Gruppenleiters, David Jewitt von der Universität Hawaii, unter http://www.ifa.hawaii.edu/˜sheppard/satellites/jup.html. 28 Die Erde und unser Sonnensystem Die 11 neuen Monde des Jupiter haben allesamt Durchmesser zwischen 2 und 4 km. Sie wurden mit Hilfe des Canada-Frankreich-Hawaii-Teleskops (Durchmesser 3,6 m) mit einer der größten Digitalbildkameras der Welt, der „12K“, entdeckt. Diese Kamera lieferte hochaufgelöste Bilder von einem weit ausgedehnten Gebiet um Jupiter. Die Digitalbilder wurden mit Hochleistungscomputern verarbeitet und dann mit einem effizienten Computeralgorithmus nach Objekten abgesucht, deren Bewegungen für jupiternahe kleine Monde charakteristisch sind. Wenn ein Objekt vom Programm gefunden wurde, dann wurde es per Auge visuell bestätigt. Wenn der Kandidat gut aussah, dann wurde er während der folgenden Monate am 2,2-mTeleskop der Universität Hawaii beobachtet. Diese Beobachtungen erlaubten die Bahnen zu berechnen. Dieses schematische Bild zeigt die Bahnen der irregulären Satelliten des Jupiter. Zum Vergleich wurde der am weitesten außen befindliche reguläre Satellit von Jupiter, der Galileische Mond Callisto, angegeben. Die Bahnen der neuen Satelliten sind als schwarze c University of Hawaii, mit freundlicher Genehmigung) Kurven wiedergegeben worden. ( Eigenschaften, Lage und Entstehung des Sonnensystems Allgemeines über das Sonnensystem: Unser Sonnensystem gehört dem Spiralnebel „Milchstraße“ an. Die folgende Skizze zeigt die Milchstraße von der Seite her gesehen; die zweite Figur dasselbe in Draufsicht. Die Linien bezeichnen 289 290 II Newtonsche Mechanik Zonen gleicher Materiedichte, wobei die Dichte von innen nach außen abnimmt. Unser Sonnensystem ist ungefähr 10 kpc vom Zentrum der Galaxie entfernt (die Längeneinheit parsec besitzt die Größe 1 pc = 3,086 · 1013 km = 3,26 Lichtjahre. Dieser Zahlenwert ergibt sich aus folgender Definition: 1 pc ist die Entfernung, in welcher man den großen Erdbahnradius unter 1 sieht). Sonne Spiralarme (Querschnitt) 4 kpc 30 kpc Draufsicht. Veranschaulichung der Titus-Bodesche-Beziehung. Galaktisches Halo mit alten Sternen dünn besetzt ~ 105 Lichtjahre Seitenansicht. Merkur n = −2 Venus −1 Erde 0 Mars 1 Planetoiden 2 Jupiter 3 Saturn 4 Uranus 5 Neptun 6 Pluto 7 an ln a 0 −2 − 1 0 1 2 3 4 5 6 7 n Merkur Venus Erde Mars Ceres Jupiter Saturn Uranus Neptun Pluto Schematischer Querschnitt durch die Galaxis Milchstraße. Bei der Betrachtung des Sonnensystems (siehe dazu die Abbildung auf S. 292) fällt auf, daß alle Planeten den gleichen Umlaufssinn und beinahe dieselbe Bahnebene besitzen, nur Pluto weicht in seinen Daten stärker ab, so daß man annimmt, er sei erst nach der Entstehung des Planetensystems von der Sonne eingefangen worden. Im Zusammenhang mit der Entstehung des Planetensystems ist folgende, bisher noch nicht erklärte empirische Gesetzmäßigkeit für die großen Halbachsen der Planeten interessant (die Planetoiden fügen sich hier gut ein). Es ist die sogenannte Titus-Bodesche Beziehung für die großen Halbachsen an der Planeten: an = a0 kn . Dabei sind a0 = 1 AE und k ≈ 1,85. Die Abkürzung „AE“ bedeutet „Astronomische Einheit“ = großer Erdbahnradius. Die ganzen Zahlen n werden hierbei den Planeten zugeordnet (siehe dazu die obere Abbildung). 