2000 39. BAYERISCHER INTERNISTEN-KONGRESS © 2001 W. Zuckschwerdt Verlag München 1 Gegenwart und Zukunft der Therapie mit oralen Antidiabetika Jochen Seufert, Franz Jakob Medizinische Poliklinik, Bereich Stoffwechsel, Endokrinologie und Molekulare Medizin, Universität Würzburg Einleitung Mehr als 95% der Patienten mit Diabetes mellitus leiden an einem Diabetes mellitus Typ 2. Die Prävalenz dieser Erkrankung ist ansteigend und für das Jahr 2005 wird eine Zahl von 4,5 Millionen erkrankten Patienten vorhergesagt (2). Diese Zahl wird sich durch die konsequente Anwendung der neuen Diagnosekriterien für den Diabetes mellitus, welche 1997 von der American Diabetes Association (ADA) vorgeschlagen wurden, möglicherweise noch erhöhen. Pathophysiologisch liegen dem Diabetes mellitus Typ 2 sowohl eine Insulinresistenz an den Insulin-Zielgeweben, Muskel, Leber und Fettgewebe sowie eine progrediente Dysfunktion der Insulin produzierenden Beta-Zelle des endokrinen Pankreas zugrunde. Eine rationale Therapie dieser Erkrankung muss sich an diesen pathophysiologischen Gegebenheiten orientieren. Das Ziel einer konsequenten Behandlung ist die Normoglykämie, deren klinische Bedeutung eindrucksvoll durch die Ergebnisse der „United Kingdom Prospective Diabetes Study“ (UKPDS), vorgestellt im Jahre 1998, demonstriert wurde. Hier konnte für den Diabetes mellitus Typ 2 erstmals dokumentiert werden, dass durch eine Senkung der Blutzuckerspiegel des Patienten das Auftreten, bzw. das Fortschreiten von diabetischen Folgeerkrankungen, wie Makro- und Mikroangiopathie, wirkungsvoll verhindert, bzw. verzögert werden kann (1, 11). Der klinische Erfolg war hierbei unabhängig vom verwendeten Therapieprinzip. In der UKPDS wurden Sulfonylharnstoffe, Metformin, Acarbose und Insulin, bzw. Kombinationen dieser Medikamente therapeutisch eingesetzt.Weiterhin konnte gezeigt werden, dass zusätzlich zum Erreichen der Normoglykämie eine konsequente antihypertensive Therapie beim Typ-2-Diabetiker eine hohe Wertigkeit hinsichtlich der Vermeidung von Folgeschäden besitzt. Eine weitere wesentliche Erkenntnis der UKPDS ist jedoch, dass der Diabetes mellitus trotz einer intensiven Therapie eine progrediente Erkrankung darstellt. Bei allen Patienten kam es im Verlauf der Studie zu einer Verschlechterung der Stoffwechsellage, gemessen am Anstieg des HbA1c-Wertes.Die Notwendigkeit einer früheren Diagnosestellung und einer konsequenteren Therapie im langfristigen Verlauf der Erkrankung sind aus diesen Ergebnissen abzuleiten. Darüber hinaus ergibt sich aus dem bisher Dargestellten die Notwendigkeit, neue, intensivere Therapiestrategien zu verfolgen, sowie die Liste der derzeit verfügbaren oralen Antidiabetika um Präparate mit einem an der Physiologie des Glukosestoffwechsels orientierten Wirkungsspektrum zu erweitern. Historische Entwicklung Entsprechend der komplexen Pathophysiologie des Diabetes mellitus Typ 2 wurden orale Antidiabetika mit unterschiedlichen Ansatzpunkten entwickelt. Allerdings stagnierte die Einführung neuer pathophysiologischer Therapieprinzipien über weite Strecken.Nach dem ersten klinischen Einsatz von Insulin in der Diabetestherapie im Jahre 1922,wurden im Jahre 1956 als orale Antidiabetika die Substanzen Tolbutamid und Carbutamid als erste Vertreter der Sulfonylharnstoffe mit Insulin sekretagoger Wirkung eingeführt. Im Jahre 1957 folgte mit Einführung von Phenformin als erstem Biguanid ein Therapieprinzip mit neuem pathophysiologischem Ansatz. Die sechziger, siebziger- und achtziger Jahre erbrachten keine neuen medikamentösen Therapieprinzipien und waren geprägt von der Einführung weiterer Sulfonylharnstoffe und Biguanide. Erst im Jahre 1990 wurde Acarbose als α-Glukosidasehemmer zur Verzögerung der Kohlen- hydratresorption als neues Therapieprinzip eingeführt. Schließlich wurden Neuerungen in der medikamentösen Therapie des Diabetes mellitus erst wieder Ende der neunziger Jahre