Professor Dr. Koenigs Januar 2006 Einführung in die Rechtswissenschaft Einführung 4 I. II. 4 6 Die grossen Bereiche der Rechtsordnung – Übersicht Rechtswissenschaft – Naturwissenschaften/Technik Erster Abschnitt: Grundfragen 8 I. Funktion des Rechts II. Abgrenzung zu anderen sozialen Wertordnungen III. Macht und Recht IV. Wesen und Gründe der Geltung des Rechts Naturrecht; Historische Rechtsschule; Reiner Positivismus; Soziologischer Positivismus; Marxismus; Teleologischer Rechtspositivismus; Wertorientierter Rechtspositivismus; Gesellschaftspolitischer Ansatz; Freirechtsschule (Voluntarismus, Dezisionismus) 8 10 11 12 Zweiter Abschnitt: 15 Die grossen Bereiche der Rechtsordnung I. Völkerrecht II. Supranationales Recht – Europäische Gemeinschaften III. Nationales Recht A. Öffentliches Recht – Privatrecht B. Bereiche des öffentlichen Rechts C. Bereiche des Privatrechts IV. Kirchenrecht 15 15 18 18 19 19 21 Dritter Abschnitt: Allgemeine Rechtslehre 21 I. Rechtsquellen - Arten und Rangordnung II. Rechtsanwendung und Rechtsauslegung III. Lücken im Gesetz IV. Rechtsfortbildung durch den Richter V. Generalklauseln - Nutzen und Gefahren 21 22 23 24 24 Vierter Abschnitt: 25 I. Öffentliches Recht Allgemeine Staatslehre A. Begriff und Elemente des Staates Staatsgebiet; Staatsvolk - Staatsvolk/Nation, Staatsangehörigkeit; Staatsgewalt B. Staatsrechtfertigungen 1. Staatsrechtfertigungen Ethische Theorie/Naturrecht; Religiöse Theorie; Machttheorie; Vertragstheorie; Soziologische Theorie 2. Zweck und Aufgaben des Staates Verwirklichung der durch Sittengesetz gebotenen Ordnung", Verwirkli chung des Willens Gottes; Wohlfahrtstheorie; Liberaler Rechtsstaat; Freiheitlich - Sozialer Rechtsstaat 25 25 28 28 28 2 C. Staatsformen 1. Einteilung nach Träger der Staatsgewalt Monarchie; Republik; Diktatur 2. Andere Einteilungen II. Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland A. Verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidungen 1. Republik 2. Bundesstaat 3. Demokratie 4. Rechtsstaat 5. Sozialstaat B. Grundrechte 1. Allgemeines Geschichte; Funktion der Grundrechte; Einschränkung der Grundrechte; Drittwirkung; Grundrechtsberechtigte 2. Einzelne Grundrechte a) Allgemeine Handlungsfreiheit; Art. 2 Abs. 1 aa) Inhalt des Grundrechts Handlungsfreiheit bb) Schranken des Grundrechts b) Meinungs- und Informationsfreiheit; Art. 5 Abs. 1 und 2 c) Vereinigungsfreiheit und Koalitionsfreiheit; Art. 9 d) Berufsfreiheit; Art. 12 e)Schutz des Eigentums; Art. 14 aa) Inhalt des Grundrechts Eigentum; Gründe des Schutzes bb) Schranken des Grundrechts Eigentum cc) Enteignung dd) Sozialisierung C. Die Wirtschaftsordnung des Grundgesetzes D. Staatsorgane; Gesetzgebung 1.Staatsorgane 2. Gesetzgebung III. Das Verwaltungsrecht der Bundesrepublik Deutschland A. Begriff und Arten der Verwaltung 1. Begriff 2. Arten der Verwaltung B. Handlungsformen der Verwaltung 1. Übersicht 2. Der Verwaltungsakt a) Begriff und Arten b) Der fehlerhafte Verwaltungsakt Fünfter Abschnitt: Privatrecht I. Bereich II. Bürgerliches Recht (BGB) A. Einführung B. Entstehung und Nutzen der Rechtsbegriffe des BGB C. Strukturelemente des BGB 1. Normarten 2. Arten der Rechte 3. Verpflichtungsgeschäfte/Verfügungsgeschäfte 4. Abstraktionsprinzip 29 29 30 30 30 30 30 32 33 35 36 36 40 40 40 41 42 43 44 45 45 46 47 48 48 49 49 50 53 53 53 54 55 55 56 56 57 58 58 59 59 59 60 60 60 60 62 3 D. Einige übergreifende Rechtsgedanken 1. Vertragsfreiheit und ihre Grenzen 2. Einstehen für den durch eigenes Verhalten geschaffenen Rechtsschein 3. Zuordnung des Zufallsrisikos nach der Sphäre 4. Treu und Glauben a) Übersicht b) Nebenpflichten einer Vertragspartei c) Einwand der unzulässigen Rechtsausübung d) Fortfall der Geschäftsgrundlage III. Strukturelemente des Handelsrechts IV. Strukturelemente des Gesellschaftsrechts V. Strukturelemente des Arbeitsrechts 62 62 64 65 66 66 67 67 68 68 69 70 Sechster Abschnitt: 72 Rechtsschutz I. Arten und Zuständigkeit der Gerichte; Rechtsweg A. Arten und Aufbau der Gerichte B. Zuständigkeit und Rechtsweg in Zivilsachen C. Zuständigkeit und Rechtsweg in Strafsachen D. Zuständigkeit und Rechtsweg in Arbeitssachen E. Zuständigkeit und Rechtsweg in der Verwaltungsgerichtsbarkeit F. Zuständigkeit und Rechtsweg in der Finanzgerichtsbarkeit G. Zuständigkeit und Rechtsweg in der Sozialgerichtsbarkeit II. Gemeinsame Grundsätze III. Einige Verfahrensfragen A. Klagearten B. Verfahrensgrundsätze in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Arbeitssachen C. Verfahrensgrundsätze in Verwaltungsstreitsachen D. Verfahrensgrundsätze in Strafsachen IV. Einstweiliger Rechtsschutz A. Einstweiliger Rechtsschutz in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Arbeitssachen B. Einstweiliger Rechtsschutz in Verwaltungsstreitsachen 72 72 73 74 74 75 75 76 76 77 77 Anhang 81 I. Abkürzungen II. Auszug aus dem Grundgesetz III Auszug aus weiteren Gesetzen 81 81 83 77 79 79 79 80 80 4 Einführung I. Die grossen Bereiche der Rechtsordnung – Übersicht A. Vorab zwei Bemerkungen 1. Funktion des Rechts 2. Tätigkeit der Juristen 1. Funktion des Rechts Durch Recht Regeln für ein geordnetes Zusammenleben oft sehr vieler Menschen in der jeweiligen Gemeinschaft, Gemeinschaft der Völker in der Welt Staat kleinere soziale Einheiten – Land, Gemeinde, Universität, Verein, Familie In erster Linie Recht Friedensordnung, aber auch im Kriegsvölkerrecht Regeln für einen Krieg Als Teilaufgaben der Friedensordnung 1. Sicherung des Funktionierens der jeweiligen Ordnung von Staat und Wirtschaft 2. Schutz der Schwächeren gegen die Starken Näheres Erster Abschnitt I 2. Tätigkeit der Juristen Haupttätigkeit Anwendung des Rechts – als Richter, Verwaltung, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Justitiar in der Wirtschaft Weitere Tätigkeitsbereiche Entwicklung neuen Rechts – Ministerien, Professoren, begrenzt Richter Lehre des Rechts; kritische Begleitung von Rechtsprechung und Verwaltung – Professoren, Praktiker Gemeinsame Elemente der Tätigkeit der Juristen 1. Umfassende Ermittlung des Sachverhalts 2. Abwägung gegenläufiger Werte und Interessen nicht nur bei der Gesetzgebung, sondern auch vielfach bei Anwendung des Rechts Die Gesetze lassen Raum für eine solche Abwägung durch entsprechende Vorbehalte – z.B. Art. 5 GG Meinungsfreiheit, Schranken die allgemeinen Gesetze und Recht der persönlichen Ehre durch unbestimmte Rechtsbegriffe wie öffentliche Sicherheit und Ordnung durch Generalklauseln, insbesondere im Zivilrecht wie gute Sitten, Treu und Glauben durch Recht und Pflicht der Verwaltung zu Entscheidungen nach pflichtgemässem Ermessen Für gesetzliche Regelung oder Entscheidung im Einzelfall oft erforderlich Abwägung zwischen hochrangigen Werten – Abtreibung; Genforschung; Demonstration rechtsextremer Parteien; „Soldaten sind Mörder“ meist erforderlich Abwägung zwischen weniger schwerwiegenden Werten und Interessen – Kündigung des Vermieters wegen Eigenbedarfs; Kündigungsschutzklage eines Arbeitnehmers Ermittlung des Sachverhalts und Abwägung gegenläufiger Werte und Interessen auch in vielen anderen Berufen erforderlich, aber in der Regel in weit geringerem Umfange; 5 wohl am meisten erforderlich bei unternehmerischen Entscheidungen; daher Nutzen einer begrenzten Rechtsausbildung auch für Studenten der Wirtschaftswissenschaften B. Die grossen Bereiche der Rechtsordnung – Übersicht Regeln für das Zusammenleben der Menschen enthält nicht nur die Rechtsordnung, sondern solche Regeln ergeben sich in erheblichem Umfange durch weitere Wertordnungen und Regeln, die die Rechtsordnung ergänzen, u. U. ihr sogar widersprechen und nicht selten als stärker verbindlich empfunden und stärker befolgt werden, Das sind Brauch (Verkehrssitte, Handelsbrauch) Sitte Moral/Ethik Religion Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie keine rechtlichen Verpflichtungen sind, deren Beachtung notfalls mit staatlicher Gewalt erzwungen wird Z. T. begründen sie überhaupt keine Verpflichtungen wie der Brauch Z. T. nur sittliche oder religiöse Verpflichtungen wie Sitte, Moral/Ethik und Religion Z. T. gelten sie nur für bestimmte Gruppen mit u. U. sehr unterschiedlichem Inhalt wie Religion oder Standesmoral von Offizieren oder Russenmafia Bei Verstössen drohen sehr unterschiedliche Sanktionen Näheres Erster Abschnitt II Als grosse Bereiche der Rechtsordnung sind zweckmässig zu unterscheiden das Völkerrecht das supranationale Recht der Europäischen Gemeinschaften das nationale Recht der einzelnen Staaten mit seinen beiden grossen Bereichen Öffentliches Recht und Privatrecht das Kirchenrecht 1. Das Völkerrecht Das Völkerrecht umfasst die Regeln für die Beziehungen der Staaten, der Staatenverbindungen mit völkerrechtlicher Handlungsfähigkeit wie die Europäischen Gemeinschaften und anderer souveräner Rechtsträger wie die Katholische Kirche und der souveräne Malteser Orden Das Völkerrecht ist eine eigenständige Rechtsordnung, in der nur Völkerrechtssubjekte handlungsfähig sind Näheres Zweiter Abschnitt I 2. Supranationales Recht der Europäischen Gemeinschaften Entstanden als Folge einer neuen Form engerer Zusammenarbeit europäischer Staaten zunächst als Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 1951, fortgesetzt und erweitert durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, jetzt EG) und Europäische Atomgemeinschaft (EAG) 1958. Die Mitgliedstaaten haben einen Teil ihre Hoheitsrechte auf die Gemeinschaften übertragen und haben drei neue klassische Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative (Rechtsprechung) geschaffen. Damit ist eine neue eigenständige Rechtsordnung mit Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten entstanden, die in vielen Bereichen das nationale Recht der Mitgliedstaaten überlagert. Zur Unterscheidung vom Internationalen Recht, den Rechtsbeziehungen der Staaten und Staatenverbindungen im Bereich des Völkerrechts wird dieser neue Bereich der Rechtsordnung supranationales Gemeinschaftsrecht genannt 6 Zweiter Abschnitt II 3. Das nationale Recht Das nationale Recht der Mitgliedstaaten wird wegen der unterschiedlichen Aufgaben und daraus folgenden grossen Unterschiede der Rechtsvorschriften aufgeteilt in die beiden grossen Bereiche Öffentliches Recht und Privatrecht, innerhalb dieser grossen Rechtsgebiete in weitere Bereiche entsprechend dem geregelten Bereich Die grossen Unterschiede der beiden Bereiche ergeben sich aus den Aufgaben dieser Rechtsgebiete Das Öffentliche Recht regelt die Beziehungen Staat – Bürger Das Privatrecht regelt die Beziehungen Bürger – Bürger Kennzeichnend für das Öffentliche Recht ist die Überordnung – Unterordnung der Beteiligten Kennzeichnend für das Privatrecht ist die Gleichordnung der Beteiligten Aus diesem Unterschied folgen für die Normen dieser Rechtsgebiete unterschiedliche Aufgaben, zu erfüllende Bedürfnisse und zu schützende Interessen Näheres Zweiter Abschnitt III A Ebenso, aber in weit geringerem Umfange als das Völkerrecht wird das förmliche/geschriebene nationale Recht ergänzt durch das Gewohnheitsrecht. Es entsteht durch ständige Übung der Rechtsgenossen bzw. ständige Rechtsprechung und als zusätzliches Erfordernis die Meinung der Beteiligten, zu ihrem entsprechenden Verhalten rechtlich verpflichtet zu sein (opinio necessitatis). Durch dieses zusätzliche Erfordernis unterscheidet sich das Gewohnheitsrecht vom Brauch und der Verkehrssitte 4. Das Kirchenrecht Das Kirchenrecht regelt die Verfassung der Kirche sowie die Rechte und Pflichten der Geistlichen und der Mitglieder der jeweiligen Kirche. Im Falle eines Widerspruchs von Staatsrecht und Kirchenrecht beansprucht jede Seite an sich den Vorrang, z. B. im Recht der Ehe. Aufgrund seiner Macht setzt aber der Staat den Vorrang seines Rechts durch, soweit es um Geltung und Anwendung staatlichen Rechts geht. In ihrem Bereich bleibt es der Kirche überlassen, ob und in welchem Umfange sie das staatliche Recht anerkennt. Soweit wie mit dem öffentlichen Interesse vereinbar, räumt der Staat der Kirche Autonomie ein, d. h. das Recht zur eigenen Gesetzgebung und Rechtsprechung 5. Das Naturrecht Ein die grossen Bereiche der Rechtsordnung Völkerrecht, supranationales Gemeinschaftsrecht, nationales Recht der einzelnen Staaten und Kirchenrecht überwölbender Bereich ist das Naturrecht. Das Naturrecht gilt als natürliche Rechts- und Wertordnung unabhängig von menschlicher Autorität und Tätigkeit eines Gesetzgebers und ist für jeden Gesetzgeber und Richter in allen Bereichen verbindlich Näheres Erster Abschnitt IV II. Rechtswissenschaft – Naturwissenschaften/Technik Grundsätzlicher Unterschied in Aufgaben und Arbeitsmethoden zwischen Rechtswissenschaft und Naturwissenschaften/Technik 7 Aufgabe von Naturwissenschaft/Technik Erkenntnis der Natur und Einsatz der natürlichen Ressourcen und Naturkräfte, um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen und technische Wirkungen zu erzielen Gegenstand der Forschung also der Ist-Zustand sowie die Ursachen und möglichen Wirkungen des Einsatzes von Ressourcen und Naturkräften Mittel der Forschung Beobachtung, Experiment, u.U. theoretische Spekulation Wissenschaftliche Wahrheit das durch Beobachtung und Experiment Bestätigte; Richtig oder Falsch allerdings nur aufgrund der gegenwärtigen Erkenntnismöglichkeiten und damit unter dem Vorbehalt späterer abweichender Erkenntnisse aufgrund dieser Arbeitsmethode Damit grundsätzlicher Unterschied zur Rechtswissenschaft Aufgabe des Rechts Ordnung des Zusammenlebens in der jeweiligen Gemeinschaft Am Anfang der Rechtsordnung steht die Entscheidung über das Leitbild. Diese Entscheidung eine wertende Willensentscheidung, die der Prüfung auf Richtigkeit wie in Naturwissenschaft/Technik entzogen. Nur möglich, durch Spekulation vorab oder aufgrund geschichtlicher Erfahrung bestimmte Folgen der Entscheidung für ein bestimmtes Leitbild zu ermitteln, z.B. aus der Entscheidung für das Leitbild des Westens Freiheit und Entfaltung des Einzelnen in einer durch die Werte der Antike und des christlichen Abendlandes geprägten Gesellschaft oder aus der Entscheidung für das Leitbild einer sozialistischen Gesellschaft von Utopia bis zum Marxismus-Leninismus des Ostblocks Entscheidung aufgrund dieser Folgen aber nicht richtig oder falsch im naturwissenschaftlichen Sinne, sondern die Entscheidung bleibt eine wertende (normative) Willensentscheidung, welche Folgen zu bevorzugen sind und damit welches Leitbild Aus dem gewählten Leitbild werden alle weiteren Normen und die Rangordnung der Werte abgeleitet, ebenso Entscheidungen im Einzelfall, wenn und soweit die jeweilige Norm Entscheidungsspielraum lässt Aufgabe der Rechtswissenschaft, bei Entwicklung der Normen und den Entscheidungen im Einzelfall Hilfe zu leisten Richtig oder falsch also nur, ob die Norm oder Entscheidung innerhalb des aus der Leitentscheidung abgeleiteten Koordinatenkreuzes richtig und ob die Verfahrensregeln beachtet Im Bereich der Rechtswissenschaft also stets nur relative Wahrheit; kein Anspruch auf absolute Wahrheit wie Religion oder Marxismus/Leninismus oder Wahrheit aufgrund der gegenwärtigen naturwissenschaftlich/technischen Erkenntnismöglichkeiten Zusammenfassung Grundlegender Unterschied Naturwissenschaften/Technik - Rechtswissenschaft: In Naturwissenschaften/Technik Aufgabe der Wissenschaft Erforschung des Seins; möglich Aussage Richtig oder Falsch in Grenzen der jeweiligen Erkenntnismöglichkeit In Rechtswissenschaft Aufgabe der Wissenschaft Hilfe bei Gesetzgebung und Rechtsprechung; Urteil Richtig oder Falsch im Rahmen eines Koordinatenkreuzes, das vorab aus einem Leitbild aufgrund wertender Willensentscheidung entwickelt Sehr häufig notwendig Abwägung zwischen sich widersprechenden Werten und Interessen; denn sehr häufig für Gesetzgeber noch Spielraum im Rahmen der Verfassung und für Richter Spielraum für Entscheidung durch Pflicht zur Abwägung bereits im Gesetz benannter Interessen, durch unbestimmte Rechtsbegriffe oder durch Generalklauseln In diesen Fällen nur Prüfung, ob Gesetz oder Entscheidung innerhalb des gewährten Spielraums in sachgerechter Abwägung und ob Verfahrensregeln beachtet. Im Bereich der Rechtswissenschaft also stets nur relative Richtigkeit 8 Erster Abschnitt: Grundfragen I. Funktion des Rechts Menschliches Zusammenleben nur möglich, wenn es Regeln gibt und diese Regeln beachtet werden, von der Ehe über Familie, Betrieb, Staat bis zur Gemeinschaft der Völker So umfassende Rechtsordnung solcher Regelungsdichte wie gegenwärtig Ergebnis einer Entwicklung mehrerer 1000 Jahre, über individuelle Gewohnheiten; Gewohnheiten der jeweiligen Gruppe; Gruppenregeln, deren Verletzung eine Sozialsanktion auslöst; Sitte, Moral; Religion, in der oft sozial gebotenes Verhalten zu religiösen Geboten überhöht wird, bis zum verbindlichen Recht, dessen Verletzung rechtliche Sanktionen auslöst und das mit staatlichem Zwang durchgesetzt wird. Zur Abgrenzung des Rechts zu anderen sozialen Wertordnungen unter II Zunächst zur Funktion des Rechts Wichtigste Aufgaben 1. Friedensordnung Lösung der im Zusammenleben der Menschen unvermeidlichen Konflikte nicht mehr durch Kampf, sondern in der Regel in institutionalisierten Verfahren; in bestimmten Fällen noch Kampf zulässig, aber nach festen Regeln - Duell; Arbeitskampf; Haager Landkriegsordnung; Verzicht auf bestimmte Waffen - nicht Gas, Atomwaffen, Biologische Waffen Verzicht nicht aus Einsicht, sondern aus Furcht vor gleichen Waffen des Feindes 2. Schutz des Schwächeren gegen rechtswidrige Verletzung der Rechtsgüter des Schwächeren - Leben, Gesundheit, Eigentum, wirtschaftliche Betätigungsfreiheit Aus diesen Aufgaben des Rechts folgt Gewaltmonopol des Staates. Gewaltmonopol des Staates statt Selbsthilferecht der Einzelnen oder Recht einzelner Feudalherren oder sozialer Gruppen, zur Durchsetzung eigener Ziele Gewalt anzuwenden, Ergebnis einer oft langen Entwicklung, wesentliche Voraussetzung eines geordneten Zusammenlebens. Zu Unrecht als „strukturelle Gewalt“ abgelehnt Als Folge der immer grösser werdenden Gemeinschaften, in denen Menschen organisiert zusammenleben, der zunehmenden Arbeitsteilung und technischen Entwicklung entsteht über die Grundaufgaben des Rechts Friedensordnung und Schutz des Schwächeren hinaus ein Bedarf nach immer stärkerer rechtlicher Regelung Recht daher heute eine umfassende Ordnung für ein möglichst reibungsloses Zusammenleben innerhalb eines Staates; z.Z. in Entwicklung Ordnung für ein Zusammenleben innerhalb einer Staatengemeinschaft Europäische Wirtschaftsgemeinschaft/Europäische Union Ständig zunehmende Normdichte. Damit je nach den jeweils herrschenden Wertvorstellungen Verfolgen weiterer Ziele möglich, etwa Demokratie Gerechtigkeit i.S. sozialer Gerechtigkeit höchstmögliche Freiheit des Einzelnen höchstmögliche Gleichheit Herstellen einer sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung Das Recht wird immer stärker eingesetzt als Gestaltungsmittel, um politische, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Ziele zu erreichen. Als Folge verringerte Akzeptanz solcher Normen bei einem Teil der Bürger 9 Rechtsordnung eines Staates folgt regelmässig einem Leitbild, aus dem die in den einzelnen Normen vollzogenen Wertentscheidungen und Regeln abgeleitet werden Leitbild im Westen aufgrund der durch die Antike und das Christentum geprägten Wertvorstellungen Würde und höchstmögliche Freiheit des Einzelnen Im Osten bisher eine sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung, Einordnung des Einzelnen in das Kollektiv Zu den daraus folgenden grundlegenden Unterschieden zwischen Rechtswissenschaft und Naturwissenschaften/Technik vorstehend Einführung II Trotz des Konsenses über das Leitbild der Rechtsordnung im Westen und des abstrakten Konsenses über viele weitere Ziele, z.B. Demokratie, soziale Gerechtigkeit oft Spannungen und schwere Konflikte über die aus diesen Zielen folgenden Rechtsnormen Ziel Gerechtigkeit im Spannungsverhältnis zwischen Einzelfall-Gerechtigkeit und Rechtssicherheit, soziale Gerechtigkeit im Spannungsverhältnis zwischen Solidarität/Umverteilung und Anspruch auf Lohn der eigenen Leistung, Eigenverantwortung Besonders konfliktträchtig Ziel höchstmögliche Freiheit des Einzelnen Meinungsfreiheit im Spannungsverhältnis zum Schutz der Ehre. "Alle Soldaten sind potentielle Mörder" Abtreibung im Spannungsverhältnis zwischen Entscheidungsfreiheit der Frau und Lebensrecht des ungeborenen Kindes. Embryo im Reagenzglas besser geschützt als im Leib der Mutter Möglichst grosse Eigenverantwortung und Eigenbeteiligung bei Vorsorge für Krankheit und Alter oder Vorsorge durch Kollektivsysteme mit Zwangsmitgliedschaft, hoher Umverteilung unter Aspekt der Solidarität und ohne oder nur geringer Eigenbeteiligung Datenschutz im Spannungsfeld zwischen informationeller Selbstbestimmung und Vorteilen für Kriminelle und böswillige Schuldner mit entsprechenden Nachteilen für Bürger und Gläubiger Ursache für so grosse Konflikte und Schwierigkeiten in Gesetzgebung und Verwaltung de Verlust des Grundkonsenses in unserer Gesellschaft, Entwicklung zu pluralistischer Gesellschaft mit sehr unterschiedlichen Wertprioritäten oder sogar zu Gesellschaft ohne Wertvorstellungen; vorher wesentlich geringere Konflikte und Schwierigkeiten durch weitgehenden Konsens über verbindliche Werte und geringere Freiheitsrechte der Bürger Gegenwärtig gefährliche Entwicklung durch extremen Wertpluralismus oder Wertvakuum und äusserst weitgehende Freiheits-, Klage- und Anhörungsrechte der Bürger; verstärkt durch Unfähigkeit oder fehlenden Willen des Staates, viele seiner Rechtsnormen noch durchzusetzen, sowie wachsende Bereitschaft der Bürger, geltendes Recht zu missachten Damit Schwinden des Rechtsbewusstseins, Beeinträchtigung effizienter Verwaltung, Gefährdung Deutschlands als Industriestandort. Beispiele: Steuerhinterziehung; Gentechnik; Genehmigungsverfahren für Kraftwerke, Bahnen, Strassen, Industrieanlagen Erforderlich angemessene Einschränkung von Klage- und Anhörungsrechten; Fähigkeit und Mut des Staates, seine Normen durchzusetzen; Mut zur Erziehung und Rückbesinnung auf bestimmte Grundwerte und Tugenden wie Eigenverantwortung, Gemeinsinn, Leistungsbereitschaft, Sorgfalt, Fleiss, Ordnung, Toleranz, Rücksichtnahme und Verzicht auf Gewalt zur Lösung von Konflikten Daraus erkennbar eine der Grundaufgaben und Schwierigkeiten der Rechtswissenschaft, die Abwägung zwischen gegensätzlichen Werten und Interessen Zwar durch Gesetzgebung bereits solche Abwägung und Entscheidung, trotzdem aber für Entscheidung im Einzelfalle oft noch erheblicher Spielraum für Abwägung, insbesondere wenn Gesetzgeber unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet oder die Abwägung gegensätzlicher Interessen durch Verwaltung oder Rechtsprechung vorschreibt; besonders grosser Raum und Bedarf für Abwägung im Rahmen der Generalklauseln, siehe Zweiter Abschnitt Vl. 10 Gleiche Aufgabe und Schwierigkeit Abwägung gegensätzlicher Werte und Interessen auch in der BWL, allerdings mit geringerer ideologischer und emotionaler Belastung Abzuwägen Risiko - Chancen bestimmter Investition; Renditeerhöhung - Umweltschutz; Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern aus sozialer Rücksichtnahme entgegen betriebswirtschaftlichem Optimum Schulung im Erfassen und Darstellen von Sachverhalten und in juristischer Arbeitstechnik im Rahmen der Rechtsausbildung zugleich Vorbereitung auf das auch in der Unternehmenspraxis laufend notwendige Erfassen und Darstellen von Sachverhalten, insbesondere aber auf die wichtigste unternehmerische Aufgabe Treffen richtige Entscheidungen durch Abwägung oft zahlreicher Faktoren unter Unsicherheit II. Abgrenzung des Rechts zu anderen sozialen Wertordnungen Begriffsbestimmung Recht: Recht verbindliche, von der dazu berechtigten Stelle - meist Staat, u.U. auch anderer Verband wie Universität, Kirche, Verein - geschaffene Norm, dessen Verletzung eine rechtliche Sanktion auslöst und die ggf. mit Zwangsmitteln durchgesetzt wird Recht abzugrenzen zu Brauch (Verkehrssitte, Handelsbrauch) Sitte Moral/Ethik Religion 1. Brauch Tatsächliche Übung innerhalb einer Gruppe, z.B. Aufteilung der Aufgaben innerhalb Familie oder Arbeitsgruppe Brauch entwickelt sich in jeder Gruppe zur Erleichterung des Zusammenlebens und zum besseren Erreichen der Gruppenziele. Damit Erleichterung der Entscheidung über das eigene Verhalten (Soziologen: Entlastungsfunktion); Vorhersehbarkeit des Verhaltens für andere Mitglieder der Gruppe Abweichungen vom Brauch aber ohne Sanktionen möglich; Brauch nicht verbindlich 2. Sitte Normativer Brauch; moralischer Hintergrund aber nicht nötig, z.B. "angemessene" Arbeitsleistung im Verhältnis zu den Arbeitskollegen, Abschreiben-Lassen in der Schule, Einreihen in Warteschlange Sitte wird ebenfalls in jeder Gruppe aus den genannten Gründen entwickelt Anders als bei Brauch führt aber Abweichung von der Sitte zu sozialen Sanktionen Sitte anders als Moral auch ohne freiwillige Anerkennung als Verhaltensnorm allgemein verbindlich Abweichend vom Recht aber Sitte nicht bereits vorher genau und verbindlich festgelegt, nicht feststehend Sitte kann zum Gewohnheitsrecht werden, d.h. rechtlich verbindlich und mit rechtlichen Sanktionen bei Abweichung, z.B. Gewährung von Gratifikation ohne Vorbehalt durch Arbeitgeber, oder von der Rechtsordnung als, Anknüpfung für Pflichten und Rechte genommen werden, z.B. die Verkehrssitte, unter Kaufleuten der Handelsbrauch; §§ 138, 826 BGB, § 346 HGB, § 1 UWG Zwecks besserer Beachtung werden in vielen Gesellschaften bestimmte Sitten zu religiösen Geboten erhoben 3. Moral/Ethik Unterschiedliche Formen: Autonome Moral - Gewissen Gruppenmoral, z.B. eines bestimmten Berufsstandes wie Offiziere, Rechtsanwälte oder eines sozialen Standes wie Adel, Arbeiter 11 Humanmoral - gemeinsame Wertvorstellungen aller Menschen Moral/Ethik entwickelt aus Wertvorstellungen der 3eweiligen Gruppe. Sie ist verbindlich nur für diejenigen, die sich zu dieser Wertegemeinschaft aus eigener freier Entscheidung bekennen. Ihr Inhalt kann daher sehr unterschiedlich, u.U. sogar entgegengesetzt sein - ehrbare Bürger/ Mafia Sanktion bei Verstoss gegen die jeweiligen Gebote soziale Sanktionen, insbesondere Missachtung, nur durch die Angehörigen der jeweiligen Gruppe Teil der Gebote, insbesondere der Humanmoral, wird oft zur Rechtsnorm erhoben und wird damit auch verbindlich für diejenigen, die sich nicht zu dieser Wertegemeinschaft bekennen 4. Religion Hier nur Abgrenzung zum Recht. Religion enthält religiös begründete Verhaltensnormen und zur Sicherung ihrer Beachtung religiöse Sanktionen im Diesseits und Jenseits. Anders als Recht nicht allgemein verbindlich, sondern nur für die freiwillig Gläubigen Regeln für das geordnete Zusammenleben und Bestand einer bestimmten Gruppen, z.B. Versorgung von Kindern, Gesundheitsschutz werden zwecks besseren Beachtung oft zu religiösen Normen erhoben, z.B. Verbot ausserehelichen Geschlechtsverkehrs, Verbot von Alkohol oder Schweinefleisch Religion wurde auch von den Herrschenden als Mittel zur Stabilisierung ihrer Macht eingesetzt III. Macht und Recht Nach Max Weber Macht die Möglichkeit, den eigenen Willen in Sozialbeziehungen auch gegen Widerstrebende durchzusetzen, gleichgültig, auf welchen Gründen diese Möglichkeit beruht Ungewöhnliche Spannweite solcher Möglichkeiten-, vom freiwilligen Befolgen aufgrund hohen eigenen Ansehens oder guter Argumente über wirksamen Propaganda-Apparat bis zur totalen Überwachung und Gewalt Recht oft Mittel zur Ausübung von Macht Damit Möglichkeit, Gehorsam gegenüber dem Recht, nicht gegenüber dem Inhaber der Macht zu verlangen; so grössere Bereitschaft zum Gehorsam, Ausübung der Macht nicht mehr unmittelbar Verwendung des Rechts als Instrument der Macht gerechtfertigt und zweckmässig, wenn und solange die Macht innerhalb der unverzichtbaren Gebote des Rechts, insbesondere der Menschenrechte ausgeübt wird. Das Recht wird aber zu Unrecht, wenn es in den Dienst von Machthabern gestellt wird, die diese unverzichtbaren Gebote des Rechts missachten. Beispiel NS-Rassengesetze; Schiessbefehl an der Mauer Macht, die Recht schafft, führt aber damit zugleich zu mehr oder minder starker Begrenzung der eigenen Macht, weil damit an das eigene Recht gebunden, nicht mehr möglich freie Willkür Wichtigste Aufgabe des Rechts, der Ausübung von Macht Grenzen zu setzen - als Friedensordnung für geordnetes Zusammenleben in einer Gemeinschaft; als Schutz des Schwächeren gegen Machtmissbrauch des Stärkeren Recht wichtigstes Mittel, um Macht zu begrenzen und Missbrauch der Macht zu verhindern. Beispiel: Entwicklung vom absoluten Herrscher über die konstitutionelle Monarchie zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung heute Andererseits bedarf das Recht der Macht zu seiner Beachtung und Durchsetzung. Daher das Strafrecht; Vollstreckung von Zivilurteilen durch den Gerichtsvollzieher, Überwachung des Strassenverkehrs durch die Polizei Recht kann allerdings auch ohne Möglichkeit der Durchsetzung längere Zeit überleben Menschenrechte im NS-Staat und ehemaliger DDR 12 Rechtsmacht die durch die Rechtsordnung legitimierte und verliehene Macht, z.B. Parlament als Gesetzgeber; Professor in Prüfung IV. Wesen und Gründe der Geltung des Rechts Mit bisherigen Ausführungen rein beschreibende Darstellung der vorhandenen Normordnungen; jetzt Frage nach Wesen des Rechts und Gründen seiner Geltung Damit verknüpft die Frage nach dem "richtigen Recht', ob das tatsächlich geltende Recht als ‚Richtiges Recht' Anerkennung verdient oder ob und in weicher Richtung es durch Gesetzgebung und Rechtsprechung zu verändern ist Nur sehr knappe Darstellung der wichtigsten Ansätze der Rechtsphilosophie A Naturrecht Älteste Lehre Naturrecht ein Recht, das seine Existenz nicht menschlicher Autorität verdankt, sondern unabhängig von menschlicher Autorität gilt als natürliche Rechts- und Wertordnung, verbindlich für jeden Gesetzgeber und Richter in allen Bereichen Das tatsächlich geltende positive Recht muss sich an diesem Naturrecht messen lassen. Bei Missachtung des Naturrechts Recht zum Ungehorsam, u.U. Recht zum aktiven Widerstand Inhalt des Naturrechts zunächst entwickelt von den griechischen und römischen Philosophen Aristoteles, Plato, Seneca, dann übernommen und inhaltlich teilweise verändert im Sinne christlicher Ethik und Moraltheologie - Apostel, Kirchenväter, insbesondere Augustinus, Thomas von Aquino Im Zeitalter der Aufklärung neue Variante durch Philosophen und Juristen zum durch die Vernunft gebotenen Recht, später auch noch Einfluss von Juristen unter dem Aspekt zweckmässiger Organisation des Staates Göttliches Recht (ius divinum); in Aufklärung Vernunftrecht; "ewige Gesetze" (Schiller in Wilhelm Tell) Moderne Ausprägung die Menschenrechte, z.B. in der Europäischen Menschenrechtskonvention; Art. 6, 7 Vertrag über die Europäische Union Art. 1 Abs. 2 GG: „Das Deutsche Volk bekennt sich .... zu unverletzlichen und unveräusserlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“ B Historische Rechtsschule Neben Naturrecht Anfang des 19. Jahrhunderts Historische Rechtsschule. Begründer Savigny im Streit mit Thibaut über die Frage, ob Recht in einem Nationalgesetzbuch niedergelegt werden soll "Von der Berufung unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft". Ablehnung einer