291 28 Die Erde und unser Sonnensystem Name Sonne Merkur Venus Erde Mars 5,46 −243d 58d 17h 2 1 0 0 160 216 288 740 — CO2 , N2 , O2 , H2 O N2 , O2 CO2 , N2 , H2 O 100–625 He, H 9h 0,5m 0 3,3 Fe, Si Fe, Si, O Fe, Si, O Fe, Si — H2 , He, CH4 , H, He NH3 , H2 O 9h 55m 58 134 1,33 5,06 H, He 0,4 H, He 0,9 — 5785 0,054 ∼ 25 d 0,814 2,4 H2 , He, CH4 , H, He NH3 10h 40m 57 (?) H2 , He, CH4 , H, He NH3 H2 O, CH4 , NH3 8 43 (?) (?) 1 H2 , CH4 21 97 0,71 −23h 50m 5 60 24h 37m 1,4 0,949 317,45 0,9 1,55 0,8 (?) 6h 23m 17h 50m 23m 56m 3,3 · 105 — ∼ 2◦ 95,21 0,9 Mittlere Oberflächentemperatur (in K) 2,41 3,93 109 ∼ 3◦ 14,9 1,7 5,52 — 0,206 7◦ 0,4 1 — 57,9 0,107 17,2 ∼ 0,0001 — 1 — 108,2 0,007 3◦ 23◦ 27 1 — 0,387 23◦ 59 0,533 — 0,723 227,9 0,093 1◦ 51 149,6 0,017 0◦ — 0,205 1 — 0,615 1,524 — — 1 — 0,055 10,97 3,72 3,43 5966 0,247 17◦ 10 > 50◦ 0,24 (?) 0,002 (?) 0,1 0,048 1◦ 18 0,382 — 1,88 — — — — — — 2,767 — 1846 Leverrier Galle 1930 Lowell 247,7 Tombaugh 0,076 10◦ 37 — 4,6 3◦ 04 ♀ ♁ ♂ — 1801 Piazzi Gauss Jupiter Saturn Neptun Pluto Unser Sonnensystem in Zahlen. mErde = 5,976 · 1024 kg, 1 AE = 1,496 · 106 km 39,50 779 Vermutete chemische Zusammensetzung (Hauptanteile) 5,203 Spektroskopisch nachgewiesene Gase in der Atmosphäre 11,8 Monde — Siderische Rotationsdauer 26◦ 44 9,03 Dichte (g/cm3 ) 1432 0,056 2◦ 29 Masse in Erdmassen 9,539 Radius in Erdradien 29,45 Neigung des Äquators — Neigung der Bahn — Exzentrizität der Bahn 98◦ Mittlere Entfernung Sonne–Planet in 106 km 84,015 19,128 2888 0,047 0◦ 46 Mittlere Entfernung Sonne–Planet in AE 1781 Herschel Siderische Periode (in Erdjahren) 29◦ Entdecker 164,78 30,057 4509 0,009 1◦ 46 Jahr der Entdeckung Uranus Ceres (Planetoid) Schwerebeschleunigung an der Oberfläche in g Symbol 292 II Newtonsche Mechanik Veranschaulichung der relativen Größen von Planeten und Sonne. Pluto Saturn Neptun Jupiter Uranus Merkur Venus Erde Mars Weitere Daten über das Sonnensystem sind in der Tabelle auf S. 291 und in den folgenden Abbildungen festgehalten. Sonne Pluto Jupiter Neptun Asteroidengürtel Uranus Saturn Merkur Venus Erde Mars Jupiter 1 AU 10 AU Karte des Sonnensystems mit zwei verschiedenen Maßstäben. 1 AU (astronomical unit) ist der Radius der Erdbahn. Das Symbol für jeden Planeten ist am Perihel seiner Umlaufbahn eingezeichnet. Geschlossene Bahnen und Periheldrehung: Wie wir sahen, existieren im 1/rKraftfeld räumlich feststehende in sich geschlossene Bahnen. Ist das Gravitationspotential dagegen etwas verschieden von r−1 , also V (r) = r−1 , z. B. V (r) = Ar−1 + Br−2 + Cr−3 + · · · , so kann es zu einer Rosettenbewegung kommen. Das effektive Potential hat nach wie vor ein Minimum, so daß ein größter und ein kleinster Radius existieren. Die Bahnen sind aber im allgemeinen nicht mehr geschlossen wie im Falle des 1/rPotentials. Sie müssen dann Rosettenbahnen sein. (Wir verweisen dazu auf die Aufgabe 26.10.) 