eingeführt. Im Jahre 1998 erfolgte die Zulassung kurz wirksamer Insulinanaloga (Insulin Lispro, Humalog®) und des ersten Vertreters der sogenannten „prandialen Glukoseregulatoren“ (Repaglinide, Novonorm®). Im Jahre 2000 wurde das erste lang wirksame Insulinanalogon (Insulin Glargin, Lantus®) eingeführt und schließlich folgte ein völlig neues Therapieprinzip zur Behandlung der Insulinresistenz beim Typ-2-Diabetiker, die so genannten „Insulisensitizer“ oder Thiazolidindione, als Gruppenbezeichnung auch „Glitazone“ genannt, Rosiglitazon (Avandia®) und Pioglitazon (Actos®). Zur Behandlung des Typ-2-Diabetes mellitus mit oralen Antidiabetika stehen aktuell somit zwei neue Substanzgruppen, die prandialen Glukoseregulatoren (Glinide) und die Insulinsensitizer (Thiazolidindione, Glitazone) den bisherigen oralen Antidiabetika gegenüber. Im folgenden sollen Wirkungsweise, Pharmakokinetik und pathophysiologischer Hintergrund dieser neuen Substanzen, sowie deren Einordnung in die aktuelle Therapie mit oralen Antidiabetika näher erläutert werden. Postprandiale Hyperglykämie Der postprandiale Glukosestoffwechsel tritt in der Bewertung der Pathophysiologie des Typ-2-Diabetes mellitus in den letzten Jahren zunehmend in den Vordergrund (3, 5). Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse weisen darauf hin, dass zusätzlich zur Insulin-Resistenz, bereits im Frühstadium der Erkrankung ein Sekretionsdefekt für Insulin auf Ebene der Beta-Zelle im endokrinen Pankreas vorliegt. Vorwiegend ist hierbei die erste Phase der Insulin Sekretion gestört. Hier 2 liegen die Serumglukosewerte im Nüchternzustand häufig noch im Normbereich, die postprandialen Werte jedoch deutlich zu hoch. Bereits in diesem Stadium lässt sich jedoch eine Korrelation zum Auftreten von kardiovaskulären Folgeerkrankungen feststellen. Nach der Definition der American Diabetes Association (ADA) besteht eine postprandiale Hyperglykämie, wenn die Plasmaglukosewerte zwei Stunden nach einer Mahlzeit über 200 mg/dl liegen. Unabhängig von der Nüchtern-Blutglukose ist bei ZweiStunden-Werten über 200 mg/dl das Risiko für eine koronare Herzerkrankung zwei bis dreifach höher als bei Nichtdiabetikern. Hinzu kommt, dass exzessive postprandiale Hyperglykämie durch die so genannte Glukosetoxizität die BetaZellen des endokrinen Pankreas zusätzlich schädigt.Aus diesem Grunde können medikamentöse Therapieprinzipien,welche gezielt die postprandiale Hyperglykämie senken, als pathophysiologisch orientiert eingestuft werden. Zur gezielten Behandlung der postprandialen Hyperglykämie standen bisher zwei Therapieprinzipien zur Verfügung, die prandiale Gabe von kurzwirkenden Insulinanaloga, sowie die Alpha-Glukosidasehemmstoffe Acarbose und Miglitol, welche die Kohlenhydratresorption aus dem Darm verzögern. Neuere Medikamente zur Behandlung der postprandialen Hyperglykämie sind die „prandialen Glukoseregulatoren“ (sog. Glinide), welche eine schnell einsetzende und kurz wirksame Stimulation der Insulinsekretion der Beta-Zellen des endokrinen Pankreas ermöglichen. Abbildung 1: Molekularer Wirkmechanismus von Repaglinide an der Beta-Zelle des endokrinen Pankreas. Repaglinide bindet an den ATP-abhängigen Kaliumkanal. Dies führt zur Depolarisation der Zellmembran, konsekutivem Kalziumeinstrom und zur Freisetzung von Insulin. Diese Substanzen wirken, ähnlich wie die Sulfonylharnstoffe, an der Beta-Zelle insulinotrop in Gegenwart von Glukose. Beide Substanzen können, wie die Sulfonylharnstoffe,nur wirksam werden,wenn noch eine sekretorische Antwort der Beta-Zellen im endokrinen Pankreas möglich ist. Wesentlichste klinische Merkmale dieser Substanzen sind ein schneller Wirkungseintritt und eine kurze Wirkdauer. Wie die Sulfonylharnstoffe entfalten Repaglinide und Nateglinide ihre sekretionsfördernde Wirkung über eine Hemmung der ATP-sensitiven Kaliumkanäle der Beta-Zelle.Allerdings greifen die Glinide an einem anderen