solchen Kodifikation als sachwidrige Fixierung des Rechts durch den Gesetzgeber dieser Zeit Nach der Historischen Rechtsschule entsteht Recht als dynamischer Prozess, als Gewohnheitsrecht im Volksgeist durch Sitte und Volksglaube, also durch immer still wirkende Kräfte, nicht durch Willkür eines Gesetzgebers Aufgabe der Wissenschaft, dieses Recht aufzuspüren, zu erfassen und zu ordnen in Methodik und Dogmatik Damit Ablehnung des Naturrechts als einer über allem positivem Recht stehenden Rechtsordnung, andererseits Historische Rechtsschule auch im Gegensatz zum späteren Positivismus, nach dem der Staat ohne Bindung an Naturrecht oder Volksgeist neues Recht beliebigen Inhalts setzen kann. 13 C Positivismus Danach sind Recht die Normen, die vom jeweiligen Souverän - Kaiser, "Führer" Hitler, Bundestag, Rat der EG - als Recht erklärt worden sind Zu prüfen nur, ob die Normen von der zuständigen Stelle im ordnungsgemässen Verfahren erlassen worden Die Wertfrage wird nicht gestellt, insbesondere Recht also nicht an einem bestimmten Kriterium zu messen, ob "richtiges Recht". Damit Gegensatz zum Naturrecht, Historischen Rechtsschule und den folgenden rechtsphilosophischen Ansätzen In dieser Weise wurde von der Verteidigung das Handeln der "Mauerschützen" gerechtfertigt D Soziologischer Positivismus Danach gilt das Recht, weil die Rechtsgenossen es als für sich verbindlich anerkennen durch dauerndes entsprechendes Verhalten Spannungen entstehen, wenn Behörden und Gerichte das Recht noch anerkennen, ein grosser Teil der Rechtsgenossen aber nicht mehr. Aktuelles Beispiel: Verbot der Abtreibung § 218 StGB In diesen Fällen zu prüfen, ob Gesetzesänderung notwendig, um die Einheit wiederherzustellen Für die Gesetzgebung und Anwendung der Gesetze daher wichtiges Kriterium, ob die Rechtsnorm noch überwiegend anerkannt wird. In Anwendung dieser Rechtstheorie mehrfach Freispruch der Teilnehmer von Sitzblockaden von Atomwaffendepots Nach dieser Rechtstheorie müssen Gesetzgebung und Rechtsprechung den sich wandelnden Wertvorstellungen und Verhaltensweisen der Rechtsgenossen folgen, nicht umgekehrt Diese Forderung nur begrenzt richtig. Anpassung des Rechts an sich wandelnde Wertvorstellungen und tatsächliche Verhältnisse notwendig, aber grundsätzlich nur durch den Gesetzgeber, aber nicht durch Nichtanwendung geltenden Rechts durch die Gerichte. Auch der Gesetzgeber darf nicht vorschnell vor lautstarken Minderheiten, die durch die Medien verstärkt werden, kapitulieren oder grundlegende Wertvorstellungen opfern E Marxismus Danach ist über den tatsächlichen Produktionsverhältnissen ein "Überbau" errichtet, der die tatsächlichen Verhältnisse rechtfertigen und stabilisieren soll. Das Recht ist Teil dieses "Überbaus" mit dieser Funktion F Teleologischer Rechtspositivismus Aus den tatsächlichen Interessen der Partner von Sozialbeziehungen wird das Gesetz entwickelt und ausgelegt im Sinne eines als gerecht und billig angesehenen Interessenausgleichs Interessenjurisprudenz (Heck). Entwickelt und anwendbar in erster Linie für Zivilrecht; “gerecht und billig” entsprechend den Vorstellungen des Gesetzgebers, vor allem des Richters G Wertorientierter Rechtspositivismus Interessenausgleich zwischen Staat und Einzelnen und der Einzelnen untereinander in Form von Gesetzgebung und Rechtsprechung orientieren sich an einer von der Verfassung vorgegebenen Wertordnung. Diese Werte der Verfassung weitgehend deckungsgleich mit Werten des Naturrechts. Da Orientierung an den durch die Verfassung vorgegebenen Werten, durch Änderung der Verfassung aber anders als das "ewige" Naturrecht Wertmassstab abänderbar Diese Methode lässt aber erheblichen Spielraum für Gesetzgebung und Rechtsprechung jedenfalls dann, wenn innerhalb der von der Verfassung vorgegebenen Wertordnung grosser 14 Handlungsspielraum. Beispiele: Fristenregelung bei Abtreibung; Sicherung des Pflegerisikos in Eigenverantwortung oder Pflegeversicherung mit Zwangsmitgliedschaft und weitgehender Umverteilung unter Aspekt Solidarität; Eigentum am Unternehmen und Entscheidungsgewalt aufgrund des übernommenen Risikos - weitgehend paritätische Mitbestimmung der Arbeitnehmer; Eigentum, Eigenbedarf des Vermieters - Mieterschutz, Mietpreisbindung mit Rentabilität weit unter dem allgemeinen Kapitalmarkt; Meinungsfreiheit - Schutz der persönlichen Ehre H Gesellschaftspolitischer Ansatz Wertorientierter Rechtspositivismus lässt wegen des von der Verfassung gewährten Spielraums breiten Raum für Einsatz des Rechts als Mittel planmässiger gesellschaftlicher Veränderungen durch Gesetzgebung und insbesondere durch den Richter in der Spruchpraxis und Rechtsfortbildung. Beispiele: Herstellung der Chancengleichheit im Bildungssektor durch Gesamtschulen, weitgehend von der Leistung unabhängiges rein einkommensorientiertes Bafög; Vorrang für umfassende Sicherung des Krankheitsrisikos durch Kollektivsystem mit Zwangsmitgliedschaft unter fast vollständiger Ausschaltung der Eigenbeteiligung und Eigenverantwortung; als Gleichberechtigung der Frau Förderung aller Voraussetzungen für eine möglichst volle Berufstätigkeit der Frauen unter Einsatz öffentlicher Mittel und Belastung der Arbeitgeber, zugleich erhebliche wirtschaftliche und soziale Diskriminierung der nichtberufstätigen Mütter mit mehreren Kindern; Gleichstellung nichtehelicher Lebensgemeinschaften oder Partnerschaften von Schwulen und Lesben mit der Ehe Richter fühlt sich dann nicht mehr als der mit begrenztem Spielraum an die Wertungen des geltenden Gesetzes gebundener Anwender des Gesetzes, sondern versteht sich unter exzessiver Ausnutzung oder sogar Überschreiten des vom Gesetz gewährten Spielraums als "Sozialingenieur" entsprechend seinen persönlichen Vorstellungen von den "richtigen" gesellschaftlichen Verhältnissen. I Freie Rechtsschule (Voluntarismus; Dezisionismusl Recht ist die Summe der richterlichen Entscheidungen. So insbesondere als case Iaw im angloamerikanischen Rechtskreis Richter orientieren sich an den Wertvorstellungen der Magna Charta, US-Verfassung; Entscheidungen werden auf Übereinstimmung mit diesen Grundwerten überprüft. Schwierigkeiten, wenn diese Grundwerte in einem Spannungsverhältnis stehen. Beispiele: Abtreibung; Rechte der Schwarzen Im kontinentalen Rechtskreis ähnlicher Ansatz - Voluntarismus/Dezisionismus - aufgrund der Tatsache, dass in vielen Rechtsgebieten unbestimmte Rechtsnormen erst durch Richterrecht ausgefüllt werden müssen oder der Gesetzgeber versagt. Beispiele: Kollektives Arbeitsrecht; § 1 UWG; § 242 BGB Zusammenfassung Vorgetragene Fragen nach Wesen des Rechts und Gründen seiner Geltung kein lebensfernes abstraktes Glasperlenspiel Für die Rechtsordnung eines Staates und für seine Bürger entscheidend wichtig, ob Recht bereits verbindlich, wenn und soweit es von der nach der Verfassung zuständigen Instanz im ordnungsgemässen Verfahren erlassen worden ist - Positivismus, oder ob das Recht sich an weiteren Kriterien messen lassen muss. Die Skala reicht vom "ewigen" Naturrecht - unveränderliches menschlicher Autorität entzogenes Recht über Historische Rechtsschule - Entstehung als dynamischer Prozess als Gewohnheitsrecht aus dem Volksgeist, soziologischer Positivismus - Geltung des Rechts aufgrund der Anerkennung als verbindlich durch die Rechtsgenossen, 15 teleologischer Rechtspositivismus - gerechter Ausgleich der Interessen der Partner von Sozialbeziehungen, wertorientierter Rechtspositivismus - Orientierung an der durch die Verfassung vorgegebenen Wertordnung mit weitem Spielraum innerhalb dieser Wertordnung bis zur Freirechtsschule (Voluntarismus, Dezisionismus) - Richterrecht als case law orientiert an den Grundwerten der Verfassung Davon hängen ab der Spielraum des Gesetzgebers, die Entscheidungen der Gerichte und die Rechtsstellung des Einzelnen Zweiter Abschnitt: Die grossen Bereiche der Rechtsordnung I. Völkerrecht Das Völkerrecht umfasst die Regeln für die Beziehungen der Staaten, der Staatenverbindungen mit völkerrechtlicher Handlungsfähigkeit wie die Europäischen Gemeinschaften und anderer souveräner Rechtsträger wie die Katholische Kirche und souveränen Malteser Orden Das Völkerrecht ist eine eigenständige Rechtsordnung, in der nur Völkerrechtssubjekte handlungsfähig sind Seine grossen Bereiche sind das Friedensrecht und das Kriegsrecht Rechtsquellen des Völkerrechts sind die völkerrechtlichen Verträge und in weitem Umfange das Völkergewohnheitsrecht Rechte und Pflichten aus völkerrechtlichen Verträgen ergeben sich nur für die jeweiligen Vertragsparteien, aber nicht für die Einzelnen. Verbindlich für die Einzelnen sind nur bestimmte Regeln des Kriegsvölkerrechts. Deshalb ist stets noch notwendig ein nationales Gesetz oder Rechtsakt einer Staatenverbindung wie die Europäischen Gemeinschaften (sog. Transformationsgesetz), um die Rechte und Pflichten aus dem völkerrechtlichen Vertrag zum Bestandteil der Rechtsordnung des betreffenden Staates oder Staatenverbindung zu machen und so u. U. auch Rechte und Pflichten für die Einzelnen zu begründen. Sanktionen bei Verletzung der Regeln des Völkerrechts Anders als im nationalen Recht – dort Durchsetzung durch Strafrecht, Zwangsmassnahmen der Polizei oder Verwaltung, Zivilklagen – Durchsetzung der Regeln des Völkerrechts wesentlich schwieriger und mit Mitteln des Rechts nicht immer möglich Als Mittel zur friedlichen Regelung von Konflikten in völkerrechtlichen Verträgen z. T. vorgesehen ein förmliches Streitentscheidungsverfahren durch besondere Spruchkörper, z. B. in der WTO, oder durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Sonst in der Regel zunächst Verhandlungen, u. U. unterstützt durch einen Vermittler Bei Scheitern der Verhandlungen als völkerrechtlich zulässig anerkannt angemessene Vergeltungsmassnahmen (Retorsion); ebenso bei Verstoss gegen die Regeln des Kriegsvölkerrechts, insbes. der Haager Landkriegsordnung z. B. bei Partisanenkrieg Noch offen die Rechtsfragen des Eingreifens von Staaten zum Schutz der Opfer von Angriffskriegen, zum Schutz der Menschenrechte oder Abwehr von Terroristen. Stichworte: Somalia, Bosnien, Kosovo, Bin Ladin. Offen auch noch die Strafverfolgung der Verantwortlichen. Stichworte Nürnberger Verfahren gegen NS-Verantwortliche, z. Zt. Verfahren gegen Serben und Kroaten vor Gerichtshof in Den Haag, Abkommen zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichthofes II. Supranationales Recht – Europäische Gemeinschaften Entstanden als Folge von Staatenverbindungen, in denen die betreffenden Staaten nicht aufgrund traditioneller völkerrechtlicher Verträge als Partner eines Militärbündnisses oder in den verschiedensten anderen Bereichen als souveräne Staaten zusammenarbeiten, sondern in neuen engeren Formen der Zusammenarbeit und dazu eigene Hoheitsrechte auf die Staatenverbindung übertragen. Beginn dieser Entwicklung mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle 16 und Stahl 1951, fortgesetzt und erweitert durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Europäische Atomgemeinschaft 1958. Damit ist ein neuer Bereich der Rechtsordnung entstanden, das supranationale Recht der Europäischen Gemeinschaften. Dieses Recht ist eine neue eigenständige Rechtsordnung, die über dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten steht und gegenüber dem nationalen Recht Vorrang hat. Neben den drei staatlichen Gewalten der Mitgliedstaaten gibt es jetzt auf dieser höheren Ebene ebenfalls die drei klassischen staatlichen Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative (Rechtsprechung). Die Europäischen Gemeinschaften sind neben den Mitgliedstaaten als Völkerrechtssubjekte auf der Ebene des Völkerrechts handlungsfähig und können durch völkerrechtliche Verträge als Gemeinschaften Rechte und Pflichten begründen Zur Unterscheidung vom internationalen Recht, den Rechtsbeziehungen der Staaten und Staatenverbindungen im Bereich des Völkerrechts wird dieser neue Bereich der Rechtsordnung supranationales Gemeinschaftsrecht genannt In vielen Bereichen überlagert inzwischen das Gemeinschaftsrecht das nationale Recht und schränkt die Handlungsfreiheit der Staaten, Unternehmen und Marktbürger erheblich ein. Andererseits gewährt es aber insbesondere den Unternehmen und Marktbürgern auch erhebliche neue Rechte. Die älteste Gemeinschaft ist die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 1951. Es ist die historische Leistung des französischen Aussenministers Robert Schuman, sie nur fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges vorgeschlagen zu haben, als Kern einer Union der Völker Europas und Ausschluss künftiger Kriege. Durch den EGKS-Vertrag wurde ein Gemeinsamer Markt für Kohle und Stahl geschaffen; Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande, Luxemburg, inzwischen wie die EG auf 15 Mitgliedstaaten erweitert. EGKS-Vertrag mit Ablauf seiner Geltungsdauer am 23.8.2002 ausser Kraft getreten und im EG-Vertrag aufgegangen Als weitere Gemeinschaften kamen 1958 die Europäische Atomgemeinschaft (EAG) und als wichtigste die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, jetzt EG) hinzu; Mitgliedstaaten zunächst wie EGKS; seit 1.5.2004 25 Mitgliedstaaten der EG Aufgaben der EAG sind die Förderung der Forschung und Investitionen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie; Verbreitung der technischen Kenntnisse; Aufstellen und Überwachen einheitlicher Sicherheitsnormen; Versorgung der Mitgliedstaaten mit spaltbarem Material; Kontrolle des spaltbaren Materials durch Eigentum daran, Anbietungspflicht der Mitgliedstaaten, Alleinrecht zum Abschluss von Lieferverträgen für spaltbares Material mit Drittstaaten. Durch die EAG wurde Deutschland der Weg zur friedlichen Nutzung der Kernenergie und Forschung in diesem Bereich eröffnet Ziel der EG bei ihrer Gründung war die Herstellung eines Gemeinsamen Marktes nach innen, Auftreten im Bereich der Handelspolitik als Einheit nach aussen. Zur Errichtung des Gemeinsamen Marktes im Innern sieht der EGV vor Freiheit des Warenverkehrs, Freiheit des Kapitalverkehrs, Freizügigkeit der Arbeitnehmer und freies Niederlassungsrecht und freier Dienstleistungsverkehr. Der im EGV vorgesehene Abbau aller staatlichen Schranken und Hindernisse für den freien Verkehr von Menschen, Waren, Dienstleistungen und Kapital ist inzwischen fast vollständig erreicht Als notwendige ergänzende Massnahmen sind im EGV vorgesehen das Verbot bzw. die Kontrolle privater Wettbewerbsbeschränkungen und marktbeherrschender Stellungen (Kartellrecht), das Verbot bzw. Harmonisierung und Kontrolle der staatlichen Beihilfen und die Angleichung der Rechtsvorschriften, u.a. im Bereich der Steuern. Das Kartellrecht ist 1989 um eine Kontrolle der Zusammenschlüsse von Unternehmen ergänzt worden 17 Nach einer kurzen Anlaufzeit übt die Kommission jetzt die Kontrolle über Wettbewerbsbeschränkungen, Zusammenschlüsse von Unternehmen und staatliche Beihilfen wirksam aus. Noch nicht erreicht ist die Angleichung der Rechtsvorschriften in vielen Bereichen, u.A. der Steuern. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts wurde und wird leider von den Mitgliedstaaten häufig missachtet; Vertragsverletzungsklagen der Kommission erfordern einen hohen Arbeitsaufwand und 2-3 Jahre bis zum Urteil. Daher hat der Gerichtshof bereits im Urteil vom 15.7.1964 Slg. 1964, 1251 (Del Costa/ENEL) in richterlicher Fortentwicklung den effet direct entwickelt, d.h. Normen des Gemeinschaftsrechts, die durch keinerlei Bedingungen eingeschränkt sind und zu ihrer Erfüllung oder Wirksamkeit keiner weiteren Handlungen der Organe der Gemeinschaft bedürfen (also self-executive), begründen unmittelbare Rechte der Einzelnen, auf die sich die Marktbürger im Falle abweichenden nationalen Rechts berufen können und zu deren Wahrung die nationalen Gerichte verpflichtet sind. Bei qualifizierten Verstössen der Staaten gegen das Gemeinschaftsrecht können die Marktbürger sogar Schadensersatz verlangen. Diese unmittelbare Wirkung gilt nicht nur gegenüber den Staaten, sondern auch gegenüber anderen Unternehmen oder Marktbürgern Durch die Verträge zur Gründung drei Europäischen Gemeinschaften haben die Mitgliedstaaten auf einen Teil der Souveränitätsrechte verzichtet und eine neue Legislative, Exekutive und Judikative (Rechtsprechung) geschaffen, nämlich den Rat, zuständig für den Erlass aller Rechtsvorschriften – regelmässig auf Vorschlag der Kommission -, soweit nicht auf die Kommission delegiert, sowie für alle Verträge mit Drittstaaten und für die Grundsatzfragen der Politik die Kommission, zuständig für den Vorschlag von Rechtsvorschriften an den Rat; Erlass von Rechtsvorschriften, soweit vom Rat delegiert; Vollzug des Gemeinschaftsrechts insbes. im Bereich der Agrar- und Regionalpolitik, des Kartellrechts und der Beihilfen; als „Hüterin des Vertrages“ für Vorgehen gegen Mitgliedstaaten bei Verletzung ihrer Pflichten das Europäische Parlament, anders als in den Mitgliedstaaten nicht allein zuständig für die Gesetzgebung, sondern nur Mitwirkungsrecht an der Gesetzgebung durch den Rat, z.T. allerdings mit der Möglichkeit, mit absoluter Mehrheit den Erlass eines Rechtsaktes zu verhindern; Zustimmung zur Benennung des Präsidenten der Kommission durch die Mitgliedstaaten sowie zur Ernennung der gesamten Kommission und deren Abberufung durch Misstrauensvotum; Zustimmung zum Abschluss von Abkommen mit Drittstaaten den Gerichtshof, zuständig für Klagen der Kommission wegen Vertragsverletzung gegen Mitgliedstaaten; Nichtigkeitsklagen von Mitgliedstaaten gegen Rechtsakte des Rates oder der Kommission; Klagen der EG-Organe gegeneinander; Vorlagen nationaler Gerichte über Wirksamkeit und Auslegung des Gemeinschaftsrechts das Gericht erster Instanz, zuständig für Klagen der Marktbürger gegen Rechtsakte des Rates und der Kommission mit Revision an den Gerichtshof das Europäische System der Zentralbanken, zuständig für die Politik im Rahmen der Währungsunion Die durch den EG-Vertrag und den Souveränitätsverzicht der Mitgliedstaaten entstandene neue supranationale Gewalt reicht aber nur soweit, wie die Zuweisung im EG-Vertrag selbst oder durch späteren Konsens der Mitgliedstaaten nach Art. 308. Die EG hat also keine Allzuständigkeit (Omnipotenz), sondern ist nur eine Teilintegration. Im Bereich der nicht ausschliesslichen Zuständigkeit der EG gilt ferner als wichtige Beschränkung für die Ausübung ihrer Zuständigkeit das Subsidiaritätsprinzip Art. 5 Abs. 2 EGV, d.h. die Gemeinschaft wird nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Massnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können 18 Durch den Vertrag über die Europäische Union (Maastricht-Vertrag), in Kraft getreten 1.11.1993, ist nicht nur der EWG-Vertrag geändert worden, sondern zusätzlich in weiteren Bereichen unterhalb der Ebene des supranationalen Gemeinschaftsrechts eine neue Form völkerrechtlicher Zusammenarbeit (intergouvernementale Zusammenarbeit) geschaffen worden. Durch den Vertrag über eine europäische Verfassung unterzeichnet 19.11.2004 in Rom, noch nicht in Kraft getreten, werden der EG-Vertrag und der EU-Vertrag zusammengefasst und geändert; es bleibt aber bei den Formen des supranationalen Gemeinschaftsrechts und der neuen Form einer völkerrechtlichen Zusammenarbeit III. Nationales Recht A. Öffentliches Recht – Privatrecht Wegen der unterschiedlichen Aufgaben und ihres daraus folgenden Inhalts werden die Normen des nationalen Rechts aufgeteilt in die grossen Rechtsgebiete Öffentliches Recht und Privatrecht, innerhalb dieser Rechtsgebiete in weitere Bereiche entsprechend dem geregelten Bereich Wesentliche inhaltliche Unterschiede der beiden Bereiche betreffen 1. die Handlungsfreiheit der Rechtssubjekte und die möglichen Formen ihres rechtlichen Handelns 2. den Rechtsschutz und die Durchsetzung der Rechte Wegen dieses wesentlichen Unterschiedes ist es eine wichtige Entscheidung des Gesetzgebers, ob er einen bestimmten Lebensbereich öffentlich-rechtlich regelt oder dem Privatrecht zuweist, z.B. das Dienstverhältnis der Angehörigen des öffentlichen Dienstes z.T. als Beamte, z.T. als Angestellte oder Arbeiter; ebenso wichtig, ob ein Rechtssubjekt des Öffentlichen Rechts in öffentlich-rechtlicher oder in privatrechtlicher Form seine Aufgaben wahrnimmt z.B. Erwerb des für eine Schule benötigten Grundstücks durch Kauf oder Enteignung, ausreichende Parkplätze für Supermarkt durch Vertrag Gemeinde – Supermarkt oder Auflage in Baugenehmigung Die grossen Unterschiede folgen aus den Aufgaben der beiden Rechtsgebiete Das Öffentliche Recht regelt das Verhältnis Staat – Bürger Das Privatrecht regelt das Verhältnis Bürger – Bürger Kennzeichnend für Öffentliches Recht Überordnung – Unterordnung der Beteiligten Kennzeichnend für Privatrecht die Gleichordnung der Beteiligten Daraus folgen für die Normen dieser Rechtsgebiete unterschiedliche Aufgaben, zu erfüllende Bedürfnisse und zu schützende Interessen Öffentliches Recht Aufgabe Ordnung des Zusammenlebens im Staat Daher notwendig Verbindlichkeit für alle Bürger, Möglichkeit des Eingriffs in Rechtssphäre der Bürger, notfalls zwangsweise Durchsetzung der Normen und Verwaltungsakte Deswegen andererseits hohes Schutzbedürfnis der Bürger gegen Macht des Staates und ihren möglichen Missbrauch Entwicklung dieses Schutzes von der absoluten Monarchie (Ludwig XIV. L'état c'est moi) über Philosophie der Aufklärung (Montesquieu Gewaltenteilung), konstitutionelle Monarchie bis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung des GG Zum Schutze der Bürger heute Gewaltenteilung; Gesetzmässigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 2 GG); Verhältnismässigkeit der Mittel; Gleichbehandlung (Art. 3 GG), auch bei leistender Verwaltung (Daseinsvorsorge); Rechtsweg bei Eingriff in Rechte der Bürger (Art. 19 Abs. 4 GG) Privatrecht Aufgabe Ordnung für die Gestaltung der Rechtsbeziehungen der Bürger (natürliche und juristische Personen) untereinander In der Regel auf gleicher Ebene, kein Machtgefälle; daher kein Schutzbedürfnis einer Partei. Daher möglich, aber wegen Art. 2 GG auch geboten Privatautonomie, d.h. Recht, über Begründung und Inhalt von Rechtspflichten selbst zu entscheiden; Vertragsfreiheit in weitem Rahmen, 19 Grenzen § 134, § 138 BGB; zulässig Ungleichbehandlung, da anders als beim Staat andere Seite regelmässig ausweichen kann; Durchsetzung eigener Rechte regelmässig nur mit Hilfe der Gerichte B. Bereiche des öffentlichen Rechts Das Öffentliche Recht wird gegliedert in Allgemeine Staatslehre Staatsrecht Verwaltungsrecht Die allgemeine Staatslehre hat in erster Linie eine wissenschaftliche Aufgabe. Sie dient nicht dem Schaffen und der Anwendung konkreter nationaler Rechtsordnungen, sondern stellt abstrakte Grundsatzfragen zum Staat und entwickelt ein System zur übergreifenden systematischen Ordnung der tatsächlichen Organisationsform der Staaten und ihrer Strukturelemente Näheres Vierter Abschnitt I Das Staatsrecht und Verwaltungsrecht dienen dem Schaffen und der Anwendung der jeweiligen nationalen Normen für diesen Bereich Das Staatsrecht umfasst die Grundrechte der Bürger, das Verfahren für die Gesetzgebung sowie die Grundsätze für die Organisation des Staates – Zentralstaat – mehr oder minder grosse Rechte für regionale Einheiten – und die Verteilung der Aufgaben und Rechte Näheres Vierter Abschnitt II Das Verwaltungsrecht regelt jeweils die Aufgaben und Rechte der Verwaltung. Hier gibt es sehr grosse Unterschiede zwischen den Staaten. Je nach ihren gesellschaftspolitischen und wirtschaftspolitischen Vorstellung greifen die Staaten mehr oder minder stark in die Handlungsfreiheit der Bürger ein, insbesondere im Bereich der Wirtschaft und der Sicherung gegen die Risiken von Krankheit und Alter Bereiche des Verwaltungsrechts sind das Allgemeine Verwaltungsrecht mit übergreifenden Regeln und Grundsätzen, z.B. Verhältnismässigkeit der Mittel, Vertrauensschutz, sowie das Besondere Verwaltungsrecht zur Regelung bestimmter Lebensbereiche z.B. Baurecht, Gewerberecht, Umweltrecht. Wegen der Zunahme tatsächlich regelungsbedürftiger Bereiche, verstärkt durch die Neigung des Staates zu mehr und umfassenderer Regelung sind die Bereiche des Besonderen Verwaltungsrechts ständig grösser geworden Die vorstehenden materiellen Rechtsnormen des Öffentlichen Rechts werden ergänzt durch das Verfahrensrecht mit Vorschriften für das Handeln der Verwaltung und den Rechtsschutz der Bürger, das Verwaltungsverfahrensgesetz und das Verwaltungsgerichtsgesetz Ein Rechtsgebiet, das seinem Inhalt nach zum Öffentlichen Recht gehört, aber als selbständiges Rechtsgebiet betrachtet wird, ist das Strafrecht ergänzt durch das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten und Strafvorschriften oder Ordnungswidrigkeiten in zahlreichen Gesetzen C. Bereiche des Privatrechts Das Privatrecht regelt die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander sowohl im privaten Bereich als auch als Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr. Regelungsbedürftig ist daher eine Vielfalt möglicher Rechtsbeziehungen, die durch neue technische Entwicklungen noch ständig wächst. Als Folge entwickeln sich ständig neue Teilgebiete des Privatrechts z.B. Medienrecht. Eine vollständige Aufzählung dieser Teilgebiete ist weder möglich noch sinnvoll Als wichtigste grosse Bereiche des Privatrechts sind zu nennen das Bürgerliche Recht das Handels- und Gesellschaftsrecht das Arbeitsrecht 20 Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Als Teilbereiche haben sich u.a. entwickelt das Wertpapierrecht, das Bank- und Börsenrecht, das Versicherungsrecht, das Verkehrsrecht, gegenwärtig das Medienrecht Die gemeinsame Basis aller dieser Rechtsgebiete ist das Bürgerliche Recht niedergelegt im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) mit seinen fünf Büchern Allgemeiner Teil, Allgemeines und Besonderes Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht und Erbrecht. Diese klassische Kodifikation hat sich seit dem 1.1.1900 zur Regelung auch vieler damals unbekannter Rechtsbeziehungen und schwerer wirtschaftlicher Erschütterungen wie Inflation nach dem Ersten Weltkrieg und Zusammenbruch Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg bewährt. Dieser Erfolg beruht auf der Rechtstechnik von Rechtsnormen mit einem sehr hohen Abstraktionsgrad, die so eine Vielzahl von Sachverhalten erfassen, und der Verwendung von Generalklauseln wie gute Sitten, Treu und Glauben, wichtiger Grund, die eine elastische Anpassung an sich ändernde gesellschaftliche Vorstellungen und wirtschaftliche Bedingungen ermöglichen Näheres siehe Fünfter Abschnitt Durch das Handels- und Gesellschaftsrecht werden die Rechtsnormen des BGB ergänzt sowie durch Spezialgesetze weitere Gesellschaftsformen geschaffen. Das Handelsgesetzbuch (HGB) gilt für die Rechtsbeziehungen der Kaufleute und Handelsgesellschaften untereinander und ihre Rechtsgeschäfte mit Nichtkaufleuten. Kaufmann sind alle Personen, die ein Handelsgewerbe betreiben, d.h. jeder Gewerbebetrieb, es sei denn, dass das Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert. Das HGB passt die Vorschriften des BGB an die besonderen Bedürfnisse des Handelsverkehrs an, d.h. Vielzahl von Rechtsgeschäften mit oft unbekannten Partnern; Notwendigkeit schneller Entscheidungen, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit; Sicherheit, dass eingegangene Verpflichtungen auch erfüllt werden. Das HGB regelt als Ergänzung der Vertragstypen des BGB Verträge, die regelmässig von Kaufleuten geschlossen werden, wie Kommissions-, Frachtgeschäft, Seehandel sowie die Pflichten der Kaufleute und Handelsgesellschaften hinsichtlich Buchführung und Rechnungslegung. Näheres Fünfter Abschnitt III Das Gesellschaftsrecht muss die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse der Praxis hinsichtlich Zahl der Gesellschafter, Möglichkeit des Gesellschafterwechsels, Höhe des benötigten Kapitals und Haftung für die Gesellschaftsschulden berücksichtigen. Daraus folgen die beiden grossen Gruppen Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften und als Sonderform die Genossenschaften. Die Personengesellschaften Gesellschaft bürgerlichen Rechts, Offene Handelsgesellschaft (OHG) und Kommanditgesellschaft (KG), gekennzeichnet durch persönliche Mitarbeit und Haftung, regelmässig kein Gesellschafterwechsel, sind im BGB bzw. HGB geregelt. Die Kapitalgesellschaften Aktiengesellschaft (AG), Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), gekennzeichnet durch Zur-VerfügungStellen von Kapital als wichtigste Gesellschafterpflicht, keine Pflicht zur persönlichen Mitarbeit, beschränkte Haftung, daher juristische Personen sind in den Spezialgesetzen Aktiengesetz und GmbH-Gesetz geregelt. Eine Sonderform bilden die Genossenschaften, geregelt im Gesetz betr. die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Näheres Fünfter Abschnitt IV Das Arbeitsrecht hat sich nach dem Ersten Weltkrieg als selbständiges Rechtsgebiet wegen der Eigenart des Arbeitsverhältnisses aus dem Bürgerlichen Recht entwickelt; denn anders als im Bürgerlichen Recht und Handelsrecht stehen sich im Arbeitsrecht in der Regel nicht Partner 21 gleicher Stärke gegenüber und daher kein Schutzbedürfnis einer Seite, sondern im Arbeitsrecht besteht ein Machtgefälle und daher ein Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer. Löhne und Arbeitsbedingungen werden daher überwiegend nicht durch Individualverträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart, sondern durch Kollektivverträge, die von den Verbänden der Arbeitgeber einerseits, den Gewerkschaften andererseits geschlossen werden. Daher im Arbeitsrecht die beiden Teilbereiche Individualarbeitsrecht und Kollektivarbeitsrecht Auch im Individualarbeitsrecht erhebliche Einschränkungen des das BGB beherrschenden Grundsatzes der Vertragsfreiheit und zusätzliche Rechte aller Arbeitnehmer sowie besonders schutzbedürftiger Gruppen wie Frauen, Jugendliche, Behinderte Unter Gewerblicher Rechtsschutz und Urherberrecht werden zusammengefasst das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, die Rechtsnormen zum Schutze des geistigen Eigentums – der Erfindungen und Neuheiten durch das Patentgesetz, Gebrauchsmustergesetz, Geschmacksmustergesetz; der Urheber von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst durch das Urheberrechtsgesetz sowie die Rechtsnormen zum Schutze des gewerblichen Eigentums – Warenzeichen/Marken; geschäftliche Bezeichnungen wie Firma, deren verkehrsübliche Abkürzung, Kennzeichen wie bestimmte Farben o.ä., Etablissementbezeichnungen (Goldener Hirsch) – durch das Markengesetz Das UWG sieht für die betroffenen Mitbewerber Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche vor, ferner eine Unterlassungsklage von Gewerbeverbänden oder für solche Klagen zugelassener Einrichtungen – Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs; Verbraucherschutzverbände Die Gesetze zum Schutze des geistigen oder gewerblichen Eigentums gewähren dem Rechtsinhaber das Recht zur ausschliesslichen Nutzung und Verwertung sowie bei Verletzung des Rechts Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche. Die vorstehenden materiellen Rechtsnormen des Privatrechts werden ergänzt durch das Verfahrensrecht bei einem Rechtsstreit über das Bestehen dieser Rechte oder über sich aus diesen Rechten ergebende Ansprüche; in der Regel die Zivilprozessordnung, in Arbeitssachen das Arbeitsgerichtsgesetz IV. Kirchenrecht Siehe oben Einführung II B 4 Dritter Abschnitt: Allgemeine Rechtslehre I. Rechtsquellen, Arten und Rangordnung Unterscheidung nach verschiedenen sich überschneidenden Aspekten 1 . Nach Art der Kodifizierung a) Positives Recht - schriftlich niedergelegt Verfassung, Gesetz, Satzung, Prüfungsordnung, Tarifvertrag b) Nicht kodifiziertes Recht Naturrecht Gewohnheitsrecht Gerichtsgebrauch Verkehrssitte, Handelsbrauch 2. Nach der Herkunft Naturrecht; EG; Bundesrecht; Landesrecht; andere Gebietskörperschaften; andere juristische Personen (KfW; Universität); Gewohnheitsrecht; Gerichtsgebrauch; Verkehrssitte; Handelsbrauch; Verträge einzelner Personen oder Satzungen von Verbänden. 