Greenpeace: Zehn-Punkte-Programm für den neuen Bundesumweltminister Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) hat ein umweltpolitisches Zehn-PunkteProgramm angekündigt, das insbesondere die Prioritäten bei der Umsetzung der Energiewende bis zum Ende dieser Legislaturperiode beschreiben soll. Aus Sicht von Greenpeace sollte dieses 10-PunkteProgramm folgende Maßnahmen umfassen: 1. Ausbau der Erneuerbaren Energien sicherstellen Der Bundesumweltminister muss sich gegen Kräfte innerhalb und außerhalb der Bundesregierung durchsetzen, die den Ausbau der Erneuerbaren Energien diskreditieren und dem alten System konventioneller Großkraftwerke unterordnen wollen. Im Stromsektor muss stattdessen der konventionelle Kraftwerkspark so umgebaut werden, dass er sich an die fluktuierende Einspeisung der Erneuerbaren Energien anpasst. Kohlekraftwerke werden in einem neuen Energiesystem keinen Platz haben. Der Umweltminister muss sich dafür einsetzen, dass zusätzliche, die Erneuerbaren unterstützende Stromerzeugung nur durch Gaskraftwerke oder flexible KWK-Anlagen gewährleistet wird. Damit die Erneuerbaren Energien erfolgreich ausgebaut werden, muss der regenerativ erzeugte Strom weiterhin einen Einspeisevorrang haben und angemessen und planungssicher vergütet werden. Kurzfristige, außerplanmäßige Vergütungsabsenkungen führen zu sinkender Investitionsbereitschaft, die den weiteren Ausbau gefährdet und durch Risikoaufschläge bei der Finanzierung verteuert. Gleichzeitig gilt es, die Potenziale aller Technologien zu fördern und nicht einseitig zentrale Großprojekte zu überfördern. Während der Ausbau der Erneuerbaren Energien im Stromsektor erfreulicherweise vorangeht, kommt der Wärmebereich nicht voran. Bei der Weiterentwicklung des Erneuerbare-Energien-Wärme-Gesetzes ist bisher nichts passiert. Dadurch ist der Anteil der Erneuerbaren im Wärmebereich von 9,6 Prozent auf 9,4 Prozent gefallen. Die Bundesregierung muss eine Förderung der Wärmeerzeugung aus Erneuerbaren Energien auf den Weg bringen, die eine vergleichbare Dynamik wie im Strombereich auslöst. Dabei muss die gesetzliche Regelung auch den Gebäudebestand umfassen und mit Anforderungen an die Gebäudeeffizienz verknüpft werden. Insbesondere die Solarthermie gilt es zur massenhaften Anwendung in Deutschland zu bringen. 2. Stromintensive Industrie stärker an der Finanzierung der Energiewende beteiligen Die Bundesregierung hat die stromintensive Industrie weitreichend von der Finanzierung des Erneuerbare Energien-Gesetzes (EEGUmlage) und des Kraftwärmekopplungsgesetzes (KWK-Umlage) befreit. Aufgrund dieser Ausnahmeregelungen müssen die privaten Haushalte jährlich rund 1,2 Milliarden Euro mehr für ihren Strom zahlen. Dies kommt auch solchen Industrien zugute, die durch höhere Energiepreise keinerlei Wettbewerbsnachteile befürchten müssten. Die pauschalen Vergünstigungen für die Großindustrie führen zu einem verzerrten Wettbewerb, gehen zu Lasten von Privathaushalten, Mittelstand und Energieeffizienz und gefährden die Akzeptanz der Energiewende. Der Bundesumweltminister muss sich daher für ein transparentes Fördersystem einsetzen, das strategisch wichtige Industrien gezielt unterstützt, andere Branchen aber stärker an den Kosten der Energiewende beteiligt. 