molekularen Ansatzpunkt innerhalb des Kaliumkanal-Moleküls an. Je höher die Konzentration an Glukose, desto mehr Insulin wird durch eine festgesetzte Dosis des Wirkstoffs freigesetzt. Der von den Sulfonylharnstoffen bekannte Effekt der kontinuierlichen,geringen Insulinfreisetzung auch ohne korrespondierenden Glukosereiz tritt weder nach Repaglinide noch nach Nateglinide auf. Glinide binden rasch an den ATP-abhängigen Kaliumkanal (Assoziation), gefolgt von einer ebenso raschen Rezeptordissoziati- Prandiale Glukoseregulatoren Als Vertreter dieser Substanzgruppe ist derzeit Repaglinide unter dem Handelsnamen Novonorm® für die Therapie verfügbar. Anfang des Jahres 2001 wird eine weitere Substanz, Nateglinide unter dem Handelsnamen Starlix® auf den Markt kommen. on. Aus dieser Kinetik lässt sich der schnelle Wirkungseintritt sowie die kurze Wirkdauer dieser Substanzen erklären. Im direkten Vergleich zwischen Nateglinide und Repaglinide in Tiermodellen sowie in vitro zeigte Nateglinide eine etwa hundertfach schnellere Assoziation und Dissoziation. Abbildung 1 zeigt schematisch die Wirkungsweise der prandialen Glukoseregulatoren an der Beta-Zelle des endokrinen Pankreas. Schneller Wirkungseintritt und eine kurze biologische Halbwertszeit der Substanzen ermöglichen eine flexible, mahlzeitenbezogene medikamentöse Therapie des Diabetes mellitus Typ 2. Die Substanzen werden kurz vor bzw. zur jeweiligen Mahlzeit eingenommen.Wenn eine Mahlzeit nicht eingenommen wird, wird auch keine Tablette eingenommen. Dies ermöglicht ein hohes Maß an Flexibilität für den Patienten. Die quantitative Wirksamkeit von Repaglinide wurde in verschiedenen Studien untersucht (7, 8). Bei Typ-2-Diabetikern, die vorher mit Sulfonylharnstoffen behandelt oder allein durch Diät eingestellt worden waren, sanken unter Repa- Tabelle 1: Pharmakokinetik und biologische Wirksamkeit von Repaglinide und Nateglinide. Wirkstoff Dosis Plasmakonzentration (mg/ml) Proteinbindung (%) Plasmahalbwertszeit (h) Hepat. Metabol. (%) Renale Eliminat. (%) Unverändert (%) Wirk. Eintritt nach Max. Wirkung nach Wirk dauer Repaglinide (Novonorm®) 2 mg 0,025 >98 1 98 8 0 0,5 h 0,75 h 3–4 h Nateglinide (Starlix®) 120 mg 5,8 98 1 84 84 16 0,25 h 1h 1,5 h 3 Für Repaglinide beträgt die empfohlene Anfangsdosis 0,5 mg vor jeder Hauptmahlzeit. Eine eventuelle Dosiserhöhung richtet sich nach der metabolischen Situation und sollte nach ein bis zwei Wochen erfolgen. Patienten können von einem anderen oralen Antidiabetikum auf eine Therapie mit Repaglinide umgestellt werden.Es besteht jedoch keine exakte Äquivalenzdosis.Werden Patienten auf Repaglinide umgestellt,beträgt die Anfangsdosis 1 mg vor den Hauptmahlzeiten. Die Stoffwechseleinstellung verschlechtert sich durch das auslassen oder verschieben einer Mahlzeit nicht. Für Nateglinide beträgt die Einzeldosis 120 mg/Mahlzeit. Die maximale Einzeldosis für Repaglinide beträgt 4 mg, die maximale Tagesdosis 16 mg.Die maximale Einzeldosis von Nateglinide beträgt 120 mg, die maximale Tagesdosis 360 mg. Spektrum und Häufigkeit der Nebenwirkungen von Repaglinide und Nateglinide sind mit dem Nebenwirkungsprofil der Sulfonylharnstoffe vergleichbar. Zusammenfassend sind Repaglinide und Nateglinide neue kurz wirksame insulinotrope Substanzen zur flexiblen Behandlung der postprandialen Hyperglykämie bei Typ-2-Diabetes.Sie können wie die insulinotropen Sulfonylharnstoffe eingesetzt werden, sobald eine ausreichende Stoffwechselkompensation durch nicht medikamentöse Maßnahmen wie Diät, Gewichtsreduktion und körperliche Aktivität nicht mehr erreicht werden kann. Die Substanzen sind besonders in der frühen Phase des Typ-2-Diabetes mellitus vorteilhaft, in der die postprandiale Hyperglykämie vorherrscht. Aber auch eine ➔ glinide im Vergleich zu Placebo die Nüchtern-Blutglukosewerte um 60 bis 70 mg/dl, die postprandialen Blutglukosewerte nach zwei Stunden um ca.100 mg/dl und der HbA1c-Wert