28 Die Erde und unser Sonnensystem Abweichungen von V (r) ∼ r−1 , so daß also das Potential verschieden von cr−1 wird, werden durch Wirkungen anderer Planeten auf die Bahn eines Planeten oder durch Deformation (Abplattung) des Zentralgestirns hervorgerufen. Durch diese Störungen kommt es dann bei den Planeten zu einer Drehung des Perihels und der typischen Rosettenbahn. Die Planetenbahnen stimmen mit den nach Newton errechneten Werten überein, außer wenn der Planet der Sonne sehr nahe steht. Die normalen Störungen der Planeten untereinander lassen sich mit den Mitteln der Himmelsmechanik berechnen. Beim Merkur ist jedoch der beobachtete Wert für das Vorrücken des MerkurPerihels zu groß, um sich restlos auf Störungen durch Planeten und die Abplattung der Sonne zurückführen zu lassen. Der berechnete Wert ist um 43 pro Jahrhundert kleiner als der gemessene. Durch Einsteins Relativitätstheorie ließ sich eine Erklärung für diesen Effekt finden. Für die mathematische Behandlung der Periheldrehung verweisen wir auf die Aufgaben 26.10 und 28.2. 293 V(r) ~ 1r V(r) = 1r rmin rmax Geschlossene und Rosettenbahnen im Kraftfeld eines Zentralkörpers. Die Entstehung des Sonnensystems: Eine Sonne entsteht, wenn sich eine dichte Wolke aus interstellarem Gas und Staub aufgrund der Gravitationskraft zusammenzieht. Unsere Sonne ist aber von vielen anderen Körpern umgeben, die das Planetensystem bilden. Die Entstehung dieses Planetensystems ist heute noch nicht vollständig verstanden, so daß es konkurrierende Theorien gibt, die jeweils nur einige der Eigenschaften des Planetensystems erklären können. Die Vielzahl der Theorien kann man in drei Hauptklassen einteilen, die sich durch den Mechanismus der Planetenentstehung unterscheiden. 1. Theorien, bei denen die Planetenentstehung nichts mit der Entstehung der Sonne zu tun hat, sondern die Planeten erst entstanden sind, als die Sonne schon ein normaler Stern war. Zu dieser Klasse gehören z. B. die Gezeitentheorien. 2. Theorien, bei denen die Planeten nach der Entstehung der Sonne aus der interstellaren Materie entstehen. Dies sind die sogenannten Akkretionstheorien (Akkretion = Zuwachs). Hier ist der Zuwachs von Masse in einer Ebene (der Ekliptik) gemeint. 3. Theorien, bei denen die Planeten aus demselben Nebel und durch einen ähnlichen Vorgang entstanden sind wie die Sonne (Nebulartheorien). Im folgenden werden einige der Hauptmechanismen dieser Theorien dargestellt. 1. Gezeitentheorien (Bickerton 1878, Chamberlain 1901, Moulton 1905, Jeans 1916, Jeffreys 1918). 294 II Newtonsche Mechanik Zwei Sonnen fliegen aneinander vorbei, ohne sich jedoch gegenseitig einzufangen. Aufgrund der Gezeitenkräfte wird Materie aus den Sonnen herausgerissen, die zu Planeten kondensieren soll. Abgesehen von der geringen Wahrscheinlichkeit einer solchen Begegnung hat diese Theorie einige weitere Nachteile. Die chemische Zusammensetzung der Planeten läßt sich damit überhaupt nicht erklären, und die Planetenbahnen müßten nach dieser Theorie stark elliptisch sein. Außerdem zeigen neuere Rechnungen (Spitzer 1939), daß Materie, die aus einem Stern herausgeschleudert wird, aufgrund ihrer hohen Temperatur gar nicht zu Planeten kondensieren kann. Deshalb wurden die Gezeitentheorien inzwischen wieder fallengelassen. 