Theoretische Physik: Komplexe Quantensysteme

Werbung
Theoretische Physik: Komplexe Quantensysteme
Prof. Dr. Th. Feldmann
WS 2015/16, Universität Siegen
Kapitel 1
Wiederholung
1.1
Grundlegende Konzepte und Postulate der nichtrelativistischen Quantenmechanik
Wir beginnen mit einer kurzen Wiederholung von Grundlagen der nichtrelativistischen Quantenmechanik aus QM 1:
• Ein physikalisches System zum Zeitpunkt t0 wird beschrieben durch einen
Zustandsvektor |ψ(t0 )i
(“ket-Vektor”) .
Die möglichen Zustände bilden den physikalischen Hilbertraum H .
(Komplexer Vektorraum mit Additionsvorschrift, Multiplikationen mit komplexen Zahlen, innerem Produkt etc.)
Das innere Produkt ordnet 2 Elementen |ψi , |φi aus H eine komplexe Zahl hφ|ψi =
hψ|φi∗ zu, wobei hφ| als “bra-Vektor” bezeichnet wird.
• Der Zustandsraum ersetzt den Phasenraum der klassischen Mechanik.
• Meßbare physikalische Größen (Observable) wie Ort, Impuls, Energie, ... werden durch
hermitesche Operatoren  auf (Teilraum von) Hilbertraum beschrieben.
Die Korrespondenz zwischen der klassischen und der quantenmechanischen Beschreibung ergibt sich dabei gemäß:
klass. Funktion auf Phasenraum
f (xi , pi )
−→
hermitescher Operator
F̂ (x̂i , p̂i )
• Als Erwartungswert des Operators (im Zustand ψ) bezeichen wir
hÂi ≡ hÂiψ ≡ hψ|Â|ψi
(1.1)
• Eigenzustände |ni des Operators  erfüllen die Eigenwertgleichung1
 |ni = an |ni
1
Manchmal notiert man die Eigenvektoren auch als |an i.
1
(1.2)
2
KAPITEL 1. WIEDERHOLUNG
Die Menge der normierten Eigenzustände {|ni} bildet ein vollständiges Orthonormalsystem ONS (auf Teilraum von Hilbertraum; für den Fall von Entartung s.u.)
mit hn|mi = δnm
(1.3)
→ Zustandsvektoren haben bezüglich des ONS die Entwicklung
|ψi =
X
cn |ni
mit cn = hn|ψi
(1.4)
n
→ Das Betragsquadrat der Entwicklungskoeffizienten |cn |2 gibt dann gerade die Wahrscheinlichkeit an, bei einem durch |ψi beschriebenen System die dem Operator
 zugehörige physikalische Observable mit dem Eigenwert an zu messen. Der Erwartungswert von  ergibt sich demach als:
hAi =
X
|cn |2 an
(1.5)
n
→ Nach der Messung des Eigenwertes an befindet sich das System (bezüglich des
durch die ONS aufgespannten Teilraums) im Zustand |ni. („Zustandsreduktion“)
• Eigenwerte können i.A. auch entartet sein
 |n, αi = an |n, αi
(α : Entartungsindex)
(1.6)
Eigenwerte können weiterhin diskret oder kontinuierlich sein.
→ Wir führen manchmal als allgemeine Schreibweise ein:
Z
X
=
ˆ
Z
X
an ∈σdiskret
a
da
+
σkontinuierlich
d.h. es wird impliziert, daß über diskrete (kontinuierliche) Eigenwerte oder Entartungsindizes zu summieren (integrieren) ist.
⇒ Im entarteten Fall erhält man dann für die Wahrscheinlichkeit des Messwerts an
im Intervall [a, a + δa] den verallgemeinerten Ausdruck
a+δa
Z
da
Z
X
dα | ha, α|ψi |2
a
Hierbei haben wir (mit entsprechender Normierung ha|a0 i = δ(a − a0 )) kontinuierliche Eigenwerte angenommen; für diskrete Eigenwerte ist das Integral zu streichen
und a durch an zu ersetzen (s.o.).
⇒ Die Zustandsreduktion nach der Messung lautet in diesem Fall:
Messung von A
|ψi −−−−−−−−−→
a+δa
Z
da
Z
X
dα |a, αi ha, α| ψi
a
|
{z
Projektor auf
Eigenraum zum
Eigenwert a
}
(1.7)
1.2. ORTS- UND IMPULSDARSTELLUNG
3
• Die zeitliche Entwicklung eines isolierten Systems ist durch die Schrödinger-Gleichung
bestimmt
i~
∂
|ψ(t)i = Ĥ |ψ(t)i ,
∂t
t ≥ t0
(1.8)
Hierbei bezeichnet Ĥ den Hamiltonoperator des Systems.
Die S-Gl. ist eine Differentialgleichung 1. Ordnung in der Zeit, d.h. durch Angabe von
|ψ(t0 )i und Ĥ ist das System zu allen Zeiten t ≥ t0 bestimmt.
[Wir notieren weiterhin die Korrespondenz zwischen zeitlichen und räumlichen Ableitungsoperatoren und den quantenmechanischen Operatoren für Energie und Impuls
∂
∂
(s.u.): i~ ∂t
↔ Ĥ und −i~ ∂x
↔ p̂i ]
i
Ammerkung: Während des Meßprozesses ist das System in Wechselwirkung mit dem Meßapparat! In dieser Zeit gilt die Schrödingergleichung mit einem Hamiltonoperator, der sowohl das
zu messende System, als auch den Meßapparat (als auch evtl. weitere physikalische Effekte der
Umgebung) beschreibt.
• Für Orts- und Impulsoperator(-en) gelten Vertauschungsrelationen
[x̂i , x̂j ] = [p̂i , p̂j ] = 0 ,
[p̂i , x̂j ] =
~
δij 1
i
(1.9)
Observable, die zu nicht-kommutierenden Operatoren gehören, können nicht gleichzeitig
mit beliebiger Genauigkeit gemessen werden:
Heisenbergsche Unschärferelation:
z.B.
∆x · ∆p ≥
q
wobei die Unschärfe definiert ist als ∆A =
1.2
~
,
2
(1.10)
2
hÂ2 i − hÂi .
Orts- und Impulsdarstellung
• Die kartesischen Koordinaten xi bilden für ein spinloses Teilchen im 3-dimensionalen
Raum ein vollständiges System kommutierender Observablen. Daraus ergibt sich die
Ortsdarstellung, d.h. die Beschreibung des Teilchens durch eine Wellenfunktion
Ψ(~x, t) ≡ hx1 x2 x3 |ψ(t)i
(1.11)
0
0
wobei die Normierung der Ortsraumeigenzustände durch h~x |~xi = δ (3) (~x − ~x ) gegeben
ist (Messung des Ortes entspricht kontinuierlichen Eigenwerten).
Die Kommutatorrelation zwischen Impuls p̂ und Ort x̂ impliziert die Ortsdarstellung
des Impulsoperators (vgl. auch mit Übung)
p̂ ψ(x, t) ≡ hx|p̂|ψi =
~ ∂
ψ(x, t),
i ∂x
(1.12)
während der Ortsoperator in der Ortsdarstellung trivial wirkt
x̂ ψ(x, t) ≡ hx|x̂|ψi = x ψ(x, t),
(1.13)
4
KAPITEL 1. WIEDERHOLUNG
Analog führen wir die Impulsdarstellung ein:
ψ̃(p, t) ≡ hp1 p2 p3 |ψ(t)i =
0
Z +∞
i
d3 x e− ~ p~·~x ψ(x, t)
(1.14)
−∞
0
mit h~
p |~
pi = (2π~)3 δ (3) (~
p − p~ ). D.h. die Impulsdarstellung des Zustands ergibt sich
gerade als Fouriertransformation der Ortsraumwellenfunktion.
1.3
Zeitabhängigkeit (isolierter) QM Systeme
• Zur Beschreibung der Zeitabhängigkeit von quantenmechanischen Systemen definieren
wir den Zeitentwicklungsoperator U (t, t0 ),
|ψ(t)i = U (t, t0 ) |ψ(t0 )i
(1.15)
Dabei ist U (t, t0 ) = (U † (t, t0 ))−1 unitär, so daß die Norm des Zustandsvektors konstant
bleibt, ||ψ||2 = hψ|ψi = const.
Die implizite Lösung der Schrödingergleichung erfüllt demnach
i
U (t, t0 ) = 1 −
~
Z t
dt0 Ĥ(t0 )U (t0 , t0 )
Falls der Hamiltonoperator nicht explizit zeitabhängig ist,
− ~i Ĥ(t−t0 )
e
(1.16)
t0
∂ Ĥ
∂t
≡ 0, ergibt sich U (t, t0 ) =
.
• Für die Zeitentwicklung von Erwartungswerten ergibt sich aus der Schrödinger-Gleichung
d
d
hA(t)iψ(t) ≡
hψ(t)|A(t)|ψ(t)i =
dt
dt
d.h. falls
∂A
∂t
∂A
∂t
+
ψ(t)
1
h[A, H]iψ(t)
i~
(1.17)
= 0 und [A, H] = 0 ist hAi erhalten.
• Betrachten wir die Zeitentwicklung in der Energiebasis und nehmen einen explizit zeitunabhängigen Hamiltonoperator an, ergibt sich die stationäre Schrödinger-Gleichung
!
∂ Ĥ
=0 .
∂t
Ĥ |Ei , αi = Ei |Ei , αi ,
(1.18)
Der Zeitentwicklungsoperator ist dann gegeben durch
U (t, t0 ) =
Z
X
i
dE dα e− ~ E(t−t0 ) |E, αi hE, α| ,
(1.19)
und die Zeitenwicklung der Entwicklungskoeffizienten ergibt sich aus
i
cn (t) = hEn , α|ψ(t)i = e− ~ En (t−t0 ) · cn (t0 ).
(1.20)
1.4. EINFACHE QM SYSTEME
5
• Zur Beschreibung der Zeitabhängigkeit unterscheiden wir weiterhin zwischen dem Schrödinger- und dem Heisenberg-Bild
Schrödinger-Bild: Die Zustandsvektoren sind zeitabhängig, während die Operatoren
ggf. eine explizite Zeitabhängigkeit (z.B. durch zeitlich veränderliche externe Potentiale
o. Randbedingungen) tragen:
|ψ(ti) = U (t, t0 ) |ψ(t0 )i ,
 = Â(t)
(1.21)
Heisenberg-Bild: Hier sind die Zustandsvektoren zeitunabhängig, und der Zeitentwicklungsoperator wirkt auf die Operatoren
|ψH i ≡ |ψ(t0 )i
(zeitunabhängig) ,
ÂH (t) ≡ U † (t, t0 )Â(t)U (t, t0 ) .
(1.22)
Die Operatoren erfüllen dann die Heisenberg-Gleichung:
i~
∂ Â
d
ÂH (t) = i~
+ [ÂH (t), ĤH (t)]
dt
∂t
(1.23)
Erwartungswerte von Operatoren sind unabhängig vom betrachteten Bild,
hÂ(t)iψ(t) = hÂH (t)iψH
1.4
(1.24)
Einfache QM Systeme
• freies Teilchen: Hier lautet der Hamiltonoperator Ĥ =
p
~2
2m .
Die Impulseigenzustände sind auch Eigenzustände von H, d.h. die Zeitentwicklung im
Impulsraum ist einfach
2
i p
h~
p|ψ(t)i = e− ~ 2m (t−t0 ) h~
p|ψ(t0 )i
⇒ Ψ(x, t) =
Z
p2
i
d3 p
p
~·~
x− ~i 2m
(t−t0 )
~
h~
p
|ψ(t
)i
e
.
0
(2π~)3
(1.25)
(1.26)
Dies entspricht der Superposition ebener Wellen, mit einer Dispersionsrelation ωk =
p
~k2
E
2m (wobei k = ~ : Wellenzahl, ωk = ~ : Frequenz)
Ammerkung:
Für endliche Ausdehnung V = L3 (und periodische Randbedingungen) sind Wellenzahlen diskret, k = 2π
L ·n
• harmonischer Oszillator: Der Hamiltonoperator lautet
Ĥ =
p̂2
1
1
+ mω 2 x̂2 = ~ω(a† a + )
2m 2
2
(1.27)
Der zweite Ausdruck ergibt sich, indem man zunächst die dimensionslosen Größen x̂ =
~
mω
1
2
1
x̃, p̂ = (m~ω) 2 p̃ einführt, so daß Ĥ =
~ω 2
2 (p̃
+ x̃2 ).
6
KAPITEL 1. WIEDERHOLUNG
Danach definiert man Erzeuger und Vernichter
1
↠= √ (x̃ − ip̃) ,
2
1
â = √ (x̃ + ip̃)
2
(1.28)
mit den kanonischen Vertauschungsrelationen
[â, ↠] = 1 .
(1.29)
Daraus erhält man die Eigenwertgleichung Ĥ |ni = En |ni mit diskreten äquidistanten
Eigenwerten En = ~ω(n + 12 ), n = 0, 1, ...
Kapitel 2
Zeitabhängige Störungstheorie
Im folgenden Kapitel wollen wir uns mit der Beschreibung von quantenmechanischen Systemen befassen, welche einer zeitlich veränderlichen Störung unterworfen sind. Ausgangspunkt
ist also allgemein ein Hamiltonoperator der Form
Ĥ(t) =
Ĥ0 (t)
V̂ (t)
+
| {z }
| {z }
ungestörter
Hamilton-Operator
(d.h. U0 (t, t0 ) sei
bekannt)
Typischerweise gilt dabei:
kleine Störung
• Der ungestörte Hamiltonian Ĥ0 ist zeitunabhängig
0
( ∂H
∂t = 0)
• Die Störung ist zeitlich begrenzt, z.B. V̂ (t ≤ t0 ) = 0
Die Frage, die wir im folgenden beantworten wollen, ist insbesondere:
“Wie groß ist die Übergangswahrscheinlichkeit von einem Eigenzustand |ai von H0 in
einen anderen Eigenzustand |bi unter dem Einfluß der Störung?”
2.1
Wechselwirkungsbild
Betrachten wir den Störoperator V̂ als „klein“, dann wird der größte Teil der Zeitabhängigkeit des Systems durch H0 definiert, d.h. ist durch den Zeitentwicklungsoperator U0 (t, t0 )
des ungestörten Systems beschrieben. Schematisch heißt das für den Zusammenhang der Entwicklungskoeffizienten in der Energieeigenbasis bei verschiedenen Zeiten
i
ca (t) = e− ~ Ea (t−t0 ) × Störung × ca (t0 )
Wenn wir nun – in Abwandlung des Heisenberg-Bildes – nur diese führende Zeitabhängigkeit
auf die Operatoren umwälzen, erhalten wir das sog. Wechselwirkungsbild, welches also
definiert ist gemäß
|ψI (t)i = U0† (t, t0 ) |ψS (t)i = U0† (t, t0 )U (t, t0 ) |ψS (t0 )i
|
und
ÂI (t) ≡
U0† (t, t0 ) ÂS (t) U0 (t, t0 )
7
{z
≡UI (t,t0 )
(2.1)
}
(2.2)
8
KAPITEL 2. ZEITABHÄNGIGE STÖRUNGSTHEORIE
wobei die Indizes S für das Schrödingerbild und I (wie “interaction picture”) für das Wechselwirkungsbild stehen. Dabei ist weiterhin
• U0 (t, t0 ): der Zeitentwicklungsoperator zu Ĥ0 ,
• U (t, t0 ): der Zeitentwicklungsoperator zu Ĥ0 + V̂ (t) (im Schrödingerbild).
Die Anwendung der Schrödingergleichung impliziert dann
i~
∂
|ψI (t)i = U0† (−Ĥ0 + Ĥ0 + V̂ )U |ψS (t0 )i
∂t
= U0† V̂ U0 U0† U |ψS (t0 )i
=
| {z } |
{z
V̂I (t)
|ψI (t)i
}
(2.3)
bzw. für den oben definierten Zeitentwicklungsoperator im Wechselwirkungsbild,
i~
∂
UI (t, t0 ) = V̂I (t) UI (t, t0 ),
∂t
(2.4)
mit der impliziten Lösung:
UI (t, t0 ) = 1 −
i
~
Z t
dt0 VI (t0 )UI (t0 , t0 )
(2.5)
t0
Dyson-Reihe:
Da die Differentialgleichung für UI (t, t0 ) nur noch von dem – gemäß Annahme hinreichend
kleinen – Störoperator V̂ (t) abhängt, kann sie iterativ gelöst werden (Störungsentwicklung).
Die einzelnen Schritte der Iteration lauten dann:
(0)
UI (t, t0 ) = 1
(1)
UI (t, t0 ) = 1 −
(2.6)
Z
i t
(0)
dt1 V̂I (t1 ) · UI (t1 , t0 )
~ t0
Z t
i
dt1 V̂I (t1 )
=1−
~ t0
Z
i t
(2)
(1)
UI (t, t0 ) = 1 −
dt1 V̂I (t1 ) · UI (t1 , t0 )
~ t0
Z
Z t1
i 2 t
(1)
= UI (t, t0 ) + −
dt1
dt2 V̂I (t1 )V̂I (t2 )
~
t0
t0
usw.
Bei jedem Iterationsschritt n kommt also ein Beitrag
i
−
~
n Z t
Z tn−1
dt1 . . .
t0
dtn V̂I (t1 ) . . . V̂I (tn )
t0
(2.7)
(2.8)
2.2. ÜBERGANGSWAHRSCHEINLICHKEIT
9
dazu, wobei die Reihenfolge der Operatoren VI (t1 ) . . . V̂I (tn ) zu beachten ist! Bis zur einer
gegebenen Ordnung N erhält man somit das Resultat für den Zeitentwicklungsoperator UI
als:
(N )
UI (t, t0 )
=
N X
n=0
i
−
~
n Z t
Z tn−1
dtn V̂I (t1 ) . . . V̂I (tn )
dt1 . . .
(2.9)
t0
t0
Die Reihe kann formal aufsummiert werden (siehe Übungen):
UI (t, t0 ) = T exp
1
i~
Z t
dt0 VI (t0 )
(2.10)
t0
wobei der sog. Zeitordnungsoperator eingeführt wurde,
(
0
T (Â(t)B̂(t )) =
Â(t)B̂(t0 ) t > t0
B̂(t0 )Â(t) t < t0
(2.11)
In dieser Darstellung spricht man auch von der “Dyson-Reihe”.
2.2
Übergangswahrscheinlichkeit
Wir können jetzt zeitabhängige Übergangswahrscheinlichkeiten berechnen. Wir nehmen dazu
an, daß zur Zeit t0 der Zustand durch einen Energieeigenzustand des ungestörten Hamiltonian,
|ψS (t0 )i = |ψI (t0 )i ≡ |ai
mit
Ĥ0 |ai = Ea |ai
beschrieben wird, und fragen nach der Wahrscheinlichkeit, zum Zeitpunkt t > t0 den Eigenzustand |bi mit Ĥ0 |bi = Eb |bi zu messen1
Pa→b (t) = | hb|ψS (t)i |2 = | hb|U (t, t0 )|ai |2
|
{z
(2.12)
}
Matrixelemente
des vollen
Zeitentwicklungsoperators
Mit Hilfe des Wechselwirkungsbildes schreiben wir für die Übergangsamplitude (mit der
Notation Ei = ~ωi )
b (t−t0 )
hb|U (t, t0 )|ai = hb|U0 (t, t0 )UI (t, t0 )|ai = e| −iω{z
} · hb|UI (t, t0 )|ai
verschwindet
bei | . . . |2
|
{z
Dyson Reihe
(2.13)
}
und setzen für UI (t, t0 ) die Entwicklung der Dyson-Reihe ein:
hb|UI (t, t0 )|ai = δab −
i
+ −
~
1
i
~
Z t
dt1 hb|V̂I (t1 )|ai +
t0
2 X Z t
n
t0
Z t1
dt1
dt2 hb|V̂I (t1 )|ni hn|V̂I (t2 )|ai + . . .
(2.14)
t0
Falls |bi ein Zustand im kontinuierlichen Spektrum bezeichnet, suchen wir entsprechend eine Wahrscheinlichkeitsdichte, s.u.
10
KAPITEL 2. ZEITABHÄNGIGE STÖRUNGSTHEORIE
wobei bei Termen höherer Ordnung entsprechend viele Eins-Operatoren, 1̂ = n |ni hn| eingesetzt wurden, so daß allgemein dann noch Matrixelemente des Störpotentials im Wechselwirkungsbild zwischen verschiedenen Energieeigenzuständen auftauchen,
P
hn|V̂I (t1 )|mi = hn|U0† (t1 , t0 )V̂ (t1 )U0 (t1 , t0 )|mi
= e−i(ωm −ωn )(t1 −t0 ) hn|V̂ (t1 )|mi
≡ ei(ωnm )(t1 −t0 ) · Vnm (t1 )
(2.15)
Mit diesen Abkürzungen schreiben sich die ersten Terme in der Störungsentwicklung also
hb|UI (t, t0 )|ai = δab −
i
+ −
~
i −iωba t0
e
~
2
e
Z t
−iωba t0
t0
dt1 eiωba t1 Vba (t1 )
XZ t
Z t1
dt1
t0
t0
n
dt2 eiωbn t1 Vbn (t1 ) eiωna t2 Vna (t2 ) + . . .
(2.16)
Die Störungsentwicklung läßt sich auch graphisch darstellen:
− ~i Vna (t2 ) − ~i Vbn (t1 )
− ~i Vba (t1 )
s a=b
t0
s
t
+
s
t0
a
s
b
t1
s
+
t
s
a
t0
n
s
t2
s
t1
b
s
t
+
...
Dabei bezeichnen die Linien mit Pfeilen die (ungestörte) zeitliche Entwicklung der entsprechenden externen oder intermediären Zwischenzustände, und an den bestimmten Zeitpunkten
(Vertizes) erzeugt das Störpotential Übergänge zwischen verschiedenen Energieeigenzuständen,
wobei:
• jeder Vertex Vnm (ti ) einen Faktor (−i/h) eiωnm ti trägt,
• über alle intermediären Zeiten ti integriert wird,
• über alle (möglichen) Zwischenzustände |ni summiert wird,
• und die Zeitordnung durch t0 < tn < ... < t1 < t gegeben ist.
Meistens beschränken wir uns auf den Term erster Ordnung in V̂ , und betrachten insbesondere den Fall a 6= b. Dann gilt nach Betragsquadrierung der Übergangsamplitude:
Z
2
1 t
0
Pa→b (t) ' 2 dt0 eiωba t Vba (t0 )
~
t0
(2.17)
Insbesondere ergibt sich im Grenzfall
t0 → −∞ und
t→∞
die Übergangswahrscheinlichkeit aus der Fourier-Transformierten des Übergangsmatrixelements hb|V̂ (t)|ai bezüglich
t
Fourier-Trafo
←−−−−−−→
ωba = (Eb − Ea )/~
2.2. ÜBERGANGSWAHRSCHEINLICHKEIT
11
Beispiel:
Wir betrachten die periodische Störung
V̂ (t) := V̂0 · cos ωt · θ(τ − |t|)
wobei das System bei t0 < −τ im Zustand |ai sei und zum Zeitpunkt t > +τ gemessen wird.
Man beachte, daß V̂0 = V̂0 (x̂, ...) immer noch als (zeit-unabhängiger) Operator aufzufassen
ist. Die Störung wirkt also während der Zeit −τ bis +τ , so daß sich die Übergangswahrscheinlichkeit als
Z
2
1 +τ 0 iωba t0
2
0
dt
e
cos
ωt
· | hb|V̂0 |ai |
~2 −τ
Pa→b (t) '
(2.18)
ergibt. Während die Matrixelemente von V̂0 von der konkreten Form des Potentials abhängen,
kann das Zeitintegral in unserem Beispiel explizit ausgeführt werden:
1
2
Z +τ
0
0
−τ
ei(ωba +ω)τ − e−i(ωba +ω)τ
ei(ωba −ω)τ − e−i(ωba −ω)τ
+
i(ωba + ω)
i(ωba − ω)
1
=
2
=
0
dt0 eiωba t (eiωt + e−iωt )
!
sin(ωba + ω)τ
sin(ωba − ω)τ
+
ωba + ω
ωba − ω
(2.19)
so daß
Pa→b (t) =
1
| hb|V̂0 |ai |2 · fτ (ωba )
~2
(2.20)
mit
fτ (ωba ) =
sin(ωba − ω)τ
sin(ωba + ω)τ
+
ωba + ω
ωba − ω
2
(2.21)
Diskussion der Funktion fτ (ωba )
1. Fall: ω = 0: (konstante Störung)
Hier vereinfacht sich der Ausdruck für fτ zu
f1 HΩL
4
3
fτ (ωba ) = 4 ·
sin2 (ωba τ )
2
ωba
2
1
-10
Aus der Form der Funktion schließen wir:
-5
0
5
10
Ω
12
KAPITEL 2. ZEITABHÄNGIGE STÖRUNGSTHEORIE
• Der Großteil der Übergänge findet in einem Bereich ωba ∼
d.h. |Eb − Ea | · (2τ ) ≤ 2π~
π
τ
statt,
• Für große τ → ∞ muß also Eb ≈ Ea sein
• Im mathematischen Limes undendlich großer Störzeiten ergibt sich
τ →∞
fτ (ωba ) −−−→ 4πτ · δ(ωba )
d.h. für große τ gilt
Pa→b ∝ τ
so lange Pa→b (τ ) noch klein gegenüber 1 ist (d.h. für hinreichend kleines V̂0 (x)), gilt die
Störungsentwicklung auch für große τ .
Dann definiert man die Übergangsrate
τ →∞
Ra→b ≡
2
2π Pa→b (τ )
=
hb|V̂0 |ai δ(Eb − Ea )
2τ
~
(2.22)
(für konstante Störung)
2. Fall: ω 6= 0:
Wir erhalten mit einer analogen Betrachtung wie oben2 im Fall τ → ∞
fτ (ωba )
−→ πδ(ω + ωba ) + πδ(ω − ωba )
2τ
und daraus die Übergangsrate
Ra→b
2 π = hb|V̂0 |ai δ(Eb − Ea + ~ω) + δ(Eb − Ea − ~ω)
~
(2.23)
Wir interpretieren das Ergebnis folgendermaßen: die periodische Störung des freien Hamiltonians mit einer Frequenz ω kann (siehe auch Graphik)
• Den Anfangszustand in ein höheres Energieniveau mit Eb = Ea + ~ω anregen (Absorption eines Energiequants ~ω).
• Den Übergang in einen niedrigeren Eigenzustand mit Eb = Ea − ~ω induzieren (stimulierte Emission eines Energiequants ~ω).
Eb = Ea + ~ω
Ea
Eb = Ea − ~ω
2
Man schreibe einfach cos ωt = (eiωt + e−iωt )/2 und erhält dann entsprechende Terme mit ωba → ωba ± ω.
2.3. WECHSELWIRKUNG MIT EINEM KLASSISCHEN STRAHLUNGSFELD
13
Verallgemeinerung / „Fermis Goldene Regel“:
Im allgemeinen Fall können die Endzustände |bi auch Teil des kontinuierlichen Spektrum sein
(z.B. Übergänge von einem Bindungszustand in einen ungebundenen Zustand). In diesem Fall
messen wir keinen scharfen Energieeigenwert, sondern betrachten einen gewissen Energiebereich [E, E + ∆E].
Das kontinuierliche Spektrum charakterisieren wir allgemein durch eine Zustandsdichte
ρ(E) =
dN
dE
(Zahl der Zustände pro Energieintervall dN = ρ(E)dE)
Im kontinuierlichen Fall ergibt sich aus der Summation über Endzustände (ggf. eingeschränkt
auf ein bestimmtes Energieintervall)
R=
X
Ra→b −→
Z E+∆E
Z
dNb Ra→b =
b
E
dEb ρ(Eb )Ra→b
Für unser Beispiel einer periodischen Störung erhalten wir insbesondere
Z
R=
=
(2.24)
3
π
dEb ρ(Eb ) | hb|V̂0 |ai |2 · (δ(Eb − Ea + ~ω) + δ(Eb − Ea − ~ω)
~
π
| hb|V̂0 |ai |2 (ρ(Ea − ~ω) + ρ(Ea + ~ω))
~
(2.25)
Die Rate ist also neben dem Betragsquadrat des Übergangsmatrixelement direkt proportional
zur Zustandsdichte, ausgewertet bei der Energie E = Eb = Ea ± ~ω. Diesen Sachverhalt
bezeichnet man auch als “Fermis Goldene Regel”.
[Anm.: Für ein diskretes Spektrum ergibt sich die Zustandsdichte einfach als ρ(E) =
P
δ(E
− Ei )]
i
2.3
Wechselwirkung mit einem klassischen Strahlungsfeld
Ein konkretes Beispiel für eine periodische Störung ist die Wechselwirkung eines elektrisch
geladenen Teilchens mit einem klassischen Strahlungsfeld (elektromagnetische Wellen). Wir
wiederholen zunächst ein paar Eigenschaften des freien elektromagnetischen Feldes (d.h. in
Abwesenheit externer Ladungs- oder Stromquellen):
(a) Vektor- und skalares Potential in der Elektrodynamik:
Das elektrische und magnetische Feld ergeben sich aus4
~
~ = −∇φ
~ − ∂A
E
∂t
Die Maxwellgleichungen ohne externe Quellen lauten dabei
~ =∇
~ ×A
~
B
;
~ 2φ + ∂ ∇
~A
~ = 0,
∇
∂t
2
~ 2A
~ − ∇(
~ 1 ∂ φ+∇
~ · A)
~ = 0,
~− 1 ∂ A
∇
c2 ∂t2
c2 ∂t
(2.26)
(2.27)
3
wobei wir hier angenommen haben, daß das betrachtete Energieintervall die Fälle Eb = Ea ± ~ω mit
einschließt; andernfalls ist die Absorption/Emission eines Energiequants natürlich nicht möglich
4
Wir verwenden in diesem Kapitel SI-Einheiten.
14
KAPITEL 2. ZEITABHÄNGIGE STÖRUNGSTHEORIE
und lassen sich vereinfachen durch Ausnutzen der Eichfreiheit:
~→A
~ + ∇χ
~ ,
A
φ→φ−
∂
χ.
∂t
Insbesondere ergibt sich in der Coulomb-Eichung
φ≡0
,
~ ·A
~≡0
∇
die elementare Wellengleichung für das Vektorpotential,
~2−
(∇
1 ∂2 ~
)A = 0.
c2 ∂t2
(2.28)
Als freie Lösung ergeben sich gerade ebene Wellen
~ t) = A0 · ~ · cos(~k~x − ωt),
A(x,
(2.29)
die sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen und durch folgende Eigenschaften charakterisiert
werden:
• Amplitude A0 ,
• Wellenzahlvektor ~k,
• Polarisationsvektor ~ mit ~ · ~k = 0 ∧ |~|2 = 1,
• Frequenz ω = |~k|c (Dispersionsrelation).
Mit obigen Relationen folgt, daß die Vektoren für elektrisches, magnetisches Feld und Wel~ ~k, B⊥
~ ~k, E⊥
~ B.
~
lenzahl senkrecht aufeinander stehen, E⊥
(b) Hamiltonfunktion in Coulomb-Eichung:
Die klassische Hamiltonfunktion für ein Teilchen mit Ladung q (ohne Spin) im elektromagnetischen Feld (in der Coulomb-Eichung + ggf. einem zusätzlichen Potential Vext (~x)) ist gegeben
durch
H=
1
~ x, t))2 + Vext (~x)
(~
p − q A(~
2m
(2.30)
In der Quantenmechanik fassen wir wie üblich ~x und p~ als Operatoren auf:
p~ → p~ˆ
ˆ, t)
~ → A(
~ ~x
A
ˆ)
V → V (~x
~ x in der Ortsdarstellung, gilt [p̂, A(x̂,
~ t)] ∝ ∇
~ ·A
~ ≡ 0 in der Coulomb-Eichung.
Da p~ˆ ∝ ∇
ˆ
~
Damit ist die Reihenfolge von p~ und A egal, und wir können den quantenmechanischen Hamiltonoperator eindeutig angeben als
Ĥ =
2
p̂2
q ~
q2 ~
+ Vext (x̂) − A(x̂,
t) · p~ˆ +
A(x̂, t)
}
} |2m {z
}
|2m {z
|m {z
Ĥ0 zeitunabhängig
Störung V̂ (t)
vernachlässigbar
für kleine Felder
(2.31)
2.3. WECHSELWIRKUNG MIT EINEM KLASSISCHEN STRAHLUNGSFELD
15
Hierbei haben wir angegeben, wie die einzelnen Terme hinsichtlich unseres allgemeinen Formalismus in der zeitabhängigen Störungstheorie zu identifizieren sind.
Setzen wir die ebene Welle für das Vektorpotential ein, erhalten wir somit für das Matrixelement des Störoperators:
q
ˆ − ωt) · p~ˆ |ai
Vba (t) = − hb|(A0 ~ cos(~k · ~x
m
qA0 −iωt
~ ˆ
~ ˆ
(e
hb|eik·~x ~ · p~ˆ |ai + eiωt hb|e−ik·~x ~ · p~ˆ |ai
(2.32)
=−
2m
Die analoge Rechnung zum allgemeinen Beispiel mit periodischer Störung ergibt dann für die
Übergangsrate
πq 2 |A0 |2
~ˆ
| hb|eik~x ~ · p~ˆ |ai |2 δ(Eb − Ea − ~ω)
=
2
~m
Ra→b
+ | hb|e
ˆ
−i~k~
x
~ · p~ˆ |ai |2 δ(Eb − Ea + ~ω) ,
(2.33)
wobei der erste Term wieder die Absorption eines (jetzt: Licht-)quants ~ω beschreibt, und
der zweite Term dessen stimulierte Emission.
(c) Multipolentwicklung
Für die Berechnung der Übergangsrate benötigen wir die Matrixelemente in der Ortsdarstellung
Z
~ ~
~ ˆ
~
hb|e±ik·~x ~ · p~ˆ |ai = d3 x e±ik·~x ψb∗ (x) ~ · ∇ψ
a (x)
i
Da wir uns |ai als einen gebundenen Zustand vorgeben (siehe Beispiele unten), erhält man den
Hauptbeitrag zum Integral d3 x aus dem Bereich, in dem ψa (x) wesentlich von Null verschieden
ist.
→ Dies charakterisieren wir durch die mittlere Ausdehnung des ungestörten Systems: r0
Für kleine Wellenzahlen |~k|r0 1 kann man dann entwickeln
1
~
e±ik·~x = 1 ± i ~k · ~x − (~k · ~x)2 ± ...
2
Daraus ergibt sich die sog. Multipolentwicklung für Übergangselemente.5
Beispiele:
i) 1-dim. Potentialtopf der Tiefe V0 und Breite |x| < r0 :
Die Abschätzung der Größenordnungen liefert
kx ∼ kr0 =
ω
Eb − Ea
V0 r0
r0 =
r0 ∼
c
~c
~c
Die Multipolentwicklung konvergiert also für
5
V 0 r0
~c
1.
Dies ist in der Tat eine Verallgemeinerung der aus der klassischen Elektrodynamik bekannten Multipolentwicklung einer Ladungsverteilung. Hierbei spielt das Inverse des Wellenzahlvektors, |~k| → 1/R, die Rolle des
(hinreichend großen) Abstands von der Ladungsquelle. Die Ladungsdichte entspräche im Fall |ai = |bi dann
gerade ρ(x) = |ψ(x)|2 .
16
KAPITEL 2. ZEITABHÄNGIGE STÖRUNGSTHEORIE
ii) Wasserstoffatom:
Aus den Kenngrößen
– Grundzustandsenergie: E0 = 12 mc2 α2
– Feinstrukturkonstante: α =
– Bohrradius: aB =
e2
4π0 ~c
=
1
137
[SI-Einheiten]
~
mcα
erhalten wir hier die Abschätzung
ω
E0 aB
α
|~k · ~x| ∼ aB ∼
= 1
c
~c
2
d.h. die Multipolentwicklung konvergiert für Übergänge im Wasserstoffatom.
• Insbesondere bezeichnet man den ersten Term in der gezeigten Entwicklung als
elektrische Dipolnäherung
~ ˆ
hb|e±ik·~x ~ · p~ˆ |ai ≈ hb|~ · p~ˆ |ai
Um die Bezeichnung als Dipol zu verstehen, benutzen wir die Relation
ˆ2
i~ ˆ
ˆ, Ĥ0 ] = [~x
ˆ, (p~) + H
V (x̂)]
p~
[~x
H =
2m H
m
m
ˆ, Ĥ0 ]|ai
⇒ hb|~ · p~ˆ |ai =
hb|[~ · ~x
i~
m
ˆ |ai = i m ωba hb|~ · ~x
ˆ |ai ,
=
(Ea − Eb ) hb|~ · ~x
i~
(2.34)
(2.35)
ˆ |ai gerade der Dipoloperator ist (Projektion des Ortsoperators auf die
wobei hb|~ · ~x
Polarisationsrichtung).
ˆ (~ · p~ˆ )|ai enthält gerade den magnetischen
• Der nächste Term in der Entwicklung hb|~x
Dipolübergang und den elektrischen Quadrupolübergang (siehe Übung).
In der Dipolnäherung ergibt sich somit:
πq 2 |A0 |2
| hb|~ · p~ˆ |ai |2 (δ(Eb − Ea − ~ω) + δ(Eb − Ea + ~ω))
~m2
2
πq 2 |A0 |2 ωba
ˆ |ai |2 (δ(Eb − Ea − ~ω) + δ(Eb − Ea + ~ω))
=
| hb|~ · ~x
~
πq 2 |E0 |2
ˆ |ai |2 (δ(Eb − Ea − ~ω) + δ(Eb − Ea + ~ω)) ,
=
| hb|~ · ~x
~
Ra→b =
denn
~
~ = − ∂A = ω · A
~ sin(~k · ~x − ωt)
E
| {z 0}
∂t
≡E0~
2 (wegen der δ-Funktionen).
und ω 2 = ωba
~
kA
(2.36)
2.3. WECHSELWIRKUNG MIT EINEM KLASSISCHEN STRAHLUNGSFELD
17
(d) Photoionisation (photoelektrischer Effekt)
Unter Photoionisation verstehen wir den Übergang aus einem gebundenem Zustand (z.B.
Kastenpotential, H-Atom, ...) in einen Zustand des Kontinuums (freie ebene Wellen). Die
Rate ergibt sich durch Integration über die Raten Ra→pf für alle individuellen Impulskonfigurationen:6
Z
d3 pf
R=
Ra→pf .
(2π~)3
Aus Ef = p2f /2m erhalten wir
d3 pf = dpf dΩpf |pf |2 = dEf dΩpf mpf pf =
√
,
2mEf
woraus sich die Zustandsdichte ρ(Ef ) für ein freies Teilchen ablesen lässt.
• Benutzen wir nun die Impulsraumdarstellung für den Anfangszustand |ψa i,
hpf |~ · p~ˆ |ai = (~ · p~f ) ψ̃a (~
pf ),
so erhalten wir
Z
R=
dEf dΩpf
mpf πq 2 |A0 |2
2
2
|~
·
p
~
|
δ(E
−
(E
+
~ω))
|
ψ̃(~
p
)|
a
f
f
f
(2π~)3 ~m2
p
√
f=
2mEf
Daraus ergibt sich die differentielle Rate (pro Raumwinkelelement)
q 2 |A0 |2 |~
pf | |~ · p~f |2 |ψ̃(~
pf )|2 dR
=
dΩpf
8π 2 ~4 m
E
√
f =Ea +~ω, pf =
2mEf
• Falls insbesondere ψ̃a (~
pf ) = ψa (|~
pf |) (Radialsymmetrie), kann man die Winkelintegration explizit ausführen, mit |~ · p~f |2 = |~
pf |2 cos2 θ.
Anm: Man kann auch den sog. (differentiellen) Wirkungsquerschnitt definieren als
σ=
absorbierte Energie/pro Zeiteinheit
Energiefluß der einfallenden elmg. Welle
Für den Zähler erhalten wir also : ~ω · R;
für den Nenner entsprechend: 21 0 ω 2 |A0 |2 · c.
Insgesamt also
dσ
q2
⇒
=
dΩ
4π ~c
| {z0 }
pf |~ · p~f |2
|ψ̃a (~
pf )|2 .
π~2 mω
=α=1/137 für q=|e|
6
Die Impulszustände zählt man zunächst für ein endliches Volumen V = L3 mit pi = 2π~/L n ab. Nach
dem Übergang L → ∞ bleibt ein Faktor 2π~ pro Impulsrichtung übrig.
18
KAPITEL 2. ZEITABHÄNGIGE STÖRUNGSTHEORIE
2.4
Quantisierung des elektromagnetischen Feldes (heuristisch)
Bisher haben wir das elektromagnetische Feld als klassisches Phänomen betrachtet. In der
Quantentheorie müssen aber auch die elektromagnetischen Größen als Operatoren eines Hilbertraums aufgefasst werden. Wir geben im Folgenden eine heuristische Herleitung (die Bedeutung wird klarer nach der Diskussion von Vielteilchensystemen in Kapitel 4 – die formale
theoretische Begründung ist Gegenstand der Quantenfeldtheorie).
• Wir betrachten zunächst die allgemeine Fourierzerlegung des elektromagnetischen Feldes:
~ t) = A
~ ∗ (x, t) =
A(x,
X Z
α=1,2
o
d3 k n ~
~k) ei~k~x−iωk t + c∗ (~k)~ ∗ (~k) e−i~k~x+iωk t .
c
(
k)~
(
α
α
α
α
(2π)3
(2.37)
Hierbei wird jede individuelle Mode durch den Wellenzahlvektor ~k und die Polarisationsrichtung α (z.B. links- oder rechts-zirkular) charakterisiert, mit
~k · ~α (~k) = 0 ,
~α (~k) · ~∗β (~k) = δαβ ,
ωk = c |~k| ,
(2.38)
und mit beliebigen komplexen Koeffizienten cα (~k) gewichtet.
• Die Zeitabhängigkeit bei jeder Mode (~k, α) entspricht gerade der von Erzeugungs- und
Vernichtungsoperatoren eines harmonischen Oszillators mit Frequenz ωk im HeisenbergBild,
â(t) = â(0) e−iωk t ,
↠(t) = ↠(0) e+iωk t .
(2.39)
Wir können deshalb jede Mode als unabhängigen harmonischen Oszillator mit Frequenz
ωk auffassen und die komplexen Koeffizienten cα (~k) durch entsprechende Erzeugungsund Vernichtungsoperatoren ersetzen:
cα (~k) → âα (~k)
c∗α (~k) → â†α (~k)
Vernichtungsoperator,
Erzeugungsoperator.
~ t) ein hermitescher (feldwer⇒ Durch diese Vorschrift wird aus dem reellen Feld A(x,
ˆ
~ t).
tiger) Operator A(x,
⇒ Für die Erzeuger und Vernichter verlangen wir kanonische Vertauschungrelationen
[aα (~k), a†β (~k)] = δαβ δ (3) (~k − ~k 0 ) (2π)3 ,
[aα (~k), aβ (~k)] = 0 ,
[a†α (~k), a†β (~k)] = 0 ,
(2.40)
welche hier auf δ-Distributionen normiert sind, wenn wir über kontinuierliche Moden ~k integrieren (im endlichen Volumen mit periodischen Randbedingungen sind
die ~k diskret, und Integrale werden durch Summen ersetzt, sowie δ (3) (~k − ~k 0 ) durch
δ~k~k0 ).
2.4. QUANTISIERUNG DES ELEKTROMAGNETISCHEN FELDES (HEURISTISCH) 19
Wir zeigen im Folgenden, daß sich die klassische Energie des elektromagnetischen Feldes in
einen Hamilton-Operator für unabhängige harmonische Oszillatoren (Fourier-Moden (~k, α))
übersetzt:
Z
0 ~ 2
~ 2)
Hklass = d3 x
(E + c2 B
2
X Z d3 k
→ Ĥ =
~ωk â†α (k)âα (k) (+ Grundzustandsenergie)
(2.41)
3
(2π)
α
Zunächst schreiben wir elektrisches und magnetisches Feld durch das Vektorpotential (in
Coulomb-Eichung) um,