um 1,3 bis zwei Prozentpunkte. Im direkten Vergleich mit Sulfonylharnstoffen ist Repaglinide bzgl. des HbA1c-Verlaufs äquipotent. Auch in Kombination mit Metformin ist die Wirksamkeit ähnlich der der Sulfonylharnstoffe. Schließlich ist eine synergistische Wirksamkeit der Glinide in Kombination mit Insulin gut belegt. Hier bietet sich die Behandlung mit einem lang wirksamen Basalinsulin beziehungsweise Insulinanalogon in Kombination mit prandialen Glukoseregulatoren an. Abbildung 2: Das Mehrschrittmodell der Pathogenese des Diabetes mellitus Typ 2. Kombination mit Insulin und/oder Metformin ist im Einzelfall sinnvoll. Wesentliche Vorteile der Behandlung mit den prandialen Glukoseregulatoren sind eine erhöhte mahlzeitenbezogene Flexibilität für die Patienten, sowie ein vermindertes Auftreten von Hypoglykämien. Insulinresistenz Die Insulinresistenz steht im Zentrum der Pathogenese des Diabetes mellitus Typ 2 (6). Das derzeitige Mehrstufenmodell der Entstehung des Diabetes mellitus Typ 2 geht von einer genetischen Prädisposition zur Entwicklung einer Insulinresistenz aus. Hinzu kommen exogene Faktoren wie Überernährung, Bewegungsmangel etc., welche die Insulinresistenz weiter verstärken. Die Insulinresistenz wird durch eine vermehrte Insulinsekretion beantwortet. Dies führt klinisch zur Hyperinsulinämie und zur Manifestation des Metabolischen Syndroms als Risikofaktor für die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 2. Kommt es schließlich zu einer quantitative Reduktion der Insulinsekretion, so manifestiert sich der Diabetes. Bei Vorliegen einer Insulinresistenz kann das Hormon Insulin in den Zielgeweben Muskel, Fettgewebe und Leber seine Wirkung nur unzureichend entfalten. Hierbei liegt der molekulare Defekt am ehesten im Bereich der intrazellulären Signalübertragung nach Bindung des Insulinmoleküls an seinen Rezeptor. Eine wichtige Funktion von Insulin im Hinblick auf die intrazellulären Aufnahme von Glukose aus der Zirkulation stellt die Translokation von Glukose-Transportermolekülen an die Zellmembran dar. Bei Vorliegen einer Insulinresistenz ist diese Funktion molekular gestört. Es kommt klinisch zur Hyperglykämie auf dem Boden einer verminderten Glukoseaufnahme in Leber und Muskel, sowie einer vermehrten Glukoseproduktion in der Leber. Zusätzlich entsteht eine Dyslipoproteinämie durch verminderte Insulinwirkung im Fettgewebe. Die molekularen Grundlagen sowie die pathophysiologischen Auswirkungen einer Insulinresistenz sind in Abbildung 3 zusammengestellt. Die Insulinresistenz geht in der Regel der Manifestation des Diabetes mellitus um Jahre voraus. Umgekehrt ist die Insulinresistenz signifikant mit dem Auftreten von kardiovaskulären Folgeerkrankungen verknüpft.Die Prävalenz der Insulinresistenz bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 beträgt zwischen 60 und 90 Prozent. Dies bedeutet, dass die überwiegende Mehrzahl der Patienten von einem Therapieprinzip profitieren würden, welches auf die Behandlung der Insulinresistenz als pathophysiologische Grundlage des Diabetes mellitus abzielt. Aus diesem Grunde steht die gezielte Entwicklung medikamentöser Therapieansätze zur Behandlung der Insulinresistenz in den letzten Jahren im Vordergrund. Die ersten Medikamente, welche nun zur Verfügung stehen sind die Thiazolidindione (Glitazone) als so genannte „Insulinsensitizer“. 