Professor Dr. Koenigs Januar 2006 Einführung in die

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Professor Dr. Koenigs
Januar 2006
Einführung in die Rechtswissenschaft
Einführung
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I.
II.
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Die grossen Bereiche der Rechtsordnung – Übersicht
Rechtswissenschaft – Naturwissenschaften/Technik
Erster Abschnitt:
Grundfragen
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I. Funktion des Rechts
II. Abgrenzung zu anderen sozialen Wertordnungen
III. Macht und Recht
IV. Wesen und Gründe der Geltung des Rechts
Naturrecht; Historische Rechtsschule; Reiner Positivismus; Soziologischer
Positivismus; Marxismus; Teleologischer Rechtspositivismus; Wertorientierter
Rechtspositivismus; Gesellschaftspolitischer Ansatz; Freirechtsschule
(Voluntarismus, Dezisionismus)
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Zweiter Abschnitt:
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Die grossen Bereiche der Rechtsordnung
I. Völkerrecht
II. Supranationales Recht – Europäische Gemeinschaften
III. Nationales Recht
A. Öffentliches Recht – Privatrecht
B. Bereiche des öffentlichen Rechts
C. Bereiche des Privatrechts
IV. Kirchenrecht
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Dritter Abschnitt:
Allgemeine Rechtslehre
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I. Rechtsquellen - Arten und Rangordnung
II. Rechtsanwendung und Rechtsauslegung
III. Lücken im Gesetz
IV. Rechtsfortbildung durch den Richter
V. Generalklauseln - Nutzen und Gefahren
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Vierter Abschnitt:
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I.
Öffentliches Recht
Allgemeine Staatslehre
A. Begriff und Elemente des Staates
Staatsgebiet; Staatsvolk - Staatsvolk/Nation, Staatsangehörigkeit;
Staatsgewalt
B. Staatsrechtfertigungen
1. Staatsrechtfertigungen
Ethische Theorie/Naturrecht; Religiöse Theorie; Machttheorie;
Vertragstheorie; Soziologische Theorie
2. Zweck und Aufgaben des Staates
Verwirklichung der durch Sittengesetz gebotenen Ordnung", Verwirkli
chung des Willens Gottes; Wohlfahrtstheorie; Liberaler Rechtsstaat;
Freiheitlich - Sozialer Rechtsstaat
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2
C. Staatsformen
1. Einteilung nach Träger der Staatsgewalt
Monarchie; Republik; Diktatur
2. Andere Einteilungen
II. Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland
A. Verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidungen
1. Republik
2. Bundesstaat
3. Demokratie
4. Rechtsstaat
5. Sozialstaat
B. Grundrechte
1. Allgemeines
Geschichte; Funktion der Grundrechte; Einschränkung der Grundrechte;
Drittwirkung; Grundrechtsberechtigte
2. Einzelne Grundrechte
a) Allgemeine Handlungsfreiheit; Art. 2 Abs. 1
aa) Inhalt des Grundrechts Handlungsfreiheit
bb) Schranken des Grundrechts
b) Meinungs- und Informationsfreiheit; Art. 5 Abs. 1 und 2
c) Vereinigungsfreiheit und Koalitionsfreiheit; Art. 9
d) Berufsfreiheit; Art. 12
e)Schutz des Eigentums; Art. 14
aa) Inhalt des Grundrechts Eigentum; Gründe des Schutzes
bb) Schranken des Grundrechts Eigentum
cc) Enteignung
dd) Sozialisierung
C. Die Wirtschaftsordnung des Grundgesetzes
D. Staatsorgane; Gesetzgebung
1.Staatsorgane
2. Gesetzgebung
III. Das Verwaltungsrecht der Bundesrepublik Deutschland
A. Begriff und Arten der Verwaltung
1. Begriff
2. Arten der Verwaltung
B. Handlungsformen der Verwaltung
1. Übersicht
2. Der Verwaltungsakt
a) Begriff und Arten
b) Der fehlerhafte Verwaltungsakt
Fünfter Abschnitt:
Privatrecht
I. Bereich
II. Bürgerliches Recht (BGB)
A. Einführung
B. Entstehung und Nutzen der Rechtsbegriffe des BGB
C. Strukturelemente des BGB
1. Normarten
2. Arten der Rechte
3. Verpflichtungsgeschäfte/Verfügungsgeschäfte
4. Abstraktionsprinzip
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D. Einige übergreifende Rechtsgedanken
1. Vertragsfreiheit und ihre Grenzen
2. Einstehen für den durch eigenes Verhalten geschaffenen Rechtsschein
3. Zuordnung des Zufallsrisikos nach der Sphäre
4. Treu und Glauben
a) Übersicht
b) Nebenpflichten einer Vertragspartei
c) Einwand der unzulässigen Rechtsausübung
d) Fortfall der Geschäftsgrundlage
III. Strukturelemente des Handelsrechts
IV. Strukturelemente des Gesellschaftsrechts
V. Strukturelemente des Arbeitsrechts
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Sechster Abschnitt:
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Rechtsschutz
I.
Arten und Zuständigkeit der Gerichte; Rechtsweg
A. Arten und Aufbau der Gerichte
B. Zuständigkeit und Rechtsweg in Zivilsachen
C. Zuständigkeit und Rechtsweg in Strafsachen
D. Zuständigkeit und Rechtsweg in Arbeitssachen
E. Zuständigkeit und Rechtsweg in der Verwaltungsgerichtsbarkeit
F. Zuständigkeit und Rechtsweg in der Finanzgerichtsbarkeit
G. Zuständigkeit und Rechtsweg in der Sozialgerichtsbarkeit
II. Gemeinsame Grundsätze
III. Einige Verfahrensfragen
A. Klagearten
B. Verfahrensgrundsätze in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und
Arbeitssachen
C. Verfahrensgrundsätze in Verwaltungsstreitsachen
D. Verfahrensgrundsätze in Strafsachen
IV. Einstweiliger Rechtsschutz
A. Einstweiliger Rechtsschutz in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und
Arbeitssachen
B. Einstweiliger Rechtsschutz in Verwaltungsstreitsachen
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Anhang
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I. Abkürzungen
II. Auszug aus dem Grundgesetz
III Auszug aus weiteren Gesetzen
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Einführung
I.
Die grossen Bereiche der Rechtsordnung – Übersicht
A. Vorab zwei Bemerkungen
1. Funktion des Rechts
2. Tätigkeit der Juristen
1. Funktion des Rechts
Durch Recht Regeln für ein geordnetes Zusammenleben oft sehr vieler Menschen in der
jeweiligen Gemeinschaft,
Gemeinschaft der Völker in der Welt
Staat
kleinere soziale Einheiten – Land, Gemeinde, Universität, Verein, Familie
In erster Linie Recht Friedensordnung, aber auch im Kriegsvölkerrecht Regeln für einen Krieg
Als Teilaufgaben der Friedensordnung
1. Sicherung des Funktionierens der jeweiligen Ordnung von Staat und Wirtschaft
2. Schutz der Schwächeren gegen die Starken
Näheres Erster Abschnitt I
2. Tätigkeit der Juristen
Haupttätigkeit Anwendung des Rechts – als Richter, Verwaltung, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Justitiar in der Wirtschaft
Weitere Tätigkeitsbereiche
Entwicklung neuen Rechts – Ministerien, Professoren, begrenzt Richter
Lehre des Rechts; kritische Begleitung von Rechtsprechung und Verwaltung – Professoren,
Praktiker
Gemeinsame Elemente der Tätigkeit der Juristen
1. Umfassende Ermittlung des Sachverhalts
2. Abwägung gegenläufiger Werte und Interessen
nicht nur bei der Gesetzgebung, sondern auch vielfach bei Anwendung des Rechts
Die Gesetze lassen Raum für eine solche Abwägung
durch entsprechende Vorbehalte – z.B. Art. 5 GG Meinungsfreiheit, Schranken die
allgemeinen Gesetze und Recht der persönlichen Ehre
durch unbestimmte Rechtsbegriffe wie öffentliche Sicherheit und Ordnung
durch Generalklauseln, insbesondere im Zivilrecht wie gute Sitten, Treu und Glauben
durch Recht und Pflicht der Verwaltung zu Entscheidungen nach pflichtgemässem Ermessen
Für gesetzliche Regelung oder Entscheidung im Einzelfall oft erforderlich Abwägung
zwischen hochrangigen Werten – Abtreibung; Genforschung; Demonstration rechtsextremer
Parteien; „Soldaten sind Mörder“
meist erforderlich Abwägung zwischen weniger schwerwiegenden Werten und Interessen –
Kündigung des Vermieters wegen Eigenbedarfs; Kündigungsschutzklage eines Arbeitnehmers
Ermittlung des Sachverhalts und Abwägung gegenläufiger Werte und Interessen auch in vielen
anderen Berufen erforderlich, aber in der Regel in weit geringerem Umfange;
5
wohl am meisten erforderlich bei unternehmerischen Entscheidungen; daher Nutzen einer
begrenzten Rechtsausbildung auch für Studenten der Wirtschaftswissenschaften
B. Die grossen Bereiche der Rechtsordnung – Übersicht
Regeln für das Zusammenleben der Menschen enthält nicht nur die Rechtsordnung, sondern
solche Regeln ergeben sich in erheblichem Umfange durch weitere Wertordnungen und Regeln,
die die Rechtsordnung ergänzen, u. U. ihr sogar widersprechen und nicht selten als stärker
verbindlich empfunden und stärker befolgt werden,
Das sind
Brauch (Verkehrssitte, Handelsbrauch)
Sitte
Moral/Ethik
Religion
Ihnen allen ist gemeinsam,
dass sie keine rechtlichen Verpflichtungen sind, deren Beachtung notfalls mit staatlicher Gewalt
erzwungen wird
Z. T. begründen sie überhaupt keine Verpflichtungen wie der Brauch
Z. T. nur sittliche oder religiöse Verpflichtungen wie Sitte, Moral/Ethik und Religion
Z. T. gelten sie nur für bestimmte Gruppen mit u. U. sehr unterschiedlichem Inhalt wie Religion
oder Standesmoral von Offizieren oder Russenmafia
Bei Verstössen drohen sehr unterschiedliche Sanktionen
Näheres Erster Abschnitt II
Als grosse Bereiche der Rechtsordnung sind zweckmässig zu unterscheiden
das Völkerrecht
das supranationale Recht der Europäischen Gemeinschaften
das nationale Recht der einzelnen Staaten mit seinen beiden grossen Bereichen Öffentliches
Recht und Privatrecht
das Kirchenrecht
1.
Das Völkerrecht
Das Völkerrecht umfasst die Regeln für die Beziehungen der Staaten, der Staatenverbindungen
mit völkerrechtlicher Handlungsfähigkeit wie die Europäischen Gemeinschaften und anderer
souveräner Rechtsträger wie die Katholische Kirche und der souveräne Malteser Orden
Das Völkerrecht ist eine eigenständige Rechtsordnung, in der nur Völkerrechtssubjekte
handlungsfähig sind
Näheres Zweiter Abschnitt I
2.
Supranationales Recht der Europäischen Gemeinschaften
Entstanden als Folge einer neuen Form engerer Zusammenarbeit europäischer Staaten
zunächst als Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 1951, fortgesetzt und
erweitert durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, jetzt EG) und Europäische
Atomgemeinschaft (EAG) 1958.
Die Mitgliedstaaten haben einen Teil ihre Hoheitsrechte auf die Gemeinschaften übertragen und
haben drei neue klassische Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative (Rechtsprechung)
geschaffen. Damit ist eine neue eigenständige Rechtsordnung mit Vorrang vor dem Recht der
Mitgliedstaaten entstanden, die in vielen Bereichen das nationale Recht der Mitgliedstaaten
überlagert.
Zur Unterscheidung vom Internationalen Recht, den Rechtsbeziehungen der Staaten und
Staatenverbindungen im Bereich des Völkerrechts wird dieser neue Bereich der Rechtsordnung
supranationales Gemeinschaftsrecht genannt
6
Zweiter Abschnitt II
3.
Das nationale Recht
Das nationale Recht der Mitgliedstaaten wird wegen der unterschiedlichen Aufgaben und daraus
folgenden grossen Unterschiede der Rechtsvorschriften aufgeteilt in die beiden grossen Bereiche
Öffentliches Recht und Privatrecht, innerhalb dieser grossen Rechtsgebiete in weitere Bereiche
entsprechend dem geregelten Bereich
Die grossen Unterschiede der beiden Bereiche ergeben sich aus den Aufgaben dieser
Rechtsgebiete
Das Öffentliche Recht regelt die Beziehungen Staat – Bürger
Das Privatrecht regelt die Beziehungen Bürger – Bürger
Kennzeichnend für das Öffentliche Recht ist die Überordnung – Unterordnung der Beteiligten
Kennzeichnend für das Privatrecht ist die Gleichordnung der Beteiligten
Aus diesem Unterschied folgen für die Normen dieser Rechtsgebiete unterschiedliche Aufgaben,
zu erfüllende Bedürfnisse und zu schützende Interessen
Näheres Zweiter Abschnitt III A
Ebenso, aber in weit geringerem Umfange als das Völkerrecht wird das förmliche/geschriebene
nationale Recht ergänzt durch das Gewohnheitsrecht. Es entsteht durch ständige Übung der
Rechtsgenossen bzw. ständige Rechtsprechung und als zusätzliches Erfordernis die Meinung
der Beteiligten, zu ihrem entsprechenden Verhalten rechtlich verpflichtet zu sein (opinio
necessitatis). Durch dieses zusätzliche Erfordernis unterscheidet sich das Gewohnheitsrecht
vom Brauch und der Verkehrssitte
4.
Das Kirchenrecht
Das Kirchenrecht regelt die Verfassung der Kirche sowie die Rechte und Pflichten der
Geistlichen und der Mitglieder der jeweiligen Kirche.
Im Falle eines Widerspruchs von Staatsrecht und Kirchenrecht beansprucht jede Seite an sich
den Vorrang, z. B. im Recht der Ehe. Aufgrund seiner Macht setzt aber der Staat den Vorrang
seines Rechts durch, soweit es um Geltung und Anwendung staatlichen Rechts geht. In ihrem
Bereich bleibt es der Kirche überlassen, ob und in welchem Umfange sie das staatliche Recht
anerkennt.
Soweit wie mit dem öffentlichen Interesse vereinbar, räumt der Staat der Kirche Autonomie ein,
d. h. das Recht zur eigenen Gesetzgebung und Rechtsprechung
5.
Das Naturrecht
Ein die grossen Bereiche der Rechtsordnung Völkerrecht, supranationales Gemeinschaftsrecht,
nationales Recht der einzelnen Staaten und Kirchenrecht überwölbender Bereich ist das
Naturrecht. Das Naturrecht gilt als natürliche Rechts- und Wertordnung unabhängig von
menschlicher Autorität und Tätigkeit eines Gesetzgebers und ist für jeden Gesetzgeber und
Richter in allen Bereichen verbindlich
Näheres Erster Abschnitt IV
II.
Rechtswissenschaft – Naturwissenschaften/Technik
Grundsätzlicher Unterschied in Aufgaben und Arbeitsmethoden zwischen Rechtswissenschaft
und Naturwissenschaften/Technik
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Aufgabe von Naturwissenschaft/Technik Erkenntnis der Natur und Einsatz der natürlichen
Ressourcen und Naturkräfte, um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen und technische
Wirkungen zu erzielen
Gegenstand der Forschung also der Ist-Zustand sowie die Ursachen und möglichen Wirkungen
des Einsatzes von Ressourcen und Naturkräften
Mittel der Forschung Beobachtung, Experiment, u.U. theoretische Spekulation
Wissenschaftliche Wahrheit das durch Beobachtung und Experiment Bestätigte; Richtig oder
Falsch allerdings nur aufgrund der gegenwärtigen Erkenntnismöglichkeiten und damit unter dem
Vorbehalt späterer abweichender Erkenntnisse aufgrund dieser Arbeitsmethode
Damit grundsätzlicher Unterschied zur Rechtswissenschaft
Aufgabe des Rechts Ordnung des Zusammenlebens in der jeweiligen Gemeinschaft
Am Anfang der Rechtsordnung steht die Entscheidung über das Leitbild. Diese Entscheidung
eine wertende Willensentscheidung, die der Prüfung auf Richtigkeit wie in Naturwissenschaft/Technik entzogen. Nur möglich, durch Spekulation vorab oder aufgrund geschichtlicher
Erfahrung bestimmte Folgen der Entscheidung für ein bestimmtes Leitbild zu ermitteln,
z.B. aus der Entscheidung für das Leitbild des Westens Freiheit und Entfaltung des Einzelnen in
einer durch die Werte der Antike und des christlichen Abendlandes geprägten Gesellschaft oder
aus der Entscheidung für das Leitbild einer sozialistischen Gesellschaft von Utopia bis zum
Marxismus-Leninismus des Ostblocks
Entscheidung aufgrund dieser Folgen aber nicht richtig oder falsch im naturwissenschaftlichen
Sinne, sondern die Entscheidung bleibt eine wertende (normative) Willensentscheidung, welche
Folgen zu bevorzugen sind und damit welches Leitbild
Aus dem gewählten Leitbild werden alle weiteren Normen und die Rangordnung der Werte
abgeleitet, ebenso Entscheidungen im Einzelfall, wenn und soweit die jeweilige Norm Entscheidungsspielraum lässt
Aufgabe der Rechtswissenschaft, bei Entwicklung der Normen und den Entscheidungen im
Einzelfall Hilfe zu leisten
Richtig oder falsch also nur, ob die Norm oder Entscheidung innerhalb des aus der Leitentscheidung abgeleiteten Koordinatenkreuzes richtig und ob die Verfahrensregeln beachtet
Im Bereich der Rechtswissenschaft also stets nur relative Wahrheit; kein Anspruch auf absolute
Wahrheit wie Religion oder Marxismus/Leninismus oder Wahrheit aufgrund der gegenwärtigen
naturwissenschaftlich/technischen Erkenntnismöglichkeiten
Zusammenfassung
Grundlegender Unterschied Naturwissenschaften/Technik - Rechtswissenschaft:
In Naturwissenschaften/Technik Aufgabe der Wissenschaft Erforschung des Seins; möglich
Aussage Richtig oder Falsch in Grenzen der jeweiligen Erkenntnismöglichkeit
In Rechtswissenschaft Aufgabe der Wissenschaft Hilfe bei Gesetzgebung und Rechtsprechung;
Urteil Richtig oder Falsch im Rahmen eines Koordinatenkreuzes, das vorab aus einem Leitbild
aufgrund wertender Willensentscheidung entwickelt
Sehr häufig notwendig Abwägung zwischen sich widersprechenden Werten und Interessen; denn
sehr häufig für Gesetzgeber noch Spielraum im Rahmen der Verfassung und für Richter
Spielraum für Entscheidung durch Pflicht zur Abwägung bereits im Gesetz benannter Interessen,
durch unbestimmte Rechtsbegriffe oder durch Generalklauseln
In diesen Fällen nur Prüfung, ob Gesetz oder Entscheidung innerhalb des gewährten Spielraums in sachgerechter Abwägung und ob Verfahrensregeln beachtet. Im Bereich der
Rechtswissenschaft also stets nur relative Richtigkeit
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Erster Abschnitt: Grundfragen
I.
Funktion des Rechts
Menschliches Zusammenleben nur möglich, wenn es Regeln gibt und diese Regeln beachtet
werden, von der Ehe über Familie, Betrieb, Staat bis zur Gemeinschaft der Völker
So umfassende Rechtsordnung solcher Regelungsdichte wie gegenwärtig Ergebnis einer
Entwicklung mehrerer 1000 Jahre,
über individuelle Gewohnheiten; Gewohnheiten der jeweiligen Gruppe; Gruppenregeln, deren
Verletzung eine Sozialsanktion auslöst; Sitte, Moral; Religion, in der oft sozial gebotenes
Verhalten zu religiösen Geboten überhöht wird, bis zum verbindlichen Recht, dessen Verletzung
rechtliche Sanktionen auslöst und das mit staatlichem Zwang durchgesetzt wird.
Zur Abgrenzung des Rechts zu anderen sozialen Wertordnungen unter II
Zunächst zur Funktion des Rechts
Wichtigste Aufgaben
1. Friedensordnung
Lösung der im Zusammenleben der Menschen unvermeidlichen Konflikte nicht mehr durch
Kampf, sondern in der Regel in institutionalisierten Verfahren; in bestimmten Fällen noch
Kampf zulässig, aber nach festen Regeln - Duell; Arbeitskampf; Haager Landkriegsordnung;
Verzicht auf bestimmte Waffen - nicht Gas, Atomwaffen, Biologische Waffen
Verzicht nicht aus Einsicht, sondern aus Furcht vor gleichen Waffen des Feindes
2. Schutz des Schwächeren
gegen rechtswidrige Verletzung der Rechtsgüter des Schwächeren - Leben, Gesundheit,
Eigentum, wirtschaftliche Betätigungsfreiheit
Aus diesen Aufgaben des Rechts folgt Gewaltmonopol des Staates. Gewaltmonopol des Staates
statt Selbsthilferecht der Einzelnen oder Recht einzelner Feudalherren oder sozialer Gruppen,
zur Durchsetzung eigener Ziele Gewalt anzuwenden, Ergebnis einer oft langen Entwicklung,
wesentliche Voraussetzung eines geordneten Zusammenlebens. Zu Unrecht als „strukturelle
Gewalt“ abgelehnt
Als Folge der immer grösser werdenden Gemeinschaften, in denen Menschen organisiert
zusammenleben, der zunehmenden Arbeitsteilung und technischen Entwicklung entsteht über
die Grundaufgaben des Rechts Friedensordnung und Schutz des Schwächeren hinaus ein
Bedarf nach immer stärkerer rechtlicher Regelung
Recht daher heute eine umfassende Ordnung für ein möglichst reibungsloses Zusammenleben
innerhalb eines Staates; z.Z. in Entwicklung Ordnung für ein Zusammenleben innerhalb einer
Staatengemeinschaft Europäische Wirtschaftsgemeinschaft/Europäische Union
Ständig zunehmende Normdichte. Damit je nach den jeweils herrschenden Wertvorstellungen
Verfolgen weiterer Ziele möglich, etwa
Demokratie
Gerechtigkeit i.S. sozialer Gerechtigkeit
höchstmögliche Freiheit des Einzelnen
höchstmögliche Gleichheit
Herstellen einer sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung
Das Recht wird immer stärker eingesetzt als Gestaltungsmittel, um politische, gesellschaftliche
oder wirtschaftliche Ziele zu erreichen. Als Folge verringerte Akzeptanz solcher Normen bei
einem Teil der Bürger
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Rechtsordnung eines Staates folgt regelmässig einem Leitbild, aus dem die in den einzelnen
Normen vollzogenen Wertentscheidungen und Regeln abgeleitet werden
Leitbild im Westen aufgrund der durch die Antike und das Christentum geprägten Wertvorstellungen Würde und höchstmögliche Freiheit des Einzelnen
Im Osten bisher eine sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung, Einordnung des Einzelnen
in das Kollektiv
Zu den daraus folgenden grundlegenden Unterschieden zwischen Rechtswissenschaft und
Naturwissenschaften/Technik vorstehend Einführung II
Trotz des Konsenses über das Leitbild der Rechtsordnung im Westen und des abstrakten
Konsenses über viele weitere Ziele, z.B. Demokratie, soziale Gerechtigkeit oft Spannungen und
schwere Konflikte über die aus diesen Zielen folgenden Rechtsnormen
Ziel Gerechtigkeit im Spannungsverhältnis zwischen Einzelfall-Gerechtigkeit und Rechtssicherheit,
soziale Gerechtigkeit im Spannungsverhältnis zwischen Solidarität/Umverteilung und Anspruch
auf Lohn der eigenen Leistung, Eigenverantwortung
Besonders konfliktträchtig Ziel höchstmögliche Freiheit des Einzelnen
Meinungsfreiheit im Spannungsverhältnis zum Schutz der Ehre. "Alle Soldaten sind potentielle
Mörder"
Abtreibung im Spannungsverhältnis zwischen Entscheidungsfreiheit der Frau und Lebensrecht
des ungeborenen Kindes. Embryo im Reagenzglas besser geschützt als im Leib der Mutter
Möglichst grosse Eigenverantwortung und Eigenbeteiligung bei Vorsorge für Krankheit und Alter
oder Vorsorge durch Kollektivsysteme mit Zwangsmitgliedschaft, hoher Umverteilung unter
Aspekt der Solidarität und ohne oder nur geringer Eigenbeteiligung
Datenschutz im Spannungsfeld zwischen informationeller Selbstbestimmung und Vorteilen für
Kriminelle und böswillige Schuldner mit entsprechenden Nachteilen für Bürger und Gläubiger
Ursache für so grosse Konflikte und Schwierigkeiten in Gesetzgebung und Verwaltung de Verlust
des Grundkonsenses in unserer Gesellschaft, Entwicklung zu pluralistischer Gesellschaft mit
sehr unterschiedlichen Wertprioritäten oder sogar zu Gesellschaft ohne Wertvorstellungen;
vorher wesentlich geringere Konflikte und Schwierigkeiten durch weitgehenden Konsens über
verbindliche Werte und geringere Freiheitsrechte der Bürger
Gegenwärtig gefährliche Entwicklung durch extremen Wertpluralismus oder Wertvakuum und
äusserst weitgehende Freiheits-, Klage- und Anhörungsrechte der Bürger; verstärkt durch
Unfähigkeit oder fehlenden Willen des Staates, viele seiner Rechtsnormen noch durchzusetzen,
sowie wachsende Bereitschaft der Bürger, geltendes Recht zu missachten
Damit Schwinden des Rechtsbewusstseins, Beeinträchtigung effizienter Verwaltung, Gefährdung
Deutschlands als Industriestandort. Beispiele: Steuerhinterziehung; Gentechnik; Genehmigungsverfahren für Kraftwerke, Bahnen, Strassen, Industrieanlagen
Erforderlich angemessene Einschränkung von Klage- und Anhörungsrechten; Fähigkeit und Mut
des Staates, seine Normen durchzusetzen; Mut zur Erziehung und Rückbesinnung auf
bestimmte Grundwerte und Tugenden wie Eigenverantwortung, Gemeinsinn, Leistungsbereitschaft, Sorgfalt, Fleiss, Ordnung, Toleranz, Rücksichtnahme und Verzicht auf Gewalt zur Lösung
von Konflikten
Daraus erkennbar eine der Grundaufgaben und Schwierigkeiten der Rechtswissenschaft, die
Abwägung zwischen gegensätzlichen Werten und Interessen
Zwar durch Gesetzgebung bereits solche Abwägung und Entscheidung, trotzdem aber für
Entscheidung im Einzelfalle oft noch erheblicher Spielraum für Abwägung, insbesondere wenn
Gesetzgeber unbestimmte Rechtsbegriffe verwendet oder die Abwägung gegensätzlicher
Interessen durch Verwaltung oder Rechtsprechung vorschreibt; besonders grosser Raum und
Bedarf für Abwägung im Rahmen der Generalklauseln, siehe Zweiter Abschnitt Vl.
10
Gleiche Aufgabe und Schwierigkeit Abwägung gegensätzlicher Werte und Interessen auch in der
BWL, allerdings mit geringerer ideologischer und emotionaler Belastung
Abzuwägen Risiko - Chancen bestimmter Investition; Renditeerhöhung - Umweltschutz;
Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern aus sozialer Rücksichtnahme entgegen betriebswirtschaftlichem Optimum
Schulung im Erfassen und Darstellen von Sachverhalten und in juristischer Arbeitstechnik im
Rahmen der Rechtsausbildung zugleich Vorbereitung auf das auch in der Unternehmenspraxis
laufend notwendige Erfassen und Darstellen von Sachverhalten, insbesondere aber auf die
wichtigste unternehmerische Aufgabe Treffen richtige Entscheidungen durch Abwägung oft
zahlreicher Faktoren unter Unsicherheit
II.
Abgrenzung des Rechts zu anderen sozialen Wertordnungen
Begriffsbestimmung Recht:
Recht verbindliche, von der dazu berechtigten Stelle - meist Staat, u.U. auch anderer Verband
wie Universität, Kirche, Verein - geschaffene Norm, dessen Verletzung eine rechtliche Sanktion
auslöst und die ggf. mit Zwangsmitteln durchgesetzt wird
Recht abzugrenzen zu
Brauch (Verkehrssitte, Handelsbrauch)
Sitte
Moral/Ethik
Religion
1. Brauch
Tatsächliche Übung innerhalb einer Gruppe, z.B. Aufteilung der Aufgaben innerhalb Familie oder
Arbeitsgruppe
Brauch entwickelt sich in jeder Gruppe zur Erleichterung des Zusammenlebens und zum
besseren Erreichen der Gruppenziele. Damit Erleichterung der Entscheidung über das eigene
Verhalten (Soziologen: Entlastungsfunktion); Vorhersehbarkeit des Verhaltens für andere Mitglieder der Gruppe
Abweichungen vom Brauch aber ohne Sanktionen möglich; Brauch nicht verbindlich
2. Sitte
Normativer Brauch; moralischer Hintergrund aber nicht nötig, z.B. "angemessene" Arbeitsleistung im Verhältnis zu den Arbeitskollegen, Abschreiben-Lassen in der Schule, Einreihen in
Warteschlange
Sitte wird ebenfalls in jeder Gruppe aus den genannten Gründen entwickelt
Anders als bei Brauch führt aber Abweichung von der Sitte zu sozialen Sanktionen
Sitte anders als Moral auch ohne freiwillige Anerkennung als Verhaltensnorm allgemein verbindlich
Abweichend vom Recht aber Sitte nicht bereits vorher genau und verbindlich festgelegt, nicht
feststehend
Sitte kann zum Gewohnheitsrecht werden, d.h. rechtlich verbindlich und mit rechtlichen Sanktionen bei Abweichung, z.B. Gewährung von Gratifikation ohne Vorbehalt durch Arbeitgeber,
oder von der Rechtsordnung als, Anknüpfung für Pflichten und Rechte genommen werden, z.B.
die Verkehrssitte, unter Kaufleuten der Handelsbrauch; §§ 138, 826 BGB, § 346 HGB, § 1 UWG
Zwecks besserer Beachtung werden in vielen Gesellschaften bestimmte Sitten zu religiösen
Geboten erhoben
3. Moral/Ethik
Unterschiedliche Formen:
Autonome Moral - Gewissen
Gruppenmoral, z.B. eines bestimmten Berufsstandes wie Offiziere, Rechtsanwälte oder eines
sozialen Standes wie Adel, Arbeiter
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Humanmoral - gemeinsame Wertvorstellungen aller Menschen
Moral/Ethik entwickelt aus Wertvorstellungen der 3eweiligen Gruppe. Sie ist verbindlich nur für
diejenigen, die sich zu dieser Wertegemeinschaft aus eigener freier Entscheidung bekennen. Ihr
Inhalt kann daher sehr unterschiedlich, u.U. sogar entgegengesetzt sein - ehrbare Bürger/ Mafia
Sanktion bei Verstoss gegen die jeweiligen Gebote soziale Sanktionen, insbesondere Missachtung, nur durch die Angehörigen der jeweiligen Gruppe
Teil der Gebote, insbesondere der Humanmoral, wird oft zur Rechtsnorm erhoben und wird damit
auch verbindlich für diejenigen, die sich nicht zu dieser Wertegemeinschaft bekennen
4. Religion
Hier nur Abgrenzung zum Recht.
Religion enthält religiös begründete Verhaltensnormen und zur Sicherung ihrer Beachtung
religiöse Sanktionen im Diesseits und Jenseits. Anders als Recht nicht allgemein verbindlich,
sondern nur für die freiwillig Gläubigen
Regeln für das geordnete Zusammenleben und Bestand einer bestimmten Gruppen, z.B.
Versorgung von Kindern, Gesundheitsschutz werden zwecks besseren Beachtung oft zu
religiösen Normen erhoben, z.B. Verbot ausserehelichen Geschlechtsverkehrs, Verbot von
Alkohol oder Schweinefleisch
Religion wurde auch von den Herrschenden als Mittel zur Stabilisierung ihrer Macht eingesetzt
III.
Macht und Recht
Nach Max Weber Macht die Möglichkeit, den eigenen Willen in Sozialbeziehungen auch gegen
Widerstrebende durchzusetzen, gleichgültig, auf welchen Gründen diese Möglichkeit beruht
Ungewöhnliche Spannweite solcher Möglichkeiten-, vom freiwilligen Befolgen aufgrund hohen
eigenen Ansehens oder guter Argumente über wirksamen Propaganda-Apparat bis zur totalen
Überwachung und Gewalt
Recht oft Mittel zur Ausübung von Macht
Damit Möglichkeit, Gehorsam gegenüber dem Recht, nicht gegenüber dem Inhaber der Macht zu
verlangen; so grössere Bereitschaft zum Gehorsam, Ausübung der Macht nicht mehr unmittelbar
Verwendung des Rechts als Instrument der Macht gerechtfertigt und zweckmässig, wenn und
solange die Macht innerhalb der unverzichtbaren Gebote des Rechts, insbesondere der
Menschenrechte ausgeübt wird. Das Recht wird aber zu Unrecht, wenn es in den Dienst von
Machthabern gestellt wird, die diese unverzichtbaren Gebote des Rechts missachten. Beispiel
NS-Rassengesetze; Schiessbefehl an der Mauer
Macht, die Recht schafft, führt aber damit zugleich zu mehr oder minder starker Begrenzung der
eigenen Macht, weil damit an das eigene Recht gebunden, nicht mehr möglich freie Willkür
Wichtigste Aufgabe des Rechts, der Ausübung von Macht Grenzen zu setzen - als Friedensordnung für geordnetes Zusammenleben in einer Gemeinschaft; als Schutz des Schwächeren
gegen Machtmissbrauch des Stärkeren
Recht wichtigstes Mittel, um Macht zu begrenzen und Missbrauch der Macht zu verhindern.
Beispiel: Entwicklung vom absoluten Herrscher über die konstitutionelle Monarchie zur
freiheitlich-demokratischen Grundordnung heute
Andererseits bedarf das Recht der Macht zu seiner Beachtung und Durchsetzung. Daher das
Strafrecht; Vollstreckung von Zivilurteilen durch den Gerichtsvollzieher, Überwachung des
Strassenverkehrs durch die Polizei
Recht kann allerdings auch ohne Möglichkeit der Durchsetzung längere Zeit überleben Menschenrechte im NS-Staat und ehemaliger DDR
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Rechtsmacht die durch die Rechtsordnung legitimierte und verliehene Macht, z.B. Parlament als
Gesetzgeber; Professor in Prüfung
IV.
Wesen und Gründe der Geltung des Rechts
Mit bisherigen Ausführungen rein beschreibende Darstellung der vorhandenen Normordnungen;
jetzt Frage nach Wesen des Rechts und Gründen seiner Geltung
Damit verknüpft die Frage nach dem "richtigen Recht', ob das tatsächlich geltende Recht als
‚Richtiges Recht' Anerkennung verdient oder ob und in weicher Richtung es durch Gesetzgebung
und Rechtsprechung zu verändern ist
Nur sehr knappe Darstellung der wichtigsten Ansätze der Rechtsphilosophie
A Naturrecht
Älteste Lehre
Naturrecht ein Recht, das seine Existenz nicht menschlicher Autorität verdankt, sondern
unabhängig von menschlicher Autorität gilt als natürliche Rechts- und Wertordnung, verbindlich
für jeden Gesetzgeber und Richter in allen Bereichen
Das tatsächlich geltende positive Recht muss sich an diesem Naturrecht messen lassen. Bei
Missachtung des Naturrechts Recht zum Ungehorsam, u.U. Recht zum aktiven Widerstand
Inhalt des Naturrechts zunächst entwickelt von den griechischen und römischen Philosophen Aristoteles, Plato, Seneca,
dann übernommen und inhaltlich teilweise verändert im Sinne christlicher Ethik und Moraltheologie - Apostel, Kirchenväter, insbesondere Augustinus, Thomas von Aquino
Im Zeitalter der Aufklärung neue Variante durch Philosophen und Juristen zum durch die Vernunft gebotenen Recht, später auch noch Einfluss von Juristen unter dem Aspekt zweckmässiger
Organisation des Staates
Göttliches Recht (ius divinum); in Aufklärung Vernunftrecht; "ewige Gesetze" (Schiller in Wilhelm
Tell)
Moderne Ausprägung die Menschenrechte, z.B. in der Europäischen Menschenrechtskonvention; Art. 6, 7 Vertrag über die Europäische Union
Art. 1 Abs. 2 GG: „Das Deutsche Volk bekennt sich .... zu unverletzlichen und unveräusserlichen
Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der
Gerechtigkeit in der Welt“
B Historische Rechtsschule
Neben Naturrecht Anfang des 19. Jahrhunderts Historische Rechtsschule. Begründer Savigny im
Streit mit Thibaut über die Frage, ob Recht in einem Nationalgesetzbuch niedergelegt werden
soll "Von der Berufung unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft". Ablehnung
einer solchen Kodifikation als sachwidrige Fixierung des Rechts durch den Gesetzgeber dieser
Zeit
Nach der Historischen Rechtsschule entsteht Recht als dynamischer Prozess, als Gewohnheitsrecht im Volksgeist durch Sitte und Volksglaube, also durch immer still wirkende Kräfte,
nicht durch Willkür eines Gesetzgebers
Aufgabe der Wissenschaft, dieses Recht aufzuspüren, zu erfassen und zu ordnen in Methodik
und Dogmatik
Damit Ablehnung des Naturrechts als einer über allem positivem Recht stehenden Rechtsordnung, andererseits Historische Rechtsschule auch im Gegensatz zum späteren Positivismus,
nach dem der Staat ohne Bindung an Naturrecht oder Volksgeist neues Recht beliebigen Inhalts
setzen kann.