3. Stromnetze: nur das bauen, was wirklich nötig ist Für einen steigenden Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung ist ein Ausbau der Übertragungsnetze nötig. Allerdings muss hier sichergestellt werden, dass Spendenkonto Postbank, KTO: 2 061 206, BLZ: 200 100 20 Greenpeace ist vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt. Spenden sind steuerabsatzfähig. nur solche Leitungen neu gebaut werden, die für die Integration der Erneuerbaren Energien auch wirklich benötigt werden. Bei der Netzausbauplanung muss sichergestellt werden, dass Netzoptimierung und verstärkung Vorrang vor dem Ausbau der Stromnetze haben. Um den nötigen Netzausbau auf ein Mindestmaß zu reduzieren, müssen alternative Maßnahmen wie etwa • • • • die Senkung des Stromverbrauchs, Maßnahmen des Lastmanagements, ein verbrauchsnaher Ausbau von Erzeugungskapazitäten (v.a. Windenergie in Süddeutschland), sowie ein verstärkter Einsatz von zentralen und dezentralen Speichern vollständig genutzt werden. Zudem müssen beim Netzausbau sowohl Naturschutz und Wohnumfeldschutz als auch die frühzeitige Beteiligung der Bürger gesichert sein. Plänen des Bundeswirtschaftsministeriums, beim Netzausbau geltendes Naturschutzrecht zeitweise außer Kraft zu setzen, muss der Bundesumweltminister klar entgegen treten. 4. Energieeffizienz steigern Die Steigerung der Energieeffizienz birgt enormes Potenzial, das bislang völlig unzureichend genutzt wird. Dies gilt für die Industrie, für Haushalte und insbesondere den Gebäudebestand. Der Energieverbrauch muss dringend gesenkt werden, damit der restliche Bedarf noch vor 2050 durch 100 Prozent Erneuerbare Energien gedeckt werden kann. • Nachdem die Bundesregierung in Brüssel die Energieeffizienz-Richtlinie stark verwässert hat, muss sie sich auf nationaler Ebene umso mehr anstrengen. Deutschland muss die Richtlinie nun so umsetzen, dass ein substanzieller Beitrag zur Erreichung des EU-Ziels von 20%-Einsparung bis 2020 geleistet wird. Hier reicht es nicht, auf die Freiwilligkeit der Energiebranchen zu hoffen. Vielmehr muss sich Peter Altmaier für verbindliche und ambi- • • • tionierte ordnungspolitische Vorgaben stark machen. Deutschland muss ein nationales Energiespargesetz auf den Weg bringen, das eine absolute Senkung des Energie- und Stromverbrauchs gewährleistet. Zudem muss sich die Bundesregierung für ein europäisches Top-Runner-Programm einsetzen, das effiziente Spitzengeräte von heute zu den Standardprodukten von morgen macht. Zur Finanzierung dieser Maßnahmen braucht es einen Energieeffizienzfonds, der mit mindestens 1 Milliarde Euro pro Jahr ausgestattet ist. Für die Gebäudesanierung muss ein langfristiger und verbindlicher Sanierungsfahrplan vorgelegt werden, der eine Sanierungsrate von jährlich 3 Prozent sicherstellt. Dazu muss das Gebäudesanierungsprogramm wieder auf mindestens 2 Milliarden Euro aufgestockt werden. Die steuerliche Förderung von Gebäudesanierungen muss endlich beschlossen werden. 5. Kohleausstieg und Gas als Alternative auf den Weg bringen Ohne einen gesetzlich vorgeschriebenen, mittelfristigen Kohleausstieg wird die Energiewende nicht gelingen. Greenpeace drängt daher auf ein Ende der Braunkohleverstromung bis spätestens 2030 und einen Steinkohleausstieg bis spätestens 2040. Der Bundesumweltminister muss sich dafür einsetzen, dass in Deutschland keine neuen Kohlekraftwerke mehr ans Netz gehen. Diese nicht flexibel einsetzbaren Großkraftwerke blockieren nicht nur den Ausbau der Erneuerbaren, sondern verursachen durch ihre lange Laufzeit von über 40 Jahren auch hohe CO2-Emissionen auf Jahrzehnte (Lock-in-Effekt). Stattdessen sollte bei neuen Kraftwerken auf flexible Gaskraftwerke gesetzt werden. Diese müssen vor allem in den Regionen gebaut werden, wo Engpässe in der Stromversorgung entstehen könnten - etwa in Süddeutschland. V.i.S.d.P.: Tobias Austrup, Greenpeace e.V., Große Elbstr. 