Onkologische Welt 5/2012 Kapitel: Tumorbiologie

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Tumorbiologie
© Schattauer 2012
Adipositas, Diabetes und Krebs
S. Herzig; A. Vegiopoulos
Molekulare Stoffwechselkontrolle (A170), Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Zentrum für Molekularbiologie
Heidelberg (ZMBH) Universität Heidelberg, Universitätsklinikum Heidelberg
Schlüsselwörter
Keywords
Adipositas-Folgeerkrankungen, Typ-2-Diabetes, Krebs, molekulare Mechanismen
Obesity-associated disorders, type 2 diabetes,
cancer, molecular mechanisms
Zusammenfassung
Summary
Die Beziehung zwischen Adipositas und Krebs ist
im letzten Jahrzehnt in den Fokus der klinischen
und biomedizinischen Forschung geraten. Eingehende epidemiologische Studien und Metaanalysen kamen zu der Schlussfolgerung, dass
Adipositas mit einer erhöhten Inzidenz und ungünstigeren Prognose einer Reihe von Krebserkrankungen assoziiert ist. Obwohl Typ-2-Diabetes laut epidemiologischen Befunden auch
mit einer erhöhten Inzidenz und Mortalität bestimmter Krebsarten assoziiert ist, kann er an
sich nicht als unabhängiger Risikofaktor gelten.
Die prinzipielle Rolle der Hyperglykämie, Hyperinsulinämie und der Aktivierung des Insulin/
IGF-1-Signalweges kann jedoch durch epidemiologische Daten, Tiermodelle und in vitro
Befunde belegt werden. Zusätzlich werden unter anderem die subakute Inflammation, der
ektopische Überschuss an Triglyzeriden und
freien Fettsäuren und das veränderte Adipokinprofil als plausible molekulare Mechanismen
bei der Adipositas-bedingten Krebsentstehung
und Progression derzeit erforscht. Die immense
Bedeutung der Beziehung zwischen Adipositas
und Krebs wird klar im Hinblick auf die steigende Inzidenz von Übergewicht und Adipositas,
insbesondere im Kindes- und Jugendalter.
The link between obesity and cancer has come
into the focus of clinical and biomedical research during the last decade. A plethora of epidemiological studies and metanalyses have
reached the conclusion that obesity is associated with increased incidence and worse prognosis of a series of cancer entities. Although
type 2 diabetes was found to be associated
with increased incidence and mortality of certain cancer types based on epidemiological
findings, it cannot as such be considered an independent risk factor. However, evidence from
epidemiological studies, animal models, and in
vitro experiments clearly implicates the involvement of hyperglycemia, hyperinsulinemia, and the activation of the insulin/IGF-1
pathway. In addition, the sub-clinical inflammation, the ectopic access of triglycerides and
free fatty acids and the altered adipokine profile are under investigation as plausible molecular mechanisms underlying obesity-related
carcinogenesis. The impact of the association
between obesity and cancer becomes clear in
light of the increasing incidence of obesity, in
particular childhood and adolescence obesity.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Stephan Herzig
Molekulare Stoffwechselkontrolle (A170), Deutsches
Krebsforschungszentrum (DKFZ), Zentrum für Molekularbiologie Heidelberg (ZMBH), Universität Heidelberg
Universitätsklinikum Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 280, 69120 Heidelberg
E-Mail: [email protected]
Obesity, Diabetes and Cancer
Onkologische Welt 2012; 3: 209–212
Nachdruck aus:
Adipositas 2012; 6: 48–51
Übergewicht und Adipositas gelten seit
langem als wichtige Risikofaktoren für
Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen. Demnach gehört Gewichtsreduktion zu der ersten Linie der entsprechenden Behandlungsmaßnahmen. Die
zentrale Bedeutung von Adipositas als be-
einflussbarer Risikofaktor für eine Reihe
von Krebserkrankungen wurde erst im
letzten Jahrzehnt erkannt und intensiver
erforscht. Mittlerweile wurden mehrere
plausible molekulare Mechanismen zur pathogenetischen Beziehung von Adipositas
und Krebs vorgeschlagen. Die eindeutigen
Beweise für die Rolle einzelner Signalwege
stehen aber noch weitgehend aus.
In diesem Artikel werden epidemiologische Daten zur Beziehung von Adipositas,
Diabetes und Krebs zusammengefasst, und
der aktuelle Status der Forschung an pathogenetischen Mechanismen diskutiert.
Adipositas als Risikofaktor
für Krebserkrankungen
Eine Fülle von epidemiologischen Studien
hat die Beziehung zwischen Übergewicht/
Adipositas und der Inzidenz diverser Krebserkrankungen untersucht. Zwei wichtige internationale Berichte generierten Übersichten der bestehenden Befunde und formulierten entsprechende Empfehlungen (International Agency for Research on Cancer in 2002
(11), World Cancer Research Fund (WCRF)/
American Institute for Cancer Research
(AICR) in 2007 (25)). Laut dem Bericht von
WCRF/AICR bestehen überzeugende Assoziationen zwischen Adipositas und einer Reihe von Krebserkrankungen (씰Tab. 1). Einige
Übersichtsarbeiten und Metaanalysen bestätigten diese Berichte und umfassten weitere
Krebsarten (3, 21). Zum Beispiel differenzierten Renehan et al. in einer ausführlichen Arbeit zusätzlich nach Geschlecht und ethnischen Gruppen (씰Tab. 1).
Insgesamt scheint die Beweislage eindeutig, dass Adipositas ein signifikanter Risikofaktor für die Erkrankung an Ösophaguskarzinom, postmenopausalem Brustkrebs, Kolonkarzinom, Rektalkarzinom, Nierenzellkrebs, Endometriumkarzinom, und Pankreaskarzinom darstellt.
Es muss dabei bemerkt werden, dass das am
häufigsten angewendete Maß für Adipositas
der Body-Mass-Index (BMI) war und nur z.T.
Waist-to-Hip-Ratio bzw. Taillenumfang. Da
die Bedeutung von abdominaler Adipositas
als Risikofaktor für verschiedene AdipositasFolgeerkrankungen zunimmt, ist zu erwarten, dass in zukünftigen Studien stärkere bzw.
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210
S. Herzig; A. Vegiopoulos: Adipositas, Diabetes und Krebs
Tab. 1
Adipositas und Inzidenz von Krebserkrankungen. Zusammenfassung des WCRF/AICR Berichtes und Vergleich zur Metaanalyse von Renehan et al. (21).