22 Herkunft massgebend für Rang in der Rangordnung 3. Nach der Rangordnung Naturrecht; durch Herkunft bestimmte Rangordnung Rangordnung wie Ziff. 2 4. Nach der Art der Norm (Instrumentarium des Normgebers) Verfassung; Gesetz; Verordnung; Satzung; Vertrag Damit zugleich Rangordnung innerhalb der vom selben Normgeber erlassenen Norm In Praxis für Wirksamkeit und Durchsetzung der Norm entscheidend, 1. ob vom zuständigen Normgeber innerhalb seiner Befugnisse erlassen 2. ob im ordnungsgemässen Verfahren erlassen 3. ob nicht im Widerspruch zu höherrangiger Norm II. Rechtsanwendung und Rechtsauslegung Rechtsanwendung Verwaltung und Rechtsprechung in ihrer Tätigkeit ständig gezwungen, das Recht anzuwenden und den Wortlaut der Normen zutreffend auszulegen Rechtsnormen regeln aus Gründen der Rechtstechnik (Vielzahl regelungsbedürftiger Tatbestände) und zur gleichen Entscheidung gleicher Tatbestände regelmässig einen bestimmten Tatbestand abstrakt (von der Sache her) und generell (von der Person her) Gesetzestechnik 1. Abstrakte Beschreibung des Tatbestandes durch bestimmte Tatbestandsmerkmale 2. Die daraus folgende Rechtsfolge Beispiel: § 823 Abs. 1 BGB, Lesen! Anwendung besteht in 1 . Ermittlung des Sachverhalts, von dem von Verwaltung oder Richter auszugehen. In der Praxis oft die schwierigste Aufgabe; in der Universität vorgegeben 2. Unterordnung (Subsumtion) dieses Sachverhalts unter die Rechtsnorm. Zu prüfen ist, ob die einzelnen Bestandteile des massgebenden Sachverhalts die einzelnen Tatbestandselemente der Rechtsnorm erfüllen. Als Ergebnis je nach Bereich Auskunft über die Rechtslage, Urteil des Gerichts oder Handeln der Verwaltung Dazu nötig, 1. die zutreffende Rechtsnorm zu finden 2. die einzelnen Tatbestandselemente der Rechtsnorm richtig anzuwenden Dazu oft eine Auslegung der Norm nötig. Beispiel: "sonstiges Recht" in § 823 Abs. 1 BGB Subsumtion besonders schwierig, wenn Tatbestandselement der Norm unbestimmt, z.B. Kündigung aus " wichtigem Grunde" oder Norm sog. Generalklausel, z.B. §§ 138, 242, 826 BGB Rechtsanwendung noch schwieriger, wenn Sachverhalt unter mehrere sich widersprechende Normen subsumiert werden kann, z.B. "alle Soldaten sind potentielle Mörder"; strafbare Beleidigung oder durch Meinungsfreiheit Art. 5 GG gedeckte Äusserung Rechtsauslegung Zur richtigen Anwendung der Rechtsnorm (Subsumtion des Sachverhalts unter die Norm) gehört daher auch ihre richtige Auslegung Schritte der Auslegung 23 1. Auszugehen vom Wortlaut unter Heranziehen der Regeln der Grammatik, des allgemeinen Sprachgebrauchs und der Fachsprache der Juristen 2. Wille des Gesetzgebers; zu ermitteln a) aus Entstehungsgeschichte der Norm b) aus Zusammenhang, in dem Norm steht und ihrem Verhältnis zu anderen Normen (systematische Auslegung) Damit u.U. ersichtlich, dass Wortlaut der Norm zu weit, z.B. "sonstiges Recht" in § 823 Abs. 1 BGB nur absolute Rechte 3. Aus Sinn und Zweck der Norm (ratio legis) - teleologische Auslegung, z.B. weiter Begriff des Unternehmens i.S. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) 4. Aus allgemeinen Rechtsgedanken, z.B. Schutz des redlichen Verkehrs, aber Vorrang Schutz der Minderjährigen 5. Wertungen der Verfassung Trotz richtiger Auslegung der Norm bleibt oft Möglichkeit, einen Sachverhalt unter mehrere sich widersprechende Normen zu subsumieren, z.B. "alle Soldaten sind potentielle Mörder" Dann bleibt nur Abwägung der jeweils geschützten Interessen und Rechtsgüter entsprechend der Wertordnung der Verfassung. Erfahrungsgemäss wegen des erheblichen Spielraumes solche Abwägung aber dennoch mit unterschiedlichen Ergebnissen, z.B. "alle Soldaten ..."; Enteignungen in der DDR 1945 - 1949 In solchen Fällen mehr oder minder starker Einfluss auf Entscheidung aus "Vorverständnis" und politischen Wertvorstellungen und Überzeugungen des Richters, z.B. bei Räumungsklage des Vermieters wegen Eigenbedarfs, Vereinbarkeit von Antidiskriminierungsgesetzen (bevorzugte Einstellung von Frauen bei gleicher Eignung) mit Art. 3 GG Auch bei Anwendung und Auslegung sich widersprechender Normen bleibt aber Richter gemäss Art. 20 Abs. 3 GG stets an Gesetz und Recht gebunden. Daher wesentlicher Teil der Rechtsausbildung Erziehung zur kritischen Distanz gegenüber eigenen Wertvorstellungen und Vorverständnis, zur Abwägung gemäss den in Verfassung und Gesetzen ausgedrückten Wertvorstellungen und Prioritäten, ergänzt durch Rechtsprechung des BVerfG und der obersten Gerichte III. Lücken im Gesetz Lücken im Gesetz, weil solche Sachverhalte vom Gesetzgeber nicht geregelt, entweder bewusst oder meist, weil Gesetzgeber an solchen Sachverhalt nicht gedacht hat, oft noch gar nicht denken konnte, z.B. Fax, Internet Zunächst muss Richter durch Auslegung feststellen, ob wirklich Lücke im Gesetz gemäss o.a. Auslegungstechnik, insbesondere Gesetzesgeschichte Oft wollte Gesetzgeber Tatbestandselemente der Rechtsnorm bewusst begrenzen, insbesondere, wenn damit besondere Rechte oder Pflichten begründet, z.B. Ehegatten - Splitting im Steuerrecht nur für Ehegatten, aber nicht für Ehen ohne Trauschein oder gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften; durch zeitliche Begrenzung des Sachverhalts, aus dem sich Ansprüche ergeben, z.B. nur Enteignungen in DDR nach 1949 In diesen Fällen keine Lücke im Gesetz; Sachverhalt gesetzlich geregelt; ausdehnende Auslegung nicht zulässig (argumentum e contrario; Umkehrschluss) So festgestellte Lücke im Gesetz kann sein 1. offene Lücke - vom Wortlaut des Gesetzes nicht geregelter Tatbestand, z.B. positive Vertragsverletzung 2. verdeckte Lücke - Tatbestand formell vom Wortlaut der Norm erfasst, Anwendung der Norm geht aber zu weit; Gesetzgeber hätte Norm eingeschränkt, wenn solchen Tatbestand bedacht hätte, z.B. § 253 BGB kein Ersatz immateriellen Schadens Lücken darf Richter nicht durch eigene Wertung schliessen, würde sich damit unzulässig an Stelle des Gesetzgebers setzen, 24 Richter muss vielmehr Lücke aus Geist des Gesetzes ausfüllen, fragen, wie Gesetzgeber den Tatbestand geregelt hätte, wenn er ihn erkannt hätte. Bei offener Lücke zu fragen 1. welcher Interessen- und Wertkonflikt ist hier gegeben? 2. wo gleichartiger Konflikt bereits in einzelner Rechtsnorm geregelt? Wenn ja, ausdehnende Anwendung dieser Vorschrift (Gesetzesanalogie), z.B. Schadensersatz des Käufers aus § 463 BGB nicht nur bei arglistigem Verschweigen des Fehlers durch Verkäufer, sondern auch, wenn Verkäufer Eigenschaft arglistig vorgespiegelt hat 3. Bei Fehlen solcher einzelnen Vorschrift: Ergibt sich aus mehreren Rechtsvorschriften allgemeiner Rechtsgedanke, wie dieser Konflikt zu entscheiden (Rechtsanalogie)? Zum Beispiel Schadensersatz wegen positiver Vertragsverletzung als Rechtsanalogie zu §§ 280, 286, 325, 326 BGB a.F. (Pflicht zum Schadensersatz bei verschuldeter Unmöglichkeit oder Verzögerung der geschuldeten Leistung) Bei verdeckter Lücke (Anwendung der Norm geht zu weit) Hier wichtigste Vorfrage: Tatsächlich verdeckte Lücke? Einfach zu bejahen, wenn betreffende Norm durch spätere Gesetzgebung überholt, z.B. trotz § 253 BGB Schadensersatz in Geld bei schwerer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, da Wertentscheidung der Art. 1,2 GG in § 253 noch nicht berücksichtigt Anderenfalls fragen aufgrund Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck der Norm und des Ergebnisses bei Anwendung der Norm, ob Gesetzgeber bei Kenntnis dieses Tatbestandes Anwendung der Norm auf diesen Tatbestand gewollt hätte Wenn verdeckte Lücke so festgestellt, Norm nicht anzuwenden (teleologische Reduktion). Zum Beispiel trotz § 181 BGB Wirksamkeit eines In-sich-Geschäfts des Vertreters, wenn es dem Vertretenen nur einen rechtlichen Vorteil bringt. IV. Rechtsfortbildung durch den Richter An sich schon Ausfüllung von Lücken im Gesetz durch Richter Rechtsfortbildung, aber immer noch orientiert an den Grundwertungen und Regelungszwecken des Gesetzes selbst; daher gesetzesimmanente Rechtsfortbildung bei "planwidriger Unvollständigkeit" des Gesetzes Weitergehender Schritt eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung durch die Gerichte, um unabweisbaren Bedürfnissen des Rechtsverkehrs Rechnung zu tragen, z.B. Sicherungsübereignung, Anwartschaftsrechte, zur Durchsetzung vorrangiger rechtsethischer Prinzipien, z.B. Treu und Glauben; daher Fortfall der Geschäftsgrundlage; Verwirkung; missbräuchliche Rechtsausübung, zur Durchsetzung vorrangiger Verfassungswerte und Normen, z.B. allgemeines Persönlichkeitsrecht sonstiges Recht i.S. § 823 BGB Rechtsfortbildung durch den Richter erst dann zulässig, wenn alle anderen Methoden versagen, und nur insoweit, als sie sich im Rahmen der Grundwertungen der Rechtsordnung hält und allein mit rechtlichen Erwägungen überzeugend begründet werden kann. Ferner gerechtfertigt, wenn Gesetzgeber nicht fähig oder gewillt, die erforderlichen gesetzlichen Regelungen zu erlassen, z.B. Arbeitskampfrecht V. Generalklauseln - Nutzen und Gefahren Als Generalklauseln werden Rechtsnormen bezeichnet, deren wesentlicher Inhalt durch einen unbestimmten Rechtsbegriff bestimmt wird, z.B. gute Sitten (§§ 138, 826 BGB; § 1 UWG); Treu und Glauben (§§ 157, 242 BGB); wichtiger Grund (§§ 626, 723 Abs. 1 BGB); Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 Abs. 1 GWB) Ständig zunehmende Verwendung solcher Generalklauseln in der Gesetzgebung. Grund: Ständig zunehmende Dichte der Rechtsbeziehungen und damit der regelungsbedürftigen Tatbestände und Interessenkonflikte; Bewältigung durch Normen mit bestimmten Rechtsbegriffen nicht möglich 25 Nutzen der Generalklauseln 1. Rechtstechnische Bewältigung einer Vielzahl von Sachverhalten, auch solcher, die gegenwärtig überhaupt noch nicht bekannt z.B. Telefon-, Telefax-, e-mail-Werbung 2. Flexibele Anpassung der Rechtsordnung an sich ändernde Wertvorstellungen und Verhaltensweisen z.,B. veränderte Sexualmoral bei Anwendung der Generalklausel "gute Sitten" Generalklauseln Scharniere im Panzer der Rechtsnormen, in die das Leben gezwängt Gefahren der Generalklauseln Generalklauseln ausfüllungsbedürftige (normative) Normen. Die Ansprüche, Gebote oder Verbote, die sich aus ihnen ergeben, sind vom Richter durch Abwägung der gegensätzlichen Interessen der Parteien (Treu und Glauben, wichtiger Grund) oder Rückgriff auf ausserrechtliche Vorstellungen (gute Sitten, Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs) zu ermitteln Daraus folgen als Gefahren 1. Rechtsunsicherheit für die Beteiligten über ihre Rechte und Pflichten; Entscheidung des Gerichts in etwaigem Rechtsstreit schwerer vorhersehbar; unterschiedliche Entscheidungspraxis der einzelnen Gerichte 2. Zu grosser Einfluss der eigenen Wertvorstellungen und des Vorverständnisses des Richters Richter darf nicht eigene Wertvorstellungen als Massstab nehmen. Orientierungskriterien je nach Sachverhalt Anschauungen aller billig und gerecht Denkenden Anschauungen der redlichen und verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden/Kaufleute/Angehörigen des betreffenden Wirtschaftszweiges Im Bereich der guten Sitten wegen des nicht mehr bestehenden Grundkonsenses, sondern Wertpluralismus oder sogar Wertfreiheit die Wertungen der Verfassung oder einschlägiger Gesetze Zwar wesentlicher Teil der Rechtsausbildung Erziehung zur kritischen Distanz zu den eigenen Wertvorstellungen und Vorverständnis, aber dennoch bleiben bei Generalklauseln Gefahren für die Rechtssicherheit und zu grossen Einflusses eigener Vorstellungen des Richters Unvermeidlicher Preis für den Nutzen der Generalklauseln rechtstechnische Bewältigung einer Vielzahl von Sachverhalten und Elastizität der Rechtsordnung Vierter Abschnitt: Öffentliches Recht I. Allgemeine Staatslehre A Begriff und Elemente des Staates Begriff des Staates status = Zustand; Ordnung; Verfassung Von Nicolo Machiavelli (1469 - 1527 im "II Principe" als Stato in die Wissenschaft eingeführt und hat sich dann als Staat, State, État eingebürgert Begriff nach h.L.: Staat eine Einrichtung, durch die eine Gesamtheit von Menschen auf einem bestimmten Teil der Erde von einer hoheitlichen Gewalt in einer geordneten Gemeinschaft zur Verwirklichung von Gemeinschaftszwecken verbunden Demnach für einen Staat erforderlich drei Elemente 1. Staatsgebiet 26 2. Staatsvolk 3. Staatsgewalt Vorhandensein dieser Elemente wichtig für Anerkennung neuer Staaten bzw. Untergang eines Staates 1. Staatsgebiet Staatsgebiet der abgegrenzte Teil der Erde, in dem Staat seine Herrschaftsgewalt ausübt. Dazu gehören 1. der betreffende Teil der Erdoberfläche 2. das Erdinnere 3. der Luftraum darüber. Abzugrenzen zum Weltraum, der frei für alle Staaten. Grenze der Aktionsbereich ziviler und Militärflugzeuge 4. eine 3-Meilen-Zone des angrenzenden Meeres entsprechend der früheren Reichweite der Küstengeschütze; heute oft erweitert durch eine Wirtschaftszone von 12 Seemeilen, u.U. beansprucht für Ausbeutung von Naturschätzen der angrenzende Festlandsockel Im Staatsgebiet Ausüben fremder Hoheitsgewalt unzulässig, z.B. Auskunftsersuchen fremder Kartellbehörden, Zustellung gerichtlicher Entscheidungen 2. Staatsvolk a) Staatsvolk - Nation Zu unterscheiden Staatsvolk - Nation Staatsvolk alle Staatsangehörigen, auch wenn sie sich im Ausland aufhalten; Volk im rechtlichen Sinne Staatsangehörige unterliegen weiter den Gesetzen des Heimatstaates und geniessen dessen Schutz, heute allerdings in der Regel nur auf diplomatischem Wege, früher auch unter Einsatz militärischer Macht - Boxeraufstand China Nation = Volk im natürlichen soziologischen Sinne, durch gemeinsame Abstammung, Geschichte, Sprache, Kultur und Zusammengehörigkeitsgefühl verbundene Menschen, z.B. Bewohner der Bundesrepublik Deutschland und der DDR 1945 - 1989. Wohl nicht mehr Deutschland - Österreich Nationalstaat, wenn Staatsvolk und Nation sich decken, z.B, Deutschland, Frankreich Nationalitätenstaat, wenn Staatsvolk sich aus mehreren Nationen zusammensetzt, z.B. Österreich bis 1918, ehemaliges Jugoslawien. Dann oft Minderheitsproblem; Anspruch auf Achtung der eigenen Sprache und Kultur und auf Gleichbehandlung; Diskriminierung ist unzulässig nach Europäischer Konvention der Menschenrechte Weiteres Problem: Starke ethnische Minderheiten/Ausländer, die nicht integrationswillig und –fähig; Streit um Umfang der zu fordernden Integration b) Staatsangehörigkeit Massgebend für die Zugehörigkeit zum Staatsvolk - Volk im rechtlichen Sinne - und für die entsprechenden Rechte und Pflichten Erwerb und Verlust Erwerb und Verlust vom jeweiligen Staat zu regeln, daher u.U. doppelte Staatsangehörigkeit oder Staatenlose Erwerbsgründe: Geburt; Eheschliessung; Einbürgerung; Friedensvertrag 27 Je nach Praxis bei Geburt und Einbürgerung mehr oder minder multikulturelle Gesellschaft. Bei Geburt unterschiedliche Staatenpraxis a) Territorialitätsprinzip; entscheidend Ort der Geburt. So z.B. Frankreich b) Personalitätsprinzip; entscheidend Staatsangehörigkeit der Eltern. So z.B. in Deutschland. Jetzt doppelte Staatsangehörigkeit bis 21 Jahre für in Deutschland Geborene Verlustgründe: Erwerb ausländischer Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung, Eheschliessung; Ausbürgerung, z.B. Biermann durch DDR; Friedensvertrag Pflichten der Staatsangehörigen 1. Treuepflicht. Sonst Hochverrat, Landesverrat, Staatsgefährdung 2. Gehorsamspflicht. Achtung der bestehenden Gesetze. Sanktionen: Strafrecht; Verwaltungszwang; Ansprüche Dritter aus § 823 Abs. 2 BGB 3. Leistungspflichten. Steuern; Wehrdienst; Schöffe. Zusätzliche Pflichten aus besonderen Gewaltverhältnissen - Beamte, Soldaten, Strafgefangene Rechte der Staatsangehörigen 1. Politische Rechte. Aktives und passives Wahlrecht 2. Grundrechte, z.B. Meinungsfreiheit; Versammlungsfreiheit; Koalitionsfreiheit; Schutz des Eigentums. Siehe dazu III B 3. Leistungsrechte. Rechtsschutz; Leistungen gemäss Gesetzen z.B. Sozialhilfe, BaFöG; Leistungen der staatlichen Daseinsvorsorge - Schulen, Hochschulen, Theater, Sportstätten 3. Staatsgewalt Drittes Erfordernis für Staat neben Staatsgebiet und Staatsvolk Zum Begriff der Staatsgewalt gehört nicht die Legalität. Entscheidend nur ihr tatsächliches Vorhandensein. Als Ursprung daher auch möglich Revolution oder Staatsstreich Nach rechtsstaatlicher Auffassung gehört aber zur Staatsgewalt die Legalität, d.h. im Falle des Ursprungs aus Revolution oder Staatsstreich nach Übergangszeit wieder Bindung der Staatsgewalt an die Menschenrechte und Anerkennung der Staatsgewalt durch das Staatsvolk in freien Wahlen Staatsgewalt als Element des Staates Einheit; üblich aber Trennung in die drei Funktionen Gesetzgebung, Exekutive, Rechtsprechung Gewaltenteilung wichtigste Grundlage des modernen Rechtsstaates, begründet durch Montesquieu (1689 - 1755) als Schutz der Bürger gegen die uneingeschränkte Allmacht eines absoluten Herrschers - Ludwig XIV : L'état c'est moi Als Träger der Staatsgewalt möglich Einzelperson - Diktator (Stalin, Hitler); absoluter Monarch Personenmehrheit - Militärjunta Das Volk - so in Demokratie. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Unmittelbare Demokratie nur möglich in kleinen Gemeinschaften, z.B. einigen schweizer Kantonen oder in wenigen besonders wichtigen Fragen, z.B. Wahl des Reichspräsidenten sowie Volksentscheid nach erfolgreichem Volksbegehren in der Weimarer Republik. Im GG aufgrund der schlechten Erfahrungen damit bewusst nicht vorgesehen. Heute Risiko durch viel stärkere Einflussmöglichkeit der Medien noch grösser. Allerdings in einigen Bundesländern unmittelbare Wahl der Bürgermeister, da für Wähler überschaubare und dem Einfluss der Massenmedien nicht ausgesetzte Frage 28 Daher zweckmässig und üblich repräsentative Demokratie - Gesetzgebung und Wahl der obersten Exekutive (Regierung; Bürgermeister, Stadträte) durch Parlament; Wahl der Abgeordneten unmittelbar durch das Volk B Staatsrechtfertigungen Kein Glasperlenspiel; wichtig für Umfang der staatlichen Aufgaben und der Freiheitsrechte des Einzelnen ebenso wie die Rechtstheorien (siehe oben Erster Abschnitt IV) 1. Staatsrechtfertigungen Immer erneut wird Frage gestellt: Warum Staat mit seiner Zwangsgewalt? Warum Pflicht zu Gehorsam und zu Opfern ? Damit eng verbunden Frage nach Zweck und Aufgaben des Staates Die Antworten Warum Staat ? sehr vielfältig; eingehende Darstellung nicht möglich Damit teilweise zugleich höhere Legitimation des Staates mit grösserer Bereitschaft zum Gehorsam und Antwort auf Zweck und Aufgaben des Staates Ethische/Naturrechts-Theorie Der Staat und seine Anerkennung beruhen auf sittlicher Notwendigkeit - Plato; Aristoteles; Naturrecht; Kant Religiöse Theorie Existenz des Staates beruht auf göttlicher Fügung. Daher Gebot Gottes, Staat anzuerkennen und ihm zu gehorchen - Antike; Mittelalter Machttheorie Herrschaft des Starken über die Schwachen Naturgesetz Vertragstheorie Der Staat als Vertrag der Bürger - Hobbes; Rousseau; contrat social Soziologische Theorie Schutzbedürfnis; Gesellschaftstrieb der Menschen, Nützlichkeit 2. Zweck und Aufgaben des Staates Wichtig für Art und Umfang der Aufgaben des Staates und der Eingriffe in den Bereich der Bürger sowie für die Regelungsdichte Ethische Theorie Verwirklichung der durch das Sittengesetz gebotenen Ordnung Religiöse Theorie Verwirklichung des Willens Gottes Wohlfahrtstheorie Aufgabe des Staates grösstmögliches Glück für grösstmögliche Zahl der Bürger Absolutismus des, 17. und 18. Jahrhunderts. Recht des Staates, zum Wohle der Bürger uneingeschränkt in Bereich der Bürger einzugreifen; als Wirtschaftspolitik Merkantilismus Moderne, allerdings wegen des GG nur begrenzt mögliche Variante Wirtschaftslenkung und kollektive Daseinsvorsorge - SPD-Wirtschaftspolitik; Sozialpolitik SPD, Blüm Pflegeversicherung Liberaler Rechtsstaat Staatsaufgaben nur Wahrung der Rechtsordnung; Schutz von Leben und Eigentum - "Nachtwächterstaat"; uneingeschränkte Freiheit wirtschaftlicher Betätigung und des Aussenhandels. Adam Smith - Laissez faire, laissez aller 29 Keine Bewältigung der sozialen Probleme als Folge der Industrialisierung Heute freiheitlich - sozialer Rechtsstaat, als Wirtschaftsordnung Soziale Marktwirtschaft. Siehe dazu unten II A - C C Staatsformen 1. Einteilung nach Träger der Staatsgewalt a) Monarchie Viele Varianten aa) absolute Monarchie Ludwig XIV. 1638-1715 - L'état c'est moi. Gesamte Staatsgewalt ohne jede Einschränkung und ethische Bindung in der Hand des Monarchen aufgeklärte Monarchie Friedrich der Grosse 1712 - 1786. "Ich bin der erste Diener meines Staates" bb) ständische Monarchie Gewalt des Monarchen durch Stände - Adel, Geistlichkeit, Städte - eingeschränkt. So Deutsches Reich des Mittelalters cc) konstitutionelle Monarchie Gewalt des Monarchen durch geschriebene Verfassung eingeschränkt Parlament hat bei Gesetzgebung und Haushalt Mitwirkung oder Alleinrecht mit Vetorecht des Monarchen; unabhängige Rechtsprechung Ernennung und Entlassung der Minister durch den Monarchen, sie bedürfen aber des Vertrauens des Parlaments. So Deutsches Reich nach 1871 dd) parlamentarische Monarchie Staatsgewalt tatsächlich beim Parlament; nur noch formale Rechte des Monarchen, deren Ausübung entgegen Parlament nicht möglich, sondern nur als Vollzug des Willens des Parlaments; im wesentlichen Symbol und Repräsentant des Staates Gesetzgebung allein beim Parlament, ebenso faktisch Ernennung und Entlassung der Minister, nur formal Vollzug durch den Monarchen So Grossbritannien, Belgien, Niederlande, Dänemark, Schweden, Norwegen, Spanien b) Republik Kein mehr oder minder mächtiger Monarch vorhanden, sondern Träger der Staatsgewalt früher bestimmte Gesellschaftsgruppe, sog. aristokratische Republik - Patrizier Rom; Kaufleute Hansestädte heute das gesamte Volk - Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG; Demokratie Ausübung der Staatsgewalt heute regelmässig nur in Form der repräsentativen Demokratie. In dieser Staatsform notwendig politische Parteien; daher Art. 21 GG c) Diktatur Staatsgewalt wird ohne demokratische Legitimation von Einzelperson oder kleiner Gruppe, Militärjunta, unter Ausschaltung jedes anderen Willens ausgeübt; Unterdrückung Andersdenkender 30 Sonderform sog. “Volksdemokratie”, in der angeblich das Volk, tatsächlich eine Einzelperson oder kleine Gruppe (Politbüro) die Herrschaft ausübt. Falls Wahlen, nur eine Partei, für Wähler keine Alternative durch andere Partei und meist auch nicht durch Fernbleiben von der Wahl. 2. Andere Einteilungen a) Einteilung nach einflussreichster Gruppe Theokratie - Vatikan; Plutokratie - Finanz- und Wirtschaftskreise, Hansestädte im Mittelalter; Bürokratie - Berufsbeamte, Mandarine im alten China; Feudalstaat - adlige Grundeigentümer; Parteiherrschaft - eine oder mehrere Parteien b) Einteilung nach Zahl der Parteien Einparteistaat; Mehrparteienstaat c) Einteilung nach dem Verhältnis Individuum - Staat aa) totalitärer Staat Vorrang der Gesamtheit und der kleineren Kollektive (Betrieb, Kolchos); Verbindlichkeit der staatlichen Ideologie für alle; Geheimpolizei mit unbeschränkter Macht; kaum noch staatsfreier Bereich des Bürgers Faschismus, Nationalsozialismus, Ostblock-Kommunismus insoweit identisch. SPD-Vorsitzender Kurt Schumacher 1946: Rotlackierte Nazis bb) liberaler Staat Vorrang der Freiheitsrechte des Einzelnen; Recht auf Bildung einer Opposition; Meinungs- und Pressefreiheit; Pluralität der Weltanschauungen und Werte; Kontrolle von Gesetzgebung und Exekutive durch unabhängige Gerichte cc) autoritärer Staat Zwischenform; liberale Elemente mehr oder minder stark eingeschränkt, aber keine verbindliche Ideologie für alle. Sonderform: Militärdiktatur II. Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland A. Verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidungen Grundsatzentscheidungen über die Staatsform und verfassungsmässige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland enthalten Art. 20 und 28 GG Bitte lesen Art. 20 Abs. 1; Art. 20 Abs.,2 Satz 1; Art. 20 Abs. 3; Art. 28 Abs. 1 Satz 1. Daraus folgen als Verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidungen 1. Republik 2. Bundesstaat 3. Demokratie 4. Rechtsstaat 5. Sozialstaat 1. Republik Erste Verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidung Art. 20 Abs. 1 GG: Die Bundesrepublik Deutschland ....".Damit Staatsform Monarchie ausgeschlossen Durch die Grundsatzentscheidung Demokratie in Art. 28 Abs. 1 auch die Staatsform Diktatur ausgeschlossen 2. Bundesstaat Zweite Verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidung Zu unterscheiden Staatenbund; Bundesstaat; Einheitsstaat 31 Staatenbund Zusammenfassung von unabhängigen Staaten zu völkerrechtlicher Einheit aufgrund völkerrechtlichen Vertrages zwischen den Mitgliedsstaaten. Relativ schwache Stellung der Bundesgewalt; starke Stellung der Mitgliedsstaaten Bürger Staatsangehörige der Mitgliedstaaten; Mitgliedstaaten mit eigener nationaler Identität. Deutscher Bund 1815 - 1866; auf diesem Wege die EG mit dem Ziel Europäische Union Bundesstaat Zusammenfassung von Staaten zu einer völkerrechtlichen Einheit aufgrund gemeinsamer Verfassung. Verteilung der Aufgaben und Befugnisse zwischen Bundesgewalt und Ländern kann sehr verschieden sein. Stärkere Länder im Deutschen Kaiserreich nach 1871; schwächere Stellung nach der Weimarer Verfassung; wieder stärkere Stellung gegenwärtig Bürger allein oder in erster Linie Staatsangehörige des Bundesstaates; keine oder nur untergeordnete nationale Identität der Länder Im Einheitsstaat nur eine Zentralgewalt; keine von der Zentralgewalt unabhängigen Inhaber eigenständiger Staatsgewalt; Befugnisse der regionalen Verwaltungseinheiten von der Zentralgewalt übertragen und abgeleitet. Beispiel Frankreich EG neuartige Form einer Staatenverbindung; in Entwicklung, Ziel streitig; „Europa der Vaterländer“ (De Gaulle) – Vaterland Europa/Europäische Union (Kohl). Hoheitsrechte von Mitgliedstaaten teilweise auf Gemeinschaft übertragen; in diesem Bereich neue klassische Gewalten Legislative, Exekutive, Judikative mit Vorrang gegenüber Recht der Mitgliedstaaten, aber keine Allzuständigkeit wie klassischer Staat, sondern nur soweit Hoheitsrechte übertragen; als Völkerrechtssubjekt handlungsfähig Aufteilung der drei klassischen Gewalten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland Nach Art. 30, 70 GG Vermutung einer Zuständigkeit der Länder, soweit nicht abweichende Regelung im GG Für Pflege der auswärtigen Beziehungen zuständig der Bund; Art. 32. In Angelegenheiten der Europäischen Union aber Mitwirkung der Länder gemäss Art. 23 GG, Gesetz vom 12.3.1993 (BGBl. 1 S. 313) Gesetzgebung 1. Ausschliessliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes Art. 73, 105 Abs. 1 und in den Fällen, in denen GG sagt: "Das Nähere regelt ein Bundesgesetz" z.B. Art. 4 Abs. 3, Art. 21 Abs. 3, Art. 38 Abs. 3 2. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes; Art. 74, 74a, 105 Abs. 2. Voraussetzungen Art. 72, 105 Abs. 2 3. Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes; Art. 75, 98 Abs. 3. Voraussetzungen Art. 72 und Verbot der "Vollregelung" 4. Grundsatzgesetzgebungskompetenz des Bundes; Art. 75, 98 Abs. 3 z. B Art. 91 a Abs. 2 Satz 2, Art 109 Abs. 3 5. Ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz des Bundes; kraft Sachzusammenhangs; Annexkompetenz; kraft Natur der Sache 6. Ausschliessliche Gesetzgebungskompetenz der Länder; Art. 70, 30 GG (Restkompetenz), Art. 105 Abs. 2a Damit Zuständigkeit der Länder praktisch nur im Bereich der Kultur und Polizei sowie Organisation der eigenen Verwaltung. Jedoch erhebliche Mitwirkungsrechte bei der Bundesgesetzgebung; siehe III C Vollziehende Gewalt Ausführung der Bundesgesetze 1. überwiegend durch Länder als eigene Angelegenheiten; Art. 83. Daher in diesem Bereich Bundesaufsicht nur unter strengen Voraussetzungen; Art. 84. 32 Teilweise Ausführung als sog. Auftragsverwaltung; Art. 85. Daher in diesem Bereich stärkere Weisungsrechte des Bundes 2. zum Teil Durchführung der Gesetze durch bundeseigene Verwaltung; Art. 87, 87b, 89. Zu diesem Zweck entsprechender Unterbau; eigene Bundesbehörden Insbesondere Wasserstrassen, Auswärtiger Dienst, Bundeswehr, Asylrecht. Im Bereich der Finanzverwaltung für Zölle, EG-Abgaben, durch Bundesgesetz geregelte Verbrauchssteuern; Art. 108. Damit im Bereich der Finanzverwaltung Länder tätig zum Teil als Bundesbehörden, zum Teil als Landesbehörden in Auftragsverwaltung Mischverwaltung bei den sog. Gemeinschaftsaufgaben Art. 91a, Art. 91b - Hochschulbau, Forschungsförderung, Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, Agrarstruktur und Küstenschutz Ergebnis: Durchführung der Bundesgesetze ganz überwiegend durch Länder. Frage, ob eigene oder Auftragsverwaltung, wichtig für Aufsichtsbefugnisse und Einfluss auf Organisation und Ausbildung des Personals Rechtspflege Aus Art. 92 ff. folgt, dass die Rechtsprechung zunächst durch Gerichte der Länder; Ausnahmen Bundespatentgericht, Wehrstrafsachen. In allen Gerichtszweigen aber als letzte Instanz Bundesgerichte - Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesarbeitsgericht, Bundesfinanzhof, Bundessozialgericht. Damit müssen sich die Gerichte der Länder an der Spruchpraxis der Bundesgerichte orientieren. Anders nur, wenn ausschliesslich Landesrecht anwendbar. Rechtszug endet in diesen Fällen bei den Oberlandesgerichten bzw. dem Bayerischen Obersten Landesgericht. Finanzverfassunq Verteilung der Aufgaben und des Steueraufkommens nochmals gesondert geregelt; Art. 104a ff. Zölle und Verbrauchssteuern stehen dem Bund zu; Vermögens-, Erbschafts-, Kfz.