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C Positivismus
Danach sind Recht die Normen, die vom jeweiligen Souverän - Kaiser, "Führer" Hitler,
Bundestag, Rat der EG - als Recht erklärt worden sind
Zu prüfen nur, ob die Normen von der zuständigen Stelle im ordnungsgemässen Verfahren
erlassen worden
Die Wertfrage wird nicht gestellt, insbesondere Recht also nicht an einem bestimmten Kriterium
zu messen, ob "richtiges Recht". Damit Gegensatz zum Naturrecht, Historischen Rechtsschule
und den folgenden rechtsphilosophischen Ansätzen
In dieser Weise wurde von der Verteidigung das Handeln der "Mauerschützen" gerechtfertigt
D Soziologischer Positivismus
Danach gilt das Recht, weil die Rechtsgenossen es als für sich verbindlich anerkennen durch
dauerndes entsprechendes Verhalten
Spannungen entstehen, wenn Behörden und Gerichte das Recht noch anerkennen, ein grosser
Teil der Rechtsgenossen aber nicht mehr. Aktuelles Beispiel: Verbot der Abtreibung § 218 StGB
In diesen Fällen zu prüfen, ob Gesetzesänderung notwendig, um die Einheit wiederherzustellen
Für die Gesetzgebung und Anwendung der Gesetze daher wichtiges Kriterium, ob die
Rechtsnorm noch überwiegend anerkannt wird. In Anwendung dieser Rechtstheorie mehrfach
Freispruch der Teilnehmer von Sitzblockaden von Atomwaffendepots
Nach dieser Rechtstheorie müssen Gesetzgebung und Rechtsprechung den sich wandelnden
Wertvorstellungen und Verhaltensweisen der Rechtsgenossen folgen, nicht umgekehrt
Diese Forderung nur begrenzt richtig. Anpassung des Rechts an sich wandelnde Wertvorstellungen und tatsächliche Verhältnisse notwendig, aber grundsätzlich nur durch den
Gesetzgeber, aber nicht durch Nichtanwendung geltenden Rechts durch die Gerichte. Auch der
Gesetzgeber darf nicht vorschnell vor lautstarken Minderheiten, die durch die Medien verstärkt
werden, kapitulieren oder grundlegende Wertvorstellungen opfern
E
Marxismus
Danach ist über den tatsächlichen Produktionsverhältnissen ein "Überbau" errichtet, der die
tatsächlichen Verhältnisse rechtfertigen und stabilisieren soll. Das Recht ist Teil dieses
"Überbaus" mit dieser Funktion
F
Teleologischer Rechtspositivismus
Aus den tatsächlichen Interessen der Partner von Sozialbeziehungen wird das Gesetz entwickelt
und ausgelegt im Sinne eines als gerecht und billig angesehenen Interessenausgleichs Interessenjurisprudenz (Heck). Entwickelt und anwendbar in erster Linie für Zivilrecht; “gerecht
und billig” entsprechend den Vorstellungen des Gesetzgebers, vor allem des Richters
G
Wertorientierter Rechtspositivismus
Interessenausgleich zwischen Staat und Einzelnen und der Einzelnen untereinander in Form von
Gesetzgebung und Rechtsprechung orientieren sich an einer von der Verfassung vorgegebenen
Wertordnung. Diese Werte der Verfassung weitgehend deckungsgleich mit Werten des
Naturrechts.
Da Orientierung an den durch die Verfassung vorgegebenen Werten, durch Änderung der
Verfassung aber anders als das "ewige" Naturrecht Wertmassstab abänderbar
Diese Methode lässt aber erheblichen Spielraum für Gesetzgebung und Rechtsprechung
jedenfalls dann, wenn innerhalb der von der Verfassung vorgegebenen Wertordnung grosser
14
Handlungsspielraum. Beispiele: Fristenregelung bei Abtreibung; Sicherung des Pflegerisikos in
Eigenverantwortung oder Pflegeversicherung mit Zwangsmitgliedschaft und weitgehender
Umverteilung unter Aspekt Solidarität; Eigentum am Unternehmen und Entscheidungsgewalt aufgrund des übernommenen Risikos - weitgehend paritätische Mitbestimmung der Arbeitnehmer;
Eigentum, Eigenbedarf des Vermieters - Mieterschutz, Mietpreisbindung mit Rentabilität weit
unter dem allgemeinen Kapitalmarkt; Meinungsfreiheit - Schutz der persönlichen Ehre
H
Gesellschaftspolitischer Ansatz
Wertorientierter Rechtspositivismus lässt wegen des von der Verfassung gewährten Spielraums
breiten Raum für Einsatz des Rechts als Mittel planmässiger gesellschaftlicher Veränderungen
durch Gesetzgebung und insbesondere durch den Richter in der Spruchpraxis und
Rechtsfortbildung.
Beispiele: Herstellung der Chancengleichheit im Bildungssektor durch Gesamtschulen, weitgehend von der Leistung unabhängiges rein einkommensorientiertes Bafög; Vorrang für umfassende Sicherung des Krankheitsrisikos durch Kollektivsystem mit Zwangsmitgliedschaft unter
fast vollständiger Ausschaltung der Eigenbeteiligung und Eigenverantwortung; als Gleichberechtigung der Frau Förderung aller Voraussetzungen für eine möglichst volle Berufstätigkeit der
Frauen unter Einsatz öffentlicher Mittel und Belastung der Arbeitgeber, zugleich erhebliche
wirtschaftliche und soziale Diskriminierung der nichtberufstätigen Mütter mit mehreren Kindern;
Gleichstellung nichtehelicher Lebensgemeinschaften oder Partnerschaften von Schwulen und
Lesben mit der Ehe
Richter fühlt sich dann nicht mehr als der mit begrenztem Spielraum an die Wertungen des
geltenden Gesetzes gebundener Anwender des Gesetzes, sondern versteht sich unter
exzessiver Ausnutzung oder sogar Überschreiten des vom Gesetz gewährten Spielraums als
"Sozialingenieur" entsprechend seinen persönlichen Vorstellungen von den "richtigen"
gesellschaftlichen Verhältnissen.
I
Freie Rechtsschule (Voluntarismus; Dezisionismusl
Recht ist die Summe der richterlichen Entscheidungen. So insbesondere als case Iaw im angloamerikanischen Rechtskreis
Richter orientieren sich an den Wertvorstellungen der Magna Charta, US-Verfassung; Entscheidungen werden auf Übereinstimmung mit diesen Grundwerten überprüft. Schwierigkeiten,
wenn diese Grundwerte in einem Spannungsverhältnis stehen. Beispiele: Abtreibung; Rechte der
Schwarzen
Im kontinentalen Rechtskreis ähnlicher Ansatz - Voluntarismus/Dezisionismus - aufgrund der
Tatsache, dass in vielen Rechtsgebieten unbestimmte Rechtsnormen erst durch Richterrecht
ausgefüllt werden müssen oder der Gesetzgeber versagt. Beispiele: Kollektives Arbeitsrecht;
§ 1 UWG; § 242 BGB
Zusammenfassung
Vorgetragene Fragen nach Wesen des Rechts und Gründen seiner Geltung kein lebensfernes
abstraktes Glasperlenspiel
Für die Rechtsordnung eines Staates und für seine Bürger entscheidend wichtig, ob Recht
bereits verbindlich, wenn und soweit es von der nach der Verfassung zuständigen Instanz im
ordnungsgemässen Verfahren erlassen worden ist - Positivismus, oder ob das Recht sich an
weiteren Kriterien messen lassen muss. Die Skala reicht
vom "ewigen" Naturrecht - unveränderliches menschlicher Autorität entzogenes Recht über
Historische Rechtsschule - Entstehung als dynamischer Prozess als Gewohnheitsrecht aus dem
Volksgeist,
soziologischer Positivismus - Geltung des Rechts aufgrund der Anerkennung als verbindlich
durch die Rechtsgenossen,
15
teleologischer Rechtspositivismus - gerechter Ausgleich der Interessen der Partner von
Sozialbeziehungen,
wertorientierter Rechtspositivismus - Orientierung an der durch die Verfassung vorgegebenen
Wertordnung mit weitem Spielraum innerhalb dieser Wertordnung
bis zur Freirechtsschule (Voluntarismus, Dezisionismus) - Richterrecht als case law orientiert an
den Grundwerten der Verfassung
Davon hängen ab der Spielraum des Gesetzgebers, die Entscheidungen der Gerichte und die
Rechtsstellung des Einzelnen
Zweiter Abschnitt: Die grossen Bereiche der Rechtsordnung
I.
Völkerrecht
Das Völkerrecht umfasst die Regeln für die Beziehungen der Staaten, der Staatenverbindungen
mit völkerrechtlicher Handlungsfähigkeit wie die Europäischen Gemeinschaften und anderer
souveräner Rechtsträger wie die Katholische Kirche und souveränen Malteser Orden
Das Völkerrecht ist eine eigenständige Rechtsordnung, in der nur Völkerrechtssubjekte
handlungsfähig sind
Seine grossen Bereiche sind das Friedensrecht und das Kriegsrecht
Rechtsquellen des Völkerrechts sind die völkerrechtlichen Verträge und in weitem Umfange das
Völkergewohnheitsrecht
Rechte und Pflichten aus völkerrechtlichen Verträgen ergeben sich nur für die jeweiligen
Vertragsparteien, aber nicht für die Einzelnen. Verbindlich für die Einzelnen sind nur bestimmte
Regeln des Kriegsvölkerrechts. Deshalb ist stets noch notwendig ein nationales Gesetz oder
Rechtsakt einer Staatenverbindung wie die Europäischen Gemeinschaften (sog. Transformationsgesetz), um die Rechte und Pflichten aus dem völkerrechtlichen Vertrag zum Bestandteil der
Rechtsordnung des betreffenden Staates oder Staatenverbindung zu machen und so u. U. auch
Rechte und Pflichten für die Einzelnen zu begründen.
Sanktionen bei Verletzung der Regeln des Völkerrechts
Anders als im nationalen Recht – dort Durchsetzung durch Strafrecht, Zwangsmassnahmen
der Polizei oder Verwaltung, Zivilklagen – Durchsetzung der Regeln des Völkerrechts wesentlich
schwieriger und mit Mitteln des Rechts nicht immer möglich
Als Mittel zur friedlichen Regelung von Konflikten in völkerrechtlichen Verträgen z. T. vorgesehen
ein förmliches Streitentscheidungsverfahren durch besondere Spruchkörper, z. B. in der WTO,
oder durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Sonst in der Regel zunächst
Verhandlungen, u. U. unterstützt durch einen Vermittler
Bei Scheitern der Verhandlungen als völkerrechtlich zulässig anerkannt angemessene Vergeltungsmassnahmen (Retorsion); ebenso bei Verstoss gegen die Regeln des Kriegsvölkerrechts, insbes. der Haager Landkriegsordnung z. B. bei Partisanenkrieg
Noch offen die Rechtsfragen des Eingreifens von Staaten zum Schutz der Opfer von Angriffskriegen, zum Schutz der Menschenrechte oder Abwehr von Terroristen. Stichworte: Somalia,
Bosnien, Kosovo, Bin Ladin.
Offen auch noch die Strafverfolgung der Verantwortlichen. Stichworte Nürnberger Verfahren
gegen NS-Verantwortliche, z. Zt. Verfahren gegen Serben und Kroaten vor Gerichtshof in Den
Haag, Abkommen zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichthofes
II.
Supranationales Recht – Europäische Gemeinschaften
Entstanden als Folge von Staatenverbindungen, in denen die betreffenden Staaten nicht
aufgrund traditioneller völkerrechtlicher Verträge als Partner eines Militärbündnisses oder in den
verschiedensten anderen Bereichen als souveräne Staaten zusammenarbeiten, sondern in
neuen engeren Formen der Zusammenarbeit und dazu eigene Hoheitsrechte auf die Staatenverbindung übertragen. Beginn dieser Entwicklung mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle
16
und Stahl 1951, fortgesetzt und erweitert durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und
Europäische Atomgemeinschaft 1958.
Damit ist ein neuer Bereich der Rechtsordnung entstanden, das supranationale Recht der
Europäischen Gemeinschaften. Dieses Recht ist eine neue eigenständige Rechtsordnung, die
über dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten steht und gegenüber dem nationalen Recht
Vorrang hat.
Neben den drei staatlichen Gewalten der Mitgliedstaaten gibt es jetzt auf dieser höheren Ebene
ebenfalls die drei klassischen staatlichen Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative
(Rechtsprechung).
Die Europäischen Gemeinschaften sind neben den Mitgliedstaaten als Völkerrechtssubjekte auf
der Ebene des Völkerrechts handlungsfähig und können durch völkerrechtliche Verträge als
Gemeinschaften Rechte und Pflichten begründen
Zur Unterscheidung vom internationalen Recht, den Rechtsbeziehungen der Staaten und
Staatenverbindungen im Bereich des Völkerrechts wird dieser neue Bereich der Rechtsordnung
supranationales Gemeinschaftsrecht genannt
In vielen Bereichen überlagert inzwischen das Gemeinschaftsrecht das nationale Recht und
schränkt die Handlungsfreiheit der Staaten, Unternehmen und Marktbürger erheblich ein.
Andererseits gewährt es aber insbesondere den Unternehmen und Marktbürgern auch
erhebliche neue Rechte.
Die älteste Gemeinschaft ist die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 1951.
Es ist die historische Leistung des französischen Aussenministers Robert Schuman, sie nur fünf
Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges vorgeschlagen zu haben, als Kern einer Union der
Völker Europas und Ausschluss künftiger Kriege.
Durch den EGKS-Vertrag wurde ein Gemeinsamer Markt für Kohle und Stahl geschaffen;
Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande, Luxemburg, inzwischen
wie die EG auf 15 Mitgliedstaaten erweitert. EGKS-Vertrag mit Ablauf seiner Geltungsdauer am
23.8.2002 ausser Kraft getreten und im EG-Vertrag aufgegangen
Als weitere Gemeinschaften kamen 1958 die Europäische Atomgemeinschaft (EAG) und als
wichtigste die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, jetzt EG) hinzu; Mitgliedstaaten
zunächst wie EGKS; seit 1.5.2004 25 Mitgliedstaaten der EG
Aufgaben der EAG sind die Förderung der Forschung und Investitionen zur friedlichen Nutzung
der Kernenergie; Verbreitung der technischen Kenntnisse; Aufstellen und Überwachen einheitlicher Sicherheitsnormen; Versorgung der Mitgliedstaaten mit spaltbarem Material; Kontrolle des
spaltbaren Materials durch Eigentum daran, Anbietungspflicht der Mitgliedstaaten, Alleinrecht
zum Abschluss von Lieferverträgen für spaltbares Material mit Drittstaaten. Durch die EAG wurde
Deutschland der Weg zur friedlichen Nutzung der Kernenergie und Forschung in diesem Bereich
eröffnet
Ziel der EG bei ihrer Gründung war die Herstellung eines Gemeinsamen Marktes nach innen,
Auftreten im Bereich der Handelspolitik als Einheit nach aussen.
Zur Errichtung des Gemeinsamen Marktes im Innern sieht der EGV vor Freiheit des Warenverkehrs, Freiheit des Kapitalverkehrs, Freizügigkeit der Arbeitnehmer und freies Niederlassungsrecht und freier Dienstleistungsverkehr. Der im EGV vorgesehene Abbau aller staatlichen
Schranken und Hindernisse für den freien Verkehr von Menschen, Waren, Dienstleistungen und
Kapital ist inzwischen fast vollständig erreicht
Als notwendige ergänzende Massnahmen sind im EGV vorgesehen das Verbot bzw. die
Kontrolle privater Wettbewerbsbeschränkungen und marktbeherrschender Stellungen (Kartellrecht), das Verbot bzw. Harmonisierung und Kontrolle der staatlichen Beihilfen und die
Angleichung der Rechtsvorschriften, u.a. im Bereich der Steuern. Das Kartellrecht ist 1989 um
eine Kontrolle der Zusammenschlüsse von Unternehmen ergänzt worden
17
Nach einer kurzen Anlaufzeit übt die Kommission jetzt die Kontrolle über Wettbewerbsbeschränkungen, Zusammenschlüsse von Unternehmen und staatliche Beihilfen wirksam aus. Noch nicht
erreicht ist die Angleichung der Rechtsvorschriften in vielen Bereichen, u.A. der Steuern.
Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts wurde und wird leider von den Mitgliedstaaten häufig
missachtet; Vertragsverletzungsklagen der Kommission erfordern einen hohen Arbeitsaufwand
und 2-3 Jahre bis zum Urteil. Daher hat der Gerichtshof bereits im Urteil vom 15.7.1964 Slg.
1964, 1251 (Del Costa/ENEL) in richterlicher Fortentwicklung den effet direct entwickelt, d.h.
Normen des Gemeinschaftsrechts, die durch keinerlei Bedingungen eingeschränkt sind und zu
ihrer Erfüllung oder Wirksamkeit keiner weiteren Handlungen der Organe der Gemeinschaft
bedürfen (also self-executive), begründen unmittelbare Rechte der Einzelnen, auf die sich die
Marktbürger im Falle abweichenden nationalen Rechts berufen können und zu deren Wahrung
die nationalen Gerichte verpflichtet sind. Bei qualifizierten Verstössen der Staaten gegen das
Gemeinschaftsrecht können die Marktbürger sogar Schadensersatz verlangen. Diese
unmittelbare Wirkung gilt nicht nur gegenüber den Staaten, sondern auch gegenüber anderen
Unternehmen oder Marktbürgern
Durch die Verträge zur Gründung drei Europäischen Gemeinschaften haben die Mitgliedstaaten
auf einen Teil der Souveränitätsrechte verzichtet und eine neue Legislative, Exekutive und
Judikative (Rechtsprechung) geschaffen, nämlich
den Rat, zuständig für den Erlass aller Rechtsvorschriften – regelmässig auf Vorschlag der
Kommission -, soweit nicht auf die Kommission delegiert, sowie für alle Verträge mit Drittstaaten
und für die Grundsatzfragen der Politik
die Kommission, zuständig für den Vorschlag von Rechtsvorschriften an den Rat; Erlass von
Rechtsvorschriften, soweit vom Rat delegiert; Vollzug des Gemeinschaftsrechts insbes. im
Bereich der Agrar- und Regionalpolitik, des Kartellrechts und der Beihilfen; als „Hüterin des
Vertrages“ für Vorgehen gegen Mitgliedstaaten bei Verletzung ihrer Pflichten
das Europäische Parlament, anders als in den Mitgliedstaaten nicht allein zuständig für die
Gesetzgebung, sondern nur Mitwirkungsrecht an der Gesetzgebung durch den Rat, z.T. allerdings mit der Möglichkeit, mit absoluter Mehrheit den Erlass eines Rechtsaktes zu verhindern;
Zustimmung zur Benennung des Präsidenten der Kommission durch die Mitgliedstaaten sowie
zur Ernennung der gesamten Kommission und deren Abberufung durch Misstrauensvotum;
Zustimmung zum Abschluss von Abkommen mit Drittstaaten
den Gerichtshof, zuständig für Klagen der Kommission wegen Vertragsverletzung gegen
Mitgliedstaaten; Nichtigkeitsklagen von Mitgliedstaaten gegen Rechtsakte des Rates oder der
Kommission; Klagen der EG-Organe gegeneinander; Vorlagen nationaler Gerichte über
Wirksamkeit und Auslegung des Gemeinschaftsrechts
das Gericht erster Instanz, zuständig für Klagen der Marktbürger gegen Rechtsakte des Rates
und der Kommission mit Revision an den Gerichtshof
das Europäische System der Zentralbanken, zuständig für die Politik im Rahmen der
Währungsunion
Die durch den EG-Vertrag und den Souveränitätsverzicht der Mitgliedstaaten entstandene neue
supranationale Gewalt reicht aber nur soweit, wie die Zuweisung im EG-Vertrag selbst oder
durch späteren Konsens der Mitgliedstaaten nach Art. 308. Die EG hat also keine
Allzuständigkeit (Omnipotenz), sondern ist nur eine Teilintegration.
Im Bereich der nicht ausschliesslichen Zuständigkeit der EG gilt ferner als wichtige Beschränkung für die Ausübung ihrer Zuständigkeit das Subsidiaritätsprinzip Art. 5 Abs. 2 EGV, d.h. die
Gemeinschaft wird nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Massnahmen
auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres
Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können
18
Durch den Vertrag über die Europäische Union (Maastricht-Vertrag), in Kraft getreten 1.11.1993,
ist nicht nur der EWG-Vertrag geändert worden, sondern zusätzlich in weiteren Bereichen
unterhalb der Ebene des supranationalen Gemeinschaftsrechts eine neue Form völkerrechtlicher
Zusammenarbeit (intergouvernementale Zusammenarbeit) geschaffen worden.
Durch den Vertrag über eine europäische Verfassung unterzeichnet 19.11.2004 in Rom, noch
nicht in Kraft getreten, werden der EG-Vertrag und der EU-Vertrag zusammengefasst und
geändert; es bleibt aber bei den Formen des supranationalen Gemeinschaftsrechts und der
neuen Form einer völkerrechtlichen Zusammenarbeit
III.
Nationales Recht
A.
Öffentliches Recht – Privatrecht
Wegen der unterschiedlichen Aufgaben und ihres daraus folgenden Inhalts werden die Normen
des nationalen Rechts aufgeteilt in die grossen Rechtsgebiete Öffentliches Recht und Privatrecht, innerhalb dieser Rechtsgebiete in weitere Bereiche entsprechend dem geregelten Bereich
Wesentliche inhaltliche Unterschiede der beiden Bereiche betreffen
1. die Handlungsfreiheit der Rechtssubjekte und die möglichen Formen ihres rechtlichen
Handelns
2. den Rechtsschutz und die Durchsetzung der Rechte
Wegen dieses wesentlichen Unterschiedes ist es eine wichtige Entscheidung des Gesetzgebers,
ob er einen bestimmten Lebensbereich öffentlich-rechtlich regelt oder dem Privatrecht zuweist,
z.B. das Dienstverhältnis der Angehörigen des öffentlichen Dienstes z.T. als Beamte, z.T. als
Angestellte oder Arbeiter; ebenso wichtig, ob ein Rechtssubjekt des Öffentlichen Rechts in
öffentlich-rechtlicher oder in privatrechtlicher Form seine Aufgaben wahrnimmt z.B. Erwerb des
für eine Schule benötigten Grundstücks durch Kauf oder Enteignung, ausreichende Parkplätze
für Supermarkt durch Vertrag Gemeinde – Supermarkt oder Auflage in Baugenehmigung
Die grossen Unterschiede folgen aus den Aufgaben der beiden Rechtsgebiete
Das Öffentliche Recht regelt das Verhältnis Staat – Bürger
Das Privatrecht regelt das Verhältnis Bürger – Bürger
Kennzeichnend für Öffentliches Recht Überordnung – Unterordnung der Beteiligten
Kennzeichnend für Privatrecht die Gleichordnung der Beteiligten
Daraus folgen für die Normen dieser Rechtsgebiete unterschiedliche Aufgaben, zu erfüllende
Bedürfnisse und zu schützende Interessen
Öffentliches Recht
Aufgabe Ordnung des Zusammenlebens im Staat
Daher notwendig Verbindlichkeit für alle Bürger, Möglichkeit des Eingriffs in Rechtssphäre der
Bürger, notfalls zwangsweise Durchsetzung der Normen und Verwaltungsakte
Deswegen andererseits hohes Schutzbedürfnis der Bürger gegen Macht des Staates und ihren
möglichen Missbrauch
Entwicklung dieses Schutzes von der absoluten Monarchie (Ludwig XIV. L'état c'est moi) über
Philosophie der Aufklärung (Montesquieu Gewaltenteilung), konstitutionelle Monarchie bis zur
freiheitlich-demokratischen Grundordnung des GG
Zum Schutze der Bürger heute Gewaltenteilung; Gesetzmässigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs.
2 GG); Verhältnismässigkeit der Mittel; Gleichbehandlung (Art. 3 GG), auch bei leistender
Verwaltung (Daseinsvorsorge); Rechtsweg bei Eingriff in Rechte der Bürger (Art. 19 Abs. 4 GG)
Privatrecht
Aufgabe Ordnung für die Gestaltung der Rechtsbeziehungen der Bürger (natürliche und
juristische Personen) untereinander
In der Regel auf gleicher Ebene, kein Machtgefälle; daher kein Schutzbedürfnis einer Partei. Daher möglich, aber wegen Art. 2 GG auch geboten Privatautonomie, d.h. Recht, über Begründung
und Inhalt von Rechtspflichten selbst zu entscheiden; Vertragsfreiheit in weitem Rahmen,
19
Grenzen § 134, § 138 BGB; zulässig Ungleichbehandlung, da anders als beim Staat andere
Seite regelmässig ausweichen kann; Durchsetzung eigener Rechte regelmässig nur mit Hilfe der
Gerichte
B.
Bereiche des öffentlichen Rechts
Das Öffentliche Recht wird gegliedert in
Allgemeine Staatslehre
Staatsrecht
Verwaltungsrecht
Die allgemeine Staatslehre hat in erster Linie eine wissenschaftliche Aufgabe. Sie dient nicht
dem Schaffen und der Anwendung konkreter nationaler Rechtsordnungen, sondern stellt abstrakte Grundsatzfragen zum Staat und entwickelt ein System zur übergreifenden systematischen Ordnung der tatsächlichen Organisationsform der Staaten und ihrer Strukturelemente
Näheres Vierter Abschnitt I
Das Staatsrecht und Verwaltungsrecht dienen dem Schaffen und der Anwendung der jeweiligen
nationalen Normen für diesen Bereich
Das Staatsrecht umfasst die Grundrechte der Bürger, das Verfahren für die Gesetzgebung sowie
die Grundsätze für die Organisation des Staates – Zentralstaat – mehr oder minder grosse
Rechte für regionale Einheiten – und die Verteilung der Aufgaben und Rechte
Näheres Vierter Abschnitt II
Das Verwaltungsrecht regelt jeweils die Aufgaben und Rechte der Verwaltung. Hier gibt es sehr
grosse Unterschiede zwischen den Staaten. Je nach ihren gesellschaftspolitischen und wirtschaftspolitischen Vorstellung greifen die Staaten mehr oder minder stark in die Handlungsfreiheit der Bürger ein, insbesondere im Bereich der Wirtschaft und der Sicherung gegen die
Risiken von Krankheit und Alter
Bereiche des Verwaltungsrechts sind das Allgemeine Verwaltungsrecht mit übergreifenden
Regeln und Grundsätzen, z.B. Verhältnismässigkeit der Mittel, Vertrauensschutz, sowie das
Besondere Verwaltungsrecht zur Regelung bestimmter Lebensbereiche z.B. Baurecht, Gewerberecht, Umweltrecht. Wegen der Zunahme tatsächlich regelungsbedürftiger Bereiche, verstärkt
durch die Neigung des Staates zu mehr und umfassenderer Regelung sind die Bereiche des
Besonderen Verwaltungsrechts ständig grösser geworden
Die vorstehenden materiellen Rechtsnormen des Öffentlichen Rechts werden ergänzt durch das
Verfahrensrecht mit Vorschriften für das Handeln der Verwaltung und den Rechtsschutz der
Bürger, das Verwaltungsverfahrensgesetz und das Verwaltungsgerichtsgesetz
Ein Rechtsgebiet, das seinem Inhalt nach zum Öffentlichen Recht gehört, aber als selbständiges
Rechtsgebiet betrachtet wird, ist das Strafrecht ergänzt durch das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten und Strafvorschriften oder Ordnungswidrigkeiten in zahlreichen Gesetzen
C.
Bereiche des Privatrechts
Das Privatrecht regelt die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander sowohl im privaten
Bereich als auch als Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr. Regelungsbedürftig ist daher eine
Vielfalt möglicher Rechtsbeziehungen, die durch neue technische Entwicklungen noch ständig
wächst. Als Folge entwickeln sich ständig neue Teilgebiete des Privatrechts z.B. Medienrecht.
Eine vollständige Aufzählung dieser Teilgebiete ist weder möglich noch sinnvoll
Als wichtigste grosse Bereiche des Privatrechts sind zu nennen
das Bürgerliche Recht
das Handels- und Gesellschaftsrecht
das Arbeitsrecht
20
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht
Als Teilbereiche haben sich u.a. entwickelt das Wertpapierrecht, das Bank- und Börsenrecht, das
Versicherungsrecht, das Verkehrsrecht, gegenwärtig das Medienrecht
Die gemeinsame Basis aller dieser Rechtsgebiete ist das Bürgerliche Recht niedergelegt im
Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) mit seinen fünf Büchern Allgemeiner Teil, Allgemeines und
Besonderes Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht und Erbrecht.
Diese klassische Kodifikation hat sich seit dem 1.1.1900 zur Regelung auch vieler damals unbekannter Rechtsbeziehungen und schwerer wirtschaftlicher Erschütterungen wie Inflation nach
dem Ersten Weltkrieg und Zusammenbruch Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg bewährt.
Dieser Erfolg beruht auf der Rechtstechnik von Rechtsnormen mit einem sehr hohen Abstraktionsgrad, die so eine Vielzahl von Sachverhalten erfassen, und der Verwendung von Generalklauseln wie gute Sitten, Treu und Glauben, wichtiger Grund, die eine elastische Anpassung an
sich ändernde gesellschaftliche Vorstellungen und wirtschaftliche Bedingungen ermöglichen
Näheres siehe Fünfter Abschnitt
Durch das Handels- und Gesellschaftsrecht werden die Rechtsnormen des BGB ergänzt sowie
durch Spezialgesetze weitere Gesellschaftsformen geschaffen.
Das Handelsgesetzbuch (HGB) gilt für die Rechtsbeziehungen der Kaufleute und Handelsgesellschaften untereinander und ihre Rechtsgeschäfte mit Nichtkaufleuten. Kaufmann sind alle
Personen, die ein Handelsgewerbe betreiben, d.h. jeder Gewerbebetrieb, es sei denn, dass das
Unternehmen nach Art oder Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten
Geschäftsbetrieb nicht erfordert.
Das HGB passt die Vorschriften des BGB an die besonderen Bedürfnisse des Handelsverkehrs
an, d.h. Vielzahl von Rechtsgeschäften mit oft unbekannten Partnern; Notwendigkeit schneller
Entscheidungen, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit; Sicherheit, dass eingegangene Verpflichtungen auch erfüllt werden. Das HGB regelt als Ergänzung der Vertragstypen des BGB Verträge,
die regelmässig von Kaufleuten geschlossen werden, wie Kommissions-, Frachtgeschäft,
Seehandel sowie die Pflichten der Kaufleute und Handelsgesellschaften hinsichtlich Buchführung
und Rechnungslegung.
Näheres Fünfter Abschnitt III
Das Gesellschaftsrecht muss die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse der Praxis hinsichtlich Zahl
der Gesellschafter, Möglichkeit des Gesellschafterwechsels, Höhe des benötigten Kapitals und
Haftung für die Gesellschaftsschulden berücksichtigen. Daraus folgen die beiden grossen
Gruppen Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften und als Sonderform die Genossenschaften.
Die Personengesellschaften Gesellschaft bürgerlichen Rechts, Offene Handelsgesellschaft
(OHG) und Kommanditgesellschaft (KG), gekennzeichnet durch persönliche Mitarbeit und
Haftung, regelmässig kein Gesellschafterwechsel, sind im BGB bzw. HGB geregelt.
Die Kapitalgesellschaften Aktiengesellschaft (AG), Gesellschaft mit beschränkter Haftung
(GmbH), Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), gekennzeichnet durch Zur-VerfügungStellen von Kapital als wichtigste Gesellschafterpflicht, keine Pflicht zur persönlichen Mitarbeit,
beschränkte Haftung, daher juristische Personen sind in den Spezialgesetzen Aktiengesetz und
GmbH-Gesetz geregelt.
Eine Sonderform bilden die Genossenschaften, geregelt im Gesetz betr. die Erwerbs- und
Wirtschaftsgenossenschaften
Näheres Fünfter Abschnitt IV
Das Arbeitsrecht hat sich nach dem Ersten Weltkrieg als selbständiges Rechtsgebiet wegen der
Eigenart des Arbeitsverhältnisses aus dem Bürgerlichen Recht entwickelt; denn anders als im
Bürgerlichen Recht und Handelsrecht stehen sich im Arbeitsrecht in der Regel nicht Partner
21
gleicher Stärke gegenüber und daher kein Schutzbedürfnis einer Seite, sondern im Arbeitsrecht
besteht ein Machtgefälle und daher ein Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer. Löhne und Arbeitsbedingungen werden daher überwiegend nicht durch Individualverträge zwischen Arbeitgeber
und Arbeitnehmer vereinbart, sondern durch Kollektivverträge, die von den Verbänden der
Arbeitgeber einerseits, den Gewerkschaften andererseits geschlossen werden.
Daher im Arbeitsrecht die beiden Teilbereiche Individualarbeitsrecht und Kollektivarbeitsrecht
Auch im Individualarbeitsrecht erhebliche Einschränkungen des das BGB beherrschenden
Grundsatzes der Vertragsfreiheit und zusätzliche Rechte aller Arbeitnehmer sowie besonders
schutzbedürftiger Gruppen wie Frauen, Jugendliche, Behinderte
Unter Gewerblicher Rechtsschutz und Urherberrecht werden zusammengefasst das Gesetz
gegen den unlauteren Wettbewerb,
die Rechtsnormen zum Schutze des geistigen Eigentums – der Erfindungen und Neuheiten
durch das Patentgesetz, Gebrauchsmustergesetz, Geschmacksmustergesetz; der Urheber von
Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst durch das Urheberrechtsgesetz
sowie die Rechtsnormen zum Schutze des gewerblichen Eigentums – Warenzeichen/Marken;
geschäftliche Bezeichnungen wie Firma, deren verkehrsübliche Abkürzung, Kennzeichen wie bestimmte Farben o.ä., Etablissementbezeichnungen (Goldener Hirsch) – durch das Markengesetz
Das UWG sieht für die betroffenen Mitbewerber Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche
vor, ferner eine Unterlassungsklage von Gewerbeverbänden oder für solche Klagen zugelassener Einrichtungen – Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs; Verbraucherschutzverbände
Die Gesetze zum Schutze des geistigen oder gewerblichen Eigentums gewähren dem
Rechtsinhaber das Recht zur ausschliesslichen Nutzung und Verwertung sowie bei Verletzung
des Rechts Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche.
Die vorstehenden materiellen Rechtsnormen des Privatrechts werden ergänzt durch das
Verfahrensrecht bei einem Rechtsstreit über das Bestehen dieser Rechte oder über sich aus
diesen Rechten ergebende Ansprüche; in der Regel die Zivilprozessordnung, in Arbeitssachen
das Arbeitsgerichtsgesetz
IV.
Kirchenrecht
Siehe oben Einführung II B 4
Dritter Abschnitt: Allgemeine Rechtslehre
I.