2. Akkretionstheorien (Hoyle und Littleton 1939). Kant, I. (1724–1804) → unten Wenn die Sonne sich durch eine Wolke interstellarer Materie bewegt, kann sie Partikel durch die Gravitationskraft an sich binden. Durch die Anziehungskraft zwischen den Teilchen und durch Kollisionen können sich größere Massen bilden, die bis zur Größe der heutigen Planeten anwachsen sollen. Dabei sind auch die Auswirkungen elektromagnetischer Effekte zu berücksichtigen (Alfven 1942). Wie in Beispiel 28.1 gezeigt wird, bewirkt das Magnetfeld der Sonne, daß ein Teilchen mit der Ladung q und der Masse m nicht näher an die Sonne kommen kann als bis zu einem kritischen Radius rc , der zu (q/m)2/3 proportional ist. Damit häufen sich die schwereren Partikel in Sonnennähe an. Mit geeigneten Annahmen über das Magnetfeld der Sonne läßt sich damit die chemische Zusammensetzung der Planeten ungefähr erklären. 3. Nebulartheorien (Descartes 1644, Kant 1755, Laplace 1796) Der Gasnebel, aus dem die Sonne entstanden ist, war durch seine Rotation abgeplattet. Aufgrund von Turbulenzen spalten sich Teile des Nebels ab, die sich dann kontrahieren. Dabei rotieren sie immer schneller, da der Drehimpuls erhalten ist. Der zentrale Teil des Nebels bildet die Sonne, während sich in den peripheren Teilen viele Protoplaneten bilden. Im Inneren dieser Protoplaneten bildet sich ein Kern aus den festen Bestandteilen des Nebels. Durch Kollision kann sich die Anzahl der Protoplaneten verringern. I MMANUEL K ANT Kant, Immanuel, Philosoph, geb. in Königsberg 22.4.1724, gest. ebenda 12.2.1804. Kant stammte aus einer Handwerkerfamilie, besuchte das pietistische Friedrichsgymnasium in seiner Heimatstadt und studierte dort bis 1746 Naturwissenschaften, Mathematik und Philosophie; 1747 bis 1754 war er Hauslehrer. 1755 habilitierte er sich in Königsberg als Magister der Philosophie; er war auch Unterbibliothekar der Schloßbibliothek. 1763 schlug er eine ihm angebotene Professur für Dichtkunst aus und wurde 1770 Professor für Logik und Metaphysik. 1786 und 1788 verwaltete er das Rektorat. 1796 stellt er aus Gesundheitsrücksichten seine Vorlesungen ein. Sein Leben verlief ohne größere äußere Ereignisse, er hat Ostpreußen nie, Königsberg kaum je verlassen. [BR] 28 Die Erde und unser Sonnensystem In neuerer Zeit wird der folgende Mechanismus untersucht: Die festen Bestandteile des Nebels reichern sich durch die Gravitationskraft in der Mittelebene des scheibenförmigen Gasnebels an (siehe Figur). Diese Staubscheibe wird bei zunehmender Konzentration instabil und zerfällt in Bereiche von einigen Kilometern Durchmesser. Diese Bereiche sind die Kerne für die weitere Massenanhäufung. Es entstehen durch Anziehung weiterer fester Partikel und durch Zusammenstöße immer größerer Gebilde, die bis zur Größe der Planeten anwachsen. Wird erst einmal eine bestimmte Größe überschritten, so können auch die gasförmigen Reste des Nebels (H2 ,He) gravitativ gebunden werden, so daß mit dieser Theorie auch die Entstehung von Jupiter und Saturn erklärt werden kann. Bewegung der Staubteilchen in die Mittelebene der Scheibe. Innerhalb des Gasnebels herrscht ein Temperaturgradient, so daß die nichtflüchtigen Stoffe (Staubteilchen) in der heißen Zone im Inneren kondensieren, während die Gase (z. B. H2 O, NH3 und CH4 ) nur in den kälteren Zonen weiter entfernt von der