-Steuer den Ländern; die wichtigsten Steuern Einkommenssteuer/Körperschaftssteuer und Umsatzsteuer stehen Bund und Ländern gemeinsam zu. Einkommenssteuer/Körperschaftssteuer abzüglich des Gemeindeanteils je zur Hälfte; Verteilung des Aufkommens Umsatzsteuer jeweils durch Gesetz (gegenwärtig Länderanteil 37 %); Art. 106. Vermögenssteuer wird seit 1996 aufgrund des Urteils des BVerfG 22.6.1995 BVerfG 93, 121 (Halbteilungsgrundsatz, Grenze Steuerbelastung des Einkommens 50 %) nicht mehr erhoben Gesamtergebnis: Bereits im GG Übergewicht des Bundes, durch tatsächliche Erfordernisse, insbesondere Deutsche Einheit und Gemeinschaftsaufgaben noch zunehmend 3. Demokratie Dritte verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidung Demokratie Art. 20 Abs. 2 GG: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt." Wie schon vorgetragen als Träger der Staatsgewalt möglich Einzelperson - absoluter Monarch; Diktator Mehrheit von Personen - Militärjunta; Triumvirat Rom; Patrizier im Mittelalter (Hansestädte, Venedig) Volk Demokratie = Volksherrschaft. Möglich in den beiden Formen unmittelbare Demokratie repräsentative Demokratie 33 Unmittelbare Demokratie = Herrschaft durch das Volk nur möglich in kleinen überschaubaren Gemeinschaften - griechische Städte in der Antike; Thing der Germanen; heute noch möglich in einigen kleinen schweizer Kantonen In modernen Staaten nur noch möglich zur Entscheidung besonders wichtiger Einzelfragen durch Volksbegehren und Volksentscheid oder Wahl von Spitzen-Amtsträgern - Staatspräsident; Oberbürgermeister Im GG anders als in der Weimarer Verfassung wegen der damaligen schlechten Erfahrungen nicht aufgenommen. Gefahr von durch die Massenmedien geschürten emotionalen Entscheidungen Diktatoren, Militär-Juntas oder Partei-Eliten behaupten oft, als Treuhänder des Volkes zu handeln, u.U. gestützt auf Scheinwahlen, und bezeichnen deshalb ihre Herrschaft zu Unrecht als Demokratie. In modernen Staaten nur möglich und üblich repräsentative Demokratie = Herrschaft für das Volk Ursprung: Rousseau; die volonté générale wird von den Repräsentanten des Volkes in einer vernunftbezogenen Diskussion gebildet und vollzogen. Rousseau unterscheidet volonté générale - volonté de tous. Volonté générale die Meinung, zu der alle gelangen würden, wenn sie hinreichend informiert und aufgeklärt wären. Tatsächlich sind dies aber alle nicht Unter Berufung auf diese volonté générale Praxis bestimmter politischer Minderheiten, ihre Meinung zur volonté générale zu erklären mit dem Recht, diese Meinung notfalls mit Gewalt gegen die unaufgeklärte Mehrheit durchzusetzen Daher sind nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen; so Bildung und Vollzug der volonté générale De facto die Abgeordneten aber abhängig von ihrer Partei und dem Fraktionszwang unterworfen; bei Abweichen von der Parteilinie werden sie bei den nächsten Wahlen nicht mehr aufgestellt. Wenn sie wie meist Berufspolitiker, bedeutet das Verlust der wirtschaftlichen Existenz. Andere Abgeordnete von ihren jeweiligen Interessengruppen oder Verbänden für ein bis zwei Legislaturperioden in den Bundestag delegiert; möglich, von einer Partei zur Sicherung eines bestimmten Wählerpotentials oder durch entsprechende Spenden einen sicheren Wahlkreis oder einen sicheren Platz auf der Landesliste zu erhalten. Anders als im Deutschen Kaiserreich und noch in der Weimarer Republik fast keine wirtschaftlich vollständig unabhängigen Abgeordneten mehr Bundestag daher de facto Ständeparlament, Clearingstelle der organisierten Interessen. Trotzdem kein allzu schlechtes Ergebnis durch Balance der unterschiedlichen Interessen, Kontrolle durch die Opposition und die Medien, Mandat nur auf jeweils vier Jahre und damit auch begrenzte Kontrolle durch die Wähler. Churchill: Die Demokratie ist zwar eine ziemlich schlechte und oft ineffiziente Staatsform, aber von allen möglichen Staatsformen dennoch die beste. Grösste Gefahr gegenwärtig die Mediokratie; Auseinanderklaffen zwischen der tatsächlichen und der veröffentlichten Meinung; kurzfristig wechselnde Überbetonung bestimmter Fragen; gezielte Meinungsbeeinflussung durch Verschweigen oder extremes Verstärken bestimmter Ereignisse und Meinungen; Worte als Waffen (Berufsverbot; Atomstaat; soziale Kälte; rechtsextrem; Ökosteuer) 4. Rechtsstaat Vierte verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidung Rechtsstaat. Ende der langen Entwicklung von der absoluten Monarchie über aufgeklärte Monarchie, konstitutionelle Monarchie, liberalen Staat. Ausdrücklich ausgesprochen in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG: "Die verfassungsmässige Ordnung in den Ländern muss den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen". Diese Grundsatzentscheidung folgt aber auch aus vielen weiteren Bestimmungen des GG 34 1. "Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmässige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden" Art. 20 Abs. 3 GG Damit der sog. Vorbehalt des Gesetzes und der Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung. Kein Eingriff in den Bereich der Bürger ohne gesetzliche Ermächtigung. Daher muss auch nach Art. 80 Abs. 1 GG bei Ermächtigung der Verwaltung zum Erlass von Rechtsverordnungen Inhalt, Zweck und Ausmass der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden Ergänzung durch die sog. Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts. Die Regelung grundlegender Fragen darf nicht dem Ermessen der Verwaltung aufgrund allgemeiner Ermächtigung überlassen werden, sondern erforderlich ist eine gesetzliche Regelung, z.B. Kriterien für die Versetzung von Schülern nicht durch allgemeine Richtlinien, sondern durch Gesetz 2. Bindung aller drei Gewalten an die Grundrechte; Art. 1 Abs. 3 GG Sanktion: Verfassungsbeschwerde für die Bürger; Vorlage durch die Gerichte bei Zweifeln an der Verfassungsmässigkeit eines anzuwendenden Gesetzes im Wegen konkreter Normenkontrolle 3. Für die Gesetzgebung Vorrang der Verfassung; Art. 20 Abs. 3 Schutz vor grundlegenden Änderungen der Verfassung durch verfassungsändernde Entscheidung des Bundestages durch Art. 79 Abs. 3 (Ewigkeitsgarantie). Unzulässig Änderung hinsichtlich Art. 1 (Menschenwürde, Grundrechte) Art. 20 (demokratischer und sozialer Bundesstaat; Bindung der drei Gewalten an Verfassung, Exekutive und Rechtsprechung an Gesetz und Recht), Struktur als Bundesstaat und grundsätzliche Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung 4. Gewaltenteilung; Art. 20 Abs. 2 Satz 2 5. Garantie des Rechtsweges bei Eingriffen der öffentlichen Gewalt; Art. 19 Abs. 4 6. Unabhängigkeit der Richter; Art. 97 Abs. 1 7. Verbot von Ausnahmegerichten; Anspruch auf den gesetzlichen Richter; Art. 101 Abs. 1 8. Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Für Gerichte Art. 103 Abs. 1, gilt aber auch als allgemeiner Grundsatz im Bereich der Verwaltung oder als "Drittwirkung" bei Sanktionen des Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmern 9. Rechtsgarantien bei Freiheitsentzug; Art. 104 Abs. 1. Freiheitsentzug nur aufgrund Gesetzes; Entscheidung nur durch Richter; bei Festnahmen durch Polizei spätestens am folgenden Tag Vorführung zum Richter 10. Keine Bestrafung ohne entsprechendes Gesetz vor der Tat (nulla poena sine lege); Art. 103 Abs. 3 GG 11. Rückwirkungsverbot, Vertrauensschutz und Bestimmtheitsgrundsatz Kein Eingriff in abgeschlossene Tatbestände (echte Rückwirkung). Zulässig aber nachteilige Änderung noch nicht abgeschlossener Tatbestände, z.B. Aufhebung einer Steuervergünstigung, obwohl wirtschaftliche Entscheidungen in Erwartung des Fortbestandes der Steuerbegünstigung getroffen (unechte Rückwirkung) Wegen Vertrauensschutzes sehr strenge Kriterien für den Widerruf von Verwaltungsakten; angemessene Übergangszeit vor Anwendung neuer Rechtsvorschriften Alle Rechtsvorschriften müssen hinreichend bestimmt und klar sein Erfordernis der Vorhersehbarkeit und Klarheit 12. Staatshaftung bei Verletzung von Amtspflichten in Ausübung öffentlicher Gewalt; Art. 34 35 13. Grundsatz der Verhältnismässigkeit Besonders wichtige Schranke für Eingriffe des Staates in Bereich der Bürger; ebenso im Zivilrecht und Strafrecht für Mittel und Intensität von Notwehr und Selbsthilfe Für Art und Intensität des Eingriffs erforderlich ein angemessenes Verhältnis zwischen Schwere des Eingriffs und dem zu schützenden Rechtsgut, einzubeziehen auch die möglichen Folgewirkungen des Eingriffs Das eingesetzte Mittel muss unter diesem Aspekt erforderlich und auch geeignet sein, den Erfolg herbeizuführen Unter mehreren möglichen Mitteln ist das mildeste, den Bürger am wenigsten belastende zu wählen Der Grundsatz gilt zweistufig 1. Für den Eingriff mittels Gesetzes, z.B. Obdachlosenpolizei durch Gesetz nicht zur Enteignung von Wohnraum, sondern nur zur Beschlagnahme berechtigt 2. Für Eingriffe aufgrund des Gesetzes, z.B. Obdachlosenpolizei aufgrund des Gesetzes nur zur Beschlagnahme leerstehender Wohnungen, aber nicht zur Teilräumung einer nach Ansicht der Polizei unterbelegten Wohnung berechtigt 5. Sozialstaat Fünfte Verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidunq Als Staatsziel in Art. 20 Abs. 1 "demokratischer und sozialer Bundesstaat", und in Art. 28 Abs: 1 Satz 1 "demokratischer und sozialer Rechtsstaat' Mit "sozialer Rechtsstaat" besonders prägnant das im GG ständig wiederkehrende Spannungsverhältnis angesprochen Rechtsstaat der Tendenz nach Garantie des status quo, der Freiheit und des Besitzes des Einzelnen Sozial der Tendenz nach Einschränkung der Freiheit des Einzelnen, mehr oder minder starke Umverteilung von Einkommen und Besitz Je mehr Gleichheit, desto weniger Freiheit; je mehr Freiheit, desto weniger Gleichheit (Horkheimer) Mit dem Staatsziel Sozialstaat Aufforderung, den status quo ständig auf seine soziale Gerechtigkeit zu prüfen und ggf. zu verändern. Entscheidende Schwierigkeit aber dabei, dass Konsens über das durch soziale Gerechtigkeit Geforderte nie zu erzielen. Daher mit Recht Sozialstaat nur als Staatsziel; keine unmittelbaren subjektiv einklagbaren Rechte Daher auch wenig sinnvoll Aufnahme weiterer sozialer Staatsziele in das GG wie Recht auf Wohnung, Arbeit, Umwelt. Auch ohne solche Bestimmung im GG durch entsprechendes Wahlverhalten eine Politik zu erreichen, die diese Ziele fördert. Einfügung in das GG wie gegenwärtig gefordert nur wohlklingende Optik ohne konkreten Inhalt; Pflicht zur Förderung dieser Ziele folgt schon aus GG in jetziger Fassung Aus Staatsziel Sozialstaat in Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 aber bereits jetzt durchaus konkrete Folgerungen Pflicht aller drei Gewalten, sich um Verwirklichung dieses Staatsziels zu bemühen, insbesondere 1. die Sozialbindung der Grundrechte - Handlungsfreiheit Art. 2; Berufsfreiheit Art. 12; Eigentum Art. 14 - unter Ausnutzung des dort enthaltenen Gesetzesvorbehalts zu konkretisieren 2. durch Gesetze und andere Massnahmen für den Ausgleich sozialer Unterschiede, Hilfe für Bedürftige und gewisse Umverteilung von Vermögen und Einkommen zu sorgen. Eingriffe des Staates mit diesen Zielen in die Grundrechte der Bürger gerechtfertigt durch die Sozialstaatsklausel in Art. 20, 28 36 Beispiele der Tätigkeit des Staates in Erfüllung des Staatszieles Sozialstaat: Mieterschutz; Mutterschutz im Arbeitsrecht; Sozialhilfe; 50% Arbeitgeberbeiträge für Alters- und Krankenversicherung der Arbeitnehmer; Bafög; Prozesskostenhilfe; sozialer Wohnungsbau Sozialstaat schwierigstes Staatsziel, grösstes Spannungsverhältnis bei der Verwirklichung. Beispiele: Eigenverantwortung - Zwang zur kollektiven Vorsorge. Beispiel: Streit um Pflegeversicherung Subsidiarität - Solidarität. Hohe Pflichtgrenzen in Alters- und Krankenversicherung (2006 5.250; 3.937,50 Euro) mit erheblichem Umverteilungseffekt; nur geringe Selbstbeteiligung an Kosten für Arzt, Arzneimittel und Krankenhaus B Grundrechte 1. Allgemeines a) Geschichte Garantierte Rechte des Einzelnen gegenüber Staatsgewalt im Mittelalter überwiegend als verbriefte Rechte von Fürsten, Ständen oder Städten gegenüber dem Kaiser oder Landesherren Als Rechte auch der Einzelnen zuerst in England in der Magna Charta von 1215, später in Rechten des Parlaments, aber auch bestimmten Rechten des Einzelnen (Petition of Rights 1628, Habeas Corpus Akte von 1679, Bill of Rights 1689). Kurz danach entwickelt John Locke nicht nur die Theorie der Gewaltenteilung, sondern auch von den ursprünglichen und unveräusserlichen Freiheitsrechten jedes Menschen Nach Amerika diese Gedanken von den Auswanderern mitgenommen und nach der Unabhängigkeit 1791 als Grundrechte in die Verfassung aufgenommen In Frankreich Erklärung der Menschen-, Bürgerrechte von 1789 In Deutschland zunächst nur verbriefte Rechte von Fürsten, Ständen oder Städten gegenüber dem Kaiser oder Landesherren. Grundrechte erstmals in der Paulskirchen-Verfassung von 1849, aber nicht rechtswirksam geworden, als Garantien aber teilweise übernommen in die Länderverfassungen oder in Gesetze der Länder, später des Deutschen Reichs, insbes. die Justizgesetze. Daher und wegen der vom liberalen Staat gewährten Freiheiten insbes. im Wirtschaftsbereich Grundrechte in der Verfassung von 1871 nicht als notwendig angesehen. Katalog von Grundrechten in Weimarer Verfassung, erstmals unter Einbeziehen der sozialen Bindung der Freiheitsrechte des Einzelnen, z.B. Art. 153 Abs. 3 "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleicht Dienst sein für das Gemeine Beste" Im Dritten Reich Grundrechte und Weimarer Verfassung teils förmlich, teils faktisch ausser Kraft gesetzt. Keine Meinungs-, Presse-, Vereinigungsfreiheit; Verbringen in KZ; Beschlagnahme jüdischen Eigentums; Ausschaltung der Juden aus Justiz, Verwaltung, weiteren Berufen; Volksgerichtshof und Sondergerichte Als Reaktion und in Anknüpfung und Fortwirkung der Weimarer Verfassung im Grundgesetz (GG) Katalog von Grundrechten Im EG-Vertrag zunächst kein Katalog von Grundrechten; deutscher Vorschlag von den anderen Mitgliedstaaten abgelehnt Der Gerichtshof weigert sich bei Klage gegen Rechtsakte der EG in ständige Rechtsprechung, auf die Rüge der Verletzung nationaler Verfassungsnormen einzugehen. Grund: Anderenfalls uneingeschränkte einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts gefährdet. Der Gerichtshof sieht aber im Wege richterlicher Fortbildung des Gemeinschaftsrechts in ständiger Rechtsprechung Grundrechte der Person als Teil des Gemeinschaftsrechts an, die der Gerichtshof zu wahren hat. Diese Grundrechte ergeben sich aus den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten und aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. So jetzt auch ausdrücklich Art. 6 Vertrag über die Europäische Union (Maastricht-Vertrag) Feierliche Proklamation einer Charta der Grundrechte (Amtsblatt EG 2000 C 364 S. 1) auf der Gipfelkonferenz von Nizza Dezember 2000. Da rechtlich nicht bindend, Aufnahme eines Kataloges von Grundrechten in den Vertrag über eine europäische Verfassung unterzeichnet 37 29.10.2004 in Rom; in einigen Mitgliedstaaten, u.a. Deutschland, Zustimmung der Parlamente, in Frankreich und Niederlande in Volksabstimmung abgelehnt; gegenwärtig „Denkpause“ b) Funktion der Grundrechte Grundrechte können folgende Funktionen - z.T. allein, z.T. sich überschneidend oder verstärkend - erfüllen 1. Abwehrrechte 2. Elemente einer objektiven Wertordnung 3. Garantien für bestimmte Einrichtungen 4. Teilhaberechte 1. Abwehrrechte Ausgangspunkt und ursprüngliche Funktion der Grundrechte a) Schutz der Bürger gegen staatliche Eingriffe und Beschränkungen der Ausübung bestimmter Rechte, z.B. Meinungs-, Presse-, Versammlungs-, Berufsfreiheit oder b) Schutz bestimmter Bereiche, z.B. Leben und Freiheit der Person, Wohnung, Eigentum Kollision mit Rechten anderer Bürger oder Interessen der Allgemeinheit wird durch Vorbehalt der Rechte anderer, Gesetzesvorbehalt oder Sozialbindung der Ausübung gelöst 2. Elemente einer objektiven Wertordnunq Durch Garantie bestimmter Individualrechte und bestimmter Einrichtungen zugleich gesagt, dass diese Rechte und Einrichtungen nicht nur vom Staat, sondern von allen Bürgern als für alle verbindliche Werte anzuerkennen sind; denn ohne Anerkennung auch durch alle anderen Bürger könnte der Staat diese Individualrechte und Einrichtungen nicht gewährleisten, z.B. Schutz der Menschenwürde; Art. 1 Abs. 1, mit dieser Funktion Menschenrechte; Art. 1 Abs. 2 Ehe und Familie; Art. 6 Abs. 1 Eigentum; Art. 14 Abs. 1 Aus dieser Eigenschaft als Teil einer objektiven Wertordnung folgt die sog. Drittwirkung der Grundrechte; dazu unten 3. Garantie für bestimmte Einrichtungen Einrichtungsgarantie entweder für den Kernbestand bestimmter rechtlicher Institutionen; so Art. 6 Abs. 1 Ehe und Familie Art. 7 Schule Art. 14 Eigentum Art. 28 Länder und Gemeinden oder Garantie für bestimmte gesellschaftliche Prozesse und Einrichtungen, weil aufgrund geschichtlicher Erfahrung als wertvoll angesehen und daher unter Schutz der Verfassung gestellt; so Art. 5 Meinungs- und Pressefreiheit Art. 9 Koalitionsfreiheit/Tarifautonomie Streitig, ob durch diese Einrichtungsgarantien nur Verstärkung der individuellen Freiheitsrechte der Träger dieser Einrichtungen oder ob damit Rechtfertigung für Gesetzgeber, im Interesse der Funktionsfähigkeit dieser Einrichtung u.U. individuelle Freiheitsrechte zu beschränken 4. Teilhaberechte Aus bestimmten Grundrechten, z.B. Art. 3, 5 kann sich ein Teilhaberecht im Rahmen des vernünftigerweise Beanspruchbaren ergeben, z.B. auf Zugang zu staatlichen Einrichtungen wie Schulen, Hochschulen und Anteil an deren Mitteln, z.B. strenge Voraussetzungen für NC, Mindestausstattung für Professoren; Zugang zu Frequenzen für Rundfunk und Fernsehen 38 c) Einschränkung der Grundrechte Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte gegenüber Staat zur Sicherung einer Freiheitssphäre des Bürgers Wahrnehmung der Grundrechte kann aber erheblich in Rechte anderer Bürger oder Interessen der Allgemeinheit eingreifen, z.B. der Meinungsfreiheit durch Aufruf zum Boykott des Films eines bestimmten Regisseurs wegen seiner Tätigkeit im Dritten Reich, aufgrund Eigentums Kündigung des Mieters durch den Hauseigentümer; durch missbräuchliche Inanspruchnahme des Asylrechts Art. 16a Abs. 1 Technik des GG zur Lösung solcher Konflikte unterschiedliche Formen der Einschränkung für die Ausübung der Grundrechte Bitte lesen Art. 2 Abs. 1; Art. 5 Abs. 2; Art. 12 Abs. 1; Art. 14 Abs. 1-3 Aber Art. 16a Abs. 1 "Politisch Verfolgte geniessen Asylrecht". Kein Gesetzesvorbehalt! Daher und wegen Garantie des Rechtsweges Art. 19 Abs. 4 sowie der verfahrensrechtlichen Garantien erheblicher Missbrauch möglich; Einschränkung des Anspruchs auf Asyl jetzt durch Art. 16a Abs. 2 und 3 Gesetzesvorbehalt in diesen Artikeln aber keine Ermächtigung zur beliebigen Einschränkung der Grundrechte Art. 19 Abs. 2: „In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden". Im übrigen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzesvorbehalt anzuwenden "im Lichte der Grundrechte", d.h. der Wertordnung des GG, d.h. Einschränkung eines Grundrechts nur zugunsten mindestens gleichwertiger Rechtsgüter Besonders schwierige Abwägung bei Kollision mehrerer Grundrechte, z.B. alle Soldaten sind potentielle Mörder - Meinungsfreiheit/Ehre Abtreibung - Schutz des ungeborenen Lebens/Handlungsfreiheit der Mutter Art. 2. Siehe dazu BVerf 39, 1 ff., 35 ff. Entscheidung in solchen Fällen kaum möglich frei vom Einfluss des Zeitgeistes und des Vorverständnisses d) Drittwirkung der Grundrechte Grundrechte ursprünglich nur Abwehrrechte des Bürgers gegenüber Staat bei Ausübung seiner Hoheitsgewalt Moderner Staat aber nicht mehr nur "Nachtwächter-Staat", sondern Sozialstaat mit umfassenden Leistungen der sozialen Sicherung und Daseinsvorsorge - Theater, Sportstätten, Volkshochschulen etc. Diese Leistungen werden oft nicht mehr hoheitlich, sondern in privat-rechtlichen Formen gewährt Auch bei Leistungen staatlicher Daseinsvorsorge und sozialer Sicherung in privatrechtlichen Formen Staat an Grundrechte gebunden, insbes. an Art. 3. Sonst könnte sich Staat der objektiven Wertordnung des GG durch Wahl einer privatrechtlichen Form entziehen Aber nicht möglich uneingeschränkte Geltung der Grundrecht auch im Verhältnis der einzelnen Bürger untereinander. Bürger nicht Adressaten der Grundrechte. Sonst würden aus Rechten gegenüber der öffentlichen Gewalt Pflichten gegenüber allen anderen Bürgern, als Folge unvertretbarer Beschränkung der Handlungsfreiheit der Einzelnen Solche Ausdehnung auch sachlich nicht gerechtfertigt; denn im Verhältnis Bürger - Bürger kein Machtgefälle und Schutzbedürfnis wie im Verhältnis Staat - Bürger Unmittelbare Geltung der Grundrechte nur soweit im GG ausdrücklich vorgesehen Bitte lesen Art. 9 Abs. 3 Satz 2; Art. 20 Abs. 4 39 Grundrechte als objektive Wertordnung beeinflussen aber dennoch die Beziehungen der Bürger untereinander 1. in Bereich, wo ähnlich wie im Öffentlichen Recht ein erhebliches Machtgefälle und Schutzbedürfnis besteht, im Arbeitsrecht; st. Rspr. Bundesarbeitsgericht. Daher als Pflichten des Arbeitgebers insbes. Achtung der Menschenwürde Art. 1 Abs. 1; Gleichbehandlung Art. 3; rechtliches Gehör vor Sanktionen Art. 103 Abs. 1; Grenzen für Beschränkung der beruflichen Freiheit durch Kündigungsverbot für Lehrling nach Ausbildung, für Wettbewerbsverbote nach Ende des Arbeitsverhältnisses Art. 12 Abs. 1 2. Im Bereich etwa gleicher Macht - Zivilrecht - als Kriterien bei Auslegung wertausfüllungsbedürftiger Normen - Treu und Glauben, gute Sitten, wichtiger Grund -, wo allgemeine Wertordnung bei Interessenabwägung heranzuziehen. Beispiel Bundesverfassungsgericht 7, 198 = NJW 1958, 257 (Lüth): Aufforderung zum Boykott eines Veit Harlan Films; Verurteilung zum Schadensersatz durch LG aus § 826 BGB von BVerfG aufgehoben, da bei Abwägung vom LG Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht ausreichend berücksichtigt. e) Grundrechtsberechtigte Zu unterscheiden Menschenrechte und Bürgerrechte Menschenrechte diejenigen Grundrechte, in denen keine Eingrenzung der persönlichen Berechtigung; sie stehen allen zu "Jeder hat..." Art. 2 Abs. 1 und 2; Art. 5 Abs. 1 "Niemand darf ..." Art. 3 Abs. 3; Art'. 4 Abs. 3; Art. 12 Abs. 2; Art. 101 Abs. 1 Satz 2; Art. 103 Abs. 3 Ebenso stehen Grundrechte allen zu, wenn Freiheitsgarantie ohne personale Eingrenzung; Art. 4 Abs. 1 u. 3 (Religionsfreiheit); Art. 5 Abs. 3 (Freiheit der Wissenschaft); Art. 6 Abs. 1 u. 2 (Ehe, Familie); Art. 10 Abs. 1 (Briefgeheimnis); Art. 13 Abs. 1 (Unverletzlichkeit der Wohnung); Art. 14 Abs. 1 (Eigentum); Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 (Asylrecht); Art. 104 Abs. 1 (Freiheitsentziehung) Bürgerrechte diejenigen Grundrechte, die nur Deutschen zustehen Art. 8 (Versammlungsfreiheit); Art. 9 (Vereinigungsfreiheit); Art. 11 (Freizügigkeit); Art. 12 Abs. 1 (Berufsfreiheit); Art. 20 Abs. 4 (Widerstandsrecht); Art. 33 (Staatsbürgerrechte) Aber auch Wahlrecht Art. 38 Abs. 1 nur für Deutsche; folgt aus Art. 20 Abs. 2, nur Wahlrecht des Staatsvolkes. Daher nach BVerfG kein Kommunalwahlrecht für Ausländer, aber jetzt nach Art. 8b Abs. 1 Kommunalwahlrecht für Bürger der Europäischen Union Aus Unterscheidung Menschenrechte - Bürgerrechte folgt, dass Ausländer nur bei Menschenrechten - Freiheitsrechten Grundrechtsberechtigte Falscher Sprachgebrauch "ausländische Mitbürger", Wort als Waffe Durch nationale Gesetze, z.B. § 1, VersammlungsG und § 1 VereinsG zwar auch Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit für Ausländer, aber nur auf Stufe einfachen Gesetzes, daher ohne Verstoss gegen GG beschränkbar Wichtig für Ausländer, dass Art. 2 als allgemeines Menschenrecht auch für sie gilt; daher von Verwaltung zu beachten Grundsätze des objektiven Verfassungsrechts, insbes. des Rechtsstaates, u.a. Verhältnismässigkeit und Vertrauensschutz EG-Ausländern stehen als Teil des Gemeinschaftsrechts Grundrechte der Person zu, deren Inhalt sich aus den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten und aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt (siehe vorstehend 1. Geschichte). Ferner nach Art. 8 a EG-Vertrag als Unionsbürgern ein Art. 11 entsprechendes Recht auf Freizügigkeit sowie ein dem Art. 12 Abs. 1 entsprechendes Recht Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Niederlassungsrecht und freier Dienstleistungsverkehr Art. 39, 43, 49 (früher 48, 52, 59) EG-Vertrag Juristische Personen 40 Art. 19 Abs. 3 "Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind" z.B. Art. 2 (Handlungsfreiheit); Art. 14 (Eigentum), dagegen nicht Art. 1 Abs. 1 (Menschenwürde)-, Art. 2 Abs. 2 (Recht auf Leben)-, Art. 104 (Freiheitsentzug) Keine Grundrechte für juristische Personen des öffentlichen Rechts. Hinter ihnen stehen nicht natürliche Personen, sondern stets der Staat. Berechtigte und Verpflichtete können nicht zusammenfallen 2. Einzelne Grundrechte Nur Ausführungen zu einigen besonders wichtigen Grundrechten a) Allgemeine Handlungsfreiheit; Art. 2 Abs. 1 „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmässige Ordnung oder das Sittengesetz verstösst“ Damit nicht nur Schutz des sog. Kerns der Persönlichkeit, sondern Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit der Bürger, d.h. Einschränkungen ihrer Handlungsfreiheit und Eingriffe in ihren Bereich nur zulässig, wenn und soweit diese durch verfassungsgemässe Vorschriften gedeckt sind. Gegen andere Eingriffe Abwehrrecht aus Art. 2 Abs. 1 Art. 2 Abs. 1 Auffangtatbestand gegenüber den folgenden speziellen Grundrechten, tritt daher hinter diese Grundrechte zurück, soweit deren Schutzbereich reicht aa) Inhalt des Grundrechts Handlungsfreiheit Aus Art. 2 Abs. 1 folgen als geschützte Rechtsgüter u.a. 1. die wirtschaftliche Handlungsfreiheit und die unser Zivilrecht beherrschende Vertragsfreiheit Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist ein Vollzug des Verfassungsauftrages des Art. 2 und ein notwendiges Korrelat zur Vertragsfreiheit 2. die persönliche Ehre; zu ihrem Schutz das Recht auf Gegendarstellung nach Presse- und Medienrecht, Unterlassungsanspruch nach BGB und Strafrecht § 185 ff. Strafgesetzbuch 3. die persönliche Privat- oder Geheimsphäre z.B. Krankenakten des Arztes, Unterlagen eines Sozialarbeiters, Schutz gegen Abhören oder Mitschneiden von Telefongesprächen, Öffnen von Briefen oder deren unbefugte Veröffentlichung 4. das Recht am eigenen Bild; als Vollzug § 22 KunstUrhebergesetz 5. im Volkszählungsurteil BVerfG 65, 1 diese Rechte vom BVerfG zusammengefasst und fortentwickelt zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung, "die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden". Als Folge extreme Ausweitung des Datenschutzes zu Lasten berechtigter Interessen Dritter und der Allgemeinheit; Datenschutz zur Magna Charta aller Terroristen, Kriminellen und böswilligen Schuldner geworden Aus Art. 2 Abs. 1 werden weiter gefolgert 1. das Gebot der Subsidiarität 2. der Grundsatz der Verhältnismässigkeit 1. Gebot der Subsidiarität Das Gebot der Subsidiarität gilt nicht nur für die Organisation des Staates, sondern für das gesamte staatliche Handeln bei Eingriffen in den Bereich der Bürger Die übergeordnete Gemeinschaft sollte nur solche Aufgaben wahrnehmen, die nachgeordnete Gemeinschaften nicht ebenso gut oder besser erfüllen können. Daraus folgt nicht nur eine möglichst weitgehende Dezentralisation der Verwaltung, insbesondere Selbstverwaltung der Gemeinden, sondern auch eine Leitlinie für die Aufgabenverteilung zwischen Staat und Bürgern, 41 z.B. Vorsorge für Alter und Krankheit soweit wie möglich in Eigenverantwortung der Bürger statt kollektiver Versorgungssysteme; Eigenbeteiligung bei Leistungen der Krankenversicherung; Förderung der Versorgung alter Menschen in der Familie als Solidargemeinschaft; Sozialeinrichtungen wie Kindergärten, Altenheime, Krankenhäuser so weit wie möglich durch freie Träger Gebot der Subsidiarität für Aufgabenverteilung zwischen EG und Mitgliedstaaten jetzt auch in Art. 5 Abs. 2 (früher 3 b) EGV Erfahrung, dass unter Beachtung des Subsidiaritätsgebotes Aufgaben besser und mit geringeren Kosten erfüllt werden. Ebenso mit Nachdruck die katholische Soziallehre "Wie das, was der Einzelne aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so ist es auch unrecht, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinschaften leisten und zum guten Ende führen können, für die umfassendere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es höchst nachteilig und verwirrt die Gesellschaftsordnung. Jede Gesellschaftstätigkeit ist ... subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber nie zerschlagen oder aussaugen" (Enzyklika Quadragesimo anno 1931) Gegenwärtig leider in allen Bereichen Tendenz zur, Verlagerung der Verantwortung vom Einzelnen auf anonyme Kollektive oder den Staat und Verlagerung staatlicher Entscheidungen nach oben 2. Grundsatz der Verhältnismässigkeit Dieser allgemeine Grundsatz für alle Bereiche staatlichen Handelns folgt nicht nur aus dem Rechtsstaat, sondern auch aus Art. 2 Abs. 1. Zu den sich daraus ergebenden Beschränkungen des Eingriffs staatlicher Gewalt in den Bereich der Bürger siehe oben III A 4 Ziff.13 bb) Schranken des Grundrechts Handlungsfreiheit Art. 2 Abs. 1 Schranken dieses Grundrechts im Interesse der Allgemeinheit und der anderen Bürger erforderlich. Daher als Schranken in Art. 2 Abs. 1 1. Rechte anderer 2. die verfassungsmässige Ordnung 3. das Sittengesetz Rechte anderer Erforderlich Rechte, nicht nur Interessen. Darunter fallen alle von der Rechtsordnung gewährten und geschützten Rechte; damit bereits in der "verfassungsmässigen Ordnung" in der weiten Auslegung des BVerfG enthalten Verfassungsmässige Ordnung Praktisch wichtigste Schranke die verfassungsmässige Ordnung. Nach BVerfG die gesamte der Verfassung gemässe Rechtsordnung, d.h. vom Grundgesetz bis zur Ortssatzung einer Gemeinde sowie die darauf gestützten Einzelmassnahmen durch Verwaltungsakte. Man kann daher vom Vorbehalt des geltenden Rechts sprechen. Das die Handlungsfreiheit einschränkende Recht muss aber formell und materiell mit der Verfassung übereinstimmen. Dazu gehört insbesondere der Grundsatz der Verhältnismässigkeit und das Übermassverbot. Leitsatz des BVerfG: Je stärker der Eingriff in die Handlungsfreiheit, um so sorgfältiger sind die zur Rechtfertigung des Eingriffs vorgebrachten Gründe gegen den Freiheitsanspruch des Bürgers abzuwägen Prüfung dieser Schranken-Schranke oft Schwerpunkt der Prüfung nach Art. 2 Abs. 1 und beste Chance für den Bürger; z.B. daher unzulässig Erfordernis einer Schiessprüfung für den Falkner-Jagdschein Sittengesetz Nicht massgebend die Lehren der Moraltheologie oder die herrschenden Vorstellungen bei Verabschiedung des GG. Entscheidend die von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung 42 als verbindlich angesehenen Normen. Diese Vorstellungen unterliegen dem Wandel; z.B. noch 1957 gleichgeschlechtliche Aktivitäten von Männern vom BVerfG als Verstoss gegen das Sittengesetz angesehen; als Indiz das Strafrecht. Derartige Aktivität unter erwachsenen Männern und Jugendlichen über 16 Jahren heute straffrei Entsprechender Wandel in der Beurteilung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften; wichtig für gegenseitige Ansprüche bei Trennung, Fortsetzung des Mietverhältnisses bei Tod eines Partners, Homo-Ehe Sittengesetz als Einschränkung der Handlungsfreiheit insbesondere durch die Generalklauseln §§ 138, 826 BGB, § 1 UWG; nicht nur im Verhältnis Bürger-Bürger, sondern auch Schranke des Freiheitsrechtes Art. 2 gegenüber Staat b) Meinungs- und Informationsfreiheit; Art. 5 Abs. 1 und 2 Art. 5 Abs. 1 und 2 lesen! Geschützt sind 1 . die Meinungsfreiheit, die Freiheit, eine bestimmte Meinung in Wort, Schrift oder Bild zu äussern und zu verbreiten 2. die Informationsfreiheit, das Recht sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten 3. die Pressefreiheit 4. die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk, Fernsehen und Film Diese Rechte notwendige Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie, um den Wählern zu ermöglichen, sich eine Meinung zu bilden, um eine Kontrolle der drei Gewalten durch die Öffentlichkeit zu ermöglichen und auf Fehler und Missbrauch von Macht hinzuweisen Diese Rechte weiter notwendig, um das Verhalten von sozialen Gruppen, z.B. Unternehmer, Gewerkschaften oder einzelner Personen der öffentlichen Kontrolle zu unterwerfen, um für Waren oder Dienstleistungen zu werben und an ihnen Kritik zu üben Aus diesen Aufgaben folgen Umfang und Grenzen dieses Grundrechts 1. Meinungsfreiheit Weiter Begriff der Meinung. Entscheidendes Kriterium, ob es sich um eine Stellungnahme im Rahmen der geistigen Auseinandersetzung handelt; auf ihren Wert, Richtigkeit oder Vernünftigkeit kommt es nicht an. Auch Mitteilung von Tatsachen, soweit sie Voraussetzung für Bildung einer Meinung sind. Nicht mehr gedeckt nur Schmähkritik und das bewusste Behaupten unrichtiger Tatsachen oder unrichtige Zitate. Nicht mehr gedeckt statt geistiger Auseinandersetzung Einsatz wirtschaftlicher Macht, z.B. Androhung einer Liefersperre an Zeitschriftenhändler durch Springer-Verlag, wenn sie weiter Zeitschrift vertreiben, die nach Bau der Mauer noch das DDR-Rundfunkprogramm druckt (BVerfG 25, 256 - Blinkfüer). Zulässig aber Aufforderung zum Boykott eines 'neuen Films des Jud Süß-Film-Regisseurs Veit Harlan (BVerfG 7, 198 - Lüth), die Schock-Werbung von Benetton (BVerfG 12.12.2000, NJW 2001, 591)) Von Art. 5 Abs. 1 gedeckt auch die ausdrücklich in Art. 8 garantierte Demonstrationsfreiheit, aber nicht unter Einsatz von Gewalt (BGHSt 23,46 – Laepple; NJW 1972, 1571 - Mahler; Blockade Springer-Haus) Grenzen der Meinungsfreiheit Allgemeine Gesetze Gesetze zum Schutze der Jugend Recht der persönlichen Ehre 43 Jugend- und Ehrenschutz nur hervorgehobene Fälle der allgemeinen Gesetze. Besonders wichtig das Strafrecht und im Bereich der Werbung das UWG. "Allgemeine Gesetze" im Lichte der besonderen Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit auszulegen, insbesondere bei der Güterabwägung mit dem Recht der persönlichen Ehre oder dem Boykottverbot. Tendenz zur Entwicklung des Grundrechts der Meinungsfreiheit zu einem Über-Grundrecht Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit ist aber nicht nur möglich durch staatliche Gesetze oder Massnahmen, sondern auch durch Drohung mit Gewalt oder Anwendung von Gewalt durch Andersdenkende und besonders wirksam durch eine political correctnes, deren Inhalt vor allem durch die Medien bestimmt wird. Deren Missachtung führt nicht nur zum Verschweigen „falscher“ Meinungen durch die Medien, sondern zur laufenden moralischen Verurteilung und negativen Würdigung der betreffenden Person oder Gruppe in den Medien und als Folge auch durch einen erheblichen Teil der Bürger. Damit entstehen ein Zwang zu einem bestimmten Sprachgebrauch, die Tabuisierung bestimmter Themen in der öffentlichen Diskussion und eine Behinderung des Prozesses der demokratischen Meinungsbildung. 