2.1 Therapieforschung 2.1 11 Therapieforschung is’ auf’m Platz. « » Grau is’ alle Theorie – entscheidend (Adi Preißler, Fußballspieler) Ärztinnen und Ärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie werden dann, und nur dann, einen nachhaltigen Beitrag zur Gesundheitsversorgung leisten können, wenn sie praktikable und wirksame Therapieangebote machen können. Das therapeutische Ethos und ein beziehungs- und prozessorientierter Zugang zum Patienten waren und sind seit den Anfängen der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie ein wesentliches Motiv für das Engagement in dieser Fachrichtung – und auch heute wenden sich die Mehrzahl der jungen Kolleginnen und Kollegen dem Fach zu, weil sie diese Aspekte ihrer Arbeit als wichtig, befriedigend und unverzichtbar empfinden. Weniger ausgeprägt wurde demgegenüber lange Zeit die Notwendigkeit gesehen, Therapiestudien mit dem Ziel durchzuführen, die Wirksamkeit der praktizierten Verfahren im wissenschaftlichen Diskurs zu belegen. Dies ist aus prinzipiellen Gründen jedoch unverzichtbar: Es zeigt Möglichkeiten und Grenzen der gewählten Therapiemethoden auf, gibt wichtige Hinweise auf Verbesserungsmöglichkeiten der Verfahren und sollte deshalb eine wichtige Rolle in Lehre und Weiterbildung spielen. Die Zunahme der Kosten im Gesundheitswesen einer alternden Gesellschaft zwingt Gesundheitspolitiker dazu, Ausgaben zu begrenzen. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass Leistungen nach dem Solidarprinzip nur dann von der Krankenversicherung übernommen werden, wenn ihre Wirksamkeit nachgewiesen wurde. In den vergangenen Jahren wurden sehr erfolgreich große Anstrengungen unternommen, um Therapien meist in Multicenter-Studien zu evaluieren. Einer Zusammenfassung zum Evidenzgrad psychodynamischer Therapien folgen Beispiele von Psychotherapiestudien bei psychosomatischen Störungen und Interventionsstudien bei psychosomatischen bzw. psychischen Störungen bei körperlich Kranken. 2.1.1 Entwicklung und Evaluation psychodynamischer Therapie In den Zeiten evidenzbasierter Medizin ist es erforderlich, dass auch die Psychotherapie ihre Wirksamkeit bei spezifischen Störungsbildern belegt. Wie die aktuellen Behandlungsleitlinien zeigen, liegt umfassende Evidenz von Seiten der kognitiven Verhaltenstherapie für die Mehrzahl der behandelten Störungsbilder vor, zusammen mit entsprechenden Therapiemanualen, die in den psychosomatisch-psychotherapeutischen Behandlungen Anwendung finden. 2919_Herzog_Druck.indd 11 03.09.12 13:12 12 2 Forschung Für die psychodynamische Therapie hat sich der Forschungsstand in dieser Hinsicht in den letzten Jahren deutlich verbessert. Als Goldstandard für den Nachweis der Wirksamkeit werden heute allgemein randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) angesehen (z. B. Guyatt et al. 1995; Chambless u. Hollon 1998). Auf eine kritische Diskussion der Möglichkeiten und Grenzen von RCTs kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht eingegangen werden (vgl. hierzu z. B. Leichsenring 2004). Die Kriterien, die heute für einen Wirkungsnachweis zugrunde gelegt werden, erfordern darüber hinaus im Allgemeinen auch, dass die Behandlungen nach Therapiemanualen durchgeführt werden. Weiterhin wird gefordert, dass die Behandlungen störungsorientiert sind. Im Rahmen der psychodynamischen Therapie hat dies dazu geführt, dass – vor allem auch durch Psychosomatiker – zunehmend störungsorientierte Therapiemanuale entwickelt worden sind (Beutel et al. 2010a). Heute liegen für die wichtigsten Störungsbilder Manuale von Seiten der psychodynamischen