Z
Hklass =
~
0  ∂ A
d3 x
2
∂t

!2
~ × A)
~ 2 ,
+ c2 (∇
(2.42)
Wir schreiben dann um:
~ × A)
~ 2 = ijk (∇j Ak )ij 0 k0 (∇j 0 Ak0 )
(∇
= (δjj 0 δkk0 − δjk0 δj 0 k )(∇j Ak )(∇j 0 Ak0 )
= (∇j Ak )(∇j Ak ) − (∇j Ak )(∇k Aj )
~ 2 Ak
=
−Ak ∇
+Ak (∇j ∇k Aj )
|
{z
~ ∂2 A
~
=− 12 A
c
∂t2
}
|
{z
(2.43)
}
=0 (Coulomb-E.)
(Bew.gl.)
wobei die letzte Zeile durch partielle Integration (bzgl. d3 x in H) folgt. Wir erhalten somit
die Darstellung der klassischen Hamilton-Funktion in Coulomb-Eichung

⇒ Hklass =
Z
~
0  ∂ A
d3 x
2
∂t
!2

2
~∂ A
~
−A
∂t2
(2.44)
~ t) einsetzen und erhalten:
Hier können wir nun direkt die Fourier-Zerlegung von A(x,
Hklass =
·
Z
d3 k d3 k 0 3
0 X
d x·
2 αα0 (2π)3 (2π)3
~
(−iωk cα (~k)~α (~k)eik~x−iωk t + c.c.) ·
n
~0
· (−iωk0 cα0 (~k 0 )~α0 (~k 0 )eik ~x−iωk0 t + c.c.)−
~
−(cα (~k)~α (~k)eik~x−iωk t + c.c.) ·
~0
· (−ωk20 cα0 (~k 0 )~α0 (~k 0 )eik ~x−iωk0 t + c.c.)
o
(2.45)
• Die Ortsintegrale können elementar ausgeführt werden und führen auf:
Z
~ ~0
d3 x ei(k±k )·~x = (2π)3 δ (3) (~k ± ~k 0 ) .
• Danach können wir mit Hilfe der entstanden δ(~k ± ~k 0 ) Distributionen eine ImpulsinteR d3 k 0
~
~0
gration (2π)
3 ausführen, mit ωk = ω−k = c|k| = c|k |:
20
KAPITEL 2. ZEITABHÄNGIGE STÖRUNGSTHEORIE
(a) Die Terme mit e−iωk t e−iωk0 t ergeben dann
(−ωk2 + ωk2 ) cα (~k)cα0 (−~k)~α (~k) · ~∗α0 (−~k) = 0
(b) Die Terme mit e−iωk t e+iωk0 t ergeben dagegen
(ωk2 + ωk2 ) cα (~k)c∗α0 (~k)~α (~k) · ~∗α0 (~k) = 2ωk2 cα (~k)c∗α (~k) δαα0
(c) Terme mit e+iωk t e+iωk0 t wie (a).
(d) Terme mit e+iωk t e−iωk0 t wie (b).
Fassen wir alle Terme zusammen erhalten wir somit die klassische Hamiltonfunktion ausgedrückt durch die Fourierkoeffizienten,
Hklass = 20
XZ
α
d3 k ∗ ~
c (k)cα (~k) ωk2
(2π)3 α
(2.46)
Um beim Übergang zum quantisierten Hamiltonoperator die kanonische Normierung der Oszillatorenergie zu erhalten, müssen wir lediglich einen relativen Normierungsfaktor definieren,
d.h. unsere obige Ersetzungsvorschrift präzisieren,
âα (~k)=
ˆ
r
20 ωk
cα (~k)
~
(2.47)
und erhalten damit
⇒ Ĥ =
XZ
α
d3 k
~ωk â†α (~k)âα (~k) (+E0 )
(2π)3
(2.48)
wobei wir angedeutet haben, daß wir in dieser Herleitung keine Aussage über die Grundzustandsenergie treffen können (die sich aus der Ambiguität hinsichtlich der Operatorordnung
von â und ↠ergibt).
In diesem neuen Zugang können wir also Zustände des elektromagnetischen Feldes jetzt
charakterisieren durch
|0i = „elektromagnetisches Vakuum“ mit âα (~k) |0i = 0
â†α (~k) |0i = |1(~k, α)i =
ˆ 1 Photon (~k, α)
â†α1 (~k1 )â†α2 (~k2 ) |0i = |1(~k1 , α1 ), 1(~k2 , α2 )i
1
√ (â†α (~k))2 |0i = |2(~k, α)i
2
... usw.
(2.49)
(2.50)
(2.51)
(2.52)
(2.53)
Die Photonen stellen also die quantisierten Zustände des elektromagnetischen Feldes dar
(auf diese Besetzungszahldarstellung werden wir in Kapitel 4 zurück kommen).
2.4. QUANTISIERUNG DES ELEKTROMAGNETISCHEN FELDES (HEURISTISCH) 21
Emission eines Photons:
Wir betrachten nun wieder die Wechselwirkung des (nun quantisierten) elektromagnetischen
Feldes mit einem durch Ĥ0 beschriebenen atomaren Bindungszustand. Unser Zustandsraum
beinhalten nun aber neben den Eigenzuständen |ai von H0 (Atom) auch die Eigenzustände
|n(~k, α))i von H0 (Photon), wobei wir der Einfachheit halber monochromatisches, polarisiertes
Licht mit nur Photonen einer Mode betrachten.7
Unser Anfangszustand lautet also:
|ai
|n(~k, α)i
|{z}
|
{z
}
Eigenzustand Eigenzustand von H0
(Photon,
von H0 (Atom)
monochromatisch)
Im Endzustand habe sich der Eigenzustand des Atoms geändert, und die Anzahl der
Photonen von n auf n + 1 erhöht (für Emission):
|bi |(n + 1)(~k, α)i
Wir berechnen nun wieder das Matrixelement des Wechselwirkungsterms, nun unter Be~ˆ t):
rücksichtigung des Operatorcharakters von A(x,
q
~ˆ t) · p~ˆ |n(~k, α)i |ai
hb| h(n + 1)(~k, α)|A(x̂,
m
s
Z
q X
d3 k 0
~
=−
·
m α0
(2π)3 20 ωk0
Vba (t) = −
·
(2.54)
~0 ˆ
hb|eik ·~x ~α0 (~k 0 ) · p~ˆ |ai e−iωk0 t h(n + 1)(~k, α)|âα0 (~k 0 )|n(~k, α)i +
n
~ ˆ
+ hb|e−ik·~x ~∗α0 (~k 0 ) · p~ˆ |ai eiωk0 t h(n + 1)(~k, α)|â†α0 (~k 0 )|n(~k, α)i ,
o
(2.55)
~ˆ t) eingesetzt haben, und Operatoren, die auf
wobei wir die quantisierte Darstellung von A(x̂,
die Atomzustände wirken (x̂, p̂), von denen trennen, die auf die Photonzustände wirken (â, ↠).
• Der erste Term in geschweiften Klammern ergibt Null, weil der Vernichter die Photonanzahl erniedrigt, â |ni ∼ |n − 1i, und hn + 1|n − 1i = 0.
• Im zweiten Term erhalten wir einen Beitrag, wenn (~k, α) = (~k 0 , α0 ) ist:
√
h(n + 1)(~k, α)|â†α0 (k 0 )|n(~k, α)i = (2π)3 δ (3) (k − k 0 ) δαα0 n + 1
√
wobei wir ↠|ni = n + 1 |n + 1i und die kontinuierliche Normierung der Photonzustände im Wellenzahlraum benutzt haben.
Damit ergibt sich für das Matrixelements des Störpotentials der kompaktere Ausdruck
q
Vba (t) = −
m
s
|
~ √
~ ˆ
n + 1 hb|e−ik·~x ~ ∗ · p~ˆ |ai eiωk t .
2ωk
{z
=|A
ˆ 0 |/2
}
Spezialfall: n = 0 → spontane Emission (klassisch nicht beschreibbar)
7
Anderenfalls müssten wir Produktzustände |n1 (~k1 , α1 )i |n2 (~k2 , α2 )i · · · betrachten.
(2.56)
22
KAPITEL 2. ZEITABHÄNGIGE STÖRUNGSTHEORIE
a
~ω
b
Für n > 0 erhalten wir stimulierte Emission
a
|ni
|n + 1i
b
wobei das emittierte Photon für kohärentes Licht (d.h. alle |n(~k, α)i Photonen in der gleichen
Mode) mit der gleichen Wellenzahl ~k und Polarisation α emittiert wird.
- Amplitude für√spontane Emission (d.h. irgendein ~k mit |~k| = ω/c und irgendein α)
proportial zu 0 + 1.
√
- Amplitude für induzierte Emission ∝ n + 1
Absorption eines Photons
Analog erhalten wir für Absorption
q
Vba (t) = −
m
s
~ √
~ ˆ
n hb|eik·~x ~ · p~ˆ |ai e−iωk t
20 ωk
d.h. Pba ∝ n = Anzahl der einfallenden Photonen, wie zu erwarten.
2.5. PLÖTZLICHE VS. ADIABATISCHE STÖRUNG
2.5
23
Plötzliche vs. Adiabatische Störung
Wir wollen im Folgenden noch den Fall studieren, bei dem sich ein Quantenzustand aufgrund einer nicht-periodischen Störung durch externe Felder ändert. Das Ergebnis hängt dabei entscheidend davon ab, in welcher Zeit T die Änderung des Hamiltonoperators stattfindet.
Offensichtlich gibt es zwei Grenzfälle:
T klein (“plötzliche Änderung”)
T groß (“adiabatische Änderung”)
jeweils relativ zur internen Zeitskala des betrachteten Quantensystems. Für die folgende Diskussion sind folgende Konventionen hilfreich: Wir betrachten den Fall, dass der Hamiltonoperator gegeben ist durch
Ĥ = Ĥ0
bei t0
−→
Ĥ = Ĥ1
bei t2
(2.57)
und definieren
T ≡ t1 − t0 ,
s=
t − t0
,
T
(2.58)
so dass
Ĥ = Ĥ(s)
mit Ĥ(0) = Ĥ0 und Ĥ(t) = Ĥ1 .
(2.59)
Weiterhin schreiben wir für den Zeitentwicklungsoperator kurz
UT (s) = U (t, t0 ) .
(2.60)
Uns interessiert dann insbesondere das Verhalten von UT (1) = U (t1 , t0 ) als Funktion von T
im Limes T → 0 oder T → ∞.
(a) Der Grenzfall T → 0 (plötzliche Störung)
Mit der obigen Definition lautet die Integralgleichung (1.16) für den Zeitentwicklungsoperator8
UT (s) = 1 −
i
T
~
Z s
Ĥ(s0 ) Ut (s0 ) ds0 .
(2.61)
0
Sofern das Integral auf der rechten Seite existiert (was wir aus physikalischen Gründen annehmen können), ergibt sich also trivialerweise
lim UT (1) = 1 ,
T →0
(2.62)
d.h. der Zustand ändert sich bei einer plötzlichen Änderung des Hamiltonians (zunächst)
nicht.9
8
Der Zeitparameter T sollte hier nicht mit dem Symbol für die Operatorzeitordnung in der Dyson-Reihe
verwechselt werden.
9
Nach der Störung ist der Zustand natürlich der Zeitentwicklung gemäß des Hamiltonoperators Ĥ1 unterworfen.
24
KAPITEL 2. ZEITABHÄNGIGE STÖRUNGSTHEORIE
Wenn wir für kleine, aber endliche, Werte von T also UT (1) ' 1 approximieren, können
wir uns fragen, von welcher Größenordnung der Fehler ist, den wir dabei machen. Mit anderen
Worten: Was ist die interne Zeitskala, mit der wir T vergleichen müssen? — Dazu betrachten
wir einen (normierten) Zustand |ψ0 i des Systems bei t = t0 und definieren einen zu diesem
Zustand orthogonalen Projektor als
Q0 ≡ 1 − |ψ0 ihψ0 | ,
Q0 |ψ0 i = 0 .
(2.63)
Die Fehlerabschätzung ergibt sich dann aus der Wahrscheinlichkeit, dass das Quantensystem
sich doch ändert, was dann gerade
pfehler = hψ1 |Q0 |ψ1 i = hψ0 |U † (t1 , t0 ) Q0 U (t1 , t0 )|ψ0 i .
(2.64)
Für kleine Werte von T können wir diesen Ausdruck als Taylorreihe in T entwicklen, wenn
wir wieder die entsprechende iterative Lösung von (2.61) einsetzen,
UT (1) = 1 −
i
T
~
Z 1
ds Ĥ(s) +
0
i2 2
T
~2
Z s1
Z 1
ds2 Ĥ(s1 )Ĥ(s2 ) + . . .
ds1
0
(2.65)
0
Hier tritt der über den Zeitraum T gemittelte Wert des Hamiltonoperators
H≡
Z 1
ds Ĥ(s)
(2.66)
0
auf. Einsetzen in pfehler ergibt den ersten nicht-verschwindenden Beitrag zur Ordnung T 2 ,
T2
hψ0 |HQ0 H|ψ0 i + O(T 4 )
~2
2
T2 T2 2
= 2 hψ0 |H |ψ0 i − hψ0 |H|ψ0 i2 + O(T 4 ) ≡ 2 ∆H + O(T 4 ) .
~
~
pfehler =
(2.67)
Demnach ist die “plötzliche Näherung” gerechtfertigt, sofern
T ~
∆H
(2.68)
gilt, welches man sofort als spezielle Variante der Unschärfebeziehung einsieht, d.h. der Kehrwert der internen Zeitskala des Quantensystems ist durch die Unschärfe der bzgl. T gemittelten Energie im entsprechenden Zustand definiert.
(b) Der Grenzfall T → ∞ (adiabatische Störung)
Der Einfachheit halber nehmern wir im Folgenden an, dass das Spektrum von Ĥ(s) diskret ist, mit Eigenwerten 1 , 2 , . . . und dazugehörigen Projektoren P1 , P2 , . . ., welche jeweils
kontinuierliche Funktionen von s sind (1 = 1 (s) etc.). Damit kann man den Hamiltonoperator in der Schrödingergleichung,
i~
d
UT (s) = T Ĥ(s) UT (s)
ds
(2.69)
durch
H(s) =
X
j
ausdrücken. Mit den weiteren Annahmen,
j (s) Pj (s)
(2.70)
2.5. PLÖTZLICHE VS. ADIABATISCHE STÖRUNG
25
(i) Für 0 ≤ s ≤ 1 gelte j (s) 6= k (s) für alle j 6= k, d.h. alle Eigenwerte bleiben während
des Übergangs separiert;
(ii) Die Ableitungen dPj /ds und d2 Pj /ds2 existieren und sind (abschnittweise) kontinuierlich auf (t0 , t1 );
folgt das sog. Adiabatische Theorem:
lim UT (s) Pj (0) = Pj (s) lim UT (s) .
T →∞
T →∞
(2.71)
Die Begründung diskutieren wir weiter unten. Den mathematisch detaillierten Beweis findet
man z.B. in [Messiah, Kap. XVII, §12].
Zunächst schauen wir uns den Spezialfall an, dass die Projektoren Pj zeitlich konstant
P
sind und sich nur die Eigenwerte j (s) ändern, d.h. Ĥ(s) = j j (s) Pj . Daraus folgt mit
[Pi , Pj ] = 0 sofort, dass
h
i
Ĥ(s), Pi =
X
j (s) [Pj , Pi ] = 0 ,
(2.72)
j
d.h. die Pi sind konstante der Bewegung, UT (s) Pi UT† (s) = Pi , sogar für alle T , insbesondere
für T → ∞, d.h. in diesem Fall ist (2.71) trivial erfüllt. Die Schrödingergleichung lässt sich
für diesen Fall direkt integrieren,
i
UT (s) = exp − T
~
Z s
0
0
ds Ĥ(s ) =
0
X
i
e− ~ T ϕj (s) Pj ,
(2.73)
j
mit ϕj (s) = 0s ds0 j (s0 ). D.h., wenn sich das System zur Zeit t0 im Eigenzustand j von Ĥ0
befindet, unterscheidet es sich davon nach der adiabatischen Störung nur einen Phasenfaktor.
Wenden wir uns jetzt dem allgemeinen Fall zu, bei dem die Projektoren Pj (s) nicht mehr
zeitlich konstant bleiben während der Störung. Dies können wir schreiben als
R
Pj (s) = A(s) Pj (0) A† (s) ,
(2.74)
wobei A(s) mit A(0) = 1 ein unitärer Operator ist, welcher die Basisvektoren von H(0) in
die Basisvektoren H(s) überführt (was also quasi einer Rotation des Koordinatensystems im
Hilbertraum entspricht).10 Wenn wir (2.74) ableiten, ergibt sich
i~
dPj
dA †
dA†
= i~
A (s) Pj (s) + i~ Pj (s) A(s)
≡ [K(s), Pj (s)]
ds
ds
ds
(2.75)
wobei wir
i~
dA
≡ K(s) A(s)
ds
mit K(s) = K † (s)
(2.76)
definiert haben.11 Die Funktion K(s) is durch (2.76) allerdings noch nicht eindeutig festgelegt,
da bei Addition eines Terms der Form
K(s) → K(s) +
X
Pk (s) F̂k (s) Pk (s)
(2.77)
k
10
Das ist hier nicht der Zeitentwicklungsoperator, da sich ja zusätzlich auch die Energieeigenwerte des
Systems ändern.
†
11
Man beachte, dass aufgrund von AA† = 1 die Beziehung dA
A† = −A dA
folgt.
ds
ds
26
KAPITEL 2. ZEITABHÄNGIGE STÖRUNGSTHEORIE
(2.75) weiterhin erfüllt bleibt. Eine bequeme Bedingung zur Fixierung von K(s) ist
!
Pj (s) K(s) Pj (s) = 0 .
(2.78)
Daraus erhält man (→ Übung)
K(s) = i~
X dPj
j
ds
Pj (s) .
(2.79)
Fazit: Die Transformation A(s) überführt alle Vketoren und Operatoren vom Schrödingerbild
ins sog. “rotating axis”–Bild,
H (A) (s) ≡ A† (s)H(s)A(s) =
X
j (s) Pj (0) ,
j
K (A) (s) ≡ A† (s)K(s)A(s) .
(2.80)
Analog zum Wechselwirkungsbild erhalten wir den Zeitentwicklungsoperator in diesem Bild
als
U (A) (s) ≡ A† (s) UT (s)
mit U (A) (0) = 1 ,
(2.81)
welcher dann folgende Schrödingergleichung erfüllt,
i~
dU (A) = T H (A) (s) − K (A) (s) U (A) (s) ,
ds
(2.82)
analog zum Wechselwirkungsbild (mit der Ersetzung VI → (T H − K)(A) .
Offensichtlich könnte man (2.82) einfach integrieren, wenn der Term K (A) (s) als klein
gegenüber T H (A) betrachtet werden kann, da in der Definition von H (A) (s) und K (A) (s)
keine explizite T -Abhängigkeit vorliegt. In der Tat ist dies unter den o.a. Bedingungen der
Fall.12 Im Grenzfall T → ∞ erhalten wir dann also für U (A) (s) wieder die triviale Lösung,
T →∞
U (A) (s) ' ΦT (s) ≡
X
e−iT ϕj (s)/~ Pj (0) ,
j
wobei dann für das Schrödingerbild aber noch die Rotation der Eigenvektoren zu berücksichtigen ist, d.h.
UT (s) = A(s)ΦT (s) (1 + O(1/T ))
' A(s)
X
e−iT ϕj (s)/~ Pj (0)
(“adiabatische Approximation”)
(2.83)
j
Da nun aber ΦT (s) ja mit Pj (0) kommutiert, folgt mit der Definition von A(s) in (2.74)
UT (s)Pj (0) ' A(s)ΦT (s)Pj (0) = A(s)Pj (0)ΦT (s) = Pj (0)A(s)ΦT (s) ' Pj (0)UT (s)
#
(2.84)
D.h. in erster Näherung können wir für den Zeitentwicklungsoperator in der adiabatischen
Approximation UT (1) ' A(1)φT (1) benutzen, wobei φT (1) durch (2.73) gegeben ist, und A(1)
als Lösung von (2.76) mit K(s) aus (2.79). D.h. im konkreten Fall müssen wir zunächst die
Zeitabhängigkeit der Eigenvektoren als Funktion von s kennen, d.h. der praktische Nutzen
ist nicht so offensichtlich wie im Falle der plötzlichen Störung.
12
siehe z.B. die Diskussion in [Messiah, Kap. XVII, §12].
Kapitel 3
Streutheorie
Streuprozesse spielen eine wichtige Rolle in der Untersuchung von Strukturen bei kleinen
Abständen. Eine typische Situation für Streuprozesse in der QM sieht folgendermaßen aus:
- Ein Teilchenstrahl der Sorte A
- trifft ein Target (Teilchen der Sorte B)
- und ein Detektor misst den abgelenkten Teilchenstrahl.
Ein berühmtes Beispiel ist das Rutherford-Experiment (aus dem u.a. geschlossen wurde, daß
die positive Ladung im Atomkern konzentriert ist).
Um Strukturen bei kleinen Abständen aufzulösen, benötigen wir im Allgemeinen Teilchenstrahlen mit großem Impuls (wegen der Unschärferelation ∆x∆p ≥ ~/2). In der Teilchenphysik studieren wir insbesondere relativistische Stöße (d.h. die Produktion von neuen Teilchen
C, D . . . gemäß ∆E = mc2 ) – relativistische Streuprozesse sind Gegenstand der Quantenfeldtheorie. Hier wollen wir uns im Folgenden auf nicht-relativistische Impulse und elastische
Stöße beschränken (d.h. es gibt keinen Energieübertrag auf angeregte Zustände B ∗ ).
elastisch: A + B → A + B
inelastisch: A + B → A + B ∗
relativistisch: A + B → C + D + ...
27
(3.1)
28
KAPITEL 3. STREUTHEORIE
3.1
Wirkungsquerschnitt
Detektor
~k
Target
B
θ, ϕ
z
Teilchenstrahl A
Zur Beschreibung des Streuprozesses ist es sinnvoll, Polarkoordinaten einzuführen
x = r sin θ cos ϕ
y = r sin θ sin ϕ
z = r cos θ
x2 + y 2 + z 2 = r 2
Nullpunkt bei Target B
z-Achse entlang Teilchenstrahl A
,
,
,
so daß das Flächenelement vom Detektor
r2 dΩ = r2 dϕ dθ sin θ
ist. (θ: Polarwinkel, ϕ: Azimuthalwinkel)
Experimentell bestimmt man den sogenannten differentiellen Wirkungsquerschnitt
dσ(θ, ϕ)
Strom der in (θ, ϕ) gestreuten Teilchen 2
:=
·r .
dΩ
Strom der einfallenden Teilchen
(3.2)
Der Wirkungsquerschnitt hat die Dimension einer Fläche, und eine übliche Einheit ist 1 barn
≡ 1 b = 10−24 cm2 (vgl. z.B. totaler Wirkungsquerschnitt am LHC: ∼ 100 mb).
Theoretische Beschreibung:
Wir approximieren das Target B als effektives (zeitunabhängiges) Potential – wir sprechen
dann von “Potential-Streuung” – eine Annahme, die für elastische Stöße gerechtfertigt ist.
Damit suchen wir eine Lösung der Schrödinger-Gleichung mit dem Hamiltonoperator
Ĥ =
Ĥ
0
|{z}
Teilchenstrahl A
p
~2
2m
3.2
+
V̂
|{z}
Target B
z.B. CoulombPotential
Lippman-Schwinger-Gleichung
Ausgehend von Ĥ = Ĥ0 + V̂ wollen wir eine Selbstkonsistenz-Gleichung für die (stationären)
Lösungen der Schrödingergleichung herleiten.
• Dazu betrachten wir zunächst stationäre Lösungen von Ĥ0
Ĥ0 |φi = E |φi ,
d.h. insbesondere für freie Teilchen hx|φi ∼ e−i~p·~x/~ und E = p2 /2m.
(3.3)
3.2. LIPPMAN-SCHWINGER-GLEICHUNG
29
• Für elastische Streuung suchen wir Lösungen von
(Ĥ0 + V̂ ) |ψi = E |ψi
⇔
(E − Ĥ0 ) |ψi = V̂ |ψi
(3.4)
Wir möchten den Operator (E − Ĥ0 ) gerne invertieren, so daß
|ψi = „(E − Ĥ0 )−1 “ V̂ |ψi
Dieses Problem ist analog zur Matrixinvertierung in der Linearen Algebra,
A·v =B·v
⇔
v = „A−1 “ · B · v + n
wobei n ∈ Kern(A), d.h. A · n = 0.
In unserem Fall gilt: Kern(E − Ĥ0 ) = |φi, denn die Lösungen von Ĥ0 erfüllen ja (E −
Ĥ0 ) |φi = 0.
Es bleibt aber noch zu klären, wie man die Pseudoinverse von (E − Ĥ0 ) bestimmt. Das
Problem ist hierbei, daß die Energie E, bzw. das Spektrum von Ĥ0 , kontinuierlich ist.
Für endlich dimensionale Matrizen wäre dagegen die Inverse einfach auf dem zum Kern
von A komplementären Teilraum definiert, so daß
„A−1 “ · A = diag(1, 1, ..., 1,
0, ..., 0
).
| {z }
dim(Kern(A))
Wir verwenden nun einen mathematischen Trick (dessen physikalische Berechtigung
weiter unten erläutert wird). Dazu führen wir einen kleinen Imaginärteil ein, via
(E − Ĥ0 )−1 → (E − Ĥ0 + i)−1 ,
> 0.
Damit hat der inverse Operator formal keine Polstellen auf der reellen Achse mehr. Wir
werden am Ende der Rechnung dann wieder → 0+ setzen.
Damit erhalten wir eine implizite Gleichung für |ψi, die sogenannte Lippmann-Schwinger–
Gleichung:
|ψi = (E − Ĥ0 + i)−1 V̂ |ψi + |φi
Bemerkungen:
– Dies ist zunächst nur eine selbst-konsistente Gleichung, d.h. sie liefert in dieser
Form keine explizite Lösung für |ψi.
– Allerding kann man für kleine Streupotentiale V̂ wieder (iterativ) eine Störungsreihe konstruieren (s.u.).1
1
Im Unterschied zur zeitunabhängigen Störungstheorie für gebundene Zustände mit diskreten Energieeigenwerten müssen wir uns hier aber noch die Konsequenzen der i-Vorschrift ausarbeiten.
(3.5)
30
KAPITEL 3. STREUTHEORIE
Ortsdarstellung der LS-Gleichung:
Wenn wir die LS-Gleichung
im Ortsraum betrachten, erhalten wir nach Projektion mit h~x|
R
und Einschieben von 1 = d3 x0 |~x0 i h~x0 |,
ψ(~x) = h~x|ψi
= h~x|φi +
Z
Z
= φ(~x) +
0
0
d3 x0 h~x|(E − Ĥ0 + i)−1 |~x i h~x |V̂ |ψi
0
0
0
d3 x0 h~x|(E − Ĥ0 + i)−1 |~x i V (~x ) ψ(~x )
{z
|
≡G(~
x,~
x0)
(3.6)
}
0
Dabei bezeichnet G(~x, ~x ) gerade die Greensche Funktion zum Differentialoperator (E −
Ĥ0 + i) in der Ortsdarstellung, d.h.
(E +
~2
~2 ∇
0
0
+ i)G(~x, ~x ) = δ (3) (~x − ~x )
2m
(3.7)
[allgemein:
Differentialoperator σx G(x) = δ(x), dann erhält man spezielle Lösung der Differentialgleichung
σx f (x) = j(x)
durch Faltung
Z
fpart (x) =
dy G(x − y)j(y)
]
0
Berechnung von G(~x, ~x ) in LS-Gleichung
0
Wir transformieren G(~x, ~x ) zunächst im Impulsraum (da dort Ĥ0 eine einfache Funktion von
p~ ist)
0
d3 p
d3 p0
0
0
0
h~x |~
p i h~
p |(E − Ĥ0 + i)−1 |~
p i h~
p |~x i
(2π~)3 (2π~)3
Z
0
0
d3 p
d3 p0 i~p·~x/~
1
0
=
e
(2π~)3 δ 3 (~
p − p~ ) e−i~p ·~x /~
3
3
(2π~) (2π~)
E − Ĥ0 + i
Z
3
0
d p
1
=
,
ei~p(~x−~x )
3
(2π~)
E − Ĥ0 + i
Z
G(~x, ~x ) =
|
{z
(3.8)
}
G̃(~
p)
wobei wir benutzt haben, dass der Operator (E − Ĥ0 + i) im Impulsraum nur Diagonalele0
mente (mit |~
p i = |~
p i) besitzt, und somit die d3 p0 –Integration trivial ist. Daraus sehen wir
0
0
insbesondere, daß G(~x, ~x ) ≡ G(~x − ~x ), und die Fourier-Transformierte G̃(~
p) nur von einer
Impulsvariablen p~ abhängt. Dies ist eine Konsequenz der Translationsinvarianz von Ĥ0 .
3.2. LIPPMAN-SCHWINGER-GLEICHUNG
31
Wir berechnen das Fourier-Integral mittels Polarkoordinaten und verwenden Ĥ0 |~
pi =
Z ∞
G(~r) =
=
=
dϕ
d cos θ
−1
0
=
Z 2π
Z 1
dp p2
2π
(2π~)3
Z ∞
1
(2π~)2
Z ∞
1
(2π~)2
Z ∞
0
dp p2
0
eipr cos θ/~
1
3
p
(2π~) E − 2 + i
2m
eipr/~ − e−ipr/~
1
2
p
ipr/~
E − 2m + i
dp p
eipr/~ − e−ipr/~
1
p2
ir
E − 2m + i
dp p
eipr/~
−2m
2
ir p − 2mE − i
0
−∞
p
~2
2m ,
peipr/~
√
(3.9)
(p − 2mE − i0 )(p + 2mE + i0 )
−∞
√
wobei wir eine neue infinitesimale Größe 0 > 0 mit = 2mE 20 eingeführt und Terme der
Ordnung (0 )2 vernachlässigt haben.
Das verbleibende Integral lässt sich direkt mit dem Residuensatz auswerten. Da der Zähler
für |p| → ∞ und Im[p] > 0 exponentiell abfällt, kann man den Integrationsweg
in der oberen
√
Halbebene schließen. Der Integrationsweg schließt die Polstelle z0 = 2mE + i0 ein. Der
Residuensatz ergibt dann
=
1 2mi
(2π~)2 r
G(~r) =
Z ∞
√
dp
1 2mi
lim
(2π~)2 r R→∞
I
dz
γ(R)
iz
e 0 r/~
zeizr/~
(z + z0 )(z − z0 )
1 2mi
z0
2πi
2
(2π~) r
2z0
ikr
2m e
=− 2 ·
~
4πr
=
√
(3.10)
0
mit k = 2mE
und r = |~x − ~x |. Setzen wir das Ergebnis für die Greensche Funktion in die
~
LS-Gleichung ein, erhalten wir schließlich die gesuchte Ortsdarstellung der LS-Gleichung
0
2m
ψ(~x) = φ(~x) − 2
~
Z
eik|~x−~x |
d x
V (x0 ) ψ(x0 )
4π|~x − ~x 0 |
3 0
(3.11)
Man kann diese Gleichung in den meisten Fällen noch etwas vereinfachen:
• Dazu betrachten wir das asymptotische Verhalten für einen weit entfernten Detektor:
|~x| a, wobei wir annehmen, daß das Streupotential nur eine endliche Reichweite hat,
0
0
die durch den Abstandsparameter a charakterisiert wird, d.h. V (~x ) ≈ 0 für |~x | > a.
Dann können wir im Integranden bzgl. |x0 /x| entwickeln,