WCRF/AICR (25)
Renehan et al. (21)
Erhöhtes Risiko
bei Adipositas*
Relatives Risiko pro Erhöhung des
BMI um jeweils 5 kg/m2**
Evidenzstärke
Männer
Frauen
Ösophaguskarzinom
überzeugend
1,52
1,51
Brustkrebs (postmenopausal)
überzeugend
-
1,12
Kolonkarzinom
überzeugend
1,24
1,09
Rektalkarzinom
überzeugend
1,09
ns
Nierenzellkrebs
überzeugend
1,24
1,34
Endometriumkarzinom
überzeugend
-
1,59
Pankreaskarzinom
überzeugend
ns
1,12
Gallenblasenkarzinom
wahrscheinlich
ns
1,59
Leberkrebs
möglich
ns
ns
*: Meist angewendetes Maß für Adipositas war BMI. **: Die aufgelisteten Werte waren statistisch signifikant (p<0,05). Hier wurden nicht alle in der Studie untersuchten Krebsarten aufgelistet. ns: nicht signifikant.
neue Assoziationen zwischen Adipositas und
Krebserkrankungen gezeigt werden.
Forschungsarbeiten an verschiedenen Tumormodellen zeigen, dass auch im Tiermodell genetisch- oder fütterungsbedingte Adipositas krebsfördernd wirkt. Besonders interessant ist aber die Erkenntnis, dass kalorische
Restriktion in Tumormodellen die Krebsentstehung und Progression hemmt (10).
progression als die Initiation fördern können
(siehe unten). Trotz allem sind eingehendere
epidemiologische Studien nötig, die den Einfluss von Adipositas auf den Verlauf von
Krebserkrankungen untersuchen, um geeignete Empfehlungen bezüglich Körpergewichtsmanagement und Lebensstil für
Krebspatienten formulieren zu können.
Ist Diabetes ein unabhängiger Risikofaktor?
Adipositas und Prognose
bei Krebserkrankungen
In einer Meilensteinstudie kamen Calle et
al. zu der Schlussfolgerung, dass 14 bis 20 %
aller krebsbedingten Todesfälle in den Vereinigten Staaten von Amerika auf Übergewicht und Adipositas zurückgeführt werden können (2). Bei sowohl prä- als auch
postmenopausalem Brustkrebs belegen
mehrere Studien, dass Adipositas mit einer
ungünstigeren Prognose assoziiert ist (4).
Ähnliches gilt für Prostatakrebs bzw. Kolonkarzinom (16). Die Prognose bei der
letzteren Erkrankung ist durch das Bestehen von Insulinresistenz beeinflusst, die ihrerseits häufig mit Adipositas assoziiert ist.
Eine schlechtere Prognose bei bestehender
Adipositas ist nicht überraschend, wenn man
bedenkt, dass bestimmte pathobiochemische
Merkmale von Adipositas eher die Tumor-
Die American Diabetes Association hat im
Jahr 2010 einen Konsensus-Bericht zu Diabetes und Krebs publiziert (6).
Basierend auf verschiedenen epidemiologischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Inzidenz von Krebserkrankungen bei Diabetespatienten (vorwiegend Typ
2) erhöht ist, insbesondere für Leberkrebs,
Pankreaskarzinom, und Endometriumkarzinom (relatives Risiko ≥2).
Für Kolon- und Rektalkarzinom, Brustkrebs und Harnblasenkrebs betrug das relative Risiko 1,2 bis 1,5 und überraschenderweise war das Risiko für Prostatakrebs
reduziert. Einige weitere Studien weisen
ebenfalls auf eine erhöhte Mortalität bei
Krebspatienten mit Diabetes hin (1).
Nach aktuellem Stand der Forschung ist
weiterhin unklar, ob die Assoziation zwischen Diabetes und Krebs direkt besteht,
also ob Hyperglykämie bzw. Hyperinsulinämie die Pathogenese und Verlauf von
Krebserkrankungen beeinflussen. Alternativ könnten Diabetes und Krebs durch gemeinsame Risikofaktoren, insbesondere
Adipositas, bedingt sein.
Eine Übersichtsstudie, die sich mit dieser Frage näher beschäftigt hat, kam zu dem
Schluss, dass nicht Diabetes an sich, wohl
aber Hyperglykämie und/oder Hyperinsulinämie unabhängige Risikofaktoren für
verschiedene Krebserkrankungen darstellen (8). Interessanterweise betrafen die beschriebenen Assoziationen großteils einen
Konzentrationsbereich von Blutzucker und
Insulin, der als normal bzw. nicht-diabetisch klassifiziert wird.
Ein direkter krebsfördernder Effekt von
Hyperglykämie und Hyperinsulinämie ist
wie unten beschrieben biologisch plausibel.
Die Evidenz aus epidemiologischen Studien
und in vivo-Tiermodellen ist derzeit aber
noch nicht vollständig überzeugend.
Wirkt Hyperglykämie direkt
krebsfördernd?
Die „Wiederbelebung“ der Forschung zu
dem Warburg-Effekt hat die Beobachtung
erneut in den Vordergrund gebracht, dass
Tumorzellen stark Glukose-abhängig sind
(24). In diesem Sinne kann angenommen
werden, dass Hyperglykämie einen Wachstumsvorteil für Tumore darstellt. Bis jetzt
konnte aber diese Hypothese weder bewiesen, noch experimentell eindeutig widerlegt werden. Dagegen ist die Beweislage für
die Rolle von Hyperinsulinämie und der
Aktivierung des Insulin/Insulin-like
Growth Factor-1(IGF-1)-Signalweges bei
der Krebsenstehung und -progression
weitaus eindeutiger.
Die Rolle der Hyperinsulinämie und des Insulin/
IGF-1-Signalweges
Erhöhte Insulinwerte sind stark mit Glukoseintoleranz, Hyperglykämie und Insu-
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linresistenz assoziiert und daher charakteristisch für Patienten mit Adipositas, Typ2-Diabetes (im frühen Stadium) oder dem
Metabolischen Syndrom. Die Konzentration von IGF-1 in der Zirkulation ist zwar
nicht linear von Körpergewicht und Adipositas abhängig, die Verfügbarkeit und
die lokalen Gewebekonzentrationen
können jedoch unter bestimmten pathologischen Bedingungen der Hyperinsulinämie erhöht sein (3).
Abgesehen von seinen endokrinen Funktionen kann Insulin die Zellproliferation
und das Zellüberleben fördern (19). IGF-1
hat seinerseits stärkere wachstumsfördernde
Eigenschaften im Vergleich zu Insulin. Beide
Peptide aktivieren den Insulinrezeptor bzw.
den IGF1-Rezeptor und somit multiple regulatorische Signalwege. Die PI3K-AKT-,
AKT-mTOR- und RAS-MAPK-Signalachsen werden aktiviert und vermitteln die
wachstumsfördernde Wirkung der Hormone. Die Expression sowohl des Insulinrezeptors als auch des IGF1-Rezeptors wurde auf Tumorzellen verschiedener Krebsarten nachgewiesen (19).