2. Informationsfreiheit Fälle einer Beschränkung der Informationsfreiheit relativ selten; z.B. Untersagung des Rundfunkempfangs durch Untersuchungshäftling, da Bezug von Zeitungen möglich (BVerfG 15,288) 3. Pressefreiheit Pressefreiheit umfasst Freiheit der Gründung von Zeitungen, Schutz vor Verbot wegen bestimmten Inhalts = Inhaltsfreiheit als Unterfall der Meinungsfreiheit mit dort genannten Grenzen. Grund Vielfalt der Meinungen Der Pressefreiheit als Sicherung des Zugangs zum Markt und der wirtschaftlichen Existenz dient die im Pressebereich verschärfte Zusammenschlusskontrolle nach § 35 ff. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, um Entstehen oder Verstärkung marktbeherrschender Stellungen zu verhindern. Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk, Fernsehen und Film Wegen Knappheit der Sendefrequenzen zunächst ausser ARD und ZDF weitere Anbieter von Sendungen nicht möglich, aber jetzt sind aufgrund der veränderten technischen Voraussetzungen weitere Anbieter von Hörfunk- und Fernsehsendungen zuzulassen. Noch im Streit die Bedingungen, insbesondere Beteiligung der öffentlich-rechtlichen Anstalten und von Zeitungsverlagen an Privatsendern wegen Gefahr regionaler marktbeherrschender Stellungen und Gefährdung der Meinungsvielfalt, ferner die Pflicht zur sog. Binnen-Pluralität (Gewährleistung der Meinungsvielfalt) sowie deren Umfang und Kontrolle. Hohe Kampfintensität wegen des sehr grossen Einflusses der elektronischen Medien auf die Meinungsbildung und wegen der Einnahmen aus Werbung als einzige Finanzierungsquelle der Privatsender bzw. wichtiger Beitrag zum Haushalt der öffentlich-rechtlichen Sender c) Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit; Art. 9 Art. 9 Abs. 1 und 3 lesen! Geschützt also die Vereinigungsfreiheit allgemein (Art. 9 Abs. 1) und als ihr Unterfall die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3) Nicht nur Individualgrundrecht, sondern zugleich auch kollektives Freiheitsrecht der Vereinigungen Vereinigungsfreiheit Nach Art. 9 Abs. 1 Vereinigungsfreiheit nur für Deutsche, also Bürgerrecht. Durch Vereinsgesetz aber auch Vereinigungsfreiheit für Ausländer, allerdings durch einfaches Gesetz zu beschränken Art. 9 Abs. 1 sichert nicht nur die positive, sondern auch die negative Vereinigungsfreiheit - das Recht, einer Vereinigung fernzubleiben. Dieses Recht besteht aber nur gegenüber den in Art. 9 44 Abs. 1 geschützten privaten Vereinigungen. Daher möglich Zwangsmitgliedschaft aufgrund öffentlichen Rechts, z.B. Industrie- und Handelskammer, Ärztekammer, Studentenschaft. Wegen der Zwangsmitgliedschaft aber Verband auf die ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben beschränkt; daher kein allgemeinpolitisches Mandat der Studentenschaft Koalitionsfreiheit Die durch Art. 9 Abs. 3 garantierte Koalitionsfreiheit ist die institutionelle Basis der Tarifautonomie, d.h. Regelung der Arbeitsbedingungen allein durch die Verbände der Arbeitgeber und die Gewerkschaften; keine Festsetzung der Arbeitsbedingungen durch den Staat oder staatliche Schlichtung Die durch Art. 9 Abs. 3 geschützte Koalitionsfreiheit ist zurückzuführen und auszulegen als Möglichkeit für die Arbeitnehmer von ihrer Privatautonomie (Handlungs- und Vertragsfreiheit) Gebrauch zu machen; denn als Einzelner sind sie dazu gegenüber den Arbeitgebern nicht in der Lage. Daher unrichtig Betrachtung der Tarifparteien, insbesondere der Gewerkschaften als Grundrechtsträger mit staatlicher Ordnungsfunktion und Quasi-Rechtsetzungsbefugnis. Gewisse Beschränkungen der Tarifautonomie durch den Staat oder die Rechtsprechung, um die Vereinbarkeit der jeweiligen Tarifabschlüsse mit dem Gemeinwohl zu sichern, wären daher kein Eingriff in ein Grundrecht der Tarifparteien, sondern eine im Zivilrecht übliche Praxis. Art. 9 Abs. 3 ist einerseits Schutz des Instruments der Arbeitsnehmer im Rahmen ihrer Privatautonomie gegen deren Beeinträchtigung durch die Arbeitsgeber, anderseits Schutz gegen die Einmischung des Staates in die Regelungsbefugnis der Tarifpartner aufgrund ihrer Privatautonomie. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 neben Art. 20 Abs. 4 Fall einer im GG vorgesehenen unmittelbaren Drittwirkung eines Grundrechts Art. 9 Abs. 3 gewährt nicht nur die positive, sondern auch die negative Koalitionsfreiheit. Daher unzulässig closed shop (nur Einstellung von Gewerkschaftsmitgliedern) oder union shop (Einstellung unter Bedingung Eintritt in Gewerkschaft) durch Vereinbarung Gewerkschaft – Arbeitgeber oder von der Gewerkschaft einseitig erzwungene Praxis. Daher ebenfalls unzulässig sog. Tarifausschlussklauseln (Vereinbarung bestimmter Leistungen nur an Mitglieder der Gewerkschaft im Tarifvertrag) Durch Art. 9 Abs. 3 Satz 3 jetzt auch inzidenter verfassungsrechtliche Anerkennung und Schutz von Arbeitskämpfen - Streik und Aussperrung – als Institution; damit Ausschluss zivilrechtlicher Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche. Arbeitskampfrecht wegen Unfähigkeit des Gesetzgebers zu einer Regelung z.Zt. allein durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. d) Berufsfreiheit; Art. 12 Art. 12 Abs. 1 lesen! Danach Wahl von Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei, nur die Berufsausübung durch Gesetz zu beschränken. Jedoch Erfahrung der Praxis, dass sich Berufswahl, Aufnahme des Berufs und Berufsausübung zwar theoretisch, aber nicht praktisch trennen lassen; denn Vorschriften über Berufsausübung, z.B. Meisterprüfung Handwerk, Zulassung als Kassenarzt oder Apothekenkonzession nur entsprechend Bedürfnis, wirken auf Berufswahl zurück Für die Ausnutzung des Gesetzesvorbehaltes Art. 12 Abs. 1 Satz 2 zur Regelung der Berufsausübung hat daher das BVerfG in dem sog. Apotheken-Urteil (BVerfG 7, 377) eine Stufentheorie entwickelt. Streitig war die Zulassung neuer Apotheken nur nach Bedürfnisprüfung, gerechtfertigt mit Schutz der Volksgesundheit wegen bei freier Zulassung drohenden übermässigen Medikamentenverkaufs und Missachtung der Berufspflichten Regelung der Berufsausübung durch Gesetz zulässig in folgenden Stufen 1. Regelungen über die Art der Berufsausübung Zulässig, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls die Regelung zweckmässig erscheinen lassen, z.B. Nachtbackverbot, Ladenschluss 45 2. Subjektive Zulassungsvoraussetzungen, z.B. Erfordernis einer bestimmten Ausbildung und Prüfung Zulässig nur zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter, z.B. Volksgesundheit, technische Sicherheit, Verbraucherschutz. Daher z.B. zugelassen Erfordernis der Meisterprüfung Handwerk 3. Objektive, vom Bewerber nicht beeinflussbare Zulassungsvoraussetzungen, z.B. Bedürfnisprüfung Hier die höchsten Anforderungen; nur zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut, z.B. begrenzte Zahl von Konzessionen für LKW im Güterfernverkehr im Interesse der Bahn (jetzt schrittweise Liberalisierung aufgrund EG-Rechts); Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit (BVerfG 21, 245), inzwischen aufgrund EG-Rechts aufgelockert Für alle drei Stufen gilt das Erfordernis der Verhältnismässigkeit (siehe oben III A 4 Ziff. 13). Daher Regelung höherer Stufe nur, wenn Ziel mit Mitteln der tieferen Stufe nicht zu erreichen. Daher als unzulässig angesehen Bedürfnisprüfung für Apotheken (BVerfG 7, 377) oder für Zulassung als Kassenarzt (BVerfG 11, 30) Art. 12 Abs. 1 in erster Linie Abwehrrecht gegen staatliche Beschränkungen der Berufsfreiheit. Soweit die Rechte aus Art. 12 Abs. 1 aber gegen den Staat gerichtet sind, wird das Abwehrrecht des Art. 12 Abs. 1 notwendig zum Teilhaberecht. So ausdrücklich Art. 33 Abs. 2 für den Zugang zu öffentlichen Ämtern, für den Zugang zur Universität vom BVerfG aus der Sachlogik entwickelt. Daher absolute Zulassungsbeschränkungen durch NC nur zulässig, wenn 1 . für Funktionsfähigkeit der Universität unbedingt erforderlich und nur unter erschöpfender Nutzung aller sachlichen und personellen Kapazitäten (Kriterium für objektive Zulassungsvoraussetzung) und 2. jeder Interessent die gleiche Chance hat, nicht nur überhaupt, sondern auch an der gewünschten Universität zu studieren (Teilhaberecht). Daher erforderlich Auswahl nach gleichen und sachgerechten Kriterien (BVerfG 33, 303; 43, 291; 59, 1) Teilhaberecht aber nur Gleichheitsrecht, jedoch kein subjektives Recht auf Leistung. Daher kein Rechtsanspruch auf Ausbau der Hochschulen entsprechend dem jeweiligen Bedarf e) Schutz des Eigentums; Art. 14 aa) Inhalt des Grundrechts Eigentum; Gründe des Schutzes Art. 14 Abs. 1 Satz 1, Art. 14 Abs. 3 lesen! Damit aber keine Grundrechtsgarantie für Eigentum i.S. des Liberalismus, dessen prägnanter Ausdruck § 903 BGB "Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschliessen" Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Art. 14 Abs. 2 lesen! Also auch hier wieder nicht nur Gesetzesvorbehalt, sondern ausdrückliche Sozialbindung des Freiheitsrechts Eigentum an Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln steht ausserdem noch unter dem Vorbehalt der Sozialisierung. Art. 15 lesen! Regelung des Eigentums - Zulassung und Schutz von Privateigentum an Grund und Boden sowie an den Produktionsmitteln oder nur Staats- oder Gemeineigentum - Schlüsselfrage für jede Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung; entscheidend für die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft, Versorgung der Verbraucher sowie Handlungsfreiheit und Unabhängigkeit der Menschen; bewiesen durch 70 Jahre Grossversuch im Ostblock und in China Privateigentum unverzichtbares Mittel für 1. Dezentralisierung wirtschaftlicher und sozialer Macht Gegensatz vollständige Konzentration des Eigentums in Hand des Staates oder grosser Kollektive wie LPG, Kolchosen - so Sowjetunion, DDR - oder als Gemeineigentum in grossen 46 Einheiten Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften, DDR Industriekombinate oder staatliche Industrie-Holdings Zur Dezentralisierung wirtschaftlicher und sozialer Macht Zusammenschlusskontrolle nach § 35 ff. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Verordnung Nr. 4064/89 in der EG; nicht nur zum Schutz des Wettbewerbs 2. als Element des Subsidiaritätsprinzips Durch Privateigentum in grossem Umfange möglich Bewältigung von Aufgaben durch Private, die sonst vom Staat zu erfüllen wären, z.B. Versorgung von Alten, Kranken, Bedürftigen in der Familie; im Wohnungsbau Aufbringen von Kapital und Übernahme hoher Lasten für Zinsen und Tilgung für Eigenheim oder Eigentumswohnung, die für Mieter nach heutiger Ansicht unzumutbar und unsozial 3. für die rechtliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Einzelnen, seiner Entfaltungsmöglichkeiten, Selbstbestätigung und Eigenverantwortung. Damit zugleich Basis für Unabhängigkeit bei Teilnahme am politischen Leben, insbesondere als Mandatsinhaber 4. als Belohnung oder Strafe für richtiges oder falsches wirtschaftliches Verhalten Streben nach Privateigentum und dessen Vermehrung wesentliches Instrument der Motivierung und Bereitschaft zur Übernahme von Risiken. Ständige Erfahrung, dass private Unternehmen Leistungen weit billiger und besser erbringen, höhere Gewinne erzielen und sich schneller an veränderte Marktbedingungen anpassen; so wieder gegenwärtig die Erfahrungen mit der Aufhebung des Postmonopols und Zulassung privater Anbieter im Fernsprechverkehr 5. zur Verringerung der sog. Transaktionskosten Einfachere und kürzere Entscheidungsprozesse, wenn die unternehmerischen Entscheidungen unmittelbar vom Eigentümer getroffen werden können Wegen dieser Funktionen des Eigentums durch Art. 14 verfassungsrechtlicher Schutz der Institution Eigentum und Abwehrrecht des Eigentümers gegen staatliche Eingriffe, allerdings unter ausdrücklicher Betonung der Sozialbindung des Eigentums und zu deren Konkretisierung mit der Möglichkeit, Inhalt und Schranken des Eigentums durch Gesetz zu bestimmen. Die Vorschriften des BGB über die Abwehrrechte des Eigentümers § 903 ff., § 858 ff., § 1004 sind die Erfüllung der Institutionsgarantie des Art. 14 auch gegenüber anderen Bürgern Eigentumsbegriff des Art. 14 weiter als Eigentumsbegriff des BGB; alle privatrechtlichen vermögenswerten Rechte und Güter, u.a. Mitgliedschaftsrechte wie Aktien, Urheberrechte, Forderungen, Rentenansprüche aus der Sozialversicherung, eingerichteter Gewerbebetrieb bb) Schranken des Grundrechts Eigentum In der Praxis schwierigste und am meisten umstrittene Aufgabe, Inhalt und Schranken des Eigentums aufgrund des Gesetzesvorbehaltes zu bestimmen. Damit möglich zusätzliche Beschränkungen des Eigentums über die allgemeine Sozialbindung hinaus. Diese Frage von grösster wirtschaftlicher Bedeutung; denn im Verhältnis zum Staat bestimmen solche Regelungen den Inhalt des Eigentums, insoweit bestehen also keine Abwehrrechte wegen Eingriffs in das Eigentum oder Entschädigungsansprüche wegen Enteignung, im Verhältnis zu den anderen Bürgern beschränken sie die Rechte des Eigentümers Regelungen, die durch den Gesetzesvorbehalt nicht mehr gedeckt sind, lösen dagegen als Enteignung Entschädigungsanspruch aus Sozialbindung sozial adäquate Belastung des Eigentums ohne Entschädigung; Enteignung unzumutbare Entziehung oder Belastung vermögenswerter Rechte mit Entschädigung Für Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums erforderlich stets ein Gesetz Abzuwägen die Institutionsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und die Sozialpflicht des Eigentums Art. 14 Abs. 2. Nach BverfG muss Gesetzgeber beiden Elementen in gleicher Weise Rechnung tragen und in gerechten Ausgleich und ausgewogenes Verhältnis bringen. 47 Damit erheblicher Spielraum für Entscheidung, ob Regelung noch innerhalb des Gesetzesvorbehaltes oder bereits Enteignung, z.B. noch als Inhaltsbestimmung angesehen fast völliger Ausschluss der Kündigung von Pachtverträgen über Kleingärten (BVerfG 52, 1); Einführung einer Erlaubnispflicht für Eingriffe in das Grundwasser und Ablehnung solcher Erlaubnis für Abbau von Kies, obwohl nach vorhergehendem Landesrecht solcher Abbau Teil der Rechte des Eigentümers (BVerfG 58, 300); sehr weitgehende Nutzungsbeschränkungen aus Gründen des Denkmalschutzes, die in ihrer Wirkung für den Eigentümer einer Enteignung nahe- oder gleichkommen. Zu berücksichtigende Kriterien Eigenart des vermögenswerten Gutes oder Rechtes, in das eingegriffen wird, z.B. stärkerer Eingriff gerechtfertigt wegen Unvermehrbarkeit von Grund und Boden, ob durch eigene Arbeit oder Leistung erworben, z.B. Anspruch aus Sozialversicherung, Urheberrecht; daher unzulässig Recht zur kostenlosen Vervielfältigung für Schul- und Unterrichtszwecke (BVerfG 31, 229), sowie die Gesamtheit der Verhältnisse, z.B. Wohnungsknappheit durch Folgen des Krieges als Schicksalsgemeinschaft von den verschonten Eigentümern mitzutragen Regelungen aufgrund des Gesetzesvorbehaltes müssen stets dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entsprechen (-siehe oben III A 4 Ziff. 13) Abgrenzung Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums gemäss Art. 14 Abs. 1 Satz 2 – Enteignung Art. 14 Abs. 3 nach der neueren Rechtsprechung des BverfG nicht nach Schwere des Eingriffs (unzumutbar), sondern ob das Eigentum oder bestimmte Rechte daraus dem Eigentümer entzogen werden und zwar nicht nur zugunsten der Allgemeinheit wie z.B. durch Denkmalschutz oder Stadt- und Regionalplanung, sondern auch zugunsten eines bestimmten Begünstigten. Schutz des Eigentums gegen zu weit gehende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums gemäss Art. 14 Abs. 1 Satz 2 durch Abwägung der Interessen, ggf. Unvereinbarkeit der gesetzlichen Regelung mit Art. 14 Abs. 1; eingehend dazu Jarass NJW 2000, 2841 cc) Enteignung U.U. nicht möglich, die Interessen der Allgemeinheit aufgrund des Gesetzesvorbehaltes zur Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums zu befriedigen. Daher möglich und zulässig nach Art. 14 Abs. 3 auch Enteignung, d.h. vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver Rechtspositionen, die durch Art. 14 Abs. 1 geschützt, entweder durch Gesetz einem bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis oder aufgrund Gesetzes durch Verwaltungsmassnahmen einem Einzelnen Enteignung nur zulässig zum Wohle der Allgemeinheit, z.B. Bau von Strassen, Schnellbahntrassen, Schulen. "zum Wohle der Allgemeinheit' durch die Gerichte nachprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff; daher z.B. als unzulässig aufgehoben Enteignung zugunsten eines Test- und Versuchsgeländes von Daimler-Benz. Ferner auch hier Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten, insbesondere ob Zweck der Enteignung nicht auf andere Weise zu erreichen, z.B. Vorhandensein oder Kaufmöglichkeit geeigneten Grundstücks für Schulbau an anderer Stelle Enteignung nur gegen Entschädigung. Art und Ausmass der Entschädigung bereits im Enteignungs-Gesetz zu regeln. Zur Höhe der Entschädigung und zum Rechtsweg Art. 14 Abs. 2 Satz 3 und 4 lesen! Anspruch auf Entschädigung auch bei enteignungsgleichem oder enteignendem Eingriff durch hoheitliches Handeln der Verwaltung. Enteignungsgleicher Eingriff bei rechtswidrigem Handeln der Verwaltung, z.B. sehr erheblicher Umsatzrückgang der Geschäfte in einer Strasse durch U-Bahn-Bau, der pflichtwidrig nicht mit der möglichen Schnelligkeit durchgeführt wird. Enteignender Eingriff ungewollte Nebenfolge eines nicht rechtswidrigen Handelns der Verwaltung, z.B. Abfressen der Saat auf Feldern durch Möwen und Krähen, die von Mülldeponie einer Gemeinde angelockt (BGH NJW 1980, 770). Entscheidendes Kriterium, ob durch den Eingriff in das Eigentum einem Einzelnen unzumutbares Sonderopfer auferlegt 48 dd) Sozialisierung Nach Art. 15 möglich auch Überführung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum durch Gesetz. Kein Verfassungsauftrag, sondern nur Raum für politische Entscheidung. Daher nicht wie bei Enteignung erforderlich „zum Wohle der Allgemeinheit“ aber stets nur gegen angemessene Entschädigung. Damit entscheidende Sperre C Die Wirtschaftsordnung des Grundgesetzes Wirtschaftsverfassung eines Staates die Gesamtheit der Rechtsnormen, die das Verhalten des Staates und der Bürger im Wirtschaftsleben regeln, sowie das tatsächliche Verhalten des Staates im Bereich der Wirtschaft, z.B. staatseigene Unternehmen, Subventionen Grundsatzentscheidung über die Wirtschaftsverfassung eines Staates oft schon in der Verfassung; so auch in Deutschland durch das GG Die beiden Extremformen einer Wirtschaftsordnung sind 1. Zentralverwaltungswirtschaft 2. Reine Marktwirtschaft Zentralverwaltungswirtschaft gekennzeichnet durch vollständige zentrale staatliche Planung aller Wirtschaftsvorgänge - Investitionen, Produktion, Dienstleistungen, Verteilung, Verbrauch. Mit Zentralverwaltungswirtschaft unvereinbar, weil sonst nicht funktionieren würde, Privateigentum an den Produktionsmitteln; Freiheit der Berufswahl und des Arbeitsplatzes; freie Gewerkschaften und Tarifautonomie; wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Bürger; Subsidiaritätsgrundsatz Reine Marktwirtschaft gekennzeichnet durch uneingeschränkte wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Bürger, also auch Freiheit, durch Kartelle und wirtschaftliche Macht die Handlungsfreiheit anderer zu beseitigen; keine staatlichen Eingriffe in den Marktprozess; uneingeschränktes Eigentumsrecht ohne Sozialbindung Diese beiden Extremformen einer Wirtschaftsordnung in der Praxis selten; in der Regel Mischformen. Reine Marktwirtschaft Mitte des 19. Jahrhunderts; Zentralverwaltungswirtschaft in Russland seit etwa 1921, im Ostblock und der DDR nach dem zweiten Weltkrieg; wegen des völligen Versagens dieser Wirtschaftsordnung jetzt aufgegeben GG lässt diese beiden Extremformen einer Wirtschaftsordnung nicht zu Einer Zentralverwaltungswirtschaft stehen entgegen die verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidung Rechtsstaat Art. 28 Abs. 1 (siehe oben II A 4), insbesondere aber die Grundrechte wirtschaftliche Handlungsfreiheit Art. 2, Koalitionsfreiheit Art. 9 Abs. 3, Berufsfreiheit Art. 12 und Schutz des Eigentums Art. 14 (siehe oben III B 2) Einer reinen Marktwirtschaft stehen entgegen die verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidung Sozialstaat Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 und damit die Pflicht der drei staatlichen Gewalten, sich ständig um die Verwirklichung dieses Staatszieles zu bemühen, insbesondere 1. die Sozialbindung der Grundrechte - Handlungsfreiheit Art. 2; Berufsfreiheit Art. 12; Eigentum Art. 14 - unter Ausnutzung des dort enthaltenen Gesetzesvorbehalts zu konkretisieren 2. Pflicht, durch Gesetze und andere Massnahmen für den Ausgleich sozialer Unterschiede, Hilfe für Bedürftige und gewisse Umverteilung von Vermögen und Einkommen zu sorgen und zu diesem Zweck notfalls auch in den Marktprozess einzugreifen Zwischen den wirtschaftlichen Freiheitsrechten der Bürger - insbesondere Art. 2, 12, 14 - und dem Gebot des Sozialstaates besteht ein Spannungsverhältnis. Das GG gibt den drei staatlichen Gewalten erheblichen Spielraum, entweder in Vollzug der wirtschaftlichen Freiheitsrechte der Bürger in der Wirtschaftsordnung stärker die Elemente der Marktwirtschaft zu betonen oder nicht nur Massnahmen zur Verwirklichung des Staatszieles Sozialstaat zu ergreifen, sondern auch Massnahmen der Wirtschaftsplanung und Wirtschaftslenkung Das GG schliesst nur die beiden Extremformen einer Wirtschaftsordnung aus, lässt aber eine recht weitgehende Entwicklung in der einen oder anderen Richtung zu. Mit dieser Einschränkung ist also das GG hinsichtlich der Wirtschaftsordnung als neutral anzusehen D. Staatsorgane; Gesetzgebung 1. Staatsorgane Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland sind als Legislative Bundestag und Bundesrat als Exekutive die Bundesregierung als Dritte Gewalt Rechtsprechung das Bundesverfassungsgericht und die oberen Bundesgerichte - Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesfinanzhof, Bundesarbeitsgericht, Bundessozialgericht sowie der Bundespräsident Nur einige Ausführungen zum Bundesverfassungsgericht: die anderen Organe hinreichend bekannt Rechtsquellen: Art. 93, 94 GG; Gesetz über das Bundesverfassungsgericht W.17. der Bek vom 3.2.1971 (BGBl. 1 S 105) mit Änderungen BGBl. 1974 I S. 469, 1976 1 S. 2485, 1979 I S.357 Zusammensetzung: 2 Senate zu je 8 Richtern, davon je 3 aus den oberen Bundesgerichten. Amtszeit: 12 Jahre; Wiederwahl jetzt ausgeschlossen. Grund: Kein möglicher Einfluss auf Entscheidung aus Rücksicht auf Wiederwahl Wahl: Je zur Hälfte vom Bundestag und Bundesrat. In Praxis Vorschlagsrecht der Parteien für die ihnen "zustehenden" Richterstellen bei Neubesetzung; Vorschlag wird befolgt, wenn in Vorgesprächen angemessene Qualifikation akzeptiert. Grund: Gleichbleibender ausgewogener Einfluss der Parteien auf Wahl unabhängig von den wechselnden Koalitionen im Bundestag und Mehrheiten im Bundesrat Wichtigste Aufgaben 1 . Entscheidung über Verfassungswidrigkeit von Parteien; Art. 21 Abs. 2 GG. Bisher für verfassungswidrig erklärt nur Soziale Reichspartei und KPD; deren Nachfolgeorganisation DKP geduldet, um ihre politische Bedeutungslosigkeit offenkundig werden zu lassen 2. sog. Organstreitigkeiten über Rechte und Pflichten oberster Bundesorgane oder Fraktionen des Bundestages; Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG 4. Entscheidungen über Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit GG oder Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht; Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG. Sog. abstrakte Normenkontrolle. Z.B. für unzulässig erklärt Gesetz über uneingeschränkte Fristenregelung bei Abtreibung (BVerfG 39,1) 4. Streitigkeiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder und andere öffentlich rechtliche Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern; Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 und 4 GG 5. Entscheidungen auf Antrag eines Gerichts, wenn es ein von ihm anzuwendendes Gesetz für verfassungswidrig hält; Art. 100 Abs. 1 GG. Sog. konkrete Normenkontrolle 6. Entscheidungen über Verfassungsbeschwerden der Bürger; Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG. Verfassungsbeschwerde kann von jedermann erhoben werden mit Behauptung, durch öffentliche Gewalt in seinen Grundrechten, Staatsbürgerrechten oder Rechten vor Gericht, insbes. Recht auf rechtliches Gehör verletzt worden zu sein. Zulässig aber erst nach Erschöpfung des Rechtsweges, wenn Rechtsweg möglich. Vorprüfungsausschuss aus 3 Richtern (Kammer) kann einstimmig Annahme der Verfassungsbeschwerde ablehnen, wenn unzulässig oder keine ausreichende Erfolgsaussicht hat; § 93b BVerfG Verfassungsbeschwerde auch möglich gegen Gesetze, wegen fehlenden Rechtsweges unmittelbar Frist: 1 Monat ab letzter Entscheidung im Rechtsweg, bei Gesetzen 1 Jahr ab Verkündung; § 93 BVerfG Ganz überwiegende Zahl der Fälle Verfassungsbeschwerden der Bürger; Erfolgsquote 3-5 %; danach Richtervorlagen im Wege konkreter Normenkontrolle. 