Therapie vor. Die vorliegende Evidenz kann für die psychodynamische Therapie folgendermaßen zusammengefasst werden: Für die wichtigsten Störungsbilder liegen Wirkungsnachweise in Form von RCTs vor. In diesen Studien hat sich die psychodynamische Therapie entweder als ebenso wirksam erwiesen wie eine andere Therapieform, z. B. kognitive Verhaltenstherapie, oder aber als überlegen gegenüber Wartelistengruppen, rein supportiver Therapie oder Placebobedingung. So liegen mehrere RCTs vor, die die Wirksamkeit psychodynamischer Therapie bei depressiven Störungen, Angststörungen, somatoformen Störungen, substanzbezogenen Störungen, Essstörungen und Persönlichkeitsstörungen belegen (Leichsenring, Rabung u. Kruse, in press). Die Wirksamkeit psychodynamischer Therapie wird auch durch verschiedene Metaanalysen und systematische (Cochrane) Reviews belegt (Abass et al. 2004, 2009; Cuijpers et al. 2008; Driessen et al. 2010; Gerber et al. 2011; Leichsenring 2004; Leichsenring u. Leibing 2003; Leichsenring u. Rabung 2008, 2011). Im Einklang mit den empirischen Daten zu Dosiswirkungsverhältnissen (Kopta et al. 1994) ist außerdem gezeigt worden, dass bei komplexen psychischen Störungen psychodynamische Langzeittherapie wirksamer ist als kürzere Formen der Psychotherapie (Leichsenring u. Rabung 2008, 2011). Aufgrund der vorliegenden Wirkungsnachweise ist die psychodynamische Therapie vom wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie als wissenschaftliche und wirksame Methode anerkannt worden. Auch wenn die Wirksamkeit der psychodynamischen Therapie bei den wichtigsten Störungsbildern heute als belegt angesehen werden kann, ist weitere Forschung erforderlich. So liegen zum Beispiel bei einigen Störungsbildern noch keine RCTs vor (z. B. bei spezifischen Persönlichkeitsstörungen wie der narzisstischen Persönlichkeitsstörung – dies gilt allerdings auch für alle anderen Formen der Psychotherapie etwa die kognitive Verhaltenstherapie). 2919_Herzog_Druck.indd 12 03.09.12 13:12 2.1 Therapieforschung 13 Für andere Störungsbilder gibt es Evidenz, allerdings nur in Form von einem oder wenigen RCTs, dies gilt z. B. für die Posttraumatische Belastungsstörung. Hier besteht auf Seiten der psychodynamischen Therapie noch Forschungsbedarf. Nach wie vor ist darüber hinaus weitgehend unklar, welche Faktoren zum Erfolg einer Psychotherapie beitragen. Dies gilt im Übrigen ganz allgemein, d. h. für alle gegenwärtig vorliegenden Formen der Psychotherapie einschließlich der Verhaltenstherapie (Kazdin 2007). Weiterhin wird es wichtig sein, bei weitgehend gleicher Wirksamkeit herauszufinden, welche Patienten von welcher Form der Psychotherapie gut und welche weniger gut profitieren. Solche Studien liefern wichtige Indikatoren für die differenzielle Indikation von Psychotherapie. RCTs liefern Evidenz für die Wirksamkeit unter kontrollierten Forschungsbedingungen. Deshalb ist es erforderlich, zu prüfen, inwieweit Therapiekonzepte, die sich unter kontrollierten Bedingungen als wirksam erwiesen haben, in die Praxis übertragen werden können. Zur Untersuchung dieser Frage sind Praxisstudien erforderlich, wie sie etwa im Forschungsverbund der sozialen Phobie (Leichsenring et al. 2009a) durchgeführt werden. 