Rechtsquellen, Arten und Rangordnung
Unterscheidung nach verschiedenen sich überschneidenden Aspekten
1 . Nach Art der Kodifizierung
a) Positives Recht - schriftlich niedergelegt
Verfassung, Gesetz, Satzung, Prüfungsordnung, Tarifvertrag
b) Nicht kodifiziertes Recht
Naturrecht
Gewohnheitsrecht
Gerichtsgebrauch
Verkehrssitte, Handelsbrauch
2. Nach der Herkunft
Naturrecht; EG; Bundesrecht; Landesrecht; andere Gebietskörperschaften; andere juristische
Personen (KfW; Universität);
Gewohnheitsrecht; Gerichtsgebrauch; Verkehrssitte; Handelsbrauch;
Verträge einzelner Personen oder Satzungen von Verbänden.
22
Herkunft massgebend für Rang in der Rangordnung
3. Nach der Rangordnung
Naturrecht; durch Herkunft bestimmte Rangordnung
Rangordnung wie Ziff. 2
4. Nach der Art der Norm
(Instrumentarium des Normgebers)
Verfassung; Gesetz; Verordnung; Satzung; Vertrag
Damit zugleich Rangordnung innerhalb der vom selben Normgeber erlassenen Norm
In Praxis für Wirksamkeit und Durchsetzung der Norm entscheidend,
1. ob vom zuständigen Normgeber innerhalb seiner Befugnisse erlassen
2. ob im ordnungsgemässen Verfahren erlassen
3. ob nicht im Widerspruch zu höherrangiger Norm
II.
Rechtsanwendung und Rechtsauslegung
Rechtsanwendung
Verwaltung und Rechtsprechung in ihrer Tätigkeit ständig gezwungen, das Recht anzuwenden
und den Wortlaut der Normen zutreffend auszulegen
Rechtsnormen regeln aus Gründen der Rechtstechnik (Vielzahl regelungsbedürftiger Tatbestände) und zur gleichen Entscheidung gleicher Tatbestände regelmässig einen bestimmten
Tatbestand abstrakt (von der Sache her) und generell (von der Person her)
Gesetzestechnik
1. Abstrakte Beschreibung des Tatbestandes durch bestimmte Tatbestandsmerkmale
2. Die daraus folgende Rechtsfolge
Beispiel: § 823 Abs. 1 BGB, Lesen!
Anwendung besteht in
1 . Ermittlung des Sachverhalts, von dem von Verwaltung oder Richter auszugehen. In der
Praxis oft die schwierigste Aufgabe; in der Universität vorgegeben
2. Unterordnung (Subsumtion) dieses Sachverhalts unter die Rechtsnorm. Zu prüfen ist, ob die
einzelnen Bestandteile des massgebenden Sachverhalts die einzelnen Tatbestandselemente
der Rechtsnorm erfüllen.
Als Ergebnis je nach Bereich Auskunft über die Rechtslage, Urteil des Gerichts oder Handeln der
Verwaltung
Dazu nötig,
1. die zutreffende Rechtsnorm zu finden
2. die einzelnen Tatbestandselemente der Rechtsnorm richtig anzuwenden
Dazu oft eine Auslegung der Norm nötig. Beispiel: "sonstiges Recht" in § 823 Abs. 1 BGB
Subsumtion besonders schwierig, wenn Tatbestandselement der Norm unbestimmt, z.B.
Kündigung aus " wichtigem Grunde" oder Norm sog. Generalklausel, z.B. §§ 138, 242, 826 BGB
Rechtsanwendung noch schwieriger, wenn Sachverhalt unter mehrere sich widersprechende
Normen subsumiert werden kann, z.B. "alle Soldaten sind potentielle Mörder"; strafbare
Beleidigung oder durch Meinungsfreiheit Art. 5 GG gedeckte Äusserung
Rechtsauslegung
Zur richtigen Anwendung der Rechtsnorm (Subsumtion des Sachverhalts unter die Norm) gehört
daher auch ihre richtige Auslegung
Schritte der Auslegung
23
1. Auszugehen vom Wortlaut unter Heranziehen der Regeln der Grammatik, des allgemeinen
Sprachgebrauchs und der Fachsprache der Juristen
2. Wille des Gesetzgebers; zu ermitteln
a) aus Entstehungsgeschichte der Norm
b) aus Zusammenhang, in dem Norm steht und ihrem Verhältnis zu anderen Normen
(systematische Auslegung)
Damit u.U. ersichtlich, dass Wortlaut der Norm zu weit, z.B. "sonstiges Recht" in § 823
Abs. 1 BGB nur absolute Rechte
3. Aus Sinn und Zweck der Norm (ratio legis) - teleologische Auslegung, z.B. weiter Begriff des
Unternehmens i.S. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
4. Aus allgemeinen Rechtsgedanken, z.B. Schutz des redlichen Verkehrs, aber Vorrang
Schutz der Minderjährigen
5. Wertungen der Verfassung
Trotz richtiger Auslegung der Norm bleibt oft Möglichkeit, einen Sachverhalt unter mehrere sich
widersprechende Normen zu subsumieren, z.B. "alle Soldaten sind potentielle Mörder" Dann
bleibt nur Abwägung der jeweils geschützten Interessen und Rechtsgüter entsprechend der
Wertordnung der Verfassung. Erfahrungsgemäss wegen des erheblichen Spielraumes solche
Abwägung aber dennoch mit unterschiedlichen Ergebnissen, z.B. "alle Soldaten ...";
Enteignungen in der DDR 1945 - 1949
In solchen Fällen mehr oder minder starker Einfluss auf Entscheidung aus "Vorverständnis" und
politischen Wertvorstellungen und Überzeugungen des Richters, z.B. bei Räumungsklage des
Vermieters wegen Eigenbedarfs, Vereinbarkeit von Antidiskriminierungsgesetzen (bevorzugte
Einstellung von Frauen bei gleicher Eignung) mit Art. 3 GG
Auch bei Anwendung und Auslegung sich widersprechender Normen bleibt aber Richter gemäss
Art. 20 Abs. 3 GG stets an Gesetz und Recht gebunden. Daher wesentlicher Teil der Rechtsausbildung Erziehung zur kritischen Distanz gegenüber eigenen Wertvorstellungen und Vorverständnis, zur Abwägung gemäss den in Verfassung und Gesetzen ausgedrückten Wertvorstellungen und Prioritäten, ergänzt durch Rechtsprechung des BVerfG und der obersten Gerichte
III.
Lücken im Gesetz
Lücken im Gesetz, weil solche Sachverhalte vom Gesetzgeber nicht geregelt, entweder bewusst
oder meist, weil Gesetzgeber an solchen Sachverhalt nicht gedacht hat, oft noch gar nicht
denken konnte, z.B. Fax, Internet
Zunächst muss Richter durch Auslegung feststellen, ob wirklich Lücke im Gesetz gemäss o.a.
Auslegungstechnik, insbesondere Gesetzesgeschichte
Oft wollte Gesetzgeber Tatbestandselemente der Rechtsnorm bewusst begrenzen, insbesondere, wenn damit besondere Rechte oder Pflichten begründet, z.B. Ehegatten - Splitting im
Steuerrecht nur für Ehegatten, aber nicht für Ehen ohne Trauschein oder gleichgeschlechtliche
Lebensgemeinschaften;
durch zeitliche Begrenzung des Sachverhalts, aus dem sich Ansprüche ergeben, z.B. nur
Enteignungen in DDR nach 1949
In diesen Fällen keine Lücke im Gesetz; Sachverhalt gesetzlich geregelt; ausdehnende
Auslegung nicht zulässig (argumentum e contrario; Umkehrschluss)
So festgestellte Lücke im Gesetz kann sein
1. offene Lücke - vom Wortlaut des Gesetzes nicht geregelter Tatbestand, z.B. positive
Vertragsverletzung
2. verdeckte Lücke - Tatbestand formell vom Wortlaut der Norm erfasst, Anwendung der Norm
geht aber zu weit; Gesetzgeber hätte Norm eingeschränkt, wenn solchen Tatbestand
bedacht hätte, z.B. § 253 BGB kein Ersatz immateriellen Schadens
Lücken darf Richter nicht durch eigene Wertung schliessen, würde sich damit unzulässig an
Stelle des Gesetzgebers setzen,
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Richter muss vielmehr Lücke aus Geist des Gesetzes ausfüllen, fragen, wie Gesetzgeber den
Tatbestand geregelt hätte, wenn er ihn erkannt hätte.
Bei offener Lücke zu fragen
1. welcher Interessen- und Wertkonflikt ist hier gegeben?
2. wo gleichartiger Konflikt bereits in einzelner Rechtsnorm geregelt?
Wenn ja, ausdehnende Anwendung dieser Vorschrift (Gesetzesanalogie), z.B. Schadensersatz des Käufers aus § 463 BGB nicht nur bei arglistigem Verschweigen des Fehlers durch
Verkäufer, sondern auch, wenn Verkäufer Eigenschaft arglistig vorgespiegelt hat
3. Bei Fehlen solcher einzelnen Vorschrift:
Ergibt sich aus mehreren Rechtsvorschriften allgemeiner Rechtsgedanke, wie dieser Konflikt
zu entscheiden (Rechtsanalogie)? Zum Beispiel Schadensersatz wegen positiver Vertragsverletzung als Rechtsanalogie zu §§ 280, 286, 325, 326 BGB a.F. (Pflicht zum Schadensersatz bei verschuldeter Unmöglichkeit oder Verzögerung der geschuldeten Leistung)
Bei verdeckter Lücke (Anwendung der Norm geht zu weit)
Hier wichtigste Vorfrage: Tatsächlich verdeckte Lücke?
Einfach zu bejahen, wenn betreffende Norm durch spätere Gesetzgebung überholt, z.B. trotz
§ 253 BGB Schadensersatz in Geld bei schwerer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, da Wertentscheidung der Art. 1,2 GG in § 253 noch nicht berücksichtigt
Anderenfalls fragen aufgrund Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck der Norm und des
Ergebnisses bei Anwendung der Norm, ob Gesetzgeber bei Kenntnis dieses Tatbestandes
Anwendung der Norm auf diesen Tatbestand gewollt hätte
Wenn verdeckte Lücke so festgestellt, Norm nicht anzuwenden (teleologische Reduktion). Zum
Beispiel trotz § 181 BGB Wirksamkeit eines In-sich-Geschäfts des Vertreters, wenn es dem
Vertretenen nur einen rechtlichen Vorteil bringt.
IV.
Rechtsfortbildung durch den Richter
An sich schon Ausfüllung von Lücken im Gesetz durch Richter Rechtsfortbildung, aber immer
noch orientiert an den Grundwertungen und Regelungszwecken des Gesetzes selbst; daher
gesetzesimmanente Rechtsfortbildung bei "planwidriger Unvollständigkeit" des Gesetzes
Weitergehender Schritt eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung durch die Gerichte,
um unabweisbaren Bedürfnissen des Rechtsverkehrs Rechnung zu tragen, z.B. Sicherungsübereignung, Anwartschaftsrechte,
zur Durchsetzung vorrangiger rechtsethischer Prinzipien, z.B. Treu und Glauben; daher Fortfall
der Geschäftsgrundlage; Verwirkung; missbräuchliche Rechtsausübung,
zur Durchsetzung vorrangiger Verfassungswerte und Normen, z.B. allgemeines Persönlichkeitsrecht sonstiges Recht i.S. § 823 BGB
Rechtsfortbildung durch den Richter erst dann zulässig, wenn alle anderen Methoden versagen,
und nur insoweit, als sie sich im Rahmen der Grundwertungen der Rechtsordnung hält und allein
mit rechtlichen Erwägungen überzeugend begründet werden kann.
Ferner gerechtfertigt, wenn Gesetzgeber nicht fähig oder gewillt, die erforderlichen gesetzlichen
Regelungen zu erlassen, z.B. Arbeitskampfrecht
V.
Generalklauseln - Nutzen und Gefahren
Als Generalklauseln werden Rechtsnormen bezeichnet, deren wesentlicher Inhalt durch einen
unbestimmten Rechtsbegriff bestimmt wird, z.B.
gute Sitten (§§ 138, 826 BGB; § 1 UWG); Treu und Glauben (§§ 157, 242 BGB); wichtiger Grund
(§§ 626, 723 Abs. 1 BGB); Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 Abs. 1 GWB)
Ständig zunehmende Verwendung solcher Generalklauseln in der Gesetzgebung. Grund:
Ständig zunehmende Dichte der Rechtsbeziehungen und damit der regelungsbedürftigen Tatbestände und Interessenkonflikte; Bewältigung durch Normen mit bestimmten Rechtsbegriffen nicht
möglich
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Nutzen der Generalklauseln
1. Rechtstechnische Bewältigung einer Vielzahl von Sachverhalten, auch solcher, die
gegenwärtig überhaupt noch nicht bekannt
z.B. Telefon-, Telefax-, e-mail-Werbung
2. Flexibele Anpassung der Rechtsordnung an sich ändernde Wertvorstellungen und Verhaltensweisen z.,B. veränderte Sexualmoral bei Anwendung der Generalklausel "gute Sitten"
Generalklauseln Scharniere im Panzer der Rechtsnormen, in die das Leben gezwängt
Gefahren der Generalklauseln
Generalklauseln ausfüllungsbedürftige (normative) Normen. Die Ansprüche, Gebote oder
Verbote, die sich aus ihnen ergeben, sind vom Richter durch Abwägung der gegensätzlichen
Interessen der Parteien (Treu und Glauben, wichtiger Grund) oder Rückgriff auf ausserrechtliche
Vorstellungen (gute Sitten, Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs) zu ermitteln
Daraus folgen als Gefahren
1. Rechtsunsicherheit für die Beteiligten über ihre Rechte und Pflichten; Entscheidung des
Gerichts in etwaigem Rechtsstreit schwerer vorhersehbar; unterschiedliche Entscheidungspraxis der einzelnen Gerichte
2. Zu grosser Einfluss der eigenen Wertvorstellungen und des Vorverständnisses des Richters
Richter darf nicht eigene Wertvorstellungen als Massstab nehmen. Orientierungskriterien je nach
Sachverhalt
Anschauungen aller billig und gerecht Denkenden
Anschauungen der redlichen und verständigen Durchschnittsgewerbetreibenden/Kaufleute/Angehörigen des betreffenden Wirtschaftszweiges
Im Bereich der guten Sitten wegen des nicht mehr bestehenden Grundkonsenses, sondern Wertpluralismus oder sogar Wertfreiheit die Wertungen der Verfassung oder einschlägiger Gesetze
Zwar wesentlicher Teil der Rechtsausbildung Erziehung zur kritischen Distanz zu den eigenen
Wertvorstellungen und Vorverständnis,
aber dennoch bleiben bei Generalklauseln Gefahren für die Rechtssicherheit und zu grossen
Einflusses eigener Vorstellungen des Richters
Unvermeidlicher Preis für den Nutzen der Generalklauseln rechtstechnische Bewältigung einer
Vielzahl von Sachverhalten und Elastizität der Rechtsordnung
Vierter Abschnitt: Öffentliches Recht
I.
Allgemeine Staatslehre
A
Begriff und Elemente des Staates
Begriff des Staates
status = Zustand; Ordnung; Verfassung
Von Nicolo Machiavelli (1469 - 1527 im "II Principe" als Stato in die Wissenschaft eingeführt und
hat sich dann als Staat, State, État eingebürgert
Begriff nach h.L.:
Staat eine Einrichtung, durch die eine Gesamtheit von Menschen auf einem bestimmten Teil der
Erde von einer hoheitlichen Gewalt in einer geordneten Gemeinschaft zur Verwirklichung von
Gemeinschaftszwecken verbunden
Demnach für einen Staat erforderlich drei Elemente
1. Staatsgebiet
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2. Staatsvolk
3. Staatsgewalt
Vorhandensein dieser Elemente wichtig für Anerkennung neuer Staaten bzw. Untergang eines
Staates
1. Staatsgebiet
Staatsgebiet der abgegrenzte Teil der Erde, in dem Staat seine Herrschaftsgewalt ausübt.
Dazu gehören
1. der betreffende Teil der Erdoberfläche
2. das Erdinnere
3. der Luftraum darüber. Abzugrenzen zum Weltraum, der frei für alle Staaten. Grenze der
Aktionsbereich ziviler und Militärflugzeuge
4. eine 3-Meilen-Zone des angrenzenden Meeres entsprechend der früheren Reichweite
der Küstengeschütze; heute oft erweitert durch eine Wirtschaftszone von 12 Seemeilen,
u.U. beansprucht für Ausbeutung von Naturschätzen der angrenzende Festlandsockel
Im Staatsgebiet Ausüben fremder Hoheitsgewalt unzulässig, z.B. Auskunftsersuchen fremder
Kartellbehörden, Zustellung gerichtlicher Entscheidungen
2. Staatsvolk
a) Staatsvolk - Nation
Zu unterscheiden Staatsvolk - Nation
Staatsvolk alle Staatsangehörigen, auch wenn sie sich im Ausland aufhalten; Volk im rechtlichen
Sinne
Staatsangehörige unterliegen weiter den Gesetzen des Heimatstaates und geniessen dessen
Schutz, heute allerdings in der Regel nur auf diplomatischem Wege, früher auch unter Einsatz
militärischer Macht - Boxeraufstand China
Nation = Volk im natürlichen soziologischen Sinne, durch gemeinsame Abstammung,
Geschichte, Sprache, Kultur und Zusammengehörigkeitsgefühl verbundene Menschen, z.B.
Bewohner der Bundesrepublik Deutschland und der DDR 1945 - 1989. Wohl nicht mehr
Deutschland - Österreich
Nationalstaat, wenn Staatsvolk und Nation sich decken, z.B, Deutschland, Frankreich
Nationalitätenstaat, wenn Staatsvolk sich aus mehreren Nationen zusammensetzt, z.B.
Österreich bis 1918, ehemaliges Jugoslawien. Dann oft Minderheitsproblem; Anspruch auf
Achtung der eigenen Sprache und Kultur und auf Gleichbehandlung; Diskriminierung ist
unzulässig nach Europäischer Konvention der Menschenrechte
Weiteres Problem: Starke ethnische Minderheiten/Ausländer, die nicht integrationswillig und
–fähig; Streit um Umfang der zu fordernden Integration
b) Staatsangehörigkeit
Massgebend für die Zugehörigkeit zum Staatsvolk - Volk im rechtlichen Sinne - und für die
entsprechenden Rechte und Pflichten
Erwerb und Verlust
Erwerb und Verlust vom jeweiligen Staat zu regeln, daher u.U. doppelte Staatsangehörigkeit
oder Staatenlose
Erwerbsgründe: Geburt; Eheschliessung; Einbürgerung; Friedensvertrag
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Je nach Praxis bei Geburt und Einbürgerung mehr oder minder multikulturelle Gesellschaft. Bei
Geburt unterschiedliche Staatenpraxis
a) Territorialitätsprinzip; entscheidend Ort der Geburt. So z.B. Frankreich
b) Personalitätsprinzip; entscheidend Staatsangehörigkeit der Eltern. So z.B. in Deutschland.
Jetzt doppelte Staatsangehörigkeit bis 21 Jahre für in Deutschland Geborene
Verlustgründe: Erwerb ausländischer Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung, Eheschliessung;
Ausbürgerung, z.B. Biermann durch DDR; Friedensvertrag
Pflichten der Staatsangehörigen
1. Treuepflicht. Sonst Hochverrat, Landesverrat, Staatsgefährdung
2. Gehorsamspflicht. Achtung der bestehenden Gesetze. Sanktionen: Strafrecht; Verwaltungszwang; Ansprüche Dritter aus § 823 Abs. 2 BGB
3. Leistungspflichten. Steuern; Wehrdienst; Schöffe.
Zusätzliche Pflichten aus besonderen Gewaltverhältnissen - Beamte, Soldaten,
Strafgefangene
Rechte der Staatsangehörigen
1. Politische Rechte. Aktives und passives Wahlrecht
2. Grundrechte, z.B. Meinungsfreiheit; Versammlungsfreiheit; Koalitionsfreiheit; Schutz des
Eigentums. Siehe dazu III B
3. Leistungsrechte. Rechtsschutz; Leistungen gemäss Gesetzen z.B. Sozialhilfe, BaFöG;
Leistungen der staatlichen Daseinsvorsorge - Schulen, Hochschulen, Theater, Sportstätten
3. Staatsgewalt
Drittes Erfordernis für Staat neben Staatsgebiet und Staatsvolk
Zum Begriff der Staatsgewalt gehört nicht die Legalität. Entscheidend nur ihr tatsächliches
Vorhandensein. Als Ursprung daher auch möglich Revolution oder Staatsstreich
Nach rechtsstaatlicher Auffassung gehört aber zur Staatsgewalt die Legalität, d.h. im Falle des
Ursprungs aus Revolution oder Staatsstreich nach Übergangszeit wieder Bindung der Staatsgewalt an die Menschenrechte und Anerkennung der Staatsgewalt durch das Staatsvolk in freien
Wahlen
Staatsgewalt als Element des Staates Einheit; üblich aber Trennung in die drei Funktionen
Gesetzgebung, Exekutive, Rechtsprechung
Gewaltenteilung wichtigste Grundlage des modernen Rechtsstaates, begründet durch Montesquieu (1689 - 1755) als Schutz der Bürger gegen die uneingeschränkte Allmacht eines absoluten
Herrschers - Ludwig XIV : L'état c'est moi
Als Träger der Staatsgewalt möglich
Einzelperson - Diktator (Stalin, Hitler); absoluter Monarch
Personenmehrheit - Militärjunta
Das Volk - so in Demokratie. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.
Unmittelbare Demokratie nur möglich in kleinen Gemeinschaften, z.B. einigen schweizer
Kantonen oder in wenigen besonders wichtigen Fragen, z.B. Wahl des Reichspräsidenten sowie
Volksentscheid nach erfolgreichem Volksbegehren in der Weimarer Republik. Im GG aufgrund
der schlechten Erfahrungen damit bewusst nicht vorgesehen. Heute Risiko durch viel stärkere
Einflussmöglichkeit der Medien noch grösser. Allerdings in einigen Bundesländern unmittelbare
Wahl der Bürgermeister, da für Wähler überschaubare und dem Einfluss der Massenmedien
nicht ausgesetzte Frage
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Daher zweckmässig und üblich repräsentative Demokratie - Gesetzgebung und Wahl der
obersten Exekutive (Regierung; Bürgermeister, Stadträte) durch Parlament; Wahl der Abgeordneten unmittelbar durch das Volk
B
Staatsrechtfertigungen
Kein Glasperlenspiel; wichtig für Umfang der staatlichen Aufgaben und der Freiheitsrechte des
Einzelnen ebenso wie die Rechtstheorien (siehe oben Erster Abschnitt IV)
1. Staatsrechtfertigungen
Immer erneut wird Frage gestellt: Warum Staat mit seiner Zwangsgewalt? Warum Pflicht zu
Gehorsam und zu Opfern ? Damit eng verbunden Frage nach Zweck und Aufgaben des Staates
Die Antworten Warum Staat ? sehr vielfältig; eingehende Darstellung nicht möglich
Damit teilweise zugleich höhere Legitimation des Staates mit grösserer Bereitschaft zum
Gehorsam und Antwort auf Zweck und Aufgaben des Staates
Ethische/Naturrechts-Theorie
Der Staat und seine Anerkennung beruhen auf sittlicher Notwendigkeit - Plato; Aristoteles;
Naturrecht; Kant
Religiöse Theorie
Existenz des Staates beruht auf göttlicher Fügung. Daher Gebot Gottes, Staat anzuerkennen
und ihm zu gehorchen - Antike; Mittelalter
Machttheorie
Herrschaft des Starken über die Schwachen Naturgesetz
Vertragstheorie
Der Staat als Vertrag der Bürger - Hobbes; Rousseau; contrat social
Soziologische Theorie
Schutzbedürfnis; Gesellschaftstrieb der Menschen, Nützlichkeit
2. Zweck und Aufgaben des Staates
Wichtig für Art und Umfang der Aufgaben des Staates und der Eingriffe in den Bereich der
Bürger sowie für die Regelungsdichte
Ethische Theorie
Verwirklichung der durch das Sittengesetz gebotenen Ordnung
Religiöse Theorie
Verwirklichung des Willens Gottes
Wohlfahrtstheorie
Aufgabe des Staates grösstmögliches Glück für grösstmögliche Zahl der Bürger
Absolutismus des, 17. und 18. Jahrhunderts. Recht des Staates, zum Wohle der Bürger
uneingeschränkt in Bereich der Bürger einzugreifen; als Wirtschaftspolitik Merkantilismus
Moderne, allerdings wegen des GG nur begrenzt mögliche Variante Wirtschaftslenkung und
kollektive Daseinsvorsorge - SPD-Wirtschaftspolitik; Sozialpolitik SPD, Blüm Pflegeversicherung
Liberaler Rechtsstaat
Staatsaufgaben nur Wahrung der Rechtsordnung; Schutz von Leben und Eigentum - "Nachtwächterstaat"; uneingeschränkte Freiheit wirtschaftlicher Betätigung und des Aussenhandels.
Adam Smith - Laissez faire, laissez aller
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Keine Bewältigung der sozialen Probleme als Folge der Industrialisierung
Heute freiheitlich - sozialer Rechtsstaat, als Wirtschaftsordnung Soziale Marktwirtschaft. Siehe
dazu unten II A - C
C Staatsformen
1. Einteilung nach Träger der Staatsgewalt
a) Monarchie
Viele Varianten
aa) absolute Monarchie
Ludwig XIV. 1638-1715 - L'état c'est moi. Gesamte Staatsgewalt ohne jede Einschränkung und
ethische Bindung in der Hand des Monarchen
aufgeklärte Monarchie
Friedrich der Grosse 1712 - 1786. "Ich bin der erste Diener meines Staates"
bb) ständische Monarchie
Gewalt des Monarchen durch Stände - Adel, Geistlichkeit, Städte - eingeschränkt. So Deutsches
Reich des Mittelalters
cc) konstitutionelle Monarchie
Gewalt des Monarchen durch geschriebene Verfassung eingeschränkt
Parlament hat bei Gesetzgebung und Haushalt Mitwirkung oder Alleinrecht mit Vetorecht des
Monarchen; unabhängige Rechtsprechung
Ernennung und Entlassung der Minister durch den Monarchen, sie bedürfen aber des Vertrauens
des Parlaments. So Deutsches Reich nach 1871
dd) parlamentarische Monarchie
Staatsgewalt tatsächlich beim Parlament; nur noch formale Rechte des Monarchen, deren
Ausübung entgegen Parlament nicht möglich, sondern nur als Vollzug des Willens des
Parlaments; im wesentlichen Symbol und Repräsentant des Staates
Gesetzgebung allein beim Parlament, ebenso faktisch Ernennung und Entlassung der Minister,
nur formal Vollzug durch den Monarchen
So Grossbritannien, Belgien, Niederlande, Dänemark, Schweden, Norwegen, Spanien
b) Republik
Kein mehr oder minder mächtiger Monarch vorhanden, sondern Träger der Staatsgewalt früher
bestimmte Gesellschaftsgruppe, sog. aristokratische Republik - Patrizier Rom; Kaufleute
Hansestädte
heute das gesamte Volk - Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG; Demokratie
Ausübung der Staatsgewalt heute regelmässig nur in Form der repräsentativen Demokratie. In
dieser Staatsform notwendig politische Parteien; daher Art. 21 GG
c) Diktatur
Staatsgewalt wird ohne demokratische Legitimation von Einzelperson oder kleiner Gruppe,
Militärjunta, unter Ausschaltung jedes anderen Willens ausgeübt; Unterdrückung Andersdenkender
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Sonderform sog. “Volksdemokratie”, in der angeblich das Volk, tatsächlich eine Einzelperson
oder kleine Gruppe (Politbüro) die Herrschaft ausübt. Falls Wahlen, nur eine Partei, für Wähler
keine Alternative durch andere Partei und meist auch nicht durch Fernbleiben von der Wahl.
2. Andere Einteilungen
a) Einteilung nach einflussreichster Gruppe
Theokratie - Vatikan; Plutokratie - Finanz- und Wirtschaftskreise, Hansestädte im Mittelalter;
Bürokratie - Berufsbeamte, Mandarine im alten China; Feudalstaat - adlige Grundeigentümer;
Parteiherrschaft - eine oder mehrere Parteien
b) Einteilung nach Zahl der Parteien
Einparteistaat; Mehrparteienstaat
c) Einteilung nach dem Verhältnis Individuum - Staat
aa) totalitärer Staat
Vorrang der Gesamtheit und der kleineren Kollektive (Betrieb, Kolchos); Verbindlichkeit der
staatlichen Ideologie für alle; Geheimpolizei mit unbeschränkter Macht; kaum noch staatsfreier
Bereich des Bürgers
Faschismus, Nationalsozialismus, Ostblock-Kommunismus insoweit identisch. SPD-Vorsitzender
Kurt Schumacher 1946: Rotlackierte Nazis
bb) liberaler Staat
Vorrang der Freiheitsrechte des Einzelnen; Recht auf Bildung einer Opposition; Meinungs- und
Pressefreiheit; Pluralität der Weltanschauungen und Werte; Kontrolle von Gesetzgebung und
Exekutive durch unabhängige Gerichte
cc) autoritärer Staat
Zwischenform; liberale Elemente mehr oder minder stark eingeschränkt, aber keine verbindliche
Ideologie für alle. Sonderform: Militärdiktatur
II.
Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland
A. Verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidungen
Grundsatzentscheidungen über die Staatsform und verfassungsmässige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland enthalten Art. 20 und 28 GG
Bitte lesen Art. 20 Abs. 1; Art. 20 Abs.,2 Satz 1; Art. 20 Abs. 3; Art. 28 Abs. 1 Satz 1.
Daraus folgen als Verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidungen
1. Republik
2. Bundesstaat
3. Demokratie
4. Rechtsstaat
5. Sozialstaat
1. Republik
Erste Verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidung
Art. 20 Abs. 1 GG: Die Bundesrepublik Deutschland ....".Damit Staatsform Monarchie
ausgeschlossen
Durch die Grundsatzentscheidung Demokratie in Art. 28 Abs. 1 auch die Staatsform Diktatur
ausgeschlossen
2. Bundesstaat
Zweite Verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidung
Zu unterscheiden Staatenbund; Bundesstaat; Einheitsstaat
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Staatenbund Zusammenfassung von unabhängigen Staaten zu völkerrechtlicher Einheit
aufgrund völkerrechtlichen Vertrages zwischen den Mitgliedsstaaten. Relativ schwache Stellung
der Bundesgewalt; starke Stellung der Mitgliedsstaaten
Bürger Staatsangehörige der Mitgliedstaaten; Mitgliedstaaten mit eigener nationaler Identität.
Deutscher Bund 1815 - 1866; auf diesem Wege die EG mit dem Ziel Europäische Union
Bundesstaat Zusammenfassung von Staaten zu einer völkerrechtlichen Einheit aufgrund
gemeinsamer Verfassung. Verteilung der Aufgaben und Befugnisse zwischen Bundesgewalt und
Ländern kann sehr verschieden sein. Stärkere Länder im Deutschen Kaiserreich nach 1871;
schwächere Stellung nach der Weimarer Verfassung; wieder stärkere Stellung gegenwärtig
Bürger allein oder in erster Linie Staatsangehörige des Bundesstaates; keine oder nur
untergeordnete nationale Identität der Länder
Im Einheitsstaat nur eine Zentralgewalt; keine von der Zentralgewalt unabhängigen Inhaber
eigenständiger Staatsgewalt; Befugnisse der regionalen Verwaltungseinheiten von der
Zentralgewalt übertragen und abgeleitet. Beispiel Frankreich
EG neuartige Form einer Staatenverbindung; in Entwicklung, Ziel streitig; „Europa der
Vaterländer“ (De Gaulle) – Vaterland Europa/Europäische Union (Kohl). Hoheitsrechte von
Mitgliedstaaten teilweise auf Gemeinschaft übertragen; in diesem Bereich neue klassische
Gewalten Legislative, Exekutive, Judikative mit Vorrang gegenüber Recht der Mitgliedstaaten,
aber keine Allzuständigkeit wie klassischer Staat, sondern nur soweit Hoheitsrechte übertragen;
als Völkerrechtssubjekt handlungsfähig
Aufteilung der drei klassischen Gewalten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland
Nach Art. 30, 70 GG Vermutung einer Zuständigkeit der Länder, soweit nicht abweichende
Regelung im GG
Für Pflege der auswärtigen Beziehungen zuständig der Bund; Art. 32. In Angelegenheiten der
Europäischen Union aber Mitwirkung der Länder gemäss Art. 23 GG, Gesetz vom 12.3.1993
(BGBl. 1 S. 313)
Gesetzgebung
1. Ausschliessliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes
Art. 73, 105 Abs. 1 und in den Fällen, in denen GG sagt: "Das Nähere regelt ein Bundesgesetz" z.B. Art. 4 Abs. 3, Art. 21 Abs. 3, Art. 38 Abs. 3
2. Konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes;
Art. 74, 74a, 105 Abs. 2. Voraussetzungen Art. 72, 105 Abs. 2
3. Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes;
Art. 75, 98 Abs. 3. Voraussetzungen Art. 72 und Verbot der "Vollregelung"
4. Grundsatzgesetzgebungskompetenz des Bundes;
Art. 75, 98 Abs. 3 z. B Art. 91 a Abs. 2 Satz 2, Art 109 Abs. 3
5. Ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz des Bundes;
kraft Sachzusammenhangs; Annexkompetenz; kraft Natur der Sache
6. Ausschliessliche Gesetzgebungskompetenz der Länder;
Art. 70, 30 GG (Restkompetenz), Art. 105 Abs. 2a
Damit Zuständigkeit der Länder praktisch nur im Bereich der Kultur und Polizei sowie Organisation der eigenen Verwaltung. Jedoch erhebliche Mitwirkungsrechte bei der Bundesgesetzgebung; siehe III C
Vollziehende Gewalt
Ausführung der Bundesgesetze
1. überwiegend durch Länder als eigene Angelegenheiten; Art. 83. Daher in diesem Bereich
Bundesaufsicht nur unter strengen Voraussetzungen; Art. 84.
32
Teilweise Ausführung als sog. Auftragsverwaltung; Art. 85. Daher in diesem Bereich stärkere
Weisungsrechte des Bundes
2. zum Teil Durchführung der Gesetze durch bundeseigene Verwaltung; Art. 87, 87b, 89. Zu
diesem Zweck entsprechender Unterbau; eigene Bundesbehörden
Insbesondere Wasserstrassen, Auswärtiger Dienst, Bundeswehr, Asylrecht. Im Bereich der
Finanzverwaltung für Zölle, EG-Abgaben, durch Bundesgesetz geregelte Verbrauchssteuern; Art. 108.
Damit im Bereich der Finanzverwaltung Länder tätig zum Teil als Bundesbehörden, zum Teil als
Landesbehörden in Auftragsverwaltung
Mischverwaltung bei den sog. Gemeinschaftsaufgaben Art. 91a, Art. 91b - Hochschulbau,
Forschungsförderung, Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, Agrarstruktur und
Küstenschutz
Ergebnis: Durchführung der Bundesgesetze ganz überwiegend durch Länder. Frage, ob eigene
oder Auftragsverwaltung, wichtig für Aufsichtsbefugnisse und Einfluss auf Organisation und
Ausbildung des Personals
Rechtspflege
Aus Art. 92 ff. folgt, dass die Rechtsprechung zunächst durch Gerichte der Länder; Ausnahmen
Bundespatentgericht, Wehrstrafsachen. In allen Gerichtszweigen aber als letzte Instanz Bundesgerichte - Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesarbeitsgericht, Bundesfinanzhof, Bundessozialgericht. Damit müssen sich die Gerichte der Länder an der Spruchpraxis der
Bundesgerichte orientieren. Anders nur, wenn ausschliesslich Landesrecht anwendbar.
Rechtszug endet in diesen Fällen bei den Oberlandesgerichten bzw. dem Bayerischen Obersten
Landesgericht.
Finanzverfassunq
Verteilung der Aufgaben und des Steueraufkommens nochmals gesondert geregelt; Art. 104a ff.