4 ➔ ➔ ➔➔ ➔ ➔ ➔ ➔ Abbildung 3: Intrazelluläre Auswirkungen der Insulinresistenz und pathophysiologische Konsequenzen für die Stoffwechselkontrolle. ➔ ➔ ➔ ➔ ➔ ➔ Abbildung 4: Molekularer Wirkungsmechanismus der Thiazolidindione und pathophysiologische Auswirkungen auf den Glukosestoffwechsel. „Insulinsensitizer“ (Thiazolidindione, Glitazone) Die neue Substanzgruppe der Thiazolidindione wirkt spezifisch durch Verbesserung der Insulinsensitivität an Muskel, Leber und Fettgewebe. Sie aktivieren in diesen Geweben spezifisch das intrazelluläre Signalprotein, Peroxisome Proliferator Activated Receptor gamma (PPARgamma).PPARgamma gehört zur Gruppe der nukleären Hormon Rezeptoren und wirkt nach Aktivierung spezifisch auf die Regulation von Genen als Transkriptionsfaktor. PPARgamma ist an der Regulation von Genen im Rahmen des Glukosestoffwechsels, des gewebsspezifischen Energieumsatzes sowie der Fettgewebsdifferenzierung beteiligt. Thiazolidindione binden spezifisch an den PPARgamma Rezeptor. Hierdurch werden Gene in Muskel, Fettgewebe und Leber aktiviert. Dies führt zur Verbesserung der Insulinsensitivität in diesen Geweben und zum Rückgang der Symptome des Metabolischen Syndroms bzw. des Diabetes mellitus, Hyperglykämie und Dyslipoproteinämie. Thiazolidindione wurden bereits in den siebziger Jahren chemisch definiert. Die Substanzen leiten sich aus dem ClofibratMolekül ab und wurden im Rahmen der Entwicklung neuer Cholesterin-senkender Substanzen identifiziert. Als Prototyp wurde Ende der siebziger Jahre das Ciglitazon erstmals dargestellt. Im weiteren Verlauf erfolgte die Weiterentwicklung zu den Substanzen Troglitazon, Rosiglitazon und Pioglitazon,welche als neue orale Antidiabetika zur Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 schließlich Marktreife erreichten.Als erstes Glitazon wurde Troglitazon in den USA als „Insulinsensitizer“ zugelassen. Allerdings trat erst nach der klinischen Einführung ein hohes Potential für Lebertoxizität zutage, welches bei einigen Patienten zu einer ausgeprägten Leberfunktionsstörung führte. Auch Todesfälle in diesem Zusammenhang traten auf. Aus diesem Grunde wurde Troglitazon im März 2000 wieder vom Markt genommen. In Europa sind seit September bzw. November 2000 Rosiglitazon (Avandia®) und Pioglitazon (Actos®) verfügbar. Hinweise für eine Lebertoxizität im Sinne eines „Gruppeneffektes“ bestehen bei diesen Substanzen nicht. Durch die Verbesserung der Insulinsensitivität senken Rosiglitazon und Pioglitazon die Nüchtern-Glukosewerte, die postprandialen Glukosewerte und den HbA1c. Darüber hinaus wird ebenfalls die Hyperinsulinämie wirkungsvoll gesenkt, welche gerade im Anfangsstadium des Diabetes mellitus Typ 2 vorherrscht. Thiazolidindione sind nach aktueller Studienlage wirksam in Monotherapie und in Kombination mit Sulfonylharnstoffen, Metformin und Insulin. In unterschiedlichen Kombinationen bzw. in Monotherapie konnte in Studien eine durchschnittliche Senkung des HbA1c-Wertes um ca. 1,5 bis 2 Prozent erreicht werden. Hier- 5 Tabelle 2: Pharmakokinetik und biologische Wirksamkeit von Rosiglitazon und Pioglitazon. Wirkstoff Dosis Proteinbindung (%) Plasmahalbwertszeit (h) Hepat. Metabol. (%) Renale Eliminat. (%) Max. Wirkung auf Nüchtern-BZ nach Max. Wirkung auf HBA1c ab Rosiglitazon (Avandia®) Pioglitazon (Actos®) 2 × 8 mg 30 mg >99,8 >99 3–4 3–7 Aktive Metaboliten 16–24 23 55 64 45 4–8 Wochen 4–8 Wochen 12 Wochen 12 Wochen bei zeigte sich gerade in Kombinationstherapie ein guter additiver Effekt (4). Darüber hinaus wirkt sich die Therapie mit Thiazolidindionen positiv auf das Lipidprofil der Patienten aus, welche häufig zusätzlich an einer Fettstoffwechselstörung leiden. In unterschiedlichem Ausmaß werden durch die Behandlung mit Pioglitazon beziehungsweise Rosiglitazon die freien Fettsäuren und die Triglyceride im Serum gesenkt. Es kommt zu einem Anstieg des HDL-Cholesterin um ca. 10 bis 20 Prozent. Hierbei ist unter dem Einfluss von Pioglitazon kein wesentlicher Anstieg des Gesamtcholesterins und des LDL-Cholesterin zu verzeichnen. Rosiglitazon hat hier in den vorliegenden Studien zu einem Anstieg beider Parameter geführt. Thiazolidindione sind zunächst in der EU nur in Kombinationstherapie mit Sulfonylharnstoffen und Metformin zugelassen. Dies steht im Gegensatz zur derzeitigen Zulassung in der Schweiz sowie den USA. Dort ist ein Einsatz auch in Kombinationstherapie mit Insulin sowie eine Monotherapie zugelassen. Die Zulassung in der EU wird