Experimente an genetischen Mausmodellen lieferten wichtige Beweise für die
Rolle dieser Signalwege in der Karzinogenese. So wurde z.B. gezeigt, dass die Überexpression des IGF1-Rezeptors in transgenen Mäusen für die spontane Entwicklung von Tumoren der Brustdrüsen ausreichend ist (12). In einer weiteren Studie
führte die Inaktivierung des IGF-1-Gens in
der Leber von fettleibigen Mäusen zu reduziertem Wachstum und Metastasierung
von implantierten Tumorzellen (26).
Von Interesse sind auch Beobachtungen, die darauf hinweisen, dass bestimmte
Diabetes-Behandlungen, die Veränderungen der systemischen Insulinkonzentration
bewirken, mit verändertem Krebsrisiko
und/oder Prognose assoziiert sind. Dies
kann als ein weiteres wichtiges Indiz für die
Rolle des Insulinsignalweges in der Karzinogenese angesehen werden.
Diabetes-Therapie
und Krebs
Metformin ist ein weit verbreitetes Antidiabetikum und oft die erste Wahl bei der pri-
mären Behandlung von Patienten mit der
Diagnose Typ-2-Diabetes.
Eine Reihe epidemiologischer Studien weist
darauf hin, dass die Metformin-Behandlung
das Risiko für die Erkrankung an verschiedenen Krebsarten senken kann (6, 19).
Ferner führt eine Metformin-Behandlung
bei Patienten mit Brustkrebs im Frühstadium zu einer verbesserten Prognose.
Die antidiabetische Wirkung von Metformin basiert auf der Inhibition der Glukoneogenese in der Leber und somit auf
der Senkung der Blutzucker- und Insulinkonzentration. Diese Veränderungen
könnten an sich die antitumorigenen Effekte von Metformin erklären (19). Obwohl der molekulare Mechanismus der
Wirkung von Metformin noch nicht im
Ganzen aufgeklärt ist, ist es unumstritten,
dass Metformin die AMP-activated Proteinkinase (AMPK) aktiviert. Da AMPK als
Tumorsuppressor agieren kann, könnte
Metformin damit neben seinen indirekten
Effekten auf die Insulinspiegel auch direkt
in den Tumorzellen wachstumshemmend
wirken. Diese Hypothese wird zunehmend
von in vitro-Befunden gestützt.
Die Behandlung von Typ-2-Diabetes
mit Insulin oder Insulin-Analoga ist bei
fortschreitender Krankheit bei einem großen Anteil der Patienten notwendig. Eine
Reihe epidemiologischer Studien hat den
Einfluss solcher Behandlungen auf das Risiko, an Krebs zu erkranken, untersucht.
Die Befunde weisen darauf hin, dass die Behandlung mit bestimmten Insulinanaloga
(insulin glargine) ein Risikofaktor für verschiedene Krebserkrankungen darstellt
(20).
Diese Schlussfolgerung ist im Einklang
mit dem zellwachstumsfördernden Potenzial von Insulin und der Aktivierung des Insulin/IGF-1-Signalweges. Die obigen Befunde lösten eine breite Debatte bezüglich
der Sicherheit der untersuchten Behandlungen aus, und obwohl die zugrundeliegenden Studien aufgrund methodologischer Schwachstellen kritisiert wurden,
sind weitere Untersuchungen angezeigt,
um das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei Insulintherapie in der Zukunft besser abschätzen zu können.
Wirkt Adipositas-assoziierte
subakute Inflammation
krebsfördernd?
Adipositas ist mit einer chronischen subakuten systemischen Entzündung assoziiert (23). Diese manifestiert sich gemeinsam mit einem Überschuss von Triglyzeriden und Fettsäuren in Fettgewebe, Leber
und anderen Organen, ist aber systemisch
durch zirkulierende Entzündungsmarker
nachweisbar. So konnte gezeigt werden,
dass z.B. die inflammatorischen Mediatoren Tumor Necrosis Factor α (TNFα)
und Interleukin-6 (IL-6) im Fettgewebe
von Adipositaspatienten und entsprechenden Tiermodellen erhöht exprimiert werden, was mit höheren Plasmakonzentrationen korrelierte (9, 14). Ob lokale Leukozyten, Makrophagen oder Adipozyten hauptsächlich für die Synthese dieser Zytokine
verantwortlich sind, wurde noch nicht abschließend geklärt.
Bestimmte Krebsarten sind durch chronisch-inflammatorische Vorerkrankungen
bedingt, während bei mehreren anderen ein
lokales pro-inflammatorisches Milieu die
Tumorprogression fördert (7). In diesem
Sinne erscheint der inflammatorische Zustand bei Adipositas als plausibler krebsfördernder Mechanismus. Tatsächlich wurde
durch genetische Manipulation der TNFα−
und IL-6-Signalwege bei Mäusen gezeigt,
dass die Adipositas-assoziierte Entstehung
und Progression von hepatozellulären Karzinomen von diesen Zytokinen abhängig ist
(18). Die Wirkweise von inflammatorischen
Mediatoren basiert auf der Steuerung diverser krebsfördernder Prozesse, z.B. Zellproliferation und Überleben, Invasion und Metastasierung und Tumor-Angiogenese. Ob
entzündungshemmende Behandlungen gegen Adipositas-Folgeerkrankungen präventiv wirken können, ist daher Gegenstand aktueller Forschung.
Adipokine und ektopischer
Lipidüberschuss möglicher
pro-tumorigener Faktoren
Leptin und Adiponektin werden im Fettgewebe synthetisiert und gelten als wichti-
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S. Herzig; A. Vegiopoulos: Adipositas, Diabetes und Krebs
höheres Risiko für bestimmte Krebserkrankungen aufweisen und entsprechend eingestuft werden sollten.
Basierend auf epidemiologischen Befunden und in vivo-Tiermodellen scheint
sich folgendes biologisches Prinzip zu etablieren:
Während eine positive Energiebilanz Adipositas, die Krebsentstehung und Krebsprogression begünstigt, wirkt eine negative
Energiebilanz, wie z.B. bei kalorischer Restriktion, protektiv.
Abb. 1 Krebsfördernde molekulare Mechanismen bei Adipositas und Typ-2-Diabetes.
ge Regulatoren der systemischen Stoffwechselhomöostase. Adipositas ist mit erhöhten systemischen Leptin- und reduzierten Adiponektinkonzentrationen assoziiert. Obwohl epidemiologische Studien
veränderte Konzentrationen dieser Adipokine nicht eindeutig als Risikofaktoren definieren konnten, gibt es vermehrt Indizien
aus Mausmodellen und in vitro-Versuchen, die darauf hinweisen, dass Leptin
pro- und Adiponektin anti-karzinogen
wirken können (22).