0
|~x − ~x | =
p
r2 − 2rr0 cos θ + r02 = r(1 − 2
≈ r − r0 cos θ = r −
~x · ~x
|~x|
1
r0
cos θ + ...) 2
r
0
(3.12)
32
KAPITEL 3. STREUTHEORIE
0
Im Nenner der Greenschen Funktion, 1/|~x − ~x | ≈ 1/r, nehmen wir nur den führenden Term mit; im Exponenten der e-Funktion auch den zweiten Term, da dieser den
führenden nicht-trivialen Beitrag zur Phase liefert.
Im Phasenfaktor wollen wir die führende nicht-triviale Abhängigkeit von der Richtung von
~x berücksichtigen. Wir definieren dazu den Wellenzahlvektor ~k 0 in Richtung des Detektors
~k 0 = |~k| · ~x
|~x|
(3.13)
so daß |~k 0 | = |~k| und ~k 0 k ~x. Dann gilt:
0
~0
0
eik|~x−~x | ≈ eikr e−i k ·~x .
und insgesamt erhalten wir die Näherung
ψ(~x) ≈ φ(~x) −
2m eikr
~2 4πr
Z
~0
0
0
0
d3 x0 e−ik ~x V (~x ) ψ(~x )
(3.14)
In dieser Form beschreibt der zweite Term gerade eine vom Streuzentrum ausgehende Kugelwelle (Huygens’sches Prinzip). Die Stärke der Kugelwelle wird durch die sog. Streuamplitude f (~k, ~k 0 ) beschrieben, welche wir definieren über:
eikr
~
Def.: ψ(~x) = eik~x + f (~k, ~k 0 ) ·
r
(3.15)
wobei die Streuamplitude dann gerade gegeben ist durch2
f (~k, ~k 0 ) = −
2m 1
~2 4π
Z
~0
0
0
0
d3 x0 e−i k ·~x V (~x ) ψ(~x ) = −
2m 1 ~ 0
· hk |V̂ |ψi .
~2 4π
(3.16)
Wir können jetzt den differentiellen Wirkungsquerschnitt durch die Streuamplitude ausdrücken:
• Dazu benötigen wir die Stromdichte für eine gegebene Wellenfunktion
~ =
~
~ − ψ ∇ψ
~ ∗ ).
(ψ ∗ ∇ψ
2mi
• Für Kugelwellen verwenden wir wieder Kugelkoordinaten:
~ = 1 ∂ψ ~eθ + 1 ∂ψ ~eϕ + ∂ψ ~er
∇ψ
r ∂θ
r sin θ ∂ϕ
∂r
wobei für Kugelwelle nur
registriert wird, als
∂ψ
∂r
beiträgt. Daraus ergibt sich der Strom, welcher im Detektor
~
∂ψ ∗
∗ ∂ψaus
=
ψaus
− ψaus aus
2mi
∂r
∂r
~er · ~aus
(3.17)
0
In dieser Darstellung sehen wir auch, warum wir in der Entwicklung von |~
x−~
x | den Term mit k0 beibehalten haben, denn so ergibt sich die Streuamplitude gerade als einfaches Matrixelement des Streupotentials
im Impuls- bzw. Wellenzahlvektorraum.
2
3.2. LIPPMAN-SCHWINGER-GLEICHUNG
33
ikr
mit ψaus = f (~k, ~k 0 ) e r
⇒ ~er · ~aus
~k |f (k, k 0 )|2
1
=
+O 3 .
·
2
m
r
r
r→∞
(3.18)
• Für die einlaufende ebene Welle erhalten wir entsprechend direkt
~in =
~~k
p~
=
= ~v .
m
m
(3.19)
Mit der obigen Definition von dσ folgt der differentielle Wirkungsquerschnitt
|f (~k, ~k 0 )|2 2
dσ
· r = |f (~k, ~k 0 )|2
=
dΩ
r2
(3.20)
welcher also einfach als Betragsquadrat der Streuamplitude gegeben ist.
3.2.1
Zur physikalischen Bedeutung des Vorzeichens von i
Wir wollen nun noch eine physikalische Motivation für die Einführung der i-Vorschrift geben.
Insbesondere stellt sich die Frage des Vorzeichens (Zur Erinnerung: in obiger Herleitung spielte
das Vorzeichen von i eine Rolle bei der Anwendung des Residuensatz.)
Wir betrachten dazu das Ausgangsproblem noch einmal unter dem Gesichtspunkt der
zeitabhängigen Schrödingergleichung
∂
i~ − Ĥ0 |ψ(t)i = V̂ |ψ(t)i ,
∂t
t→−∞
wobei wir als Anfangsbedingung annehmen |ψ(t)i −−−−→ |φ(t)i, d.h. zu Zeiten in der fernen
Vergangenheit (d.h. wenn der Teilchenstrahl noch nicht mit dem Target wechselwirkt) werden
die Teilchen durch die freien Lösungen mit
∂
i~ − Ĥ0 |φ(t)i = 0
∂t
beschrieben. Die formale Lösung dieser Gleichung
kann
wieder mittels der Greenschen Funk∂
tion (diesmal für den Differentialoperator i~ ∂t − Ĥ0 ) konstruiert werden.3
∂
i~ − Ĥ0 G+ (t, t0 ) = δ(t − t0 )
∂t
(3.21)
Hierbei beschränken wir uns auf die sog. „retardierte Green-Funktion“ mit der Eigenschaft
G+ (t, t0 ) = 0 für t < t0 . Grund hierfür ist das Kausalitätsprinzip: Das Potential (der
inhomogene Term in der Differentialgleichung) darf ψ(t) nur nach der Wechselwirkung bei t0
beeinflussen. Die Lösung für G+ kann man direkt „raten“:
G+ (t, t0 ) =
3
i
1
0
θ(t − t0 ) e− ~ Ĥ0 (t−t )
i~
Hierbei lassen wir die Ortsabhängigkeit erst einmal außen vor.
(3.22)
34
KAPITEL 3. STREUTHEORIE
weil
∂
∂t
θ(t − t0 ) = δ(t − t0 ). Damit ergibt sich für die Zeitabhängigkeit des gesuchten Zustands
|ψ(t)i = |φ(t)i +
= |φ(t)i +
Z
dt0 G+ (t, t0 ) V̂ |ψ(t0 )i
Z t
1 − i Ĥ0 (t−t0 )
V̂ |ψ(t0 )i
e ~
i~
dt0
−∞
(3.23)
Wir wollen |ψ(t)i als ebene Welle idealisieren. Allerdings spürt |ψ(t)i das Potential auch
bei t → −∞ (und ist somit zu keinem Zeitpunkt wirklich eine Lösung der Schrödingergleichung mit Ĥ = Ĥ0 + V̂ ). Als Ausweg aus diesem Widerspruch stellen wir uns vor, daß das
Streupotential „adiabatisch“ eingeschaltet wird:4
0
V̂ → V̂ (t0 ) = lim V̂ · et /~
→0+
so daß
(
0
V̂ (t ) =
für t0 = endlich, → 0+
für t0 → −∞,
> 0 endlich
V̂
0
Wir wählen ohne Beschränkung der Allgemeinheit t0 = 0 und setzen das modifizierte Streupotential V̂ (t0 ) ein, und erhalten:
|ψ(0)i = |φ(0)i +
Z 0
dt0
−∞
t0
1 i Ĥ0 t0
e~
V̂ e ~ |ψ(t0 )i
i~
(3.24)
Wenn wir jetzt wieder für die Zeitabhängigkeit |ψ(t0 )i wie in der ursprünglichen Herleitung
der Lippmann-Schwinger–Gleichung eine stationäre Lösung mit fester Energie
i
0
|ψ(t0 )i = e− ~ Et |ψ(0)i
(3.25)
fordern, und dies oben einsetzen ergibt sich nach Integration über dt0 in der Tat
|ψ(0)i = |φ(0)i +
Z 0
dt0
−∞
|ψ(0)i = |φ(0)i +
3.3
1 − i (E−Ĥ0 +i)t0
e ~
V̂ |ψ(0)i
i~
1
V̂ |ψ(0)i
E − Ĥ0 + i
(3.26)
(3.27)
Optisches Theorem
Das optische Theorem stellt einen Zusammenhang zwischen dem totalen Wirkungsquerschnitt
und dem Imaginärteil der Vorwärts-Streuamplitude (~k 0 = ~k) her:
Z
σtot =
4
dσ
4π
dΩ =
Im[f (~k, ~k 0 = ~k)]
dΩ
k
(3.28)
Äquivalent könnte man auch argumentieren, daß der Teilchenstrahl keine ideale ebene Welle, sondern ein
Wellenpaket mit endlicher Ausdehnung ∆L ist, welche aber viel größer ist als die Reichweite des Streupotentials.
3.3. OPTISCHES THEOREM
35
Das optische Theorem gilt ganz allgemein für dynamische Systeme, welche durch einen erhaltenen Strom beschrieben werden.
In unserem Spezialfall können wir es direkt aus der Lippmann-Schwinger–Gleichung herleiten. Dazu schreiben wir den Imaginärteil aus
1
2m
Im[f (~k, ~k)] = − Im h~k| 2 V̂ |ψi ,
4π
~
(3.29)
h~k| ≡ hφ| = hψ| − hψ| V̂ (E − Ĥ0 − i)−1
(3.30)
und setzen
aus der adjungierten Lippmann-Schwinger-Gleichung ein:
h
m
⇒ Im[f (~k, ~k)] = −
Im
2π~2
{z
|
i
1
V̂ |ψi
E − Ĥ0 − i
− hψ|V̂
hψ|V̂ |ψi
}
(3.31)
reell, weil V̂ hermitesch
Um den Imaginärteil des 2. Terms zu bestimmen, brauchen wir die allgemeine Formel5
1
=
E − Ĥ0 − i
P.P.
E − H0
{z
|
iπδ(E − H0 )
+
|
}
Hauptwertintegral,
reell
{z
(3.32)
}
Imaginärteil nur
relevant für E = H0
Damit erhält man:
m
Im[f (~k, ~k)] = 2 hψ|V̂ δ(E − Ĥ0 ) V̂ |ψi
2~
(3.33)
Die δ-Distribution mit Operator-wertigem Argument ist auf den Eigenzuständen von Ĥ0
5
Zur Definition des Hauptwertintegrals:
Z
P.P.
dz
f (z)
:= lim
z − z0
η→0+
Z
z0 −η
Z
∞
+
−∞
z0 +η
f (z)
z − z0
für Testfunktionen f (z), für die die rechte Seite existiert. D.h.
Z
dz
f (z)
= P.P.
z − z0 ± i
Z
dz
f (z)
+
z − z0
Z
z0 +η
dz
z0 −η
|
f (z)
z − z0 ± i
{z
(∗)
}
Für kleine η approximieren wir f (z) ≈ f (z0 ) in (∗) und erhalten so
Z
z0 +η
⇒ (∗) ' f (z0 )
dz
z0 −η
1
z − z0 ± i
η ± i
= f (z0 ) ln
−−−→ ∓iπf (z0 ) = ∓iπ
−η ± i →0
Z
dz δ(z − z0 ) f (z)
36
KAPITEL 3. STREUTHEORIE
definiert, also
m
Im[f (~k, ~k)] = 2
2~
d3 k 0
hψ|V̂
(2π)3
Z
|~k 0 i h~k 0 |V̂ |ψi
δ(E − Ĥ0 )
|
{z
2 2
2
}
0 2
(k )
k
= δ( ~2m
− ~ 2m
)
m
0
= ~2 k δ(|k| − |k |)
Z
m2 k
2~4 (2π)3
k
=
· σtot
4π
~2
4π
2m
=
3.4
dΩ hψ|V̂ |k i hk |V̂ |ψi
0
|k |=|k|
!2 Z
m2 k
=
·
2~4 (2π)3
~0
~0
dΩ |f (~k, ~k 0 )|2
#
(3.34)
Bornsche Näherung
Wenn wir das Streupotential als kleine Störung des Teilchenstrahls betrachten, können wir
wieder eine Störungsreihe zur Lösung der Lippmann-Schwinger-Gleichung konstruieren und
daraus die Streuamplitude f (~k, ~k 0 ) approximativ berechnen.
Man definiert dazu zunächst den sog. Übergangsoperator gemäß
V̂ |ψi ≡ T̂ |φi ,
(3.35)
so daß
f (~k, ~k 0 ) ∝ hk 0 |V̂ |ψi ≡ hk 0 |T̂ |ki
Die LS-Gleichung kann man dann umschreiben. Dazu multiplizieren wir die gesamte Gleichung zunächst von links mit V̂ und erhalten:
V̂ |ψi = V̂ |φi + V̂ (E − Ĥ0 + i)−1 V̂ |ψi
⇒
T̂ |φi = V̂ |φi + V̂ (E − Ĥ0 + i)−1 T̂ |φi
(3.36)
Da {|φi} einen vollständigen Satz von Basiszuständen bilden, können wir daraus die Operatoridentität
T̂ = V̂ + V̂ (E − Ĥ0 + i)−1 T̂
(3.37)
ableiten. Aufgelöst nach dem Übergansoperator T̂ ergibt das
h
T̂ = 1 − V̂ (E − Ĥ0 + i)−1
i−1
V̂ .
(3.38)
Diesen Ausdruck können wir jetzt wieder formal in V̂ entwickeln und erhalten die sog. “Bornsche Reihe”
T̂ = V̂ + V̂ (E − Ĥ0 + i)−1 V̂ + ...
(3.39)
Aus der Störungsreihe für den Übergangsoperator erhält man die entsprechende Reihe für
die Streuamplitude
f (~k, ~k 0 ) =
∞
X
n=1
f (n) (~k, ~k 0 )
(3.40)
3.4. BORNSCHE NÄHERUNG
37
mit 1. Bornscher Näherung
1 2m ~ 0 ~
1 2m
f (1) (~k, ~k 0 ) = −
hk |V̂ |ki = −
2
4π ~
4π ~2
Z
~0 ~
0
0
d3 x0 e−i(k −k)~x V (~x )
(3.41)
welche gerade die Fourier-Transformierte des Streupotentials repräsentiert;
und 2. Bornscher Näherung
1 2m ~ 0
f (2) (~k, ~k 0 ) = −
hk |V̂ (E − Ĥ0 + i)−1 V̂ |~ki
4π ~2
etc.
(3.42)
Anmerkung:
Ein Kriterium für die Konsistenz der Bornschen Näherung ist, daß die Abweichung von der Lösung
~
ψ(~x) von φ(~x) = eik~x tatsächlich eine Korrektur darstellt, d.h. daß betragsmäßig
|ψ(~x) − φ(~x)| |φ(~x)| = 1
Mit der LS-Gleichung im Ortsraum übersetzt sich dies in:
0
2m Z
i~
k|~
x−~
x |
0
0
3 0 e
i~
k~
x !
d x
V (~x ) e
1
2
~
4π|~x − ~x 0 |
(3.43)
Ob das Kriterium im konkreten Fall gilt, hängt also ab von
- Stärke des Potentials
- Reichweite des Potentials
- Teilchenstrahlenergie
- Teilchenmasse
Beispiele für Streupotentiale
Häufig betrachten wir rotationssymmetrische Potentiale, d.h. V (~x) = V (r = |~x|).
Dann definieren wir den Impulsübertrag ~q = ~k − ~k 0 mit
~k 0
q 2 = |~k − ~k 0 |2 = k 2 − 2kk 0 cos θ + k 02
~q
= 2k 2 · (1 − cos θ)
θ
= 4k 2 · sin2
2
θ
(3.44)
~k
In diesem Fall erhält man für die Fourier-Tranformation des Streupotentials
Z
3
i q~·~
r
d re
Z ∞
V (r) = 2π
2
r dr
= 2π
0
0
d cos θ0 eiqr cos θ V (r)
−1
0
Z ∞
4π
=
q
Z 1
1 iqr
(e − e−iqr ) V (r)
r2 dr
iqr
Z ∞
rdr V (r) sin(qr)
0
(3.45)
38
KAPITEL 3. STREUTHEORIE
bzw.
f
(1)
2m 1
(q) = − 2
~ q
Z ∞
rdr V (r) sin(qr)
(3.46)
0
1. Streuung am Yukawa-Potential:
Das Yukawa-Potenial ist gegeben durch
V (r) = V0 ·
e−µr
r
(µ > 0)
(3.47)
Dann ergibt die Fourier-Transformation (→ Übung)
f (1) (q) = −
2mV0
1
2
2
~
q + µ2
(3.48)
und daraus ergibt sich der differentielle Wirkungsquerschnitt.6
#2
"
2mV0
1
dσ (1)
=
2
2
2
dΩ
~ 4k sin 2θ + µ2
(3.49)
Die Winkelintegration dΩ = dϕ sin θ dθ läßt sich ausführen und man erhält (→ Übung)
(1)
σtot
=
2mV0
~2
2
4π
+ µ4
(3.50)
4k 2 µ2
2. Streuung am Coulomb-Potential:
Für µ → 0 ergibt sich aus dem Yukawa-Potential das Coulomb-Potential
V (r) = V0
1
r
(3.51)
(z.B. mit V0 = Z Z 0 e2 für Streuung zweier Kerne Z und Z 0 ).
Der differetielle Wirkungsquerschnitt in Bornscher Näherung liefert tatsächlich das
(richtige) klassische Resultat für die Rutherford-Streuung
#2
"
dσ (1)
2m
1
=
ZZ 0 e2 2 2
2
dΩ
~
4k sin
θ
2
"
ZZ 0 e2
=
4E
#2
1
sin4
θ
2
(3.52)
6
Für k2 µ2 dominiert der winkelunabhängige Term, und man erhält isotrope Streuung in alle Richtungen.
Für k2 µ2 dominiert der 1/ sin4 θ2 -Term und die Streuung erfolgt hauptsächlich in Vorwärtsrichtung (sin θ2 =
0 ⇔ θ = 0 für θ ∈ (−π, π)
3.4. BORNSCHE NÄHERUNG
39
Allerdings ist das Zwischenergebnis für die Streuamplitude inkorrekt, weil unsere Annahme, daß das Potential räumlich beschränkt ist, nicht mehr erfüllt ist (im Gegensatz
zum Yukawa-Potential, wo reff ∼ µ1 ). Das richtige Ergebnis für f (q) enthält als Auswirkung der langreichweitigen Wechselwirkung eine zusätzliche sog. Coulomb-Phase
(siehe z.B. die Diskussion in Sakurai, Kap. 7.13).
3. Modifikation:
In (elektrisch neutralen) Atomen ist das Coulomb-Potenial des Atomkerns bei großen
Abständen von der Elektron-Ladungsverteilung abgeschirmt:
⇒ V (~x) ≈ 0 für
|x| > rAtom (Bohrradius)
Das Gesamtpotential läßt sich dann schreiben als
ZZ 0 e2
V (~x) =
−
r
Z
d3 x0
Z 0 e2
0
ρe (~x )
|~x − ~x 0 |
(3.53)
mit der normierten Elektronladungsdichte
Z
0
0
d3 x0 ρe (~x ) ≡ Z
(3.54)
0
und ρe (~x ) ≈ 0 für |~x | > rAtom .
Wir können V (~x) auch schreiben als Faltung mit einer Gesamt-Ladungsverteilung
Z
d3 x
V (~x) =
0
0
0
mit ρtot (~x ) = Z δ (3) (~x ) − ρe (~x ) und
Z 0 e2
0
x )
0 ρtot (~
|~x − ~x |
(3.55)
R 3 0
d x ρtot (~x) = 0.
Damit berechnet sich die Streuamplitude in 1. Bornscher Näherung zu
f (1) (~q) = −
2m
~2
Z
d3 r
Z
d3 x0 ei q~·~r
Z 0 e2
0
ρtot (~x )
|~r − ~x 0 |
(3.56)
Wir können nun erst das d3 r-Integral ausführen (wie bereits weiter oben, mit der Substitution
0
~r → ~r + ~x )
Z
ei q~·~r
ei q~·~x
d r
0 =
|~r − ~x |
q2
0
3
(3.57)
Daraus lesen wir die Streuamplitude ab:
⇒f
(1)
2m ZZ 0 e2
1
1−
(~q) = − 2
2
~
q
Z
|
Z
3 0
0
i~
q~
x
0
d x ρl (x )e
{z
F (~
q)
(3.58)
}
wobei wir den sog. Formfaktor F (~q) eingeführt haben. Für den differentiellen Wirkungsquerschnitt erhalten wir somit
dσ dσ
=
· |F (~q)|2
(3.59)
dΩ
dΩ Punktteilchen
• d.h. Formfaktor F (~q) = Fouriertransformation der (ggf. normierten) Ladungsverteilung
• F (~q) gibt Aufschluß über innere Struktur von ausgedehnten (Ladungs-, ...) Verteilungen.
• F (q 2 = 0) = Gesamtladung
40
KAPITEL 3. STREUTHEORIE
3.5
Partialwellenanalyse
Für rotationssymmetrische Potentiale läßt sich die Streuamplitude noch vereinfachen, wenn
man die Eigenzustände des Drehimpulsoperators benutzt.
• Für V (~x) = V (r = |~x|) und |φi = |~k = k~ez i ist das Problem invariant unter Änderung
des Azimuthalwinkels ϕ
⇒ ψ(~x) = ψ(r, θ) und
f (~k, ~k 0 ) = f (k, cos θ)
Aus QM I wissen wir weiterhin, daß für [Ĥ, L̂i ] = 0 die Wellenfunktion faktorisiert
ψ(~x) = Rkl (r) ·
Ylm (θ, ϕ)
| {z }
|
{z
}
Radialanteil Kugelflächenfunktionen
Kugelflächenfunktionen
Wir wiederholen kurz noch einige Eigenschaften der Kugelflächenfunktionen. Diese sind
gegeben durch die Matrixelemente
Ylm (θ, ϕ) = hθϕ|lmi
mit Drehimpulseigenzuständen |lmi
~ 2 |lmi = ~2 l(l + 1) |lmi ,
L
L̂z |lmi = ~m |lmi
(3.60)
wobei die Drehimpulsquantenzahl die Werte l = 0, 1, ... annimmt, und die magnetische Quantenzahl entsprechend m = −l, ..., l erfüllt.
• Es gilt die Orthogonalitätsrelation:
hlm|l0 m0 i = δll0 δmm0 =
Z
∗
dΩ Ylm
(θ, ϕ) Yl0 m0 (θ, ϕ)
(3.61)
• In unserem Fall (unabhängig von ϕ) benötigen wir lediglich
s
Ylm=0 (θ)) =
2l + 1
· Pl (cos θ)
4π
(3.62)
wobei Pl (cos θ) die sog. Legendre-Polynome sind, und als Basis für die θ-Abhängigkeit
der Wellenfunktion und der Streuamplitude verwendet werden können. Es gilt wieder
eine Orthogonalitätsrelation:
Z 1
−1
d cos θ Pl (cos θ) Pl0 (cos θ) =
2
δll0
2l + 1
(3.63)
An den Endpunkten erfüllen die Legendre-Polynome gerade: Pl (1) = 1, Pl (−1) = (−1)l .
3.5. PARTIALWELLENANALYSE
41
Wir entwickeln nun die Streuamplitude in sog. Partialwellen mit l = 0, 1, .., ∞
f (~k, ~k 0 ) = f (k, θ) =
∞
X
(2l + 1) fl (k) Pl (cos θ)
(3.64)
l=0
Dabei ist der Normierungsfaktor (2l + 1) Konvention, und die Koeffizienten fl (k) bezeichnen
die Amplitude der jeweiligen Partialwelle.
Für große Abstände (weit entfernter Detektor) gilt dann also
ψk (r, θ) = eikz + f (k, θ)
eikr
r
mit der obigen Partialwellenentwicklung für f (k, θ). Wir entwickeln nun noch entsprechend
die ebene Welle eikz = eikr cos θ in Partialwellen:
ikr cos θ
e
≡e
iρ cos θ
≡
∞
X
al (ρ) · Pl (cos θ) ,
(3.65)
l=0
wobei wir als Abkürzung die dimensionslose Größe ρ = (kr) eingeführt haben. Die Koeffizienten al (ρ) können unter Ausnutzung der Orthogonalitäts-Relation bestimmt werden:
al (ρ) =
2l + 1
2
Z 1
−1
dξ Pl (ξ) eiρξ
(3.66)
Die Integrale liefern gerade (bis auf einen Vorfaktor) die sog. sphärischen Besselfunktionen
al (ρ) = (i)l (2l + 1) jl (ρ)
z.B. j0 (ρ) = sin ρ/ρ
j1 (ρ) = sin ρ/ρ2 − cos ρ/ρ
j2 (ρ) = (3 − ρ2 ) sin ρ/ρ3 − 3 cos ρ/ρ2
(3.67)
Für große ρ (r → ∞, k fest) verhalten sich diese wie
ρ→∞
jl (ρ) −−−→
1
π
sin(ρ − l )
ρ
2
(3.68)
d.h.
eikz →
=
∞
X
π
1
(i)l (2l + 1) sin(ρ − l ) Pl (cos θ)
ρ
2
l=0
∞
X
π
eil 2 (2l + 1)
l=0
=
∞
X
l=0
(2l + 1)
1 iρ−il π
−iρ+il π2
2 − e
(e
) Pl (cos θ)
2iρ
1 iρ
(e − e−i(ρ−lπ) ) Pl (cos θ)
2iρ
(3.69)
42
KAPITEL 3. STREUTHEORIE
Fassen wir nun die Zerlegung von f (k, θ) und eikz zusammen, erhalten wir die Partialwellenzerlegung der Wellenfunktion für große Abstände
r→∞
ψ(r, θ) −−−→
∞
X
(
(2l + 1) Pl (cos θ)
l=0
1 iρ
eikr
(e − e−i(ρ−lπ) ) + fl (k)
2iρ
r
)
(3.70)
wobei wir die Terme in geschweiften Klammern gerade als Koeffizienten der Partialwellenentwicklung von ψ auffassen:
e−i(kr−lπ)
eikr
−
+ (1 + 2ik fl (k))
r
r
1
ψl (k) ≡ {...} =
2ik
!
(3.71)
d.h. die Anwesenheit des Streupotentials bewirkt für eine gegebene Partialwelle gerade, daß
ikr
der Vorfaktor für e r gegenüber dem Fall mit V̂ = 0 (d.h. fl (k) = 0) verändert wird von
1 → 1 + 2ik fl (k) ≡ Sl (k) ≡ 1 + i · Tl (k)
wobei wir die Partialwellen Sl des sog. Streuoperators Ŝ, sowie die Partialwellen Tl des Übergangsoperators T̂ (s.o.) eingeführt haben. Allgemein gilt dabei der Zusammenhang
Ŝ = 1 + iT̂ .
(3.72)
Unitarität und Streuphase
Gesamtzahl der durch eine Oberfläche ein- und
auslaufenden Teilchen hebt sich auf.
Eine physikalisch einsichtige Eigenschaft unseres (nicht-relativistischen) Streuexperiments
ist, daß (im betrachteten stationären Fall) die Gesamtzahl der Teilchen, die von außen in ein
gedachtes Volumen (z.B. einer Kugel) eintreffen gleich der Anzahl der aus dem Volumen wieder
austretenden (gestreuten oder ungestreuten) Teilchen ist, siehe obige Skizze. Mathematisch
fassen wir das zusammen als
Z
~ · d~s = 0
∂S
Kugeloberfläche
d.h. es gilt die Kontinuitätsgleichung
2
~  = − ∂|ψ| = 0
∇~
∂t
(stationäre Lösung!)
(3.73)
3.5. PARTIALWELLENANALYSE
43
~ i erhalten ist, stellt l eine gute Quantenzahl dar, d.h.
Da für unseren Fall der Drehimpuls L
die Kontinuitätsgleichung gilt für jede Partialwelle ψl separat. Insbesondere müssen also für
ψl (r) = al eikr + bl e−ikr
die Koeffizienten vor der einlaufenden und auslaufenden Kugelwelle betragsmäßig gleich sein,
|al | = |bl |. Vergleich mit der obigen Definition des Streuoperators liefert dann also
|Sl (k)| ≡ 1
(allgemein Ŝ ist unitär: Ŝ Ŝ † = 1)
was gleichbedeutend ist mit der Darstellung von Sl (k) durch eine Streuphase
Sl (k) = e2iδl (k)
mit δl (k) ∈ R
(3.74)
Damit kann man die Streuamplitude für eine Partialwelle auch schreiben als
fl (k) =
e2iδl (k) − 1
1
= eiδl (k) sin δl (k)
2ik
k
(3.75)
Setzen wir diese Darstellung wieder in die asymptotische Lösung für ψl (k) ein, erhalten wir
1
(−e−i(kr−lπ) + e2iδl (k) eikr )
2kri
1
π
= eiδl (i)l
sin(kr − l + δl )
kr
2
ψl (k) =
(3.76)
was zu vergleichen ist mit den Koeffizienten der Partialwellenzerlegung für die ebene Welle
al (k) (s.o.).
Anmerkungen:
• Zur Berechnung der Streuphase muß man natürlich immer noch die radiale Schrödinger-Gleichung
(für festes l) lösen. Das Ergebnis läßt sich allgemein als Linearkombination von sphärischen Besselfunktionen jl (ρ) und der Neumannfunktionen nl (ρ) schreiben.
• Für kleine Werte von k kann man die Streuphase entwickeln. Für Potentiale mit endlicher
Reichweite dominiert dann die Partialwelle mit l = 0 (s-Wellenstreuung) mit
δ0 (k) = −kas + O(k 3 )
und der Streulänge as (allgemein: δl (k) ∝ k 2l+1 , siehe Übung). Für die entsprechende Partialwelle der Streuamplitude ergibt sich dann
⇒ f0 (k, θ) =
1
k→0
sin δ0 (k) eiδ0 (k) −−−→ −as
k
(3.77)
und der differentielle Wirkungsquerschnitt ist einfach gegeben durch
dσ
≈ |as |2
dΩ
d.h. für kleine Energien ergibt sich ein konstanter isotroper Wirkungsquerschnitt.
(3.78)
44
KAPITEL 3. STREUTHEORIE
Resonanzen
Der Beitrag der l-ten Partialwelle zum totalen Wirkungsquerschnitt lautet
σl = 4π
2l + 1
sin2 δl (k) .
k2
(3.79)
Dieser wird offensichtlich maximal, wenn
1
π
δl (k0 ) = n +
2
(n ∈ Z)
Falls diese implizite Gleichung eine reelle Lösung für k0 hat, sprechen wir von einer Resonanz
bei k = k0 .
Um das Verhalten in der Nähe der Resonanz zu studieren, entwickeln wir die Streuamplitude um k = k0
1
1
1
fl (k) = eiδl (k) sin δl (k) =
,
k
k cot δl (k) − i
d
cot δl (k) ≈ cot δl (k0 ) +(k − k0 ) ·
cot(δl (k))
| {z }
dk
k=k0
und
(3.80)
=0
üblicherweise benutzt man die Energie anstelle der Wellenzahl k, dann ergibt sich durch
Variablensubstitution
2
cot δl (k) ≈ − (E − E0 )
Γ
wobei wir die Breite der Resonanz definiert haben
Γ = −2 ·
d cot δl dE E=E0
!−1
.
(3.81)
Setzen wir die Näherung in die Definition der Streuamplitude ein, erhalten wir:
fl (E =
~2 k 2
1
Γ/2
)≈−
2m
k E − E0 + iΓ/2
(E ≈ E0 )
(3.82)
und daraus die sog. Breit-Wigner-Formel für den Partialwellenbeitrag zum Wirkungsquerschnitt
σl '
4π (2l + 1) (Γ/2)2
k 2 (E − E0 )2 + (Γ/2)2
(3.83)
σl
σlmax
σlmax =
4π
(2l + 1)
k02
Γ = Breite der Resonanz
E0
3.5. PARTIALWELLENANALYSE
45
Interpretation:
Die Partialwellenamplitude fl (E) wird singulär für E = E0 − iΓ/2. Wenn wir uns erinnern,
daß der Nenner der Streuamplitude ursprünglich aus dem Operator (Ĥ0 + V̂ +i)−1 resultiert,
entspricht diese Situation also gerade einer formalen Lösung der Schrödinger-Gleichung mit
komplexem Eigenwert (beachte: Mit der i-Vorschrift haben wir nur die Pole auf der reellen
Achse umgangen). Effektiv erhalten wir so eine Zeitabhängigkeit der Resonanzlösungen:
i
i
Γt
e− ~ Et = e− ~ E0 t e− 2~
(3.84)
Die Resonanz im WQ kann somit interpretiert werden als meta-stabiler Zustand, der
mit einer Lebensdauer τ = 2~/Γ exponentiell mit der Zeit zerfällt (aber kein stabiler Bindungszustand der Schrödingergleichung ist).
Die Streuphase im Bereich der Resonanz ergibt sich aus:
δl (k) ' tan
−1
Γ/2
−
E − E0