mittelfristig auch auf diese Indikationen ausgeweitet werden. Nachdem eine Insulinresistenz häufig bereits zu Beginn des Diabetes mellitus manifest ist, wäre ein früher Einsatz der Glitazone im Rahmen der Diabetestherapie wünschenswert und pathophysiologisch orientiert. Auch bei der Insulintherapie im Sekundärversagen wäre ein Einsatz der Glitazone individuell sinnvoll. Hierdurch könnte eine massiv erhöhte Tagesinsulindosis deutlich reduziert werden. Wesentliche unerwünschte Wirkungen (UE) der Insulinsensitizer bestehen in einer mäßigen durchschnittlichen Gewichtszunahme von ca.1,5 bis 3 kg im Verlauf von zwei Jahren (Studien). Dies ist durch die Lipogenese im Rahmen einer verbesserten Insulinwirkung zu erklären. Weiterhin kommt es bisweilen zu einer geringen Flüssigkeitsretention. Hieraus leiten sich die Kontraindikationen für eine Therapie mit Thiazolidindionen ab. Diese bestehen in einer bekannten Überempfindlichkeit gegen die Substanz bzw. Tablettenhilfsstoffe, Schwangerschaft und Stillzeit, fortgeschrittene höhergradige Herzinsuffizienz (NYHA II und IV), Leberfunktionsstörungen und Leberenzymerhöhung, sowie unerwünschte Gewichtszunahme. Nicht zugelassen ist derzeit eine Monotherapie mit Glitazonen, sowie die Kombination mit Insulin. Thiazolidindione führen per se nicht zu einer Hypoglykämie. Ein erhöhtes Risiko für Hypoglykämien besteht lediglich in Kombination mit Sulfonylharnstoffen. Hier ist in der Kombinationsbehandlung auf die mögliche Notwendigkeit einer Reduktion des Sulfonylharnstoff-Präparates zu achten. Die beiden Glitazone werden über unterschiedliche P-450 Enzyme in der Leber metabolisiert und sowohl über den Stuhl als auch den Urin ausgeschieden. Relevante Arzneimittelinteraktionen mit Medikamenten, welche gerade bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 häufig zusätzlich notwendig sind, wie Antihypertensiva, Antikoagulantien, Digitalisglykoside etc., sind nicht bekannt. Bedingt durch die Pharmakokinetik ist eine Dosisreduktion der Präparate auch bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz nicht notwendig. Pioglitazon weist im Gegensatz zu Rosiglitazon biologisch aktive Metaboliten mit einer verlängerten biologischen Halbwertszeit auf. Hieraus leitet sich die mögliche Einmalgabe von Pioglitazon im Vergleich zu Rosiglitazon ab. Die Standard Start- und Tagesdosen von Pioglitazon liegen bei 30 mg/d, von Rosiglitazon bei zweimal 8 mg/d. Die Einnahme der Medikamente erfolgt mahlzeitenunabhängig. Zusammenfassend stehen derzeit die Thiazolidindione als neue orale Antidiabetika zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 für die Kombinationstherapie mit Metformin und Sulfonylharnstoffen zur Verfügung.In der Praxis kann eine Insulinresistenz bei der Mehrzahl der Patienten angenommen werden. Aus diesem Grunde ist eine zusätzliche Therapie mit Thiazolidindionen in der Mehrzahl der Fälle pathophysiologisch sinnvoll. Die Standarddosis wird zur bisherigen Therapie hinzugefügt. Die Medikamenteneinnahme kann unabhängig von den Mahlzeiten erfolgen. In Kombination mit Sulfonylharnstoffen ist auf die Möglichkeit von Hypoglykämien hinzuweisen und die Dosis der Sulfonylharnstoffe zu reduzieren. Eine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz ist nicht erforderlich. Der maximale Effekt auf die Blutglukosespiegel ist nach vier bis acht Behandlungswochen zu erwarten. Kosten Die Einführung der prandialen Glukoseregulatoren und der Thiazolidindione ist nicht nur eine Bereicherung der Therapie mit oralen Antidiabetika, sondern verursacht auch vermehrte Kosten. Tabelle 3 zeigt die Tagestherapiekosten der derzeit verfügbaren oralen Antidiabetika einschließlich der neuen Substanzen. Hieraus wird ersichtlich,dass die kostengünstigste Therapie zur Zeit eine Behandlung mit Sulfonylharnstoffen darstellt. Prandiale Glukoseregulatoren stellen eine kostenintensivere Alternative dar. Der Einsatz dieser Medikamente