Zölle und Verbrauchssteuern stehen dem Bund zu; Vermögens-, Erbschafts-, Kfz.-Steuer den
Ländern; die wichtigsten Steuern Einkommenssteuer/Körperschaftssteuer und Umsatzsteuer
stehen Bund und Ländern gemeinsam zu. Einkommenssteuer/Körperschaftssteuer abzüglich des
Gemeindeanteils je zur Hälfte; Verteilung des Aufkommens Umsatzsteuer jeweils durch Gesetz
(gegenwärtig Länderanteil 37 %); Art. 106. Vermögenssteuer wird seit 1996 aufgrund des Urteils
des BVerfG 22.6.1995 BVerfG 93, 121 (Halbteilungsgrundsatz, Grenze Steuerbelastung des
Einkommens 50 %) nicht mehr erhoben
Gesamtergebnis: Bereits im GG Übergewicht des Bundes, durch tatsächliche Erfordernisse,
insbesondere Deutsche Einheit und Gemeinschaftsaufgaben noch zunehmend
3. Demokratie
Dritte verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidung Demokratie
Art. 20 Abs. 2 GG: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und
Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und
der Rechtsprechung ausgeübt."
Wie schon vorgetragen als Träger der Staatsgewalt möglich
Einzelperson - absoluter Monarch; Diktator
Mehrheit von Personen - Militärjunta; Triumvirat Rom; Patrizier im Mittelalter (Hansestädte,
Venedig)
Volk
Demokratie = Volksherrschaft. Möglich in den beiden Formen
unmittelbare Demokratie
repräsentative Demokratie
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Unmittelbare Demokratie = Herrschaft durch das Volk nur möglich in kleinen überschaubaren
Gemeinschaften - griechische Städte in der Antike; Thing der Germanen; heute noch möglich in
einigen kleinen schweizer Kantonen
In modernen Staaten nur noch möglich zur Entscheidung besonders wichtiger Einzelfragen durch
Volksbegehren und Volksentscheid oder Wahl von Spitzen-Amtsträgern - Staatspräsident;
Oberbürgermeister
Im GG anders als in der Weimarer Verfassung wegen der damaligen schlechten Erfahrungen
nicht aufgenommen. Gefahr von durch die Massenmedien geschürten emotionalen Entscheidungen
Diktatoren, Militär-Juntas oder Partei-Eliten behaupten oft, als Treuhänder des Volkes zu
handeln, u.U. gestützt auf Scheinwahlen, und bezeichnen deshalb ihre Herrschaft zu Unrecht als
Demokratie.
In modernen Staaten nur möglich und üblich repräsentative Demokratie = Herrschaft für das Volk
Ursprung: Rousseau; die volonté générale wird von den Repräsentanten des Volkes in einer
vernunftbezogenen Diskussion gebildet und vollzogen.
Rousseau unterscheidet volonté générale - volonté de tous. Volonté générale die Meinung, zu
der alle gelangen würden, wenn sie hinreichend informiert und aufgeklärt wären. Tatsächlich sind
dies aber alle nicht
Unter Berufung auf diese volonté générale Praxis bestimmter politischer Minderheiten, ihre
Meinung zur volonté générale zu erklären mit dem Recht, diese Meinung notfalls mit Gewalt
gegen die unaufgeklärte Mehrheit durchzusetzen
Daher sind nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG die Abgeordneten des Deutschen Bundestages
Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem
Gewissen unterworfen; so Bildung und Vollzug der volonté générale
De facto die Abgeordneten aber abhängig von ihrer Partei und dem Fraktionszwang unterworfen;
bei Abweichen von der Parteilinie werden sie bei den nächsten Wahlen nicht mehr aufgestellt.
Wenn sie wie meist Berufspolitiker, bedeutet das Verlust der wirtschaftlichen Existenz. Andere
Abgeordnete von ihren jeweiligen Interessengruppen oder Verbänden für ein bis zwei Legislaturperioden in den Bundestag delegiert; möglich, von einer Partei zur Sicherung eines bestimmten
Wählerpotentials oder durch entsprechende Spenden einen sicheren Wahlkreis oder einen
sicheren Platz auf der Landesliste zu erhalten. Anders als im Deutschen Kaiserreich und noch in
der Weimarer Republik fast keine wirtschaftlich vollständig unabhängigen Abgeordneten mehr
Bundestag daher de facto Ständeparlament, Clearingstelle der organisierten Interessen.
Trotzdem kein allzu schlechtes Ergebnis durch Balance der unterschiedlichen Interessen,
Kontrolle durch die Opposition und die Medien, Mandat nur auf jeweils vier Jahre und damit auch
begrenzte Kontrolle durch die Wähler. Churchill: Die Demokratie ist zwar eine ziemlich schlechte
und oft ineffiziente Staatsform, aber von allen möglichen Staatsformen dennoch die beste.
Grösste Gefahr gegenwärtig die Mediokratie; Auseinanderklaffen zwischen der tatsächlichen und
der veröffentlichten Meinung; kurzfristig wechselnde Überbetonung bestimmter Fragen; gezielte
Meinungsbeeinflussung durch Verschweigen oder extremes Verstärken bestimmter Ereignisse
und Meinungen; Worte als Waffen (Berufsverbot; Atomstaat; soziale Kälte; rechtsextrem;
Ökosteuer)
4. Rechtsstaat
Vierte verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidung Rechtsstaat.
Ende der langen Entwicklung von der absoluten Monarchie über aufgeklärte Monarchie,
konstitutionelle Monarchie, liberalen Staat.
Ausdrücklich ausgesprochen in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG: "Die verfassungsmässige Ordnung in
den Ländern muss den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen
Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen". Diese Grundsatzentscheidung folgt
aber auch aus vielen weiteren Bestimmungen des GG
34
1. "Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmässige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die
Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden" Art. 20 Abs. 3 GG
Damit der sog. Vorbehalt des Gesetzes und der Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung. Kein Eingriff in den Bereich der Bürger ohne gesetzliche Ermächtigung. Daher muss
auch nach Art. 80 Abs. 1 GG bei Ermächtigung der Verwaltung zum Erlass von Rechtsverordnungen Inhalt, Zweck und Ausmass der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt
werden
Ergänzung durch die sog. Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts. Die
Regelung grundlegender Fragen darf nicht dem Ermessen der Verwaltung aufgrund allgemeiner Ermächtigung überlassen werden, sondern erforderlich ist eine gesetzliche
Regelung, z.B. Kriterien für die Versetzung von Schülern nicht durch allgemeine Richtlinien,
sondern durch Gesetz
2. Bindung aller drei Gewalten an die Grundrechte; Art. 1 Abs. 3 GG
Sanktion: Verfassungsbeschwerde für die Bürger; Vorlage durch die Gerichte bei Zweifeln an
der Verfassungsmässigkeit eines anzuwendenden Gesetzes im Wegen konkreter
Normenkontrolle
3.
Für die Gesetzgebung Vorrang der Verfassung; Art. 20 Abs. 3
Schutz vor grundlegenden Änderungen der Verfassung durch verfassungsändernde Entscheidung des Bundestages durch Art. 79 Abs. 3 (Ewigkeitsgarantie). Unzulässig Änderung
hinsichtlich Art. 1 (Menschenwürde, Grundrechte) Art. 20 (demokratischer und sozialer
Bundesstaat; Bindung der drei Gewalten an Verfassung, Exekutive und Rechtsprechung an
Gesetz und Recht), Struktur als Bundesstaat und grundsätzliche Mitwirkung der Länder an
der Gesetzgebung
4.
Gewaltenteilung; Art. 20 Abs. 2 Satz 2
5.
Garantie des Rechtsweges bei Eingriffen der öffentlichen Gewalt; Art. 19 Abs. 4
6.
Unabhängigkeit der Richter; Art. 97 Abs. 1
7.
Verbot von Ausnahmegerichten; Anspruch auf den gesetzlichen Richter; Art. 101 Abs. 1
8.
Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Für Gerichte Art. 103 Abs. 1, gilt aber auch als allgemeiner Grundsatz im Bereich der Verwaltung oder als "Drittwirkung" bei Sanktionen des
Arbeitgebers gegenüber Arbeitnehmern
9.
Rechtsgarantien bei Freiheitsentzug; Art. 104 Abs. 1. Freiheitsentzug nur aufgrund Gesetzes; Entscheidung nur durch Richter; bei Festnahmen durch Polizei spätestens am
folgenden Tag Vorführung zum Richter
10. Keine Bestrafung ohne entsprechendes Gesetz vor der Tat (nulla poena sine lege); Art. 103
Abs. 3 GG
11. Rückwirkungsverbot, Vertrauensschutz und Bestimmtheitsgrundsatz
Kein Eingriff in abgeschlossene Tatbestände (echte Rückwirkung). Zulässig aber nachteilige
Änderung noch nicht abgeschlossener Tatbestände, z.B. Aufhebung einer Steuervergünstigung, obwohl wirtschaftliche Entscheidungen in Erwartung des Fortbestandes der
Steuerbegünstigung getroffen (unechte Rückwirkung)
Wegen Vertrauensschutzes sehr strenge Kriterien für den Widerruf von Verwaltungsakten;
angemessene Übergangszeit vor Anwendung neuer Rechtsvorschriften
Alle Rechtsvorschriften müssen hinreichend bestimmt und klar sein
Erfordernis der Vorhersehbarkeit und Klarheit
12. Staatshaftung bei Verletzung von Amtspflichten in Ausübung öffentlicher Gewalt; Art. 34
35
13. Grundsatz der Verhältnismässigkeit
Besonders wichtige Schranke für Eingriffe des Staates in Bereich der Bürger; ebenso im
Zivilrecht und Strafrecht für Mittel und Intensität von Notwehr und Selbsthilfe
Für Art und Intensität des Eingriffs erforderlich ein angemessenes Verhältnis zwischen
Schwere des Eingriffs und dem zu schützenden Rechtsgut, einzubeziehen auch die
möglichen Folgewirkungen des Eingriffs
Das eingesetzte Mittel muss unter diesem Aspekt erforderlich und auch geeignet sein, den
Erfolg herbeizuführen
Unter mehreren möglichen Mitteln ist das mildeste, den Bürger am wenigsten belastende zu
wählen
Der Grundsatz gilt zweistufig
1. Für den Eingriff mittels Gesetzes, z.B. Obdachlosenpolizei durch Gesetz nicht zur Enteignung von Wohnraum, sondern nur zur Beschlagnahme berechtigt
2. Für Eingriffe aufgrund des Gesetzes, z.B. Obdachlosenpolizei aufgrund des Gesetzes nur
zur Beschlagnahme leerstehender Wohnungen, aber nicht zur Teilräumung einer nach
Ansicht der Polizei unterbelegten Wohnung berechtigt
5. Sozialstaat
Fünfte Verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidunq
Als Staatsziel in Art. 20 Abs. 1 "demokratischer und sozialer Bundesstaat", und in Art. 28 Abs: 1
Satz 1 "demokratischer und sozialer Rechtsstaat'
Mit "sozialer Rechtsstaat" besonders prägnant das im GG ständig wiederkehrende Spannungsverhältnis angesprochen
Rechtsstaat der Tendenz nach Garantie des status quo, der Freiheit und des Besitzes des
Einzelnen
Sozial der Tendenz nach Einschränkung der Freiheit des Einzelnen, mehr oder minder starke
Umverteilung von Einkommen und Besitz
Je mehr Gleichheit, desto weniger Freiheit; je mehr Freiheit, desto weniger Gleichheit
(Horkheimer)
Mit dem Staatsziel Sozialstaat Aufforderung, den status quo ständig auf seine soziale
Gerechtigkeit zu prüfen und ggf. zu verändern. Entscheidende Schwierigkeit aber dabei, dass
Konsens über das durch soziale Gerechtigkeit Geforderte nie zu erzielen. Daher mit Recht
Sozialstaat nur als Staatsziel; keine unmittelbaren subjektiv einklagbaren Rechte
Daher auch wenig sinnvoll Aufnahme weiterer sozialer Staatsziele in das GG wie Recht auf
Wohnung, Arbeit, Umwelt. Auch ohne solche Bestimmung im GG durch entsprechendes
Wahlverhalten eine Politik zu erreichen, die diese Ziele fördert. Einfügung in das GG wie
gegenwärtig gefordert nur wohlklingende Optik ohne konkreten Inhalt; Pflicht zur Förderung
dieser Ziele folgt schon aus GG in jetziger Fassung
Aus Staatsziel Sozialstaat in Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 aber bereits jetzt durchaus
konkrete Folgerungen
Pflicht aller drei Gewalten, sich um Verwirklichung dieses Staatsziels zu bemühen, insbesondere
1. die Sozialbindung der Grundrechte - Handlungsfreiheit Art. 2; Berufsfreiheit Art. 12; Eigentum
Art. 14 - unter Ausnutzung des dort enthaltenen Gesetzesvorbehalts zu konkretisieren
2. durch Gesetze und andere Massnahmen für den Ausgleich sozialer Unterschiede, Hilfe für
Bedürftige und gewisse Umverteilung von Vermögen und Einkommen zu sorgen. Eingriffe
des Staates mit diesen Zielen in die Grundrechte der Bürger gerechtfertigt durch die
Sozialstaatsklausel in Art. 20, 28
36
Beispiele der Tätigkeit des Staates in Erfüllung des Staatszieles Sozialstaat: Mieterschutz;
Mutterschutz im Arbeitsrecht; Sozialhilfe; 50% Arbeitgeberbeiträge für Alters- und Krankenversicherung der Arbeitnehmer; Bafög; Prozesskostenhilfe; sozialer Wohnungsbau
Sozialstaat schwierigstes Staatsziel, grösstes Spannungsverhältnis bei der Verwirklichung.
Beispiele:
Eigenverantwortung - Zwang zur kollektiven Vorsorge. Beispiel: Streit um Pflegeversicherung
Subsidiarität - Solidarität. Hohe Pflichtgrenzen in Alters- und Krankenversicherung (2006 5.250;
3.937,50 Euro) mit erheblichem Umverteilungseffekt; nur geringe Selbstbeteiligung an Kosten für
Arzt, Arzneimittel und Krankenhaus
B Grundrechte
1. Allgemeines
a) Geschichte
Garantierte Rechte des Einzelnen gegenüber Staatsgewalt im Mittelalter überwiegend als
verbriefte Rechte von Fürsten, Ständen oder Städten gegenüber dem Kaiser oder Landesherren
Als Rechte auch der Einzelnen zuerst in England in der Magna Charta von 1215, später in
Rechten des Parlaments, aber auch bestimmten Rechten des Einzelnen (Petition of Rights 1628,
Habeas Corpus Akte von 1679, Bill of Rights 1689). Kurz danach entwickelt John Locke nicht nur
die Theorie der Gewaltenteilung, sondern auch von den ursprünglichen und unveräusserlichen
Freiheitsrechten jedes Menschen
Nach Amerika diese Gedanken von den Auswanderern mitgenommen und nach der Unabhängigkeit 1791 als Grundrechte in die Verfassung aufgenommen
In Frankreich Erklärung der Menschen-, Bürgerrechte von 1789
In Deutschland zunächst nur verbriefte Rechte von Fürsten, Ständen oder Städten gegenüber
dem Kaiser oder Landesherren. Grundrechte erstmals in der Paulskirchen-Verfassung von 1849,
aber nicht rechtswirksam geworden, als Garantien aber teilweise übernommen in die
Länderverfassungen oder in Gesetze der Länder, später des Deutschen Reichs, insbes. die
Justizgesetze. Daher und wegen der vom liberalen Staat gewährten Freiheiten insbes. im
Wirtschaftsbereich Grundrechte in der Verfassung von 1871 nicht als notwendig angesehen.
Katalog von Grundrechten in Weimarer Verfassung, erstmals unter Einbeziehen der sozialen
Bindung der Freiheitsrechte des Einzelnen, z.B. Art. 153 Abs. 3 "Eigentum verpflichtet. Sein
Gebrauch soll zugleicht Dienst sein für das Gemeine Beste"
Im Dritten Reich Grundrechte und Weimarer Verfassung teils förmlich, teils faktisch ausser Kraft
gesetzt. Keine Meinungs-, Presse-, Vereinigungsfreiheit; Verbringen in KZ; Beschlagnahme
jüdischen Eigentums; Ausschaltung der Juden aus Justiz, Verwaltung, weiteren Berufen;
Volksgerichtshof und Sondergerichte
Als Reaktion und in Anknüpfung und Fortwirkung der Weimarer Verfassung im Grundgesetz
(GG) Katalog von Grundrechten
Im EG-Vertrag zunächst kein Katalog von Grundrechten; deutscher Vorschlag von den anderen
Mitgliedstaaten abgelehnt
Der Gerichtshof weigert sich bei Klage gegen Rechtsakte der EG in ständige Rechtsprechung,
auf die Rüge der Verletzung nationaler Verfassungsnormen einzugehen. Grund: Anderenfalls
uneingeschränkte einheitliche Geltung des Gemeinschaftsrechts gefährdet. Der Gerichtshof sieht
aber im Wege richterlicher Fortbildung des Gemeinschaftsrechts in ständiger Rechtsprechung
Grundrechte der Person als Teil des Gemeinschaftsrechts an, die der Gerichtshof zu wahren hat.
Diese Grundrechte ergeben sich aus den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten und aus der
Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten. So jetzt auch
ausdrücklich Art. 6 Vertrag über die Europäische Union (Maastricht-Vertrag)
Feierliche Proklamation einer Charta der Grundrechte (Amtsblatt EG 2000 C 364 S. 1) auf der
Gipfelkonferenz von Nizza Dezember 2000. Da rechtlich nicht bindend, Aufnahme eines
Kataloges von Grundrechten in den Vertrag über eine europäische Verfassung unterzeichnet
37
29.10.2004 in Rom; in einigen Mitgliedstaaten, u.a. Deutschland, Zustimmung der Parlamente, in
Frankreich und Niederlande in Volksabstimmung abgelehnt; gegenwärtig „Denkpause“
b) Funktion der Grundrechte
Grundrechte können folgende Funktionen - z.T. allein, z.T. sich überschneidend oder
verstärkend - erfüllen
1. Abwehrrechte
2. Elemente einer objektiven Wertordnung
3. Garantien für bestimmte Einrichtungen
4. Teilhaberechte
1. Abwehrrechte
Ausgangspunkt und ursprüngliche Funktion der Grundrechte
a) Schutz der Bürger gegen staatliche Eingriffe und Beschränkungen der Ausübung bestimmter
Rechte, z.B. Meinungs-, Presse-, Versammlungs-, Berufsfreiheit oder
b) Schutz bestimmter Bereiche, z.B. Leben und Freiheit der Person, Wohnung, Eigentum
Kollision mit Rechten anderer Bürger oder Interessen der Allgemeinheit wird durch Vorbehalt der
Rechte anderer, Gesetzesvorbehalt oder Sozialbindung der Ausübung gelöst
2. Elemente einer objektiven Wertordnunq
Durch Garantie bestimmter Individualrechte und bestimmter Einrichtungen zugleich gesagt, dass
diese Rechte und Einrichtungen nicht nur vom Staat, sondern von allen Bürgern als für alle
verbindliche Werte anzuerkennen sind; denn ohne Anerkennung auch durch alle anderen Bürger
könnte der Staat diese Individualrechte und Einrichtungen nicht gewährleisten, z.B.
Schutz der Menschenwürde; Art. 1 Abs. 1, mit dieser Funktion
Menschenrechte; Art. 1 Abs. 2
Ehe und Familie; Art. 6 Abs. 1
Eigentum; Art. 14 Abs. 1
Aus dieser Eigenschaft als Teil einer objektiven Wertordnung folgt die sog. Drittwirkung der
Grundrechte; dazu unten
3. Garantie für bestimmte Einrichtungen
Einrichtungsgarantie entweder für den Kernbestand bestimmter rechtlicher Institutionen; so Art. 6
Abs. 1 Ehe und Familie
Art. 7 Schule
Art. 14 Eigentum
Art. 28 Länder und Gemeinden
oder Garantie für bestimmte gesellschaftliche Prozesse und Einrichtungen, weil aufgrund
geschichtlicher Erfahrung als wertvoll angesehen und daher unter Schutz der Verfassung
gestellt; so
Art. 5 Meinungs- und Pressefreiheit
Art. 9 Koalitionsfreiheit/Tarifautonomie
Streitig, ob durch diese Einrichtungsgarantien nur Verstärkung der individuellen Freiheitsrechte
der Träger dieser Einrichtungen oder ob damit Rechtfertigung für Gesetzgeber, im Interesse der
Funktionsfähigkeit dieser Einrichtung u.U. individuelle Freiheitsrechte zu beschränken
4. Teilhaberechte
Aus bestimmten Grundrechten, z.B. Art. 3, 5 kann sich ein Teilhaberecht im Rahmen des
vernünftigerweise Beanspruchbaren ergeben, z.B. auf Zugang zu staatlichen Einrichtungen wie
Schulen, Hochschulen und Anteil an deren Mitteln, z.B. strenge Voraussetzungen für NC,
Mindestausstattung für Professoren; Zugang zu Frequenzen für Rundfunk und Fernsehen
38
c) Einschränkung der Grundrechte
Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte gegenüber Staat zur Sicherung einer Freiheitssphäre
des Bürgers
Wahrnehmung der Grundrechte kann aber erheblich in Rechte anderer Bürger oder Interessen
der Allgemeinheit eingreifen,
z.B. der Meinungsfreiheit durch Aufruf zum Boykott des Films eines bestimmten Regisseurs
wegen seiner Tätigkeit im Dritten Reich,
aufgrund Eigentums Kündigung des Mieters durch den Hauseigentümer; durch missbräuchliche
Inanspruchnahme des Asylrechts Art. 16a Abs. 1
Technik des GG zur Lösung solcher Konflikte unterschiedliche Formen der Einschränkung für
die Ausübung der Grundrechte
Bitte lesen Art. 2 Abs. 1; Art. 5 Abs. 2; Art. 12 Abs. 1; Art. 14 Abs. 1-3
Aber Art. 16a Abs. 1 "Politisch Verfolgte geniessen Asylrecht". Kein Gesetzesvorbehalt! Daher
und wegen Garantie des Rechtsweges Art. 19 Abs. 4 sowie der verfahrensrechtlichen Garantien
erheblicher Missbrauch möglich; Einschränkung des Anspruchs auf Asyl jetzt durch Art. 16a
Abs. 2 und 3
Gesetzesvorbehalt in diesen Artikeln aber keine Ermächtigung zur beliebigen Einschränkung der
Grundrechte Art. 19 Abs. 2: „In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt
angetastet werden". Im übrigen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Gesetzesvorbehalt anzuwenden "im Lichte der Grundrechte", d.h. der Wertordnung des GG, d.h.
Einschränkung eines Grundrechts nur zugunsten mindestens gleichwertiger Rechtsgüter
Besonders schwierige Abwägung bei Kollision mehrerer Grundrechte, z.B. alle Soldaten sind
potentielle Mörder - Meinungsfreiheit/Ehre
Abtreibung - Schutz des ungeborenen Lebens/Handlungsfreiheit der Mutter Art. 2. Siehe dazu
BVerf 39, 1 ff., 35 ff.
Entscheidung in solchen Fällen kaum möglich frei vom Einfluss des Zeitgeistes und des
Vorverständnisses
d) Drittwirkung der Grundrechte
Grundrechte ursprünglich nur Abwehrrechte des Bürgers gegenüber Staat bei Ausübung seiner
Hoheitsgewalt
Moderner Staat aber nicht mehr nur "Nachtwächter-Staat", sondern Sozialstaat mit umfassenden
Leistungen der sozialen Sicherung und Daseinsvorsorge - Theater, Sportstätten, Volkshochschulen etc. Diese Leistungen werden oft nicht mehr hoheitlich, sondern in privat-rechtlichen
Formen gewährt
Auch bei Leistungen staatlicher Daseinsvorsorge und sozialer Sicherung in privatrechtlichen
Formen Staat an Grundrechte gebunden, insbes. an Art. 3. Sonst könnte sich Staat der
objektiven Wertordnung des GG durch Wahl einer privatrechtlichen Form entziehen
Aber nicht möglich uneingeschränkte Geltung der Grundrecht auch im Verhältnis der einzelnen
Bürger untereinander. Bürger nicht Adressaten der Grundrechte. Sonst würden aus Rechten
gegenüber der öffentlichen Gewalt Pflichten gegenüber allen anderen Bürgern, als Folge
unvertretbarer Beschränkung der Handlungsfreiheit der Einzelnen
Solche Ausdehnung auch sachlich nicht gerechtfertigt; denn im Verhältnis Bürger - Bürger kein
Machtgefälle und Schutzbedürfnis wie im Verhältnis Staat - Bürger
Unmittelbare Geltung der Grundrechte nur soweit im GG ausdrücklich vorgesehen
Bitte lesen Art. 9 Abs. 3 Satz 2; Art. 20 Abs. 4
39
Grundrechte als objektive Wertordnung beeinflussen aber dennoch die Beziehungen der Bürger
untereinander
1.
in Bereich, wo ähnlich wie im Öffentlichen Recht ein erhebliches Machtgefälle und
Schutzbedürfnis besteht, im Arbeitsrecht; st. Rspr. Bundesarbeitsgericht. Daher als Pflichten
des Arbeitgebers insbes. Achtung der Menschenwürde Art. 1 Abs. 1; Gleichbehandlung Art.
3; rechtliches Gehör vor Sanktionen Art. 103 Abs. 1; Grenzen für Beschränkung der
beruflichen Freiheit durch Kündigungsverbot für Lehrling nach Ausbildung, für
Wettbewerbsverbote nach Ende des Arbeitsverhältnisses Art. 12 Abs. 1
2.
Im Bereich etwa gleicher Macht - Zivilrecht - als Kriterien bei Auslegung wertausfüllungsbedürftiger Normen - Treu und Glauben, gute Sitten, wichtiger Grund -, wo allgemeine
Wertordnung bei Interessenabwägung heranzuziehen.
Beispiel Bundesverfassungsgericht 7, 198 = NJW 1958, 257 (Lüth): Aufforderung zum
Boykott eines Veit Harlan Films; Verurteilung zum Schadensersatz durch LG aus § 826 BGB
von BVerfG aufgehoben, da bei Abwägung vom LG Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht
ausreichend berücksichtigt.
e) Grundrechtsberechtigte
Zu unterscheiden Menschenrechte und Bürgerrechte
Menschenrechte diejenigen Grundrechte, in denen keine Eingrenzung der persönlichen
Berechtigung; sie stehen allen zu
"Jeder hat..." Art. 2 Abs. 1 und 2; Art. 5 Abs. 1 "Niemand darf ..." Art. 3 Abs. 3; Art'. 4 Abs. 3; Art.
12 Abs. 2; Art. 101 Abs. 1 Satz 2; Art. 103 Abs. 3
Ebenso stehen Grundrechte allen zu, wenn Freiheitsgarantie ohne personale Eingrenzung; Art. 4
Abs. 1 u. 3 (Religionsfreiheit); Art. 5 Abs. 3 (Freiheit der Wissenschaft); Art. 6 Abs. 1 u. 2 (Ehe,
Familie); Art. 10 Abs. 1 (Briefgeheimnis); Art. 13 Abs. 1 (Unverletzlichkeit der Wohnung); Art. 14
Abs. 1 (Eigentum); Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 (Asylrecht); Art. 104 Abs. 1 (Freiheitsentziehung)
Bürgerrechte diejenigen Grundrechte, die nur Deutschen zustehen
Art. 8 (Versammlungsfreiheit); Art. 9 (Vereinigungsfreiheit); Art. 11 (Freizügigkeit); Art. 12 Abs. 1
(Berufsfreiheit); Art. 20 Abs. 4 (Widerstandsrecht); Art. 33 (Staatsbürgerrechte)
Aber auch Wahlrecht Art. 38 Abs. 1 nur für Deutsche; folgt aus Art. 20 Abs. 2, nur Wahlrecht des
Staatsvolkes. Daher nach BVerfG kein Kommunalwahlrecht für Ausländer, aber jetzt nach Art. 8b
Abs. 1 Kommunalwahlrecht für Bürger der Europäischen Union
Aus Unterscheidung Menschenrechte - Bürgerrechte folgt, dass Ausländer nur bei Menschenrechten - Freiheitsrechten Grundrechtsberechtigte
Falscher Sprachgebrauch "ausländische Mitbürger", Wort als Waffe
Durch nationale Gesetze, z.B. § 1, VersammlungsG und § 1 VereinsG zwar auch Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit für Ausländer, aber nur auf Stufe einfachen Gesetzes, daher
ohne Verstoss gegen GG beschränkbar
Wichtig für Ausländer, dass Art. 2 als allgemeines Menschenrecht auch für sie gilt; daher von
Verwaltung zu beachten Grundsätze des objektiven Verfassungsrechts, insbes. des Rechtsstaates, u.a. Verhältnismässigkeit und Vertrauensschutz
EG-Ausländern stehen als Teil des Gemeinschaftsrechts Grundrechte der Person zu, deren
Inhalt sich aus den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten und aus der Europäischen
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt (siehe vorstehend
1. Geschichte). Ferner nach Art. 8 a EG-Vertrag als Unionsbürgern ein Art. 11 entsprechendes
Recht auf Freizügigkeit sowie ein dem Art. 12 Abs. 1 entsprechendes Recht Freizügigkeit der
Arbeitnehmer, Niederlassungsrecht und freier Dienstleistungsverkehr Art. 39, 43, 49 (früher 48,
52, 59) EG-Vertrag
Juristische Personen
40
Art. 19 Abs. 3 "Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie
ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind"
z.B. Art. 2 (Handlungsfreiheit); Art. 14 (Eigentum), dagegen nicht Art. 1 Abs. 1 (Menschenwürde)-, Art. 2 Abs. 2 (Recht auf Leben)-, Art. 104 (Freiheitsentzug)
Keine Grundrechte für juristische Personen des öffentlichen Rechts. Hinter ihnen stehen nicht
natürliche Personen, sondern stets der Staat. Berechtigte und Verpflichtete können nicht
zusammenfallen
2. Einzelne Grundrechte
Nur Ausführungen zu einigen besonders wichtigen Grundrechten
a) Allgemeine Handlungsfreiheit; Art. 2 Abs. 1
„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte
anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmässige Ordnung oder das Sittengesetz
verstösst“
Damit nicht nur Schutz des sog. Kerns der Persönlichkeit, sondern Schutz der allgemeinen
Handlungsfreiheit der Bürger, d.h. Einschränkungen ihrer Handlungsfreiheit und Eingriffe in ihren
Bereich nur zulässig, wenn und soweit diese durch verfassungsgemässe Vorschriften gedeckt
sind. Gegen andere Eingriffe Abwehrrecht aus Art. 2 Abs. 1
Art. 2 Abs. 1 Auffangtatbestand gegenüber den folgenden speziellen Grundrechten, tritt daher
hinter diese Grundrechte zurück, soweit deren Schutzbereich reicht
aa) Inhalt des Grundrechts Handlungsfreiheit
Aus Art. 2 Abs. 1 folgen als geschützte Rechtsgüter u.a.
1. die wirtschaftliche Handlungsfreiheit und die unser Zivilrecht beherrschende Vertragsfreiheit
Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist ein Vollzug des Verfassungsauftrages
des Art. 2 und ein notwendiges Korrelat zur Vertragsfreiheit
2. die persönliche Ehre; zu ihrem Schutz das Recht auf Gegendarstellung nach Presse- und
Medienrecht, Unterlassungsanspruch nach BGB und Strafrecht § 185 ff. Strafgesetzbuch
3. die persönliche Privat- oder Geheimsphäre
z.B. Krankenakten des Arztes, Unterlagen eines Sozialarbeiters, Schutz gegen Abhören oder
Mitschneiden von Telefongesprächen, Öffnen von Briefen oder deren unbefugte Veröffentlichung
4. das Recht am eigenen Bild; als Vollzug § 22 KunstUrhebergesetz
5. im Volkszählungsurteil BVerfG 65, 1 diese Rechte vom BVerfG zusammengefasst und
fortentwickelt zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung, "die aus dem Gedanken der
Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden,
wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden".
Als Folge extreme Ausweitung des Datenschutzes zu Lasten berechtigter Interessen Dritter
und der Allgemeinheit; Datenschutz zur Magna Charta aller Terroristen, Kriminellen und
böswilligen Schuldner geworden
Aus Art. 2 Abs. 1 werden weiter gefolgert
1. das Gebot der Subsidiarität
2. der Grundsatz der Verhältnismässigkeit
1. Gebot der Subsidiarität
Das Gebot der Subsidiarität gilt nicht nur für die Organisation des Staates, sondern für das
gesamte staatliche Handeln bei Eingriffen in den Bereich der Bürger
Die übergeordnete Gemeinschaft sollte nur solche Aufgaben wahrnehmen, die nachgeordnete
Gemeinschaften nicht ebenso gut oder besser erfüllen können. Daraus folgt nicht nur eine möglichst weitgehende Dezentralisation der Verwaltung, insbesondere Selbstverwaltung der Gemeinden, sondern auch eine Leitlinie für die Aufgabenverteilung zwischen Staat und Bürgern,
41
z.B. Vorsorge für Alter und Krankheit soweit wie möglich in Eigenverantwortung der Bürger statt
kollektiver Versorgungssysteme; Eigenbeteiligung bei Leistungen der Krankenversicherung;
Förderung der Versorgung alter Menschen in der Familie als Solidargemeinschaft; Sozialeinrichtungen wie Kindergärten, Altenheime, Krankenhäuser so weit wie möglich durch freie Träger
Gebot der Subsidiarität für Aufgabenverteilung zwischen EG und Mitgliedstaaten jetzt auch in
Art. 5 Abs. 2 (früher 3 b) EGV
Erfahrung, dass unter Beachtung des Subsidiaritätsgebotes Aufgaben besser und mit geringeren
Kosten erfüllt werden. Ebenso mit Nachdruck die katholische Soziallehre
"Wie das, was der Einzelne aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann,
ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so ist es auch
unrecht, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinschaften leisten und zum guten
Ende führen können, für die umfassendere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu
nehmen; zugleich ist es höchst nachteilig und verwirrt die Gesellschaftsordnung. Jede Gesellschaftstätigkeit ist ... subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber
nie zerschlagen oder aussaugen" (Enzyklika Quadragesimo anno 1931)
Gegenwärtig leider in allen Bereichen Tendenz zur, Verlagerung der Verantwortung vom
Einzelnen auf anonyme Kollektive oder den Staat und Verlagerung staatlicher Entscheidungen
nach oben
2. Grundsatz der Verhältnismässigkeit
Dieser allgemeine Grundsatz für alle Bereiche staatlichen Handelns folgt nicht nur aus dem
Rechtsstaat, sondern auch aus Art. 2 Abs. 1. Zu den sich daraus ergebenden Beschränkungen
des Eingriffs staatlicher Gewalt in den Bereich der Bürger siehe oben III A 4 Ziff.13
bb) Schranken des Grundrechts Handlungsfreiheit Art. 2 Abs. 1
Schranken dieses Grundrechts im Interesse der Allgemeinheit und der anderen Bürger erforderlich. Daher als Schranken in Art. 2 Abs. 1
1. Rechte anderer
2. die verfassungsmässige Ordnung
3. das Sittengesetz
Rechte anderer
Erforderlich Rechte, nicht nur Interessen. Darunter fallen alle von der Rechtsordnung gewährten
und geschützten Rechte; damit bereits in der "verfassungsmässigen Ordnung" in der weiten
Auslegung des BVerfG enthalten
Verfassungsmässige Ordnung
Praktisch wichtigste Schranke die verfassungsmässige Ordnung. Nach BVerfG die gesamte der
Verfassung gemässe Rechtsordnung, d.h. vom Grundgesetz bis zur Ortssatzung einer
Gemeinde sowie die darauf gestützten Einzelmassnahmen durch Verwaltungsakte. Man kann
daher vom Vorbehalt des geltenden Rechts sprechen.