−1 +

 tan (0 ) = 0
,
π/2
,
=

 tan−1 (0− ) = π ,
E − E0 Γ/2 ,
E − E0 ≈ 0 ,
E − E0 Γ/2
(3.85)
δl
π
π
2
je kleiner Γ, desto schneller wechselt
δl von 0 nach π
s
E0
E
Wir fassen zusammen:
⇒ Ausgeprägte Maxima im Wirkungsquerschnitt lassen auf meta-stabile Zustände schließen.
⇒ Die Breite Γ ist ein Maß für die (inverse) Lebensdauer.
dσ
läßt auf die relevante Partialwelle Pl (cos θ) schließen.
⇒ Die Winkelabhängigkeit dΩ
→ Damit können wir den Resonanzen eine eindeutige Drehimpulsquantenzahl l zuordnen.
[Ein bekanntes Anwendungsbeispiel sind die hadronischen Resonanzen (z.B. ρ-Mesonen) welche in
hadronischen Streuquerschnitten beobachtet werden. Aus der Form und Winkelverteilung des Wirkungsquerschnitt schließt man auf Energie (=Masse), Lebensdauer und Drehimpulsquantenzahl des
Hadrons.]
Streuamplitude und Bindungszustände
2 2
k
Bisher hatten wir Streulösungen mit positiver Energie E = ~2m
≥ 0, gegeben durch die
Wellenzahl des einlaufenden Teilchenstrahls, k ≥ 0, betrachtet. Die asymptotischen Lösungen
46
KAPITEL 3. STREUTHEORIE
für die Partialwellen (festes l)
ψl (k, r) =
1 (−1)1−l e−ikr + Sl (k) eikr
2ikr
hatten wir durch ein- und auslaufende Kugelwellen ausgedrückt. Wir stellen im folgenden
einen Zusammenhang mit den Bindungszuständen der Schrödingergleichung (Ĥ0 + V̂ ) |ψi =
E |ψi mit E < 0 her.
• Startpunkt ist die Beobachtung, daß die Schrödinger-Gleichung analytisch ist. Damit
können wir formal den Parameter k, der in den Streulösungen die Wellenzahl charakterisiert, analytisch fortsetzen ⇒ k = iκ mit κ > 0.
⇒ Setzen wir dies in die Lösung für die Partialwellen ein, erhalten wir formal
ψl (k = iκ, r) = −
1 (−1)1+l eκr + Sl (iκ) e−κr
2κr
(3.86)
• I.A. wird die Funktion Sl (iκ) endlich sein, und die so erhaltene Wellenfunktion ist
nicht normierbar, wegen des exponentiellen Anstiegs mit eκr für große r. In diesem Fall
beschreibt Ψl (iκ, r) also keinen physikalischen Bindungszustand.
• Wenn dagegen für einen bestimmten Wert κ0 die Streuamplitude divergiert, Sl (iκ0 ) →
∞, dann dominiert der Term mit e−κr und
1
ψl (k = iκ0 , r) = const · e−κ0 r
r
(3.87)
ist normierbar. In diesem Fall haben wir einen Bindungszustand gefunden und schließen
demnach (siehe auch konkretes Beispiel in der Übung):
⇒ Bindungszustände = Pole von Sl (k) auf positiv imaginärer Achse
3.6
(3.88)
Inelastische Streuung
Wir hatten bisher angenommen, daß das Target durch ein (konstantes) Potential beschrieben
wird und insbesondere selbst keine (für das Streuexperiment) relevante Struktur aufweist.
Dies ändert sich, wenn wir die inelastische Streuung an einem Target betrachten, welches
selbst durch einen Bindungszustand beschrieben wird (also ein Objekt mit innerer Struktur
darstellt). Z.B.
e− + Atom → Atom∗ + Nukleon
Nukleon + Atomkern → Atomkern∗ + Nukleon
wobei der Stern andeutet, daß sich das Atom nach der Reaktion in einem angeregten Bindungszustand befindet (in relativistischer Streuung könnten wir auch Teilchensorten umwandeln, s.o.).
Theoretische Beschreibung:
3.6. INELASTISCHE STREUUNG
47
Zusätzlich zur bisherigen Betrachtung müssen wir den Hamiltonoperator ĤB berücksichtigen, der den gebundenen Zustand des Targets (in Abwesenheit des Projektilstrahls) beschreibt. Also setzen wir für den Gesamt-Hamiltonian an:
Ĥ =
Ĥ
ĤM
+
0
|{z}
2
p
~
für
2m
Projektil
V̂
|{z}
+
|{z}
p
~2
i
+ VB (~
xj ) für
2mi
i = 1, ..., Z Teilchen
im Targetsystem
Wechselwirkung zw.
Projektil und Target
V = V (~
x, ~
xi )
wobei wir mit ~x die Koordinaten des Projektils und mit ~xi die Koordinaten der Konstituenten
des Targets bezeichnen.
Wenn wir asymptotisch den Einfluß des Wechselwirkungspotentials V̂ vernachlässigen,
können wir Projektil und Target unabhängig betrachten, d.h. die freien Lösungen ergeben
sich einfach aus dem Tensorprodukt der Lösungen von Ĥ0 und ĤB ,
~
h~x, ~xi |φi = h~x|~ki h~xi |ni ≡ eik~x ϕn (~xi )
(3.89)
wobei n die Quantenzahl des Bindungszustands darstellt.
Völlig analog zum elastischen Fall erhalten wir dann für die Streulösung
ψ~kn
r→∞
=
ϕn (~xi ) e
i~k~
x
0
!
X
eik r
eikr
fnn (~k, ~k 0 ) +
ϕn0 (~xi )
fnn0 (~k, ~k 0 )
+
r
r
n0 6=n
(3.90)
• Der erste Term bezeichnet dabei den elastischen Anteil, d.h. die Wellenfunktion des
Targets ϕn (~xi ) bleibt unverändert, und das Projektil wird wie oben durch die einlaufende
ebene Welle und die gestreute Kugelwelle beschrieben.
• Der zweite Summand beschreibt den inelastischen Beitrag, d.h. das Target ist vom Zustand |ni in den Zustand |n0 i gewechselt, und wird nun durch ϕn0 (~xi ) beschrieben. Die
auslaufende Kugelwelle bekommt einen zusätzlichen Beitrag, welcher durch die Streuamplitude fnn0 (~k, ~k 0 ) beschrieben wird.
Hierbei ist zu beachten, daß aufgrund der Enegieerhaltung
2m
|k 0 |2 = |k|2 − 2 (En0 − En )
~
(inelastischer Anteil = Energie wird an Bindungszustand übertragen).
(3.91)
• Wir definieren wieder den Impulsübertrag:
q 2 = |~k 0 − ~k|2 = |~k|2 + |~k 0 |2 − 2|~k||~k 0 | cos θ
(
0 2
0
= (|k| − |k |) + 2kk (1 − cos θ) =
> 0 für inelastisch
≥ 0 für elastisch
(3.92)
Der inelastische Beitrag zur Streuamplitude ergibt sich wie vorher aus dem Übergangsmatrixelement des Wechselwirkungspotentials:
2m 1
2m 1
fnn0 (~k, ~k 0 ) = − 2
hn0~k 0 |V̂ |ψn~k i ' − 2
hn0~k 0 |V̂ |n~ki
~ 4πZ
~ 4π
m
~ ~0
=−
d3 x ei(k−k )~x hn0 |V̂ |ni
2π~2
Z
Z Y
z
m
3
i(~k−~k0 )~
x
=−
d
x
e
d3 xi ϕ∗n0 (~xi )V (~x, ~xi )ϕn (~xi )
(3.93)
2π~2
i=1
48
KAPITEL 3. STREUTHEORIE
Bei der Berechnung des inelastischen Wirkungsquerschnitt müssen wir noch aufpassen, daß
sich der Fluß der auslaufenden Welle wegen |~k 0 | =
6 |~k| verändert hat:
dσ
=
dΩ
|~k 0 |
|~k|
|{z}
Fluß der
auslaufenden
Welle ∝ |~k0 | 6= |~k|
· |fnn0 (~k, ~k 0 )|2
|
{z
}
für gegebenen
Übergang
|ni → |n0 i
(3.94)
Kapitel 4
Vielteilchensysteme und
Besetzungszahlformalismus
4.1
Ununterscheidbare Teilchen
Ein wichtiger Aspekt bei der Behandlung von Vielteilchensystemen in der Quantenmechanik
ist die Ununterscheidbarkeit von identischen Teilchen. Als Vorüberlegung betrachen wir z.B.
die Streuung von 2 Elektronen:
2
1
a)
b)
1
2
1
Detektor
2
Detektor
• Klassisch korrespondieren die skizzierten unterschiedlichen Flugbahnen mit unterschiedlichen Anfangsbedingungen. Deshalb könnten wir die Fälle (a) und (b) eindeutig unterscheiden.
• In der Quantenmechanik gibt es dagegen keine Möglichkeit, a) und b) zu unterscheiden,
wenn Teilchen 1 und 2 in allen unveränderlichen Eigenschaften übereinstimmen!
⇒ Die theoretische Beschreibung muß die in a) und b) skizzierte Situation gleichberechtigt
behandeln (d.h. die beiden Fälle werden durch die gleiche quantenmechanische Wahrscheinlichkeitsamplitude repräsentiert).
Als veränderliche Eigenschaften von Teilchen in der Quantenmechanik bestimmen wir
dabei z.B.:
Ort ~x, Impuls p~, Spineinstellung ms , Energie E, . . .
49
50 KAPITEL 4. VIELTEILCHENSYSTEME UND BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS
Unveränderliche Eigenschaften der Teilchen1 sind dagegen z.B.:
Masse m, elektrische Ladung q, Spinbetrag s, ...
Wir können also allgemein verallgemeinerte Basisvektoren einführen,
|qi = |~x, ms ; ni
mit n = {m, s, q, ...}
(n)
und für 1-Teilchenzustände schreiben ψ(q) ≡ hq|ψi = ψms (~x) und
0
hq|q 0 i = δ (3) (~x − ~x ) δms m0s δnn0
Der Index n in dieser Schreibweise charakterisiert also die Teilchensorte, so daß für n = n0
identische, und demnach ununterscheidbare, Teilchen betrachtet werden (meistens schreibt
man den Index n aber nicht mit, wenn aus dem Kontext klar ist, welche Teilchensorte gerade
betrachtet wird).
Betrachten wir z.B. 2 identische Teilchen, dann besteht der zugehörige Hilbertraum aus
dem direkten Produkt der jeweiligen 1-Teilchen-Hilberträume:
H2-Teilchen = H1-Teilchen ⊗ H1-Teilchen
Den Austausch der Rollen von Teilchen 1 und 2 können wir formal durch den (unitären)
Permutationsoperator beschreiben, dessen Wirkung auf den Basiszuständen |q1 q2 i von
(1)
(2)
H1−Teilchen ⊗ H1−Teilchen definiert ist:
P̂12 |q1 q2 i ≡ |q2 q1 i
(4.1)
P̂12 ψ(q1 , q2 ) = ψ(q2 , q1 )
(4.2)
bzw. auf 2-Teilchenwellenfunktionen:
Das obige Beispiel der 2-Elektron-Streuung zeigt:
• Keine quantenmechanische Messung einer Observablen Ô kann die Wellenfunktion ψ(q1 , q2 )
und P̂12 ψ = ψ(q2 , q2 ) unterscheiden, also insbesondere
!
†
ÔP12 |ψi = hϕ|Ô|ψi
hP12 ϕ|Ô|P12 ψi = hϕ|P12
⇒
[P̂12 , Ô] = 0.
(4.3)
D.h. physikalische Observablen kommutieren mit dem Permutationsoperator P̂12 , z.B.
Ĥ =
p̂21
p̂2
+ 2 + V (x1 ) + V (x2 ) + W (|x1 − x2 |)
2m 2m
.
1
Allgemeiner erhalten wir unveränderliche Eigenschaften von Teilchen aus dem Wert des sog. Casimiroperators von fundamentalen Symmetrien. Dies sind zum Einen die Poincaré-Symmetrie der RaumzeitTransformationen (deren Casimiroperatoren die unveränderlichen Eigenschaften Masse und Spin definieren).
Zum Anderen identifiziert man sog. innere Symmetrien, deren Casimiroperatoren z.B. die elektrische Ladung
definieren. Der Wert des Casimir-Operators ändert sich dabei bei Symmetrietransformationen nicht. Dieses
Thema wird im Rahmen der Quantenfeldtheorie weiter beleuchtet.
4.1. UNUNTERSCHEIDBARE TEILCHEN
51
• Desweiteren müssen die Zustände |ψi und P12 |ψi linear abhängig sein, ansonsten hingen
Wahrscheinlichkeitsaussagen davon ab, welche Linearkombination von |ψi und P12 |ψi
man benutzt, um quantenmechanische Erwartungswerte auszurechnen. Wir können also
allgemein schreiben
⇒ P12 |ψi = α |ψi
(4.4)
mit |α| = 1, da P12 ja als unitär angenommen wurde. Weil P12 P12 = 1 (nach Definition)
ist P12 aber auch hermitesch, d.h. die Eigenwerte α sind auch reell. Demnach gibt es
nur 2 Möglichkeiten:
⇒ P12 |ψi = ± |ψi .
Für positives Vorzeichen erhält man symmetrische Wellenfunktionen, für negatives Vorzeichen gerade anti-symmetrischen Wellenfunktionen.
Spin-Statistik-Theorem
Das Spin-Statistik–Theorem formuliert einen Zusammenhang zwischen dem Vorzeichen der
Teilchenstatistik und dem Spin des Teilchens:
• Teilchen mit ganzzahligem Spin (s = 0, 1, ...) heißen Bosonen und haben symmetrische
Wellenfunktionen.
• Teilchen mit halbzahligem Spin (s = 21 , 32 , ...) heißen Fermionen und haben antisymmetrische Wellenfunktionen.
Das Theorem kann im Rahmen der Quantenfeldtheorie bewiesen werden. Eine unmittelbare
Folge ist
• Paulis Auschließungsprinzip: 2 Fermionen können nicht in genau gleichem Zustand sein.
Die Aussagen können direkt auf N -Teilchen–Zustände verallgemeinert werden,
P̂σ |q1 ...qN i = |qσ(1) ...qσ(N ) i
(4.5)
wobei wir Permutationen der Teilchenindizierungen mit σ(i) bezeichnet haben. Wir unterscheiden
• gerade Permutation (gerade Anzahl von Vertauschungen): sign(σ) = +1
• ungerade Permutation (ungerade Anzahl von Vertauschungen): sign(σ) = −1
Damit können wir formal einen Symmetrisierungsoperator definieren:
1 X
Ŝ+ |ψi ≡ √
Pσ |ψi
N! σ
(4.6)
bzw. einen Antisymmetrisierungsoperator:
1 X
Ŝ− |ψi ≡ √
sign(σ)Pσ |ψi
N! σ
(4.7)
52 KAPITEL 4. VIELTEILCHENSYSTEME UND BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS
Im Falle des Antisymmetrierungsoperators kann man das Ergebnis auch als sog. Slaterdeterminante schreiben:
|q1 i1 . . . |q1 iN
1


..
Ŝ− |ψi = Ŝi |q1 · · · qN i = √ det  ...