muss unter Berücksichtigung der Vorzüge der Substanzen, aber auch der Kosten erfolgen. Eine individuelle, auf den Patienten zugeschnittene Therapieentscheidung ist hierbei unbedingt notwendig. Die teuersten derzeit verfügbaren oralen Antidiabetika stellen die Thiazolidindio- 6 Tabelle 3: Tagestherapiekosten oraler Antidiabetika. Wirkstoff Dosierung Tagestherapiekosten (DM) Sulfonylharnstoffe Glibenclamid (z. B. Euglucon N®) Glibornurid (Glutril®) Gliclazid (Diamicron®) Glipizid (Glibenese®) Gliquidon (Glurenorm®) Glisoxepid (Pro-Diaban®) Glimepirid (Amaryl®) 2 × 3,5 mg/die 2 × 25 mg/die 2 × 80 mg/die 2 × 5 mg/die 2 × 30 mg/die 2 × 4 mg/die 1 × 2 mg/die 0,40 (N2) 1,38 (N2) 1,45 (N2) 0,85 (N2), eingestellt seit 1999 0,85 (N2) 0,85 (N2) 0,79 (N2) Tolbutamid (z. B. Orabet®) 1 g/die 0,40 (N2) Prandiale Glukoseregulatoren („Glinide“) Repaglinide (Novonorm®) 3 × 1 mg/die Nateglinide (Starlix®) 3 × 120 mg/die 2,36 (N2) Bisher zugelasen in USA, Schweiz Metformin (z. B. Glucophage® S) 2 × 850 mg/die 0,76 (N2) Alpha-Glukosidasehemmer Acarbose (Glucobay®) Miglitol (Diastabol®) 3 × 100 mg/die 3 × 100 mg/die 1,99 (N2) 2,10 (N2) Guar (Glucotard®) 3 × 5 g/die 2,00 (N2) Thiazolidindione („Glitazone“, „Insulinsensitizer“) Rosiglitazon (Avandia®) 2 × 4 mg/die Pioglitazon (Actos®) 1 × 30 mg/die 4,77 (N2), Zugelassen in Kombination mit Sulfonylharnstoffen und Metformin 4,78 (N2), Zugelassen in Kombination mit Sulfonylharnstoffen und Metformin ne dar.Allerdings sind diese Medikamente aufgrund ihrer pathophysiologisch orientierten Wirkungsprinzipien und der sich hieraus nicht nur theoretisch ableitenden Vorteile hochwirksame Medikamente zur Behandlung der Mehrzahl der Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2. Reine Kostenüberlegungen sollten somit nicht dazu beitragen, dass diese Medikamente den Patienten vorenthalten werden. Dennoch ist ein Einsatz im Rahmen einer Differentialtherapie nicht unkontrolliert vorzunehmen, sondern er sollte bei jedem Patienten in Abhängigkeit der individuellen Erkrankung überdacht werden. licher therapeutischer Beeinflussung der Insulinresistenz dar. Dies ist sicherlich eine Bereicherung in der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 mit oralen Antidiabetika, nicht nur im Hinblick auf eine wirkungsvollere Senkung der Hyperglykämie, sondern auch auf eine auf pathophysiologischen Überlegungen beruhende mögliche Progressionsverzögerung der Erkrankung. Wie mit jeder neuen Substanzgruppe, ist eine breite Erfahrung im praktischen Alltag notwendig, um das Potential dieser Medikamente umfassend einschätzen zu können, und um sie wirkungsvoll mit größtmöglicher Sicherheit für den Patienten einzusetzen. Zusammenfassung Ausblick Ein Sekretionsdefekt für Insulin sowie die Insulinresistenz stehen im Mittelpunkt der Pathogenese des Diabetes mellitus Typ 2. Die prandialen Glukoseregulatoren und die Thiazolidindione stellen neuere Substanzgruppen daran, welche gezielt eine Differentialtherapie dieser beiden Entitäten ermöglichen. Hierbei erlauben die Glinide eine flexible Mahlzeitenbezogene Stimulation der Insulinsekretion in Analogie zu einer physiologischen prandialen Glukoseregulation. Die Insulinsensitizer stellen ein völlig neues Therapieprinzip mit erstmals mög- Die Entwicklung neuer oraler Antidiabetika zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 zielt sowohl auf die Senkung der Insulin Resistenz als auch auf die Verbesserung der Insulin Sekretion ab. Hierbei stehen im Mittelpunkt weitere Zielmoleküle bei der Insulinsignalübertragung. Die physiologische Begrenzung des Insulinsignals in der Muskelzelle erfolgt durch das Enzym PTP-1B. Eine Hemmung dieses Enzyms führt zu einer vermehrten Insulinwirkung. Derzeit werden spezifische Hemmstoffe für dieses Enzym als orale Antidiabetika entwickelt. Kürzlich wurde eine Substanz aus dem Pilz „Pseudomassaria“ vorgestellt, welche Wirksamkeit am Insulinrezeptor zeigt. Der