jungen Sonne kondensieren können. Dieser Mechanismus erklärt im Prinzip die chemische Zusammensetzung der Planeten. Der Drehimpuls in unserem Sonnensystem findet sich hauptsächlich in den Planeten. Unsere Sonne besitzt zwar 99,87 % der Masse, aber nur 0,54 % des gesamten im Sonnensystem vorhandenen Drehimpulses. Würde der gesamte Drehimpuls auf die Sonne vereinigt, so ergäbe sich ein für junge Sterne typischer Wert. Daraus läßt sich schließen, daß die Sonne Drehimpulse an die Planeten abgegeben haben muß. Einen Mechanismus hierfür bietet die Magnetohydrodynamik (Hoyle 1960, Edgeworth 1962): Im Plasma (ionisierte Materie) des Gasnebels können sehr große Störungen auftreten und stabilisierte Magnetfelder mitgeführt werden. Ähnlich dem Prinzip der Wirbelstrombremse läßt sich dadurch die Übertragung des Drehimpulses vom Zentrum auf die Peripherie erklären. Erst in neuester Zeit lassen sich mit Computern detailliertere Rechnungen zur Entwicklung eines Gasnebels durchführen, wobei noch weitere physikalische Effekte (z. B. Druck, Reibung, Sonnenwind, Gezeitenkräfte usw.) berücksichtigt werden müssen. Erst dann läßt sich beurteilen, ob diese Theorien wirklich die heute beobachteten Eigenschaften des Planetensystems erklären können. 295 296 II Newtonsche Mechanik Weltbilder Ptolemäus, C. (83–161) → unten 1. Geozentrisch – Das Ptolemäische Weltbild (um 140 n. Ch.): Das Ptolemäische Weltbild, das Grundlage der Astronomie bis ins 17. Jahrhundert war, betrachtet die Erde als ruhenden Mittelpunkt der Welt. Mond, Sonne und die Planeten umkreisen die Erde. Daß das Weltbild über eine so lange Zeit unangefochten bestehen konnte, erklärt sich am besten an einer Skizze, die zeigt, daß man damit durchaus Vorhersagen über die Stellung der Planeten machen konnte. Es hatte also Vorhersagekraft („predictive power“). Erde Erde R äußerer Planet rE innerer Planet rp R rE rp Sonne Sonne Zur Erklärung der Epizykel (vgl. auch die folgende Figur). Betrachten wir die richtigen Verhältnisse (Sonne im Zentrum des Planetensystems), so ergeben sich die beiden Zeichnungen, für die rp = R + rE oder R = rp − rE gelten. Demnach läuftrp in einem Planetenjahr undrE in einem Erdjahr einmal um die Sonne. Für das geozentrische Weltbild erhalten wir folgende Skizze: Auch im geozentrischen Weltbild hat die Gleichung R = rp −rE ihre Richtigkeit, nur wurde hier der Ptolemäische Deferent eingeführt. Es ist ein immaterieller Kreis, den rp mit der siderischen Umlaufzeit des Planeten um die Erde beschreibt. Da man noch nicht die Entfernung eines Planeten bestimmen konnte, kam es nur auf die Richtung von R und nicht auf dessen Betrag an. Dies erklärt die völlig einwandfreie Darstellung der Planetenbewegung in der Epizykeltheorie. C LAUDIUS P TOLEMÄUS Ptolemäus, Claudius, geb. nach 83 u. Z. in Ptolemais (Mittelägypten), gest. nach 161 u. Z. – Von seinem Leben ist nur bekannt, daß er in Alexandria tätig war. Er gilt als der bedeutendste Astronom der Antike. Er ist der Hauptvertreter des geozentrischen Weltbildes. Sein „Großes astronomisches System“ ist in der arabischen Übersetzung Kitab al-magisti als „Almagest“ bis Kopernikus grundlegend für die Astronomie gewesen. Zur Darstellung