Das die Handlungsfreiheit einschränkende Recht muss aber formell und materiell mit der
Verfassung übereinstimmen. Dazu gehört insbesondere der Grundsatz der Verhältnismässigkeit
und das Übermassverbot. Leitsatz des BVerfG: Je stärker der Eingriff in die Handlungsfreiheit,
um so sorgfältiger sind die zur Rechtfertigung des Eingriffs vorgebrachten Gründe gegen den
Freiheitsanspruch des Bürgers abzuwägen
Prüfung dieser Schranken-Schranke oft Schwerpunkt der Prüfung nach Art. 2 Abs. 1 und beste
Chance für den Bürger; z.B. daher unzulässig Erfordernis einer Schiessprüfung für den
Falkner-Jagdschein
Sittengesetz
Nicht massgebend die Lehren der Moraltheologie oder die herrschenden Vorstellungen bei
Verabschiedung des GG. Entscheidend die von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung
42
als verbindlich angesehenen Normen. Diese Vorstellungen unterliegen dem Wandel; z.B. noch
1957 gleichgeschlechtliche Aktivitäten von Männern vom BVerfG als Verstoss gegen das
Sittengesetz angesehen; als Indiz das Strafrecht. Derartige Aktivität unter erwachsenen Männern
und Jugendlichen über 16 Jahren heute straffrei
Entsprechender Wandel in der Beurteilung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften; wichtig
für gegenseitige Ansprüche bei Trennung, Fortsetzung des Mietverhältnisses bei Tod eines
Partners, Homo-Ehe
Sittengesetz als Einschränkung der Handlungsfreiheit insbesondere durch die Generalklauseln
§§ 138, 826 BGB, § 1 UWG; nicht nur im Verhältnis Bürger-Bürger, sondern auch Schranke des
Freiheitsrechtes Art. 2 gegenüber Staat
b) Meinungs- und Informationsfreiheit; Art. 5 Abs. 1 und 2
Art. 5 Abs. 1 und 2 lesen! Geschützt sind
1 . die Meinungsfreiheit, die Freiheit, eine bestimmte Meinung in Wort, Schrift oder Bild zu
äussern und zu verbreiten
2. die Informationsfreiheit, das Recht sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert
zu unterrichten
3. die Pressefreiheit
4. die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk, Fernsehen und Film
Diese Rechte notwendige Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie,
um den Wählern zu ermöglichen, sich eine Meinung zu bilden,
um eine Kontrolle der drei Gewalten durch die Öffentlichkeit zu ermöglichen und auf Fehler und
Missbrauch von Macht hinzuweisen
Diese Rechte weiter notwendig,
um das Verhalten von sozialen Gruppen, z.B. Unternehmer, Gewerkschaften oder einzelner
Personen der öffentlichen Kontrolle zu unterwerfen,
um für Waren oder Dienstleistungen zu werben und an ihnen Kritik zu üben
Aus diesen Aufgaben folgen Umfang und Grenzen dieses Grundrechts
1. Meinungsfreiheit
Weiter Begriff der Meinung. Entscheidendes Kriterium, ob es sich um eine Stellungnahme im
Rahmen der geistigen Auseinandersetzung handelt; auf ihren Wert, Richtigkeit oder Vernünftigkeit kommt es nicht an. Auch Mitteilung von Tatsachen, soweit sie Voraussetzung für Bildung
einer Meinung sind.
Nicht mehr gedeckt nur Schmähkritik und das bewusste Behaupten unrichtiger Tatsachen oder
unrichtige Zitate.
Nicht mehr gedeckt statt geistiger Auseinandersetzung Einsatz wirtschaftlicher Macht, z.B.
Androhung einer Liefersperre an Zeitschriftenhändler durch Springer-Verlag, wenn sie weiter
Zeitschrift vertreiben, die nach Bau der Mauer noch das DDR-Rundfunkprogramm druckt
(BVerfG 25, 256 - Blinkfüer). Zulässig aber Aufforderung zum Boykott eines 'neuen Films des
Jud Süß-Film-Regisseurs Veit Harlan (BVerfG 7, 198 - Lüth), die Schock-Werbung von Benetton
(BVerfG 12.12.2000, NJW 2001, 591))
Von Art. 5 Abs. 1 gedeckt auch die ausdrücklich in Art. 8 garantierte Demonstrationsfreiheit, aber
nicht unter Einsatz von Gewalt (BGHSt 23,46 – Laepple; NJW 1972, 1571 - Mahler; Blockade
Springer-Haus)
Grenzen der Meinungsfreiheit
Allgemeine Gesetze
Gesetze zum Schutze der Jugend
Recht der persönlichen Ehre
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Jugend- und Ehrenschutz nur hervorgehobene Fälle der allgemeinen Gesetze. Besonders
wichtig das Strafrecht und im Bereich der Werbung das UWG.
"Allgemeine Gesetze" im Lichte der besonderen Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit auszulegen, insbesondere bei der Güterabwägung mit dem Recht der persönlichen Ehre
oder dem Boykottverbot. Tendenz zur Entwicklung des Grundrechts der Meinungsfreiheit zu
einem Über-Grundrecht
Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit ist aber nicht nur möglich durch staatliche Gesetze
oder Massnahmen, sondern auch durch Drohung mit Gewalt oder Anwendung von Gewalt durch
Andersdenkende und besonders wirksam durch eine political correctnes, deren Inhalt vor allem
durch die Medien bestimmt wird. Deren Missachtung führt nicht nur zum Verschweigen „falscher“
Meinungen durch die Medien, sondern zur laufenden moralischen Verurteilung und negativen
Würdigung der betreffenden Person oder Gruppe in den Medien und als Folge auch durch einen
erheblichen Teil der Bürger. Damit entstehen ein Zwang zu einem bestimmten Sprachgebrauch,
die Tabuisierung bestimmter Themen in der öffentlichen Diskussion und eine Behinderung des
Prozesses der demokratischen Meinungsbildung.
2. Informationsfreiheit
Fälle einer Beschränkung der Informationsfreiheit relativ selten; z.B. Untersagung des Rundfunkempfangs durch Untersuchungshäftling, da Bezug von Zeitungen möglich (BVerfG 15,288)
3. Pressefreiheit
Pressefreiheit umfasst Freiheit der Gründung von Zeitungen, Schutz vor Verbot wegen
bestimmten Inhalts = Inhaltsfreiheit als Unterfall der Meinungsfreiheit mit dort genannten
Grenzen. Grund Vielfalt der Meinungen
Der Pressefreiheit als Sicherung des Zugangs zum Markt und der wirtschaftlichen Existenz dient
die im Pressebereich verschärfte Zusammenschlusskontrolle nach § 35 ff. Gesetz gegen
Wettbewerbsbeschränkungen, um Entstehen oder Verstärkung marktbeherrschender Stellungen
zu verhindern.
Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk, Fernsehen und Film
Wegen Knappheit der Sendefrequenzen zunächst ausser ARD und ZDF weitere Anbieter von
Sendungen nicht möglich, aber jetzt sind aufgrund der veränderten technischen Voraussetzungen weitere Anbieter von Hörfunk- und Fernsehsendungen zuzulassen. Noch im Streit die Bedingungen, insbesondere Beteiligung der öffentlich-rechtlichen Anstalten und von Zeitungsverlagen
an Privatsendern wegen Gefahr regionaler marktbeherrschender Stellungen und Gefährdung der
Meinungsvielfalt, ferner die Pflicht zur sog. Binnen-Pluralität (Gewährleistung der Meinungsvielfalt) sowie deren Umfang und Kontrolle. Hohe Kampfintensität wegen des sehr grossen
Einflusses der elektronischen Medien auf die Meinungsbildung und wegen der Einnahmen aus
Werbung als einzige Finanzierungsquelle der Privatsender bzw. wichtiger Beitrag zum Haushalt
der öffentlich-rechtlichen Sender
c) Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit; Art. 9
Art. 9 Abs. 1 und 3 lesen!
Geschützt also die Vereinigungsfreiheit allgemein (Art. 9 Abs. 1) und als ihr Unterfall die
Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3)
Nicht nur Individualgrundrecht, sondern zugleich auch kollektives Freiheitsrecht der Vereinigungen
Vereinigungsfreiheit
Nach Art. 9 Abs. 1 Vereinigungsfreiheit nur für Deutsche, also Bürgerrecht. Durch Vereinsgesetz
aber auch Vereinigungsfreiheit für Ausländer, allerdings durch einfaches Gesetz zu beschränken
Art. 9 Abs. 1 sichert nicht nur die positive, sondern auch die negative Vereinigungsfreiheit - das
Recht, einer Vereinigung fernzubleiben. Dieses Recht besteht aber nur gegenüber den in Art. 9
44
Abs. 1 geschützten privaten Vereinigungen. Daher möglich Zwangsmitgliedschaft aufgrund
öffentlichen Rechts, z.B. Industrie- und Handelskammer, Ärztekammer, Studentenschaft. Wegen
der Zwangsmitgliedschaft aber Verband auf die ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben
beschränkt; daher kein allgemeinpolitisches Mandat der Studentenschaft
Koalitionsfreiheit
Die durch Art. 9 Abs. 3 garantierte Koalitionsfreiheit ist die institutionelle Basis der Tarifautonomie, d.h. Regelung der Arbeitsbedingungen allein durch die Verbände der Arbeitgeber
und die Gewerkschaften; keine Festsetzung der Arbeitsbedingungen durch den Staat oder
staatliche Schlichtung
Die durch Art. 9 Abs. 3 geschützte Koalitionsfreiheit ist zurückzuführen und auszulegen als
Möglichkeit für die Arbeitnehmer von ihrer Privatautonomie (Handlungs- und Vertragsfreiheit)
Gebrauch zu machen; denn als Einzelner sind sie dazu gegenüber den Arbeitgebern nicht in der
Lage. Daher unrichtig Betrachtung der Tarifparteien, insbesondere der Gewerkschaften als
Grundrechtsträger mit staatlicher Ordnungsfunktion und Quasi-Rechtsetzungsbefugnis. Gewisse
Beschränkungen der Tarifautonomie durch den Staat oder die Rechtsprechung, um die
Vereinbarkeit der jeweiligen Tarifabschlüsse mit dem Gemeinwohl zu sichern, wären daher kein
Eingriff in ein Grundrecht der Tarifparteien, sondern eine im Zivilrecht übliche Praxis.
Art. 9 Abs. 3 ist einerseits Schutz des Instruments der Arbeitsnehmer im Rahmen ihrer Privatautonomie gegen deren Beeinträchtigung durch die Arbeitsgeber, anderseits Schutz gegen die
Einmischung des Staates in die Regelungsbefugnis der Tarifpartner aufgrund ihrer
Privatautonomie.
Art. 9 Abs. 3 Satz 2 neben Art. 20 Abs. 4 Fall einer im GG vorgesehenen unmittelbaren
Drittwirkung eines Grundrechts
Art. 9 Abs. 3 gewährt nicht nur die positive, sondern auch die negative Koalitionsfreiheit. Daher
unzulässig closed shop (nur Einstellung von Gewerkschaftsmitgliedern) oder union shop
(Einstellung unter Bedingung Eintritt in Gewerkschaft) durch Vereinbarung Gewerkschaft –
Arbeitgeber oder von der Gewerkschaft einseitig erzwungene Praxis. Daher ebenfalls unzulässig
sog. Tarifausschlussklauseln (Vereinbarung bestimmter Leistungen nur an Mitglieder der
Gewerkschaft im Tarifvertrag)
Durch Art. 9 Abs. 3 Satz 3 jetzt auch inzidenter verfassungsrechtliche Anerkennung und Schutz
von Arbeitskämpfen - Streik und Aussperrung – als Institution; damit Ausschluss zivilrechtlicher
Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche. Arbeitskampfrecht wegen Unfähigkeit des Gesetzgebers zu einer Regelung z.Zt. allein durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.
d) Berufsfreiheit; Art. 12
Art. 12 Abs. 1 lesen!
Danach Wahl von Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei, nur die Berufsausübung durch
Gesetz zu beschränken. Jedoch Erfahrung der Praxis, dass sich Berufswahl, Aufnahme des
Berufs und Berufsausübung zwar theoretisch, aber nicht praktisch trennen lassen; denn
Vorschriften über Berufsausübung, z.B. Meisterprüfung Handwerk, Zulassung als Kassenarzt
oder Apothekenkonzession nur entsprechend Bedürfnis, wirken auf Berufswahl zurück
Für die Ausnutzung des Gesetzesvorbehaltes Art. 12 Abs. 1 Satz 2 zur Regelung der
Berufsausübung hat daher das BVerfG in dem sog. Apotheken-Urteil (BVerfG 7, 377) eine
Stufentheorie entwickelt. Streitig war die Zulassung neuer Apotheken nur nach Bedürfnisprüfung,
gerechtfertigt mit Schutz der Volksgesundheit wegen bei freier Zulassung drohenden übermässigen Medikamentenverkaufs und Missachtung der Berufspflichten
Regelung der Berufsausübung durch Gesetz zulässig in folgenden Stufen
1. Regelungen über die Art der Berufsausübung
Zulässig, soweit vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls die Regelung zweckmässig
erscheinen lassen, z.B. Nachtbackverbot, Ladenschluss
45
2. Subjektive Zulassungsvoraussetzungen, z.B. Erfordernis einer bestimmten Ausbildung und
Prüfung
Zulässig nur zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter, z.B. Volksgesundheit, technische
Sicherheit, Verbraucherschutz. Daher z.B. zugelassen Erfordernis der Meisterprüfung
Handwerk
3. Objektive, vom Bewerber nicht beeinflussbare Zulassungsvoraussetzungen, z.B. Bedürfnisprüfung
Hier die höchsten Anforderungen; nur zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut, z.B. begrenzte Zahl von
Konzessionen für LKW im Güterfernverkehr im Interesse der Bahn (jetzt schrittweise
Liberalisierung aufgrund EG-Rechts); Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit
(BVerfG 21, 245), inzwischen aufgrund EG-Rechts aufgelockert
Für alle drei Stufen gilt das Erfordernis der Verhältnismässigkeit (siehe oben III A 4 Ziff. 13).
Daher Regelung höherer Stufe nur, wenn Ziel mit Mitteln der tieferen Stufe nicht zu erreichen.
Daher als unzulässig angesehen Bedürfnisprüfung für Apotheken (BVerfG 7, 377) oder für
Zulassung als Kassenarzt (BVerfG 11, 30)
Art. 12 Abs. 1 in erster Linie Abwehrrecht gegen staatliche Beschränkungen der Berufsfreiheit.
Soweit die Rechte aus Art. 12 Abs. 1 aber gegen den Staat gerichtet sind, wird das Abwehrrecht
des Art. 12 Abs. 1 notwendig zum Teilhaberecht. So ausdrücklich Art. 33 Abs. 2 für den Zugang
zu öffentlichen Ämtern, für den Zugang zur Universität vom BVerfG aus der Sachlogik entwickelt.
Daher absolute Zulassungsbeschränkungen durch NC nur zulässig, wenn
1 . für Funktionsfähigkeit der Universität unbedingt erforderlich und nur unter erschöpfender
Nutzung aller sachlichen und personellen Kapazitäten (Kriterium für objektive Zulassungsvoraussetzung) und
2. jeder Interessent die gleiche Chance hat, nicht nur überhaupt, sondern auch an der
gewünschten Universität zu studieren (Teilhaberecht). Daher erforderlich Auswahl nach
gleichen und sachgerechten Kriterien (BVerfG 33, 303; 43, 291; 59, 1)
Teilhaberecht aber nur Gleichheitsrecht, jedoch kein subjektives Recht auf Leistung. Daher kein
Rechtsanspruch auf Ausbau der Hochschulen entsprechend dem jeweiligen Bedarf
e) Schutz des Eigentums; Art. 14
aa) Inhalt des Grundrechts Eigentum; Gründe des Schutzes
Art. 14 Abs. 1 Satz 1, Art. 14 Abs. 3 lesen! Damit aber keine Grundrechtsgarantie für Eigentum
i.S. des Liberalismus, dessen prägnanter Ausdruck § 903 BGB "Der Eigentümer einer Sache
kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben
verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschliessen"
Art. 14 Abs. 1 Satz 2 und Art. 14 Abs. 2 lesen!
Also auch hier wieder nicht nur Gesetzesvorbehalt, sondern ausdrückliche Sozialbindung des
Freiheitsrechts
Eigentum an Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln steht ausserdem noch
unter dem Vorbehalt der Sozialisierung. Art. 15 lesen!
Regelung des Eigentums - Zulassung und Schutz von Privateigentum an Grund und Boden
sowie an den Produktionsmitteln oder nur Staats- oder Gemeineigentum - Schlüsselfrage für
jede Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung; entscheidend für die Leistungsfähigkeit der
Volkswirtschaft, Versorgung der Verbraucher sowie Handlungsfreiheit und Unabhängigkeit der
Menschen; bewiesen durch 70 Jahre Grossversuch im Ostblock und in China
Privateigentum unverzichtbares Mittel für
1. Dezentralisierung wirtschaftlicher und sozialer Macht
Gegensatz vollständige Konzentration des Eigentums in Hand des Staates oder grosser
Kollektive wie LPG, Kolchosen - so Sowjetunion, DDR - oder als Gemeineigentum in grossen
46
Einheiten Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften, DDR Industriekombinate oder
staatliche Industrie-Holdings
Zur Dezentralisierung wirtschaftlicher und sozialer Macht Zusammenschlusskontrolle nach
§ 35 ff. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Verordnung Nr. 4064/89 in der EG;
nicht nur zum Schutz des Wettbewerbs
2. als Element des Subsidiaritätsprinzips
Durch Privateigentum in grossem Umfange möglich Bewältigung von Aufgaben durch
Private, die sonst vom Staat zu erfüllen wären, z.B. Versorgung von Alten, Kranken,
Bedürftigen in der Familie; im Wohnungsbau Aufbringen von Kapital und Übernahme hoher
Lasten für Zinsen und Tilgung für Eigenheim oder Eigentumswohnung, die für Mieter nach
heutiger Ansicht unzumutbar und unsozial
3. für die rechtliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Einzelnen,
seiner Entfaltungsmöglichkeiten, Selbstbestätigung und Eigenverantwortung. Damit
zugleich Basis für Unabhängigkeit bei Teilnahme am politischen Leben, insbesondere als
Mandatsinhaber
4. als Belohnung oder Strafe für richtiges oder falsches wirtschaftliches Verhalten
Streben nach Privateigentum und dessen Vermehrung wesentliches Instrument der Motivierung und Bereitschaft zur Übernahme von Risiken. Ständige Erfahrung, dass private Unternehmen Leistungen weit billiger und besser erbringen, höhere Gewinne erzielen und sich
schneller an veränderte Marktbedingungen anpassen; so wieder gegenwärtig die Erfahrungen mit der Aufhebung des Postmonopols und Zulassung privater Anbieter im Fernsprechverkehr
5. zur Verringerung der sog. Transaktionskosten
Einfachere und kürzere Entscheidungsprozesse, wenn die unternehmerischen Entscheidungen unmittelbar vom Eigentümer getroffen werden können
Wegen dieser Funktionen des Eigentums durch Art. 14 verfassungsrechtlicher Schutz der
Institution Eigentum und Abwehrrecht des Eigentümers gegen staatliche Eingriffe, allerdings
unter ausdrücklicher Betonung der Sozialbindung des Eigentums und zu deren Konkretisierung
mit der Möglichkeit, Inhalt und Schranken des Eigentums durch Gesetz zu bestimmen.
Die Vorschriften des BGB über die Abwehrrechte des Eigentümers § 903 ff., § 858 ff., § 1004
sind die Erfüllung der Institutionsgarantie des Art. 14 auch gegenüber anderen Bürgern
Eigentumsbegriff des Art. 14 weiter als Eigentumsbegriff des BGB; alle privatrechtlichen
vermögenswerten Rechte und Güter, u.a. Mitgliedschaftsrechte wie Aktien, Urheberrechte,
Forderungen, Rentenansprüche aus der Sozialversicherung, eingerichteter Gewerbebetrieb
bb) Schranken des Grundrechts Eigentum
In der Praxis schwierigste und am meisten umstrittene Aufgabe, Inhalt und Schranken des
Eigentums aufgrund des Gesetzesvorbehaltes zu bestimmen. Damit möglich zusätzliche
Beschränkungen des Eigentums über die allgemeine Sozialbindung hinaus. Diese Frage von
grösster wirtschaftlicher Bedeutung; denn
im Verhältnis zum Staat bestimmen solche Regelungen den Inhalt des Eigentums, insoweit
bestehen also keine Abwehrrechte wegen Eingriffs in das Eigentum oder Entschädigungsansprüche wegen Enteignung,
im Verhältnis zu den anderen Bürgern beschränken sie die Rechte des Eigentümers
Regelungen, die durch den Gesetzesvorbehalt nicht mehr gedeckt sind, lösen dagegen als
Enteignung Entschädigungsanspruch aus
Sozialbindung sozial adäquate Belastung des Eigentums ohne Entschädigung; Enteignung
unzumutbare Entziehung oder Belastung vermögenswerter Rechte mit Entschädigung
Für Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums erforderlich stets ein Gesetz
Abzuwägen die Institutionsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und die Sozialpflicht des Eigentums Art. 14 Abs. 2. Nach BverfG muss Gesetzgeber beiden Elementen in gleicher Weise
Rechnung tragen und in gerechten Ausgleich und ausgewogenes Verhältnis bringen.
47
Damit erheblicher Spielraum für Entscheidung, ob Regelung noch innerhalb des Gesetzesvorbehaltes oder bereits Enteignung, z.B. noch als Inhaltsbestimmung angesehen fast völliger Ausschluss der Kündigung von Pachtverträgen über Kleingärten (BVerfG 52, 1); Einführung einer
Erlaubnispflicht für Eingriffe in das Grundwasser und Ablehnung solcher Erlaubnis für Abbau von
Kies, obwohl nach vorhergehendem Landesrecht solcher Abbau Teil der Rechte des Eigentümers (BVerfG 58, 300); sehr weitgehende Nutzungsbeschränkungen aus Gründen des Denkmalschutzes, die in ihrer Wirkung für den Eigentümer einer Enteignung nahe- oder gleichkommen.
Zu berücksichtigende Kriterien
Eigenart des vermögenswerten Gutes oder Rechtes, in das eingegriffen wird, z.B. stärkerer
Eingriff gerechtfertigt wegen Unvermehrbarkeit von Grund und Boden,
ob durch eigene Arbeit oder Leistung erworben, z.B. Anspruch aus Sozialversicherung,
Urheberrecht; daher unzulässig Recht zur kostenlosen Vervielfältigung für Schul- und Unterrichtszwecke (BVerfG 31, 229),
sowie die Gesamtheit der Verhältnisse, z.B. Wohnungsknappheit durch Folgen des Krieges als
Schicksalsgemeinschaft von den verschonten Eigentümern mitzutragen
Regelungen aufgrund des Gesetzesvorbehaltes müssen stets dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entsprechen (-siehe oben III A 4 Ziff. 13)
Abgrenzung Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums gemäss Art. 14 Abs. 1 Satz 2
– Enteignung Art. 14 Abs. 3 nach der neueren Rechtsprechung des BverfG nicht nach Schwere
des Eingriffs (unzumutbar), sondern ob das Eigentum oder bestimmte Rechte daraus dem Eigentümer entzogen werden und zwar nicht nur zugunsten der Allgemeinheit wie z.B. durch Denkmalschutz oder Stadt- und Regionalplanung, sondern auch zugunsten eines bestimmten Begünstigten. Schutz des Eigentums gegen zu weit gehende Bestimmung von Inhalt und Schranken des
Eigentums gemäss Art. 14 Abs. 1 Satz 2 durch Abwägung der Interessen, ggf. Unvereinbarkeit
der gesetzlichen Regelung mit Art. 14 Abs. 1; eingehend dazu Jarass NJW 2000, 2841
cc) Enteignung
U.U. nicht möglich, die Interessen der Allgemeinheit aufgrund des Gesetzesvorbehaltes zur
Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums zu befriedigen. Daher möglich und
zulässig nach Art. 14 Abs. 3 auch Enteignung, d.h. vollständige oder teilweise Entziehung
konkreter subjektiver Rechtspositionen, die durch Art. 14 Abs. 1 geschützt,
entweder durch Gesetz einem bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis oder aufgrund
Gesetzes durch Verwaltungsmassnahmen einem Einzelnen
Enteignung nur zulässig zum Wohle der Allgemeinheit, z.B. Bau von Strassen, Schnellbahntrassen, Schulen. "zum Wohle der Allgemeinheit' durch die Gerichte nachprüfbarer unbestimmter
Rechtsbegriff; daher z.B. als unzulässig aufgehoben Enteignung zugunsten eines Test- und
Versuchsgeländes von Daimler-Benz. Ferner auch hier Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu
beachten, insbesondere ob Zweck der Enteignung nicht auf andere Weise zu erreichen, z.B.
Vorhandensein oder Kaufmöglichkeit geeigneten Grundstücks für Schulbau an anderer Stelle
Enteignung nur gegen Entschädigung. Art und Ausmass der Entschädigung bereits im
Enteignungs-Gesetz zu regeln. Zur Höhe der Entschädigung und zum Rechtsweg Art. 14 Abs. 2
Satz 3 und 4 lesen!
Anspruch auf Entschädigung auch bei enteignungsgleichem oder enteignendem Eingriff durch
hoheitliches Handeln der Verwaltung. Enteignungsgleicher Eingriff bei rechtswidrigem Handeln
der Verwaltung, z.B. sehr erheblicher Umsatzrückgang der Geschäfte in einer Strasse durch
U-Bahn-Bau, der pflichtwidrig nicht mit der möglichen Schnelligkeit durchgeführt wird.
Enteignender Eingriff ungewollte Nebenfolge eines nicht rechtswidrigen Handelns der Verwaltung, z.B. Abfressen der Saat auf Feldern durch Möwen und Krähen, die von Mülldeponie
einer Gemeinde angelockt (BGH NJW 1980, 770). Entscheidendes Kriterium, ob durch den
Eingriff in das Eigentum einem Einzelnen unzumutbares Sonderopfer auferlegt
48
dd) Sozialisierung
Nach Art. 15 möglich auch Überführung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln in Gemeineigentum durch Gesetz. Kein Verfassungsauftrag, sondern nur Raum für
politische Entscheidung. Daher nicht wie bei Enteignung erforderlich „zum Wohle der
Allgemeinheit“ aber stets nur gegen angemessene Entschädigung. Damit entscheidende Sperre
C
Die Wirtschaftsordnung des Grundgesetzes
Wirtschaftsverfassung eines Staates die Gesamtheit der Rechtsnormen, die das Verhalten des
Staates und der Bürger im Wirtschaftsleben regeln, sowie das tatsächliche Verhalten des
Staates im Bereich der Wirtschaft, z.B. staatseigene Unternehmen, Subventionen
Grundsatzentscheidung über die Wirtschaftsverfassung eines Staates oft schon in der
Verfassung; so auch in Deutschland durch das GG
Die beiden Extremformen einer Wirtschaftsordnung sind
1. Zentralverwaltungswirtschaft
2. Reine Marktwirtschaft
Zentralverwaltungswirtschaft gekennzeichnet durch vollständige zentrale staatliche Planung aller
Wirtschaftsvorgänge - Investitionen, Produktion, Dienstleistungen, Verteilung, Verbrauch. Mit
Zentralverwaltungswirtschaft unvereinbar, weil sonst nicht funktionieren würde, Privateigentum
an den Produktionsmitteln; Freiheit der Berufswahl und des Arbeitsplatzes; freie Gewerkschaften
und Tarifautonomie; wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Bürger; Subsidiaritätsgrundsatz
Reine Marktwirtschaft gekennzeichnet durch uneingeschränkte wirtschaftliche Handlungsfreiheit
der Bürger, also auch Freiheit, durch Kartelle und wirtschaftliche Macht die Handlungsfreiheit
anderer zu beseitigen; keine staatlichen Eingriffe in den Marktprozess; uneingeschränktes
Eigentumsrecht ohne Sozialbindung
Diese beiden Extremformen einer Wirtschaftsordnung in der Praxis selten; in der Regel
Mischformen. Reine Marktwirtschaft Mitte des 19. Jahrhunderts; Zentralverwaltungswirtschaft in
Russland seit etwa 1921, im Ostblock und der DDR nach dem zweiten Weltkrieg; wegen des
völligen Versagens dieser Wirtschaftsordnung jetzt aufgegeben
GG lässt diese beiden Extremformen einer Wirtschaftsordnung nicht zu
Einer Zentralverwaltungswirtschaft stehen entgegen die verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidung Rechtsstaat Art. 28 Abs. 1 (siehe oben II A 4), insbesondere aber die Grundrechte
wirtschaftliche Handlungsfreiheit Art. 2, Koalitionsfreiheit Art. 9 Abs. 3, Berufsfreiheit Art. 12 und
Schutz des Eigentums Art. 14 (siehe oben III B 2)
Einer reinen Marktwirtschaft stehen entgegen die verfassungsgestaltende Grundsatzentscheidung Sozialstaat Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 und damit die Pflicht der drei staatlichen
Gewalten, sich ständig um die Verwirklichung dieses Staatszieles zu bemühen, insbesondere
1. die Sozialbindung der Grundrechte - Handlungsfreiheit Art. 2; Berufsfreiheit Art. 12; Eigentum
Art. 14 - unter Ausnutzung des dort enthaltenen Gesetzesvorbehalts zu konkretisieren
2. Pflicht, durch Gesetze und andere Massnahmen für den Ausgleich sozialer Unterschiede, Hilfe
für Bedürftige und gewisse Umverteilung von Vermögen und Einkommen zu sorgen und zu
diesem Zweck notfalls auch in den Marktprozess einzugreifen
Zwischen den wirtschaftlichen Freiheitsrechten der Bürger - insbesondere Art. 2, 12, 14 - und
dem Gebot des Sozialstaates besteht ein Spannungsverhältnis. Das GG gibt den drei staatlichen
Gewalten erheblichen Spielraum, entweder in Vollzug der wirtschaftlichen Freiheitsrechte der
Bürger in der Wirtschaftsordnung stärker die Elemente der Marktwirtschaft zu betonen oder nicht
nur Massnahmen zur Verwirklichung des Staatszieles Sozialstaat zu ergreifen, sondern auch
Massnahmen der Wirtschaftsplanung und Wirtschaftslenkung
Das GG schliesst nur die beiden Extremformen einer Wirtschaftsordnung aus, lässt aber eine
recht weitgehende Entwicklung in der einen oder anderen Richtung zu. Mit dieser Einschränkung
ist also das GG hinsichtlich der Wirtschaftsordnung als neutral anzusehen
D.
Staatsorgane; Gesetzgebung
1.
Staatsorgane
Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland sind
als Legislative Bundestag und Bundesrat
als Exekutive die Bundesregierung
als Dritte Gewalt Rechtsprechung das Bundesverfassungsgericht und die oberen Bundesgerichte
- Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesfinanzhof, Bundesarbeitsgericht,
Bundessozialgericht
sowie der Bundespräsident
Nur einige Ausführungen zum Bundesverfassungsgericht: die anderen Organe hinreichend
bekannt
Rechtsquellen: Art. 93, 94 GG; Gesetz über das Bundesverfassungsgericht W.17. der Bek vom
3.2.1971 (BGBl. 1 S 105) mit Änderungen BGBl. 1974 I S. 469, 1976 1 S. 2485, 1979 I S.357
Zusammensetzung: 2 Senate zu je 8 Richtern, davon je 3 aus den oberen Bundesgerichten.
Amtszeit: 12 Jahre; Wiederwahl jetzt ausgeschlossen. Grund: Kein möglicher Einfluss auf
Entscheidung aus Rücksicht auf Wiederwahl
Wahl: Je zur Hälfte vom Bundestag und Bundesrat. In Praxis Vorschlagsrecht der Parteien für
die ihnen "zustehenden" Richterstellen bei Neubesetzung; Vorschlag wird befolgt, wenn in
Vorgesprächen angemessene Qualifikation akzeptiert. Grund: Gleichbleibender ausgewogener
Einfluss der Parteien auf Wahl unabhängig von den wechselnden Koalitionen im Bundestag und
Mehrheiten im Bundesrat
Wichtigste Aufgaben
1 . Entscheidung über Verfassungswidrigkeit von Parteien; Art. 21 Abs. 2 GG. Bisher für
verfassungswidrig erklärt nur Soziale Reichspartei und KPD; deren Nachfolgeorganisation
DKP geduldet, um ihre politische Bedeutungslosigkeit offenkundig werden zu lassen
2. sog. Organstreitigkeiten über Rechte und Pflichten oberster Bundesorgane oder Fraktionen
des Bundestages; Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG
4. Entscheidungen über Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit GG oder
Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht; Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG. Sog.
abstrakte Normenkontrolle. Z.B. für unzulässig erklärt Gesetz über uneingeschränkte
Fristenregelung bei Abtreibung (BVerfG 39,1)
4. Streitigkeiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder und andere öffentlich
rechtliche Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern; Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 und 4 GG
5. Entscheidungen auf Antrag eines Gerichts, wenn es ein von ihm anzuwendendes Gesetz für
verfassungswidrig hält; Art. 100 Abs. 1 GG. Sog. konkrete Normenkontrolle
6. Entscheidungen über Verfassungsbeschwerden der Bürger; Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG.
Verfassungsbeschwerde kann von jedermann erhoben werden mit Behauptung, durch
öffentliche Gewalt in seinen Grundrechten, Staatsbürgerrechten oder Rechten vor Gericht,
insbes. Recht auf rechtliches Gehör verletzt worden zu sein. Zulässig aber erst nach
Erschöpfung des Rechtsweges, wenn Rechtsweg möglich.
Vorprüfungsausschuss aus 3 Richtern (Kammer) kann einstimmig Annahme der Verfassungsbeschwerde ablehnen, wenn unzulässig oder keine ausreichende Erfolgsaussicht
hat; § 93b BVerfG
Verfassungsbeschwerde auch möglich gegen Gesetze, wegen fehlenden Rechtsweges
unmittelbar
Frist: 1 Monat ab letzter Entscheidung im Rechtsweg, bei Gesetzen 1 Jahr ab Verkündung;
§ 93 BVerfG
Ganz überwiegende Zahl der Fälle Verfassungsbeschwerden der Bürger; Erfolgsquote 3-5 %;
danach Richtervorlagen im Wege konkreter Normenkontrolle.
50
2.
Gesetzgebung
Siehe das folgende Schaubild
51
Erläuterungen zum Schaubild Gesetzgebungsverfahren
1 . Vorlagen der Bundesregierung stets über Bundesrat. Recht des Bundesrates zur
Stellungnahme innerhalb 6 Wochen; Art. 76 Abs. 2 Satz 1, 2 GG
Wenn Vorlage ausnahmsweise als besonders eilbedürftig bezeichnet, bereits nach 3
Wochen an Bundestag; Stellungnahme des Bundesrates nachzureichen; Art. 76 Abs. 2 Satz
3
Besonders eilbedürftige Gesetzesvorlagen der Bundesregierung werden in der Praxis als
Vorlagen aus der Mitte des Bundestages von einer Fraktion der Regierungskoalition
eingebracht
2.
Beratung im Bundestag in drei Lesungen. Regelmässig nach erster Lesung Überweisung an
einen oder mehrere Ausschüsse zur eingehenden Beratung. Zweite Lesung aufgrund der
Ausschussberichte und der in den Ausschüssen vorgenommenen Änderungen; Annahme
dieser Änderungen und Beratung und Abstimmung über weitere Änderungsanträge. Dritte
Lesung Annahme der Vorlage Fassung zweite Lesung en bloc
3.
Im Bundesrat wirken die Länder bei der Gesetzgebung mit; Art. 50 GG
Für das weitere Verfahren zu unterscheiden einfache Gesetze und Zustimmungsgesetze.
Zustimmungsgesetz, wenn ausdrücklich im GG vorgesehen oder wenn Interessen der
Länder sachlich besonders berührt; Abgrenzung oft streitig
Wenn Bundesrat mit Beschluss des Bundestages einverstanden, lässt er das Gesetz
passieren, d.h. keine Anrufung des Vermittlungsausschusses oder ausdrückliche Zustimmung
Wenn Bundesrat nicht einverstanden, binnen drei Wochen Anrufung des Vermittlungsausschusses aus gleicher Zahl von Mitgliedern des Bundestages und Bundesrates; Art. 77
Abs. 2 Satz 1 GG
Wenn der Vermittlungsausschuss Änderung vorschlägt, hat Bundestag erneut Beschluss zu
fassen; Art. 77 Abs. 2 Satz 5 GG
4.