2.1.2 Störungsspezifische Therapiestudien Anorexia nervosa – ANTOP Auch wenn die Anorexia nervosa noch immer zu den Krankheitsbildern mit der höchsten Mortalität und Morbidität in der betroffenen Altersgruppe gehört (Zipfel et al. 2000), beruhen Therapieempfehlungen bei Anorexia nervosa ganz überwiegend auf Expertenmeinungen und selten auf randomisierten kontrollierten Studien. Die eher niedrige Prävalenz, hohe Drop-out-Raten und komplikationsbehaftete, langwierige Verläufe erschweren systematische Studien. Die ANTOP-Arbeitsgruppe nutzte deshalb die Fördermöglichkeiten des BMBF-Verbundes Psychotherapiestudien zur Durchführung der weltweit größten randomisierten kontrollierten Psychotherapiestudie bei Anorexianervosa-Patientinnen. 242 Patientinnen wurden drei Therapiearmen zugewiesen – manualisierte fokale psychodynamische Therapie (Schauenburg 2009), manualisierte kognitiv-behaviorale Therapie für Essstörungen nach Fairburn (CBT-E; Fairburn 2012) oder einer verbesserten Kontrolltherapie (Überweisung zu Richtlinien-Therapeuten, die in der Behandlung von Anorexia nervosa erfahren sind) – und 40 Wochen behandelt. Fünf Messzeitpunkte vom Eintritt in die Studie bis 12 Monate nach Ende der Intervention wurden realisiert, Selbst- und Fremdbeurteilungsinstrumente sowie Instrumente zur Untersuchung des Psychotherapieprozesses eingesetzt. Die Studie wurde in 2919_Herzog_Druck.indd 13 03.09.12 13:12 14 2 Forschung Kooperation von zehn Abteilungen für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an deutschen Universitätskliniken durchgeführt (Bochum: Prof. Herpertz, Erlangen: Prof. de Zwaan, Essen: Prof. Senf, Freiburg: Prof. Wirsching, Hamburg: Prof. Löwe, Heidelberg: Prof. Herzog, München: Prof. Henningsen, Münster: Prof. Heuft, Tübingen: Prof. Zipfel, Ulm: Prof. von Wietersheim). Die Koordination der Studie erfolgte in Tübingen, Professor Zipfel hatte auch die Verantwortlichkeit für die manualisierte CBT-E-Therapie, Heidelberg (Prof. Herzog) war für die fokale psychodynamische Therapie verantwortlich. Das Koordinierungszentrum für Klinische Studien in Marburg war für Randomisierung, Datenmanagement und Monitoring zuständig. Die Publikation der Ergebnisse erfolgt in Kürze. Somatoforme/funktionelle Störungen – PISO und SpeziAl Die psychotherapeutische Behandlung von Patienten, die primär nicht unter psychischen oder Verhaltenssymptomen, sondern unter anhaltenden Körperbeschwerden wie Schmerzen unterschiedlicher Lokalisation, körperlichen Funktionsstörungen oder Erschöpfung leiden, ist ein zentraler Gegenstand psychosomatischer Therapie überhaupt (Henningsen et al. 2007). PISO: Psychodynamisch-interpersonelle Psychotherapie bei somatoformen/funktionellen Störungen Ausgehend von Veröffentlichungen von Gerd Rudolf aus den 1990er Jahren über die psychotherapeutische Arbeit mit der Körperklage des Patienten und den daran geknüpften Beziehungserfahrungen entwickelte der Arbeitskreis PISO unter der Koordination von Peter Henningsen eine manualisierte Form störungsorientierter psychodynamisch-interpersoneller Kurztherapie für diese große, traditionell als »schwierig« eingeschätzte Patientengruppe (Arbeitskreis PISO 2012). Die Wirksamkeit dieser manualisierten 12-stündigen Intervention wurde in einer multizentrischen, von der DFG im Programm »Klinische Studien« geförderten, randomisierten klinischen Studie mit insgesamt 211 Patienten mit der Wirkung von psychosomatischer Grundversorgung verglichen. Als diagnostisches Konstrukt wurde die sogenannte multisomatoforme Störung zugrunde gelegt, eine mittelschwere bis schwere somatoforme Störung – die Patienten in der Studie hatten im Mittel bereits seit 10 Jahren beeinträchtigende somatoforme Symptome. Während beide Therapieformen während des Therapieverlaufs vergleichbare Verbesserungen der körperbezogenen Lebensqualität zeigten, kam es während des 9-Monate-Follow-ups, dem definierten Endpunkt der Studie, zu einer 2919_Herzog_Druck.indd 14 03.09.12 13:12