.
N!
|qN i1 . . . |qN iN


(4.8)
wobei die Indizes an den Ket-Vektoren die Position im Produktraum bestimmen. Z.B. erhält
man so einen antisymmetrischen 2-Teilchenzustand (N = 2) via
1
1
Ŝ− |ψi = √ (|q1 i1 |q2 i2 − |q1 i2 |q2 i1 ) ≡ √ (|q1 q2 i − |q2 q1 i)
2
2!
und einen antisymmetrischen 3-Teilchenzustand (N = 3) als
1
Ŝ− |ψi = √ (|q1 i1 |q2 i2 |q3 i3 + |q1 i2 |q2 i3 |q3 i1 + |q1 i3 |q2 i1 |q3 i2
3!
− |q1 i3 |q2 i2 |q3 i1 − |q1 i1 |q2 i3 |q3 i2 − |q1 i2 |q2 i1 |q3 i3 )
1
≡ √ (|q1 q2 q3 i + |q3 q1 q2 i + |q2 q3 q1 i − |q3 q2 q1 i − |q2 q1 q3 i − |q1 q3 q2 i)
6
etc.
4.2
Besetzungszahlformalismus (aka „2. Quantisierung“)
Für die folgenden Betrachtungen von Vielteilchensystemen erweist es sich als hilfreich, die
Hilberträume für Systeme mit verschiedener Teilchenzahl (N = 0, 1, 2, . . .) zusammenzufassen.
Dies hat den Vorteil, daß wir Teilchenerzeugungs- und Vernichtungsoperatoren definieren
können, die formal zwischen den Hilberträumen mit N und N ± 1 Teilchen vermitteln.
Dazu definieren wir den sog. Fockraum als Vereinigung (direkte Summe) der Hilberträume für kein Teilchen, 1 Teilchen, 2 Teilchen, usw.
HF = H0 ⊕ H1 ⊕ H2 ⊕ ...
• Der Basiszustand von H0 ist das „Vakuum“ (kein Teilchen)
|Ωi = |φVakuum i
• Die Basiszustände von H1 sind die 1-Teilchenzustände |qα i (α = 1, 2, ...) [Wir nehmen
hier zunächst eine Basis mit diskreten Zuständen an; die Verallgemeinerung zu kontinuierlichen
Basiszuständen, z.B. im Orts- oder Impulsraum, erfolgt weiter unten.]
• Die Basiszustände von H2 sind die 2-Teilchenzustände |qα i |qβ i (also vom Produktraum
H1 ⊗ H1 )).
usw.
Einschub: Direktes Produkt und direkte Summe von Vektorräumen.
4.2. BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS (AKA „2. QUANTISIERUNG“)
53
• Produktraum:
Wir betrachten 2 Vektorräume H1 und H2 . Für
|φ1 i : Vektor aus H1
|φ2 i : Vektor aus H2
definieren wir das direkte Produkt
|φ1 i |φ2 i ≡ |φ1 φ2 i ∈ H1 ⊗ H2
mit dem Skalarprodukt
hχ1 χ2 |φ1 φ2 i = hχ1 |φ1 i hχ2 |φ2 i .
Speziell läßt sich eine Orthonormalbasis in H1 ⊗ H2 aus den ONB der einzelnen Vektorräume
konstruieren:
ONB: {|v1k v2l i}
0
0
so daß hv1k v2l |v1k v2l i = δkk0 δll0 . Die Vollständigkeitsrelation lautet entsprechend
X
|v1k v2l i hv1k v2l | = 1 bzgl. H1 ⊗ H2
k,l
Operatoren auf dem Produktraum sind definiert durch ihre Wirkung auf H1 bzw. H2 als
L̂ |φ1 φ2 i = (L̂1 ⊗ L̂2 ) |φ1 φ2 i ≡ |L̂1 φ1 i |L̂2 φ2 i
In einer gegebenen ONB lautet die Matrixdarstellung eines Operators also
0
0
Lk0 l0 ,kl = hv1k v2l |L̂|v1k v2l i
Die Dimension des Produktraums ergibt sich demnach durch Multiplikation der Teilraumdimensionen
dim(H1 ⊗ H2 ) = (dimH1 ) · (dimH2 ) .
Beispiele für Zustände aus Produkträumen sind 3-dimensionale Ortseigenzustände |~xi = |x1 i |x2 i |x3 i,
Orts- und Spin-Eigenzustände |~x, ms i = |~xi |ms i, 2-Teilchen-Eigenzustände |q1 q2 i = |q1 i |q2 i.
(Quantenmechanische Erwartungswerte auf Produkträumen entsprechen demnach bedingten
Wahrscheinlichkeiten, d.h. wir fragen z.B. nach der Wahrscheinlichkeit, ein Teilchen am Ort
~x und mit einer Spineinstellung ms zu finden.)
• Summe von Vektorräumen:
Wir betrachten 2 disjunkte Vektorräume H1 und H2 Für
|φ1 i : Vektor aus H1
|φ2 i : Vektor aus H2
definieren wir die direkte Summe als Linearkombination
|φi = α |φ1 i + β |φ2 i ∈ H1 ⊕ H2
wobei
hφ2 |φ1 i ≡ 0
für alle φ1 ∈ H1 und φ2 ∈ H2 .
Speziell läßt sich eine Orthonormalbasis in H1 ⊕ H2 aus den ONB der einzelnen Vektorräume
konstruieren:
ONB: {|v1l i , |v2k i}
54 KAPITEL 4. VIELTEILCHENSYSTEME UND BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS
Die Vollständigkeitsrelation lautet dann
X
X
|v1k i hv1k | +
|v2l i hv2l | = 1 bzgl. H1 ⊕ H2
k
l
Für die Matrixdarstellung eines Operators benötigen wir die Matrixelemente
i
hv1 |L̂|v1j i hv1i |L̂|v2l i
hv2k |L̂|v1j i hv2k |L̂|v2l i
Die Dimension des Summenraums ergibt sich demnach durch Addition der Teilraumdimensionen
dim(H1 ⊕ H2 ) = (dimH1 ) + (dimH2 ) .
(Im Falle z.B. des Fockraums fragen wir also i.A. nach Wahrscheinlichkeiten kein Teilchen oder
1 Teilchen in einem bestimmten Zustand oder 2 Teilchen in bestimmten Zuständen oder . . . zu
finden.)
Besetzungszahldarstellung
Da wir für ununterscheidbare Teilchen nicht entscheiden können, welches Teilchen sich in
einem bestimmten Zustand befindet, reicht es aus anzugeben, wieviele Teilchen nα sich im
Zustand |qα i befinden. Wir können also die Zustände vollständing charakterisieren durch die
Angabe eines Satzes von Besetzungszahlen {nα } = {n1 , n2 , . . .}. Insbesondere ergibt die
Summe über alle nα die Gesamtteilchenzahl N :
Bosonen:
Fermionen:


 n1 = 0, 1, 2, ...
n2 = 0, 1, 2, ...

..

.


 n1 = 0, 1
n2 = 0, 1

..

.
X
nα ≡ N
(4.9)
α
X
nα ≡ N
(4.10)
α
Wir schreiben den entsprechenden Zustand wieder als |ψ~n i = |n1 n2 ...i und konstruieren
manifest symmetrische bzw. antisymmetrische Kombinationen mittels der Symmetrisierungsbzw. Antisymmetrisierungsoperatoren,
(
|ψ~n i ∝
Ŝ+
Ŝ−
)
|q1 i ... |q1 i |q2 i ... |q2 i ...
|
{z
n1 -mal
}|
{z
n2 -mal
}
Die Fockzustände |ψ~n i sind orthogonal und können normiert werden, so daß
hn01 n02 ...|n1 n2 ...i = δn1 n01 δn2 n02 ...
Der Normierungsfaktor ergibt sich aus den möglichen Permutationen von Teilchen im gleichen
1-Teilchen-Basiszustand zu2
1
√
√
√
n1 ! · n2 ! · n3 ! · ...
2
Manchmal wird der Faktor auch in die Definition von Ŝ+ absorbiert.
4.2. BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS (AKA „2. QUANTISIERUNG“)
55
(für Fermionen erhält man stets 1, wegen 0! = 1! = 1).
Beispiel:
|n1 n2 n3 i = |012i
1 X
1
Pσ |q2 q3 q3 i
=√ √ √ ·√ ·
0! 1! 2!
3! σ
1
= √ (|q2 q3 q3 i + |q3 q2 q3 i + |q3 q3 q2 i + |q2 q3 q3 i + |q3 q2 q3 i + |q3 q3 q2 i)
12
1
= √ (|q2 q3 q3 i + |q3 q2 q3 i + |q3 q3 q2 i)
3
hn1 n2 n3 |n1 n2 n3 i = 1 X
Erzeuger und Vernichter
Wir können Operatoren definieren, die zwischen den Hilberträumen Hn und Hn−1 vermitteln
(d.h. auf HF definiert sind)
Bosonen:
• Wir definieren Vernichtungsoperatoren analog zum 1-dim. harmonischen Oszillator
√
âα |n1 n2 ...nα ...i ≡ nα |n1 n2 ...(nα − 1)...i
(4.11)
Insbesondere ergeben die Vernichtungsoperatoren angewandt auf den Vakuumzustand
Null, âα |Ωi = 0.
• Aus der Orthogonalität erhalten wir:
hn01 n02 ...|âα |n1 n2 ...i =
√
nα δn1 n01 δn2 n02 ...δ(nα −1)n0α ...
(4.12)
Durch Adjungieren und Umbenennung der Indizes, δn0α ,(nα −1) = δ(n0α +1),nα ergibt sich
daraus
hn1 n2 ...|â†α |n01 n02 ...i =
q
n0α + 1δn1 n02 ...δ(n0α +1)nα ...
und somit für die adjungierten Operatoren (Erzeugungsoperatoren)
√
â†α |n1 n2 ...nα ...i ≡ nα + 1 |n1 n2 ...(nα + 1)...i
(4.13)
(4.14)
• Aus dem Vergleich mit dem harmonischen Oszillator folgen daraus die üblichen Vertauschungsrelationen
[aβ , a†α ] = δαβ
und
[aα , aβ ] = [a†α , a†β ] = 0 ,
(4.15)
und der gesamte Fock-Raum kann konstruiert werden durch Anwendung der entsprechenden Erzeugungsoperatoren auf das Vakuum,
|n1 n2 ...i = √
Y
1
√
...(a†2 )n2 (a†1 )n1 |Ωi = N
(a†α )nα |Ωi
n1 ! n2 !...
α
(4.16)
56 KAPITEL 4. VIELTEILCHENSYSTEME UND BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS
• Als Verallgemeinerung des einzelnen harmonischen Oszillators können wir den Teilchenzahloperator definieren als
N̂ =
a†α aα
(4.17)
nα |~ni ≡ N |~ni
(4.18)
X
α
mit
N̂ |n1 n2 ...i =
X
α
Wir bemerken noch, daß für nicht-relativistische (abgeschlossene) Systeme die Teilchenzahl N erhalten ist, also insbesondere [Ĥ, N̂ ] = 0 gelten muß.
Fermionen:
• Wie oben definieren wir das Vakuum: |Ωi, welches von allen Vernichtungsoperatoren
annihiliert wird.
• Einen 1-Teilchenzustand erhalten wir wiederum durch Anwenden des fermionischen Erzeugungsoperators
b†α |Ωi ≡ |1α i .
(4.19)
• Für 2-Teilchenzustände ist jetzt allerdings die Reihenfolge wichtig, denn:
1
√ (|qα qβ i − |qβ qα i) ≡ |1α 1β i
2
1
= − √ (|qβ qα i − |qα qβ i) ≡ − |1β 1α i
2
(4.20)
Legen wir uns auf eine Reihenfolge fest durch die Definition
|1α 1β i ≡ b†β b†α |Ωi
= − |1β 1α i ≡ −b†α b†β |Ωi
(4.21)
folgt daraus, daß die fermionischen Erzeugungsoperatoren anti-kommutieren, d.h. den
Antivertauschungsrelationen
b†β b†α + b†α b†β ≡ {b†β , b†α } = 0 ,
{bβ , bα } = 0
(4.22)
genügen. Insbesondere gilt damit (b†α )2 = 0, d.h. wir können keine 2 Fermionen im
gleichen Zustand erzeugen, was gerade richtig das Pauli-Prinzip widerspiegelt.
• Entsprechend ergeben sich für die verbleibenden Fälle auch Antivertauschungsrelationen
(→ Übung). Z.B. erhält man
b†α bα |...nα ...i = nα |...nα ...i
bα b†α |...nα ...i = −(nα − 1) |...nα ...i
(4.23)
woraus {bα , b†α } = 1 und allgemein
{bα , b†β } = δαβ
folgt.
(4.24)
4.2. BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS (AKA „2. QUANTISIERUNG“)
57
Darstellung von Operatoren auf dem Fock-Raum:
Behauptung:
“Jeder Operator auf HF läßt sich durch Erzeuger- und Vernichter ausdrücken.”
Zur Begründung führen wir den Begriff des sog. N -Teilchen-Operators ein, welcher von
den relevanten Größen (Ort, Impuls, Spin, . . . ) für jeweils N Teilchen abhängt:
Ô = Ô(xi1 , pi1 , σi1 ; ...; xiN , piN , σiN )
Ein 1-Teilchenoperator (für Bosonen) wirkt dann z.B. auf dem 1-Teilchen-Hilbertraum H1 ,
d.h. hängt von den Koordinaten, Impulsen, Spinfreiheitsgraden, etc. von jeweils nur einem
Teilchen ab, gemäß
Â1 = Â1 (~x, p~, ~σ )
• Wir bilden nun Matrixelemente bezüglich einer Orthonormalbasis |λi i von H1
Aij = hλi |Â1 |λj i ⇔ Â1 =
X
Aij |λi i hλj |
(4.25)
ij
• Für das gesamte N -Teilchensystem wirkt der Operator jeweils auf einem 1-TeilchenTeilraum und nimmt demnach dann folgende Gestalt an:
 =
X
ij
Aij
N
X
|λi ik hλj |k =
|
k=1
{z
}
Operator auf
HN = ⊗N H1
N
X
Â1 (xk , pk , σk )
(4.26)
k=1
wobei wir definiert haben:
|λi ik hλj |k ≡ 1 ⊗ ... ⊗ |λi i hλj | ⊗... ⊗ 1
(4.27)
| {z }
k-te Stelle
– Betrachten wir zum Beispiel den Operator für die kinetische Energie, für ein 2-Teilchensystem
(N = 2) von freien Teilchen in einer Box (mit periodischen Randbedinungen). Dies ist ein
p2
1-Teilchenoperator Â1 = 2m
. Als Basiszustände können wir |λi i = |ki i mit ki = 2π/L · ni
wählen. Die Matrixlemente lauten dann
Aij = hki |
p̂2
~2 ki2
|kj i =
δij
2m
2m
und obige Darstellung des Operators auf dem 2-Teilchenraum wird zu
2
2
X ~2 k 2
p̂
p̂
i
 =
(|ki i hki | ⊗ 1 + 1 ⊗ |ki i hki |) =
+
2m
2m
2m
1
2
i
was gerade der Summe der kinetischen Energien für Teilchen 1 und Teilchen 2 entspricht.
• Nachdem wir die Wirkung des 1-Teilchenoperators auf dem N-Teilchen-Produktraum
P
erklärt haben, betrachten wir nun die Wirkung des Operators N
k=1 |λi ik hλj |k auf Basiszuständen des Fockraums
N
X
k=1
|λi ik hλj |k |n1 ...ni ...nj ...i =
X
k
|λi ik hλj |k √
1
√
Ŝ+ |λi1 ...λiN i
n1 ! n2 !...
58 KAPITEL 4. VIELTEILCHENSYSTEME UND BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS
mit dem oben definierten Symmetrisierungsoperator Ŝ+ für Bosonen summiert über
alle Permutationen der Basiszustände von HN , |λi1 i ... |λiN i, und dem Normierungsfaktor mit den Multiplizitäten der 1-Teilchenzustände. Wir machen zunächst folgende
Beobachtungen:
– Der oben definierte Operator k |λi ik hλj |k ist manifest symmetrisch bezüglich
Permutationen, d.h. er kommutiert mit Ŝ+ .
P
– Die Wirkung auf die Produktraumzustände
X
|λi ik hλj |k |λi1 ...λiN i
k
erzeugt dann gerade nj Terme, bei denen an der entsprechenden Stelle |λj i durch
|λi i ersetzt wird.
Dazu ein Beispiel:
X3
k=1
|λ1 ik hλ2 |k |λ1 λ2 λ2 i = (|λ1 i hλ2 | ⊗ 1 ⊗ 1) |λ1 λ2 λ2 i +
+ (1 ⊗ |λ1 i hλ2 | ⊗ 1) |λ1 λ2 λ2 i +
+ (1 ⊗ 1 ⊗ |λ1 i hλ2 |) |λ1 λ2 λ2 i
= 0 + |λ1 λ1 λ2 i + |λ1 λ2 λ1 i
– Wenn wir danach wieder den Symmetrisierungsoperator anwenden, erhalten wir
somit
Ŝ+
X
|λi ik hλj |k |λi1 ...λiN i
(4.28)
k
√
=
n1 · · ·
q
(ni + 1)! · · ·
q
(nj − 1)! · · ·
· nj |n1 ...(ni + 1)...(nj − 1)...i ,
(4.29)
wobei wir beachten müssen, daß sich die Multiplizitäten ni und nj geändert haben.
• Insgesamt ergibt sich also
XN
k=1
s
|λi ik hλj |k |n1 ...ni ...nj ...i
s
(ni + 1)! (nj − 1)!
nj |n1 ...(ni + 1)...(nj − 1)...i
=
ni !
nj !
q
√
= (ni + 1) nj |n1 ...(ni + 1)...(nj − 1)...i
= â†i âj |n1 ...ni ...nj ...i
(4.30)
wobei die letzte Gleichung aus der Standarddefinition der Erzeuger und Vernichter folgt
(s.o.).
Anmerkung:
4.2. BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS (AKA „2. QUANTISIERUNG“)
59
• In der Herleitung hatten wir implizit i 6= j angenommen. Für i = j ist die Rechnung
allerdings noch einfacher, da die Besetzungszahl nicht verändert wird, d.h.
N
X
|λi ik hλi |k |n1 ...ni ...i = ni |n1 ...ni ...i = â†i âi |n1 ...ni ...i
k=1
in Übereinstimmung mit obiger Formel.
Da |n1 ...ni ...nj ...i eine vollständige Basis des Fockraum ist, gilt also für die Operatoren
selbst
N
X
|λi ik hλj |k = â†i âj
(4.31)
k=1
und zwar unabhängig vom Wert N (!) [man beachte, daß in obiger Gleichung die Indizes i, j
die Basiszustände des 1-Teilchen-Hilbertraums durchnummerieren]. Damit gilt allgemein für
1-Teilchenoperatoren die Darstellung auf dem Fockraum
 =
N
X
A1 (~xk , p~k , ~σk ) =
X
Aij â†i âj
(4.32)
ij
k=1
mit Aij = hλi |A1 (~x, p~, ~σ )|λj i.
Analog können wir (bosonische) 2-Teilchenoperatoren behandeln,
0
0
Â2 (~x, p~, ~σ ; ~x , p~ , ~σ 0 )
z.B. ein Potential V (|~x1 − ~x2 |)). Die elementaren Matrixelemente sind nun in H2 definiert:
Aij,kl ≡ hλi λj |Â2 |λk λl i
Dann erhält man:
X
1
 =
2
α6=β
A2 (~xα , p~α , ~σα ; ~xβ , p~β , ~σβ ) =
1XX
Aij,kl |iiα |jiβ hk|α hl|β
2 ij,kl α6=β
(4.33)
(4.34)
α,β∈{1...N }
Die Wirkung des dyadischen Operators auf dem Fock-Raum ergibt sich analog zu oben (→
Übung)
|iiα |jiβ hk|α hl|β = â†i â†j âk âl
X
(4.35)
α6=β
d.h. wir erhalten die allgemeine Darstellung3 für 2-Teilchenoperatoren auf dem Fock-Raum:
 =
1X
Aij,kl â†i â†j âl âk
2 ij,kl
(4.36)
Die Verallgemeinerung auf N -Teilchen Operatoren ist evident.
Wir fassen kurz die Vorteile der Besetzungszahldarstellung mittels Erzeuger/Vernichter
zusammen:
3
Wir haben hier die Reihenfolge von âl und âk , welche ja stets kommutieren, vertauscht. Mit dieser Reihenfolge gilt die Darstellung auch für Fermionen.
60 KAPITEL 4. VIELTEILCHENSYSTEME UND BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS
- Die Darstellung der Operatoren ist unabhängig von der konkreten Teilchenzahl N (diese
kommt erst durch Bildung von Matrixelementen auf einem N-Teilchen-Teilraum von HF
ins Spiel).
- Kennt man die elementaren Matrixelemente Aij , Aij,kl , dann ergibt sich die mit der
Symmetrisierung verbundene Kombinatorik für N identische Teilchen automatisch aus
der Algebra der âα und â†α .
Für Fermionen können wir die Diskussion analog führen, allerdings ist hier wieder die
Reihenfolge der Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren relevant. Man findet die folgende
Darstellung von fermionischen 1- und 2-Teilchenoperatoren:
 =
1-Teilchen-Operator
X
Aij b̂†i b̂j
(4.37)
i,j
 =
2-Teilchen-Operator
1X
Aij,kl b̂†i b̂†j b̂l b̂k
2 ij,kl
(4.38)
wobei im 2. Term die Reihenfolge von b̂l und b̂k zu beachten ist!
4.3
Feldoperatoren
Bisher hatten wir abzählbare Basiszustände |λi i angenommen, um Vielteilchenzustände zu
beschreiben. Im Folgenden betrachten wir nun explizit die Orts- oder Impulsdarstellung mit
Basiszuständen, die durch kontinuierliche Parameter definiert sind. Zusammen mit eventuellen Spin-Freiheitsgraden ms und weiteren Quantenzahlen n, die die Teilchensorte spezifizieren,
schreiben wir:
|qi = |~x, ms ; ni
und
ϕi (q) ≡ hq|λi i
|pi = |~
p, ms ; ni
und
ϕ̃i (p) ≡ hp|λi i
Für die Integration/Summation führen wir die Kurzschreibweise ein
Z
s
X
dq ≡
Z
Z
3
d x,
s
X
dp ≡
ms =−s
Z
ms =−s
d3 p
(2π~)3
Für einen beliebigen Basiswechsel (mit diskreten Indices)
|kj i =
X
hλi |kj i |λi i
(4.39)
i
können wir Erzeuger und Vernichter bezüglich der neuen Basis erhalten via
P
hλ |k i â†
Pi i j ∗ i
i hλi |kj i
âi
erzeugt
vernichtet
)
Teilchen im Zustand |kij
Verallgemeinern wir dies speziell auf die Orts- oder Impulsdarstellung, erhalten wir so neue
Operatoren:
hλi |qi â†i =
X
i
i
X
hq|λi i âi =
X
Ψ̂† (q) ≡
X
Ψ̂(q) ≡
i
i
ϕ∗i (q) â†i ,
ϕi (q) âi
(4.40)
4.3. FELDOPERATOREN
61
mit ϕi (q) der Wellenfunktion zum Zustand |λi i, bzw. im Impulsraum
X
X
˜
Ψ̂† (p) ≡
hλi |pi â†i =
ϕ̃∗i (p)â†i ,
i
i
X
X
˜
Ψ̂(p) =
hp|λi ai =
ϕ̃i (p) âi .
i
(4.41)
i
Die Operatoren Ψ̂(q) = Ψ̂ms (~x) werden als Feldoperatoren bezeichnet (da sie wie z.B. das
elektromagnetische Feld Funktionen vom Ort sind, und gleichzeitig aufgrund des Auftretens
von âi , â†i Operator-wertig sind). Man beachte, daß in dieser Darstellung
• ~x (oder p~) das Argument einer Funktion (eines Feldes) aber kein Operator mehr ist, da
es ja über die Schrödinger-Wellenfunktion ins Spiel kommt.
• die Operatorwertigkeit über Erzeuger/Vernichter definiert ist.
Die so definierten Feldoperatoren haben konzeptionell die gleichen Eigenschaften, die wir
bei der heuristischen Diskussion in Kapitel 2 den quantisierten elektromagnetischen Feldoperatoren zugeordnet haben. Im letzten Fall sind wir von klassischen Feldern ausgegangen
und haben die Fourierkoeffizienten zu Erzeugern/Vernichtern gemacht. Daraus resultierte die
Interpretation der quantisierten Moden des elektromagnetischen Feldes als Photonen. In diesem Kapitel sind wir explizit von quantenmechanischen Vielteilchensystemen ausgegangen, die
wir mit obiger Darstellung äquivalent auch durch quantisierte (Teilchen-)Felder beschreiben
können. (Historisch, aber nicht unbedingt sprachlich korrekt, bezeichnet man diesen Schritt
manchmal auch als “2. Quantisierung”). Folgende Tabelle fasst diesen Zusammenhang nochmal skizzenhaft zusammen:
Teilchen (z.B. Elektronen)
↓
Vielteichensyteme
Besetzungszahldarstellung
↓
Feldoperatoren Ψ̂(~x)
Felder (z.B. elmg. Potential)
↓
Fourierzerlegung
↓
Fourier-Koeffizienten
= Erzeuger/Vernichter
↓
Photonen (Teilchen)
quantisierte Moden des elmg. Feldes
ϕi (~x) ← Lösung der QM Schrödingergleichung
(„2. Quantisierung“)
~ x) ← Lösung der klass. Maxwellgl.
A(~
→ Â(~x) quantisiertes em-Feld
62 KAPITEL 4. VIELTEILCHENSYSTEME UND BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS
Aus den Vertauschungsrelationen der ursprünglichen Vernichter/Erzeuger für diskrete Zustände, âα , â†α , folgen entsprechende Relationen für die Feldoperatoren4 :
[Ψ̂(q), Ψ̂(q 0 )]∓ = 0 ,
[Ψ̂† (q), Ψ̂† (q 0 )]∓ = 0 ,
0
[Ψ̂(q), Ψ̂† (q 0 )]∓ = δ(q − q 0 ) = δ (3) (~x − ~x )δms m0s δnn0
0
ˆ (p), Ψ̃
ˆ † (p0 )] = δ(p − p0 ) = (2π~)3 δ (3) (~
[Ψ̃
p − p~ )δms m0s δnn0 .
∓
(4.42)
Dabei folgen die homogenen Vertauschungsrelationen trivial. Für die letzten beiden Relationen hat man
[Ψ̂(q), Ψ̂† (q 0 )]∓ =
X
ϕ∗i (q)ϕj (q 0 ) [âi , â†j ]∓ =
ij
X
ϕ∗i (q)ϕi (q 0 ) = δ(q − q 0 )
(4.43)
i
| {z }
δij
wobei wir im letzten Schritt die Vollständigkeit der Wellenfunktionen ϕi (q) benutzt haben
(analog im Impulsraum).
Die Interpretation der Feldoperatoren lautet nun:
ˆ † (~
Ψ̃
p)
Ψ̂† (~q)
erzeugt ein Teilchen im Zustand |~
pi mit bestimmtem Impuls,
erzeugt ein Teilchen im Zustand |~qi an einem bestimmten Ort.
und
ˆ † (~
Ψ̃
p) =
Z
i
d3 x e ~ p~·~x Ψ̂† (~q)
d.h. Feldoperatoren im Orts- bzw. Impulsraum hängen wie üblich durch Fouriertransformation
zusammen.
4.3.1
Bewegungsgleichung für Feldoperatoren
Wir betrachten einen allgemeinen Hamiltonoperator für ein N -Teilchensystem mit einem
externen Potential U und einer 2-Teilchen-Wechselwirkung V :
Ĥ =
N X
p̂i 2
i=1
|2m
+ U (~xi , ~σi )
{z
}
1-Teilchen-Operator
+
1X
V̂ (~xi , ~σi , ~xj , ~σj )
{z
}
2 i6=j |
(4.44)
2-Teilchen-Operator
• Gemäß unserer Überlegung oben können wir dies auch durch Erzeuger/Vernichter (der
diskreten Eigenzustände) ausdrücken:
Ĥ =
X
ij
+
4
hλi |
p̂ 2
+ U (~x, ~σ )|λj i · â†i âj +
2m
1X
0
hλi λj |V (~x, ~σ , ~x , ~σ 0 )|λk λl i · â†i â†j âl âk
2 ij,kl
(4.45)
Dies funktioniert sowohl für Fermionen als auch für Bosonen, wobei jeweils Kommutatoren [ , ] ≡ [ , ]− oder
Anti-Kommutatoren { , } ≡ [ , ]+ zu verwenden sind.
4.3. FELDOPERATOREN
63
• Wiederum führen wir den Basiswechsel auf Feldoperatoren im Ortstraum durch (entspricht wieder dem Einschieben von Ortseigenzuständen)
Z
Ĥ =
+
dq dq 0 hq|
1
2
Z
p̂ 2
+ U (~x, ~σ )|q 0 i Ψ̂† (q)Ψ̂(q 0 )+
2m
0
dq dq 0 dq 00 dq 000 hqq 0 |V (~x, ~σ , ~x , ~σ 0 )|q 00 q 000 i Ψ̂† (q)Ψ̂† (q 0 )Ψ̂(q 000 )Ψ̂(q 00 )
(4.46)
• Auswerten der Ortsraummatrixelemente ergibt
Z
Ĥ =
1
+
2
!
~2 ~ 2
∇ + U (q) Ψ̂(q)+
dq Ψ̂ (q) −
2m
†
Z
dq dq 0 Ψ̂† (q)Ψ̂† (q 0 )V (q, q 0 )Ψ̂(q 0 )Ψ̂(q)
(4.47)
(alternativ können wir auch dies auch durch die Fourier-transformierten Feldoperatoren
im Impulsraum Ψ̃(p) ausdrücken).
Weitere Operatoren, die wir auf diese Weise umschreiben können, sind z.B. (Übung):
• Teilchendichte:
n̂(~x) =
N
X
δ(x̂α − ~x) =
X
Ψ̂†ms (~x) Ψ̂ms (~x)
ms
α=1
• Spindichte:
ŝ(~x) =
N
X
δ(x̂α − ~x) · ~sˆα =
X
ms ,m0s
α=1
Ψ̂†m0s (~x) Ψ̂ms (~x) hm0s |~sˆ |ms i
Wir wollen nun aus der Darstellung des Hamiltonoperators Bewegungsgleichungen für die
Feldoperatoren herleiten. Dazu betrachten wir das Heisenberg-Bild, d.h. die Basiszustände
|n1 , n2 , ...i sind zeitunabhängig und die Operatoren â, ↠, Ψ̂, Ψ̂† zeitabhängig.
Behauptung:
Für den obigen Hamiltonoperator erfüllen die Feldoperatoren folgende Bewegungsgleichung, die „Schrödinger-Feldgleichung“ genannt wird:
∂
i~ Ψ̂(q, t) =
∂t
!
~2 ~ 2
−
∇ + U (q) Ψ̂(q, t) +
2m
Z
dq 0 Ψ̂† (q 0 , t)V (q, q 0 )Ψ̂(q 0 , t)Ψ̂(q, t)
Beweis:
Allgemein gilt für das Heisenbergbild:
Ψ̂(q, t) = eiĤt/~ Ψ̂(q, 0) e−iĤt/~
und
i~
∂
Ψ̂(q, t) = [Ψ̂(q, t), Ĥ] = −eiĤt/~ [Ĥ, Ψ̂(q, 0)] e−iĤt/~
∂t
(4.48)
64 KAPITEL 4. VIELTEILCHENSYSTEME UND BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS
d.h. zum Beweis müssen wir den Kommutator [Ĥ, Ψ̂(q, 0)] ausrechnen (als Abkürzung bezeichnen wir im Folgenden Ψ̂(q, 0) ≡ Ψ̂(q)). Dazu benutzen wir die allgemeine Relation
[AB, C] = A[B, C]± ∓ [A, C]± B
Für den 1-Teilchen Beitrag in Ĥ erhalten wir somit:
Z
"
dq 0 Ψ̂† (q 0 )
Z
=
!
!
#
~2 ~ 2
−
∇ + U (q 0 ) Ψ̂(q 0 ) , Ψ̂(q)
2m
!
~2 ~ 2
dq (∓1)[Ψ̂ (q ), Ψ̂(q)]± −
∇ + U (q 0 ) Ψ̂(q 0 )
{z
}
|
2m
0
†
0
=−δ(q−q 0 )
!
~2 ~ 2
∇ + U (q) Ψ̂(q)
=− −
2m
X
(4.49)
wobei wir verwendet haben, dass [∇2 Ψ, Ψ] = 0 gilt, da beide Operatoren jeweils nur Vernichter
beinhalten. Den Beitrag des 2-Teilchenoperators beweist man analog (→ Übung).
Die Besetzungszahldarstellung und der Formalismus mit Feldoperatoren haben vielseitige
Anwendungen in der Physik, auf die wir in dieser Vorlesung nur teilweise eingehen werden.
4.4
N -Fermionen-Systeme (N 1)
Wir diskutieren im Folgenden noch ein paar wichtige Eigenschaften und Aspekte von Vielteilchensystemen mit Fermionen.
• Wir betrachten zunächst nicht-wechselwirkende (Spin- 21 ) Fermionen. Wir denken uns
dazu N (ansonsten freie) Fermionen im Volumen V = L3 eingesperrt (mit V groß,
N/V = ρ fest, und periodischen Randbedingungen). Die 1-Teilchenzustände sind dann
charakterisiert durch diskrete Impulsvektoren
p~ = ~~k,
ki =
2π
ni ,
L
ni ∈ Z
und zwei Spin-Einstellungen ms = ± 12 , d.h.
|~
p, ms i = Ψ̃†ms (~
p) |Ωi .
Wenn wir das Volumen formal gegen unendlich streben lassen, werden die Impulseigenwerte kontinuierlich.
• Wir können jetzt die Zustände abzählen:
– 1 Impulswert „belegt“ im Impulsraum eine „Zelle“ der Größe ∆kx ∆ky ∆kz mit
∆ki = 2π/L. Aufgrund der zwei Spineinstellungen gibt es 2 physikalische Zustände
pro Impulszelle.
– Im Grundzustand sind aufgrund des Pauli-Prinzips die niedrigsten (möglichen)
Zustände besetzt, also
|φ0 i =
Y
Y
Ψ̃†ms (~
p) |Ωi
p
~ ms =± 1
2
|~
p|≤pf
Der sog. Fermi-Impuls pf ist noch zu bestimmen.
4.4. N -FERMIONEN-SYSTEME (N 1)
65
– Den Wert des Fermi-Impuls pf erhält man durch Vergleich der Impulsraumvolumina (d.h. “Wieviele fundamentale Impulszellen passen in einen Kugel mit dem
Radius pf ?”). Integration über diese durch den Grundzustand |φ0 i definierte sog.
„Fermi-Kugel“ ergibt
2π~
4π 3 !
p = nZellen
3 F
L
Vp =
3
3
(4.50)
p3
L
F
d.h. nZellen = 6π
2 ~3 . Summation über die zwei Spineinstellungen ergibt N =
2 · nZellen , d.h. für die Gesamtteilchendichte im Ortsraum
1
N
ρ= 3 = 2
L
3π
pF
~
3
(4.51)
also hängt der Fermi-Impuls hier nur von der vorgegebenen Teilchendichte ab.
• Für spätere Zwecke definieren wir noch die Teilchendichte im Impulsraum
n̂ms (~
p)Ψ̃ms (~
p)
p) ≡ Ψ̃†ms (~
(4.52)
mit
(
hφ0 |n̂ms (~
p)|φ0 i =
1
0
wenn |~
p | ≤ pf
wenn |~
p| > pf
(4.53)
• Angeregte Zustände erzeugen wir durch Vernichtung eines Teilchens mit |~
p| < pf aus
0
der Fermikugel und Anregung eines Teilchens mit |~
p | > pf außerhalb der Fermikugel:
0
0 ˆ
ˆ † (~
|φ i = Ψ̃
p) |φ0 i ,
m0s p ) Ψ̃ms (~
0
(~
p )2 − (~
p)2
E − E0 =
>0
2m
0
(4.54)
Korrelationsfunktionen:
Eine besondere Eigenschaft der Fermionen ist, daß selbst ohne explizite Wechselwirkung die
Anwesenheit der anderen Fermionen die Eigenschaften eines einzelnen Fermions aufgrund des
Pauli-Prinzips beeinflußt. Dies kann man durch sog. Korrelationsfunktionen quantifizieren.
Betrachten wir zunächst die sog. 1-Teilchen-Korrelationsfunktion
0
0
Gms (~r, ~r ) ≡ hφ0 |Ψ̂†ms (~r)Ψ̂ms (~r )|φ0 i
(4.55)
Sie ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, daß die Vernichtung eines Teilchens mit Spin ms
0
am Ort ~r aus dem Grundzustand und die darauffolgende Erzeugung eines Teilchens bei ~r
0
wieder auf den Grundzustand führt (korreliert also die Orte ~r und ~r im Grundzustand |φ0 i).
Offensichtlich gilt:
0
Gms (~r = ~r ) = hφ0 |n̂ms (~r)|φ0 i =
d.h. halbe Gesamtteilchendichte
ρ
2
ρ
2
für eine Spineinstellung ms .
(4.56)
66 KAPITEL 4. VIELTEILCHENSYSTEME UND BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS
Da wir |φ0 i im Impulsraum definiert haben, ist es günstig eine Fourier-Transformation
der Korrelationsfunktion durchzuführen:
0
Gms (~r, ~r ) =
1 X −i~p~r/~ i~p 0 ~r 0 /~
0
e
e
hφ0 |Ψ̃†ms (~
p)Ψ̃ms (~
p )|φ0 i
V
0
(4.57)
p
~,~
p
0
(wobei der Normierungsfaktor konsistent mit den Normierungsbedingungen für ~r = ~r und
der obigen Normierung der Impulsraumdichte ist).
0
Offensichtlich trägt das Grundzustand-Matrixelement nur für p~ = p~ mit |~
p| ≤ pf bei.
Wenn wir wieder zu großen Volumen (d.h. kontinuierlichen Impulsen) übergehen (mit dem
0
gleichen Normierungfaktor wie beim Abzählen der Impulsraumzustände, so daß sich für ~r = ~r
wieder ρ/2 ergibt), erhalten wir
0
Gms (~r, ~r ) =
0
1 X
p)|φ0 i e−i~p(~r−~r )/~
hφ0 |ñms (~
V p~
V groß
−−−−→
Z
0
d3 p
−i~
p·(~
r−~
r )/~
θ(p
−
|~
p
|)
e
f
(2π~)3
(4.58)
0
= Gms (|~r − ~r |) = Fouriertransformierte der θ-Funktion
Die Integration ist elementar
1
2π
kF
1
2
d cos θ e−ikr cos θ
dϕ
k
dk
(2π)3 0
−1
0
Z kF
1
i −ikr
= 2
e
− eikr
dk k 2
4π 0
kr
Z
1 1 kF
dk k sin(kr)
= 2
2π r 0
1 1
= 2 3 (sin(kF r) − kF r cos(kF r))
2π r
Z
Z
Z
Gm s =
(4.59)
ausgedrückt durch die dimensionslose Variable z ≡ kF r unter Verwendung der Beziehung
zwischen ρ und pf = ~kF ergibt sich
GmS (z) =
3 1
ρ (sin z − z cos z)
2 z3
(4.60)
Gms (z)
z
Wie bereits oben bestimmt, ergibt sich aus der Entwicklung um z = 0, dass Gms (0) = ρ/2
gilt. Für Werte von z & π fällt die Funktion schnell ab und oszilliert dann mit kubisch
abnehmender Amplitude um Null. D.h. für Abstände r π/kF ist die Wahrscheinlichkeit(samplitude), wieder den Grundzustand zu erreichen, sehr klein.
4.4. N -FERMIONEN-SYSTEME (N 1)
67
Analog können wir folgende 2-Teilchen-Korrelationsfunktion betrachten:
0
0
0
Gms m0s (~r, ~r ) ≡ hφ0 | Ψ̂†ms (~r) Ψ̂†m0s (~r )Ψ̂m0s (~r )Ψ̂ms (~r) |φ0 i
|
{z
(4.61)
}
hφ̃|
0
0
= hφ̃|Ψ̂†m0s (~r )Ψ̂m0s (~r )|φ̃i
0
entspricht also der Dichteverteilung von Teilchen mit Spin m0s am Ort ~r in einem Zustand
|φ̃i, bei dem aus dem Grundzustand ein Teilchen mit Spin ms am Ort ~r entfernt wurde.
• Das Pauli-Prinzip impliziert für diesen Fall
0
Gms =m0s (~r = ~r ) = 0
(4.62)
• Zur Berechnung der 2-Teilchenkorrelationsfunktion betrachten wir wieder die Fouriertransformierte
0
Gms m0s (~r, ~r ) =
1 X −(~k−~k0 )~r −i(~q−~q 0 )~r 0
hφ0 |Ψ̃†ms (~k )Ψ̃†m0s (~q )Ψ̃m0s (~q 0 )Ψ̃ms (~k 0 )|φ0 i
e
e
V2 0
k,k
q,q 0
(4.63)
Fall 1: ms 6= m0s :
Damit das Matrixelement von Null verschieden ist, muss
~k = ~k 0
~q = ~q
und
0
gelten. Außerdem kann man Ψ̃ms (~k 0 ) zweimal nach links anti-vertauschen.
0
⇒ Gms 6=m0s (~r, ~r ) =
1 X
hφ0 |n̂ms (~k)n̂m0s (~q)|φ0 i
V2 ~
k,~
q
=
1 X
V2
nms (~k)nm0s (~q) =
~k,~
q
2
ρ
2
(4.64)
d.h. es ergibt sich einfach das Produkt der 1-Teilchendichten, mit anderen Worten für unterschiedliche Spin-Einstellungen ms 6= m0s gibt es keine Korrelation. Ursache dafür ist die
Tatsache, daß das Pauli-Prinzip nur für Zustände gilt, die in allen Quantenzahlen übereinstimmen, also hier irrelevant ist. Da wir weiterhin keine Wechselwirkung angenommen haben,
ist die Dichteverteilung eines Teilchens mit Spin m0s unabhängig von der Dichteverteilung des
Teilchens mit Spin ms , und die 2-Teilchen-Korrelationsfunktion faktorisiert
0
0
hφ0 | Ψ̂†ms (~r) Ψ̂†m0s (~r ) Ψ̂m0s (~r ) Ψ̂ms (~r) |φ0 i
0
0
= hφ0 | Ψ̂†ms (~r) Ψ̂ms (~r) |φ0 i hφ0 | Ψ̂†m0s (~r ) Ψ̂m0s (~r ) |φ0 i
(für ms 6= m0s ) .
(4.65)
Fall 2: ms = m0s :
In diesem Fall erhalten wir 2 Beiträge, für k = k 0 und q = q 0 , bzw. k = q 0 und q = k 0
68 KAPITEL 4. VIELTEILCHENSYSTEME UND BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS
(wobei wegen des Pauli-Prinzips stets k 6= q gilt):
0
Gms ms (~r, ~r ) =
1 X −i(~k−~k0 )~r −i(~q−~q 0 )~r 0
δkk0 δqq0 − δkq0 δqk0 hφ0 |n̂ms (~k)n̂ms (~q)|φ0 i
e
e
2
V ~ ~0 0
k,k ,~
q ,~
q
0
1 X
~ 0
= 2
1 − e−ik·(~r −~r) e−i~q·(~r−~r ) nms (~k) nms (~q)
V ~
k,~
q
2
=
ρ
2
2
0
− Gms (|~r − ~r |)
(4.66)
wobei sich im letzten Term gerade das Quadrat der 1-Teilchenkorrelationsfunktion ergibt. In
Übereinstimmung mit obiger Vorüberlegung verschwindet die 2-Teilchenkorrelationsfunktion
0
für ms = m0s und ~r = ~r und strebt für große Abstände gegen den unkorrelierten Wert
ρ2 /4. Das Pauli-Prinzip “wirkt” also in der Korrelationsfunktion abstandsabhängig, d.h. die
Wahrscheinlichkeit Fermionen mit gleicher Spineinstellungen im Abstand r . π/kF zu finden
ist unterdrückt.
4.5
Hartree-Fock-Verfahren
Wir wollen nun wechselwirkende N -Fermionen-Systeme betrachten und als Anwendung des
Besetzungszahlformalismus ein wichtiges Näherungsverfahren diskutieren. Ausgangspunkt ist
folgende Problemstellung:
• Wir betrachten ein Vielteilchensystem (N 1 Fermionen) mit einer 2-Teilchenwechselwirkung, beschrieben durch den Hamiltonoperator
Ĥ =
N
X
i=1
~2 ~ 2
−
∇
2m (i)
!
{z
}
|
+
kinetischer Term t̂
(1-Teilchen-Potential
vernachlässigt)
1 X (ij)
V̂
2 i6=j
|
{z
}
2-Teilchen-WW
(allgemein können wir auch ein externes 1-Teilchenpotential hinzunehmen, der Übersichtlichkeit halber ist das hier vernachlässigt).
• Eine elementare Lösung des Vielteilchenproblems ist im Allgemeinen nicht möglich.
• Wir stellen uns deshalb die Frage, ob man das Problem vereinfachen kann, indem man
jeweils 1 Teilchen betrachtet und den Effekt der restlichen Teilchen durch ein effektives
1-Teilchen Potential nähert.
?
Ĥ ≈
N
X
i=1
~2 ~ 2
(i)
−
∇ + Ûeff
2m (i)
!
„naiv“ (d.h. ohne Berücksichtigung der Teilchenstatistik) würden wir einfach das mittlere Potential
(i)
Ueff (~r)
=
N Z
X
0
0
0
d3 r0 ϕ∗j (~r )V (ij) (~r, ~r )ϕj (~r )
j6=i
welches das Teilchen i sieht, ansetzen (“Mean-Field-Näherung”).
4.5. HARTREE-FOCK-VERFAHREN
69
• Da das so bestimmte effektive Potential selbst eine Funktion der gesuchten 1-Teilchen
Wellenfunktionen ist, erhalten wir so eine selbstkonsistent zu lösende 1-Teilchen–Schrödinger-Gleichung.
Für Fermionen hatten wir allerding gesehen, dass das Pauli-Prinzip selbst für V (ij) = 0 (d.h.
ohne explizite Wechselwirkung) schon Korrelationen impliziert, die sicherlich die Lösung des
N -Teilchen-Problems beeinflussen. Deshalb präzisieren wir die Fragestellung:
- Suche eine möglichst genaue Näherung von Ĥ.
- Die Lösung für die Wellenfunktionen soll auf dem Raum der Slaterdeterminanten
|ψi =
N
Y
†
b̂i |Ωi
i=1
definiert sein.
Zur Lösung werden wir ein Variationsproblem formulieren, daß die Einschränkung auf antisymmetrische Wellenfunktionen bereits im Ansatz beinhaltet.
Dazu wiederholen wir zunächst noch einmal allgemein die Idee hinter dem Variationsprinzip:
• Wir betrachten ein sog. Funktional („Funktion einer Funktion“)
E[ψ] ≡
hψ|Ĥ|ψi
hψ|ψi
(4.67)
welches jeder Wellenfunktion ψ(x) einen Energiewert E zuordnet.
• Behauptung: Aus δE = 0 (d.h. stationärer Punkt |ψ0 i bzgl. Variationen von E[ψ]) folgt
Ĥ |ψ0 i = E0 |ψ0 i, d.h. |ψ0 i ist Eigenvektor von Ĥ zum Eigenwert E0 = E[ψ0 ].
• Beweis: Wir multiplizieren die obige Definition mit hψ|ψi und bilden die Variation
hψ|ψi · δE = δ(hψ|Ĥ|ψi) − E · δ(hψ|ψi)
= hδψ|Ĥ − E|ψi + hψ|Ĥ − E|δψi
!
=0
(4.68)
Da hδψ| und |δψi linear unabhängig sind (komplexer Vektorraum, variiere Real- und
Imaginärteil unabhängig), müssen im stationären Punkt
(Ĥ − E) |ψ0 i = 0
∧
hψ0 | (Ĥ − E) = 0
(4.69)
gelten. Da der Hamiltonoperator hermitesch ist, Ĥ = Ĥ † , sind die beiden Gleichungen
äquivalent, und es folgt die Behauptung: Ĥ |ψ0 i = E[ψ0 ] |ψ0 i mit E0 = E[ψ0 ] reell.
Der Umkehrschluss ist offensichtlich auch richtig.
Wenden wir dieses Verfahren nun auf unser Ausgangsproblem an:
70 KAPITEL 4. VIELTEILCHENSYSTEME UND BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS
• Um ein effektives 1-Teilchen-Potential zu konstruieren, beschränken wir uns dabei auf
ganz bestimmte Variationen, nämlich solche, bei denen gerade ein Teilchen aus dem
gesuchten Vielteilchengrundzustand entfernt und durch ein Teilchen mit anderen Quantenzahlen ersetzt wird (entspricht 1-Teilchen–1-Loch–Anregung):
|δψi =
X
ηαβ b̂†α b̂β |ψ0 i
αβ
|
{z
(4.70)
}
Hierbei sind die Koeffizienten ηαβ die infitesimalen Variationsparameter, die Quantenzahlen der Erzeuger und Vernichter seien unterschiedlich (α 6= β).
• |ψ0 i bezeichnet den gesuchten Grundzustand
N
Y
†
|ψ0 i =
b̂i |Ωi
i∈F
wobei F die Fermikugel für das Problem mit Wechselwirkung bezeichnet.
• Dann gilt wegen des Pauli-Prinzips (und für α 6= β)
|δψi =
X
ηαβ b̂†α b̂β |ψ0 i
β∈F
α6∈F
Herleitung der Hartree-Fock-Gleichungen
Zunächst schreiben wir den Hamiltonoperator Ĥ in Besetzungszahldarstellung um:
Ĥ =
X
hα|t̂|βi b̂†α b̂β +
αβ
|
{z
}
1 X
hαβ|V̂ |γδi b̂†α b̂†β b̂δ b̂γ
2 αβγδ
|
≡T̂
{z
(4.71)
}
≡Ŵ
Nun können wir die einzelnen Beiträge zur Variation ausrechnen:
• Für den Beitrag der Energie erhalten wir
hδψ|E|ψ0 i = E · hδψ|ψ0 i = 0
da nach Voraussetzung der variierte Vektor |δψi orthogonal zu |ψ0 i sein sollte.
• Für den kinetischen Term erhalten wir
hδψ|T̂ |ψ0 i =
X X
∗
hα|t̂|βi ηmi
hψ0 |b̂†i b̂m b̂†α b̂β |ψ0 i .
(4.72)
αβ i∈F
m6∈F
Da m 6∈ F ist b̂m |ψ0 i = 0, und wegen i ∈ F ist ebenso b̂†i |ψi0 = 0.
Wir antivertauschen b̂m und b̂†i nach rechts und erhalten:
hψ0 |b̂†i b̂m b̂†α b̂β |ψ0 i = hψ0 |b̂†i (−b̂†α b̂m + δαm )b̂β |ψ0 i
= δαm hψ0 | − b̂β b̂†i + δβi |ψ0 i
= δαm δβi
(4.73)
4.5. HARTREE-FOCK-VERFAHREN
71
und damit ergibt sich
hδψ|T̂ |ψ0 i =
X
∗
hm|t̂|ii ηmi
(4.74)
mi
∗ und dem entspred.h. die Variation eines 1-Teilchen-Operators ist proportional zu ηmi
chenden Matrixelement hm|t̂|ii.
• Analog behandeln wir den 2-Teilchen-Operator Ŵ . Es gibt (ähnlich wie bei der Berechnung der 2-Teilchenkorrelationsfunktion) wieder 2 Möglichkeiten, daß das Matrixelement von Null verschieden wird:
hδψ|Ŵ |ψ0 i =
∗
ηmi
(hjm|V̂ |jii − hjm|V̂ |iji)
X X
j
i∈F
m6∈F
wobei das relative Minuszeichen wieder dem Pauli-Prinzip Rechnung trägt.
– Die Variation ist per Konstruktion wieder linear in den ηmi X
– Daher tragen zum Variationsprinzip nur solche Matrixelemente bei, bei denen jeweils ein bra- und ein ket-Zustand (j) gleich sind und über alle diese Zustände j
summiert wird.
(Hätten wir dagegen für die Variation z.B. 2-Teilchen-2-Loch-Anregungen betrachtet, wären Koeffizienten ηmikl aufgetaucht und damit auch die allgemeinsten Matrixelemente hmi|V̂ |kli für einen 2-Teilchenoperator, s.o.)
– Für i = j kommt Null heraus, wie es aufgrund des Pauli-Prinzips sein muß X
Das so auf die angenommenen |δψi beschränkte Variationsproblem ist dann aber offensichtlich äquivalent zu einem Variationsproblem mit einem effektiven 1-Teilchen-HamiltonOperator.
ĤHF ≡