Die erhöhte systemische Lipidkonzentration und die ektopische Fetteinlagerung sind
charakteristisch für Adipositas. Dieser Lipidüberschuss, insbesondere in der Form freier
Fettsäuren, wird zunehmend als potenziell
krebsfördernder Mechanismus diskutiert.
Ein Beispiel für die Beziehung von ektopischer Fetteinlagerung und Karzinogenese ist
beim hepatozellulären Karzinom gegeben.
Obwohl Adipositas nicht als eindeutiger Risikofaktor für diese Krebsart eingestuft werden
konnte, sind Lebersteatose und non-alcoholic
fatty liver disease (NAFLD) häufige Nebenerscheinungen bei adipösen bzw. diabetischen Patienten. Diese Diagnosen gelten wiederum als Risikofaktoren für die Erkrankung
an hepatozellulärem Karzinom (5, 6, 17).
Geschlechtshormone und
bestimmte Krebsarten
Adipositas ist ein Risikofaktor für postmenopausalen Brustkrebs und das Endometriumkarzinom. In beiden Fällen ist eine
erhöhte Estradiol-Plasmakonzentration
mit einer höheren Inzidenz der Krebserkrankung assoziiert (13, 15). Bei postmenopausalen Frauen besteht eine Korrelation zwischen BMI und Estradiolkonzentration, da Fettgewebe nach Beginn der
Menopause für den Großteil der Estradiolproduktion verantwortlich ist.
Der relative Beitrag vom BMI zur Risikoerhöhung beim postmenopausalen Brustkrebs konnte sogar vollständig durch die
höheren Estradiolwerte erklärt werden.
Die krebsfördernde Wirkung von Estradiol
basiert auf dessen Eigenschaft, die Proliferation und das Überleben von normalen
und neoplastischen Zellen des Brustgewebes und des Endometriums zu stimulieren (3). Zusätzlich scheint ein komplexes
Zusammenspiel zwischen Insulin, der Synthese bzw. Verfügbarkeit von Geschlechtshormonen und der lokalen IGF-1-Konzentration die krebsfördernde Wirkung der
Geschlechtshormone zu verstärken.
Schlussfolgerung
Es besteht kein Zweifel, dass die Vermeidung von Übergewicht und Adipositas das
Risiko für mehrere Krebserkrankungen reduziert. Höchstwahrscheinlich wirkt Gewichtsreduktion bei bestehender Adipositas auch protektiv. Eine weitere wichtige
Schlussfolgerung ist, dass Patienten mit
Typ-2-Diabetes bzw. Insulinresistenz ein
Die damit verbundenen molekularen Mechanismen sind noch weitgehend unbekannt. Das Zusammenspiel der Insulin/
IGF-1-, mTOR- und AMPK-Signalwege
rückt in diesem Kontext aber in den Mittelpunkt aktueller Forschungsarbeiten.
Weitere relevante Mechanismen stehen
im Zusammenhang mit Adipositas-assoziierten pathologischen Erscheinungen, wie
der chronisch-systemischen, subakuten Inflammation, dem veränderten Adipokinprofil und dem ektopischen Lipidüberschuss (씰Abb. 1).
Es ist im Moment unklar, auf welcher
Ebene der Karzinogenese Adipositas-relevante pathogenetische Faktoren wirken,
d.h. Tumorinitiation, Progression bzw. Invasion und Metastasierung. In dieser Richtung sind adäquate Tiermodelle notwendig, um relevante und krebsart-spezifische
Mechanismen aufzuklären.
Die oben genannten Signalwege und
Moleküle können auch unabhängig von
Adipositas in der Krebsentstehung mitwirken und werden entsprechend in präklinischen und klinischen Studien als Ansatzpunkte eingesetzt. Das Ziel aktueller Forschung sollte somit die zukünftige Anpassung und Optimierung von Krebsbehandlungen bei Adipositas sein, basierend auf
dem Verständnis der involvierten Signalwege.
Die umfangreiche Literatur zu diesem Artikel finden Sie online unter
www.adipositas-journal.de
Verantwortlich für Beiträge zur Serie
Diabetes: Prof. Alfred Wirth, Bad Rothenfelde
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Buchbesprechungen
213
Engelhardt, Berger, Mertelsmann (Hrsg.)
Das Blaue Buch
Chemotherapie-Manual – Hämatologie
und Onkologie
Mit CD-ROM
Springer, Berlin, 4. Aufl. 2012, XXIV, 216 S. 3 Abb.
Mit CD-ROM. Brosch
ISBN 978–3–642–20625–2
In der Hämatologie und Onkologie finden jährlich zunehmend neue komplexe Chemotherapieprotokolle bestehend aus klassischen Zytostatika, monoklonalen Antikörpern und Small
molecules in der Praxis Verwendung. Eine Standardisierung von Chemotherapien im Rahmen
von SOPs ist heute in den Organkrebszentren
und Onkologischen Zentren Standard und erfordert einen hohen logistischen Aufwand. Profitieren tun hier insbesondere die Patienten mit
Krebserkrankungen, da durch eine solche Standardisierung inklusive der Anfertigung von individuellen Chemotherapieprotokollen eine
deutliche Reduzierung von Fehlern bei der Applikation von Chemotherapien erreicht werden
kann.
Das Blaue Buch von den Autoren Engelhardt, Berger und Mertelsmann ist eine sehr
wertvolle standardisierte Sammlung von Chemotherapieprotokollen inklusive Supportivtherapien und allgemeinen onkologischen Qualitätsindikatoren. Es kommt somit einem opti-
malen standardisierten Tool für onkologisch tätige Ärzte sehr nahe. In der elektronischen Version sind darüber hinaus wertvolle Algorithmen und Clincal Pathways zu den meisten Tumorentitäten vorhanden. Eine Implementierung über die elektronische Version in einer
Praxis oder in einem Krankenhaus als standardisierte SOP für die Durchführung von Chemotherapien ist problemlos möglich und sicher
von hoher Attraktivität für neu zu zertifizierende oder auch bereits bestehende Organkrebszentren und Onkologische Zentren.