39, 22767 Hamburg 08/2012 6. Atomausstieg: Offene Endlagersuche ohne Gorleben, Asse sanieren, europaweit aussteigen Der Atomausstieg ist integraler Bestandteil der Energiewende. Der bisherige Entwurf zum Endlagersuchgesetz ist weit davon entfernt, eine ergebnisoffene, sicherheitsorientierte, faire und partizipative Endlagersuche zu gewährleisten und muss dringend überarbeitet werden. Gorleben ist als Standort nachweislich ungeeignet und darf bei einem Neuanfang in der Endlagersuche nicht aufgenommen werden. Der Atommüll im maroden Atommülllager Asse muss zügig geborgen werden, um eine Verbreitung der radioaktiven Stoffe in Grundwasserströme zu verhindern. Als der für die Atomaufsicht zuständige Minister muss Peter Altmaier dafür sorgen, dass die Sicherheit der noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke streng überprüft wird. Der Atomausstieg kann nicht auf die Grenzen Deutschlands begrenzt werden. Vielmehr muss sich die Bundesregierung auch international für den Ausstieg aus der Atomkraft einsetzen. Dazu gehört, ein ambitioniertes, kontinuierlich steigendes Erneuerbare-Ziel im europäischen Strommix zu verankern sowie deutsche Bürgschaften für den Bau von Atomkraftwerken im Ausland, etwa in Brasilien, zu beenden. 7. Emissionshandel verschärfen und EUKlimaziel auf 30% anheben Der Bundesumweltminister muss sich im zweiten Halbjahr 2012 massiv für eine Reform des europäischen Emissionshandelssystems und eine Anhebung des europäischen Klimaziels einsetzen. Das geltende EU-Klimaziel, die Treibhausgase bis 2020 um 20 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, ist nicht nur veraltet, sondern auch fast schon erreicht (derzeit minus 17 Prozent). Eine Erhöhung auf mindestens 30 Prozent ist überfällig. Solange die Klimaschutzziele der EU nicht auf mindestens 30 Prozent angehoben werden, kann auch Deutschland sein im Koalitionsvertrag verankertes Klimaschutzziel von minus 40 Prozent nicht erreichen. Der Bundesumweltminister muss sich zeitnah dafür einsetzen, dass Polen seinen Widerstand gegen den europäischen Klimaschutz aufgibt und die EU mit einer neuen, progressiveren Zielsetzung bei der nächsten Klimakonferenz in Katar auftritt. Dazu muss das Klimaziel auf mindestens 30 Prozent EU-interne Reduktion erhöht und gleichzeitig der Emissionshandel verschärft werden, indem langfristig mindestens 1,4 Millionen überschüssige Emissionszertifikate herausgenommen werden. Ein funktionierender Emissionshandel und ein höheres Klimaziel sorgen zudem für eine solide Ausstattung des Energie- und Klimafonds, aus dem Maßnahmen der Energiewende finanziert werden. Bei den derzeitigen Zertifikatspreisen entgehen Deutschland Einnahmen in Milliardenhöhe. 