X
αβ
hα|t̂|βi +

X


j

(hjα|V̂ |jβi − hjα|V̂ |βji
· b̂†α b̂β
(4.75)
(d.h. wenn wir diesen Hamiltonoperator wie in obigem Beispiel mit T̂ behandeln, kommt die
gleiche Variation heraus wie für den ursprünglichen Hamiltonian.)
Mit diesem effektiven Hamiltonian können wir nun die 1-Teilchen-Schrödingergleichung
iterativ lösen (im Gegensatz zum vollen N -Teilchen-Problem). Zur Lösung schreiben wir das
effektive Potential zunächst im Ortsraum:
(ms )
hq|ψi i = ψi (q) ≡ ψi
(~r) = ϕ(~r)χ(ms )
• Für den 1. Term mit V̂ erhalten wir so
X
hjm|V̂ |jii =
j
XZ
∗
dq1 dq2 ψj∗ (q1 )ψm
(q2 )V (q1 , q2 )ψj (q1 )ψi (q2 )
j
Z
=


XZ
∗
dq2 ψm
(q2 )ψi (q2 ) 
dq1 ψj∗ (q1 )V (q1 , q2 )ψj (q1 )
j
|
{z
≡UH (q2 )
}
(4.76)
72 KAPITEL 4. VIELTEILCHENSYSTEME UND BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS
UH (q2 ) ist das sog. Hartree-Potential und entspricht gerade der Mean-Field–Näherung,
bis auf den Term mit i = j, der – wie bereits erwähnt – aber vom 2. Term aufgehoben
wird.
Haben wir speziell den Fall eines spin-unabhängigen Potentials V (x1 , x2 ), ergibt sich
UH (q2 ) = UH (~r2 ) =
XZ
d3 r1 ϕ∗j (~r1 )V (~r1 , ~r2 )ϕj (~r1 ).
j
Die durch das Hartree-Potential beschriebene effektive Wechselwirkung ist lokal,
• Analog betrachten wir die Ortsraumdarstellung für den 2. Potentialterm:
X
hjm|V̂ |iji =
j
XZ
∗
dq1 dq2 ψj∗ (q1 )ψm
(q2 )V (q1 , q2 )ψi (q1 )ψj (q2 )
j
Z
=


X
∗
dq2 dq1 ψm
(q2 )ψi (q1 )  ψj∗ (q1 )V (q1 , q2 )ψj (q2 )
j
|
{z
≡uF (q1 ,q2 )
}
(4.77)
uF (q1 , q2 ) ist das sog. Fock-Potential (oder auch Austauschterm genannt).
Das Austauschpotential ist nicht-lokal, d.h. es hängt von zwei Orts- (und eventuell
Spin-) variablen q1 und q2 ab.
Betrachten wir wieder den Spezialfall eines spin-unabhängigen 2-Teilchen-Potentials,
ergibt sich
X
hjα|V̂ |βji =
Z


X
d3 r1 d3 r2 ϕ∗α (~r2 )ϕβ (~r1 )  ϕ∗j (~r1 )V (~r1 , ~r2 )ϕj (~r2 ) ·
j
j
·
χ∗j (mj )χβ (mβ )χ∗α (mα )χj (mj )
(4.78)
Der Austauschterm trägt nur bei, wenn mα = mβ = mj ist (was konsistent ist mit der
Beobachtung, die wir bereits bei der Diskussion der 2-Teilchenkorrelationsfunktionen
gemacht hatten).
Damit ergibt sich die (selbst-konsistent) zu lösende 1-Teilchen-Schrödingergleichung im
Ortsraum zu
"
#
~2 ~ 2
−
∇ + UH (q) ψi (q) −
2m
Z
!
dq 0 uF (q, q 0 )ψi (q 0 ) = i ψi (q)
(4.79)
(wobei UH und uF implizit von den Wellenfunktionen ψj (q) abhängen).
Iterationsverfahren:
1. Starte mit „beliebiger“ (sinnvoller) Ansatzfunktion für 1-Teilchen-Wellenfunktion:
(n=0)
ψi
(x) (0. Iteration).
4.5. HARTREE-FOCK-VERFAHREN
73
(n)
2. Berechne UH (q), uF (q, q 0 ) für ψi (x).
(n+1)
3. Löse Schrödingergleichung, und erhalte daraus neue Wellenfunktionen ψi
(n+1)
(n)
(n+1)
(x).
(n)
4. Falls ψi
≈ ψi und i
≈ i (zur gewünschten Genauigkeit), hat man die
Lösung gefunden.
Ansonsten: Wiederhole Schritt 2. bis 4.
Dann ergibt sich die Hartree-Fock-Approximation für den N -Teilchen Grundzustand durch
den antisymmetrischen Produktzustand
ψ1 (x1 ) . . .
†
..
|ψHF i ∝
b̂i |Ωi = .
i=1
ψ (x ) . . .
1 N
N
Y
mit
ĤHF |ψHF i = EHF |ψHF i =
N
X
ψN (xN ) ψN (x1 )
..
.
!
α |ψHF i
α=1
N
†
†
d.h. ĤHF =
α=1 α b̂α b̂α , wobei die bα , bα nun Erzeuger/Vernichter für die 1-Teilchen–
Lösungen der Hartree-Fock-Gleichung sind. Die α bestimmen gerade die Ionisierungsenergie,
d.h. die Energie, die man aufbringen muß, um das Teilchen im Zustand |αi zu entfernen,
unter der Annahme, daß die anderen Zustände (näherungsweise) unbeeinflusst bleiben.
P
74 KAPITEL 4. VIELTEILCHENSYSTEME UND BESETZUNGSZAHLFORMALISMUS
Kapitel 5
Relativistische Wellengleichungen
Für energetische Teilchen (E mc2 ) müssen wir die Quantenmechanik mit der speziellen
Relativitätstheorie in Einklang bringen. Der eigentliche theoretische Rahmen hierfür ist die
Quantenfeldtheorie (die wir in einer separaten Vorlesung behandeln werden). Im Folgenden
beschränken wir uns auf die Betrachtung von relativistischen Wellengleichungen für Materiefelder, welche die Schrödinger-(Feld-)Gleichungen der nicht-relativistischen Quantenmechanik
verallgemeinern (vgl. auch die Analogie zu der in Kapitel 2 diskutierten Quantisierung elektromagnetischer Felder, welche die relativistischen Maxwell-Gleichungen erfüllen)
5.1
Vorüberlegungen
Relativistische Notation:
• Es ist üblich, räumliche und zeitliche Abstände, sowie Energien und Impulse in „natürlichen“ Einheiten anzugeben, indem man die physikalischen Größen auf geeignete
Kombinationen der Naturkonstanten ~ und c bezieht, z.B.:
~ = 6.582 · 10−25 GeV s = 1.066 · 10−34 J s ,
~c = 0.1973 GeV fm .
Setzen wir nun ~ ≡ 1, heißt das, daß eine Zeitspanne von 10−25 s gerade einer inversen Energie von 1/6.582 GeV entspricht. Ebenso folgt aus ~c ≡ 1, daß 10−15 m als
1/0.1973 GeV gemessen werden.
• Wir stellen den (3+1)-dimensionalen Minkowski-Raum durch Vektoren mit LorentzIndizes dar:
µ, ν, ... = 0, 1, 2, 3
D.h. mit entsprechenden Basisvektoren eµ ist ein Raum-Zeit-Punkt x durch die Koordinaten xµ spezifiziert:
x=
X
xµ eµ
(5.1)
µ
(Summation über doppelt vorkommende Indices wird im Folgenden implizit angenommen.) Die Hoch- bzw. Tiefstellung der Indizes ist dabei zu unterscheiden.
75
76
KAPITEL 5. RELATIVISTISCHE WELLENGLEICHUNGEN
Bei hochgestelltem Index sprechen wir von einem kontravarianten Vektor:
xµ = (t, x, y, z) = (t, ~x),
(5.2)
bei tiefgestelltem Index dagegen von einem kovarianten Vektor:
xµ = (t, −x, −y, −z) = (t, −~x)
(5.3)
Die beiden Fälle unterscheiden sich durch das Vorzeichen der 3 räumlichen Komponenten, welches durch die (Minkowski-)Metrik induziert wird:


gµν
1 0
0
0
0 −1 0
0


=
 = g µν
0 0 −1 0 
0 0
0 −1
(5.4)
so daß:
xµ = gµν xν ,
xµ = g µν xν .
(5.5)
Entsprechend erhalten wir für das Skalarprodukt zweier Lorentz-Vektoren:
x2 ≡ xµ xµ = xµ gµν xν = t2 − ~x2
(5.6)
• Transformationen, die gµν invariant lassen, heißen Lorentz-Transformationen:
0
0
!
0
gµν
= Λµµ Λνν gµ0 ν 0 = gµν
(5.7)
Ein Lorentz-invariantes Linienelement ist damit gegeben durch
(ds)2 = dxµ dxµ = (dt)2 − (dx)2 − (dy)2 − (dz)2
• Differentiation: Wir führen den Ableitungsoperator ein.
∂
∂ ∂ ∂ ∂
~ ≡ ∇µ
∂µ ≡
=
,
, ,
= (∂t , ∇)
(5.8)
∂xµ
∂t ∂x ∂y ∂z
Beachte: ∂µ ist ein kovarianter Vektor, d.h. der Index steht unten; aber es wird ∂/∂xµ ,
also nach einem kontravarianten Vektor mit Index oben abgeleitet!
Daraus erhält man die Ableitungsregel:

1
0

∂µ xν = 
0
0
0
1
0
0
0
0
1
0

0
0

 = gµν = g νµ ≡ δµν
0
1
(Kronecker-Delta)
(5.9)
Mittels der Metrik können wir entsprechend partielle Ableitungsoperator mit hochgestelltem Index konstruieren:
~
∂ µ = (∂t , −∇)
(5.10)
und daraus den D’Alembert-Operator
~ 2) ≡ ∂µ ∂ µ = (∂t2 , −∇
(5.11)
• Analog zu den Raum-Zeit-Koordinaten fassen wir Energie und Impuls in sog. 4erImpulsen zusammen:
pµ = (E, p~)
(5.12)
5.1. VORÜBERLEGUNGEN
77
Eigenschaften der Schrödinger-Gleichung:
• Korrespondenzprinzip: Aus der nicht-relativistischen Schrödinger-Gleichung und der
Ortsdarstellung des Impulsoperators lesen wir die Korrespondenz
E ↔ i~
∂
∂t
~
p~ ↔ −i~∇
(5.13)
ab.
Wenn wir obige relativistische Notation (und ~ = 1 = c) verwenden, läßt sich dies
zusammenfassen als:
~
pµ = (E, p~) ↔ i∂ µ = (i∂t , −i∇)
(5.14)
• Die Schrödinger-Gleichung selbst (für freie Teilchen)
∂
~2 ~ 2
Ψ=−
∇ Ψ
(5.15)
∂t
2m
läßt sich dagegen nicht in relativistischer Notation schreiben, denn p~ 2 /2m entspricht ja
gerade der nicht-relativistischen kinetischen Energie in der Entwicklung
i~
E=
q
pm
p~ 2 + m2 = m +
p~ 2
+ ...
2m
• Die Wahrscheinlichkeitsdichte ergibt sich aus der Schrödinger-Wellenfunktion als
ρ(t, ~x) = ψ ∗ (t, ~x)ψ(t, ~x)
(5.16)
und erfüllt die Kontinunitätsgleichung, z.B. für den Fall eines freien Teilchens
∂ψ ∗
∂ψ
ψ + ψ∗
∂t
∂t
~ ~2 ∗
~ 2 ψ) = −∇
~ · ~j
=
(∇ ψ )ψ − ψ ∗ (∇
2mi
wobei wir die Wahrscheinlichkeitsstromdichte
h
i
~ − (∇ψ
~ ∗ )ψ
~j = ~ ψ ∗ ∇ψ
2mi
∂ρ
=
∂t
(5.17)
(5.18)
identifiziert haben, so daß
∂
~ · ~j(t, ~x) = 0
ρ(t, ~x) + ∇
∂t
(5.19)
Aus der expliziten Darstellung für ρ und ~j sehen wir, daß wir die beiden Ausdrücke
wiederum nicht in relativistischer 4er-Schreibweise zusammenfassen können.
Dagegen kann die Kontinuitätsgleichung selbst in relativistischer Form geschrieben werden:
~ ~j(x) = 0
∂µ j µ (x) = ∂t ρ(x) + ∇
(5.20)
78
KAPITEL 5. RELATIVISTISCHE WELLENGLEICHUNGEN
5.2
Klein-Gordon-Gleichung
Die einfachste Möglichkeit, eine relativistische (Feld-)Gleichung zu konstruieren, ist, von der
relativistischen Energie-Impuls-Beziehung auszugehen und das Korrespondenzprinzip zu benutzen. Aus
E 2 = p~ 2 + m2 (für freies Teilchen)
wird damit
~ 2 + m2 )φ(t, ~x)
−∂t2 φ(t, ~x) = (−∇
bzw. wenn wir alle Terme auf die linke Seite bringen, die sog. Klein-Gordon-Gleichung
( + m2 ) φ(x) = 0
(5.21)
Um die Lösungen φ(x) der Klein-Gordon-Gleichung zu interpretieren, konstruieren wir die
entsprechende relativistische Form der Kontinuitätsgleichung: Wir erwarten wieder, daß wir
die zeitliche Komponente von j µ (analog zur relativistischen Form der Energie E) gegenüber
dem nicht-relativistischen Fall modifizieren müssen. Mit dem Ansatz:
h
i
~
~ ∗ (x)) φ(x)
~j(x) = 1 φ∗ (x) ∇φ(x)
− (∇φ
(wie im nicht-rel. Fall, geraten)
2mi
1
⇒ j µ (x) = −
[φ∗ (x) ∂ µ φ(x) − (∂ µ φ∗ (x)) φ(x)] (relativ. Verallgemeinerung)
2mi
(5.22)
folgt dann
ρ(x) ≡ −
1
[φ∗ (x) ∂t φ(x) − (∂t φ∗ (x)) φ(x)] .
2mi
(5.23)
Und die Kontinuitäts-Gleichung ist tatsächlich erfüllt, wie man durch Anwenden der KGGleichung explizit nachprüft1
∂µ j µ =
1
[φ∗ φ + (∂µ φ∗ )(∂ µ φ) − (φ∗ )φ − (∂ µ φ∗ )(∂µ φ)]
2mi
(5.24)
Mischterme fallen heraus und die Terme mit können durch die Klein-Gordon-Gleichung
vereinfacht werden: ψ = −m2 ψ und ψ ∗ = −m2 ψ ∗ . Daraus folgt sofort
∂µ j µ = 0 X
(5.25)
Es bleibt die Frage, ob wir ρ(x) wieder als Wahrscheinlichkeitsdichte interpretieren können,
wie im nicht-relativistischen Fall:
? Im Gegensatz zur Schrödinger-Gleichung ist das im Klein-Gordon-Fall konstruierte
ρ(t, ~x) im Allgemeinen nicht positiv definit, denn die Klein-Gordon-Gleichung ist eine Differentialgleichung 2. Ordnung in der Zeit, d.h. φ(t0 , ~x) und ∂t φ(t0 , ~x) sind als
unabhängige (beliebige) Anfangsbedingungen zu betrachten.
1
Alternativ hätte man auch die Kontinuitätsgleichung explizit aus der Differenz der KG-Gleichung und
dessen Konjugierter konstruieren können.
5.2. KLEIN-GORDON-GLEICHUNG
79
? Die (mathematischen) Lösungen von E 2 = p~ 2 +m2 erlauben 2 Vorzeichen für die Energie
q
p0 = ±E = ± p~ 2 + m2
(Dispersionsrelation)
d.h. die Lösungen der KG-Gleichung lassen sich durch ebene Wellen φ(~x, t) = e±i(Et−~p~x)
konstruieren.
Die richtige Interpretation, welche obige Subtilitäten berücksichtigt, ergibt sich dann folgendermaßen:
⇒ Interpretiere ρ(x) als Ladungsdichte, d.h.:
positives ρ:
negatives ρ:
positive Ladung
negative Ladung
Offensichtlich gilt dann für reelle Lösungen (φ(x) = φ∗ (x)) mit obiger Definition ρ(x) =
0 und ~j(x) = 0.
⇒ Daraus folgern wir, daß ungeladene (skalare) Teilchen durch reelle KG-Felder beschrieben werden.
[Ein Beispiel sind die neutralen π 0 -Mesonen in der Hadronenphysik.]
⇒ Entsprechend brauchen wir zur Beschreibung geladener Teilchen dann echt
komplexe Felder.
[Das analoge Beispiel wären dann die π ± -Mesonen.]
• Unter komplexer Konjugation: φ(x) ↔ φ∗ (x) ändert j µ (x) das Vorzeichen, d.h. positiv
und negativ geladene Teilchen tauschen ihre Rolle.
[Im obigen Beispiel heißt das, daß π − gerade das Antiteilchen zu π + ist.]
• Die Anwesenheit von Anti-Teilchen-Lösungen (im Allgemeinen) ist also eine Folge der
relativistischen
Invarianz der Feldgleichungen und spiegelt die 2 Lösungen der Gleichung
p
2
p0 = ± p~ + m2 wider.
Feldoperatoren für KG-Feld
Wie im Falle der nicht-relativistischen Schrödinger-Gleichung für Vielteilchensysteme, bzw.
der Quantisierung der freien Lösungen der relativistischen Maxwellgleichungen, können wir
wieder Feldoperatoren konstruieren, welche skalare (Spin-Null) Klein-Gordon–Teilchen erzeugen/vernichten:
• Für reelle Felder (ungeladene Teilchen) definieren wir hermitesche Feldoperatoren

Z
Φ̂(x) =
d3 p
(2π)3
1 
−ipx
√
+
â(p)e
2E
p
mit x = xµ eµ = (~x, t) und E = p0 = + p~ 2 + m2 .
vgl. mit Quantisierung des e.m.-Feldes:

h.
| {zc.}
so daß Φ̂ = Φ̂†


(5.26)
80
KAPITEL 5. RELATIVISTISCHE WELLENGLEICHUNGEN
- reelles Feld Aµ (x, t) → hermitescher Operator µ (x)
- E = ~ω = |~
p| → masselose Photonen
- zusätzlicher Spin-Freiheitsgrad → Polarisationsvektor µ
• Für komplexe Felder (geladene Teilchen) kombinieren wir 2 reelle Feldoperatoren
Φ̂± (x) = Φ̂1 (x) ± iΦ̂2 (x) = Φ̂†∓ (x)
(5.27)
so daß die hermitesche Konjugation gerade dem Vorzeichenwechsel der Ladung entspricht.
Hierbei haben wir unabhängige Erzeuger/Vernichter (â†1 , â1 ) und (â†2 , â2 ) einzuführen,
so daß
Z
Φ̂± (x) =
d3 p
1 †
† ipx
−ipx
√
(â
±
iâ
)e
+
(â
±
iâ
)e
·
1
2
1
2
(2π)3
2E
(5.28)
Identifizieren wir â1 ± iâ2 ≡ â± und â†1 ∓ iâ†2 ≡ (â± )† , folgt
Z
Φ̂+ (x) =
d3 p
1
· √ ( â+ (p)
3
| {z }
(2π)
2E
e−ipx +
vernichtet
Teilchen mit
positiver
Ladung und
positiver
Energie
â†− (p)
eipx
(5.29)
| {z }
erzeugt
Teilchen mit
negativer
Ladung und
positiver
Energie
d.h. Φ̂+ (x) = Φ̂†− (x) beschreibt simultan Teilchen und Anti-Teilchen.
Anmerkung:
Wir haben hier nur die freien Wellengleichungen betrachtet. Wechselwirkungen mit externen Potentialen oder Selbstwechselwirkungen der Felder werden in der QFT aus einem Variationsprinzip, ausgehend
von einer Lagrangedichte für relativistische Felder, konstruiert. Den Spezialfall der elektromagnetischen
Wechselwirkung werden wir weiter unten für Fermionen diskutieren (analoge Ergebnisse können auch
für den KG-Fall konstruiert werden).
5.3
Heuristische Herleitung der Dirac-Gleichung
Um eine relativistisch Differentialgleichung 1. Ordnung in der Zeit zu erhalten, müssen wir
einen Weg finden, die Klein-Gordon-Gleichung zu faktorisieren.2 Ausgehend von der relativistischen Energie-Impuls-Beziehung heisst das
!?
E 2 = ((~
p)2 + m2 ) = (~
α · p~ + β m)2
(5.30)
mit festem αx,y,z und β. Offensichtlich können α
~ , β dabei keine gewöhnlichen Zahlen sein
(d.h. sie müssen operator- oder matrix-wertig sein, d.h. die Reihenfolge in obigem Produkt
ist relevant). Ausmultiplizieren und Koeffizientenvergleich ergibt dann
αi2 = β 2 = 1 ,
{αi , αj } = 0 für i 6= j , {αi , β} = 0 .
(5.31)
Matrizen, die die obigen Bedingungen erfüllen haben demnach folgende Eigenschaften:
2
In gewissem Sinne versuchen wir die binomische Formel p2 − m2 = (p − m)(p + m) auf 4er-Impulse zu
verallgemeineren.
5.3. HEURISTISCHE HERLEITUNG DER DIRAC-GLEICHUNG
81
• Da wir den Ansatz für E mit dem Eigenwert des Hamiltonoperators identifizieren wollen,
müssen α
~ und β hermitesche Matrizen sein.
• Aufgrund der Antivertauschungsrelationen und der zyklischen Vertauschbarkeit von Matrizen unter der Spur gilt
Sp(αi ) = −Sp(βαi β) = −Sp(β 2 αi ) = −Sp(αi )
⇒
Sp(αi ) = 0 ,
(5.32)
⇒
(5.33)
und ebenso
Sp(βαi αi ) = Sp(β) = Sp(αi βαi ) = −Sp(αi2 β) = −Sp(β)
Sp(β) = 0 .
• Wegen αi2 = β 2 = 1 haben die gesuchten Matrizen Eigenwerte vom Betrag 1, und wegen
der Hermitizität geht dann nur ±1.
• Damit folgt, dass die Spur der Matrizen nur verschwinden kann, wenn gleich viele Eigenwerte +1 wie −1 vorliegen, d.h. die Matrizen haben geradzahlige Dimension.
Die Analyse der einfachsten Fälle ergibt dann
N = 2: es gibt nur 3 unabhängige spurlose, hermitesche Matrizen, nämlich die Pauli-Matrizen.
Funktioniert demnach nicht.
N = 4: funktioniert, mit der expliziten Realisierung in 2 × 2-Blockform:
αi :=
0 σi
σi 0
!
,
12
0
0 −12
β :=
!
.
(5.34)
Die Matrizen sind manifest spurlos und hermitesch, und für die Antikommutatoren
ergibt sich
{αi , αj } =
0 σi
σi 0
!
0 σi
σi 0
!
0
σj
σj
0
!
+ (i ↔ j) =
σi σj
0
!
!
0
σi σj
!
+ (i ↔ j) = 2 δij 14
√
(5.35)
{αi , β} =
12
0
12
0
+
0 −12
0 −12
0 σi
σi 0
!
=0
√
(5.36)
und trivialerweise β 2 = 14 .
Die obige Realisierung der Matrizen αi , β heisst “Dirac-Darstellung”.
Der Ansatz für die Dirac-Gleichung ergibt demnach
∂ψ
~ +βm ψ =
i
= Ĥ ψ ≡ (~
α · p~ + β m) ψ = −i α
~ ·∇
∂t
!
~
m 12
−i ~σ · ∇
ψ,
~
−i ~σ · ∇ −m 12
(5.37)
wobei ψ = ψ(x) = ψ(~x, t) als 4-komponentiger “Dirac-Spinor” zu lesen ist. Die Tatsache,
dass die Linearisierung der relativistischen Wellengleichung eine mehr-komponentige Wellenfunktion erzwingt, führt, wie wir noch genauer verstehen werden, dabei gerade auf das
Konzept des Spins.3
3
Formaler ergibt sich dieses Konzept aus der Darstellungstheorie der Poincaré-Gruppe.
82
KAPITEL 5. RELATIVISTISCHE WELLENGLEICHUNGEN
Die Dirac-Gleichung lässt sich nun auch manifest in Lorentz-kovarianter Form schreiben,
wenn man obige Gleichung mit der Matrix β multipliziert und alle Term auf eine Seite bringt,
iβ
∂ψ
∂ψ
+ i βαi
− mψ = 0,
∂t
∂xi
(5.38)
und die Matrizen in 4er-Schreibweise zusammenfasst (“Dirac-Matrizen”),
0
γ ≡β
Dirac-Darst.
=
12
0
0 −12
!
i
γ ≡ βα
,
i Dirac-Darst.
0 σi
−σi 0
!
,
(5.39)
(kovariante Form der Dirac-Gleichung) .
(5.40)
=
so dass
(i∂µ γ µ − m) ψ = 0
Mit der abkürzenden Schreibweise (“Feynman-dagger” oder “Fenyman-slash”)
aµ γ µ ≡ a
/
lässt sich das noch kompakter schreiben. Es bleibt dabei noch zu zeigen, wie das richtige
Verhalten der Dirac-Matrizen unter Lorentz-Transformationen aussieht.
• Die Antikommutatorrelationen der Dirac-Matrizen lassen sich nun auch auf kovariante
Form zusammenfassen
{γ i , γ j } = {βαi , βαj } = −{αi , αj } = −2δ ij ,
{γ i , γ 0 } = {βαi , β} = −αi + αi = 0 ,
{γ 0 , γ 0 } = 2β 2 = 2 ,
(5.41)
und somit
{γ µ , γ ν } = 2 g µν .
(5.42)
Diese Art von Antivertauschungsrelationen bezeichnet man auch als “Clifford-Algebra”.
• Die Kontinuitätsgleichung für die Dirac-Gleichung können wir nun durch Verallgemeinerung der aus der Schrödingergleichung bekannten Wahrscheinlichkeitsdichte konstruieren:
ρ = j 0 ≡ ψ † ψ = ψ † γ 0 γ 0 ψ ≡ ψ̄γ 0 ψ
⇒
j µ ≡ ψ̄γ µ ψ ,
(5.43)
| {z }
wobei wir die Größe ψ̄ ≡ ψ † γ 0 (Dirac-Adjungierte) definiert haben.
Wir benötigen noch die adjungierte Dirac-Gleichung. Unter Verwendung von
γ0γµ
†
= γ0γµ
(wegen β 2 = 1 und αi† = αi )
erhält man durch Multiplikation der Dirac-Gleichung mit γ 0 und hermitesch Adjungieren:
i∂µ γ 0 γ µ ψ = m γ 0 ψ
⇒
−i∂µ ψ̄γ µ = m ψ̄ ,
(5.44)
und damit
i∂µ j µ = (i∂µ ψ † )γ 0 γ µ ψ + ψ † γ 0 γ µ (i∂µ ψ) = −m ψ̄ψ + m ψ̄ψ = 0
√
(5.45)
5.3. HEURISTISCHE HERLEITUNG DER DIRAC-GLEICHUNG
83
• Jede der 4 Komponenten des Dirac-Spinors erfüllt für sich genommen die Klein-GordonGleichung, denn
0 = −i∂/ − m
=
i∂/ − m ψ = ∂µ ∂ν γ µ γ ν + m2 ψ
1
∂µ ∂ν {γ µ , γ ν } + m2 ψ = + m2 ψ .
2
(5.46)
Somit ergibt sich auch in der Dirac-Theorie
p zunächst das Problem mit der Interpretation
der Lösungen negativer Energie, E = − (~
p)2 + m2 . Wir werden also auch hier 2 der 4
Freiheitsgrade mit der jeweiligen Antiteilchenlösungen interpretieren.
5.3.1
Erhaltungssätze
Aus der expliziten Form des Hamiltonian für (freie) Dirac-Teilchen ergeben sich Erhaltungssätze. Insbesondere:4
• Impulserhaltung:
h
i
h
√
i
Ĥ, p̂j = [~
α · p~ + βm, p̂j ] = αi p̂i , p̂j = 0 .
(5.47)
~ = ~x × p~
• Bahndrehimpuls, L
h
i
h
i
h
i
Ĥ, L̂j = αi p̂i , jkl x̂k p̂l = jkl αi p̂i , x̂k p̂l
= jkl αi (−iδ jk )p̂l = −i (~
α × p~)j 6= 0 .
(5.48)
Der Bahndrehimpuls ist also nicht mehr erhalten (!).
• Wir definieren nun (als offensichtliche Erweiterung des Pauli-Spins) den Spinoperator
ŝ
i Dirac-Darst.
≡
1 σi 0
2 0 σi
!
(5.49)
als 4 × 4-Matrix im Spinorraum mit der richtigen Drehimpuls-Algebra si , sj = i ijk sk ,
und erhalten
h
j
Ĥ, ŝ
i
h
i
i
j
= p̂ α , s
ijk
= i
p̂
i
i
h
+ m β, s
0 σk
σk 0
j
i
1
= p̂i
2
"
!
0 σi
σj
,
i
σ 0
0
0
σj
!#
!
= i (~
α × p~)j 6= 0
(5.50)
~ + ~s erhalten, und die physikalische
• Somit ist gerade der Gesamtdrehimpuls J~ = L
Interpretation der 4 Komponenten des Dirac-Spinors ergibt sich als jeweils 2 Spinfrei√
heitsgrade für Teilchen und Antiteilchen . Die Dirac-Gleichung führt, wie oben bereits
angedeutet, also zwangsläufig auf das Konzept des Spins als “Eigendrehimpuls”.
4
Man beachte, dass sich die Kommutatoren simultan auf verschiedene Vektorräume beziehen: Ableitungsoperatoren in der Ortsdarstellung der Wellenfunktionen, sowie Matrizen im Vektorraum der Dirac-Spinoren.
84
KAPITEL 5. RELATIVISTISCHE WELLENGLEICHUNGEN
5.3.2
Transformationsverhalten der Dirac-Spinoren
• Eigentliche Lorentz-Transformation der Raum-Zeit-Koordinaten werden durch Matrizen
Λν µ dargestellt,
(x0 )ν = Λν µ xµ ≡ (Λx)ν ,
(5.51)
mit det Λ = 1 und Λνµ Λµσ = δσν .
• Wir suchen nun eine lineare Abbildung S(Λ) auf dem Raum der Dirac-Spinoren, so dass
ψ 0 (x0 ) = ψ 0 (Λx) = S(Λ) ψ(x) = S(Λ) ψ(Λ−1 x0 ) bzw. ψ(x) = S −1 (Λ) ψ 0 (x0 ) .
(5.52)
Multiplikation der Dirac-Gleichung mit S(Λ) und Ersetzung von ψ → ψ 0 führt dann auf
S(Λ)γ µ S −1 (Λ)
S(Λ)γ µ S −1 (Λ) Λν µ
⇔
i∂
− m ψ 0 (x0 ) = 0
∂xµ
i∂
−
m
ψ 0 (x0 ) = 0 ,
∂x0ν
(5.53)
wobei wir benutzt haben, dass
∂
∂
∂x0ν ∂
=
= Λν µ 0ν .
µ
µ
0ν
∂x
∂x ∂x
∂x
• Die Dirac-Gleichung ist demnach forminvariant (für 2 durch eigentliche Lorentz-Transformationen
verknüpfte Beobachter), wenn
S(Λ)γ µ S −1 (Λ) Λν µ = γ ν
⇔
Λν µ γ µ = S −1 (Λ)γ ν S(Λ) .
(5.54)
Dies ist eine implizite Bestimmungsgleichung für die Matrix S(Λ). Wenn wir S(Λ) explizit konstruieren können, ist gezeigt, dass die Dirac-Gleichung Lorentz-kovariant ist.
Was bedeutet dies für die adjungierte Gleichung? – Wir multiplizieren zunächst mit γ 0
von links, bilden damit die hermitesch konjugierte Gleichung und multiplizieren dann
wieder mit γ 0 von links (und benutzen (γ 0 )† = γ 0 und (γ 0 γ µ )† = γ µ γ 0 , s.o.),
⇒ Λν µ γ 0 γ µ = γ 0 S −1 γ 0 γ 0 γ ν S
⇔ Λν µ γ 0 γ µ = S † γ 0 γ ν γ 0 (S −1 )† γ 0
⇔ Λν µ γ µ = (γ 0 S † γ 0 ) γ ν (γ 0 (S −1 )† γ 0 ) .
(5.55)
Daraus lesen wir ab, dass
S −1 = γ 0 S † γ 0 ,
(5.56)
d.h. im Allgemeinen gilt nicht SS −1 = 1, und die gesuchten Matrizen S sind nicht notwendigerweise unitär! (Die Dirac-Spinoren transformieren demnach gemäß nicht-unitären
Darstellungen der Poincaré-Gruppe. — Die dazugehörigen Fermion-Zuständ transformieren dagegen gemäß unitären Darstellungen.)
5.3. HEURISTISCHE HERLEITUNG DER DIRAC-GLEICHUNG
85
Explizite Konstruktion von S(Λ)
Zur expliziten Konstruktion von S betrachten wir infinitesimale Trafos (aus denen wir
beliebige eigentliche Lorentz-Transformation erzeugen können),
Λν µ := δ ν µ + ∆ω ν µ + O(∆ω 2 )
(5.57)
Mit 6 unabhängigen infinitesimalen Parametern ∆ω νµ = −∆ω µν , so dass die Bedingungen für eigentlichen L-Trafos erfüllt. Dabei erhält man z.B. für einen Boost in x-Richtung
∆ω 01 = ∆vx , und für eine Drehung in der x-y-Ebene ∆ω 12 = −∆ϕ etc. Entsprechend
lässt sich S(Λ) entwickeln,
S(∆ω) := 14 −
i
σµν ∆ω µν + O(∆ω 2 ) ,
4
S −1 = 14 +
i
σµν ∆ω µν + O(∆ω 2 ) , (5.58)
4
wobei σµν = −σνµ sechs unabhängige 4 × 4-Matrizen sind, die wir als Erzeugende
der Lorentz-Transformationen für Dirac-Spinoren bezeichnen. Einsetzen in die Bestimmungsgleichung für S ergibt
i
∆ω ν µ γ µ = − (∆ω)αβ (γ ν σαβ − σαβ γ ν ) .
4
(5.59)
Da das für beliebige anti-symmetrische ∆ω gelten soll, ergibt der Koeffizientenvergleich
(mit Anti-Symmetrisierung der linken Seite, ∆ω ν µ γ µ = 21 (∆ω ν µ γ µ − ∆ω µ ν γ µ ))
h
[γ ν , σαβ ] = 2i δαν γβ − δβν γα
i
(5.60)
Es liegt nahe, die (antisymmetrischen) σαβ aus Kommutatoren der Dirac-Matrizen γα,β
zu konstruieren. Die Lösung ist in der Tat
σαβ =
i
[γα , γβ ] ,
2
(5.61)
was man unter Verwendung der Identität
[A, [B, C]] = {C, {A, B}} − {B, {A, C}} ,
leicht nachprüft.
Die infinitesimale Transformationsmatrix lautet demnach
S(∆ω) = 14 +
1
[γµ , γν ] ∆ω µν + . . .
8
(5.62)
und die Kovarianz der Dirac-Gleichung wird somit gewährleistet. Endliche Transformationen
erhalten wir durch Hintereinanderausführung
S(ω) = lim
N →∞
i ω µν
1−
σµν
4 N
N
i
= exp − ω µν σµν
4
.
(5.63)
86
KAPITEL 5. RELATIVISTISCHE WELLENGLEICHUNGEN
• Für Lorentz-Boosts ist z.B. ω 01 = −ω 10 6= 0, und
σ01
i
0 σ1
= [γ0 , γ1 ] = −iα1 = −i
σ1 0
2
!
†
= −σ01
Somit gilt für die Darstellung von Lorentz-Boosts auf Dirac-Spinoren:
1
†
,
Sboost → exp − ω 01 α1 = Sboost
2
1
†
−1
Sboost
→ exp + ω 01 α1 6= Sboost
,
2
1
1
†
−1
γ 0 Sboost
γ 0 → exp + ω 01 γ 0 α1 γ 0 = exp − ω 01 α1 = Sboost
2
2
√
(5.64)
D.h. Lorentz-Boosts werden in der Tat nicht-unitär dargestellt, im Einklang mit den
obigen Vorüberlegungen.
• Für Drehungen ist z.B. ω 12 = −ω21 6= 0, und
σ12
i
= [γ1 , γ2 ] =
2
σ3 0
0 σ3
!
†
= σ12
.
Somit werden Drehungen auf Dirac-Spinoren dargestellt mittels:
†
i
→ exp − ω 12 σ12 = SDrehung )−1 = γ 0 SDrehung γ 0
2
SDrehung
√
.
(5.65)
Das entspricht der aus QM2 bekannten (unitären) Darstellung für ein Paar von PauliSpinoren (inklusive des richtigen Faktors 1/2 für Spin-1/2 Teilchen).
Darstellung der Raumspiegelung (Parität) auf Dirac-Spinoren
Für uneigentliche Lorentz-Trafos müssen wir die Darstellung S(Λ) direkt “raten”, da diese
nicht kontinuierlich aus der Identität hervor gehen. Für die Raumspiegelung haben wir ~x0 =
−~x und t0 = t, d.h.


1 0
0
0
0 −1 0
0


Λ≡P =

0 0 −1 0 
0 0
0 −1
Die Bestimmungsgleichung für S(P ) lautet dann
P ν µ γ µ = S −1 (P )γ ν S(P ) ,
(5.66)
welches offensichtlich erfüllt wird, wenn
S(P ) = eiϕ γ 0 .
(5.67)
Der Winkel ϕ ist hier zunächst beliebig. Wenn wir verlangen, dass S 2 (P ) = S(P 2 ) = S(1) = 1
gelten soll, sind nur ϕ = 0, π zugelassen. Wie im Falle der Spinordarstellungen von Rotationen (die erst bei einer Drehung um einen Winkel 4πdie Identiät ergeben), könnten wir auch
die schwächere Forderung S 4 (P ) = 1 stellen, was ϕ = 0, π/2, π, 3π/2 erlaubt (Damit bleiben
insbesondere bilineare Kombinationen von Dirac-Spinoren (s.u.) invariant unter der Transformation P 2 = 1, s.u.). Im Folgenden setzen wir ϕ = 0, so dass die Raumspiegelung einfach
durch S(P ) = γ 0 gegeben ist.
5.3. HEURISTISCHE HERLEITUNG DER DIRAC-GLEICHUNG
87
Bilineare Kombinationen von Dirac-Spinoren
Mit Hilfe der Bestimmungsgleichung für S(Λ) lassen sich leicht die Transformationseigenschaften von Bilinearen wie z.B. dem erhaltenen Dirac-Strom,
j µ = ψ̄γ µ ψ = ψ † γ 0 γ µ ψ
ablesen. Man erhält
j µ → ψ † S † γ 0 γ µ Sψ = ψ̄ γ 0 S † γ 0 γ µ Sψ
| {z }
= ψ̄ S
−1 µ
µ
γ S ψ = Λ ν ψ̄γ ν ψ = Λµ ν j ν ,
(5.68)
| {z }
d.h. das von uns postulierte j µ (x) transformiert tatsächlich wie ein 4er-Vektorfeld.
[Weitere Bilineare werden in den Übungen diskutiert.]
Chirale Projektoren
Wir definieren die Matrix
5
0 1 2 3 Dirac-Darst.
γ5 ≡ γ ≡ iγ γ γ γ
=
0 12
12 0
!
(5.69)
mit den Eigenschaften
(γ5 )2 = 1 ,
{γ5 , γ µ } = 0 .
(5.70)
1 + γ5
2
(5.71)
Dann sind die Kombinationen
PL ≡
1 − γ5
,
2
P5 ≡
komplementäre Projektoren im Dirac-Raum, denn
1 ∓ 2γ5 + γ52
1 ∓ γ5
=
= PL/R ,
4
2
1 − γ52
PL PR =
= 0,
PL + PR = 1 .
4
(PL/R )2 =
(5.72)
Außerdem gilt
γ0 PL = γ0
1 + γ5
1 − γ5
=
γ0 = PR γ0 ,
2
2
(5.73)
d.h.
γ0 ψL ≡ γ0 PL ψ = PR S(P ) ψ = (ψ 0 )R
(5.74)
mit anderen Worten können ψL und ψR als links- und rechtshänige Projektionen des DiracFeldes interpretiert werden, welche unter Paritätstransformationen gerade ihre Rolle tauschen.
88
KAPITEL 5. RELATIVISTISCHE WELLENGLEICHUNGEN
Grenzfall m → 0: Projizieren wir die Dirac-Gleichung (i∂/ − m) ψ mit PL oder PR ergeben
sich die Gleichungen
/ R = m ψL
i∂ψ
und
/ L = m ψR ,
i∂ψ
(5.75)
d.h. im Allgemeinen mischt die Dirac-Gleichung links- und rechtshändige Projektionen. Für
masselose Teilchen entkoppeln die Gleichungen für ψL und ψR . Dies erlaubt insbesondere,
die Dynamik von ψL und ψR separat zu betrachten, so dass z.B. die empirisch beobachtete
Paritätsverletzung in der schwachen Wechselwirkung dadurch realisiert werden kann, dass die
geladenen W -Bosonen nur an linkshändige Fermionfelder koppeln.
Helizität
Tatsächlich benötigen wir im Falle masseloser Teilchen bei der Herleitung der linearisierten relativistischen Bewegungsgleichungen gar nicht die Matrix β, d.h. wir können direkt Lösungen
mit den 2 × 2-Pauli-Matrizen konstruieren,
E = p0 = ±~σ · p~
⇒ E 2 = (~
p)2 .
Im Ortsraum lässt sich das in kovarianter Weise schreiben als sog. Weyl-Gleichungen:
i∂µ σ̄ µ ϕ− (x) = 0 ,
mit σ̄ µ = (12 , −σ i ) ,
i∂µ σ µ ϕ+ (x) = 0 ,
mit σ µ = (12 , σ i ) .
(5.76)
Im Impulsraum heisst das
~σ · p~
ϕ± = ±ϕ± ,
|~
p|
(5.77)
wobei der Operator auf der linken Seite der “Helizität”, d.h. der Projektion des Spins auf
die Impulsrichtung entspricht, und die beiden Weyl-Gleichungen somit Teilchen mit positiver
oder negativer Helizität beschreiben. Für masselose Teilchen ist die Helizität eine gute Quantenzahl, d.h. die Spinprojektion hat immer das gleiche Vorzeichen. Für hochrelativistische
Teilchen mit E m gilt die Helizitätserhaltung approximativ.
5.3.3
Lösungen der Dirac-Gleichung (freie Teilchen)
Wie bereits oben diskutiert, erfüllt jede Spinorkomponente für sich die Klein-Gordong-Gleichung.
Deswegen setzen wir für die Lösungen ebene Wellen mit der Dispersionrelation p2 = m2 an,
wobei als Koeffizienten spinorwertige Vorfaktoren auftreten, die vom jeweiligen Impuls p~ und
der Spineinstellung s = ±1/2 abängen dürfen. Die Lösungen mit dem “falschen” Vorzeichen
der Energie (bzw. der Zeitabhängigkeit in der ebenen Welle) interpretieren wir dabei als
Antiteilchen:
(i) Teilchenlösungen: ψ(x) ≡ u(~
p, s) e−ip·x ,
(ii) Antiteilchenlösungen: ψ(x) ≡ v(~
p, s) eip·x .
5.3. HEURISTISCHE HERLEITUNG DER DIRAC-GLEICHUNG
89
Durch Anwenden der Dirac-Gleichung ergeben sich aus den Ansätzen sofort Bestimmungsgleichungen an die Spinorkoeffizienten,
(i) 0 = (i∂/ − m) ψ(x) = (p
p, s) e−i p·x
/ − m) u(~
⇒
(p
p, s) = 0 ,
/ − m) u(~
i p·x
⇒
(p
p, s) = 0 .
/ + m) v(~
(ii) 0 = (−i∂/ − m) ψ(x) = (p
p, s) e
/ − m) v(~
(5.78)
Im Ruhesystem (~
p = 0, E = m) vereinfacht sich das zu
m (γ 0 − 1) u(~0, s) = 0 ,
m (γ 0 + 1) v(~0, s) = 0 .
(5.79)
Wir stellen fest, dass die Matrizen
1 + γ0
P+ ≡
2
1 − γ0
P− ≡
2
!
Dirac-Darst.
12 0
0 0
Dirac-Darst.
0 0
0 12
=
=
,
γ0 P+ = P+ ,
,
γ0 P− = −P− ,
!
(5.80)
Projektoren auf die (in der Dirac-Darstellung) “oberen” und “unteren” Komponenten der
4er-Spinoren sind, mit (P± )2 = P± , P± P∓ = 0 und P+ + Pm = 14 . Im Ruhesystem können
wir somit separat für obere und untere Komponente eine Orthogonalbasis definieren. Für die
Teilchenlösungen sollen diese mit den üblichen Pauli-Spinoren der nicht-relativistischen QM
übereinstimmen, d.h. wir definieren



u(~0, ↑) ≡ 

1
0
0
0





,


u(~0, ↓) ≡ 

0
1
0
0



.