Kleinere Kritikpunkte, die in der nächsten
Auflage berücksichtigt werden können sind
das Fehlen von Erlotinib und Gefitinib beim
EGFR-mutierten NSCLC sowie Bevacizumabhaltige platinhaltige Triplets beim NSCLC, Chemotherapieprotokolle bzw. Radiochemotherapieprotokolle für das Rektum-Karzinom. Die
neuen Targeted-Therapien für das NierenzellKarzinom sind wahrscheinlich aufgrund der
Drucklegung noch nicht inkludiert. Von der Nomenklatur wäre auch eine schärfere Trennung
der Ösophagus-Karzinome in Plattenepithelund Adeno-Karzinome bei den Protokollen
sinnvoll und in Analogie die Verwendung von
Chemotherapieprotokollen bei Magen-Karzinomen auch bei AEG-Tumoren des Ösophagus.
Während das im Blauen Buch vorgestellte
sogenannte Naunheim-Radiochemotherapieprotokoll für Plattenepithel-Karzinome des
Ösophagus sicherlich heute weiterhin einen
Standard darstellt, wäre für die AEG-Tumoren
das sequenzielle Chemotherapie /Radiochemotherapieprotokoll von Stahl et al. eine sinnvolle Ergänzung. Für ältere Patienten mit metastasiertem Magen-Karzinom empfiehlt sich das
von der AIO entwickelte FLO-Protokoll mit aufzunehmen. Das Capiri- bzw. Capiri/Bevacizumab-Protokoll beim CRC entspricht von der
Nomenklatur her dem von der AIO entwickelten dosisreduzierten XELIRI-Protokoll.
Zusammenfassend halte ich das Blaue Buch
für eine extrem wertvolle standardisierte SOP
für alle onkologisch tätigen Ärzte, der modulare Aufbau hilft für die regelmäßig notwendigen
Aktualisierungen. Ich selbst benutze das Blaue
Buch regelmäßig zum Nachschlagen. Insbesondere für Praxen, Onkologische Schwerpunkte,
Onkologische Zentren oder Organkrebszentren, die noch keine strukturierte Chemotherapieprotokollverwaltung im Rahmen von SOPs
implementiert haben, ist die Papier- und insbesondere die elektronische Version des Blauen Buchs von hohem Interesse. Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung und Aktualisierung wird das Blaue Buch meines Erachtens
auch in Zukunft ein sehr wichtiges Qualitätssicherungsinstrument für alle onkologisch tätigen Ärzte darstellen.
Den Autoren kann man zur akribischen und
detaillierten Arbeit gratulieren.
© Schattauer 2012
Prof. Dr. Michael Geißler, Esslingen
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Tumorbiologie
214
Diagnostik, Prognoseabschätzung und Therapieauswahl
Biomarker – vom Labor zur Routine
Auf aussagekräftige Biomarker werden in der Onkologie viele Hoffnungen gesetzt.
Sie sollen zur frühzeitigen Diagnose eingesetzt werden können, zur Verlaufsbeobachtung geeignet sein und vor allem auch bei der Prognoseabschätzung und der Wahl geeigneter Therapeutika helfen. Zahlreiche mögliche Kandidaten sind inzwischen bekannt. Ein Symposium beschäftigte sich auf dem Deutschen Krebskongress mit dem
derzeitigen Stand.
Einer der möglichen zukünftigen Biomarker
sind die so genanten microRNAs (miRNAs), erläuterte Dr. Stephan Hahn, Bochum. Hierbei
handelt es sich um nicht-kodierende RNAs mit
17–22 Nukleotiden, die an der Modulation
praktisch aller zellulären Prozesse beteiligt
sind. Auch bei der Unterdrückung von Onkogenen scheinen sie eine wichtige Rolle zu spielen,
was sie als Biomarker für Krebserkrankungen
interessant macht. Tatsächlich lassen sich bei
Krebspatienten gehäuft Fehl-Expressionen der
miRNAs nachweisen, so Hahn.
Die formellen Voraussetzungen für die Biomarker-Entwicklung erfüllen die miRNAs sehr
gut. Zum einen ist eine hohe Stabilität in Gewebe und verschiedenen Körperflüssigkeiten wie
Blut, Stuhl, Urin etc. nachgewiesen worden.
Zum anderen existieren bereits spezifische,
sensitive und einfache Nachweismethoden
mittels Array Plattformen, mit denen sich mehr
als 800 humane miRNAs nachweisen lassen.
MicroRNA als Biomarker
zur Gewebeklassifikation
Auch erste Daten zur Gewebeklassifikation
mittels miRNAs liegen vor. So konnte gezeigt
werden, dass sich mittels miRNA die sporadische Mikrosatelliten-Instabilität von der bei
HNPCC (hereditary nonpolyposis colorectal
cancer) vorhandenen Form abgrenzen lässt.
Ebenfalls hilfreich könnten miRNAs in Zukunft
bei der Abgrenzung eines Pankreas-Karzinoms
von einer chronischen Pankreatitis sein. Auch
der Östrogen, Progesteron- und HER2/neu-Rezeptorstatus scheint sich durch einen miRNASignatur voraussagen zu lassen.
Als Biomarker im Plasma gibt es erste Daten
zur Abgrenzung eines Leberzell-Karzinom von
gesunden oder Patienten mit Leberzirrhose oder
chronischer Hepatitis. Der Nachweis von miRNA
in Stuhlproben könnte zukünftig als Screeningtest für Kolonkarzinome Anwendung finden.
Und auch als Prognosemarker könnten miRNAs
zur Anwendung kommen, wie erste Daten bei
Magenkarzinom-Patienten gezeigt haben. Für
alle Anwendungen aber gilt, dass sie erst noch
durch gut konzipierte klinische Studien mit großen Fallzahl bewiesen werden müssen.
„Molekularer Fingerprint“
als Zukunftsvision
Ein „molekularer Fingerprint“ mit Abbildung
zahlreicher molekularer Zielstrukturen könnte
zukünftig unabhängig von der Tumorentität
Standard bei allen Krebspatienten werden,
sagte Dr. Joachim Drews, Witten-Herdecke.
Die Ergebnisse könnten dann beispielsweisebei der molekularen Bildgebung mittels Positronenemissionstomographie (PET) oder bei
der Wahl einer maßgeschneiderten selektiv
wirksamen Therapie genutzt werden.
Auch die Studienlandschaft wird sich verändern, meinte Drews. Zunehmend wird es Studien geben, die nicht eine bestimmte Tumorentität, sondern Patienten mit einem bestimmten
genetischen Profil einschließen. Als Beispiel
nannte der Onkologe die onkogene BRAF-Mutation, die sich sowohl bei Melanomen, Schilddrüsenkarzinomen, Ovarialkarzinomen, Kolorektalkarzinomen und anderen soliden Tumoren nachweisen lassen.