Bei der erneuten Beratung im Bundesrat entscheidend, ob einfaches Gesetz oder
Zustimmungsgesetz, wenn der Bundesrat nicht einverstanden
Wenn Zustimmungsgesetz, Gesetz gescheitert, wenn Bundesrat nicht zustimmt
Bei einfachem Gesetz kann der Bundesrat gegen den erneuten Beschluss des Bundestages
bzw. die Ablehnung von Änderungen durch den Vermittlungsausschuss binnen 2 Wochen
Einspruch einlegen; Art. 77 Abs. 3 Satz 1 GG
Wenn der Einspruch mit der Mehrheit der Stimmen des Bundesrates beschlossen, kann er
durch den Bundestag mit einfacher Mehrheit zurückgewiesen werden; Art. 77 Abs. 4 Satz 1
GG
Wenn Einspruch vom Bundesrat mit mindestens zwei Drittel-Mehrheit beschlossen,
Zurückweisung nur mit zwei Drittel-Mehrheit des Bundestages; Art. 77 Abs. 4 Satz 2 GG
Rechtsverordnungen
Wegen der Vielzahl regelungsbedürftiger Tatbestände insbesondere Regelung von Einzelheiten
durch die Gesetze weder möglich noch sinnvoll. Daher als Ergänzung Möglichkeit von
Rechtsverordnungen, die von der Exekutive zu erlassen sind.
Rechtsverordnungen aber sachlich Rechtssetzung durch die Exekutive oft mit Eingriff in Bereich
der Bürger. Daher erforderlich Ermächtigung der Exekutive durch ein Gesetz, das Inhalt, Zweck
und Ausmass der Ermächtigung bestimmt; Art. 80 Abs. 1 GG
52
III.
Das Verwaltungsrecht der, Bundesrepublik Deutschland
A.
Begriff und Arten der Verwaltung
1.
Begriff
Verwaltung (Exekutive) neben Gesetzgebung und Rechtsprechung eine der drei staatlichen
Gewalten
Über Begriff der Verwaltung im Schrifttum keine Einigkeit; Nutzen einer allgemein gültigen
Definition zweifelhaft
Ausreichend: Tätigkeit des Staates zur Erfüllung seiner Zwecke
Besser als Versuch einer Definition nur Abgrenzung zu den beiden anderen Gewalten und einige
Bemerkungen zu den Eigenarten der Aufgaben und Tätigkeit der Verwaltung
Unterschied zur Gesetzgebung offensichtlich. Verwaltung kann nicht Normen schaffen
(Ausnahme: Rechtsverordnungen, gewisse Verwaltungsvorschriften mit Aussenwirkung; siehe
unten B 1.1), sondern nur im Rahmen der Gesetze handeln, allerdings oft mit weitem
Ermessensspielraum
Unterschied zur Justiz: Richter wird nur im Einzelfall auf Antrag tätig, entscheidet als unbeteiligter
neutraler Dritter Streit der Parteien durch Anwendung des Gesetzes; Aufgabe gerechte
Entscheidung des Einzelfalles, grundsätzlich nur e i n e dem Gesetz entsprechende Entscheidung, die bei Generalklauseln oder sich widersprechenden Grundrechten durch zutreffende
Abwägung zu finden ist. Tatsächlich erheblicher Spielraum für letztinstanzlichen Richter
Eigenarten der Verwaltung
1 . Nicht unbeteiligter neutraler Dritter wie Justiz, sondern stets selbstbeteiligt entscheidend und
gestaltend
2.
Zwar fremdbestimmt, wegen Grundsatzes der Gesetzmässigkeit der Verwaltung nur
Handeln im Rahmen der Gesetze und unter richterlicher Kontrolle, aber oft mit erheblichem
Ermessensspielraum, d.h. innerhalb des gesetzlichen Rahmens mehrere "richtige" Entscheidungen möglich und zulässig. Solches Ermessen wird der Verwaltung im Gesetz oft
ausdrücklich eingeräumt
Daher wichtig zu unterscheiden unbestimmte Rechtsbegriffe - Ermessen
Bei unbestimmten Rechtsbegriffen nur eine zutreffende Entscheidung möglich; Entscheidung von den Verwaltungsgerichten in vollem Umfange nachprüfbar
Bei Ermessen mehrere zutreffende Entscheidungen möglich; Nachprüfung durch Verwaltungsgerichte nur auf Ermessensmissbrauch
Gegenwärtig Tendenz zum unbestimmten Rechtsbegriff zwecks stärkeren Rechtschutzes der
Bürger; damit aber Verlust an Flexibilität und Bereitschaft zu schneller Entscheidung für
Verwaltung
Beispiel § 14 Preussisches Polizeiverwaltungsgesetz: "Aufgabe der Polizei, die nach pflichtgemässem Ermessen notwendigen Massnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder
den einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung
bedroht wird"
Störung der öffentlichen Ordnung unbestimmter Rechtsbegriff, aber für Abwehr Ermessensspielraum unter Beachtung der Verhältnismässigkeit. Ermessen sowohl bei Frage, ob
überhaupt Einschreiten als auch bei Auswahl unter den Mitteln zur Beseitigung der Störung
Unter Ausnutzung des Ermessens, ob einzuschreiten, in den Jahren 1967 ff. bei Aktionen der
Studenten oft Kapitulation des Rechtsstaates unter Berufung auf die Zauberformel
Verhältnismässigkeit der Mittel
3.
Verwaltung entscheidet zwar teilweise auch wie Justiz Einzelfälle, aber als Beteiligter und
Interessenwahrer der Allgemeinheit; überwiegend Verwaltung aber tätig als allgemeine
53
Vorsorge gegen mögliche Gefahren oder Notlagen, als gestaltende Planung für die Zukunft
oder zur Sicherung und Verbesserung der Lebensbedingungen der Bürger
2. Arten der Verwaltung
Erheblicher Wandel der Aufgaben des Staates
Im Staat eines absoluten Herrschers wie Ludwig XIV. von Frankreich oder im Wohlfahrtsstaat
eines aufgeklärten Herrschers wie Friedrich der Grosse Aufgabe der Verwaltung, den Willen des
Herrschers durchzusetzen und ihm die gewünschten Finanzierungsmittel zu verschaffen
Im liberalen Staat ab Mitte des 19. Jahrhunderts wird wichtige Aufgabe neben der fiskalischen
Verwaltung der Schutz von Leben, Eigentum und Handlungsfreiheit der Bürger, die Abwehr der
diesen Rechtsgütern drohenden Gefahren, also Eingriffsverwaltung zur Gefahrenabwehr und
Sicherung eines geordneten Zusammenlebens ("Nachtwächterstaat")
Seit Ende des 19. Jahrhunderts ständig zunehmende Aufgabe der Verwaltung nicht nur
Gefahrenabwehr, sondern die für die Bürger lebensnotwendigen Leistungen (Gas, Wasser,
Elektrizität, Verkehrsmittel, Krankenhäuser) sowie die von ihnen gewünschten Leistungen wie
Schulen, Theater, Sportstätten anzubieten.
Ferner Wandel von der nach Ermessen gewährten Armenfürsorge zum Rechtsanspruch gegen
den Staat auf Sicherung gegen Lebensrisiken wie Alter, Krankheit, Mittellosigkeit aufgrund des
Staatszieles Sozialstaat
Aufgabe der Verwaltung wird die Daseinsvorsorge für die Bürger. Die Bürger nicht mehr nur
Objekt des Eingriffs der Verwaltung zur Gefahrenabwehr, sondern haben Ihrerseits Ansprüche
gegen die Verwaltung. Tendenz zum umfassenden Versorgungsstaat ohne Eigenverantwortung
("Vollkaskomentalität")
Aus diesen unterschiedlichen Aufgaben folgen Unterschiede in der rechtlichen Bindung der
Verwaltung.
Soweit die Verwaltung nur in den Bereich der Bürger zum Erreichen ihrer Ziele eingreift, gelten
die Grundsätze der Gesetzmässigkeit der Verwaltung, Subsidiarität und Verhältnismässigkeit.
Wenn die Verwaltung aber Leistungen im Rahmen der Daseinsvorsorge erbringt, unterliegt die
Verwaltung zusätzlich der Pflicht zur Gleichbehandlung, auch wenn diese Leistungen nicht
hoheitlich, sondern privatrechtlich erbracht werden
Mit den erweiterten Aufgaben des Staates auch neue Bereiche der Eingriffsverwaltung, u.a.
Raumordnung, Umweltschutz, Beschränkungen der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit durch das
Wirtschaftsrecht, u.a. Aussenwirtschaftsrecht, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
(beschränkende Wirtschaftsverwaltung)
Daher als Arten der Verwaltung heute üblich zu unterscheiden
1. Eingriffsverwaltung
a) zur Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum der Bürger, zur Sicherung
eines geordneten Zusammenlebens oder aufgrund Wirtschaftsrechts
b) zur Deckung des Finanzbedarfs mittels Steuern und Abgaben
2. Leistende Verwaltung
a) Vorsorgeverwaltung - Versorgungsunternehmen, Verkehrsmittel, Ausbildungsstätten etc.
b) Sozialverwaltung
c) fördernde Verwaltung - Subventionen für die Wirtschaft
3. Fiskalverwaltung
Teilnahme des Staates am Wirtschaftsleben mit Gewinnabsicht - Lufthansa
54
Weitere Unterscheidung nach der Rechtsform
1. Hoheitliche Verwaltung
So stets die Eingriffsverwaltung.
Leistende Verwaltung möglich als Hoheitsverwaltung - so bis 1990 die Bundespost, als
Mischform z.B. die Krankenversicherung - Aufbringen der Mittel hoheitlich, Leistungen privatrechtlich oder rein privatrechtlich - Bundesbahn, jetzt Bundespost
2. Privatrechtliche Verwaltung
So stets die Fiskalverwaltung; teilweise die Leistungsverwaltung
Unterschied wichtig für mögliche Handlungsformen der Verwaltung, ihren Handlungsspielraum,
die Möglichkeiten zwangsweiser Durchsetzung und den Rechtsschutz der Bürger
B. Handlungsformen der Verwaltung
1. Übersicht
Mögliche Handlungsformen der Verwaltung
1. Verordnung
Zu unterscheiden Rechtsverordnungen - Verwaltungsverordnungen
Rechtsverordnung abstrakte allgemeine Regelung von Sachverhalten mit Aussenwirkung;
für Bürger verbindlich. Wegen Gewaltenteilung und Grundsatzes der Gesetzmässigkeit der
Verwaltung nur aufgrund einer Ermächtigung durch Gesetz, das Inhalt, Zweck und Ausmass
der Ermächtigung bestimmt; Art. 80 Abs. 1 GG
Verwaltungsverordnung/Verwaltungsvorschrift/Runderlass allgemeine Regelungen oder
Weisungen der übergeordneten an die nachgeordnete Behörde aufgrund ihrer Weisungsbefugnis; an sich nur innerdienstliche Wirkung, aber zusätzlich Aussenwirkung, wenn damit
das künftige Aussenhandeln der Behörde beeinflusst wird, z.B. Rundschreiben des
Bundesfinanzministers an die Finanzämter
2. Satzung
Regelung einer eigenständigen Körperschaft wie Gemeinde, Universität zur Regelung ihrer
eigenen Angelegenheiten. Erforderlich staatliche Ermächtigung durch Rechtsakt, in der
Regel Gesetz. Für Mitglieder, u.U. auch Dritte verbindlich
3. Planung
Plan je nach Gegenstand Gesetz, Verordnung oder Verwaltungsakt z.B. Raum- oder
Bauplanung, Haushaltsplan
4. Verwaltungsakt
Besonders häufige Handlungsform der Verwaltung. Dazu unten
5. Öffentlichrechtlicher oder privatrechtlicher Vertrag
Unterscheidung danach, ob einer oder beide Vertragspartner in Ausübung hoheitlicher
Gewalt über einen dieser Entscheidungsgewalt unterliegenden Sachverhalt eine Vereinbarung treffen oder auf gleicher Ebene mit dem Vertragspartner eine Vereinbarung über
einen Sachverhalt des Privatrechts. Öffentlichrechtliche Verträge z.B. Ausnahme von Pflicht,
Kfz.-Stellplätze zu schaffen, gegen Ablösesumme; keine Untersagung eines Zusammenschlusses durch Kartellbehörde gegen Zusage, bestimmte Beteiligung zu verkaufen
6. Tatsächliches Handeln (Realakt)
Z.B. Bau einer Strasse; Ortsbesichtigung; Auskünfte ohne Bindungswirkung - schlichtes
Verwaltungshandeln
55
2.
Der Verwaltungsakt
a)
Begriff und Arten
Begriff
Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Massnahme, die eine
Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts trifft und die
auf unmittelbare Rechtswirkung nach aussen gerichtet (§ 35 Abs. 1 Satz 1 VwVfG).
Entscheidende Kriterien
1. Ausübung hoheitlicher Gewalt, Gegensatz privatrechtliches Handeln, z.B. Kauf von Bürobedarf
2. Regelung eines Einzelfalles. Gegensatz VO als von konkretem Sachverhalt gelöste
abstrakte Regelung, Rechtsnorm
Verwaltungsakt auch die sog. Allgemeinverfügung (§ 35 Abs. 1 Satz 2 VwVfG), die aus
Anlass eins konkreten Sachverhalts an bestimmte oder bestimmbare Zahl von Personen
gerichtet, z.B. Aufforderung an Teilnehmer einer Demonstration, die Strasse zu räumen
3. auf Rechtswirkung nach aussen gerichtet. Gegensatz z.B. Geburtstagsglückwunsch des
Bürgermeisters; Auskunft ohne Bindungswirkung
Arten der Verwaltungsakte
1. Unterscheidung nach dem Inhalt
Befehlende Akte, z.B. Anordnung eines Polizeibeamten; gestaltende Akte, z.B. Einbürgerung, Schankerlaubnis, Steuerbescheid; feststellende Akte, z.B. Anerkennung als Asylberechtigter, Wohngeldbescheid. Reine Beschreibung; rechtssystematisch nicht nützlich
2. Unterscheidung nach der Wirkung auf die Rechtssphäre des Bürgers
Begünstigende Verwaltungsakte - belastende Verwaltungsakte
Begünstigende Verwaltungsakte hoheitliche Massnahmen, die ein Recht oder rechtlich
erheblichen Vorteil begründen oder bestätigen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG); Erweiterung der
Rechtssphäre des Bürgers z.B. Ernennung zum Beamten; Bauerlaubnis
Belastende Verwaltungsakte; Einschränkung der Rechtssphäre des Bürgers durch Verlangen eines Tuns, Duldens, Unterlassens, Beschränkung oder Entziehung von Rechten,
Ablehnung einer beantragten Erlaubnis
Unterscheidung wichtig, weil
a) für belastende Verwaltungsakte, da Eingriff in Rechtssphäre des Bürgers, regelmässig
nötig entsprechende gesetzliche Ermächtigung einschl. Beachtung des Grundsatzes der
Verhältnismässigkeit der Mittel, enge Bindung der Verwaltung an das Recht. Zwar auch
für begünstigende Verwaltungsakte erforderlich rechtliche Grundlage, aber Verwaltung
wesentlich freier,
b) andere Klageformen
Gegen belastende Verwaltungsakte Anfechtungsklage; bei Ablehnung begünstigender
Verwaltungsakte Verpflichtungsklage
c) unterschiedliche Möglichkeiten der Rücknahme bzw. des Widerrufs
3. Unterscheidung nach dem Handlungsspielraum der Verwaltung
a) Gebundene Verwaltungsakte
Behörde muss bei Vorliegen bestimmter Tatsachen Verwaltungsakt mit bestimmtem Inhalt
erlassen, z.B. Gewährung von Wohngeld bei entsprechendem Einkommen und Miete;
Steuerbescheid. Verwaltung hat weder für Tätig-Werden noch für Rechtsfolgen Handlungsspielraum; Bürger hat oft subjektives öffentliches Recht
56
b) Ermessensakte
Verwaltung durch Rechtsnorm zum Handeln ermächtigt, aber nicht verpflichtet und hat auch
Handlungsspielraum hinsichtlich der Rechtsfolgen. Im Gesetz "kann", "darf", soll", "nach
pflichtgemässem Ermessen"
U.U. im Gesetz zusätzliche Angabe der Kriterien oder Tatsachen, die bei Ausübung des
Ermessens zu berücksichtigen, z.B. bei Einstellung Vorzug bestimmter Bewerber bei
gleicher Eignung; sog. gebundenes Ermessen
Behörde aber auch bei freiem Ermessen nicht absolut frei. Zu beachten Grundsätze der
Gleichbehandlung, Verhältnismässigkeit, Willkürverbot (keine sachfremden Erwägungen,
absolut fehlerhafte Abwägung der Interessen); sonst Ermessensmissbrauch
Sinn eines solchen Ermessensspielraumes der Verwaltung Flexibilität und Bereitschaft zu
schnellen Entscheidungen, Übernahme von Verantwortung. Daher Ermessensakte grösster
Bereich
Unterscheidung zwischen gebundenen Verwaltungsakten und Ermessensakten wichtig für
Umfang der Nachprüfung durch die Gerichte
Bei gebundenen Verwaltungsakten volle Nachprüfung auf Rechtmässigkeit
Bei Ermessensakten Nachprüfung nur darauf, ob der durch die Rechtsvorschriften gewährte
Handlungsspielraum überschritten - Ermessensüberschreitung - oder ob vom eingeräumten
Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch
gemacht worden ist (§ 114 VwG0) - Ermessensmissbrauch. Anderenfalls muss das Gericht die
Entscheidung der Verwaltung hinnehmen, darf nicht sein Ermessen anstelle des Ermessens der
Verwaltung setzen. Oft streitig, ob noch zulässiges Ermessen oder bereits Ermessensmissbrauch, z.B. bei Nichteinschreiten gegen offensichtliche erhebliche Rechtsverstösse unter
Berufung auf Verhältnismässigkeit der Mittel
Unbestimmter Rechtsbegriff – Ermessen
Insoweit handelt es sich um eine andere Rechtsfrage. Unabhängig davon, ob die Verwaltung
zum Handeln verpflichtet oder nur ermächtigt, aber nicht verpflichtet ist und insoweit einen
Handlungsspielraum hat, muss sie stets den Grundsatz der Gesetzmässigkeit der Verwaltung
beachten, das Handeln oder Nichthandeln muss den für den Sachverhalt geltenden
Rechtsvorschriften entsprechen
Wegen des Handlungsspielraums der Verwaltung und des Umfangs der Nachprüfung durch die
Gerichte besonders wichtig, ob das Handeln oder Nichthandeln der Verwaltung auf einem
unbestimmten Rechtsbegriff oder auf Ermessen beruht. Unbestimmte Rechtsbegriffe z.B. öffentliche Ordnung, förderungswürdig i. S. des Steuerrechte, Wohl der Allgemeinheit i. S. Art. 14 Abs.
3 GG gewähren der Verwaltung keinen Handlungsspielraum. Die Verwaltung muss handeln,
wenn der Sachverhalt des unbestimmten Rechtsbegriffs erfüllt ist, z.B. die Polizei bei Gefahr für
die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Es gibt nur eine richtige Entscheidung darüber, ob der
unbestimmte Rechtsbegriff erfüllt ist; oft erfordert sie eine Abwägung gegensätzlicher Interessen.
Diese Entscheidung unterliegt der unbeschränkten Nachprüfung durch die Gerichte
Aber auch wenn der Sachverhalt des unbestimmten Rechtsbegriffs vorliegt, ist oft im Gesetz der
Verwaltung ein Ermessensspielraum hinsichtlich der zu ergreifenden Massnahmen eingeräumt.
Der Gebrauch dieses Ermessens unterliegt nur einer beschränkten Nachprüfung durch die
Gerichte
b) Der fehlerhafte Verwaltungsakt
Fehlerhafte Verwaltungsakte in der Regel trotzdem zunächst wirksam, müssen durch Anfechtung
beseitigt werden
Grund: Funktionsfähigkeit der Verwaltung; ganz überwiegende Zahl der Verwaltungsakte
rechtmässig; für Bürger aus vorläufiger Wirksamkeit keine unzumutbaren Nachteile
Ausnahme: Nichtigkeit bei besonders schweren Mängeln. Solche Mängel offensichtliche Unzuständigkeit, Verletzung zwingender Formvorschriften; schwere Verfahrensfehler; Inhaltsfehler,
die Vollzug des Verwaltungsaktes unter allen Umständen rechtlich unmöglich machen, z.B.
Unmöglichkeit der Ausführung, Verstoss gegen zwingende gesetzliche Verbote (Einzelheiten
§ 44 VwVfG)
57
In allen anderen Fällen Verwaltungsakt zunächst wirksam, nur anfechtbar
Anfechtung durch Widerspruch an erlassende Behörde, bei Ablehnung Anfechtungsklage zum
Verwaltungsgericht
Grund für Vorverfahren: Behörde soll Gelegenheit haben, mögliche Fehler zu berichtigen
Anders als Urteil eines Gerichts, das nur durch Rechtsmittel der Parteien zu ändern, aber
nicht durch Gericht selbst, Änderung eines Verwaltungsaktes auch durch betreffende Behörde
möglich.
Urteile erwachsen in Rechtskraft, Verwaltungsakte nur in Bestandskraft. Gründe:
a) Verwaltungsakte ergehen nicht in einem förmlichen Verfahren, daher eher möglich, dass
unrichtig
b) Verwaltungsakte haben oft Dauerwirkung, aber Verhältnisse ändern sich; Anpassung an
veränderte Verhältnisse nötig
Änderung eines Verwaltungsaktes möglich
a) durch Rücknahme Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes (§ 48 VwVfG)
b) durch Widerruf ; Aufhebung eines rechtmässigen Verwaltungsaktes (§ 49 VwVfG)
Durch Änderung eines Verwaltungsaktes u.U. erhebliche Nachteile für Bürger, die auf Fortbestand des Verwaltungsaktes vertraut haben. Wegen dieses Vertrauensschutzes Unterschiede,
ob Änderung begünstigender oder belastender Verwaltungsakte
Rücknahme = Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte
a) BeIastende Verwaltungsakte
Damit Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes. Daher Rücknahme auch unanfechtbar gewordener Verwaltungsakte möglich. Nur Vorteil für Bürger; keine Kollision mit
Vertrauensschutz
b) Begünstigende Verwaltungsakte
Kollision mit Vertrauensschutz. Einschränkung der Rücknahme aus Gebot des Vertrauensschutzes; Einzelheiten § 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 - 4 VwVfG
Widerruf = Rücknahme rechtmässiger Verwaltungsakte
a) Belastender Verwaltungsakt
Widerruf nur mit Wirkung für Zukunft möglich; keine Kollision mit Vertrauensschutz
b) Begünstigender Verwaltungsakt
Hier Vertrauen der Bürger besonders schutzwürdig; Rücknahme nur aus den in § 49
Abs. 2 VwVfG abschliessend aufgezählten Gründen und nur innerhalb eines Jahres
Fünfter Abschnitt: Privatrecht
I
Bereich
Üblich Aufteilung der Rechtsnormen in Öffentliches Recht und Privatrecht/Zivilrecht siehe oben
Zweiter Abschnitt III A
Das Privatrecht regelt die Rechtsbeziehungen der Bürger untereinander sowohl im privaten
Bereich als auch als Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr. Regelungsbedürftig ist daher eine
Vielzahl möglicher Rechtsbeziehungen, die durch neue technische Entwicklungen noch ständig
wächst. Als Folge entwickeln sich ständig neue Teilgebiete des Privatrechts z.B. Medienrecht.
Eine vollständige Aufzählung dieser Teilgebiete ist weder möglich noch sinnvoll.
Als wichtigste grosse Bereiche des Privatrechts sind zu nennen
das Bürgerliche Recht
das Handels- und Gesellschaftsrecht
das Arbeitsrecht
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht
58
Als Teilbereiche haben sich u.a. entwickelt das Wertpapierrecht, das Bank- und Börsenrecht, das
Versicherungsrecht, das Verkehrsrecht, gegenwärtig das Medienrecht
II.
Bürgerliches Recht (BGB)
A. Einführung
Die gemeinsame Basis aller unter I. genannten Rechtsgebiete ist das Bürgerliche Recht
niedergelegt im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) mit seinen fünf Büchern. Im Zweiten Buch
Allgemeines und Besonderes Schuldrecht und im Dritten Buch Sachenrecht werden die
Rechtsbeziehungen der natürlichen und juristischen Personen im Rahmen einer arbeitsteiligen
Wirtschaft mit Privateigentum an den Produktionsmitteln geregelt, im Vierten und Fünften Buch
das Familienrecht und das Erbrecht, vorab im Ersten Buch Allgemeiner Teil für das Privatrecht
wesentliche allgemeine Rechtsinstitute und Fragen
Das BGB ist entstanden 19. Jahrhunderts, also auf der Höhe des Liberalismus. Das wird
besonders deutlich in § 903 Satz 1 “Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz
oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von
jeder Einwirkung ausschliessen”. Das BGB geht aus von Vertragsparteien gleicher Stärke – so
besonders deutlich in den Vorschriften über den Dienstvertrag § 611 ff. –, die ohne Einmischung
des Staates ihre Rechtsbeziehungen innerhalb der weiten Grenzen gesetzlicher Verbote (§ 134)
und der guten Sitten (§ 138) am zweckmässigsten selbst gestalten, beruht also auf der
Privatautonomie und der Vertragsfreiheit
Diese klassische Kodifikation hat sich seit dem 1.1.1900 zur Regelung auch vieler damals
unbekannter Rechtsbeziehungen und schwerer wirtschaftlicher Erschütterungen wie Inflation
nach dem Ersten Weltkrieg und Zusammenbruch Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg
bewährt. Dieser Erfolg beruht auf der Rechtstechnik von Rechtsnormen mit einem sehr hohen
Abstraktionsgrad, die so eine Vielzahl von Sachverhalten erfassen, und der Verwendung von
Generalklauseln wie gute Sitten, Treu und Glauben, wichtiger Grund, die eine elastische
Anpassung an sich ändernde gesellschaftliche Vorstellungen und wirtschaftliche Bedingungen
ermöglichen.
Wesentliche Änderungen waren aufgrund veränderter gesellschaftlicher Vorstellungen nur im
Familienrecht – Gleichberechtigung der Frau; Scheidung der Ehe – sowie im Familien- und
Erbrecht zugunsten nichtehelicher Kinder erforderlich. Durch die jetzt beabsichtigte Reform
sollen die Vorschriften des BGB nur vereinfacht, von der Rechtsprechung entwickelte Grundsätze und Nebengesetze eingearbeitet und an Vorgaben des EG-Rechts angepasst werden.
B. Entstehung und Nutzen der Rechtsbegriffe des BGB
Aufgabe der Rechtswissenschaft ist es, die Vielzahl der vom Gesetzgeber geschaffenen Rechtsnormen systematisch zu ordnen, den Gesetzgeber beim Schaffen neuer Normen zu unterstützen,
Gesetzgebung und Rechtsprechung kritisch zu begleiten und
das geltende Recht darzustellen und zu lehren
Diese Aufgaben erfordern die Entwicklung von Rechtsbegriffen und die Einordnung der Rechtsbegriffe und Normen in ein umfassenden Ordnungssystem. Begriffe und Ordnungssystem dürfen
aber dabei nicht zum Selbstzweck werden, sondern sind stets darauf zu prüfen, ob sie zur
Erfüllung dieser Aufgaben erforderlich und dienlich sind
Der sehr hohe Abstraktionsgrad der Rechtsbegriffe und Vorschriften insbesondere des Allgemeinen Teils des BGB und der ersten sechs Abschnitte des Rechts der Schuldverhältnisse, des
Allgemeinen Schuldrechts, sind das Ergebnis von mehr als 2.000 Jahren Rechtswissenschaft
In der Frühzeit lebten die Menschen in kleinen Gruppen, die sich selbst versorgten. Daher nur
Rechtsbeziehungen in geringem Umfange und relativ seltene leicht zu entscheidende Rechtskonflikte. Diese Konflikte wurden vom Gruppenältesten oder Priester zunächst als reine Einzelfälle entschieden. Im Laufe der Spruchpraxis wurden die gemeinsamen Elemente der zu ent-
59
scheidenden Einzelfälle erkannt und zu Regeln für Gruppen von Einzelfällen entwickelt. Mit dem
Grösser-Werden der menschlichen Gemeinschaften und dem Beginn einer Arbeitsteilung, dem
Übergang von der autarken Versorgung zur Deckung des eigenen Bedarfs durch Rechtsgeschäfte mit Dritten, wuchs die Zahl der Rechtsbeziehungen und der Rechtskonflikte. Es
entwickelte sich eine Rechtswissenschaft, die die vorhandenen Normen und die Spruchpraxis
systematisch ordnete, die gemeinsamen Elemente der Fallgruppen und Normen herausarbeitete
und so Rechtsbegriffe und neue allgemeinere Normen entwickelte. Die Rechtsbegriffe und
Normen des BGB mit ihrem ausserordentlichen hohen Abstraktionsgrad sind in diesem langen
Prozess des „Vor die Klammer Ziehens" der gemeinsamen Elemente der vielfältigen Rechtsbeziehungen und Rechtskonflikte entstanden
Auf diese Weise ist es möglich, eine Vielzahl von Rechtsbeziehungen und Rechtskonflikten
rechtstechnisch mit nur wenigen Normen zu erfassen und auch neue vom Gesetzgeber nicht
vorhergesehene Sachverhalte wie z.B. die vielfältigen Formen der Telekommunikation oder
schwerste Erschütterungen wie die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg und den Zusammenbruch nach dem Zweiten Weltkrieg rechtlich zu bewältigen. Zugleich wird damit die an jede
Rechtsordnung gestellte Forderung der Gerechtigkeit erfüllt, nämlich gleiche Sachverhalte gleich
zu entscheiden
Besonders wichtig
Bitte sich daher stets an Entstehung und Funktion der abstrakten Rechtsbegriffe und Normen
des BGB erinnern und bereit sein, sie als ein notwendiges Instrumentarium zu lernen, mit dem
für alle Rechtsbeziehungen und Rechtskonflikte eine zweckmässige und gerechte Regelung
bzw. Entscheidung zu erreichen ist. Es handelt sich bildlich gesprochen um einen Konzertflügel
allerhöchster Qualität
Bitte bedenken Sie stets, dass die Rechtsnormen - jedenfalls in den klassischen Gesetzen,
manche neue Gesetze sind nur geronnene Ideologie - die Aufgabe haben, einen bestimmten
Interessenkonflikt gerecht und zweckmässig zu entscheiden. Deshalb sollten Sie die Rechtsnormen nicht mechanisch lernen, sondern stets überlegen, welche Interessen sich hier
gegenüberstehen und aus welchen Gründen der Gesetzgeber diesen Interessenkonflikt so
entschieden hat. Unser Zivilrecht will das möglichst reibungslose Funktionieren einer arbeitsteiligen Wirtschaft mit Privateigentum an den Produktionsmitteln ermöglichen
Zu einigen übergreifenden Rechtsgedanken siehe unten III
C.
Einige Strukturelemente des BGB
1. Normarten
Anspruchsnormen, z.B. § 280, § 985; a.F. § 286 Abs. 1; a. F. § 326 Abs. 1
Gegennormen, z.B. § 986 Abs. 1 Satz 1; Gegennorm zu § 985
Zum Ausfüllen der in diesen Normen verwendeten Tatbestandselemente zahlreiche weitere
Normen
Grundnormen, z.B. § 286; a. F. § 284
Ergänzungsnormen, z.B. § 276, § 287
Definitionsnormen, z.B. § 91
Folgerung aus dieser Gesetzestechnik: stets einige Paragraphen weiterlesen!
Sonderart der Normen Generalklauseln, z.B. § 138, § 826. Zu Nutzen und Gefahren der
Generalklauseln siehe Zweiter Abschnitt VI
2. Arten der Rechte
a) Relative/absolute Rechte
Unterscheidung nach dem Personenkreis, gegen den das Recht geltend gemacht werden kann
60
Absolute Rechte sind Rechte, die sich gegen jedermann richten, z.B. Eigentum, Besitz; für den
Eigentümer §§ 985, 1004 Abs. 1; für den Besitzer §§ 859, 861, 862
Relative Rechte sind Rechte, die sich innerhalb eines bestimmten Rechtsverhältnisses gegen
einzelne Personen richten. Sie begründen Rechte und Pflichten nur innerhalb dieses Rechtsverhältnisses für die Beteiligten - sie heissen Gläubiger und Schuldner - und können nur von den
Beteiligten verletzt werden. Dritte müssen diese relativen Rechte nicht achten, dem Gläubiger
steht gegen Eingriffe Dritter in seine relativen Rechte kein Abwehr- und Schadensersatzanspruch
zu. Wenn z.B. der Verkäufer das verkaufte Auto an einen Dritten veräussert, der ihm einen
höheren Preis geboten hat, kann der Käufer nicht gegen den Dritten vorgehen, sondern nur von
seinem Vertragspartner Schadensersatz verlangen. Grund: Relative Rechte für Dritten nicht
erkennbar, Schadensersatzpflicht für Dritten unzumutbares Risiko
Der Kreis der absoluten Rechte ist durch das BGB begrenzt und durch die Rechtsprechung nur
durch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als "sonstiges Recht" i. S.
von § 823 Abs. 1 erweitert worden. Die Einzelnen können nicht durch Rechtsgeschäft weitere
absolute Rechte schaffen. Grund: Wegen ihrer Wirkung gegen jedermann schränken die
absoluten Rechte die Handlungsfreiheit aller anderen ein. Die absoluten Rechte müssen daher in
ihrer Zahl begrenzt und wegen der Gefahr von Schadensersatzansprüchen bei Verletzung soweit
wie möglich auch erkennbar sein, z.B. durch Besitz. Deshalb hat die Rechtsprechung auch das
allgemeine Persönlichkeitsrecht als umfassendes absolutes Recht abgelehnt und gewährt nur
einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens in Geld bei besonders schwerwiegenden
Eingriffen
Nach den Befugnissen, die sie dem Berechtigten gewähren, werden unterschieden
b) Schuldrechtliche Rechte/dingliche Rechte
Schuldrechtliche Rechte ergeben sich aus Schuldverhältnissen, z.B. Anspruch des Verkäufers
auf Zahlung des Kaufpreises gegen den Käufer § 433 Abs. 2
Dingliche Rechte beziehen sich als Herrschaftsrechte auf Sachen, z.B. Eigentum § 903,
Besitz § 859
Schuldrechtliche Rechte sind relative Rechte; dingliche Rechte absolute Rechte
c) Gestaltungsrechte
Gestaltungsrechte geben dem Rechtsinhaber die Macht, einseitig auf eine bestehende Rechtslage einzuwirken. Durch die Ausübung eines Gestaltungsrechts kann ein Rechtsverhältnis
unmittelbar aufgehoben oder inhaltlich verändert werden, z.B. Anfechtung §§ 119, 123, Rücktritt
§ 346; Wandelung a. F. § 462
d) Leistungsverweigerungsrechte
Leistungsverweigerungsrechte geben dem Berechtigten das Recht, die geschuldete Leistung
ständig oder zeitweise zu verweigern, z.B. §§ 222, 273, 320
3. Verpflichtungsgeschäfte/Verfügungsgeschäfte
Unterscheidung wichtig für das das BGB beherrschende Abstraktionsprinzip
Verpflichtungsgeschäfte/Obligatorische Geschäfte = Rechtsgeschäfte, durch die die Verpflichtung zu einer Leistung begründet wird, z.B. Kaufvertrag. Durch Verpflichtungsgeschäfte werden
relative Rechte/schuldrechtliche Rechte begründet
Verfügungsgeschäfte = Rechtsgeschäfte, durch die ein Recht unmittelbar übertragen, belastet,
geändert oder aufgegeben wird, z.B. Einigung über den Übergang des Eigentums § 929.