50 2. Gesetzgebung Siehe das folgende Schaubild 51 Erläuterungen zum Schaubild Gesetzgebungsverfahren 1 . Vorlagen der Bundesregierung stets über Bundesrat. Recht des Bundesrates zur Stellungnahme innerhalb 6 Wochen; Art. 76 Abs. 2 Satz 1, 2 GG Wenn Vorlage ausnahmsweise als besonders eilbedürftig bezeichnet, bereits nach 3 Wochen an Bundestag; Stellungnahme des Bundesrates nachzureichen; Art. 76 Abs. 2 Satz 3 Besonders eilbedürftige Gesetzesvorlagen der Bundesregierung werden in der Praxis als Vorlagen aus der Mitte des Bundestages von einer Fraktion der Regierungskoalition eingebracht 2. Beratung im Bundestag in drei Lesungen. Regelmässig nach erster Lesung Überweisung an einen oder mehrere Ausschüsse zur eingehenden Beratung. Zweite Lesung aufgrund der Ausschussberichte und der in den Ausschüssen vorgenommenen Änderungen; Annahme dieser Änderungen und Beratung und Abstimmung über weitere Änderungsanträge. Dritte Lesung Annahme der Vorlage Fassung zweite Lesung en bloc 3. Im Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung mit; Art. 50 GG Für das weitere Verfahren zu unterscheiden einfache Gesetze und Zustimmungsgesetze. Zustimmungsgesetz, wenn ausdrücklich im GG vorgesehen oder wenn Interessen der Länder sachlich besonders berührt; Abgrenzung oft streitig Wenn Bundesrat mit Beschluss des Bundestages einverstanden, lässt er das Gesetz passieren, d.h. keine Anrufung des Vermittlungsausschusses oder ausdrückliche Zustimmung Wenn Bundesrat nicht einverstanden, binnen drei Wochen Anrufung des Vermittlungsausschusses aus gleicher Zahl von Mitgliedern des Bundestages und Bundesrates; Art. 77 Abs. 2 Satz 1 GG Wenn der Vermittlungsausschuss Änderung vorschlägt, hat Bundestag erneut Beschluss zu fassen; Art. 77 Abs. 2 Satz 5 GG 4. Bei der erneuten Beratung im Bundesrat entscheidend, ob einfaches Gesetz oder Zustimmungsgesetz, wenn der Bundesrat nicht einverstanden Wenn Zustimmungsgesetz, Gesetz gescheitert, wenn Bundesrat nicht zustimmt Bei einfachem Gesetz kann der Bundesrat gegen den erneuten Beschluss des Bundestages bzw. die Ablehnung von Änderungen durch den Vermittlungsausschuss binnen 2 Wochen Einspruch einlegen; Art. 77 Abs. 3 Satz 1 GG Wenn der Einspruch mit der Mehrheit der Stimmen des Bundesrates beschlossen, kann er durch den Bundestag mit einfacher Mehrheit zurückgewiesen werden; Art. 77 Abs. 4 Satz 1 GG Wenn Einspruch vom Bundesrat mit mindestens zwei Drittel-Mehrheit beschlossen, Zurückweisung nur mit zwei Drittel-Mehrheit des Bundestages; Art. 77 Abs. 4 Satz 2 GG Rechtsverordnungen Wegen der Vielzahl regelungsbedürftiger Tatbestände insbesondere Regelung von Einzelheiten durch die Gesetze weder möglich noch sinnvoll. Daher als Ergänzung Möglichkeit von Rechtsverordnungen, die von der Exekutive zu erlassen sind. Rechtsverordnungen aber sachlich Rechtssetzung durch die Exekutive oft mit Eingriff in Bereich der Bürger. Daher erforderlich Ermächtigung der Exekutive durch ein Gesetz, das Inhalt, Zweck und Ausmass der Ermächtigung bestimmt; Art. 80 Abs. 1 GG 52 III. Das Verwaltungsrecht der, Bundesrepublik Deutschland A. Begriff und Arten der Verwaltung 1. Begriff Verwaltung (Exekutive) neben Gesetzgebung und Rechtsprechung eine der drei staatlichen Gewalten Über Begriff der Verwaltung im Schrifttum keine Einigkeit; Nutzen einer allgemein gültigen Definition zweifelhaft Ausreichend: Tätigkeit des Staates zur Erfüllung seiner Zwecke Besser als Versuch einer Definition nur Abgrenzung zu den beiden anderen Gewalten und einige Bemerkungen zu den Eigenarten der Aufgaben und Tätigkeit der Verwaltung Unterschied zur Gesetzgebung offensichtlich. Verwaltung kann nicht Normen schaffen (Ausnahme: Rechtsverordnungen, gewisse Verwaltungsvorschriften mit Aussenwirkung; siehe unten B 1.1), sondern nur im Rahmen der Gesetze handeln, allerdings oft mit weitem Ermessensspielraum Unterschied zur Justiz: Richter wird nur im Einzelfall auf Antrag tätig, entscheidet als unbeteiligter neutraler Dritter Streit der Parteien durch Anwendung des Gesetzes; Aufgabe gerechte Entscheidung des Einzelfalles, grundsätzlich nur e i n e dem Gesetz entsprechende Entscheidung, die bei Generalklauseln oder sich widersprechenden Grundrechten durch zutreffende Abwägung zu finden ist. Tatsächlich erheblicher Spielraum für letztinstanzlichen Richter Eigenarten der Verwaltung 1 . Nicht unbeteiligter neutraler Dritter wie Justiz, sondern stets selbstbeteiligt entscheidend und gestaltend 2. Zwar fremdbestimmt, wegen Grundsatzes der Gesetzmässigkeit der Verwaltung nur Handeln im Rahmen der Gesetze und unter richterlicher Kontrolle, aber oft mit erheblichem Ermessensspielraum, d.h. innerhalb des gesetzlichen Rahmens mehrere "richtige" Entscheidungen möglich und zulässig. Solches Ermessen wird der Verwaltung im Gesetz oft ausdrücklich eingeräumt Daher wichtig zu unterscheiden unbestimmte Rechtsbegriffe - Ermessen Bei unbestimmten Rechtsbegriffen nur eine zutreffende Entscheidung möglich; Entscheidung von den Verwaltungsgerichten in vollem Umfange nachprüfbar Bei Ermessen mehrere zutreffende Entscheidungen möglich; Nachprüfung durch Verwaltungsgerichte nur auf Ermessensmissbrauch Gegenwärtig Tendenz zum unbestimmten Rechtsbegriff zwecks stärkeren Rechtschutzes der Bürger; damit aber Verlust an Flexibilität und Bereitschaft zu schneller Entscheidung für Verwaltung Beispiel § 14 Preussisches Polizeiverwaltungsgesetz: "Aufgabe der Polizei, die nach pflichtgemässem Ermessen notwendigen Massnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder den einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird" Störung der öffentlichen Ordnung unbestimmter Rechtsbegriff, aber für Abwehr Ermessensspielraum unter Beachtung der Verhältnismässigkeit. Ermessen sowohl bei Frage, ob überhaupt Einschreiten als auch bei Auswahl unter den Mitteln zur Beseitigung der Störung Unter Ausnutzung des Ermessens, ob einzuschreiten, in den Jahren 1967 ff. bei Aktionen der Studenten oft Kapitulation des Rechtsstaates unter Berufung auf die Zauberformel Verhältnismässigkeit der Mittel 3. Verwaltung entscheidet zwar teilweise auch wie Justiz Einzelfälle, aber als Beteiligter und Interessenwahrer der Allgemeinheit; überwiegend Verwaltung aber tätig als allgemeine 53 Vorsorge gegen mögliche Gefahren oder Notlagen, als gestaltende Planung für die Zukunft oder zur Sicherung und Verbesserung der Lebensbedingungen der Bürger 2. Arten der Verwaltung Erheblicher Wandel der Aufgaben des Staates Im Staat eines absoluten Herrschers wie Ludwig XIV. von Frankreich oder im Wohlfahrtsstaat eines aufgeklärten Herrschers wie Friedrich der Grosse Aufgabe der Verwaltung, den Willen des Herrschers durchzusetzen und ihm die gewünschten Finanzierungsmittel zu verschaffen Im liberalen Staat ab Mitte des 19. Jahrhunderts wird wichtige Aufgabe neben der fiskalischen Verwaltung der Schutz von Leben, Eigentum und Handlungsfreiheit der Bürger, die Abwehr der diesen Rechtsgütern drohenden Gefahren, also Eingriffsverwaltung zur Gefahrenabwehr und Sicherung eines geordneten Zusammenlebens ("Nachtwächterstaat") Seit Ende des 19. Jahrhunderts ständig zunehmende Aufgabe der Verwaltung nicht nur Gefahrenabwehr, sondern die für die Bürger lebensnotwendigen Leistungen (Gas, Wasser, Elektrizität, Verkehrsmittel, Krankenhäuser) sowie die von ihnen gewünschten Leistungen wie Schulen, Theater, Sportstätten anzubieten. Ferner Wandel von der nach Ermessen gewährten Armenfürsorge zum Rechtsanspruch gegen den Staat auf Sicherung gegen Lebensrisiken wie Alter, Krankheit, Mittellosigkeit aufgrund des Staatszieles Sozialstaat Aufgabe der Verwaltung wird die Daseinsvorsorge für die Bürger. Die Bürger nicht mehr nur Objekt des Eingriffs der Verwaltung zur Gefahrenabwehr, sondern haben Ihrerseits Ansprüche gegen die Verwaltung. Tendenz zum umfassenden Versorgungsstaat ohne Eigenverantwortung ("Vollkaskomentalität") Aus diesen unterschiedlichen Aufgaben folgen Unterschiede in der rechtlichen Bindung der Verwaltung. Soweit die Verwaltung nur in den Bereich der Bürger zum Erreichen ihrer Ziele eingreift, gelten die Grundsätze der Gesetzmässigkeit der Verwaltung, Subsidiarität und Verhältnismässigkeit. Wenn die Verwaltung aber Leistungen im Rahmen der Daseinsvorsorge erbringt, unterliegt die Verwaltung zusätzlich der Pflicht zur Gleichbehandlung, auch wenn diese Leistungen nicht hoheitlich, sondern privatrechtlich erbracht werden Mit den erweiterten Aufgaben des Staates auch neue Bereiche der Eingriffsverwaltung, u.a. Raumordnung, Umweltschutz, Beschränkungen der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit durch das Wirtschaftsrecht, u.a. Aussenwirtschaftsrecht, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (beschränkende Wirtschaftsverwaltung) Daher als Arten der Verwaltung heute üblich zu unterscheiden 1. Eingriffsverwaltung a) zur Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum der Bürger, zur Sicherung eines geordneten Zusammenlebens oder aufgrund Wirtschaftsrechts b) zur Deckung des Finanzbedarfs mittels Steuern und Abgaben 2. Leistende Verwaltung a) Vorsorgeverwaltung - Versorgungsunternehmen, Verkehrsmittel, Ausbildungsstätten etc. b) Sozialverwaltung c) fördernde Verwaltung - Subventionen für die Wirtschaft 3. Fiskalverwaltung Teilnahme des Staates am Wirtschaftsleben mit Gewinnabsicht - Lufthansa 54 Weitere Unterscheidung nach der Rechtsform 1. Hoheitliche Verwaltung So stets die Eingriffsverwaltung. Leistende Verwaltung möglich als Hoheitsverwaltung - so bis 1990 die Bundespost, als Mischform z.B. die Krankenversicherung - Aufbringen der Mittel hoheitlich, Leistungen privatrechtlich oder rein privatrechtlich - Bundesbahn, jetzt Bundespost 2. Privatrechtliche Verwaltung So stets die Fiskalverwaltung; teilweise die Leistungsverwaltung Unterschied wichtig für mögliche Handlungsformen der Verwaltung, ihren Handlungsspielraum, die Möglichkeiten zwangsweiser Durchsetzung und den Rechtsschutz der Bürger B. Handlungsformen der Verwaltung 1. Übersicht Mögliche Handlungsformen der Verwaltung 1. Verordnung Zu unterscheiden Rechtsverordnungen - Verwaltungsverordnungen Rechtsverordnung abstrakte allgemeine Regelung von Sachverhalten mit Aussenwirkung; für Bürger verbindlich. Wegen Gewaltenteilung und Grundsatzes der Gesetzmässigkeit der Verwaltung nur aufgrund einer Ermächtigung durch Gesetz, das Inhalt, Zweck und Ausmass der Ermächtigung bestimmt; Art. 80 Abs. 1 GG Verwaltungsverordnung/Verwaltungsvorschrift/Runderlass allgemeine Regelungen oder Weisungen der übergeordneten an die nachgeordnete Behörde aufgrund ihrer Weisungsbefugnis; an sich nur innerdienstliche Wirkung, aber zusätzlich Aussenwirkung, wenn damit das künftige Aussenhandeln der Behörde beeinflusst wird, z.B. Rundschreiben des Bundesfinanzministers an die Finanzämter 2. Satzung Regelung einer eigenständigen Körperschaft wie Gemeinde, Universität zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten. Erforderlich staatliche Ermächtigung durch Rechtsakt, in der Regel Gesetz. Für Mitglieder, u.U. auch Dritte verbindlich 3. Planung Plan je nach Gegenstand Gesetz, Verordnung oder Verwaltungsakt z.B. Raum- oder Bauplanung, Haushaltsplan 4. Verwaltungsakt Besonders häufige Handlungsform der Verwaltung. Dazu unten 5. Öffentlichrechtlicher oder privatrechtlicher Vertrag Unterscheidung danach, ob einer oder beide Vertragspartner in Ausübung hoheitlicher Gewalt über einen dieser Entscheidungsgewalt unterliegenden Sachverhalt eine Vereinbarung treffen oder auf gleicher Ebene mit dem Vertragspartner eine Vereinbarung über einen Sachverhalt des Privatrechts. Öffentlichrechtliche Verträge z.B. Ausnahme von Pflicht, Kfz.-Stellplätze zu schaffen, gegen Ablösesumme; keine Untersagung eines Zusammenschlusses durch Kartellbehörde gegen Zusage, bestimmte Beteiligung zu verkaufen 6. Tatsächliches Handeln (Realakt) Z.B. Bau einer Strasse; Ortsbesichtigung; Auskünfte ohne Bindungswirkung - schlichtes Verwaltungshandeln 55 2. Der Verwaltungsakt a) Begriff und Arten Begriff Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Massnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach aussen gerichtet (§ 35 Abs. 1 Satz 1 VwVfG). Entscheidende Kriterien 1. Ausübung hoheitlicher Gewalt, Gegensatz privatrechtliches Handeln, z.B. Kauf von Bürobedarf 2. Regelung eines Einzelfalles. Gegensatz VO als von konkretem Sachverhalt gelöste abstrakte Regelung, Rechtsnorm Verwaltungsakt auch die sog. Allgemeinverfügung (§ 35 Abs. 1 Satz 2 VwVfG), die aus Anlass eins konkreten Sachverhalts an bestimmte oder bestimmbare Zahl von Personen gerichtet, z.B. Aufforderung an Teilnehmer einer Demonstration, die Strasse zu räumen 3. auf Rechtswirkung nach aussen gerichtet. Gegensatz z.B. Geburtstagsglückwunsch des Bürgermeisters; Auskunft ohne Bindungswirkung Arten der Verwaltungsakte 1. Unterscheidung nach dem Inhalt Befehlende Akte, z.B. Anordnung eines Polizeibeamten; gestaltende Akte, z.B. Einbürgerung, Schankerlaubnis, Steuerbescheid; feststellende Akte, z.B. Anerkennung als Asylberechtigter, Wohngeldbescheid. Reine Beschreibung; rechtssystematisch nicht nützlich 2. Unterscheidung nach der Wirkung auf die Rechtssphäre des Bürgers Begünstigende Verwaltungsakte - belastende Verwaltungsakte Begünstigende Verwaltungsakte hoheitliche Massnahmen, die ein Recht oder rechtlich erheblichen Vorteil begründen oder bestätigen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG); Erweiterung der Rechtssphäre des Bürgers z.B. Ernennung zum Beamten; Bauerlaubnis Belastende Verwaltungsakte; Einschränkung der Rechtssphäre des Bürgers durch Verlangen eines Tuns, Duldens, Unterlassens, Beschränkung oder Entziehung von Rechten, Ablehnung einer beantragten Erlaubnis Unterscheidung wichtig, weil a) für belastende Verwaltungsakte, da Eingriff in Rechtssphäre des Bürgers, regelmässig nötig entsprechende gesetzliche Ermächtigung einschl. Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit der Mittel, enge Bindung der Verwaltung an das Recht. Zwar auch für begünstigende Verwaltungsakte erforderlich rechtliche Grundlage, aber Verwaltung wesentlich freier, b) andere Klageformen Gegen belastende Verwaltungsakte Anfechtungsklage; bei Ablehnung begünstigender Verwaltungsakte Verpflichtungsklage c) unterschiedliche Möglichkeiten der Rücknahme bzw. des Widerrufs 3. Unterscheidung nach dem Handlungsspielraum der Verwaltung a) Gebundene Verwaltungsakte Behörde muss bei Vorliegen bestimmter Tatsachen Verwaltungsakt mit bestimmtem Inhalt erlassen, z.B. Gewährung von Wohngeld bei entsprechendem Einkommen und Miete; Steuerbescheid. Verwaltung hat weder für Tätig-Werden noch für Rechtsfolgen Handlungsspielraum; Bürger hat oft subjektives öffentliches Recht 56 b) Ermessensakte Verwaltung durch Rechtsnorm zum Handeln ermächtigt, aber nicht verpflichtet und hat auch Handlungsspielraum hinsichtlich der Rechtsfolgen. Im Gesetz "kann", "darf", soll", "nach pflichtgemässem Ermessen" U.U. im Gesetz zusätzliche Angabe der Kriterien oder Tatsachen, die bei Ausübung des Ermessens zu berücksichtigen, z.B. bei Einstellung Vorzug bestimmter Bewerber bei gleicher Eignung; sog. gebundenes Ermessen Behörde aber auch bei freiem Ermessen nicht absolut frei. Zu beachten Grundsätze der Gleichbehandlung, Verhältnismässigkeit, Willkürverbot (keine sachfremden Erwägungen, absolut fehlerhafte Abwägung der Interessen); sonst Ermessensmissbrauch Sinn eines solchen Ermessensspielraumes der Verwaltung Flexibilität und Bereitschaft zu schnellen Entscheidungen, Übernahme von Verantwortung. Daher Ermessensakte grösster Bereich Unterscheidung zwischen gebundenen Verwaltungsakten und Ermessensakten wichtig für Umfang der Nachprüfung durch die Gerichte Bei gebundenen Verwaltungsakten volle Nachprüfung auf Rechtmässigkeit Bei Ermessensakten Nachprüfung nur darauf, ob der durch die Rechtsvorschriften gewährte Handlungsspielraum überschritten - Ermessensüberschreitung - oder ob vom eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 114 VwG0) - Ermessensmissbrauch. Anderenfalls muss das Gericht die Entscheidung der Verwaltung hinnehmen, darf nicht sein Ermessen anstelle des Ermessens der Verwaltung setzen. Oft streitig, ob noch zulässiges Ermessen oder bereits Ermessensmissbrauch, z.B. bei Nichteinschreiten gegen offensichtliche erhebliche Rechtsverstösse unter Berufung auf Verhältnismässigkeit der Mittel Unbestimmter Rechtsbegriff – Ermessen Insoweit handelt es sich um eine andere Rechtsfrage. Unabhängig davon, ob die Verwaltung zum Handeln verpflichtet oder nur ermächtigt, aber nicht verpflichtet ist und insoweit einen Handlungsspielraum hat, muss sie stets den Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung beachten, das Handeln oder Nichthandeln muss den für den Sachverhalt geltenden Rechtsvorschriften entsprechen Wegen des Handlungsspielraums der Verwaltung und des Umfangs der Nachprüfung durch die Gerichte besonders wichtig, ob das Handeln oder Nichthandeln der Verwaltung auf einem unbestimmten Rechtsbegriff oder auf Ermessen beruht. Unbestimmte Rechtsbegriffe z.B. öffentliche Ordnung, förderungswürdig i. S. des Steuerrechte, Wohl der Allgemeinheit i. S. Art. 14 Abs. 3 GG gewähren der Verwaltung keinen Handlungsspielraum. Die Verwaltung muss handeln, wenn der Sachverhalt des unbestimmten Rechtsbegriffs erfüllt ist, z.B. die Polizei bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Es gibt nur eine richtige Entscheidung darüber, ob der unbestimmte Rechtsbegriff erfüllt ist; oft erfordert sie eine Abwägung gegensätzlicher Interessen. Diese Entscheidung unterliegt der unbeschränkten Nachprüfung durch die Gerichte Aber auch wenn der Sachverhalt des unbestimmten Rechtsbegriffs vorliegt, ist oft im Gesetz der Verwaltung ein Ermessensspielraum hinsichtlich der zu ergreifenden Massnahmen eingeräumt. Der Gebrauch dieses Ermessens unterliegt nur einer beschränkten Nachprüfung durch die Gerichte b) Der fehlerhafte Verwaltungsakt Fehlerhafte Verwaltungsakte in der Regel trotzdem zunächst wirksam, müssen durch Anfechtung beseitigt werden Grund: Funktionsfähigkeit der Verwaltung; ganz überwiegende Zahl der Verwaltungsakte rechtmässig; für Bürger aus vorläufiger Wirksamkeit keine unzumutbaren Nachteile Ausnahme: Nichtigkeit bei besonders schweren Mängeln. Solche Mängel offensichtliche Unzuständigkeit, Verletzung zwingender Formvorschriften; schwere Verfahrensfehler; Inhaltsfehler, die Vollzug des Verwaltungsaktes unter allen Umständen rechtlich unmöglich machen, z.B. Unmöglichkeit der Ausführung, Verstoss gegen zwingende gesetzliche Verbote (Einzelheiten § 44 VwVfG) 57 In allen anderen Fällen Verwaltungsakt zunächst wirksam, nur anfechtbar Anfechtung durch Widerspruch an erlassende Behörde, bei Ablehnung Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht Grund für Vorverfahren: Behörde soll Gelegenheit haben, mögliche Fehler zu berichtigen Anders als Urteil eines Gerichts, das nur durch Rechtsmittel der Parteien zu ändern, aber nicht durch Gericht selbst, Änderung eines Verwaltungsaktes auch durch betreffende Behörde möglich. Urteile erwachsen in Rechtskraft, Verwaltungsakte nur in Bestandskraft. Gründe: a) Verwaltungsakte ergehen nicht in einem förmlichen Verfahren, daher eher möglich, dass unrichtig b) Verwaltungsakte haben oft Dauerwirkung, aber Verhältnisse ändern sich; Anpassung an veränderte Verhältnisse nötig Änderung eines Verwaltungsaktes möglich a) durch Rücknahme Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes (§ 48 VwVfG) b) durch Widerruf ; Aufhebung eines rechtmässigen Verwaltungsaktes (§ 49 VwVfG) Durch Änderung eines Verwaltungsaktes u.U. erhebliche Nachteile für Bürger, die auf Fortbestand des Verwaltungsaktes vertraut haben. Wegen dieses Vertrauensschutzes Unterschiede, ob Änderung begünstigender oder belastender Verwaltungsakte Rücknahme = Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte a) BeIastende Verwaltungsakte Damit Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes. Daher Rücknahme auch unanfechtbar gewordener Verwaltungsakte möglich. Nur Vorteil für Bürger; keine Kollision mit Vertrauensschutz b) Begünstigende Verwaltungsakte Kollision mit Vertrauensschutz. Einschränkung der Rücknahme aus Gebot des Vertrauensschutzes; Einzelheiten § 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 - 4 VwVfG Widerruf = Rücknahme rechtmässiger Verwaltungsakte a) Belastender Verwaltungsakt Widerruf nur mit Wirkung für Zukunft möglich; keine Kollision mit Vertrauensschutz b) Begünstigender Verwaltungsakt Hier Vertrauen der Bürger besonders schutzwürdig; Rücknahme nur aus den in § 49 Abs. 2 VwVfG abschliessend aufgezählten Gründen und nur innerhalb eines Jahres Fünfter Abschnitt: Privatrecht I Bereich Üblich Aufteilung der Rechtsnormen in Öffentliches Recht und Privatrecht/Zivilrecht siehe oben Zweiter Abschnitt III A Das Privatrecht regelt die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander sowohl im privaten Bereich als auch als Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr. Regelungsbedürftig ist daher eine Vielzahl möglicher Rechtsbeziehungen, die durch neue technische Entwicklungen noch ständig wächst. Als Folge entwickeln sich ständig neue Teilgebiete des Privatrechts z.B. Medienrecht. Eine vollständige Aufzählung dieser Teilgebiete ist weder möglich noch sinnvoll. Als wichtigste grosse Bereiche des Privatrechts sind zu nennen das Bürgerliche Recht das Handels- und Gesellschaftsrecht das Arbeitsrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 58 Als Teilbereiche haben sich u.a. entwickelt das Wertpapierrecht, das Bank- und Börsenrecht, das Versicherungsrecht, das Verkehrsrecht, gegenwärtig das Medienrecht II. Bürgerliches Recht (BGB) A. Einführung Die gemeinsame Basis aller unter I. genannten Rechtsgebiete ist das Bürgerliche Recht niedergelegt im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) mit seinen fünf Büchern. Im Zweiten Buch Allgemeines und Besonderes Schuldrecht und im Dritten Buch Sachenrecht werden die Rechtsbeziehungen der natürlichen und juristischen Personen im Rahmen einer arbeitsteiligen Wirtschaft mit Privateigentum an den Produktionsmitteln geregelt, im Vierten und Fünften Buch das Familienrecht und das Erbrecht, vorab im Ersten Buch Allgemeiner Teil für das Privatrecht wesentliche allgemeine Rechtsinstitute und Fragen Das BGB ist entstanden 19. Jahrhunderts, also auf der Höhe des Liberalismus. Das wird besonders deutlich in § 903 Satz 1 “Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschliessen”. Das BGB geht aus von Vertragsparteien gleicher Stärke – so besonders deutlich in den Vorschriften über den Dienstvertrag § 611 ff. –, die ohne Einmischung des Staates ihre Rechtsbeziehungen innerhalb der weiten Grenzen gesetzlicher Verbote (§ 134) und der guten Sitten (§ 138) am zweckmässigsten selbst gestalten, beruht also auf der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit Diese klassische Kodifikation hat sich seit dem 1.1.1900 zur Regelung auch vieler damals unbekannter Rechtsbeziehungen und schwerer wirtschaftlicher Erschütterungen wie Inflation nach dem Ersten Weltkrieg und Zusammenbruch Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg bewährt. Dieser Erfolg beruht auf der Rechtstechnik von Rechtsnormen mit einem sehr hohen Abstraktionsgrad, die so eine Vielzahl von Sachverhalten erfassen, und der Verwendung von Generalklauseln wie gute Sitten, Treu und Glauben, wichtiger Grund, die eine elastische Anpassung an sich ändernde gesellschaftliche Vorstellungen und wirtschaftliche Bedingungen ermöglichen. Wesentliche Änderungen waren aufgrund veränderter gesellschaftlicher Vorstellungen nur im Familienrecht – Gleichberechtigung der Frau; Scheidung der Ehe – sowie im Familien- und Erbrecht zugunsten nichtehelicher Kinder erforderlich. Durch die jetzt beabsichtigte Reform sollen die Vorschriften des BGB nur vereinfacht, von der Rechtsprechung entwickelte Grundsätze und Nebengesetze eingearbeitet und an Vorgaben des EG-Rechts angepasst werden. B. Entstehung und Nutzen der Rechtsbegriffe des BGB Aufgabe der Rechtswissenschaft ist es, die Vielzahl der vom Gesetzgeber geschaffenen Rechtsnormen systematisch zu ordnen, den Gesetzgeber beim Schaffen neuer Normen zu unterstützen, Gesetzgebung und Rechtsprechung kritisch zu begleiten und das geltende Recht darzustellen und zu lehren Diese Aufgaben erfordern die Entwicklung von Rechtsbegriffen und die Einordnung der Rechtsbegriffe und Normen in ein umfassenden Ordnungssystem. Begriffe und Ordnungssystem dürfen aber dabei nicht zum Selbstzweck werden, sondern sind stets darauf zu prüfen, ob sie zur Erfüllung dieser Aufgaben erforderlich und dienlich sind Der sehr hohe Abstraktionsgrad der Rechtsbegriffe und Vorschriften insbesondere des Allgemeinen Teils des BGB und der ersten sechs Abschnitte des Rechts der Schuldverhältnisse, des Allgemeinen Schuldrechts, sind das Ergebnis von mehr als 2.000 Jahren Rechtswissenschaft In der Frühzeit lebten die Menschen in kleinen Gruppen, die sich selbst versorgten. Daher nur Rechtsbeziehungen in geringem Umfange und relativ seltene leicht zu entscheidende Rechtskonflikte. Diese Konflikte wurden vom Gruppenältesten oder Priester zunächst als reine Einzelfälle entschieden. Im Laufe der Spruchpraxis wurden die gemeinsamen Elemente der zu ent- 59 scheidenden Einzelfälle erkannt und zu Regeln für Gruppen von Einzelfällen entwickelt. Mit dem Grösser-Werden der menschlichen Gemeinschaften und dem Beginn einer Arbeitsteilung, dem Übergang von der autarken Versorgung zur Deckung des eigenen Bedarfs durch Rechtsgeschäfte mit Dritten, wuchs die Zahl der Rechtsbeziehungen und der Rechtskonflikte. Es entwickelte sich eine Rechtswissenschaft, die die vorhandenen Normen und die Spruchpraxis systematisch ordnete, die gemeinsamen Elemente der Fallgruppen und Normen herausarbeitete und so Rechtsbegriffe und neue allgemeinere Normen entwickelte. Die Rechtsbegriffe und Normen des BGB mit ihrem ausserordentlichen hohen Abstraktionsgrad sind in diesem langen Prozess des „Vor die Klammer Ziehens" der gemeinsamen Elemente der vielfältigen Rechtsbeziehungen und Rechtskonflikte entstanden Auf diese Weise ist es möglich, eine Vielzahl von Rechtsbeziehungen und Rechtskonflikten rechtstechnisch mit nur wenigen Normen zu erfassen und auch neue vom Gesetzgeber nicht vorhergesehene Sachverhalte wie z.B. die vielfältigen Formen der Telekommunikation oder schwerste Erschütterungen wie die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg und den Zusammenbruch nach dem Zweiten Weltkrieg rechtlich zu bewältigen. Zugleich wird damit die an jede Rechtsordnung gestellte Forderung der Gerechtigkeit erfüllt, nämlich gleiche Sachverhalte gleich zu entscheiden Besonders wichtig Bitte sich daher stets an Entstehung und Funktion der abstrakten Rechtsbegriffe und Normen des BGB erinnern und bereit sein, sie als ein notwendiges Instrumentarium zu lernen, mit dem für alle Rechtsbeziehungen und Rechtskonflikte eine zweckmässige und gerechte Regelung bzw. Entscheidung zu erreichen ist. Es handelt sich bildlich gesprochen um einen Konzertflügel allerhöchster Qualität Bitte bedenken Sie stets, dass die Rechtsnormen - jedenfalls in den klassischen Gesetzen, manche neue Gesetze sind nur geronnene Ideologie - die Aufgabe haben, einen bestimmten Interessenkonflikt gerecht und zweckmässig zu entscheiden. Deshalb sollten Sie die Rechtsnormen nicht mechanisch lernen, sondern stets überlegen, welche Interessen sich hier gegenüberstehen und aus welchen Gründen der Gesetzgeber diesen Interessenkonflikt so entschieden hat. Unser Zivilrecht will das möglichst reibungslose Funktionieren einer arbeitsteiligen Wirtschaft mit Privateigentum an den Produktionsmitteln ermöglichen Zu einigen übergreifenden Rechtsgedanken siehe unten III C. Einige Strukturelemente des BGB 1. Normarten Anspruchsnormen, z.B. § 280, § 985; a.F. § 286 Abs. 1; a. F. § 326 Abs. 1 Gegennormen, z.B. § 986 Abs. 1 Satz 1; Gegennorm zu § 985 Zum Ausfüllen der in diesen Normen verwendeten Tatbestandselemente zahlreiche weitere Normen Grundnormen, z.B. § 286; a. F. § 284 Ergänzungsnormen, z.B. § 276, § 287 Definitionsnormen, z.B. § 91 Folgerung aus dieser Gesetzestechnik: stets einige Paragraphen weiterlesen! Sonderart der Normen Generalklauseln, z.B. § 138, § 826. Zu Nutzen und Gefahren der Generalklauseln siehe Zweiter Abschnitt VI 2. Arten der Rechte a) Relative/absolute Rechte Unterscheidung nach dem Personenkreis, gegen den das Recht geltend gemacht werden kann 60 Absolute Rechte sind Rechte, die sich gegen jedermann richten, z.B. Eigentum, Besitz; für den Eigentümer §§ 985, 1004 Abs. 1; für den Besitzer §§ 859, 861, 862 Relative Rechte sind Rechte, die sich innerhalb eines bestimmten Rechtsverhältnisses gegen einzelne Personen richten. Sie begründen Rechte und Pflichten nur innerhalb dieses Rechtsverhältnisses für die Beteiligten - sie heissen Gläubiger und Schuldner - und können nur von den Beteiligten verletzt werden. Dritte müssen diese relativen Rechte nicht achten, dem Gläubiger steht gegen Eingriffe Dritter in seine relativen Rechte kein Abwehr- und Schadensersatzanspruch zu. Wenn z.B. der Verkäufer das verkaufte Auto an einen Dritten veräussert, der ihm einen höheren Preis geboten hat, kann der Käufer nicht gegen den Dritten vorgehen, sondern nur von seinem Vertragspartner Schadensersatz verlangen. Grund: Relative Rechte für Dritten nicht erkennbar, Schadensersatzpflicht für Dritten unzumutbares Risiko Der Kreis der absoluten Rechte ist durch das BGB begrenzt und durch die Rechtsprechung nur durch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als "sonstiges Recht" i. S. von § 823 Abs. 1 erweitert worden. Die Einzelnen können nicht durch Rechtsgeschäft weitere absolute Rechte schaffen. Grund: Wegen ihrer Wirkung gegen jedermann schränken die absoluten Rechte die Handlungsfreiheit aller anderen ein. Die absoluten Rechte müssen daher in ihrer Zahl begrenzt und wegen der Gefahr von Schadensersatzansprüchen bei Verletzung soweit wie möglich auch erkennbar sein, z.B. durch Besitz. Deshalb hat die Rechtsprechung auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht als umfassendes absolutes Recht abgelehnt und gewährt nur einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens in Geld bei besonders schwerwiegenden Eingriffen Nach den Befugnissen, die sie dem Berechtigten gewähren, werden unterschieden b) Schuldrechtliche Rechte/dingliche Rechte Schuldrechtliche Rechte ergeben sich aus Schuldverhältnissen, z.B. Anspruch des Verkäufers auf Zahlung des Kaufpreises gegen den Käufer § 433 Abs. 2 Dingliche Rechte beziehen sich als Herrschaftsrechte auf Sachen, z.B. Eigentum § 903, Besitz § 859 Schuldrechtliche Rechte sind relative Rechte; dingliche Rechte absolute Rechte c) Gestaltungsrechte Gestaltungsrechte geben dem Rechtsinhaber die Macht, einseitig auf eine bestehende Rechtslage einzuwirken. Durch die Ausübung eines Gestaltungsrechts kann ein Rechtsverhältnis unmittelbar aufgehoben oder inhaltlich verändert werden, z.B. Anfechtung §§ 119, 123, Rücktritt § 346; Wandelung a. F. § 462 d) Leistungsverweigerungsrechte Leistungsverweigerungsrechte geben dem Berechtigten das Recht, die geschuldete Leistung ständig oder zeitweise zu verweigern, z.B. §§ 222, 273, 320 3. Verpflichtungsgeschäfte/Verfügungsgeschäfte Unterscheidung wichtig für das das BGB beherrschende Abstraktionsprinzip Verpflichtungsgeschäfte/Obligatorische Geschäfte = Rechtsgeschäfte, durch die die Verpflichtung zu einer Leistung begründet wird, z.B. Kaufvertrag. Durch Verpflichtungsgeschäfte werden relative Rechte/schuldrechtliche Rechte begründet Verfügungsgeschäfte = Rechtsgeschäfte, durch die ein Recht unmittelbar übertragen, belastet, geändert oder aufgegeben wird, z.B. Einigung über den Übergang des Eigentums § 929. 61 Verfügungsgeschäfte führen zu einer Veränderung der absoluten Rechte der Beteiligten. Sie dienen regelmässig der Erfüllung eines vorangegangenen Verpflichtungsgeschäfts 4. Abstraktionsprinzip Das BGB unterscheidet entsprechend dem römischen Recht scharf zwischen kausalen Geschäften und abstrakten Geschäften Kausale Geschäfte sind solche Rechtsgeschäfte, zu deren Inhalt der Rechtsgrund (causa) der Vermögensverschiebung gehört, z.B. Kauf, Miete, Schenkung Abstrakte Geschäfte sind solche Rechtsgeschäfte, die vom Rechtsgrund der Vermögensverschiebung losgelöst sind; der Rechtsgrund gehört nicht zum Inhalt des Geschäftes und ist nicht notwendiges Tatbestandsmerkmal für seine Wirksamkeit, z.B. Einigung über den Übergang des Eigentums § 929. Auch abstrakte Geschäfte werden regelmässig nicht ohne Rechtsgrund vorgenommen; er ist nur nicht Inhalt des abstrakten Geschäfts. Der Rechtsgrund für das abstrakte Geschäft liegt in dem ihm zugrunde liegenden Kausalgeschäft, z.B. für die Übereignung in der Regel ein Kaufvertrag Kausale Rechtsgeschäfte sind fast alle Verpflichtungsgeschäfte (ausgenommen Verpflichtungen aus Wechsel und Scheck zur Erhöhung der Umlauffähigkeit, konstitutives Schuldversprechen und Schuldanerkenntnis §§ 780, 781) Abstrakte Rechtsgeschäfte sind alle Verfügungsgeschäfte sowie die genannten Verpflichtungsgeschäfte Grund der Trennung: Etwaige Rechtsmängel des Verpflichtungsgeschäfts sollen nicht auf die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts durchschlagen im Interesse der Rechtssicherheit und Klarheit der dinglichen Rechtslage, z.B. bei Anfechtung des Kauvertrages wegen Erklärungsirrtums § 119 Abs. 1 bleibt die Übereignung der Sache wirksam; Ausgleich über § 812 Zusammenfassung Betrachtung der Rechte unter den sich überschneidenden und teilweise sich deckenden Aspekten Wirkung gegenüber anderen Rechtsgenossen; Vertragsfreiheit; Inhalt des Rechts; Art der Entstehung; Abstraktionsprinzip Relative Rechte wirken nur gegenüber den Vertragspartnern; können daher in den Grenzen der Vertragsfreiheit mit beliebigem Inhalt geschaffen werden; begründen schuldrechtliche (obligatorische) Rechte; entstehen durch Verpflichtungsgeschäfte, sind kausale Rechtsgeschäfte (ausser Wechsel und Scheck, Schuldversprechen, Schuldanerkenntnis) Absolute Rechte wirken gegen jedermann; können daher nur mit dem durch Gesetz und Rechtsprechung vorgesehen Inhalt geschaffen werden; begründen dingliche Rechte (Herrschaftsrechte); entstehen, werden verändert oder aufgehoben durch Verfügungsgeschäfte; sind abstrakte Rechtsgeschäfte D. 1. 2. 3. 4. 