Maria Weiß,
NSCLC als Vorbild
Dr. Jan Stöhlmacher-Williams, Dresden erklärte die Rolle der Biomarker am Beispiel
des Therapieansprechens beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC). Gut etabliert ist hier das bessere Ansprechen auf Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) bei Nachweis einer EGFR-Mutation, die sich deutlich häufiger bei Adenokarzinomen als bei Plattenepithelkarzinomen findet. Allerdings gibt es hier
Unterschiede. Bis zu ein Drittel der Therapienaiven Patienten weisen die EGFR-Mutation
T790M auf. Diese Patienten sprechen zwar
initial auch gut auf TKI an, sie werden aber
schneller resistent. Trotzdem ist die Überlebenszeit der T790M-postiven Patienten
länger, was durch eine spätere Metastasierung und ein weniger aggressives Wachstum
bedingt sein könnte.
Grundsätzlich sollte die EGFR-Analyse
heute bei allen Patienten mit NSCLC durchgeführt werden, sagte der Onkologe. Würde
man nur klinische Faktoren für das Ansprechen auf TKI heranziehen wie weibliches Geschlecht und Nicht-Raucherstatus, würde
man einen Großteil der EGFR-Mutation und
damit mögliche Kandidaten für eine TKI-Therapie verpassen. Problematisch ist zur Zeit
noch die hohe Fehlerquote bei der EGFR-Testung, die bis zu 20% beträgt, sagte Stöhlmacher-Williams.
Ein weiterer Marker bei NSCLC sind Varianten des ALK-EML4-Fusionsroteins, die eine kontinuierliche Proliferationsaktivität vermitteln. Hier ist gezeigt worden, dass positive Patienten besonders gut auf Crizotinib
ansprechen. Daher sollten alle Pateinten mit
Adenokarzinom ohne KRAS- und EGFR-Mutation getestet werden. Die Relevanz der
KRAS-Mutation ist noch nicht abschließend
geklärt – gezeigt wurde aber , dass Erlotinib
bei positiven Pateinten keinen Vorteil bringt.
Nach der Zulassung von Cetuximab sollten
alle Patienten mittels eines EGFR-Scores
(EGFR-IHC) getestet werden, da eine hohe
Intensität der EGFR-Expression hier mit einem besseren Ansprechen auf Cetuximab
einherging, berichtete der Onkologe.
Quelle: DKK-Kongress 2012; Session „Biomarker in
der Therapie solider Tumoren II“ am 23. Februar 2012,
Berlin.
Onkologische Welt 5/2012
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Tumorbiologie
215
Zirkulierende Tumorzellen als Prognosemarker
Erweiterte Basis für die Therapieentscheidung
Disseminierte zirkulierende Tumorzellen sind der Ausgangspunkt für Rezidive und Metastasen. Sie besitzen sowohl beim metastasierten Mammakarzinom als auch beim
primären Brustkrebs prognostische Bedeutung. Deshalb besteht ein großes wissenschaftliches Interesse daran, solche Zellen mit immunzytochemischen und molekularen Methoden zu detektieren und zu charakterisieren.
Goldstandard für die Detektion von zirkulierenden Tumorzellen (CTC) im Blut ist der immunzytochemische Nachweis mit epithelialen Markern wie Cytokeratinen, Muc-1 und EpCAM. Tumorzell-spezifische Marker stehen kaum zur
Verfügung, berichtete Dr. Sabine Riethdorf,
Hamburg.
Für die immunzytochemische Analyse von
Blutproben ist als einziges standardisiertes und
automatisches Verfahren das CellSearch®-System kommerziell erhältlich. Das System, das
mit Anti-EpCAM-Antikörpern und Anti-Zytokeratin-Antikörpern sowie zum Ausschluss von
Leukozyten mit anti-CD45-Antikörpern arbeitet, ist gut validiert, bringt reproduzierbare Ergebnisse und weist eine hohe Sensitivität und
Spezifität in der CTC-Detektion auf. Der Nachweis von 5 oder mehr CTC in 7,5 ml Blut ist
prognostisch relevant für das progressionsfreie
und Gesamtüberleben beim metastasierten
Mammakarzinom – nicht nur vor der Therapie
sondern zu jedem Zeitpunkt im weiteren Verlauf (2).
Evaluationsstudie läuft
Um die CTC auch in der Therapie des metastasierten Mammakarzinoms „leitlinienfähig“ zu
machen, wird derzeit die Studie SWOG SO500
durchgeführt. Sie prüft, ob Patientinnen, die
drei Wochen nach Beginn einer Firstline-Chemotherapie eine erhöhte CTC-Zahl im Blut aufweisen, Überlebensvorteile haben, wenn man
sie auf eine andere Chemotherapie umstellt
anstatt auf die Progression zu warten.
Beim nicht-metastasierten Mammakarzinom gibt es zur Bedeutung der CTC erheblich
weniger Daten. In der SUCCESS-Studie fand
man CTC vor Beginn der systemischen Therapie
bei 21,5% von 2026 nodal positiven Patientinnen sowie nodal negativen Hochrisikopatientinnen (3). Der Nachweis von CTC korrelierte
mit dem Lymphknoten-Status und erwies sich
auch in der multivariaten Analyse als signifikanter Prädiktor für ein geringeres krankheitsfreies und Gesamtüberleben.
Insgesamt sind beim metastasierten Mammakarzinom nur in 50% der Fälle CTC nach-
weisbar, beim primären nur in 10–20% (4).
„Wir glauben, dass es viel mehr zirkulierende
Tumorzellen gibt, als wir gegenwärtig detektieren können“, so Riethdorf. Mit epithelialen
Markern findet man wahrscheinlich gerade besonders aggressive CTC im Körper nicht. Denn
viele Tumorzellen durchlaufen im Rahmen der
Metastasierung eine epithelial-mesenchymale
Transition und exprimieren danach keine epithelialen Marker mehr.
Deshalb ist eine weitere molekulare und
phänotypische Charakterisierung der CTC notwendig. Als Beispiel berichtete Riethdorf, dass
sich mit dem CellSearch®-System auch der
HER-2-Status der CTC bestimmen lässt. Er
stimmt oft nicht mit dem des Primärtumors
überein. Ob eine Anti-HER-2-Therapie bei Patientinnen mit HER-2-negativem Primärtumor,
aber HER-2-positiven CTC effektiv ist, wird derzeit in einer Studie untersucht.
Dr. Angelika Bischoff, Planegg
Literatur
1. Bednarz-Knoll N et al. Clinical relevance and biology of circulating tumor cells. Breast Cancer Res
2011; 13(6): 228.
2. Hayes DF et al. Circulating tumor cells at each follow-up time point during therapy of metastatic
breast cancer patients predict progression-free and
overall survival. Clin Cancer Res 2006; 12:
4218–4224.
3. Rack B et al. Prognostic relevance of circulating tumor cells in the peripheral blood of primary breast
cancer patients. Cancer Res 2010; 70 (24 Suppl.);
Abstract S6–S5.