61
Verfügungsgeschäfte führen zu einer Veränderung der absoluten Rechte der Beteiligten. Sie
dienen regelmässig der Erfüllung eines vorangegangenen Verpflichtungsgeschäfts
4. Abstraktionsprinzip
Das BGB unterscheidet entsprechend dem römischen Recht scharf zwischen kausalen
Geschäften und abstrakten Geschäften
Kausale Geschäfte sind solche Rechtsgeschäfte, zu deren Inhalt der Rechtsgrund (causa) der
Vermögensverschiebung gehört, z.B. Kauf, Miete, Schenkung
Abstrakte Geschäfte sind solche Rechtsgeschäfte, die vom Rechtsgrund der Vermögensverschiebung losgelöst sind; der Rechtsgrund gehört nicht zum Inhalt des Geschäftes und ist nicht
notwendiges Tatbestandsmerkmal für seine Wirksamkeit, z.B. Einigung über den Übergang des
Eigentums § 929. Auch abstrakte Geschäfte werden regelmässig nicht ohne Rechtsgrund
vorgenommen; er ist nur nicht Inhalt des abstrakten Geschäfts. Der Rechtsgrund für das
abstrakte Geschäft liegt in dem ihm zugrunde liegenden Kausalgeschäft, z.B. für die
Übereignung in der Regel ein Kaufvertrag
Kausale Rechtsgeschäfte sind fast alle Verpflichtungsgeschäfte (ausgenommen Verpflichtungen
aus Wechsel und Scheck zur Erhöhung der Umlauffähigkeit, konstitutives Schuldversprechen
und Schuldanerkenntnis §§ 780, 781)
Abstrakte Rechtsgeschäfte sind alle Verfügungsgeschäfte sowie die genannten Verpflichtungsgeschäfte
Grund der Trennung: Etwaige Rechtsmängel des Verpflichtungsgeschäfts sollen nicht auf die
Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts durchschlagen im Interesse der Rechtssicherheit und
Klarheit der dinglichen Rechtslage, z.B. bei Anfechtung des Kauvertrages wegen Erklärungsirrtums § 119 Abs. 1 bleibt die Übereignung der Sache wirksam; Ausgleich über § 812
Zusammenfassung
Betrachtung der Rechte unter den sich überschneidenden und teilweise sich deckenden
Aspekten Wirkung gegenüber anderen Rechtsgenossen; Vertragsfreiheit; Inhalt des Rechts; Art
der Entstehung; Abstraktionsprinzip
Relative Rechte wirken nur gegenüber den Vertragspartnern; können daher in den Grenzen der
Vertragsfreiheit mit beliebigem Inhalt geschaffen werden; begründen schuldrechtliche
(obligatorische) Rechte; entstehen durch Verpflichtungsgeschäfte, sind kausale Rechtsgeschäfte
(ausser Wechsel und Scheck, Schuldversprechen, Schuldanerkenntnis)
Absolute Rechte wirken gegen jedermann; können daher nur mit dem durch Gesetz und
Rechtsprechung vorgesehen Inhalt geschaffen werden; begründen dingliche Rechte (Herrschaftsrechte); entstehen, werden verändert oder aufgehoben durch Verfügungsgeschäfte; sind
abstrakte Rechtsgeschäfte
D.
1.
2.
3.
4.
1.
Einige übergreifende Rechtsgedanken
Vertragsfreiheit und ihre Grenzen
Einstehen für den durch eigenes Verhalten geschaffenen Rechtsschein
Zuordnung des Zufallsrisikos nach der Sphäre
Treu und Glauben
Vertragsfreiheit und ihre Grenzen
Ein Grundprinzip des BGB ist die Vertragsfreiheit einschliesslich der Testierfreiheit (Freiheit,
durch Testament über das Vermögen nach dem Tode zu verfügen) innerhalb der weiten Grenzen
der §§ 134 und 138. Gründe:
62
a) Entstehung des BGB auf dem Höhepunkt des Liberalismus; Einschränkung der Handlungsfreiheit der Bürger nur aus zwingenden Gründen
b) Zweckmässigkeit. Die Vielfalt der Tatbestände, Interessen und neuen Entwicklungen vom
Gesetzgeber nicht vorauszusehen und rechtstechnisch nicht zu bewältigen. Daher im BGB
geregelt nur die Grundtypen der häufigsten Verträge, aber auch für diese ganz überwiegend
keine zwingenden Vorschriften, sondern offen für abweichende Regelung entsprechend den
Interessen der Parteien
Das BGB entspricht insoweit dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit Art. 2 Abs. 1
GG; siehe Dritter Abschnitt III B 2a
Die Vertragsfreiheit umfasst die Abschlussfreiheit, d.h. die Freiheit, zu entscheiden, ob und mit
wem man einen Vertrag abschliessen will, sowie die Inhaltsfreiheit, d.h. den Inhalt des Vertrages
frei zu vereinbaren
Die Vertragsfreiheit führt aber nur dann zu einem gerechten Interessenausgleich und sozial
vertretbaren Ergebnissen, wenn die Vertragspartner wirtschaftlich etwa gleich stark sind, also
kein erhebliches Machtgefälle oder eine Mangellage besteht. Daher ist es notwendig, die
Abschlussfreiheit und die Inhaltsfreiheit einzuschränken
Einschränkungen der Abschlussfreiheit
Monopole wie Versorgungsunternehmen für Strom, Gas und Wasser, öffentliche Verkehrsunternehmen unterliegen nach den jeweiligen Spezialgesetzen oder nach § 826 BGB einem Abschlusszwang (Kontrahierungszwang); denn die Nachfrager benötigen zwingend ihre Leistungen
und können nicht auf andere Anbieter ausweichen. Einem Abschlusszwang unterliegen auch
marktbeherrschende Unternehmen i.S. § 19 Abs. 1 und 2 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) nach § 20 Abs. 1 GWB sowie marktstarke Unternehmen, von denen kleiner oder
mittlere Unternehmen auf der anderen Marktseite abhängig sind, nach § 20 Abs. 2 GWB '
Faktisch eine Beschränkung der Abschlussfreiheit sind auch die Beschränkungen, ein bestehendes Vertragsverhältnis zu beenden, z.B. zum Schutze des Mieters durch §§ 564b, 556a BGB
oder zum Schutze der Arbeitnehmer allgemein und verstärkt zum Schutze bestimmter Gruppen
von Arbeitnehmern Beschränkungen des Kündigungsrechts des Arbeitgebers im Arbeitsrecht
Einschränkungen der Inhaltsfreiheit
§ 134 BGB, konkretisiert durch zahlreiche Rechtsvorschriften insbes. zum Schutze schwächerer
Vertragspartner, z.B. im Bereich des Mietrechts und im Arbeitsrecht
§ 138 BGB als elastische Generalklausel
§ 125 BGB als wirksame Sanktion zur Durchsetzung der gesetzlichen Formvorschriften
§§ 305 c, 307 – 309 BGB (früher §§ 3, 9 – 11 AGB-Gesetz)
Vorschriften des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und Art. 81, 82
(früher 85, 86) EG-Vertrag (EG-Kartellrecht) zum Schutze des Wettbewerbs und schwächerer
Marktteilnehmer
Andere Rechtsvorschriften, die den Inhalt von Rechtsgeschäften zwingend vorschreiben oder
einen abweichenden Inhalt ausschliessen, z.B. der Typenzwang im Sachenrecht. Grund: Wegen
ihrer Wirkung gegen jedermann schränken die absoluten Rechte die Handlungsfreiheit aller
anderen ein. Sie müssen daher in ihrer Zahl begrenzt und wegen der Gefahr von
Schadensersatzansprüchen bei Verletzung möglichst auch für Dritte erkennbar sein
Pflicht zur Gleichbehandlung
Weitere Einschränkung der Abschluss- und Inhaltsfreiheit folgt aus der Pflicht zur Gleichbehandlung
Diese Pflicht obliegt stets dem Staat im Verhältnis zu den Bürgern aufgrund seiner überlegenen
Macht und Eingriffsbefugnisse. Art. 3 GG ist nur eine Konkretisierung des allgemein geltenden
Grundsatzes der Gleichbehandlung. Die Pflicht zur Gleichbehandlung gilt nicht nur bei
63
hoheitlicher Tätigkeit des Staates, sondern auch dann, wenn der Staat als Sozialstaat Aufgaben
der Daseinsvorsorge in privatrechtlichen Formen erfüllt
Aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung folgt aber nicht eine Pflicht zur absoluten Gleichheit,
sondern nur ein Willkürverbot, ein Verbot der Ungleichbehandlung ohne sachlich gerechtfertigten
Grund. Das BVerfG räumt dem Staat insoweit einen grossen Handlungsspielraum ein
Eine Pflicht zur Gleichbehandlung besteht aber auch im Verhältnis der Bürger untereinander,
wenn zwischen ihnen wie im Verhältnis Staat/Bürger ein erhebliches Machtgefälle besteht
und/oder die jeweiligen Rechtsgeschäfte nicht vom Grundsatz der Austauschgerechtigkeit
(iustitia commutativa), sondern vom Grundsatz der verteilenden Gerechtigkeit (iustitia distributiva) beherrscht werden
Eine Pflicht zur Gleichbehandlung besteht daher insbesondere im Arbeitsrecht bei freiwilligen
Leistungen des Arbeitgebers, im Zivilrecht für Monopole wie Versorgungs- und Verkehrsunternehmen, marktbeherrschende Unternehmen i.S. § 19 Abs. 1 und 2 GWB und marktstarke
Unternehmen, von denen kleine oder mittlere Unternehmen auf der anderen Marktseite abhängig
sind, nach § 20 Abs. 2 GWB sowie für Kartelle und marktbeherrschende Unternehmen nach Art.
81, 82 (früher 85, 86) EG-Vertrag
2.
Einstehen für den durch eigenes Verhalten geschaffenen Rechtsschein
Als übergreifender Rechtsgedanke ist in den Normen des Zivilrechts enthalten das Einstehen für
den durch das eigene Verhalten geschaffenen Rechtsschein mit entsprechenden Rechtsfolgen,
obwohl tatsächlich ein entsprechender Sachverhalt nicht vorliegt, der Schutz des durch den
Rechtsschein begründeten Vertrauens redlicher Dritter
Grund: Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs in arbeitsteiliger Gesellschaft mit Vielzahl von
Rechtsgeschäften mit oft unbekannten Vertragspartnern. Beispiele:
a) Schutz des guten Glaubens eines redlichen Erwerbers beweglicher Sachen vom Nichteigentümer § 932 Abs. 1 BGB. Abweichend vom römischen Recht, das dem Eigentümer
einen Herausgabeanspruch auch gegen den redlichen Dritten gewährte - möglich wegen des
geringen Grades der Arbeitsteilung - folgt das BGB dem altdeutschen Grundsatz. Wo du
deinen guten Glauben gelassen hast, musst du ihn suchen
Anknüpfungspunkt für den guten Glauben des Dritten ist der Besitz des Nichtberechtigten;
denn ganz überwiegend ist der Besitzer zugleich der Eigentümer der Sache. Deshalb wird
nach § 1006 auch zugunsten des Besitzers vermutet, dass er Eigentümer der Sache sei, und
die Übertragung des Eigentums beweglicher Sachen geschieht überwiegend nach § 929
durch Einigung über den Eigentumsübergang und Übergabe der Sache (Publizitätsfunktion
des Besitzes)
Folgerichtig tritt Eigentumserwerb kraft guten Glaubens nach § 935 Abs. 1 nicht ein, wenn
die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verlorengegangen oder sonst abhanden
gekommen war, d.h. der Eigentümer den unmittelbaren Besitz gegen seinen Willen verloren
hat, z.B. durch Unterschlagung; denn in diesen Fällen hat der Eigentümer nicht durch
Überlassen des unmittelbaren, Besitzes zugunsten des Nichtberechtigten den Rechtsschein
des Eigentums geschaffen
b) Schutz des guten Glaubens eines redlichen Erwerbers des Eigentums oder von Rechten an
Grundstücken, z.B. Hypothek, Grundschuld gem. § 892 BGB. Anknüpfungspunkt des guten
Glaubens hier die Eintragung im Grundbuch. Nicht selten die unrichtige Eintragung vom
tatsächlich Berechtigten selbst veranlasst; auf jeden Fall kann der tatsächlich Berechtigte
stets durch einstweilige Verfügung einen Widerspruch in das Grundbuch eintragen lassen.
Der durch die Unrichtigkeit des Grundbuchs geschaffene Rechtsschein ist ihm daher
zuzurechnen
c) Massgebend für den Inhalt einer Willenserklärung ist der objektive Erklärungswert, wie er
von einem verständigen Erklärungsempfänger zu verstehen war. Wenn der Erklärende tat-
64
sächlich etwas anderes gewollt hat, muss er seine Willenserklärung nach § 119 Abs. 1 BGB
anfechten
d) Wer gegenüber der Öffentlichkeit oder einem Dritten eine Erklärung abgibt, muss sich daran
festhalten lassen
Der Überbringer einer Quittung gilt als ermächtigt, die Leistung zu empfangen § 370 BGB Bei
Ausstellung einer Schuldurkunde im Falle der Abtretung gegenüber dem neuen Gläubiger
keine Berufung auf Scheingeschäft oder Ausschluss der Abtretung § 405 BGB Zeigt der
Gläubiger dem Schuldner die Abtretung der Forderung an, so muss er die Abtretung gegen
sich gelten lassen § 409 BGB.
Ebenso bei Mitteilung des Eigentumsüberganges vom Vermieter an den Mieter hinsichtlich
der Mietforderung § 566 e Abs. 1 BGB
Fortbestand einer Vollmacht bei Mitteilung an einen Dritten, öffentlicher Erklärung oder
Aushändigung einer Vollmachturkunde §§ 170-172 BGB
e) Einstehen für den durch eigenes Verhalten geschaffenen Rechtsschein im Handelsrecht.
Siehe nachstehend III
f)
Die Verwirkung; von der Rechtsprechung entwickeltes Rechtsinstitut. Wer sein Recht lange
Zeit nicht geltend macht, obwohl dies möglich war, und dadurch beim Schuldner das
begründete Vertrauen schafft, er werde nicht mehr in Anspruch genommen werden, hat sein
Recht verwirkt; ein derart verspätetes Geltendmachen des Rechts ist für den Schuldner
unzumutbar
Ein anderer übergreifender Rechtsgedanke ist aber der vorrangige Schutz der Geschäftsunfähigen i.S. § 104 und der Minderjährigen. Der gute Glaube an die Geschäftsfähigkeit wird
nicht geschützt; der Schutz dieser Personen hat Vorrang vor dem Schutz des redlichen Verkehrs
("Der Tintentrinker ist der Rechtsordnung liebstes Kind"). Das ist mit dem Schutz des redlichen
Verkehrs auch vereinbar; denn Geisteskranke sind relativ selten, meist durch ihr Verhalten als
solche erkennbar und häufig sogar in geschlossenen Anstalten untergebracht. Auch
Minderjährige sind bis zum Alter von etwa 16 Jahren durch ihr Äusseres regelmässig erkennbar;
im Alter darüber besteht regelmässig Anlass zu begründeten Zweifeln an der Volljährigkeit, so
dass für ihre Vertragspartner eine Rückfrage geboten und zumutbar ist
3.
Zuordnung des Zufallsrisikos nach der Sphäre
Weiterer übergreifender Rechtsgedanke im Zivilrecht die Zuordnung des Zufallsrisikos nach der
Sphäre.
Eine typische Leistungsstörung in Austauschverträgen ist die Unmöglichkeit der von der einen
Vertragspartei geschuldeten Leistung. die weder von der einen noch von der anderen Partei zu
vertreten ist. Wichtigste Fälle der zufällige Untergang der vom Verkäufer geschuldeten
Sache vor Übergabe an den Käufer oder des vom Unternehmer geschuldeten Werkes vor
Abnahme durch den Besteller.
In diesen Fällen zu unterscheiden die sog. Sachgefahr, d.h. das Risiko des Sachgläubigers,
insbesondere des Käufers oder des Bestellers, die vertraglich geschuldete Sache oder Werk
wegen des zufälligen Untergangs nicht zu erhalten, und
die sog. Preisgefahr, d.h. das Risiko des Sachschuldners, insbesondere des Verkäufers oder
Unternehmers, den vereinbarten Preis nicht zu erhalten
Die Sachgefahr trifft den Sachgläubiger nach § 275 Abs. 1 BGB; denn es wäre eine unvertretbare Belastung für den Sachschuldner, wenn er auch für den zufälligen Untergang der Sache
einstehen müsste; anders bei der Gattungsschuld vor Konkretisierung gemäss § 243 Abs. 2 BGB
und beim Werkvertrag, wenn die Herstellung des geschuldeten Werkes noch möglich ist. Dieses
Risiko ist dem Sachgläubiger zuzumuten; denn er wird seinerseits von seiner Leistungspflicht
65
nach § 326 (früher § 323 BGB) Abs. 1 frei und verliert nur die Gewinnchancen aus Nutzung oder
Weiterverkauf.
Grösser und wirtschaftlich wichtiger ist die Preisgefahr, d.h. das Risiko, den vereinbarten Preis
nicht zu erhalten. Dieses Risiko weist das BGB der Vertragspartei zu, in deren Sphäre das Risiko
eingetreten ist,
beim Kaufvertrag zunächst nach § 326 (früher § 323 BGB) Abs. 1 dem Verkäufer, mit Übergabe
der Sache und damit Wechsel der Sphäre nach § 446 BGB dem Käufer, ebenso beim
Versendungskauf nach § 447 BGB;
beim Werkvertrag nach § 644 Abs. 1 zunächst dem Unternehmer, mit dem Wechsel der Sphäre
durch Abnahme des Werkes sodann dem Besteller
Bereits vorher geht die Preisgefahr auf den Sachgläubiger - Käufer oder Besteller - nach § 326
(früher § 324) Abs. 2 BGB über, wenn der Sachgläubiger den Wechsel der Sphäre durch
Annahmeverzug verhindert
Diese Zuordnung der Preisgefahr zu demjenigen, in dessen Sphäre das Zufallsrisiko eingetreten
ist, ist sachgerecht; denn vielfach verhindern. In jedem Falle besteht die Möglichkeit einer
entsprechenden Versicherung. Bereits besteht die Möglichkeit, den Eintritt des Risikos durch entsprechende Vorsorgemassnahmen zu im römischen Recht galt der Satz casum sentit dominus
Auf demselben Leitgedanken beruht § 537 (früher § 552 BGB). Der Mieter muss auch dann die
Miete bezahlen, wenn er aus einem in seiner Person liegenden Grund das ihm zustehende Gebrauchsrecht nicht ausüben kann, z.B. die gebuchte Ferienwohnung wegen Krankheit.
Beim Dienstvertrag wird allerdings das an sich den Arbeitnehmer betreffende Risiko des Lohnverlustes wegen Krankheit oder anderer unverschuldeter Verhinderung aus sozialen Gründen
durch § 616 BGB bzw. das Lohnfortzahlungsgesetz auf den Arbeitgeber verlagert
Auf demselben Leitgedanken beruht auch die sog. Betriebsrisiko-Lehre im Arbeitsrecht.
Siehe nachstehend V
4.
Treu und Glauben
a) Übersicht
Beherrschender Rechtsgedanke im Bereich des gesamten Zivilrechts, aber auch im öffentlichen
Recht Treu und Glauben
Aus § 242 i.V. mit §§ 133, 157, 826 BGB von Rechtsprechung und Wissenschaft der allgemeine
Rechtsgrundsatz entwickelt, dass jeder in Ausübung seiner Rechte und Erfüllung seiner Pflichten
nach Treu und Glauben zu handeln hat, d.h. auf die berechtigten Interessen des anderen Teils
Rücksicht zu nehmen hat. Entgegen dem Wortlaut des § 242 gilt dieses Gebot nicht nur für den
Schuldner, sondern auch für den Gläubiger
§ 242 BGB ist zu einer Generalklausel entwickelt worden; zu den Nutzen und Gefahren solcher
Generalklauseln siehe Zweiter Abschnitt VI
Nachdrückliche Warnung vor einem Missbrauch dieser Generalklausel. § 242 BGB ist kein
Freibrief für das Übergehen der vorhandenen gesetzlichen Vorschriften als Supernorm. § 242
rechtfertigt nicht subjektive allgemeine Billigkeitsentscheidungen des Bearbeiters in der
Universität, des Richters in der Praxis und ist keine Ermächtigung des Richters zu freier
richterlicher Rechtsfortbildung. Der Richter bleibt weiterhin an die Wertungen der Verfassung und
der Gesetze gebunden
§ 242 ist in erster Linie geeignet, die vorhandenen Normen und Rechtsbeziehungen nach ihrem
Sinn und Zweck näher auszuformen oder die Ausübung formal gegebener Rechtsstellungen zu
begrenzen. Nur bei Lücken im Gesetz oder bei einer grundlegenden Veränderung der Verhältnisse wie die Inflation nach dem Ersten Weltkrieg oder dem Zusammenbruch des Deutschen
Reichs nach dem Zweiten Weltkrieg kann § 242 als Grundlage richterlicher Rechtsfortbildung
dienen
66
Aus § 242 wurden von Rechtsprechung und Wissenschaft insbesondere entwickelt
1. Nebenpflichten einer Vertragspartei
2. der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung
3. der Fortfall der Geschäftsgrundlage
b) Nebenpflichten einer Vertragspartei
Nebenpflichten einer Vertragspartei wichtigste Fallgruppe. Sie werden gefolgert aus der Pflicht
zur Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Partei und Sinn und Zweck des betreffenden
Schuldverhältnisses; daher sehr vielfältig. Wichtigste Fallgruppen
aa) Treuepflicht
Jede Partei muss alles tun, was zum Erreichen des Vertragszweckes erforderlich ist, und alles
unterlassen, was das Erreichen des Vertragszweckes beeinträchtigt oder verhindert,
z.B. Unterlassen von Wettbewerb durch Verkäufer eines Unternehmens während angemessener
Zeit; Dulden eines Hinweisschildes nach Umzug des Mieters
bb) Schutzpflichten
Haftung des Gastwirtes für Verkehrssicherheit der Räume; Schutzpflicht des Handwerkers bei
Ausführung seiner Arbeiten hinsichtlich der Wohnungseinrichtung des Auftraggebers
cc) Mitwirkungspflichten
z.B. bei Erlangen einer erforderlichen behördlichen Genehmigung für den Vertrag
dd) Aufklärungspflichten
z.B. Aufklärungspflicht des Arztes gegenüber dem Patienten; des Anbieters riskanter Vermögensgeschäfte über die damit verbundenen Risiken; des Herstellers über mögliche Gefahren
bei Gebrauch des Produktes
c) Einwand der unzulässigen Rechtsausübung - exceptio doli
Fallgruppen
aa) Sach- und zweckwidriger Gebrauch einer formalen oder unredlich erworbenen Rechtsstellung, z.B. Berufung auf Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts wegen Formmangels, obwohl betreffende Vertragspartei aufgrund überlegener Sach- und Rechtskenntnis zur Aufklärung hinsichtlich Formerfordernis verpflichtet war
Geltendmachen eines Anspruches trotz Verpflichtung zur Rückgewähr des Empfangenen - dolo
petit, qui petit, quod statim redditurus est
bb) Handeln im Widerspruch zum eigenen vorangegangenen Verhalten - venire contra factum
proprium
z.B. lange Verhandlungen mit dem Käufer, ob gerügter Mangel tatsächlich vorhanden, dann
Zurückweisen der Wandlung des Käufers als verspätet
cc) Unverhältnismässigkeit der Rechtsausübung
Ausüben eigener Rechte wie Kündigung, Ausschluss aus der Gesellschaft, Berufung auf
Leistungsfreiheit bei nur geringfügiger Pflichtverletzung der anderen Partei oder wenn mildere
Massnahme zumutbar und ausreichend
dd) Verwirkung
Wer sein Recht lange Zeit nicht geltend macht, obwohl dies möglich war, und dadurch beim
Schuldner das begründete Vertrauen schafft, er werde nicht mehr in Anspruch genommen
werden, hat sein Recht verwirkt
67
d) Fortfall der Geschäftsgrundlage - clausula rebus sic stantibus
Abweichung vom Grundsatz, dass Verträge grundsätzlich einzuhalten sind - pacta sunt
servanda; daher hohe Anforderungen
Keine Inanspruchnahme der anderen Vertragspartei mehr bei Fortfall der Geschäftsgrundlage,
d.h. den Vorstellungen mindestens einer Partei über Vorhandensein oder Vorhandenbleiben bestimmter Umstände, die zwar nicht Vertragsinhalt geworden, aber von beiden Parteien oder von
einer Partei unter Erkennen und Nichtwiderspruch der anderen Partei zur Geschäftsgrundlage
gemacht worden, z.B. Miete eines Fensters für Krönungszug Kaise-Friedrich III
Aber Vorsicht! Von der anderen Vertragspartei erkanntes Motiv der einen Partei allein reicht
nicht.
III.
Strukturelemente des Handelsrechts
Das Handelsrecht passt die Rechtsnormen des BGB an die besonderen Bedürfnisse des
Handelsverkehrs an und ergänzt sie, weil das BGB den besonderen Bedingungen und
Bedürfnissen des kaufmännischen Verkehrs nicht gerecht wird
Besondere Bedingungen: Vielzahl von Rechtsgeschäften mit oft unbekannten Partnern; oft
schneller Wechsel der Marktlage; Kosten der Bindung des Betriebskapitals in Lagerhaltung und
ausstehenden Forderungen
Daraus folgende Bedürfnisse, denen das Handelsrecht gerecht werden muss: Information über
die Teilnehmer am kaufmännischen Verkehr; schnelle Entscheidung; rasche Abwicklung der
Rechtsgeschäfte; Sicherheit der Erfüllung
Daher im Handelsrecht strengere Vorschriften als im BGB. Sie sind nur den Kaufleuten zumutbar
wegen ihrer grösseren Erfahrungen im Wirtschaftsleben
Das HGB regelt als Ergänzung der Vertragstypen des BGB ferner Verträge, die regelmässig von
Kaufleuten geschlossen werden wie Kommissions-, Frachtgeschäfte, Seehandel sowie die
Pflichten der Kaufleute und Handelsgesellschaften hinsichtlich Buchführung und Rechnungslegung
Das Handelsgesetzbuch (HGB) gilt für die Rechtsbeziehungen der Kaufleute und Handelsgesellschaften untereinander und ihre Rechtsgeschäfte mit Nichtkaufleuten. Kaufmann i.S. des
HGB sind alle Personen, die ein Handelsgewerbe betreiben, d.h. jeder Gewerbebetrieb, es sei
denn, dass das Unternehmen nach Art oder Umfang ein in kaufmännischer Weise eingerichteten
Geschäftsbetrieb nicht erfordert
Wichtige Strukturelemente
Wegen der Vielzahl der Rechtsgeschäfte mit oft unbekannten Partnern und der damit
verbundenen Risiken besteht die Pflicht zur Publizität aller für den Handelsverkehr wichtigen
Tatsachen durch Eintragung in das Handelsregister
Ebenso wie im BGB (vorstehend II D 2) Einstehen-Müssen für den durch eigenes Verhalten
geschaffenen Rechtsschein, z.B. durch eine unrichtige Eintragung in das Handelsregister, deren
Unterlassen oder durch Auftreten im Geschäftsverkehr als Kaufmann oder persönlich haftender
Gesellschafter einer OHG oder KG
Entsprechend den Bedingungen und Bedürfnissen des Handelsverkehrs
Erwerb des Eigentums kraft guten Glaubens bereits möglich, wenn der Erwerber nicht wie im
BGB erforderlich an das Eigentum, sondern nur an die Verfügungsmacht seines Vertragspartners glaubt;
Pflicht des Käufers, Sachmängel, Mengenfehler und Falschlieferung unverzüglich zu rügen,
anderenfalls Verlust seiner Rechte;
umfassende im Aussenverhältnis nicht beschränkbare Vertretungsmacht (Prokurist; vertretungsberechtigter Gesellschafter einer OHG oder KG);
gegenüber BGB grössere Pfand- und Zurückbehaltungsrechte
68
IV.
Strukturelemente des Gesellschaftsrechts
Das Gesellschaftsrecht muss die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse der Praxis hinsichtlich Zahl
der Gesellschafter, Möglichkeit eines Gesellschafterwechsels, Höhe des benötigten Kapitals und
Haftung für die Gesellschaftsschulden berücksichtigen. Daraus folgen die beiden grossen
Gruppen Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften und als Sonderform die Genossenschaften.
Die Personengesellschaften sind gekennzeichnet durch persönliche Mitarbeit und Haftung und
deshalb regelmässig kein Gesellschafterwechsel, sondern nur bei Tod eines Gesellschafters
oder Ausscheiden nach langer Zeit und nur mit Zustimmung der anderen Gesellschafter.
Die Grundform aller Personengesellschaften ist die Gesellschaft bürgerlichen Rechts geregelt im
BGB. Die BGB-Gesellschaft ist ein Zusammenschluss zum Verfolgen eines gemeinsamen
Zwecks jeder Art ausser Betrieb eines Handelsgewerbes, z. B. Sozietät von Rechtsanwälten,
Spielergemeinschaft in Lotto oder Toto, WG von Studenten. Sie entspricht nicht den oben III
genannten Bedingungen und Bedürfnissen des Handelsverkehrs
Diesen Bedingungen und Bedürfnissen angepasste Formen einer Personengesellschaft sind die
Offene Handelsgesellschaft (OHG) und die Kommanditgesellschaft (KG). Die Gesellschafter
einer OHG sind zur persönlichen Mitarbeit verpflichtet und haften unbeschränkt für die
Gesellschaftsschulden. Alle Daten einer OHG sind in das Handelsregister einzutragen. Die
Vertretungsmacht der Gesellschafter kann im Aussenverhältnis nicht beschränkt werden
Eine Abwandlung der OHG ist die KG. Sie entspricht einerseits dem Bedürfnis, sich an einem
Handelsgewerbe mit einer Kapitaleinlage zu beteiligen, ohne zur persönlichen Mitarbeit und
unbeschränkten Haftung verpflichtet zu sein, andererseits dem Bedürfnis nach zusätzlichem
Kapital, aber weiterhin voller Entscheidungsmacht. In der KG gibt es daher zwei Arten von Gesellschaftern, die Komplementäre, die zur persönlichen Mitarbeit verpflichtet und zur Vertretung
der Gesellschaft berechtigt sind, für die Gesellschaftsschulden unbeschränkt persönlich haften,
sowie die Kommanditisten, die nur zum Leisten einer Kapitaleinlage verpflichtet sind und für die
Gesellschaftsschulden nur in Höhe der Kapitaleinlage haften, frei, wenn sie die Einlage geleistet
haben
Die Kapitalgesellschaften Aktiengesellschaft (AG), Gesellschaft mit beschränkter Haftung
(GmbH), Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) sind gekennzeichnet durch Zur-VerfügungStellen von Kapital als wichtigste Gesellschafterpflicht, keine Pflicht zur persönlichen Mitarbeit,
auf die Kapitaleinlage beschränkte Haftung, daher juristische Personen. Sie sind in den
Spezialgesetzen Aktiengesetz und GmbH-Gesetz geregelt
Die AG ist die Organisationsform für Unternehmen mit hohem Kapitalbedarf, zu dessen Deckung
das Publikum herangezogen werden soll. Daher keine Pflicht zur Mitarbeit und Haftung für die
Gesellschaftsschulden; Verlustrisiko auf die Einlage begrenzt; hohe Liquidität der Kapitaleinlage
durch Verbriefung der Mitgliedschaft in einem leicht übertragbaren Wertpapier (Aktie), das oft an
einem organisierten Markt (Börse) gehandelt wird. Die AG bietet zugleich die gesellschaftspolitisch erwünschte Möglichkeit der Beteiligung vieler Bürger am Produktivvermögen,
insbesondere auch der Belegschaft an ihrem Unternehmen
Die KGaA ist eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, bei der mindestens ein
Gesellschafter den Gesellschaftsgläubigern unbeschränkt haftet (Komplementär) und die übrigen
an dem in Aktien zerlegten Grundkapital beteiligt sind, ohne persönlich für die Verbindlichkeiten
der Gesellschaft zu haften (Kommanditaktionäre). In dieser Rechtsform gegenwärtig nur noch
wenige Unternehmen, u. a. Berliner Handelsgesellschaft/Frankfurter Bank, die Privatbankiers
Trinkaus & Burkhardt, Henkel (Persil). Sie sind entstanden aus Personengesellschaften, deren
Wachstum zusätzliches Kapital erforderte, das die Gründer bzw. Gründerfamilien allein nicht
mehr aufbringen konnten, andererseits aber die volle Entscheidungsgewalt im Unternehmen
behalten wollten
Wegen der Freiheit in der Wahl des Zwecks – nicht nur ein Handelsgewerbe wie die AG –und
ihrer gegenüber der AG weit einfacheren Organisationsstruktur und höheren Flexibilität ist die
69
häufigste Kapitalgesellschaft die GmbH. Eine GmbH kann zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck
durch eine oder mehrere Personen errichtet werden. Die GmbH reicht vom Kleinstunternehmen
bis zu Grösstunternehmen wie BOSCH und über eine ungewöhnlich weite Spanne nach Zweck
und Gesellschaftsstruktur. Ausser der typischen GmbH zum Betrieb eines Unternehmens gibt es
u.a. GmbH für ideelle oder karitative Zwecke, z.B. Städtische Bühnen, Alten- und Pflegeheime,
als reine Besitzgesellschaft (Holding) oder als Konzernspitze. Häufig wird die Form der GmbH
gewählt für Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen für den Inlandsmarkt, z.B. IBM
Deutschland, für ein Gemeinschaftsunternehmen (Joint Venture) oder für Familienunternehmen,
um die Fortführung des Unternehmens zu sichern, wenn bei Tod kein als Geschäftsführer
geeignetes Familienmitglied vorhanden ist
Oft wird auch die Form der GmbH gewählt, um zwar als Geschäftsführer weiterhin die volle
Entscheidungsgewalt zu haben, aber eine persönliche unbeschränkte Haftung wie als
Einzelkaufmann oder OHG zu vermeiden. Das gilt besonders für die Ein-Mann-GmbH
Die GmbH ist kein Instrument, um wie eine AG aus dem Publikum Kapital für grosse unternehmerische Vorhaben aufzubringen. Das notwendige Kapital müssen die Gesellschafter als
Einlage leisten. Die Anteilsrechte sind nicht in Inhaberpapieren verbrieft und leicht übertragbar,
sondern die Übertragung ist durch das Erfordernis notarieller Form bewusst erschwert
Bei den Kapitalgesellschaften als juristische Personen steht den Gläubigern als Haftungsmasse
für die Gesellschaftsschulden nur das Gesellschaftsvermögen zur Verfügung. Wegen ihrer oft
grossen wirtschaftlichen Bedeutung und des Informationsinteresses der Geschäftspartner,
Gesellschafter, Anleger von Kapital und Öffentlichkeit unterliegen die Kapitalgesellschaften
eingehenden Pflichten zur Rechnungslegung und Publizität, die AG auch der Pflicht zur
Überprüfung ihrer Bilanz durch unabhängige Wirtschaftsprüfer.
Dem Schutz der Gläubiger dienen vielfache Vorschriften, um zu sichern, dass die Gesellschafter
ihre Einlagen tatsächlich leisten und dieses Haftungskapital nicht an die Gesellschafter
zurückgezahlt wird
Aufgrund der Forderung der Gewerkschaften nach Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit
und Mitbestimmung sind in den AG und grossen GmbH jetzt die Arbeitnehmer im Kontrollorgan
des Vorstandes der AG bzw. Geschäftsführers der GmbH, dem Aufsichtsrat, paritätisch, in
kleinen AG und GmbH zu ein Drittel vertreten
V.
Strukturelemente des Arbeitsrechts
Das Arbeitsrecht hat sich nach dem Ersten Weltkrieg als selbständiges Rechtsgebiet wegen der
Eigenart des Arbeitsverhältnisses aus dem Bürgerlichen Recht entwickelt; denn anders als im
Bürgerlichen Recht und Handelsrecht stehen sich im Arbeitsrecht in der Regel nicht Partner
gleicher Stärke gegenüber und daher kein Schutzbedürfnis einer Seite, sondern im Arbeitsrecht
besteht ein Machtgefälle und daher ein Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer. Löhne und Arbeitsbedingungen werden daher überwiegend nicht durch Individualverträge zwischen Arbeitgeber
und Arbeitnehmer vereinbart, sondern durch Kollektivverträge, die von den Verbänden der
Arbeitgeber einerseits, den Gewerkschaften andererseits geschlossen werden.