8. Klimafinanzierung sicher stellen und umweltschädliche Subventionen abbauen Die Industriestaaten haben sich dazu verpflichtet, ihre finanziellen Hilfen für Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel in Entwicklungsländern bis 2020 auf 100 Milliarden Dollar jährlich zu steigern. Zur Sicherstellung einer angemessenen Klimafinanzierung muss sich Deutschland international für eine Besteuerung von Kerosin und Schiffsdiesel stark machen. Die Einnahmen aus einer künftigen Finanztransaktionssteuer sollen zu einem Drittel dem Klimaschutz zugute kommen. Finanzieller Spielraum für mehr Klimaschutz kann zudem durch den Abbau umweltschädlicher Subventionen geschaffen werden, deren Volumen in Deutschland laut Umweltbundesamt jährlich 50 Milliarden Euro beträgt. Der Bundesumweltminister sollte sich vorrangig für den Abbau der Energiesteuer-Vergünstigungen für das produzierende Gewerbe, für eine am CO2-Ausstoß orientierte Reform der Dienstwagenbesteuerung und für einen Abbau der Subventionen für den Flugverkehr einsetzen. 9. Energiewende auch im Verkehrsbereich einleiten Auf europäischer Ebene werden derzeit CO2-Grenzwerte für Pkw und leichte Nutz- Spendenkonto Postbank, KTO: 2 061 206, BLZ: 200 100 20 Greenpeace ist vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt. Spenden sind steuerabsatzfähig. fahrzeuge verhandelt. Die deutschen Automobilhersteller streben eine massive Aufweichung des ohnehin schon schwachen Pkw-Emissionsziels für 2020 (95g CO2/km) an, insbesondere durch Mehrfachanrechnung von Elektroautos als "NullemissionsFahrzeuge" (sog. "supercredits") und eine Verschiebung der Einführungsfrist („phasein“) auf 2022 oder später. Allein durch „Supercredits“ für Elektrofahrzeuge würde der 95g-Grenzwert je nach Multiplikator auf 98,3 bis 118,8 g CO2/km verschlechtert. Der Bundesumweltminister darf hier das Feld nicht dem Wirtschaftsminister überlassen, sondern sollte sich zum einen für schärfere Grenzwerte (80 g bis 2020 und 60g bis 2025) einsetzen, und sollte zum anderen der von den deutschen Herstellern gewünschten Aufweichung des CO2Grenzwertes für 2020 eine klare Absage erteilen. 10. Wald- und Meeresschutz voran bringen Der Bundesumweltminister muss mehr sein als ein Energiewende-Minister. Umweltschutz in Deutschland kann sich nicht auf das Thema Energieerzeugung beschränken. Vor allem im Natur- und Artenschutz bestehen große Defizite. Die Nationale Biodiversitätsstrategie wird von den Bundesländern mangelhaft oder teilweise gar nicht umgesetzt. Beispiel hierfür ist der massive Einschlag in alten Buchenwaldbeständen. Von dem Ziel der Strategie, 10 Prozent der öffentlichen Wälder aus der Nutzung zu nehmen, ist Deutschland meilenweit entfernt. Der Bundesumweltminister muss hier einen konkreten Plan vorlegen, wie er die Nationale Biodiversitätsstrategie gemeinsam mit den Ländern umsetzen will. Alte Laubwaldgebiete sowie Naturschutzvorrangflächen sind von Windenergieanlagen auszunehmen. Der Schutz der Meere muss durch neue Schutzgebieten ohne Fischereinutzung sowohl innerhalb als auch außerhalb der Allgemeinen Wirtschaftszone angegangen werden. Dabei muss der Umweltminister ein Umsetzungsabkommen für Meeresschutzgebiete auf der Hohen See unter der UNCLOS (United Nations Convention on the Law of the Sea) diplomatisch ebnen. Der Bundesumweltminister muss sich dafür einsetzen, den Naturschutz mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien in Einklang zu bringen. Dies gilt insbesondere für den Schutz sensibler Waldflächen beim Ausbau der Windenergie, für die Begrenzung der Nutzung von Biomasse sowie beim Lärmschutz im Rahmen der OffshoreWindenergie. V.i.S.d.P.: Tobias Austrup, Greenpeace e.V., Große Elbstr. 39, 22767 Hamburg 08/2012