Wirkstoff wird in die Zellen aufgenommen und bindet am intrazellulären Teil des Insulinrezeptors und aktiviert dort spezifisch die Rezeptorkinase. Die Substanz ist oral zu verabreichen und senkte in Tiermodell wirkungsvoll eine Hyperglykämie. Diese Substanz würde somit erstmals ein oral verfügbares Insulinanalogon darstellen (9). Weit fortgeschritten ist derzeit die Entwicklung der inhalativen Applikation von Insulin zur Behandlung des Diabetes mellitus. Erfahrungen bestehen in Studien bereits über mehr als zwei Jahre. Die Wirksamkeit dieser Applikation ist vergleichbar mit der Injektionsbehandlung mit Insulinanaloga.Als wesentlicher Vorteil wird von den Patienten die Freiheit von der Insulinspritze angesehen.Veränderungen pulmonaler Parameter traten in einem Zeitraum von zwei Jahren durch die inhalative Applikation von Insulin nicht auf. Neuere Therapieansätze zielen auf die gezielte Substitution der defekten BetaZellfunktion im endokrinen Pankreas bei Diabetes mellitus ab. Hierbei werden unter anderem trophische Faktoren für das Wachstum und die Proliferation von Beta-Zellen untersucht. Experimentelle Daten hierzu liegen für das Inkretinhormon Glukagon-like Peptide 1 (GLP-1) und dessen Analoga vor (10). GLP-1 wirkt nicht nur an der Beta-Zelle insulinotrop, sondern führt nach experimentellen Ergebnissen auch zur vermehrten Neubildung von Beta-Zellen aus Vorläuferzellen im Pankreas. Dieser zusätzliche Effekt und die gut charakterisierte insulinotrope Wirkung von GLP-1, sowie die Verlangsamung der Magenentleerung charakterisiert diese Substanz als ideales neues Antidiabetikum. Als Peptidhormon ist eine orale Applikation derzeit jedoch nur unzureichend möglich und alternative Applikationswege werden untersucht. Literatur 1. The UKPDS-Study Group. Intensive blood-glucose control with sulphonylureas or insulin compared with conventional treatment and risk of complications in patients with type 2 diabetes (UKPDS 33). Lancet 1998; 352:837-853 7 2. 3. 4. 5. 6. 7. Arent J. By the numbers. The facts about diabetes. Healthplan. 2000; 41:65-66 Ceriello A. The post-prandial state and cardiovascular disease: relevance to diabetes mellitus. Diabetes Metab.Res.Rev. 2000;16:125-132 Fuchtenbusch M,Standl E,Schatz H.Clinical efficacy of new thiazolidinediones and glinides in the treatment of type 2 diabetes mellitus. Exp.Clin.Endocrinol.Diabetes 2000; 108:151-163 Gavin J R. The importance of postprandial hyperglycaemia. Int.J.Clin.Pract.Suppl. 1999; 107:14-17 Kadowaki T. Insights into insulin resistance and type 2 diabetes from knockout mouse models. J.Clin.Invest. 2000; 106:459-465 Landgraf R, Bilo H J, Muller P G. A comparison of repaglinide and glibenclamide in the treatment of type 2 diabetic patients previously treated with sulphonylureas. Eur.J.Clin.Pharmacol. 1999; 55:165-171 8. Owens D R, Luzio S D, Ismail I, Bayer T. Increased prandial insulin secretion after administration of a single preprandial oral dose of repaglinide in patients with type 2 diabetes. Diabetes Care 2000; 23:518-523 9. Qureshi S A, Ding V, Li Z, Szalkowski D, Biazzo-Ashnault D E, Xie D, Saperstein R, Brady E, Huskey S, Shen X, Liu K, Xu L, Salituro G M, Heck J V, Moller D E, Jones A B, Zhang B B. Activation of Insulin Signal Transduction Pathway and Antidiabetic Activity of Small Molecule Insulin Receptor Activators. J.Biol.Chem. 2000; 275:36590-36595 10. Stoffers D A, Kieffer T J, Hussain M A, Drucker D J, Bonner-Weir S, Habener J F, Egan J M. Insulinotropic glucagon-like peptide 1 agonists stimulate expression of homeodomain protein IDX-1 and increase islet size in mouse pancreas. Diabetes 2000; 49:741-748 11. Turner R C. The U.K. Prospective Diabetes Study.A review.Diabetes Care 1998; 21 Suppl 3:C35-C38 Für die Verfasser: Dr. med. J. Seufert Medizinische Poliklinik Bereich Stoffwechsel, Endokrinologie und Molekulare Medizin Universität Würzburg Klinikstraße 6–8 97070 Würzburg