4. Wicha MS et al. Circulating tumor cells: Not all detected cells are bad and not all bad cells are detected.
J Clin Oncol 2011; 29(12): 1508–1511.
Quelle: Symposium „Biomarker in der Therapie solider
Tumoren I“ im Rahmen des 30. Deutschen Krebskongresses 2012, 23. Februar 2012, Berlin.
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Tumorbiologie
216
Multiples Myelom
Längeres Überleben
auch für ältere Patienten
Dank der zahlreichen verfügbaren Therapieoptionen lässt sich die Therapie des multiplen Myeloms heute sehr viel besser an die individuellen Patientenbedürfnisse anpassen. Gerade ältere und multimorbide Patienten profitieren davon. Zahlreiche Studien
untersuchen inzwischen, welcher Patient von welcher Therapiesequenz am besten profitiert, meinte Priv.-Doz. Dr. Christof Scheid, Köln.
Trotzdem bleibt es eine Herausforderung, einen
definiten Überlebensvorteil für innovative Firstline-Therapien zu belegen, da mittlerweile
zahlreiche hoch aktive Folgetherapien im Falle
eines Rezidivs oder Rückfalls vorhanden sind.
Mit dem finalen 5-Jahres-Update der VISTAStudie ist es jetzt jedoch gelungen, den langfristigen Benefit des Proteasom-Inhibitors Bortezomib zu belegen. Dr. Hans Salwender,
Hamburg, kommentierte in einem Hintergrundgespräch unter diesem Aspekt die dem finalen
5-Jahres-Update der VISTA-Studie.
In der Phase-III-Studie wurden 682 nicht
vorbehandelte und nicht für eine Transplantation geeignete MM-Patienten (medianes Alter
71 Jahre, davon 30% ≥75 Jahre) mit Melphalan/Prednison (MP) oder MP plus Bortezomib
(Velcade) behandelt. Schon die erste Auswertung nach einem Follow-up von median 16,3
Monaten hatte die Überlegenheit des Tripelregimes für die Endpunkte einschließlich Ansprechen, Zeit bis zum Progress und Überleben
gezeigt. Ein signifikanter Überlebensvorteil
zeigte sich jetzt nach 60,1-monatiger Beobachtungszeit, so Salwender.
Dabei führte das VMP-Regime gegenüber
MP zu einer signifikanten Reduktion des Sterberisikos um fast ein Drittel und einer Überlebensverlängerung um 13,3 Monate: Patienten im Kontrollarm überlebten median 43,1
Monate, mit VMP behandelte Teilnehmer dagegen 56,4 Monate (HR 0,695; p = 0,0004). Subgruppenanalysen zeigten einen Überlebensvorteil für mit VMP behandelte Patienten in al-
len untersuchten Subgruppen. Besonders stark
profitierten Patienten ≥75 Jahre (median 50,7
vs. 32,9 Monate; HR 0,71), ISS-Stadium III (median 42,1 vs. 30,5 Monate; HR 0,67) und Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion
(Kreatininclearance <60 ml/min) (median 56,8
vs. 36,7 Monate; HR 0,70).
Der Anteil von Patienten mit einem 5-Jahres-Überleben stieg von 34,4% unter MP auf
46% mit dem VMP-Regime. Auch die Zeit bis
zur Folgetherapie und das therapiefreie Intervall wurden durch Bortezomib signifikant verlängert (27 vs. 19,2 Monate; p<0,0001 bzw.
16,6 vs. 8,3 Monate; p<0,001). Die Überlebenszeit ab Beginn der Zweitlinientherapie unterschied sich zwischen beiden Regimen mit rund
27 Monaten nicht signifikant.
Ein wichtiger Aspekt für die Therapiewahl
ist die Nierenfunktion, unterstrich Salwender.
Etwa jeder 7. MM-Patient eine eingeschränkte
Nierenfunktion bis hin zur terminalen Niereninsuffizienz, in rund 10% ist eine Dialyse erforderlich. Die VISTA-Ergebnisse zeigen hierzu für
immerhin rund 31% der Teilnehmer mit Nierenfunktionsstörungen eine Kreatinin-Clearance
über 50 ml/Min und eine Komplettremission.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Quelle: Satellitensymposium „Zeitgemäße Therapie
des multiplen Myeloms“ im Rahmen des Deutschen
Krebskongresses 2012 am 23. Februar 2012, Berlin.
Veranstalter: Janssen-Cilag Deutschland, Neuss.
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GastroOkologie
217
Metastasiertes kolorektales Karzinom
Was leisten neue zielgerichtete
Therapieoptionen?
Die EGFR-Blockade ist bisher die einzige etablierte zielgerichtete Therapie beim metastasierten kolorektalen Karzinom. Auf dem 20. Münchener Fachpresse-Workshop
„Neues und Wissenswertes aus der Onkologie“ beschäftigten sich die Referenten mit
dem Stellenwert neuer Substanzen.
FOLFIRI einen signifikanten Überlebensvorteil
gezeigt.
Immer mehr Patienten sind auch nach mehreren Linien Chemotherapie noch in gutem Allgemeinzustand und könnten von einer weiteren Therapie profitieren. Bei mehrfach vorbehandelten Patienten hat Regorafenib als erster Multikinaseinhibitor signifikante Wirksamkeit gezeigt. Stintzing erwartet, dass Regorafenib zunächst in der „last line“ verbleiben wird.
Dr. med. Angelika Bischoff, Planegg
Literatur
Im November 2011 wurde mit Panitumumab
ein zweiter EGFR-Antikörper für die Erstlinientherapie von Patienten mit KRAS-WildtypTumoren (ohne EGFR-Mutation) zugelassen.
Wie Priv.-Doz. Dr. Sebastian Stintzing, München, ausführte, basierte die Zulassung von Panitumumab (Vectibix®) auf den Ergebnissen
der Phase-III-Studie PRIME. Patienten, die Panitumumab plus FOLFOX4 erhielten, erzielten eine signifikant höhere Responserate als Patienten, die mit FOLFOX4 alleine behandelt wurden: 57% versus 48% (p = 0,02). Auch das progressionsfreie Überleben war mit 10,0 versus
8,6 Monate signifikant länger (p = 0,01). Beim
Gesamtüberleben zeigte sich ein positiver
Trend.
In der Zweitlinientherapie verlängerte Panitumumab plus FOLFIRI das mediane progressionsfreie Überleben von Oxaliplatin-vorbehandelten Patienten im Vergleich zu FOLFIRI alleine
signifikant von 4,9 auf 6,7 Monate (p = 0,023).