benutzt Ptolemäus die Epizyklentheorie der Apollonios sowie eine Sehnentrigonometrie und die stereographische Projektion. – Von Ptolemäus stammen noch eine „Optik“, das sehr einflußreiche astrologische Werk „Tetrabiblos“ sowie die sehr wertvolle „Einführung in die Geographie“, die ebenso wie die Astrologie die mittelalterliche Wissenschaft außerordentlich beeinflußt hat. 28 Die Erde und unser Sonnensystem Epizykel 297 Deferent rE Deferent Erde rp R Erde innerer Planet R äußerer Planet Sonne rE rp Sonne Epizykel Zum Verständnis der Epizykeltheorie. 2. Das Heliozentrische System – Das Kopernikanische Weltbild: Im Kopernikanischen Weltbildwurde erkannt, daß die Sonne Mittelpunkt (Zentralkörper) unseres Planetensystems ist. Es fand in den Keplerschen Gesetzen seine Krönung, da sich mit ihnen alle Vorgänge im Planetensystem leicht und exakt berechnen ließen. Kopernikus, N. (1473–1543) → unten Ein Modell der Sonnenumgebung 1) : Bereits die nächsten Sterne sind so weit von der Erde entfernt, daß es Schwierigkeiten bereitet, sich davon eine Vorstellung zu machen. Das folgende Modell soll dazu verhelfen: Das Planetensystem und die Sonnenumgebung werden im Maßstab 1 : 100 Milliarden verkleinert. Es entspricht dann 1 cm im Modell 1 Million km in der Natur. Das Sonnensystem wäre damit noch auf einem Schulhof oder auf einer großen Straßenkreuzung unterzubringen: Die Sonne selbst hätte einen Durchmesser von 1,4 cm. In 1,5 m Abstand stünde die 0,1 mm große Erde, in fast 8 m Sonnenentfernung der 1,4 mm große Jupiter und in 59 m Abstand der 0,05 mm große Pluto. Verlegt man das so verkleinerte Sonnensystem nach Frankfurt a. M., dann wäre Proxima Centauri 410 km, Sirius 820 km usw. von dort entfernt. 1) Wir folgen hier dem ausgezeichneten Büchlein von J. Hermann: dtv-Atlas zur Astronomie (Tafeln und Texte mit Sternatlas), Deutscher Taschenbuch Verlag München. N IKOLAUS KOPERNIKUS Kopernikus, Nikolaus, deutsch Koppernigk, polnisch Kopernik, Nikolaus, Astronom und Begründer des heliozentrischen, nach ihm kopernikanisch genannten Weltbildes, ∗ Thorn 19.2.1473, † Frauenburg (Ostpreußen) 24.5.1543, trieb seit 1491 an der Universität Krakau humanistische, mathematische und astronomische Studien und studierte 1496 bis 1500 in Bologna weltliches und geistliches Recht. Auf Betreiben seines Onkels, des Bischofs Lukas Watzelrode, wurde er 1497 in das ermländ. Domkapitel zu Frauenburg aufgenommen. Seit Herbst 1501 studierte er in Padua und Ferrara, wurde dort am 31.5.1503 zum Doktor des Kirchenrechts promoviert und studierte anschließend Medizin. Nach seiner Heimkehr 1506 lebte er als Sekretär seines Onkels von 1506 bis zu dessen Tod 1512 in Heilsberg und nahm an der Verwaltung des Bistums Ermland teil. Als Kanzler des Domkapitels hielt sich Kopernicus von 1512 an meist in Frauenberg auf, residierte als Statthalter des Kapitels 1516 – 21 in Mehlsack und Allenstein und war 1523 Bistumsverweser von Ermland. Als Deputierter vertrat er das Domkapitel 1522 – 29 auf den preußischen Landtagen und setze sich dort besonders für eine Münzreform ein. 298 II Newtonsche Mechanik Die der Sonne nächsten Sterne sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt. Stern α -Centauri/Proxima Centauri Barnards Pfeilstern Wolf 359 Luyten 726-8 Lalande 21 185 Sirius Ross 154 Ross 248 ε Eridani Ross 128 61 Cygni Luyten 789-6 Sternbild Centaur Ophiuchus Löwe Walfisch Großer Bär Großer Hund Schütze Andromeda Eridanus Jungfrau Schwan Wassermann Entfernung in Lj 4,3 5,9 7,7 7,9 8,2 8,7 9,3 10,3 10,8 10,9 11,1 11,2 N IKOLAUS KOPERNIKUS (Fortsetzung) Die väterliche Familie von Kopernicus stammt aus dem Neißer Bistumsland in Schlesien, so daß seine deutsche Herkunft als erwiesen angesehen werden kann, zumal er sich schriftlich nur der deutschen oder lateinischen Sprache bediente. Kopernicus galt auch als bedeutender Arzt, worauf das Maiglöckchen in einem Holzschnitt von ihm hindeutet. Als Astronom vollendet Kopernicus das, was Regiomontan vorgeschwebt hatte, eine Revision der Lehre von der Planetenbewegung unter Anlehnung an eine Reihe kritisch gesichteter Beobachtungen. Erst auf solcher Grundlage konnte an eine Kalenderreform gedacht werden, deren Dringlichkeit zu Beginn des 16. Jahrh. allgemein erkannt wurde. Auch bei Kopernicus dürften solche Erwägungen eine Rolle gespielt haben. Im Laufe seiner Arbeit entschied er sich dann, angeregt durch vage antike Überlieferungen, zur Annahme eines heliozentrischen Weltsystems. Einen kurzen vorläufigen Bericht darüber bildet der wohl vor 1514 verfaßte „Commentariolus“. Bereits hier werden die entscheidenden Annahmen ausgesprochen, daß die Sonne den Mittelpunkt der kreisförmigen Planetenbahnen bildet und daß auch die Erde um sie kreist, die sich täglich um ihre Achse dreht und ihrerseits vom Mond umkreist wird. Die Öffentlichkeit erhielt von der kopernikanischen Lehre erste Kunde durch die „Narratio prima“ des G. J. Rheticus. Das Hauptwerk des Kopernicus, die „Sechs Bücher über die Umläufe der Himmelskörper“ (De revolutionibus orbium coelestium libri VI, 1543, dt. 1879, Neudr. 1939), erschien erst im Todesjahr des Verfassers. Es war Papst Paul II. gewidmet, wurde aber statt durch das originale Vorwort des Kopernicus durch eine den Sinn des Ganzen verkehrende Vorrede des prot. Theologen A. Osiander eingeleitet. Die Lehren des Kopernicus blieben bis zum Erlaß der Indexkongregation 1616 von der Kirche unbeanstandet. Die Unvollkommenheiten, die die kopernikanische Planetentheorie noch aufwies, wurden durch J. Kepler beseitigt. Ebensowenig wie Kopernicus konnte aber auch Kepler einen Beweis im heutigen Sinn für die Richtigkeit des heliozentrischen Systems erbringen. Denn noch z. Z. von I. Newton waren die astronomischen Beobachtungen nicht genau genug, um die sehr geringen „Kopernicus-Effekte“ nachzuweisen. Dies gelang erst J. Bradley 1728 mit der Entdeckung der Aberration der Fixsterne und F. W. Bessel 1839 mit der Messung der ersten Fixsternparallaxe. Die Bedenken der Gegner der Kopernikanischen Auffassung sind verständlich, denn für die meisten Fixsterne sind wegen ihrer großen Entfernungen von der Sonne die Parallaxen auch durch moderne Meßmethoden nicht nachweisbar. Seine Gegner veranlaßten z. B. den großen Beobachter T. Brahe, ein eigenes Modell für unser Planetensystem aufzustellen, das einen Kompromiß zwischen dem geozentrischen und dem heliozentrischen System bildet [BR].