Daher im Arbeitsrecht die beiden Teilbereiche Individualarbeitsrecht und Kollektivarbeitsrecht
Eine Regelung der Löhne und Arbeitsbedingungen nicht durch den Staat wie in der Zentralverwaltungswirtschaft – anderenfalls wäre sie nicht funktionsfähig -, sondern durch Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften in eigener Verantwortung unabhängig vom Staat (Tarifautonomie)
entspricht der Wirtschaftsordnung des Grundgesetzes (siehe Vierter Abschnitt II C) und wurde
bereits in der Weimarer Verfassung vorgesehen. Sie ist nicht nur ordnungspolitisch richtig,
sondern auch zweckmässig; denn anderenfalls fiele dem Staat eine tatsächlich und politisch
kaum zu bewältigende Aufgabe zu
Damit Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften ihre Aufgabe erfüllen können, muss Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Koalitionsfreiheit zustehen; sie muss gegen Einschränkung oder
Behinderung geschützt werden. Das ist durch Art. 9 Abs. 3 GG geschehen (siehe Vierter
Abschnitt II B 2 c)
70
Wesentliche Teile eines Individualarbeitsvertrages, insbesondere Löhne; Zuschläge für Überstunden, Nacht- und Feiertagsarbeit; zusätzliche Leistungen wie 13. Gehalt, Weihnachtsgeld,
Urlaubsgeld; Regelarbeitszeit/Woche; Urlaub werden als Kollektivarbeitsrecht in Tarifverträgen
der Arbeitsgeberverbände und Gewerkschaften vereinbart. Die Tarifparteien können verbindliche
Vereinbarungen aber nur für ihre Mitglieder schliessen. Die Regelungen des Tarifvertrages
gehen daher als verbindlicher Inhalt in die Individualarbeitsverträge nur ein, wenn deren Parteien
als Mitglieder des Arbeitgeberverbandes bzw. der Gewerkschaft tarifgebunden sind. Das sind in
den alten Bundesländern fast alle Arbeitgeber, aber je nach Wirtschaftszweig ein unterschiedlich
grosser Teil der Arbeitnehmer.
Rechtlich wären daher mit Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern vom Tarifvertrag abweichende
Vereinbarungen möglich. In der Praxis unterbleibt das aber im Interesse des Betriebsfriedens;
die Tarifverträge werden zum Bestandteil des Individualarbeitsvertrages auch der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer. Daraus folgt die grosse Bedeutung der Tarifpolitik der Gewerkschaften
für die Entwicklung der Gesamtwirtschaft, insbesondere die Höhe der Arbeitslosigkeit
Im Einvernehmen mit einem Ausschuss aus je 3 Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer kann der Bundesminister für Arbeit auf Antrag einer Tarifvertragspartei einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären, wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber
nicht weniger als 50 % der unter den Tarifvertrag fallenden Arbeitnehmer beschäftigen und die
Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse geboten erscheint (§ 5 Tarifvertragsgesetz). Allgemeinverbindlicherklärung selten, insbesondere um Funktionsfähigkeit gemeinschaftlicher Einrichtungen wie Urlaubskasse Bauwirtschaft zu sichern oder durch Mindestlohn die
inländischen Unternehmen und Arbeitnehmer gegen den Wettbewerb von ausländischen
Unternehmen mit geringeren Lohnkosten (Portugal, Irrland, Oststaaten) zu schützen
Aus dem Grundsatz der Tarifautonomie folgt, dass bei Nichteinigung der Parteien über einen
Tarifvertrag nicht ein staatlicher Schlichter oder ein Gericht entscheidet, sondern die Tarifparteien das Recht zum Arbeitskampf – Streit oder Aussperrung – haben, um so die andere
Tarifpartei zum Nachgeben zu veranlassen. Das wegen Scheiterns einer gesetzlichen Regelung
von der Rechtsprechung entwickelte Arbeitskampfrecht beruht auf den Grundsätzen der Kampfparität und ultima ratio (Arbeitskampf nur als letztes Mittel) und Beschränkung des Rechts zur
Aussperrung auf Abwehraussperrung begrenzten Umfangs.
Streitig ist, ob die für ein angemessenes Ergebnis erforderliche Kampfparität und Kampfbereitschaft stets gegeben ist und ob die Ergebnisse stets mit den Interessen der gesamten
Volkswirtschaft im Einklang stehen.
Teile eines Individualarbeitsvertrages können ferner durch Betriebsvereinbarungen zwischen
Arbeitgeber und Betriebsrat geregelt werden, z.B. betriebliche Altersversorgung, Ausschluss der
Kündigung aus betriebsbedingten Gründen. Sie gelten unmittelbar und zwingend. Arbeitsentgelte
und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können aber nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein (§ 77 Abs. 3 und
4 Betriebsverfassungsgesetz). Abweichungen vom Tarifvertrag durch Betriebsvereinbarungen,
z.B. längere Regelarbeitszeit/Woche, Verzicht auf Lohnzuschläge gegen Ausschluss einer
Kündigung sind nach der engen Auslegung des Günstigkeitsprinzips durch die Rechtsprechung
nicht zulässig
Zum Bereich des Individualarbeitsrechts gehören alle Regelungen, die sich nicht rechtlich oder
faktisch aus Tarifverträgen oder zwingend aus Betriebsvereinbarungen ergeben. Der das BGB
beherrschende Grundsatz der Vertragsfreiheit ist aber zum Schutze der Arbeitnehmer in
grossem Umfange durch Vorschriften zugunsten aller Arbeitnehmer, z.B. gegen sozial ungerechtfertigte Kündigungen durch das Kündigungsschutzgesetz, sowie zum Schutze bestimmter
Gruppen von Arbeitnehmern – Ältere, Frauen, Jugendliche, Schwerbehinderte – eingeschränkt.
Aus denselben Gründen wie der Staat ist auch der Arbeitgeber verpflichtet, die Grundsätze der
Gleichbehandlung, Verhältnismässigkeit der Mittel und des rechtlichen Gehörs zu beachten.
Dem Schutze der Arbeitnehmer dienen ferner erhebliche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates. Dieses hohe Mass der Regulierung ist mit Sicherheit ein Vorteil für die Inhaber eines
71
Arbeitsplatzes, aber erschwert das Finden eines Arbeitsplatzes für Arbeitslose oder Angehörige
der begünstigten Gruppen
Sechster Abschnitt: Rechtsschutz
I.
Arten und Zuständigkeit der Gerichte; Rechtsweg
A
Arten und Aufbau der Gerichte
Aus Gewaltmonopol des Staates und seiner Aufgabe, den Rechtsfrieden zu sichern, folgt Entscheidung zivilrechtlicher Streitigkeiten sowie Ahndung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten
(Verwaltungsunrecht) durch staatliche Gerichte.
Aus der verfassungsgestaltenden Grundsatzentscheidung Rechtsstaat (siehe Dritter Abschnitt II
A 4) folgt Rechtsschutz für die Bürger gegen Eingriffe des Staates in ihren Bereich durch
Gerichte, so ausdrücklich Art. 19 Abs. 4 GG
Rechtsschutz wird gewährt durch verschiedene Zweige der Gerichtsbarkeit
Ältester Zweig die sog. ordentlichen Gerichte, die anderen Zweige aus den ordentlichen
Gerichten entstanden
Die ordentlichen Gerichte zuständig für Zivilsachen, die sog. bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten,
für Strafsachen und Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Vormundschafts-, Nachlass-,
Grundbuch- und Registersachen)
die Arbeitsgerichte, zuständig für Arbeitssachen, bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus dem
Individualarbeitsrecht und dem kollektiven Arbeitsrecht
die Verwaltungsgerichte, zuständig für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, soweit nicht ausdrücklich anderen Gerichten zugewiesen; § 40 VwGO
die Finanzgerichte, zuständig für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Abgabeangelegenheiten;
§ 33 FGO
die Sozialgerichte, zuständig für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der
Sozialversicherung, Arbeitslosenversicherung und Kriegsopferversorgung; § 51 SGG
ferner das Bundesverfassungsgericht, zuständig für verfassungsrechtliche Streitigkeiten; siehe
Dritter Abschnitt III D 1
Aufbau der Gerichte
Ausser in der Finanzgerichtsbarkeit drei Instanzen
Eingangsinstanz für die Entscheidung im ersten Rechtszug
Berufungsinstanz zur tatsächlichen und rechtlichen Überprüfung der Entscheidung erster Instanz
Revisionsinstanz Nur rechtliche Überprüfung der Entscheidung zweiter Instanz, tatsächliche
Feststellungen der Vorinstanz für das Revisionsgericht bindend. In erster Linie Sicherung einheitlicher Rechtsprechung der Instanzgerichte. Daher in Zivilsachen Revision nur, wenn vom OLG
zugelassen oder vom BGH angenommen; in Arbeitssachen, Sachen der Verwaltungs-, Finanzund Sozialgerichtsbarkeit nur, wenn zugelassen; in Strafsachen im Interesse des Angeklagten
aber Revision stets zulässig
In Zivilsachen unter 600 Euro Streitwert nur eine Tatsacheninstanz, falls Berufung vom
Amtsgericht nicht im Urteil zugelassen; ebenso in besonders schweren Strafsachen, dafür aber
stets Revision
Ordentliche Gerichte
Eingangsinstanz Amtsgericht (AG), Familiengericht, Landgericht (LG) je nach Streitwert bzw. Art
des Rechtsstreits
Berufungsinstanz LG oder Oberlandesgericht (OLG) je nach Eingangsinstanz Revisionsinstanz
Bundesgerichtshof (BGH)
Arbeitsgerichte
Eingangsinstanz stets Arbeitsgericht (ArbG); Berufungsinstanz Landesarbeitsgericht (LAG);
Revisionsinstanz Bundesarbeitsgericht (BAG)
Verwaltungsgerichte
Eingangsinstanz stets Verwaltungsgericht (VG); Berufungsinstanz Oberverwaltungsgericht
(OVG); Revisionsinstanz Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)
Sozialgerichte
Eingangsinstanz stets Sozialgericht (SG); Berufungsinstanz Landessozialgericht (LSG);
Revisionsinstanz Bundessozialgericht (BSG)
Finanzgerichte
Nur zwei Instanzen; Finanzgericht (FG)-, Bundesfinanzhof (BFH)
B Zuständigkeit und Rechtsweg in Zivilsachen
Eingangsinstanz entweder Amtsgericht oder Landgericht
Amtsgericht
Zuständigkeit: Vermögensrechtliche Streitigkeiten bis 5.000 Euro Streitwert; Mietsachen;
Kindschaftssachen; Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit
AG als Familiengericht Ehesachen (Scheidung-, Unterhalt; Versorgungsausgleich; Sorgerecht für
die Kinder)
Besetzung: Einzelrichter
Rechtsmittel: Berufung an LG in vermögensrechtlichen Streitigkeiten nur bei Streitwert über
600 Euro oder Berufung im Urteil zugelassen; § 511 Abs. 1 ZPO
Landgericht
Zuständigkeit: Vermögensrechtliche Streitigkeiten mit einem Streitwert über 5.000 Euro; Patent-,
Kartell- und Staatshaftungssachen. In der Praxis alle Rechtsstreitigkeiten aus UWG und
Nebengesetzen, die ganz überwiegend im einstweiligen-Verfügungs-Verfahren ausgetragen
werden, da Streitwert regelmässig höher als 5.000 Euro
Besetzung: Drei Berufsrichter (Kammer), aber Verweisung an Einzelrichter bei einfacher Sache;
§ 348 ZPO. In Handelssachen (§ 95 GVG) ein Berufsrichter als Vorsitzender und zwei auf
Vorschlag der Industrie- und Handelskammer ernannte ehrenamtliche Richter (Kaufleute,
AG-Vorstandsmitglieder, GmbH-Geschäftsführer, Prokuristen)
Rechtsmittel: Berufung zum OLG, wenn LG als erste Instanz entschieden hat, auf Antrag und
nach Zulassung Revision zum Bundesgerichtshof (selten); kein Rechtsmittel bei Entscheidung
des LG als Berufungsinstanz
Oberlandesgericht
Zuständigkeit: Berufung gegen Urteile des LG in erster Instanz; § 511 ZPO
Besetzung: Drei Berufsrichter (Senat)
Rechtsmittel: Revision zum BGH, wenn vom Berufungsgericht im Urteil oder vom Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung zugelassen; § 543 Abs. 1 ZPO
Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine
Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert
Bundesgerichtshof
Zuständigkeit: Revision gegen Urteile des OLG sowie des LG (selten; s.o.)
Besetzung: Fünf Berufsrichter (Senat)
Kurzformel für vermögensrechtliche Streitigkeiten
Bis 5.000 Euro Streitwert AG; Berufung an LG nur bei Streitwert über 600 Euro oder im Urteil
zugelassen.
Bei Streitwert über 5.000 Euro LG; stets Berufung an OLG; Revision an BGH nur, wenn vom
OLG im Urteil oder vom BGH auf Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen
C Zuständigkeit und Rechtsweg in Strafsachen
Eingangsinstanz je nach Schwere der Straftat Amtsgericht, Landgericht oder Oberlandesgericht
Amtsgericht
Zuständigkeit: Einzelrichter als Strafrichter bei Vergehen, wenn im Wege der Privatklage verfolgt,
die Tat mit keiner höheren Strafe als Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedroht oder die Staatsanwaltschaft Anklage vor dem Strafrichter erhebt und keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe von
einem Jahr zu erwarten. Als Schöffengericht, wenn nicht das LG zuständig oder im Einzelfall
eine höhere Strafe als drei Jahre Freiheitsstrafe, Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung zu erwarten
Besetzung: Einzelrichter; Schöffengericht ein Berufsrichter, zwei Laienrichter (Schöffen) mit
vollem Stimmrecht
Rechtsmittel: Berufung an LG, gegen Urteile des Einzelrichters Kleine Strafkammer; gegen
Urteile des Schöffengerichts Grosse Strafkammer
Landgericht
Zuständigkeit: Für Verbrechen, alle Straftaten bei denen eine höhere Strafe als drei Jahre
Freiheitsstrafe oder Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung zu erwarten ist; bei besonders schweren Verbrechen (§ 74 Abs. 2 GVG)
entscheidet eine Strafkammer als Schwurgericht
Besetzung: Grosse Strafkammer drei Berufsrichter, zwei Laien (Schöffen); als Berufungsinstanz
gegen Urteile des Einzelrichters Kleine Strafkammer ein Berufsrichter, zwei Schöffen
Rechtsmittel: Gegen Urteile des LG als Berufungsinstanz Revision an OLG. Gegen Urteile des
LG erster Instanz nur Revision an BGH
Oberlandesgericht
Zuständigkeit: Staatsschutzsachen (§ 120 GVG)
Besetzung: Drei Berufsrichter (Senat)
Rechtsmittel: Revision zum BGH
Bundesgerichtshof
Zuständigkeit: Revision gegen Urteile des LG als erste Instanz und des OLG in Staatsschutzsachen
Besetzung: Fünf Berufsrichter (Senat)
Kurzformel
Gegen Urteile des AG als Einzelrichter oder Schöffengericht Berufung an LG, Revision an OLG.
Gegen Urteile des LG als erste Instanz nur Revision an BGH
D Zuständigkeit und Rechtsweg in Arbeitssachen
Eingangsinstanz stets Arbeitsgericht
Arbeitsgericht
Zuständigkeit: Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus dem Individualarbeitsrecht und dem
kollektiven Arbeitsrecht
Besetzung: Ein Berufsrichter, je ein ehrenamtlicher Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer
und Arbeitgeber (Kammer)
74
Rechtsmittel: Berufung an das LAG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 800,- DM
übersteigt oder vom ArbG zugelassen
Landesarbeitsgericht
Zuständigkeit: Berufung gegen Urteile des ArbG
Besetzung: Ein Berufsrichter, je ein ehrenamtlicher Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer
und Arbeitgeber (Kammer)
Rechtsmittel: Revision zum BAG, wenn vom LAG zugelassen wegen grundsätzlicher Bedeutung
der Rechtssache oder Abweichung von einer Entscheidung des BAG oder, solange eine
Entscheidung des BAG in der Rechtsfrage nicht ergangen, von einer Entscheidung eines
anderen LAG
Bei Nichtzulassung der Revision Nichtzulassungsbeschwerde
Bundesarbeitsgericht
Zuständigkeit: Revision gegen Urteile des LAG
Besetzung: Drei Berufsrichter, je ein ehrenamtlicher Richter aus den Kreisen der Arbeitnehmer
und Arbeitgeber (Senat)
Kurzformel
Eingangsinstanz stets ArbG; Berufung an LAG bei Wert des Beschwerdegegenstandes über
800,- DM oder wenn zugelassen; Revision an BAG nur, wenn zugelassen
E Zuständigkeit und Rechtsweg in der Verwaltungsgerichtsbarkeit
Eingangsinstanz stets Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht
Zuständigkeit: Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, soweit nicht
ausdrücklich anderen Gerichten zugewiesen
Klage nur zulässig, wenn Kläger durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt ist; § 42 Abs. 2 VwGO. Damit Ausschluss der Popularklage.
Vorher aber stets erforderlich Vorverfahren aufgrund Widerspruchs; § 68 ff. VwGO
Besetzung: Drei Berufsrichter, zwei ehrenamtliche Richter (Kammer)
Rechtsmittel: Berufung an OVG
Oberverwaltungsgericht
Zuständigkeit: Berufung gegen Urteile des VG
Besetzung: Drei Berufsrichter, zwei ehrenamtliche Richter (Senat)
Rechtsmittel: Revision zum BVerwG, wenn zugelassen
a) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
b) wegen Abweichung von Entscheidung des BVerwG
c) wegen Verfahrensmangels, auf dem das Urteil beruht, insbes. Verletzung rechtlichen
Gehörs
Bei Nichtzulassung der Revision Nichtzulassungsbeschwerde
Bundesverwaltungsgericht
Zuständigkeit: Revision gegen Urteile des OVG
Besetzung: Fünf Berufsrichter (Senat)
Kurzformel
Eingangsinstanz stets VG; Berufung an OVG; Revision an BVerwG nur, wenn zugelassen
F Zuständigkeit und Rechtsweg in der Finanzgerichtsbarkeit
Eingangsinstanz stets Finanzgericht
Finanzgericht
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Zuständigkeit: Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Abgabeangelegenheiten
Besetzung: Drei Berufsrichter, zwei ehrenamtliche Richter
Rechtsmittel: Revision zum BFH, wenn Wert des Streitgegenstandes 1.000,- DM übersteigt
oder wenn Revision zugelassen wegen
a) grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
b) Abweichung von Entscheidung des BFH
c) Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruht
Bei Nichtzulassung der Revision Nichtzulassungsbeschwerde
Bundesfinanzhof
Zuständigkeit: Revision gegen Urteile des FG
Besetzung: Fünf Berufsrichter (Senat)
Kurzformel
Nur zwei Instanzen; FG als Eingangsinstanz; Revision an BFH nur, wenn Wert des Streitgegenstandes über 1.000,- DM oder Revision zugelassen
G Zuständigkeit und Rechtsweg in der Sozialgerichtsbarkeit
Eingangsinstanz stets Sozialgericht
Sozialgericht
Zuständigkeit: Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung,
Arbeitslosenversicherung und Kriegsopferversorgung
Besetzung: Ein Berufsrichter, zwei ehrenamtliche Richter (Kammer)
Rechtsmittel: Berufung an LSG ausser in den in §§ 144-146 SGG genannten Fällen
Landessozialgericht
Zuständigkeit: Berufung gegen Urteile des SG
Besetzung: Drei Berufsrichter, zwei ehrenamtliche Richter (Kammer)
Rechtsmittel: Revision nur, wenn zugelassen wegen
a) grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
b) Abweichung von Entscheidung des BSG
c) Verfahrensmangels, auf dem Entscheidung beruht
Bei Nichtzulassung der Revision Nichtzulassungsbeschwerde
Bundessozialgericht
Zuständigkeit: Revision gegen Urteile des LSG
Besetzung: Drei Berufsrichter, zwei ehrenamtliche Richter (Senat)
Kurzformel
Eingangsinstanz stets SG; Berufung an LSG ausser in Fällen der §§ 144-146 SGG; Revision nur,
wenn zugelassen
II
Gemeinsame Grundsätze
Für alle Zweige der Gerichtsbarkeit gelten
1. Unabhängigkeit der Richter; Art. 97 GG
"Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen"; Art. 97 Abs. 1 GG
Also Weisungen von Vorgesetzten, der Exekutive oder des Parlaments wegen Eingriffs in die
richterliche Unabhängigkeit weder zulässig noch etwaige Weisungen verbindlich
Zur Sicherung ihrer Unabhängigkeit können hauptamtliche und planmässig endgültig angestellte
Richter wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung entlassen, ihres Amtes enthoben,
versetzt oder in den Ruhestand versetzt werden; Art. 97 Abs. 2 GG
76
Damit allerdings nicht gelöst das Problem der inneren Unabhängigkeit. Sie kann gefährdet
werden durch die persönlichen Wertvorstellungen, Erfahrungen und politischen Überzeugungen
des Richters - das "Vorverständnis". Aufgrund der juristischen Ausbildung, des Berufsethos, der
vielfach noch weiteren Ausbildung und gegenseitigen Kontrolle im Kollegialgericht und der
Kontrolle durch die Rechtsmittelinstanz bleibt diese Gefahr aber in der Regel gering; sie besteht
insbesondere bei Entscheidungen des Einzelrichters, gegen die ein Rechtsmittel nicht möglich ist
2. Anspruch auf den gesetzlichen Richter
"Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden"; Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG
Daher müssen alle Gerichte zu Beginn des Geschäftsjahres durch das Präsidium einen verbindlichen Geschäftsverteilungsplan aufstellen, der die Verteilung der Eingänge auf die einzelnen
Richter oder Kammern/Senate genau regelt - ebenso ist die jeweilige Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter und der Berufsrichter bei Überbesetzung des Senats im voraus verbindlich zu
regeln
3. Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs
„Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör"; Art. 103 Abs. 1 GG
Verletzung des rechtlichen Gehörs ist ein Verfahrensmangel und begründet Zulässigkeit der
Revision, wenn ihre Zulässigkeit von einem Verfahrensmangel abhängt. Nicht mehr mit einem
anderen Rechtsmittel anfechtbare Urteile können mit dieser Begründung mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, wiederholt mit Erfolg
III.
Einige Verfahrensfragen
A Klagearten
1. Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten einschliesslich Arbeitssachen
a) Leistungsklage - häufigster Fall; gerichtet auf eine Leistung, insbesondere Zahlung eines
Geldbetrages, ein Tun oder Unterlassen
Für eine Unterlassungsklage aber stets erforderlich Wiederholungsgefahr. Grund: Gerichte
sollen nicht unnötig in Anspruch genommen werden
b) Feststellungsklage; § 256 ZPO
Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf
Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit. Stets erforderlich
rechtliches Interesse des Klägers an der Feststellung durch richterliche Entscheidung. Grund:
Keine unnötige Inanspruchnahme der Gerichte
Feststellungsklage unzulässig, wenn Leistungsklage möglich
2. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten
a)
b)
c)
Anfechtungsklage, gerichtet auf Aufhebung eines Verwaltungsaktes; § 42 Abs. 1 VwGO
Verpflichtungsklage, gerichtet auf Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsaktes (Untätigkeitsklage); § 42 Abs. 1 VwGO
Feststellungsklage, gerichtet auf Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses
oder Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes; § 43 VwGO
Nur bei rechtlichem Interesse des Klägers und wenn keine Leistungsklage möglich
B Verfahrensgrundsätze in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten einschliesslich
Arbeitssachen
1. Parteibetrieb
77
Einleitung des Verfahrens nur auf Klage; Rücknahme der Klage (nach mündlicher Verhandlung
nur mit Einwilligung des Beklagten), Anerkenntnis, Vergleich jederzeit möglich
2. Verhandlungsgrundsatz
Die Parteien haben die Herrschaft über den Prozessstoff. Grund: Kein öffentliches Interesse am
Ausgang des Verfahrens
Gericht darf nur die Tatsachen berücksichtigen, die die Parteien vorbringen. Was zwischen den
Parteien unstreitig ist, legt das Gericht seinem Urteil zugrunde. Über streitige Tatsachen erhebt
das Gericht nur Beweis, soweit sie für die Entscheidung erheblich sind, und nur die Beweise, die
die Parteien antreten
Das Gericht darf über die Anträge der Parteien nicht hinausgehen - ne ultra petita. Aber
Aufklärungs- und Hinweispflicht des Vorsitzenden nach § 139 ZPO
3. Verfahrenseinheit
Alle Termine bilden eine Einheit. Alle Angriffs- und Verteidigungsmittel sind so zeitig vorzubringen, wie es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens
bedachten Prozessführung entspricht, insbesondere innerhalb der vom Gericht gesetzten
Fristen; späterer Vortrag nur, wenn dadurch keine Verzögerung des Rechtsstreits oder genügend
entschuldigt; §§ 282, 296 ZPO
4. Freie Beweiswürdigung
Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des
Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme über die Wahrheit tatsächlicher Behauptungen
nach freier Überzeugung zu entscheiden; § 286 Abs. 1 ZPO. Gesetzliche Beweisregel nur für
Urkunden; § 415 ff. ZPO
Beweislast
Grundsätzlich muss der Kläger die klagebegründenden Tatsachen darlegen und ggf. beweisen,
der Beklagte die rechtshindernden und rechtsvernichtenden Einwendungen sowie die dauernden
und zeitweiligen Einreden. Aus der Verteilung der Beweislast ergibt sich, zu Lasten weicher
Partei es geht, wenn für streitige Tatsachen kein Beweis angetreten wird oder das Gericht nach
Beweisaufnahme über die Wahrheit der streitigen Tatsachen keine Überzeugung erlangen kann.
Die Verteilung der Beweislast ist daher nicht selten entscheidend für den Ausgang des
Rechtsstreits. Man muss nicht nur Recht haben, sondern man muss sein Recht auch beweisen
können.
Wichtige Fälle einer Umkehrung der Beweislast:
Der Schuldner hat darzulegen und. zu beweisen, dass ihn für die Pflichtverletzung oder den
Verzug kein Verschulden trifft; § 280 Abs. 1 Satz 2, § 285 Abs. 4 (früher §§ 282, 285) BGB;
ebenso der Hersteller bei Haftung für ein fehlerhaftes Produkt nach § 823 Abs. 1, falls nicht
bereits Haftung unabhängig vom Verschulden nach ProduktHaftG. Grund: Entsprechende
Tatsachen liegen in der Sphäre des Schuldner bzw. Herstellers und sind für den
Gläubiger/Geschädigten nicht zugänglich. Gläubiger/Geschädigter könnte fast nie seinen
Anspruch durchsetzen, wenn er die Beweislast hätte
Hilfen für die beweispflichtige Partei:
Rechtliche Vermutung, z.B. Eigentumsvermutung für Besitzer beweglicher Sache § 1006 BGB.
Andere Partei muss Beweis des Gegenteils führen
Tatsächliche Vermutung - Erfahrung des Lebens, die hohe Wahrscheinlichkeit für Vorliegen
bestimmter Tatsachen oder Ablaufs begründet. Im Rahmen freier Beweiswürdigung vom Gericht
zu berücksichtigen
Anscheinsbeweis (prima-facie-Beweis) - Beweis bestimmter Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung auf bestimmte Ursache oder Ablauf hinweisen. Andere Partei muss dann darlegen und
78
beweisen, dass typischer Geschehensablauf hier nicht vorliegt. Bei Gelingen dieses Beweises
muss beweispflichtige Partei vollen Beweis führen
5. Prozesskostenhilfe
Eine Partei, die die Kosten der Prozessführung nicht oder nur zum Teil aufbringen kann, erhält
auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint; § 114 ff. ZPO Der
Antrag ist beim Prozessgericht zu stellen. Bei, Bewilligung Befreiung von den Gerichtskosten; bei
Anwaltszwang oder wenn sonst erforderlich auch Beiordnung eines Rechtsanwalts und
Übernahme von dessen Kosten. Wenn die Partei den Prozess verliert, muss sie die dem Gegner
entstandenen Kosten erstatten
Beratungshilfe
Bedürftigen wird für die Wahrnehmung von Rechten ausserhalb eines gerichtlichen Verfahrens
auf Antrag Beratungshilfe gewährt, wenn die Wahrnehmung der Rechte nicht mutwillig ist. Antrag
an das Amtsgericht, das dann dem Rechtsuchenden einen Berechtigungsschein für
Beratungshilfe durch einen Rechtsanwalt seiner Wahl ausstellt. Dem Anwalt steht eine Gebühr
von 20,- DM zu; Beratungshilfegesetz vom 18.6.1980
C Verfahrungsgrundsätze in Verwaltungsstreitsachen
Parteibetrieb wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten
Aber abweichend vom Verhandlungsgrundsatz des Zivilprozesses Untersuchungsgrundsatz;
§ 86 VwG0
Gericht erforscht Sachverhalt von Amts wegen und ist an das Vorbringen und die Beweisanträge
der Parteien nicht gebunden. Aufklärungspflicht des Vorsitzenden § 86 Abs. 3 VwGO,
Mitwirkungspflicht der Beteiligten
Grund: Öffentliches Interesse an richtiger Entscheidung
D Verfahrensgrundsätze in Strafsachen
Einleitung des Verfahrens durch öffentliche Klage der Staatsanwaltschaft nach vorangegangenen Ermittlungen des Sachverhalts mit Hilfe der Polizei; § 151 StPO
Legalitätsgrundsatz: Soweit nicht gesetzlich anders bestimmt - insbes. Absehen von Verfolgung
wegen Geringfügigkeit § 153 StPO - ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen
Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers
bedienen, bei schweren Straftaten ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig, der ggf. auf
Antrag oder von Amts wegen bestellt wird; § 137, 140 StPO
Die Hauptverhandlung dient der Erforschung der Wahrheit durch die Vernehmung des
Angeklagten und die Beweisaufnahme. Dem Angeklagten steht es frei, nicht zur Sache
auszusagen. Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme auf alle
Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind;
Ablehnung von Beweisanträgen nur unter sehr strengen Voraussetzungen; § 244 StPO
Auf diese Weise weitestmögliche Aufklärung des Sachverhalts und Ermittlung der Wahrheit. Im
Zweifel ist der Angeklagte freizusprechen
IV
Einstweiliger Rechtsschutz
Vielfach würde eine Entscheidung in der Hauptsache zur Wahrung der Rechte des Klägers zu
spät kommen oder es muss zur Sicherung des Rechtsfriedens eine vorläufige Regelung
getroffen werden. Daher entsprechende Vorschriften in der ZPO und VwGO
79
A Einstweiliger Rechtsschutz in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Arbeitssachen
1. Arrest
Der Arrest dient der Sicherung der späteren Zwangsvollstreckung in das bewegliche oder
unbewegliche Vermögen des Schuldners wegen einer Geldforderung oder eines anderen
vermögensrechtlichen Anspruchs, z.B. Lieferung einer Sache, durch eine Verfügungssperre über
Geldvermögen, Eintragung einer Sicherungshypothek auf einem Grundstück des Schuldners
oder Herausgabe der Sache an den Gerichtsvollzieher.
Erforderlich sind ein Arrestanspruch und ein Arrestgrund, die begründete Besorgnis der
Vereitelung oder wesentliche Erschwerung der Vollstreckung eines künftigen Urteils. Arrestanspruch und Arrestgrund sind glaubhaft zu machen.
Zuständig ist sowohl das Gericht der Hauptsache als das Amtsgericht, in dessen Bezirk der mit
Arrest zu belegende Gegenstand sich befindet. Die Entscheidung kann ohne mündliche
Verhandlung ergehen; § 916 ff. ZPO
2. Einstweilige Verfügung
Eine einstweilige Verfügung kann ergehen
1 . in Bezug auf den Streitgegenstand, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des
bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechtes einer Partei vereitelt oder wesentlich
erschwert werden könnte; § 935 ZPO.
In der Praxis relativ selten
2. zur Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis,
sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung
wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen
nötig erscheint; § 940 ZPO
In der Praxis der Regelfall.
Wichtigste Fallgruppen: Ansprüche gegen Mitbewerber wegen Verletzung der Vorschriften des
UWG und seiner Nebengesetze; Ansprüche auf Unterhalt; Ansprüche, ehrverletzende Äusserungen zu unterlassen
Erforderlich Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund, Sicherung des Rechtsfriedens oder
Abwendung wesentlicher Nachteile: Dringlichkeit; Entscheidung auf Klage im Hauptverfahren
käme zu spät.
Zuständig das Gericht der Hauptsache. Die Entscheidung kann in dringenden Fällen ohne
mündliche Verhandlung ergehen.
In der Praxis kommt es häufig insbesondere in UWG-Sachen und Ehrenschutzsachen nicht mehr
zu einem Verfahren in der Hauptsache
B Einstweiliger Rechtsschutz in Verwaltungsstreitsachen
Im öffentlichen Recht können die Bürger vorläufigen Rechtsschutz durch eine einstweilige
Anordnung gern. § 123 VwGO unter denselben Voraussetzungen wie im Zivilprozess erhalten
Ein vorläufiger Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte wird für die Bürger dadurch erreicht, dass
nach § 80 Abs. 1 VwGO Widerspruch und Anfechtungsklage ausser bei Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten aufschiebende Wirkung haben, es sei denn, dass die betreffende
Behörde die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse besonders angeordnet hat. In diesen
Fällen kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung wiederherstellen; § 80 Abs. 5 VwGO
80
Anhang
I. Abkürzungen
a.F.
alte Fassung
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
EAG
Europäische Atomgemeinschaft
EG
Europäische Gemeinschaft
EGKS
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
GG
Grundgesetz
GVG
Gerichtsverfassungsgesetz
GWB
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
HGB
Handelsgesetzbuch
StPO
Strafprozessordnung
UWG
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
VwGO
Verwaltungsgerichtsordnung
VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz
WTO
World Trade Organisation
ZPO Zivilprozessordnung
II. Auszug aus dem Grundgesetz
Art. 1 (Schutz der Menschenwürde)
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung
aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräusserlichen
Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der
Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und
Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Art. 2 (Allgemeines Persönlichkeitsrecht)
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte
anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäsige Ordnung oder das Sittengesetz
verstösst.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist
unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Art. 3 (Gleichheit vor dem Gesetz)
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner
Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen
Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
Art. 5 (Recht der freien Meinungsäusserung)
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äussern und zu
verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die
Pressefreiheit und die Freiheit der Berichtserstattung durch Rundfunk und Film werden
gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den
gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet
nicht von der Treue zur Verfassung.
81
Art. 9 (Vereinigungsfreiheit)
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die
sich gegen die verfassungsmässige Ordnung oder gegen den Gedanken der
Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen
Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses
Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Massnahmen sind
rechtswidrig. Massnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3; Artikel 87a Abs. 4 und Artikel
91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.
Art. 12 (Berufsfreiheit)
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.
Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, ausser im Rahmen einer
herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
Art. 14 (Eigentum, Erbrecht und Enteignung)
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch
die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz
oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmass der Entschädigung regelt. Die
Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der
Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der
Rechtsweg vo den ordentlichen Gerichten offen.
Art. 19 (Einschränkung von Grundrechten)
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines
Gesetzes eingeschränkt werden kann, muss das Gesetz allgemein und nicht nur für den
Einzelfall gelten. Ausserdem muss das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels
nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen
nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der
Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche
Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 bleibt unberührt.
Art. 20 (Bundesstaatliche Verfassung; Widerstandsrecht)
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und
durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung
ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmässige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die
Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das
Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Art. 28 (Verfassung der Länder)
(1) die verfassungsmässige Ordnung in den Ländern muss den Grundsätzen des
republikanischen, demokratischen und sozialen Restsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes
entsprechen.
Art. 97 (Unabhängigkeit der Richter)
(1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen
82
Art. 103 (Grundrechte vor Gericht)
(1) Vor Gericht hat jederman Anspruch auf rechtliches Gehör.
(2) Ein Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die
Tat begangen wurde.
(3) Niemand darf wegen der selben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals
bestraft werden.
III. Auszug aus weiteren Gesetzen
1. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 138 Abs. 1
Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
§ 242
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht
auf die Verkehrssitte es erfordern.
§ 253
Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in
den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.
§ 626 Abs. 1
Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer
Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem
Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der
Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist oder bis zu deren vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht
zugemutet werden kann.
§ 823 Abs. 1
Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das
Eigentum oder ein sonstiges Recht eines Anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum
Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
§ 826
Wer in einer gegen die guten Sitten verstossenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden
zufügt, ist dem anderen zum Ersatze des Schadens verpflichtet.
2. Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)
§1
Wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Handlungen vornimmt, die gegen
die guten Sitten verstossen, kann auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen
werden.
3. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
§ 19 Abs. 1
Die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere
Unternehmen ist verboten.
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