1. Einige übergreifende Rechtsgedanken Vertragsfreiheit und ihre Grenzen Einstehen für den durch eigenes Verhalten geschaffenen Rechtsschein Zuordnung des Zufallsrisikos nach der Sphäre Treu und Glauben Vertragsfreiheit und ihre Grenzen Ein Grundprinzip des BGB ist die Vertragsfreiheit einschliesslich der Testierfreiheit (Freiheit, durch Testament über das Vermögen nach dem Tode zu verfügen) innerhalb der weiten Grenzen der §§ 134 und 138. Gründe: 62 a) Entstehung des BGB auf dem Höhepunkt des Liberalismus; Einschränkung der Handlungsfreiheit der Bürger nur aus zwingenden Gründen b) Zweckmässigkeit. Die Vielfalt der Tatbestände, Interessen und neuen Entwicklungen vom Gesetzgeber nicht vorauszusehen und rechtstechnisch nicht zu bewältigen. Daher im BGB geregelt nur die Grundtypen der häufigsten Verträge, aber auch für diese ganz überwiegend keine zwingenden Vorschriften, sondern offen für abweichende Regelung entsprechend den Interessen der Parteien Das BGB entspricht insoweit dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit Art. 2 Abs. 1 GG; siehe Dritter Abschnitt III B 2a Die Vertragsfreiheit umfasst die Abschlussfreiheit, d.h. die Freiheit, zu entscheiden, ob und mit wem man einen Vertrag abschliessen will, sowie die Inhaltsfreiheit, d.h. den Inhalt des Vertrages frei zu vereinbaren Die Vertragsfreiheit führt aber nur dann zu einem gerechten Interessenausgleich und sozial vertretbaren Ergebnissen, wenn die Vertragspartner wirtschaftlich etwa gleich stark sind, also kein erhebliches Machtgefälle oder eine Mangellage besteht. Daher ist es notwendig, die Abschlussfreiheit und die Inhaltsfreiheit einzuschränken Einschränkungen der Abschlussfreiheit Monopole wie Versorgungsunternehmen für Strom, Gas und Wasser, öffentliche Verkehrsunternehmen unterliegen nach den jeweiligen Spezialgesetzen oder nach § 826 BGB einem Abschlusszwang (Kontrahierungszwang); denn die Nachfrager benötigen zwingend ihre Leistungen und können nicht auf andere Anbieter ausweichen. Einem Abschlusszwang unterliegen auch marktbeherrschende Unternehmen i.S. § 19 Abs. 1 und 2 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) nach § 20 Abs. 1 GWB sowie marktstarke Unternehmen, von denen kleiner oder mittlere Unternehmen auf der anderen Marktseite abhängig sind, nach § 20 Abs. 2 GWB ' Faktisch eine Beschränkung der Abschlussfreiheit sind auch die Beschränkungen, ein bestehendes Vertragsverhältnis zu beenden, z.B. zum Schutze des Mieters durch §§ 564b, 556a BGB oder zum Schutze der Arbeitnehmer allgemein und verstärkt zum Schutze bestimmter Gruppen von Arbeitnehmern Beschränkungen des Kündigungsrechts des Arbeitgebers im Arbeitsrecht Einschränkungen der Inhaltsfreiheit § 134 BGB, konkretisiert durch zahlreiche Rechtsvorschriften insbes. zum Schutze schwächerer Vertragspartner, z.B. im Bereich des Mietrechts und im Arbeitsrecht § 138 BGB als elastische Generalklausel § 125 BGB als wirksame Sanktion zur Durchsetzung der gesetzlichen Formvorschriften §§ 305 c, 307 – 309 BGB (früher §§ 3, 9 – 11 AGB-Gesetz) Vorschriften des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Art. 81, 82 (früher 85, 86) EG-Vertrag (EG-Kartellrecht) zum Schutze des Wettbewerbs und schwächerer Marktteilnehmer Andere Rechtsvorschriften, die den Inhalt von Rechtsgeschäften zwingend vorschreiben oder einen abweichenden Inhalt ausschliessen, z.B. der Typenzwang im Sachenrecht. Grund: Wegen ihrer Wirkung gegen jedermann schränken die absoluten Rechte die Handlungsfreiheit aller anderen ein. Sie müssen daher in ihrer Zahl begrenzt und wegen der Gefahr von Schadensersatzansprüchen bei Verletzung möglichst auch für Dritte erkennbar sein Pflicht zur Gleichbehandlung Weitere Einschränkung der Abschluss- und Inhaltsfreiheit folgt aus der Pflicht zur Gleichbehandlung Diese Pflicht obliegt stets dem Staat im Verhältnis zu den Bürgern aufgrund seiner überlegenen Macht und Eingriffsbefugnisse. Art. 3 GG ist nur eine Konkretisierung des allgemein geltenden Grundsatzes der Gleichbehandlung. Die Pflicht zur Gleichbehandlung gilt nicht nur bei 63 hoheitlicher Tätigkeit des Staates, sondern auch dann, wenn der Staat als Sozialstaat Aufgaben der Daseinsvorsorge in privatrechtlichen Formen erfüllt Aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung folgt aber nicht eine Pflicht zur absoluten Gleichheit, sondern nur ein Willkürverbot, ein Verbot der Ungleichbehandlung ohne sachlich gerechtfertigten Grund. Das BVerfG räumt dem Staat insoweit einen grossen Handlungsspielraum ein Eine Pflicht zur Gleichbehandlung besteht aber auch im Verhältnis der Bürger untereinander, wenn zwischen ihnen wie im Verhältnis Staat/Bürger ein erhebliches Machtgefälle besteht und/oder die jeweiligen Rechtsgeschäfte nicht vom Grundsatz der Austauschgerechtigkeit (iustitia commutativa), sondern vom Grundsatz der verteilenden Gerechtigkeit (iustitia distributiva) beherrscht werden Eine Pflicht zur Gleichbehandlung besteht daher insbesondere im Arbeitsrecht bei freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers, im Zivilrecht für Monopole wie Versorgungs- und Verkehrsunternehmen, marktbeherrschende Unternehmen i.S. § 19 Abs. 1 und 2 GWB und marktstarke Unternehmen, von denen kleine oder mittlere Unternehmen auf der anderen Marktseite abhängig sind, nach § 20 Abs. 2 GWB sowie für Kartelle und marktbeherrschende Unternehmen nach Art. 81, 82 (früher 85, 86) EG-Vertrag 2. Einstehen für den durch eigenes Verhalten geschaffenen Rechtsschein Als übergreifender Rechtsgedanke ist in den Normen des Zivilrechts enthalten das Einstehen für den durch das eigene Verhalten geschaffenen Rechtsschein mit entsprechenden Rechtsfolgen, obwohl tatsächlich ein entsprechender Sachverhalt nicht vorliegt, der Schutz des durch den Rechtsschein begründeten Vertrauens redlicher Dritter Grund: Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs in arbeitsteiliger Gesellschaft mit Vielzahl von Rechtsgeschäften mit oft unbekannten Vertragspartnern. Beispiele: a) Schutz des guten Glaubens eines redlichen Erwerbers beweglicher Sachen vom Nichteigentümer § 932 Abs. 1 BGB. Abweichend vom römischen Recht, das dem Eigentümer einen Herausgabeanspruch auch gegen den redlichen Dritten gewährte - möglich wegen des geringen Grades der Arbeitsteilung - folgt das BGB dem altdeutschen Grundsatz. Wo du deinen guten Glauben gelassen hast, musst du ihn suchen Anknüpfungspunkt für den guten Glauben des Dritten ist der Besitz des Nichtberechtigten; denn ganz überwiegend ist der Besitzer zugleich der Eigentümer der Sache. Deshalb wird nach § 1006 auch zugunsten des Besitzers vermutet, dass er Eigentümer der Sache sei, und die Übertragung des Eigentums beweglicher Sachen geschieht überwiegend nach § 929 durch Einigung über den Eigentumsübergang und Übergabe der Sache (Publizitätsfunktion des Besitzes) Folgerichtig tritt Eigentumserwerb kraft guten Glaubens nach § 935 Abs. 1 nicht ein, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verlorengegangen oder sonst abhanden gekommen war, d.h. der Eigentümer den unmittelbaren Besitz gegen seinen Willen verloren hat, z.B. durch Unterschlagung; denn in diesen Fällen hat der Eigentümer nicht durch Überlassen des unmittelbaren, Besitzes zugunsten des Nichtberechtigten den Rechtsschein des Eigentums geschaffen b) Schutz des guten Glaubens eines redlichen Erwerbers des Eigentums oder von Rechten an Grundstücken, z.B. Hypothek, Grundschuld gem. § 892 BGB. Anknüpfungspunkt des guten Glaubens hier die Eintragung im Grundbuch. Nicht selten die unrichtige Eintragung vom tatsächlich Berechtigten selbst veranlasst; auf jeden Fall kann der tatsächlich Berechtigte stets durch einstweilige Verfügung einen Widerspruch in das Grundbuch eintragen lassen. Der durch die Unrichtigkeit des Grundbuchs geschaffene Rechtsschein ist ihm daher zuzurechnen c) Massgebend für den Inhalt einer Willenserklärung ist der objektive Erklärungswert, wie er von einem verständigen Erklärungsempfänger zu verstehen war. Wenn der Erklärende tat- 64 sächlich etwas anderes gewollt hat, muss er seine Willenserklärung nach § 119 Abs. 1 BGB anfechten d) Wer gegenüber der Öffentlichkeit oder einem Dritten eine Erklärung abgibt, muss sich daran festhalten lassen Der Überbringer einer Quittung gilt als ermächtigt, die Leistung zu empfangen § 370 BGB Bei Ausstellung einer Schuldurkunde im Falle der Abtretung gegenüber dem neuen Gläubiger keine Berufung auf Scheingeschäft oder Ausschluss der Abtretung § 405 BGB Zeigt der Gläubiger dem Schuldner die Abtretung der Forderung an, so muss er die Abtretung gegen sich gelten lassen § 409 BGB. Ebenso bei Mitteilung des Eigentumsüberganges vom Vermieter an den Mieter hinsichtlich der Mietforderung § 566 e Abs. 1 BGB Fortbestand einer Vollmacht bei Mitteilung an einen Dritten, öffentlicher Erklärung oder Aushändigung einer Vollmachturkunde §§ 170-172 BGB e) Einstehen für den durch eigenes Verhalten geschaffenen Rechtsschein im Handelsrecht. Siehe nachstehend III f) Die Verwirkung; von der Rechtsprechung entwickeltes Rechtsinstitut. Wer sein Recht lange Zeit nicht geltend macht, obwohl dies möglich war, und dadurch beim Schuldner das begründete Vertrauen schafft, er werde nicht mehr in Anspruch genommen werden, hat sein Recht verwirkt; ein derart verspätetes Geltendmachen des Rechts ist für den Schuldner unzumutbar Ein anderer übergreifender Rechtsgedanke ist aber der vorrangige Schutz der Geschäftsunfähigen i.S. § 104 und der Minderjährigen. Der gute Glaube an die Geschäftsfähigkeit wird nicht geschützt; der Schutz dieser Personen hat Vorrang vor dem Schutz des redlichen Verkehrs ("Der Tintentrinker ist der Rechtsordnung liebstes Kind"). Das ist mit dem Schutz des redlichen Verkehrs auch vereinbar; denn Geisteskranke sind relativ selten, meist durch ihr Verhalten als solche erkennbar und häufig sogar in geschlossenen Anstalten untergebracht. Auch Minderjährige sind bis zum Alter von etwa 16 Jahren durch ihr Äusseres regelmässig erkennbar; im Alter darüber besteht regelmässig Anlass zu begründeten Zweifeln an der Volljährigkeit, so dass für ihre Vertragspartner eine Rückfrage geboten und zumutbar ist 3. Zuordnung des Zufallsrisikos nach der Sphäre Weiterer übergreifender Rechtsgedanke im Zivilrecht die Zuordnung des Zufallsrisikos nach der Sphäre. Eine typische Leistungsstörung in Austauschverträgen ist die Unmöglichkeit der von der einen Vertragspartei geschuldeten Leistung. die weder von der einen noch von der anderen Partei zu vertreten ist. Wichtigste Fälle der zufällige Untergang der vom Verkäufer geschuldeten Sache vor Übergabe an den Käufer oder des vom Unternehmer geschuldeten Werkes vor Abnahme durch den Besteller. In diesen Fällen zu unterscheiden die sog. Sachgefahr, d.h. das Risiko des Sachgläubigers, insbesondere des Käufers oder des Bestellers, die vertraglich geschuldete Sache oder Werk wegen des zufälligen Untergangs nicht zu erhalten, und die sog. Preisgefahr, d.h. das Risiko des Sachschuldners, insbesondere des Verkäufers oder Unternehmers, den vereinbarten Preis nicht zu erhalten Die Sachgefahr trifft den Sachgläubiger nach § 275 Abs. 1 BGB; denn es wäre eine unvertretbare Belastung für den Sachschuldner, wenn er auch für den zufälligen Untergang der Sache einstehen müsste; anders bei der Gattungsschuld vor Konkretisierung gemäss § 243 Abs. 2 BGB und beim Werkvertrag, wenn die Herstellung des geschuldeten Werkes noch möglich ist. Dieses Risiko ist dem Sachgläubiger zuzumuten; denn er wird seinerseits von seiner Leistungspflicht 65 nach § 326 (früher § 323 BGB) Abs. 1 frei und verliert nur die Gewinnchancen aus Nutzung oder Weiterverkauf. Grösser und wirtschaftlich wichtiger ist die Preisgefahr, d.h. das Risiko, den vereinbarten Preis nicht zu erhalten. Dieses Risiko weist das BGB der Vertragspartei zu, in deren Sphäre das Risiko eingetreten ist, beim Kaufvertrag zunächst nach § 326 (früher § 323 BGB) Abs. 1 dem Verkäufer, mit Übergabe der Sache und damit Wechsel der Sphäre nach § 446 BGB dem Käufer, ebenso beim Versendungskauf nach § 447 BGB; beim Werkvertrag nach § 644 Abs. 1 zunächst dem Unternehmer, mit dem Wechsel der Sphäre durch Abnahme des Werkes sodann dem Besteller Bereits vorher geht die Preisgefahr auf den Sachgläubiger - Käufer oder Besteller - nach § 326 (früher § 324) Abs. 2 BGB über, wenn der Sachgläubiger den Wechsel der Sphäre durch Annahmeverzug verhindert Diese Zuordnung der Preisgefahr zu demjenigen, in dessen Sphäre das Zufallsrisiko eingetreten ist, ist sachgerecht; denn vielfach verhindern. In jedem Falle besteht die Möglichkeit einer entsprechenden Versicherung. Bereits besteht die Möglichkeit, den Eintritt des Risikos durch entsprechende Vorsorgemassnahmen zu im römischen Recht galt der Satz casum sentit dominus Auf demselben Leitgedanken beruht § 537 (früher § 552 BGB). Der Mieter muss auch dann die Miete bezahlen, wenn er aus einem in seiner Person liegenden Grund das ihm zustehende Gebrauchsrecht nicht ausüben kann, z.B. die gebuchte Ferienwohnung wegen Krankheit. Beim Dienstvertrag wird allerdings das an sich den Arbeitnehmer betreffende Risiko des Lohnverlustes wegen Krankheit oder anderer unverschuldeter Verhinderung aus sozialen Gründen durch § 616 BGB bzw. das Lohnfortzahlungsgesetz auf den Arbeitgeber verlagert Auf demselben Leitgedanken beruht auch die sog. Betriebsrisiko-Lehre im Arbeitsrecht. Siehe nachstehend V 4. Treu und Glauben a) Übersicht Beherrschender Rechtsgedanke im Bereich des gesamten Zivilrechts, aber auch im öffentlichen Recht Treu und Glauben Aus § 242 i.V. mit §§ 133, 157, 826 BGB von Rechtsprechung und Wissenschaft der allgemeine Rechtsgrundsatz entwickelt, dass jeder in Ausübung seiner Rechte und Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln hat, d.h. auf die berechtigten Interessen des anderen Teils Rücksicht zu nehmen hat. Entgegen dem Wortlaut des § 242 gilt dieses Gebot nicht nur für den Schuldner, sondern auch für den Gläubiger § 242 BGB ist zu einer Generalklausel entwickelt worden; zu den Nutzen und Gefahren solcher Generalklauseln siehe Zweiter Abschnitt VI Nachdrückliche Warnung vor einem Missbrauch dieser Generalklausel. § 242 BGB ist kein Freibrief für das Übergehen der vorhandenen gesetzlichen Vorschriften als Supernorm. § 242 rechtfertigt nicht subjektive allgemeine Billigkeitsentscheidungen des Bearbeiters in der Universität, des Richters in der Praxis und ist keine Ermächtigung des Richters zu freier richterlicher Rechtsfortbildung. Der Richter bleibt weiterhin an die Wertungen der Verfassung und der Gesetze gebunden § 242 ist in erster Linie geeignet, die vorhandenen Normen und Rechtsbeziehungen nach ihrem Sinn und Zweck näher auszuformen oder die Ausübung formal gegebener Rechtsstellungen zu begrenzen. Nur bei Lücken im Gesetz oder bei einer grundlegenden Veränderung der Verhältnisse wie die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg oder dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs nach dem Zweiten Weltkrieg kann § 242 als Grundlage richterlicher Rechtsfortbildung dienen 66 Aus § 242 wurden von Rechtsprechung und Wissenschaft insbesondere entwickelt 1. Nebenpflichten einer Vertragspartei 2. der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung 3. der Fortfall der Geschäftsgrundlage b) Nebenpflichten einer Vertragspartei Nebenpflichten einer Vertragspartei wichtigste Fallgruppe. Sie werden gefolgert aus der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Partei und Sinn und Zweck des betreffenden Schuldverhältnisses; daher sehr vielfältig. Wichtigste Fallgruppen aa) Treuepflicht Jede Partei muss alles tun, was zum Erreichen des Vertragszweckes erforderlich ist, und alles unterlassen, was das Erreichen des Vertragszweckes beeinträchtigt oder verhindert, z.B. Unterlassen von Wettbewerb durch Verkäufer eines Unternehmens während angemessener Zeit; Dulden eines Hinweisschildes nach Umzug des Mieters bb) Schutzpflichten Haftung des Gastwirtes für Verkehrssicherheit der Räume; Schutzpflicht des Handwerkers bei Ausführung seiner Arbeiten hinsichtlich der Wohnungseinrichtung des Auftraggebers cc) Mitwirkungspflichten z.B. bei Erlangen einer erforderlichen behördlichen Genehmigung für den Vertrag dd) Aufklärungspflichten z.B. Aufklärungspflicht des Arztes gegenüber dem Patienten; des Anbieters riskanter Vermögensgeschäfte über die damit verbundenen Risiken; des Herstellers über mögliche Gefahren bei Gebrauch des Produktes c) Einwand der unzulässigen Rechtsausübung - exceptio doli Fallgruppen aa) Sach- und zweckwidriger Gebrauch einer formalen oder unredlich erworbenen Rechtsstellung, z.B. Berufung auf Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts wegen Formmangels, obwohl betreffende Vertragspartei aufgrund überlegener Sach- und Rechtskenntnis zur Aufklärung hinsichtlich Formerfordernis verpflichtet war Geltendmachen eines Anspruches trotz Verpflichtung zur Rückgewähr des Empfangenen - dolo petit, qui petit, quod statim redditurus est bb) Handeln im Widerspruch zum eigenen vorangegangenen Verhalten - venire contra factum proprium z.B. lange Verhandlungen mit dem Käufer, ob gerügter Mangel tatsächlich vorhanden, dann Zurückweisen der Wandlung des Käufers als verspätet cc) Unverhältnismässigkeit der Rechtsausübung Ausüben eigener Rechte wie Kündigung, Ausschluss aus der Gesellschaft, Berufung auf Leistungsfreiheit bei nur geringfügiger Pflichtverletzung der anderen Partei oder wenn mildere Massnahme zumutbar und ausreichend dd) Verwirkung Wer sein Recht lange Zeit nicht geltend macht, obwohl dies möglich war, und dadurch beim Schuldner das begründete Vertrauen schafft, er werde nicht mehr in Anspruch genommen werden, hat sein Recht verwirkt 67 d) Fortfall der Geschäftsgrundlage - clausula rebus sic stantibus Abweichung vom Grundsatz, dass Verträge grundsätzlich einzuhalten sind - pacta sunt servanda; daher hohe Anforderungen Keine Inanspruchnahme der anderen Vertragspartei mehr bei Fortfall der Geschäftsgrundlage, d.h. den Vorstellungen mindestens einer Partei über Vorhandensein oder Vorhandenbleiben bestimmter Umstände, die zwar nicht Vertragsinhalt geworden, aber von beiden Parteien oder von einer Partei unter Erkennen und Nichtwiderspruch der anderen Partei zur Geschäftsgrundlage gemacht worden, z.B. Miete eines Fensters für Krönungszug Kaise-Friedrich III Aber Vorsicht! Von der anderen Vertragspartei erkanntes Motiv der einen Partei allein reicht nicht. III. Strukturelemente des Handelsrechts Das Handelsrecht passt die Rechtsnormen des BGB an die besonderen Bedürfnisse des Handelsverkehrs an und ergänzt sie, weil das BGB den besonderen Bedingungen und Bedürfnissen des kaufmännischen Verkehrs nicht gerecht wird Besondere Bedingungen: Vielzahl von Rechtsgeschäften mit oft unbekannten Partnern; oft schneller Wechsel der Marktlage; Kosten der Bindung des Betriebskapitals in Lagerhaltung und ausstehenden Forderungen Daraus folgende Bedürfnisse, denen das Handelsrecht gerecht werden muss: Information über die Teilnehmer am kaufmännischen Verkehr; schnelle Entscheidung; rasche Abwicklung der Rechtsgeschäfte; Sicherheit der Erfüllung Daher im Handelsrecht strengere Vorschriften als im BGB. Sie sind nur den Kaufleuten zumutbar wegen ihrer grösseren Erfahrungen im Wirtschaftsleben Das HGB regelt als Ergänzung der Vertragstypen des BGB ferner Verträge, die regelmässig von Kaufleuten geschlossen werden wie Kommissions-, Frachtgeschäfte, Seehandel sowie die Pflichten der Kaufleute und Handelsgesellschaften hinsichtlich Buchführung und Rechnungslegung Das Handelsgesetzbuch (HGB) gilt für die Rechtsbeziehungen der Kaufleute und Handelsgesellschaften untereinander und ihre Rechtsgeschäfte mit Nichtkaufleuten. Kaufmann i.S. des HGB sind alle Personen, die ein Handelsgewerbe betreiben, d.h. jeder Gewerbebetrieb, es sei denn, dass das Unternehmen nach Art oder Umfang ein in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht erfordert Wichtige Strukturelemente Wegen der Vielzahl der Rechtsgeschäfte mit oft unbekannten Partnern und der damit verbundenen Risiken besteht die Pflicht zur Publizität aller für den Handelsverkehr wichtigen Tatsachen durch Eintragung in das Handelsregister Ebenso wie im BGB (vorstehend II D 2) Einstehen-Müssen für den durch eigenes Verhalten geschaffenen Rechtsschein, z.B. durch eine unrichtige Eintragung in das Handelsregister, deren Unterlassen oder durch Auftreten im Geschäftsverkehr als Kaufmann oder persönlich haftender Gesellschafter einer OHG oder KG Entsprechend den Bedingungen und Bedürfnissen des Handelsverkehrs Erwerb des Eigentums kraft guten Glaubens bereits möglich, wenn der Erwerber nicht wie im BGB erforderlich an das Eigentum, sondern nur an die Verfügungsmacht seines Vertragspartners glaubt; Pflicht des Käufers, Sachmängel, Mengenfehler und Falschlieferung unverzüglich zu rügen, anderenfalls Verlust seiner Rechte; umfassende im Aussenverhältnis nicht beschränkbare Vertretungsmacht (Prokurist; vertretungsberechtigter Gesellschafter einer OHG oder KG); gegenüber BGB grössere Pfand- und Zurückbehaltungsrechte 68 IV. Strukturelemente des Gesellschaftsrechts Das Gesellschaftsrecht muss die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse der Praxis hinsichtlich Zahl der Gesellschafter, Möglichkeit eines Gesellschafterwechsels, Höhe des benötigten Kapitals und Haftung für die Gesellschaftsschulden berücksichtigen. Daraus folgen die beiden grossen Gruppen Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften und als Sonderform die Genossenschaften. Die Personengesellschaften sind gekennzeichnet durch persönliche Mitarbeit und Haftung und deshalb regelmässig kein Gesellschafterwechsel, sondern nur bei Tod eines Gesellschafters oder Ausscheiden nach langer Zeit und nur mit Zustimmung der anderen Gesellschafter. Die Grundform aller Personengesellschaften ist die Gesellschaft bürgerlichen Rechts geregelt im BGB. Die BGB-Gesellschaft ist ein Zusammenschluss zum Verfolgen eines gemeinsamen Zwecks jeder Art ausser Betrieb eines Handelsgewerbes, z. B. Sozietät von Rechtsanwälten, Spielergemeinschaft in Lotto oder Toto, WG von Studenten. Sie entspricht nicht den oben III genannten Bedingungen und Bedürfnissen des Handelsverkehrs Diesen Bedingungen und Bedürfnissen angepasste Formen einer Personengesellschaft sind die Offene Handelsgesellschaft (OHG) und die Kommanditgesellschaft (KG). Die Gesellschafter einer OHG sind zur persönlichen Mitarbeit verpflichtet und haften unbeschränkt für die Gesellschaftsschulden. Alle Daten einer OHG sind in das Handelsregister einzutragen. Die Vertretungsmacht der Gesellschafter kann im Aussenverhältnis nicht beschränkt werden Eine Abwandlung der OHG ist die KG. Sie entspricht einerseits dem Bedürfnis, sich an einem Handelsgewerbe mit einer Kapitaleinlage zu beteiligen, ohne zur persönlichen Mitarbeit und unbeschränkten Haftung verpflichtet zu sein, andererseits dem Bedürfnis nach zusätzlichem Kapital, aber weiterhin voller Entscheidungsmacht. In der KG gibt es daher zwei Arten von Gesellschaftern, die Komplementäre, die zur persönlichen Mitarbeit verpflichtet und zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt sind, für die Gesellschaftsschulden unbeschränkt persönlich haften, sowie die Kommanditisten, die nur zum Leisten einer Kapitaleinlage verpflichtet sind und für die Gesellschaftsschulden nur in Höhe der Kapitaleinlage haften, frei, wenn sie die Einlage geleistet haben Die Kapitalgesellschaften Aktiengesellschaft (AG), Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) sind gekennzeichnet durch Zur-VerfügungStellen von Kapital als wichtigste Gesellschafterpflicht, keine Pflicht zur persönlichen Mitarbeit, auf die Kapitaleinlage beschränkte Haftung, daher juristische Personen. Sie sind in den Spezialgesetzen Aktiengesetz und GmbH-Gesetz geregelt Die AG ist die Organisationsform für Unternehmen mit hohem Kapitalbedarf, zu dessen Deckung das Publikum herangezogen werden soll. Daher keine Pflicht zur Mitarbeit und Haftung für die Gesellschaftsschulden; Verlustrisiko auf die Einlage begrenzt; hohe Liquidität der Kapitaleinlage durch Verbriefung der Mitgliedschaft in einem leicht übertragbaren Wertpapier (Aktie), das oft an einem organisierten Markt (Börse) gehandelt wird. Die AG bietet zugleich die gesellschaftspolitisch erwünschte Möglichkeit der Beteiligung vieler Bürger am Produktivvermögen, insbesondere auch der Belegschaft an ihrem Unternehmen Die KGaA ist eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, bei der mindestens ein Gesellschafter den Gesellschaftsgläubigern unbeschränkt haftet (Komplementär) und die übrigen an dem in Aktien zerlegten Grundkapital beteiligt sind, ohne persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu haften (Kommanditaktionäre). In dieser Rechtsform gegenwärtig nur noch wenige Unternehmen, u. a. Berliner Handelsgesellschaft/Frankfurter Bank, die Privatbankiers Trinkaus & Burkhardt, Henkel (Persil). Sie sind entstanden aus Personengesellschaften, deren Wachstum zusätzliches Kapital erforderte, das die Gründer bzw. Gründerfamilien allein nicht mehr aufbringen konnten, andererseits aber die volle Entscheidungsgewalt im Unternehmen behalten wollten Wegen der Freiheit in der Wahl des Zwecks – nicht nur ein Handelsgewerbe wie die AG –und ihrer gegenüber der AG weit einfacheren Organisationsstruktur und höheren Flexibilität ist die 69 häufigste Kapitalgesellschaft die GmbH. Eine GmbH kann zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck durch eine oder mehrere Personen errichtet werden. Die GmbH reicht vom Kleinstunternehmen bis zu Grösstunternehmen wie BOSCH und über eine ungewöhnlich weite Spanne nach Zweck und Gesellschaftsstruktur. Ausser der typischen GmbH zum Betrieb eines Unternehmens gibt es u.a. GmbH für ideelle oder karitative Zwecke, z.B. Städtische Bühnen, Alten- und Pflegeheime, als reine Besitzgesellschaft (Holding) oder als Konzernspitze. Häufig wird die Form der GmbH gewählt für Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen für den Inlandsmarkt, z.B. IBM Deutschland, für ein Gemeinschaftsunternehmen (Joint Venture) oder für Familienunternehmen, um die Fortführung des Unternehmens zu sichern, wenn bei Tod kein als Geschäftsführer geeignetes Familienmitglied vorhanden ist Oft wird auch die Form der GmbH gewählt, um zwar als Geschäftsführer weiterhin die volle Entscheidungsgewalt zu haben, aber eine persönliche unbeschränkte Haftung wie als Einzelkaufmann oder OHG zu vermeiden. Das gilt besonders für die Ein-Mann-GmbH Die GmbH ist kein Instrument, um wie eine AG aus dem Publikum Kapital für grosse unternehmerische Vorhaben aufzubringen. Das notwendige Kapital müssen die Gesellschafter als Einlage leisten. Die Anteilsrechte sind nicht in Inhaberpapieren verbrieft und leicht übertragbar, sondern die Übertragung ist durch das Erfordernis notarieller Form bewusst erschwert Bei den Kapitalgesellschaften als juristische Personen steht den Gläubigern als Haftungsmasse für die Gesellschaftsschulden nur das Gesellschaftsvermögen zur Verfügung. Wegen ihrer oft grossen wirtschaftlichen Bedeutung und des Informationsinteresses der Geschäftspartner, Gesellschafter, Anleger von Kapital und Öffentlichkeit unterliegen die Kapitalgesellschaften eingehenden Pflichten zur Rechnungslegung und Publizität, die AG auch der Pflicht zur Überprüfung ihrer Bilanz durch unabhängige Wirtschaftsprüfer. Dem Schutz der Gläubiger dienen vielfache Vorschriften, um zu sichern, dass die Gesellschafter ihre Einlagen tatsächlich leisten und dieses Haftungskapital nicht an die Gesellschafter zurückgezahlt wird Aufgrund der Forderung der Gewerkschaften nach Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit und Mitbestimmung sind in den AG und grossen GmbH jetzt die Arbeitnehmer im Kontrollorgan des Vorstandes der AG bzw. Geschäftsführers der GmbH, dem Aufsichtsrat, paritätisch, in kleinen AG und GmbH zu ein Drittel vertreten V. Strukturelemente des Arbeitsrechts Das Arbeitsrecht hat sich nach dem Ersten Weltkrieg als selbständiges Rechtsgebiet wegen der Eigenart des Arbeitsverhältnisses aus dem Bürgerlichen Recht entwickelt; denn anders als im Bürgerlichen Recht und Handelsrecht stehen sich im Arbeitsrecht in der Regel nicht Partner gleicher Stärke gegenüber und daher kein Schutzbedürfnis einer Seite, sondern im Arbeitsrecht besteht ein Machtgefälle und daher ein Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer. Löhne und Arbeitsbedingungen werden daher überwiegend nicht durch Individualverträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart, sondern durch Kollektivverträge, die von den Verbänden der Arbeitgeber einerseits, den Gewerkschaften andererseits geschlossen werden. Daher im Arbeitsrecht die beiden Teilbereiche Individualarbeitsrecht und Kollektivarbeitsrecht Eine Regelung der Löhne und Arbeitsbedingungen nicht durch den Staat wie in der Zentralverwaltungswirtschaft – anderenfalls wäre sie nicht funktionsfähig -, sondern durch Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften in eigener Verantwortung unabhängig vom Staat (Tarifautonomie) entspricht der Wirtschaftsordnung des Grundgesetzes (siehe Vierter Abschnitt II C) und wurde bereits in der Weimarer Verfassung vorgesehen. Sie ist nicht nur ordnungspolitisch richtig, sondern auch zweckmässig; denn anderenfalls fiele dem Staat eine tatsächlich und politisch kaum zu bewältigende Aufgabe zu Damit Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften ihre Aufgabe erfüllen können, muss Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Koalitionsfreiheit zustehen; sie muss gegen Einschränkung oder Behinderung geschützt werden. Das ist durch Art. 9 Abs. 3 GG geschehen (siehe Vierter Abschnitt II B 2 c) 70 Wesentliche Teile eines Individualarbeitsvertrages, insbesondere Löhne; Zuschläge für Überstunden, Nacht- und Feiertagsarbeit; zusätzliche Leistungen wie 13. Gehalt, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld; Regelarbeitszeit/Woche; Urlaub werden als Kollektivarbeitsrecht in Tarifverträgen der Arbeitsgeberverbände und Gewerkschaften vereinbart. Die Tarifparteien können verbindliche Vereinbarungen aber nur für ihre Mitglieder schliessen. Die Regelungen des Tarifvertrages gehen daher als verbindlicher Inhalt in die Individualarbeitsverträge nur ein, wenn deren Parteien als Mitglieder des Arbeitgeberverbandes bzw. der Gewerkschaft tarifgebunden sind. Das sind in den alten Bundesländern fast alle Arbeitgeber, aber je nach Wirtschaftszweig ein unterschiedlich grosser Teil der Arbeitnehmer. Rechtlich wären daher mit Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern vom Tarifvertrag abweichende Vereinbarungen möglich. In der Praxis unterbleibt das aber im Interesse des Betriebsfriedens; die Tarifverträge werden zum Bestandteil des Individualarbeitsvertrages auch der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer. Daraus folgt die grosse Bedeutung der Tarifpolitik der Gewerkschaften für die Entwicklung der Gesamtwirtschaft, insbesondere die Höhe der Arbeitslosigkeit Im Einvernehmen mit einem Ausschuss aus je 3 Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer kann der Bundesminister für Arbeit auf Antrag einer Tarifvertragspartei einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären, wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 % der unter den Tarifvertrag fallenden Arbeitnehmer beschäftigen und die Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse geboten erscheint (§ 5 Tarifvertragsgesetz). Allgemeinverbindlicherklärung selten, insbesondere um Funktionsfähigkeit gemeinschaftlicher Einrichtungen wie Urlaubskasse Bauwirtschaft zu sichern oder durch Mindestlohn die inländischen Unternehmen und Arbeitnehmer gegen den Wettbewerb von ausländischen Unternehmen mit geringeren Lohnkosten (Portugal, Irrland, Oststaaten) zu schützen Aus dem Grundsatz der Tarifautonomie folgt, dass bei Nichteinigung der Parteien über einen Tarifvertrag nicht ein staatlicher Schlichter oder ein Gericht entscheidet, sondern die Tarifparteien das Recht zum Arbeitskampf – Streit oder Aussperrung – haben, um so die andere Tarifpartei zum Nachgeben zu veranlassen. Das wegen Scheiterns einer gesetzlichen Regelung von der Rechtsprechung entwickelte Arbeitskampfrecht beruht auf den Grundsätzen der Kampfparität und ultima ratio (Arbeitskampf nur als letztes Mittel) und Beschränkung des Rechts zur Aussperrung auf Abwehraussperrung begrenzten Umfangs. Streitig ist, ob die für ein angemessenes Ergebnis erforderliche Kampfparität und Kampfbereitschaft stets gegeben ist und ob die Ergebnisse stets mit den Interessen der gesamten Volkswirtschaft im Einklang stehen. Teile eines Individualarbeitsvertrages können ferner durch Betriebsvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat geregelt werden, z.B. betriebliche Altersversorgung, Ausschluss der Kündigung aus betriebsbedingten Gründen. Sie gelten unmittelbar und zwingend. Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können aber nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein (§ 77 Abs. 3 und 4 Betriebsverfassungsgesetz). Abweichungen vom Tarifvertrag durch Betriebsvereinbarungen, z.B. längere Regelarbeitszeit/Woche, Verzicht auf Lohnzuschläge gegen Ausschluss einer Kündigung sind nach der engen Auslegung des Günstigkeitsprinzips durch die Rechtsprechung nicht zulässig Zum Bereich des Individualarbeitsrechts gehören alle Regelungen, die sich nicht rechtlich oder faktisch aus Tarifverträgen oder zwingend aus Betriebsvereinbarungen ergeben. Der das BGB beherrschende Grundsatz der Vertragsfreiheit ist aber zum Schutze der Arbeitnehmer in grossem Umfange durch Vorschriften zugunsten aller Arbeitnehmer, z.B. gegen sozial ungerechtfertigte Kündigungen durch das Kündigungsschutzgesetz, sowie zum Schutze bestimmter Gruppen von Arbeitnehmern – Ältere, Frauen, Jugendliche, Schwerbehinderte – eingeschränkt. Aus denselben Gründen wie der Staat ist auch der Arbeitgeber verpflichtet, die Grundsätze der Gleichbehandlung, Verhältnismässigkeit der Mittel und des rechtlichen Gehörs zu beachten. Dem Schutze der Arbeitnehmer dienen ferner erhebliche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates. Dieses hohe Mass der Regulierung ist mit Sicherheit ein Vorteil für die Inhaber eines 71 Arbeitsplatzes, aber erschwert das Finden eines Arbeitsplatzes für Arbeitslose oder Angehörige der begünstigten Gruppen Sechster Abschnitt: Rechtsschutz I. Arten und Zuständigkeit der Gerichte; Rechtsweg A Arten und Aufbau der Gerichte Aus Gewaltmonopol des Staates und seiner Aufgabe, den Rechtsfrieden zu sichern, folgt Entscheidung zivilrechtlicher Streitigkeiten sowie Ahndung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten (Verwaltungsunrecht) durch staatliche Gerichte. Aus der verfassungsgestaltenden Grundsatzentscheidung Rechtsstaat (siehe Dritter Abschnitt II A 4) folgt Rechtsschutz für die Bürger gegen Eingriffe des Staates in ihren Bereich durch Gerichte, so ausdrücklich Art. 19 Abs. 4 GG Rechtsschutz wird gewährt durch verschiedene Zweige der Gerichtsbarkeit Ältester Zweig die sog. ordentlichen Gerichte, die anderen Zweige aus den ordentlichen Gerichten entstanden Die ordentlichen Gerichte zuständig für Zivilsachen, die sog. bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, für Strafsachen und Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Vormundschafts-, Nachlass-, Grundbuch- und Registersachen) die Arbeitsgerichte, zuständig für Arbeitssachen, bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus dem Individualarbeitsrecht und dem kollektiven Arbeitsrecht die Verwaltungsgerichte, zuständig für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, soweit nicht ausdrücklich anderen Gerichten zugewiesen; § 40 VwGO die Finanzgerichte, zuständig für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Abgabeangelegenheiten; § 33 FGO die Sozialgerichte, zuständig für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung, Arbeitslosenversicherung und Kriegsopferversorgung; § 51 SGG ferner das Bundesverfassungsgericht, zuständig für verfassungsrechtliche Streitigkeiten; siehe Dritter Abschnitt III D 1 Aufbau der Gerichte Ausser in der Finanzgerichtsbarkeit drei Instanzen Eingangsinstanz für die Entscheidung im ersten Rechtszug Berufungsinstanz zur tatsächlichen und rechtlichen Überprüfung der Entscheidung erster Instanz Revisionsinstanz Nur rechtliche Überprüfung der Entscheidung zweiter Instanz, tatsächliche Feststellungen der Vorinstanz für das Revisionsgericht bindend. In erster Linie Sicherung einheitlicher Rechtsprechung der Instanzgerichte. Daher in Zivilsachen Revision nur, wenn vom OLG zugelassen oder vom BGH angenommen; in Arbeitssachen, Sachen der Verwaltungs-, Finanzund Sozialgerichtsbarkeit nur, wenn zugelassen; in Strafsachen im Interesse des Angeklagten aber Revision stets zulässig In Zivilsachen unter 600 Euro Streitwert nur eine Tatsacheninstanz, falls Berufung vom Amtsgericht nicht im Urteil zugelassen; ebenso in besonders schweren Strafsachen, dafür aber stets Revision Ordentliche Gerichte Eingangsinstanz Amtsgericht (AG), Familiengericht, Landgericht (LG) je nach Streitwert bzw. Art des Rechtsstreits Berufungsinstanz LG oder Oberlandesgericht (OLG) je nach Eingangsinstanz Revisionsinstanz Bundesgerichtshof (BGH) Arbeitsgerichte Eingangsinstanz stets Arbeitsgericht (ArbG); Berufungsinstanz Landesarbeitsgericht (LAG); Revisionsinstanz Bundesarbeitsgericht (BAG) Verwaltungsgerichte Eingangsinstanz stets Verwaltungsgericht (VG); Berufungsinstanz Oberverwaltungsgericht (OVG); Revisionsinstanz Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Sozialgerichte Eingangsinstanz stets Sozialgericht (SG); Berufungsinstanz Landessozialgericht (LSG); Revisionsinstanz Bundessozialgericht (BSG) Finanzgerichte Nur zwei Instanzen; Finanzgericht (FG)-, Bundesfinanzhof (BFH) B Zuständigkeit und Rechtsweg in Zivilsachen Eingangsinstanz entweder Amtsgericht oder Landgericht Amtsgericht Zuständigkeit: Vermögensrechtliche Streitigkeiten bis 5.000 Euro Streitwert; Mietsachen; Kindschaftssachen; Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit AG als Familiengericht Ehesachen (Scheidung-, Unterhalt; Versorgungsausgleich; Sorgerecht für die Kinder) Besetzung: Einzelrichter Rechtsmittel: Berufung an LG in vermögensrechtlichen Streitigkeiten nur bei Streitwert über 600 Euro oder Berufung im Urteil zugelassen; § 511 Abs. 1 ZPO Landgericht Zuständigkeit: Vermögensrechtliche Streitigkeiten mit einem Streitwert über 5.000 Euro; Patent-, Kartell- und Staatshaftungssachen. In der Praxis alle Rechtsstreitigkeiten aus UWG und Nebengesetzen, die ganz überwiegend im einstweiligen-Verfügungs-Verfahren ausgetragen werden, da Streitwert regelmässig höher als 5.000 Euro Besetzung: Drei Berufsrichter (Kammer), aber Verweisung an Einzelrichter bei einfacher Sache; § 348 ZPO. In Handelssachen (§ 95 GVG) ein Berufsrichter als Vorsitzender und zwei auf Vorschlag der Industrie- und Handelskammer ernannte ehrenamtliche Richter (Kaufleute, AG-Vorstandsmitglieder, GmbH-Geschäftsführer, Prokuristen) Rechtsmittel: Berufung zum OLG, wenn LG als erste Instanz entschieden hat, auf Antrag und nach Zulassung Revision zum Bundesgerichtshof (selten); kein Rechtsmittel bei Entscheidung des LG als Berufungsinstanz Oberlandesgericht Zuständigkeit: Berufung gegen Urteile des LG in erster Instanz; § 511 ZPO Besetzung: Drei Berufsrichter (Senat) Rechtsmittel: Revision zum BGH, wenn vom Berufungsgericht im Urteil oder vom Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung zugelassen; § 543 Abs. 1 ZPO Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder 2. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert Bundesgerichtshof Zuständigkeit: Revision gegen Urteile des OLG sowie des LG (selten; s.o.) Besetzung: Fünf Berufsrichter (Senat) Kurzformel für vermögensrechtliche Streitigkeiten Bis 5.000 Euro Streitwert AG; Berufung an LG nur bei Streitwert über 600 Euro oder im Urteil zugelassen. Bei Streitwert über 5.000 Euro LG; stets Berufung an OLG; Revision an BGH nur, wenn vom OLG im Urteil oder vom BGH auf Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen C Zuständigkeit und Rechtsweg in Strafsachen Eingangsinstanz je nach Schwere der Straftat Amtsgericht, Landgericht oder Oberlandesgericht Amtsgericht Zuständigkeit: Einzelrichter als Strafrichter bei Vergehen, wenn im Wege der Privatklage verfolgt, die Tat mit keiner höheren Strafe als Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedroht oder die Staatsanwaltschaft Anklage vor dem Strafrichter erhebt und keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe von einem Jahr zu erwarten. Als Schöffengericht, wenn nicht das LG zuständig oder im Einzelfall eine höhere Strafe als drei Jahre Freiheitsstrafe, Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung zu erwarten Besetzung: Einzelrichter; Schöffengericht ein Berufsrichter, zwei Laienrichter (Schöffen) mit vollem Stimmrecht Rechtsmittel: Berufung an LG, gegen Urteile des Einzelrichters Kleine Strafkammer; gegen Urteile des Schöffengerichts Grosse Strafkammer Landgericht Zuständigkeit: Für Verbrechen, alle Straftaten bei denen eine höhere Strafe als drei Jahre Freiheitsstrafe oder Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung zu erwarten ist; bei besonders schweren Verbrechen (§ 74 Abs. 2 GVG) entscheidet eine Strafkammer als Schwurgericht Besetzung: Grosse Strafkammer drei Berufsrichter, zwei Laien (Schöffen); als Berufungsinstanz gegen Urteile des Einzelrichters Kleine Strafkammer ein Berufsrichter, zwei Schöffen Rechtsmittel: Gegen Urteile des LG als Berufungsinstanz Revision an OLG. Gegen Urteile des LG erster Instanz nur Revision an BGH Oberlandesgericht Zuständigkeit: Staatsschutzsachen (§ 120 GVG) Besetzung: Drei Berufsrichter (Senat) Rechtsmittel: Revision zum BGH Bundesgerichtshof Zuständigkeit: Revision gegen Urteile des LG als erste Instanz und des OLG in Staatsschutzsachen Besetzung: Fünf Berufsrichter (Senat) Kurzformel Gegen Urteile des AG als Einzelrichter oder Schöffengericht Berufung an LG, Revision an OLG. Gegen Urteile des LG als erste Instanz nur Revision an BGH D Zuständigkeit und Rechtsweg in Arbeitssachen Eingangsinstanz stets Arbeitsgericht Arbeitsgericht Zuständigkeit: Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus dem Individualarbeitsrecht und dem kollektiven Arbeitsrecht Besetzung: Ein Berufsrichter, je ein ehrenamtlicher Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber (Kammer) 74 Rechtsmittel: Berufung an das LAG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 800,- DM übersteigt oder vom ArbG zugelassen Landesarbeitsgericht Zuständigkeit: Berufung gegen Urteile des ArbG Besetzung: Ein Berufsrichter, je ein ehrenamtlicher Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber (Kammer) Rechtsmittel: Revision zum BAG, wenn vom LAG zugelassen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache oder Abweichung von einer Entscheidung des BAG oder, solange eine Entscheidung des BAG in der Rechtsfrage nicht ergangen, von einer Entscheidung eines anderen LAG Bei Nichtzulassung der Revision Nichtzulassungsbeschwerde Bundesarbeitsgericht Zuständigkeit: Revision gegen Urteile des LAG Besetzung: Drei Berufsrichter, je ein ehrenamtlicher Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber (Senat) Kurzformel Eingangsinstanz stets ArbG; Berufung an LAG bei Wert des Beschwerdegegenstandes über 800,- DM oder wenn zugelassen; Revision an BAG nur, wenn zugelassen E Zuständigkeit und Rechtsweg in der Verwaltungsgerichtsbarkeit Eingangsinstanz stets Verwaltungsgericht Verwaltungsgericht Zuständigkeit: Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, soweit nicht ausdrücklich anderen Gerichten zugewiesen Klage nur zulässig, wenn Kläger durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt ist; § 42 Abs. 2 VwGO. Damit Ausschluss der Popularklage. Vorher aber stets erforderlich Vorverfahren aufgrund Widerspruchs; § 68 ff. VwGO Besetzung: Drei Berufsrichter, zwei ehrenamtliche Richter (Kammer) Rechtsmittel: Berufung an OVG Oberverwaltungsgericht Zuständigkeit: Berufung gegen Urteile des VG Besetzung: Drei Berufsrichter, zwei ehrenamtliche Richter (Senat) Rechtsmittel: Revision zum BVerwG, wenn zugelassen a) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache b) wegen Abweichung von Entscheidung des BVerwG c) wegen Verfahrensmangels, auf dem das Urteil beruht, insbes. Verletzung rechtlichen Gehörs Bei Nichtzulassung der Revision Nichtzulassungsbeschwerde Bundesverwaltungsgericht Zuständigkeit: Revision gegen Urteile des OVG Besetzung: Fünf Berufsrichter (Senat) Kurzformel Eingangsinstanz stets VG; Berufung an OVG; Revision an BVerwG nur, wenn zugelassen F Zuständigkeit und Rechtsweg in der Finanzgerichtsbarkeit Eingangsinstanz stets Finanzgericht Finanzgericht 75 Zuständigkeit: Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Abgabeangelegenheiten Besetzung: Drei Berufsrichter, zwei ehrenamtliche Richter Rechtsmittel: Revision zum BFH, wenn Wert des Streitgegenstandes 1.000,- DM übersteigt oder wenn Revision zugelassen wegen a) grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache b) Abweichung von Entscheidung des BFH c) Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruht Bei Nichtzulassung der Revision Nichtzulassungsbeschwerde Bundesfinanzhof Zuständigkeit: Revision gegen Urteile des FG Besetzung: Fünf Berufsrichter (Senat) Kurzformel Nur zwei Instanzen; FG als Eingangsinstanz; Revision an BFH nur, wenn Wert des Streitgegenstandes über 1.000,- DM oder Revision zugelassen G Zuständigkeit und Rechtsweg in der Sozialgerichtsbarkeit Eingangsinstanz stets Sozialgericht Sozialgericht Zuständigkeit: Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung, Arbeitslosenversicherung und Kriegsopferversorgung Besetzung: Ein Berufsrichter, zwei ehrenamtliche Richter (Kammer) Rechtsmittel: Berufung an LSG ausser in den in §§ 144-146 SGG genannten Fällen Landessozialgericht Zuständigkeit: Berufung gegen Urteile des SG Besetzung: Drei Berufsrichter, zwei ehrenamtliche Richter (Kammer) Rechtsmittel: Revision nur, wenn zugelassen wegen a) grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache b) Abweichung von Entscheidung des BSG c) Verfahrensmangels, auf dem Entscheidung beruht Bei Nichtzulassung der Revision Nichtzulassungsbeschwerde Bundessozialgericht Zuständigkeit: Revision gegen Urteile des LSG Besetzung: Drei Berufsrichter, zwei ehrenamtliche Richter (Senat) Kurzformel Eingangsinstanz stets SG; Berufung an LSG ausser in Fällen der §§ 144-146 SGG; Revision nur, wenn zugelassen II Gemeinsame Grundsätze Für alle Zweige der Gerichtsbarkeit gelten 1. Unabhängigkeit der Richter; Art. 97 GG "Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen"; Art. 97 Abs. 1 GG Also Weisungen von Vorgesetzten, der Exekutive oder des Parlaments wegen Eingriffs in die richterliche Unabhängigkeit weder zulässig noch etwaige Weisungen verbindlich Zur Sicherung ihrer Unabhängigkeit können hauptamtliche und planmässig endgültig angestellte Richter wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung entlassen, ihres Amtes enthoben, versetzt oder in den Ruhestand versetzt werden; Art. 97 Abs. 2 GG 76 Damit allerdings nicht gelöst das Problem der inneren Unabhängigkeit. Sie kann gefährdet werden durch die persönlichen Wertvorstellungen, Erfahrungen und politischen Überzeugungen des Richters - das "Vorverständnis". Aufgrund der juristischen Ausbildung, des Berufsethos, der vielfach noch weiteren Ausbildung und gegenseitigen Kontrolle im Kollegialgericht und der Kontrolle durch die Rechtsmittelinstanz bleibt diese Gefahr aber in der Regel gering; sie besteht insbesondere bei Entscheidungen des Einzelrichters, gegen die ein Rechtsmittel nicht möglich ist 2. Anspruch auf den gesetzlichen Richter "Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden"; Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Daher müssen alle Gerichte zu Beginn des Geschäftsjahres durch das Präsidium einen verbindlichen Geschäftsverteilungsplan aufstellen, der die Verteilung der Eingänge auf die einzelnen Richter oder Kammern/Senate genau regelt - ebenso ist die jeweilige Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter und der Berufsrichter bei Überbesetzung des Senats im voraus verbindlich zu regeln 3. Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs „Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör"; Art. 103 Abs. 1 GG Verletzung des rechtlichen Gehörs ist ein Verfahrensmangel und begründet Zulässigkeit der Revision, wenn ihre Zulässigkeit von einem Verfahrensmangel abhängt. Nicht mehr mit einem anderen Rechtsmittel anfechtbare Urteile können mit dieser Begründung mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, wiederholt mit Erfolg III. Einige Verfahrensfragen A Klagearten 1. Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten einschliesslich Arbeitssachen a) Leistungsklage - häufigster Fall; gerichtet auf eine Leistung, insbesondere Zahlung eines Geldbetrages, ein Tun oder Unterlassen Für eine Unterlassungsklage aber stets erforderlich Wiederholungsgefahr. Grund: Gerichte sollen nicht unnötig in Anspruch genommen werden b) Feststellungsklage; § 256 ZPO Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit. Stets erforderlich rechtliches Interesse des Klägers an der Feststellung durch richterliche Entscheidung. Grund: Keine unnötige Inanspruchnahme der Gerichte Feststellungsklage unzulässig, wenn Leistungsklage möglich 2. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten a) b) c) Anfechtungsklage, gerichtet auf Aufhebung eines Verwaltungsaktes; § 42 Abs. 1 VwGO Verpflichtungsklage, gerichtet auf Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsaktes (Untätigkeitsklage); § 42 Abs. 1 VwGO Feststellungsklage, gerichtet auf Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses oder Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes; § 43 VwGO Nur bei rechtlichem Interesse des Klägers und wenn keine Leistungsklage möglich B Verfahrensgrundsätze in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten einschliesslich Arbeitssachen 1. Parteibetrieb 77 Einleitung des Verfahrens nur auf Klage; Rücknahme der Klage (nach mündlicher Verhandlung nur mit Einwilligung des Beklagten), Anerkenntnis, Vergleich jederzeit möglich 2. Verhandlungsgrundsatz Die Parteien haben die Herrschaft über den Prozessstoff. Grund: Kein öffentliches Interesse am Ausgang des Verfahrens Gericht darf nur die Tatsachen berücksichtigen, die die Parteien vorbringen. Was zwischen den Parteien unstreitig ist, legt das Gericht seinem Urteil zugrunde. Über streitige Tatsachen erhebt das Gericht nur Beweis, soweit sie für die Entscheidung erheblich sind, und nur die Beweise, die die Parteien antreten Das Gericht darf über die Anträge der Parteien nicht hinausgehen - ne ultra petita. Aber Aufklärungs- und Hinweispflicht des Vorsitzenden nach § 139 ZPO 3. Verfahrenseinheit Alle Termine bilden eine Einheit. Alle Angriffs- und Verteidigungsmittel sind so zeitig vorzubringen, wie es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht, insbesondere innerhalb der vom Gericht gesetzten Fristen; späterer Vortrag nur, wenn dadurch keine Verzögerung des Rechtsstreits oder genügend entschuldigt; §§ 282, 296 ZPO 4. Freie Beweiswürdigung Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme über die Wahrheit tatsächlicher Behauptungen nach freier Überzeugung zu entscheiden; § 286 Abs. 1 ZPO. Gesetzliche Beweisregel nur für Urkunden; § 415 ff. ZPO Beweislast Grundsätzlich muss der Kläger die klagebegründenden Tatsachen darlegen und ggf. beweisen, der Beklagte die rechtshindernden und rechtsvernichtenden Einwendungen sowie die dauernden und zeitweiligen Einreden. Aus der Verteilung der Beweislast ergibt sich, zu Lasten weicher Partei es geht, wenn für streitige Tatsachen kein Beweis angetreten wird oder das Gericht nach Beweisaufnahme über die Wahrheit der streitigen Tatsachen keine Überzeugung erlangen kann. Die Verteilung der Beweislast ist daher nicht selten entscheidend für den Ausgang des Rechtsstreits. Man muss nicht nur Recht haben, sondern man muss sein Recht auch beweisen können. Wichtige Fälle einer Umkehrung der Beweislast: Der Schuldner hat darzulegen und. zu beweisen, dass ihn für die Pflichtverletzung oder den Verzug kein Verschulden trifft; § 280 Abs. 1 Satz 2, § 285 Abs. 4 (früher §§ 282, 285) BGB; ebenso der Hersteller bei Haftung für ein fehlerhaftes Produkt nach § 823 Abs. 1, falls nicht bereits Haftung unabhängig vom Verschulden nach ProduktHaftG. Grund: Entsprechende Tatsachen liegen in der Sphäre des Schuldner bzw. Herstellers und sind für den Gläubiger/Geschädigten nicht zugänglich. Gläubiger/Geschädigter könnte fast nie seinen Anspruch durchsetzen, wenn er die Beweislast hätte Hilfen für die beweispflichtige Partei: Rechtliche Vermutung, z.B. Eigentumsvermutung für Besitzer beweglicher Sache § 1006 BGB. Andere Partei muss Beweis des Gegenteils führen Tatsächliche Vermutung - Erfahrung des Lebens, die hohe Wahrscheinlichkeit für Vorliegen bestimmter Tatsachen oder Ablaufs begründet. Im Rahmen freier Beweiswürdigung vom Gericht zu berücksichtigen Anscheinsbeweis (prima-facie-Beweis) - Beweis bestimmter Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung auf bestimmte Ursache oder Ablauf hinweisen. Andere Partei muss dann darlegen und 78 beweisen, dass typischer Geschehensablauf hier nicht vorliegt. Bei Gelingen dieses Beweises muss beweispflichtige Partei vollen Beweis führen 5. Prozesskostenhilfe Eine Partei, die die Kosten der Prozessführung nicht oder nur zum Teil aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint; § 114 ff. ZPO Der Antrag ist beim Prozessgericht zu stellen. Bei, Bewilligung Befreiung von den Gerichtskosten; bei Anwaltszwang oder wenn sonst erforderlich auch Beiordnung eines Rechtsanwalts und Übernahme von dessen Kosten. Wenn die Partei den Prozess verliert, muss sie die dem Gegner entstandenen Kosten erstatten Beratungshilfe Bedürftigen wird für die Wahrnehmung von Rechten ausserhalb eines gerichtlichen Verfahrens auf Antrag Beratungshilfe gewährt, wenn die Wahrnehmung der Rechte nicht mutwillig ist. Antrag an das Amtsgericht, das dann dem Rechtsuchenden einen Berechtigungsschein für Beratungshilfe durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl ausstellt. Dem Anwalt steht eine Gebühr von 20,- DM zu; Beratungshilfegesetz vom 18.6.1980 C Verfahrungsgrundsätze in Verwaltungsstreitsachen Parteibetrieb wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Aber abweichend vom Verhandlungsgrundsatz des Zivilprozesses Untersuchungsgrundsatz; § 86 VwG0 Gericht erforscht Sachverhalt von Amts wegen und ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Parteien nicht gebunden. Aufklärungspflicht des Vorsitzenden § 86 Abs. 3 VwGO, Mitwirkungspflicht der Beteiligten Grund: Öffentliches Interesse an richtiger Entscheidung D Verfahrensgrundsätze in Strafsachen Einleitung des Verfahrens durch öffentliche Klage der Staatsanwaltschaft nach vorangegangenen Ermittlungen des Sachverhalts mit Hilfe der Polizei; § 151 StPO Legalitätsgrundsatz: Soweit nicht gesetzlich anders bestimmt - insbes. Absehen von Verfolgung wegen Geringfügigkeit § 153 StPO - ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen, bei schweren Straftaten ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig, der ggf. auf Antrag oder von Amts wegen bestellt wird; § 137, 140 StPO Die Hauptverhandlung dient der Erforschung der Wahrheit durch die Vernehmung des Angeklagten und die Beweisaufnahme. Dem Angeklagten steht es frei, nicht zur Sache auszusagen. Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind; Ablehnung von Beweisanträgen nur unter sehr strengen Voraussetzungen; § 244 StPO Auf diese Weise weitestmögliche Aufklärung des Sachverhalts und Ermittlung der Wahrheit. Im Zweifel ist der Angeklagte freizusprechen IV Einstweiliger Rechtsschutz Vielfach würde eine Entscheidung in der Hauptsache zur Wahrung der Rechte des Klägers zu spät kommen oder es muss zur Sicherung des Rechtsfriedens eine vorläufige Regelung getroffen werden. Daher entsprechende Vorschriften in der ZPO und VwGO 79 A Einstweiliger Rechtsschutz in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Arbeitssachen 1. Arrest Der Arrest dient der Sicherung der späteren Zwangsvollstreckung in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen des Schuldners wegen einer Geldforderung oder eines anderen vermögensrechtlichen Anspruchs, z.B. Lieferung einer Sache, durch eine Verfügungssperre über Geldvermögen, Eintragung einer Sicherungshypothek auf einem Grundstück des Schuldners oder Herausgabe der Sache an den Gerichtsvollzieher. Erforderlich sind ein Arrestanspruch und ein Arrestgrund, die begründete Besorgnis der Vereitelung oder wesentliche Erschwerung der Vollstreckung eines künftigen Urteils. Arrestanspruch und Arrestgrund sind glaubhaft zu machen. Zuständig ist sowohl das Gericht der Hauptsache als das Amtsgericht, in dessen Bezirk der mit Arrest zu belegende Gegenstand sich befindet. Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen; § 916 ff. ZPO 2. Einstweilige Verfügung Eine einstweilige Verfügung kann ergehen 1 . in Bezug auf den Streitgegenstand, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechtes einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte; § 935 ZPO. In der Praxis relativ selten 2. zur Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint; § 940 ZPO In der Praxis der Regelfall. Wichtigste Fallgruppen: Ansprüche gegen Mitbewerber wegen Verletzung der Vorschriften des UWG und seiner Nebengesetze; Ansprüche auf Unterhalt; Ansprüche, ehrverletzende Äusserungen zu unterlassen Erforderlich Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund, Sicherung des Rechtsfriedens oder Abwendung wesentlicher Nachteile: Dringlichkeit; Entscheidung auf Klage im Hauptverfahren käme zu spät. Zuständig das Gericht der Hauptsache. Die Entscheidung kann in dringenden Fällen ohne mündliche Verhandlung ergehen. In der Praxis kommt es häufig insbesondere in UWG-Sachen und Ehrenschutzsachen nicht mehr zu einem Verfahren in der Hauptsache B Einstweiliger Rechtsschutz in Verwaltungsstreitsachen Im öffentlichen Recht können die Bürger vorläufigen Rechtsschutz durch eine einstweilige Anordnung gern. § 123 VwGO unter denselben Voraussetzungen wie im Zivilprozess erhalten Ein vorläufiger Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte wird für die Bürger dadurch erreicht, dass nach § 80 Abs. 1 VwGO Widerspruch und Anfechtungsklage ausser bei Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten aufschiebende Wirkung haben, es sei denn, dass die betreffende Behörde die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse besonders angeordnet hat. In diesen Fällen kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung wiederherstellen; § 80 Abs. 5 VwGO 80 Anhang I. Abkürzungen a.F. alte Fassung BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BVerfG Bundesverfassungsgericht EAG Europäische Atomgemeinschaft EG Europäische Gemeinschaft EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl GG Grundgesetz GVG Gerichtsverfassungsgesetz GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen HGB Handelsgesetzbuch StPO Strafprozessordnung UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb VwGO Verwaltungsgerichtsordnung VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz WTO World Trade Organisation ZPO Zivilprozessordnung II. Auszug aus dem Grundgesetz Art. 1 (Schutz der Menschenwürde) (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräusserlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. (3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Art. 2 (Allgemeines Persönlichkeitsrecht) (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäsige Ordnung oder das Sittengesetz verstösst. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. Art. 3 (Gleichheit vor dem Gesetz) (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Art. 5 (Recht der freien Meinungsäusserung) (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äussern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichtserstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. (3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung. 81 Art. 9 (Vereinigungsfreiheit) (1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. (2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmässige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten. (3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Massnahmen sind rechtswidrig. Massnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3; Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden. Art. 12 (Berufsfreiheit) (1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden. (2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, ausser im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht. (3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig. Art. 14 (Eigentum, Erbrecht und Enteignung) (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmass der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vo den ordentlichen Gerichten offen. Art. 19 (Einschränkung von Grundrechten) (1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muss das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Ausserdem muss das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen. (2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden. (3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. (4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 bleibt unberührt. Art. 20 (Bundesstaatliche Verfassung; Widerstandsrecht) (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. (3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmässige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Art. 28 (Verfassung der Länder) (1) die verfassungsmässige Ordnung in den Ländern muss den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Restsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. Art. 97 (Unabhängigkeit der Richter) (1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen 82 Art. 103 (Grundrechte vor Gericht) (1) Vor Gericht hat jederman Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Ein Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen der selben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden. III. Auszug aus weiteren Gesetzen 1. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 138 Abs. 1 Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig. § 242 Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. § 253 Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden. § 626 Abs. 1 Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu deren vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. § 823 Abs. 1 Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines Anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. § 826 Wer in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen zum Ersatze des Schadens verpflichtet. 2. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) §1 Wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Handlungen vornimmt, die gegen die guten Sitten verstossen, kann auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen werden. 3. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) § 19 Abs. 1 Die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen ist verboten.