Auch hier wurde ein positiver Trend beim Gesamtüberleben beobachtet. Diese Daten führten zur Zulassung des EGFR-Antikörpers bei
Oxaliplatin-vorbehandelten Patienten in Kombination mit FOLFIRI.
Eine Fortsetzung der Therapie mit Bevacizumab in der second-line nach Progression hat in
einer Phase-III-Studie einen Überlebensvorteil
von 1,4 Monaten gebracht. Auch ein zweiter
Angiogenesehemmer, Aflibercept, hat sich in
der Zweitlinientherapie in Kombination mit
Neue Impulse für die orale 5-FU-Therapie
Mit Teysuno® wird in Deutschland ein neuartiges, oral zu verabreichendes Medikament zur
Behandlung von erwachsenen Patienten mit
fortgeschrittenem Magenkarzinom eingeführt, das seit 2011 in Europa in Kombination
mit Cisplatin zugelassen ist. Das Medikament
enthält das Zytostatikum Tegafur sowie Gimeracil und Oteracil. Tegafur ist ein Prodrug von
5-FU mit guter oraler Bioverfügbarkeit. Gimeracil und Oteracil sollen dazu beitragen, dass
Tegafur bereits bei niedrigerer Dosierung
wirksam ist und eine geringere Toxizität besitzt als Tegafur allein.
Die empfohlene Standarddosis bei Gabe in
Kombination mit Cisplatin ist 25 mg/m2 (angegeben als Tegafurgehalt) zweimal täglich (morgens und abends) über 21 aufeinander folgende Tage gefolgt von einer siebentägigen Pause.
Dieser Zyklus wird alle vier Wochen wiederholt.
Die EU-Zulassung beruht auf den Ergebnissen der FLAGS-Studie (First-Line Advanced
Gastric Cancer Study), der bislang größten internationalen Phase-III-Studie an Patienten mit
fortgeschrittenem Magenkrebs (1). In der Studie war eine Kombinationstherapie mit Teysuno und Cisplatin genauso wirksam wie die
1. Douillard JY et al. Final Results from PRIME: Randomized phase III study of panitumumab (pmab)
with FOLFOX4 for first line metastatic colorectal
cancer (mCRC). ASCO Meeting Abstracts; J Clin
Oncol 2011; 29(Suppl): 3510.
2. Peeters M et al. Randomized phase III study of panitumumab with fluorouracil, leucovorin, and irinitecan (FOLFIRI) compared with FOLFIRI alone as
second-line treatment in patients with metastatic
colorectal cancer. J Clin Oncol 2010; 28: 4706–4713.
3. Arnold D et al. Bevacizumab (BEV) plus chemotherapy (CT) continued beyond first progression in
patients with metastatic colorectal cancer (mCRC)
previously treated with BEV plus CT: Results of a
randomized phase III intergroup study (TML study). ASCO Meeting Abstracts 30: CRA3503.
Quelle: 20. Münchener Fachpresse-Workshop „Neues
und Wissenswertes aus der Onkologie“, unterstützt von
Amgen und Mundipharma am 26. Juli 2012, München.
Kombination 5-Fluorouracil (5-FU)/Cisplatin i.
v., zeigte aber ein deutlich besseres Sicherheitsprofil bei hämatologischen und nicht-hämatologischen Nebenwirkungen. Auffällig
war, dass kein Hand-Fuß-Syndrom Grad 3/4
berichtet wurde.
Das Medikament ist seit 1999 in Japan zugelassen und wurde bei über 870 000 Patienten in Japan und Asien angewendet.
Red
Literatur
1. Ajani JA et al. Multicenter phase III comparison of
cisplatin/S-1 with cisplatin/infusional fluorouracil
in advanced gastric or gastroesophageal adenocarcinoma study: the FLAGS trial. J Clin Oncol
2010; 28: 1547–1553.
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GastroOnkologie
218
Gastrointestinale Tumore
Neues für den Versorgungsalltag
Auf einer Post-ASCO-Veranstaltung der Gesellschaft für gynäkologische Onkologie
(NOGGO) wurden auch dem Gebiet der gastrointestinalen Tumoren vom diesjährigen
ASCO einige Studien vorgestellt, die für die Versorgungsrealität in Deutschland wichtig werden könnten.
Bei den kolorektalen Karzinome sind zwei
Aspekte vom diesjährigen ASCO-Meeting klinisch relevant, sagte Prof. Hanno Riess, Berlin.
Zum einen verdichten sich die Daten, dass auch
ältere Patienten (> 70 Jahre), bzw. solche mit
einer klinisch relevanten Co-Morbidität im Stadium III des Kolonkarzinoms von einer oxaliplatinhaltigen adjuvanten Therapie profitieren.
Zum anderen wurde in mehreren Beiträgen
deutlich, dass die Hemmung der Tumorangiogenese ein wichtiges Therapieprinzip zusätzlich zur zytostatischen Chemotherapie darstellt, welches nicht nur in einer Therapielinie,
sondern auch nach Krankheitsprogress unter
Angiogenese-Hemmstoff-haltiger Vortherapie
die Fortführung der Angiogenesehemmung in
der Folgetherapie rechtfertigt.
Zudem wird deutlich, dass intensitätsreduzierte Erhaltungstherapien mit zielgerichteten
Therapeutika wirksam und sinnvoll sein können. In der Zweitlinien-Therapie des Magenkarzinoms hat sich der in Deutschland entwickelte
und eingeführte Standard der Zweitlinien-Therapie mit dem Zytostatikum Irinotecan als wirksam bestätigt, bei Irinotecan-Unverträglichkeit
kann wöchentliches Paclitaxel mit vergleichbarer Wirksamkeit angewendet werden
(WJOG4007-Studie).
c-MET-Inhibitoren beim
Magenkarzinom
Als neues Therapieprinzip entwickelt sich der
Einsatz von c-MET-Inhibitoren beim Magenkarzinom, insbesondere aber in der klinisch dringend erwarteten Zweitlinientherapie bei Patienten mit hepatozellulären Karzinomen
(HCC).
Dabei zeigt sich, dass eine hohe c-MET-Expression ein prognostisch ungünstiges Zeichen
ist, dass aber andererseits insbesondere diese
Patienten von der Therapie mit einem c-MET-Inhibitor (Tivantinib) stark profitieren (Muro et
al.). Es steht zu erwarten, dass dieses Therapieprinzip rasch Eingang in die klinische Praxis finden wird.
Rainer Bubenzer, Berlin
Quelle: Pressegespräch der Nordostdeutschen Gesellschaft für gynäkologische Onkologie e. V. (NOGGO):
Personalisierte Krebstherapie – Heilung in Sicht?“ am
13. Juni 2012, Berlin.
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