(5.81)
mit
uT (~0, s) u(~0, s0 ) = δss0 ,
X
u(~0, s) uT (~0, s) = P+ .
(5.82)
v(~0, s) v T (~0, s) = P− .
(5.83)
s
Analog gilt
v T (~0, s) v(~0, s0 ) = δss0 ,
X
s
Die konkrete Konvention für die Antiteilchenlösungen ist zunächst unabhängig. Wir werden
später eine bequeme Definition angeben.
Dies lässt sich nun leicht auf beliebige Impulse verallgemeinern, wobei wir noch die Normierungskonvention offen lassen,
u(~
p, s) := N (p
/ + m) u(0, s) ,
v(~
p, s) := −N (p
/ − m) v(0, s) ,
(5.84)
welches wegen (p
/ ± m)(p
/ ∓ m) = p2 − m2 = 0 die obigen Bestimmungsgleichungen erfüllt und
sich für p~ → 0 und N → 1/2m auf den Ansatz im Ruhesystem reduziert.
90
KAPITEL 5. RELATIVISTISCHE WELLENGLEICHUNGEN
Die Normierungskonvention für bewegte Bezugsysteme wählt man durch Betrachtung der
entsprechenden Orthogonalitäts- und Vollständigkeitsrelationen. Mit
0
T
0
†
T
0
u† (~
p, s) = N uT (0, s) (p
/γ + m) = N u (0, s) (p
/ + m) γ ,
/ + m) = N u (0, s) (γ p
ū(~
p, s) = N uT (0, s) (p
/ + m) ,
(5.85)
erhält man
X
u(~
p, s) ū(~
p, s) = N 2 (p
/ + m) P+ (p
/ + m)
s
1
1
2
(p
/ + m) + (p
/ + m)γ0 (p
/ + m)
2
2
1
0
= N 2 m (p
+
m)
+
2E
−
γ
(
p
−
m)
(
p
+
m)
/
/
/
2
= N 2 (E + m) (p
/ + m) ,
= N2
(5.86)
sowie
2
0
ū(~
p, s) u(~
p, s0 ) = N 2 uT (0, s) (p
/ + m) u(0, s )
0
= 2m N 2 uT (0, s)P+ (p
/ + m)P+ u(0, s )
= 2m N 2 (E + m) uT (0, s) u(0, s0 ) = N 2 2m (E + m) δss0 ,
(5.87)
und
0
0
u† (~
p, s) u(~
p, s0 ) = N 2 uT (~0, s) (p
/ + m)γ (p
/ + m) u(0, s )
0
2
= N 2 uT (0, s) 2E (p
/ + m) u(0, s ) = N 2E (E + m)δss0 .
(5.88)
Die obige (nicht-relativistisch motivierte) Normierung erhält man für die Wahl N = ( 2m (E + m))−1 .
Für hochrelativistische Teilchen m E ist diese Normierung unbequem, da man durch
die kleine
teilen muss. Deshalb wählt man für relativistische Anwendungen lieber
√ Masse
−1
N = ( E + m) . In diesem Fall gilt
p
X
u(~
p, s) ū(~
p, s) = p
/ + m,
s
ū(~
p, s) u(~
p, s) = 2m δss0 ,
u† (~
p, s) u(~
p, s0 ) = 2E δss0 .
(5.89)
Analog erhält man für die Spinorkoeffizienten der Antiteilchenlösungen
X
v(~
p, s) v̄(~
p, s) = p
/ − m,
s
v̄(~
p, s) v(~
p, s) = −2m δss0 ,
v † (~
p, s) v(~
p, s0 ) = 2E δss0 .
(5.90)
Außerdem gilt für die gemischten Produkte
u† (~
p, s) v(−~
p, s0 ) = 0 .
(5.91)
5.3. HEURISTISCHE HERLEITUNG DER DIRAC-GLEICHUNG
91
Quantisierung des Dirac-Feldes
Wir können jetzt analog zum Klein-Gordon-Feld oder zum elektromagnetischen Feld aus den
Lösungen der Dirac-Gleichung einen quantisierten Dirac-Feldoperator konstruieren:
ψ̂α (x) ≡
X Z
s=±1/2
o
1 n
d3 p
−i p·x
+i p·x
ˆ† (~
√
.
b̂(~
p
,
s)
u
(~
p
,
s)
e
+
d
p
,
s)
v
(~
p
,
s)
e
α
α
(2π)3 2E
(5.92)
Hierbei bezeichnet α = 1 . . . 4 den Dirac-Index, b̂(~
p, s) ist ein Vernichtungsoperator für Fermionen mit Impuls p~ und Spineinstellung s, und dˆ† (~
p, s) ein entsprechender Erzeugungsoperator
für Antifermionen. Die entsprechenden Antivertauschungsrelationen lauten
ˆ p, s), dˆ† (~
{b̂(~
p, s), b̂† (~
p0 , s0 )} = {d(~
p0 , s0 )} = (2π)3 δ (3) (~
p − p~0 ) δss0 ,
ˆ p, s), dˆ† (~
{b̂(~
p, s), b̂† (~
p0 , s0 )} = {d(~
p0 , s0 )} = 0 ,
ˆ p0 , s0 )} = {b̂(~
{b̂(~
p, s), d(~
p, s), dˆ† (~
p0 , s0 )} = . . . = 0 .
(5.93)
Dirac-Strom und Ladungsoperator
Als Anwendung können wir aus dem quantisierten Ausdruck für den erhaltenen Dirac-Strom,
j µ (x) = Ψ̄(x)γ µ Ψ(x)
→
XZ
s,s0
d3 p d3 p0
1
1
√
√
(2π)3 (2π)3 2E 2E 0
0
0
ū(~
p0 , s0 ) eip ·x b† (~
p0 , s0 ) + v̄(~
p0 , s0 ) e−i~p ·x d(~
p0 , s0 )
γ µ u(~
p, s) e−ip·x b(~
p, s) + v(~
p, s) ei~p·x d† (~
p, s) ,
(5.94)
den dazugehörigen Ladungsoperator Q̂ = d3 x ĵ 0 (x) durch Erzeuger und Vernichter ausdrücken. Die x-Integration liefert dabei Delta-Funktionen, die p~0 = ±~
p setzen, so dass stets
E 0 = E gesetzt werden kann,
R
Q̂ =
XZ
s,s0
d3 p †
ˆ p, s0 )dˆ† (~
b̂ (~
p, s0 )b̂(~
p, s) u† (~
p, s0 )u(~
p, s) + d(~
p, s) v † (~
p, s0 )v(~
p, s)
(2π)3 2E
+b̂† (−~
p, s0 )dˆ† (~
p, s) u† (−~
p, s0 )v(~
p, s) e2iEt + h.c. .
(5.95)
Aufgrund der oben angegebenen Orthogonalitätsrelationen der Spinorkoeffizienten verschwinden die Terme in der zweiten Zeile, während in der ersten Zeile u† u = v † v = 2E δss0 gilt. Somit
vereinfacht sich der Ausdruck zu
Q̂ =
XZ
s,s0
=
XZ
s,s0
d3 p †
ˆ p, s)dˆ† (~
b̂ (~
p, s)b̂(~
p, s) + d(~
p, s)
3
(2π)
d3 p †
ˆ p, s) + const.
ˆ† (~
b̂
(~
p
,
s)
b̂(~
p
,
s)
−
d
p
,
s)
d(~
(2π)3
(5.96)
92
KAPITEL 5. RELATIVISTISCHE WELLENGLEICHUNGEN
Die (unendliche) Konstante hat keinerlei physikalische Bedeutung und kann abgezogen werden
(formal bezeichnen wir das als Normalordnung N (Q̂) oder : Q̂ :). Somit
(normal geordnetes)
d3 p
(n̂Teilchen (~
p, s) − n̂Antiteilchen (~
p, s))
(2π)3
s,s0
√
= N̂Teilchen − N̂Antiteilchen
Q̂ =
XZ
(5.97)
D.h. wie im Falle des Klein-Gordon-Feldes ist j 0 (x) wieder als Ladungsdichte zu interpretieren.
Man beachte, dass das relative Vorzeichen5 als Konsequenz der Antivertauschungsrelationen
(also letztendlich vom Spin-Statistik-Theorem) auftritt!
Ladungskonjugation
Wir wollen jetzt die Operation konstruieren, welche das Vorzeichen des Ladungsoperators
für Dirac-Felder umdreht, d.h. die Rolle der Erzeuger/Vernichter b̂ und dˆ vertauscht. Wir
erinnern uns, dass im Falle des Klein-Gordon-Felds einfach φ(x) → φ∗ (x) bzw. φ̂(x) → φ̂† (x)
zu betrachten war.
Behauptung: Für Dirac-Felder wird die Ladungskonjugation (charge conjugation = C)
durch die Operation
ψ(x) → −iγ 2 ψ ∗ (x)
(5.98)
realisiert. Hierbei ist in der Dirac-Darstellung gerade
2
−iγ =
02 02
!
mit =
0 1
−1 0
!
(5.99)
Da für die elementaren Dirac-Matrizen
(γ 0 )∗ = γ 0 ,
(γ 1 )∗ = γ 1 ,
(γ 3 )∗ = γ 3 ,
(γ 2 )∗ = −γ 2 ,
gilt, hat man gerade, dass
(γ 2 γ µ )∗ = γ µ γ 2
(5.100)
Somit ergibt sich für die elementaren Spinorkoeffizienten
(v(~
p, s))∗ = −N (p
/ − m) v(0, s)
∗
∗
= −N (p
/ − m) v(0, s)
∗ 2 ∗ 2
2
2 2
= −N (p
/ − m) (γ ) γ v(0, s) = −N (γ p
/ + mγ )γ v(0, s)
2
= (−iγ 2 ) N (p
/ + m) (−iγ ) v(0, s) .
(5.101)
Wenn wir jetzt die Basis für v(0, s) gerade so wählen, dass u(0, s) = (−iγ 2 ) v(0, s) gilt, dann
haben wir in der Tat, dass
v ∗ (~
p, s) = (−iγ 2 ) u(~
p, s) ,
5
(5.102)
Wenn man die unquantisierte Ladungsdichte mit komplexwertigen Koeffizienten b und d anstelle von
fermionischen Erzeugern/Vernichtern berechnet hätte, wäre das Vorzeichen falsch herausgekommen, dd∗ = d∗ d.
Deswegen muss man, um “klassische” fermionische Feldkonfigurationen zu beschreiben, die Koeffizienten als
sog. “Grassman-Zahlen” (d.h. ein formal neues algebraisches Zahlensystem) ansetzen, welche dd∗ = −d∗ d
erfüllen.
5.4. NICHT-RELATIVISTISCHER GRENZFALL
93
(und entsprechend umgekehrt). Daraus erhält man
2
∗
−iγ ψ(x) =
XZ
s
1 †
d3 p
ip·x
−ip·x
ˆ p, s) u(~
√
b̂
(~
p
,
s)
v(~
p
,
s)
e
+
d(~
p
,
s)
e
(2π)3 2E
√
= ψ(x)
5.4
b↔d
(5.103)
Nicht-relativistischer Grenzfall für Dirac-Gleichung in Anwesenheit eines elektromagnetischen Feldes
Wir wollen nun aus der Dirac-Gleichung wieder die nicht-relativistische Pauli-Gleichung für
ein Spin-1/2–Teilchen im elektromagnetischen Feld herleite. Dazu erinnern wir uns zunächst
daran, daß die elektromagnetische Wechselwirkung durch das Prinzip der minimalen Substitution eingeführt werden kann, d.h. man ersetzt6
p~ → ~π = p~ −
e ~
¨,
A ≡ m ~x
c
wobei pµ der kanonische Impuls (mit kanonischen Vertauschungsrelationen) und π µ der kinetische Impuls ist (dadurch ergibt sich z.B. im nicht-relativistischen Hamiltonian die LorentzKraft.) Die relativistische Verallgemeinerung lautet offenbar
pµ → pµ − eAµ ≡ π µ
(5.104)
~ nun sowohl das skalare als auch das Vektorpotential enthält. Damit liest
wobei Aµ = (φ, A)
sich die Hamiltonsche Form der Dirac-Gleichung mit elektromagnetischer Wechselwirkung
V
z}|{
i∂t ψ = (~
α~π + βm + eφ ) ψ
(5.105)
− m) ψ(x) = 0 .
(i
∂ − e A(x) − m) ψ(x) ≡ (i
D
(5.106)
bzw. in der ursprünglichen Form
Hierbeit bezeichnet man Dµ = ∂µ + ieAµ (x) auch als kovariante Ableitung .
Zur Eichinvarianz:
Das Prinzip der minimalen Kopplung ergibt sich aus der sogenannten Eichinvarianz. Dazu betrachtet man lokale Phasentransformation
ψ(x) → eiα(x) ψ(x) ,
(5.107)
d.h. Beobachter an verschiedenen Orten wählen unterschiedliche Konventionen für die (in der QM)
unphysikalische Phase. Dann wird aus der Dirac-Gleichung
(γ µ i∂µ − m)ψ(x) → (γ µ i∂µ − m)eiα(x) ψ(x)
= eiα(x) (γ µ i∂µ − m)ψ(x) − γ µ (∂µ α)eiα(x) ψ(x)
|
{z
} |
{z
}
=0
6
(5.108)
6=0
Im Gegensatz zu Kapitel 2 haben wir hier die cgs-Konvention für die elektromagnetische Kopplung benutzt.
Im Folgenden werden wir auch wieder c = 1 setzen.
94
KAPITEL 5. RELATIVISTISCHE WELLENGLEICHUNGEN
Lokale Phasentransformationen stellen also keine Symmetrie der freien Dirac-Gleichung dar.
Wenn wir nun aber die elektromagnetische Wechselwirkung berücksichtigen und den Eichparameter
des 4er-Vektorpotentials mit α(x) identifizieren,
eAµ (x) → eAµ (x) − ∂µ α(x)
(5.109)
wird der obige Extra-Term gerade kompensiert. D.h.
(iγ µ ∂µ − eγ µ Aµ − m) ψ(x)
ist kovariant unter lokalen Phasentransformationen
→ eiα(x) (iγ µ ∂µ − eγ µ Aµ − m)ψ(x)
In Anwesenheit der elektromagnetischen Wechselwirkung erfüllen die stationören Lösungen der Dirac-Gleichung also
α
~ · ~π + βm + V ψ = Eψ
mit
ψ(x) = e
−iEt
ϕ(~x)
χ(~x)
(5.110)
!
(für Teilchen)
Für die Energie ziehen wir die Ruhemasse ab und schreiben
W =E−m
sodaß W noch die (relativistische) kinetische Energie sowie die Wechselwirkungsenergie mit
dem elektromagnetischen Feld beschreibt. Im nicht-relativistischen Grenzfall, den wir jetzt
konstruieren wollen, ist W m. Wenn wir die explizite Darstellung der Dirac-Matrizen α
und β benutzen, wird aus obiger Gleichung dann das Gleichungssystem
!
χ
~σ · ~π
+m
ϕ
!
ϕ
+V
−χ
ϕ
χ
!
!
= (m + W )
ϕ
χ
(5.111)
d.h.
(~σ · ~π ) χ = (W − V ) ϕ ,
(~σ · ~π ) ϕ = (2m + W − V ) χ
(5.112)
Für große Massen, d.h. m W, V, |~π |, folgt aus der 2. Gleichung, daß die unteren Spinorkomponenten χ gegenüber den oberen (ϕ) mit 1/m unterdrückt sind,
χ=O
W, V, |~π |
m
·ϕϕ
d.h. im nicht-relativistischen Grenzfall wird
χ
ϕ
die kleine Komponente
die dominanate Komponenete
(5.113)
5.4. NICHT-RELATIVISTISCHER GRENZFALL
95
des 4er-Spinors (der Vorteil der Dirac-Darstellung in diesem Zusammenhang is also gerade,
daß dieser Aspekt transparent wird). Setzen wir die Lösung für die kleine Komponente,
χ = (2m + W − V )−1 (~σ · ~π ) ϕ ,
(5.114)
in die 1. Gleichung ein, erhalten wir
(W − V ) ϕ = (~σ · ~π )
1
1
1
(~σ · ~π ) ϕ ≈
(~σ · ~π ) (~σ · ~π ) ϕ + O( 2 ) .
2m + W − V
2m
m
(5.115)
Bei der Auswertung des Terms (~σ · ~π )(~σ · ~π ), unter Verwendung von
σ i σ j = δ ij + iijk σ k ,
(5.116)
müssen wir aufpassen, denn ~π enthält ja den Impulsoperator, der nicht mit dem x-abhängigen
~
Vektorfeld A(x)
vertauscht, d.h.
~ × (~
~ = ie(∇
~ ×A
~+A
~ × ∇)
~
~π × ~π = (~
p − eA)
p − eA)
(5.117)
~ auf ϕ(x) (die Ableitungen, die auf ϕ(x) wirken, heben sich aufgrund der Antiwirkt wie ieB
~ × A)
~ =B
~ übrig bleibt).
symmetrie des Kreuzprodukts auf, sodaß (∇
(
⇒ W ϕ(~x) ≡ (E − m) ϕ(~x) =
1
~ 2 − e (~σ · B)
~
(~
p − e A)
2m | {z } |2m {z
}
kin. Energie
spin-unabh.
)
ϕ(~x)
(5.118)
spin-abh.
Kopplung ans
Magnetfeld
Pauli-Term
Der Pauli-Term definiert das magnetische Moment für ein Dirac-Teilchen
e
~ ≡ −(~
~
−
(~σ · B)
µ · B)
2m
e ~
wobei allgemein µ
~ ≡ µB g ~s definiert ist, µB = 2m
c das Bohrsches Magneton bezeichnet, und
~
σ
der Spinvektor durch ~s = 2 dargestellt ist (für Spin 12 ). Damit lesen wir den Landé-Faktor
des Elektrons (allgemein Dirac-Fermion) ab
g=2
(für Dirac-Teilchen) .
Anmerkungen:
• g = 2 ist eine echte Vorhersage der relativistischen Theorie. Allerdings gibt es noch Korrekturen von Quantenfluktuationen des elektromagentischen Feldes, die in der Quantenfeldtheorie berechnet werden können. Die führende Korrektur ergibt sich aus
g = 2(1 +
α
+ ...)
2π
mit α =
e2
1
'
.
~c
137
Höhere Ordnungen sind in den letzten Jahren ebenfalls berechnet worden.
• Die experimentelle Messung für Elektronen ergibt momentan den Wert
(ge − 2)/2 = [1159.6521811 ± 0.00000074] · 10−6 .
Man benutzt diese Messung, um durch den Vergleich mit der theoretischen Präzisionsrechnung eine äußerst genaue Bestimmung der Feinstrukturkonstante α zu erhalten.
96
KAPITEL 5. RELATIVISTISCHE WELLENGLEICHUNGEN
• Für das Myon (schwerer Partner des Elektrons) erhält man experimentell
(gµ − 2)/2 = [11 659 209.1 ± (5.4 ± 3.3)] · 10−10 .
Mit dem obigen Wert für α (und theoretischen Abschätzungen für Korrekturen aufgrund
der starken und der schwachen Wechselwirkung) beobachtet man dann momentan eine
(2−3)σ Abweichung zwischen Experiment und Theorie. – Diese Diskrepanz wird manchmal als indirekter Hinweis auf Physik jenseits des Standardmodells interpretiert, da auch
neue (schwere) Teilchen und/oder neue Wechselwirkungen zu den Quantenkorrekturen
beitragen können. Sie kann aber auch auf unvollständig verstandene hadronische Korrekturen hinweisen.
5.4.1
Höhere Korrekturen in 1/m
Betrachten wir noch einmal die Gleichung
(W − V ) ϕ = (~σ · ~π ) (2m + W − V )−1 (~σ · ~π ) ϕ
1
1
=
(~σ · ~π ) (~σ · ~π ) ϕ −
(~σ · ~π ) (W − V ) (~σ · ~π ) ϕ + O(1/m3 )
2m
4m2
(5.119)
wobei wir nun eine Ordnung höher in 1/m entwickelt haben. Wir bemerken:
• Im Term der Ordnung 1/m2 taucht wieder (W − V ) auf, wobei V = V (x) als quantenmechanischer Operator aufzufassen ist. Aus dem führenden Term wissen wir bereits,
daß die Operatorgleichung
(W − V̂ )ϕ = O(
1
)ϕ ≈ 0
m
gilt. Es liegt also nahe, zu versuchen (W − V ) nach rechts durchzutauschen.
• Dabei taucht aber ein konzeptionelles Problem auf:
Der so konstruierte Term ist nicht mehr hermitesch (ist also nicht als zur Interpretation
als effektiven Beitrag zum nicht-relativistischen Hamilton-Operator geeignet).
Ausweg 1 (pragmatisch): Wir hermitesieren den so konstruierten Beitrag per Hand.
Ausweg 2 (subtiler): Wir führen eine sog. „Foldy-Wouthuysen“-Transformation durch, d.h. wir
suchen eine unitäre Transformation ψ 0 = eiS ψ, so daß für geschickte Wahl von S die
oberen und unteren Komponenten ϕ und χ entkoppeln (in der gewünschten Ordnung
der 1/m-Entwicklung).
Weg 1:
(W − V̂ ) (~σ · ~π ) ϕ = (~σ · ~π ) (W − V̂ ) ϕ − [(~σ · ~π ), W − V̂ ] ϕ
1
= O( ) + [(~σ · p~), V̂ ] ϕ
m
(5.120)
5.4. NICHT-RELATIVISTISCHER GRENZFALL
97
Dabei haben wir benutzt, daß W kein Operator ist, und V̂ = V (x̂), so daß lediglich nur
[p̂, x̂] 6= 0 beachtet werden muß. Damit ergibt sich weiter
~ )) ϕ = ie~σ · E
~
(W − V̂ ) (~σ · ~π ) ϕ = (~σ · (−i∇V
(5.121)
~ wirkt wegen des Kommutators nur noch auf V (x),
Beachte: ∇
~ ϕ − V ∇ϕ
~ = (∇V
~ )ϕ + V ∇ϕ
~ − V ∇ϕ
~ = (∇V
~ )ϕ,
∇V
und ergibt somit einfach die elektrische Feldstärke.
D.h. wir erhalten zunächst das Zwischenergebnis
−
1
ie
~ ϕ
(~σ · ~π )(W − V ) (~σ · ~π ) ϕ = − 2 (~σ · ~π ) (~σ · E)
2
4m
4m
(5.122)
Das Ergebnis auf der rechten Seite müssen wir nun per Hand hermetisieren,
⇒−
o
ie n
~ − (~σ · E)
~ (~σ · ~π ) ϕ .
(~
σ
·
~
π
)
(~
σ
·
E)
8m2
Um dies weiter umzuformen, benutzen wir wieder die Relation (5.116) für Produkte von
Pauli-Matrizen und beachten sorgfältig die Reihenfolge der Ableitungsoperatoren
⇒−
o
ie n ~
~ · ~π + iσ k ijk (π i E j − E i π j ) ϕ
~π · E − E
2
8m
• Für die ersten beiden Terme schreiben wir
~ −E
~ · ~π ) ϕ = [~π , E]
~ ϕ = −i (∇
~ · E)
~ ϕ
(~π · E
(5.123)
wobei wir wieder benutzt haben, daß der Kommutator mit dem Ableitungsoperator
~ wirkt.
bewirkt, daß die Ableitung nur auf E
• Um den letzten Term ähnlich zu behandeln, benennen wir zunächst die Indizes im
2. Term um, i ↔ j, und benutzen jik = −ijk
⇒ iσ k ijk (π i E j + E j π j ) ϕ
= iσ k ijk (π i E j − E j π i + 2E j π i ) ϕ
~ × E)
~ − 2i ~σ · (E
~ × ~π ) ϕ .
= i ~σ · (−i ∇
(5.124)
Insgesamt erhalten wir somit
1
(~σ · ~π ) (W − V̂ ) (~σ · ~π ) ϕ
2
4m
e ~ ~
ie
e
~
~
~
= − 2 (∇ · E) −
~σ · (∇ × E) −
~σ · (E × ~π ) ϕ
8m
8m2
4m2
−
(5.125)
98
KAPITEL 5. RELATIVISTISCHE WELLENGLEICHUNGEN
Interpretation der Terme zur Ordnung m−2 :
Um die verschiedenen Terme zu interpretieren, betrachten wir nun der Einfachheit halber den
~ = 0): Aus
konkreten Fall eines konstanten, radialsymmetrischen elektrischen Feldes (d.h. A
φ = φ(r = |~x|) ergibt sich
~ = −∇φ
~ = − 1 ∂φ ~x
E
r ∂r
Damit erhalten wir
• Für den ersten Beitrag:
HDarwin = −
e ~ ~
e
(∇ · E) =
∆φ(r) .
2
8m
8m2
Dies ist der sog. Darwin-Term, (welcher heuristisch durch die sog. „Zitterbewegung“
des Elektrons motiviert wird).
~ ×E
~ = 0 (für φ = φ(r) und A
~ = 0).
• Der zweite Term verschwindet: ∇
~ × ~π → E
~ × p~ = − 1
• Für den dritten Term erhält man schließlich mit E
r
1 ∂φ ~
− r ∂r L
HSpin−Bahn =
e 1 ∂φ
~
(~σ · L)
4m2 r ∂r
∂φ
∂r
(~x × p~) =
(5.126)
Dies beschreibt gerade die Spin-Bahn-Kopplung (für ~s = ~σ /2).
(Heuristisch erhält man den Term aus dem Spin des Elektrons im dem durch die Bahnwegegung
induzierten effektiven Magnetfelds des Protons; den zusätzlichen Faktor welcher dabei aufgrund
der sog. Thomas-Präzession berücksichtigt werden muß, erhalten wir in unserer Herleitung aus
der manifest relativistisch invarianten Dirac-Gleichung automatisch!)
1/m vs. 1/c -Entwicklung:
Bei der Berechnung der Korrekturen zum nicht-relativistischen Grenzfall muß man noch eine Subtilität betrachten, da die 1/m-Entwicklung nicht mit einer Entwicklung nach inversen Potenzen der
Lichtgeschwindigkeit 1/c identisch ist.
Mit den richtigen Ersetzungen für ~, c 6= 1 ergibt sich für die bisher identifizierten Beiträge zur
Energie
2
1
e~ 2
e~
~ + ~ e ∆φ + e 1 ∂φ ~σ · L
~
E = mc2 + eφ +
(~
p − A)
−
~σ · B
2m
c
2mc
8(mc)2
4(mc) r ∂r
d.h. die Beiträge der Ordnung e (1. Ordnung im elektromagnetischen Potential/Feld) entsprechen
1 n
(und hier sind die 1/m und 1/c-Entwicklung äquivalent).
tatsächlich einer Entwicklung in mc
Allerdings ergibt die Entwicklung der freien kinetischen Energie
p
p~ 2 c2 + m2 c4 = mc2 +
p~ 2
(~
p 2 )2
−
2m 8m3 c2
1 n 1 n−1
jeweilsPotenzen
(mit n ungerade). D.h. insbesondere, daß in der 1/c-Entwicklung der
m
c
(~
p 2 )2
Term − 8m3 c2 genau so wichtig ist wie die Terme der Ordnung m2ec2 und deshalb bei der Diskussion
der Korrekturen zum Wasserstoffspektrum (s.u.) berücksichtigt werden muß.
5.4. NICHT-RELATIVISTISCHER GRENZFALL
99
Weg 2: Foldy-Wouthuysen–Transformation
Wir wollen nun noch die alternative Herleitung der 1/mn -Korrekturen zum Hamiltonian mittels der Foldy-Wouthuysen–Transformation angeben (siehe auch Schwabl oder Bjorken/Drell).
Wir betrachten also eine unitäre Transformation des Dirac-Spinors
ψ = e−iS ψ 0
mit S = S †
Einsetzen in die Dirac-Gleichung (in Hamiltonscher Form) ergibt
i∂t ψ = e−iS (i∂t ψ 0 ) + (∂t S)e−iS ψ 0 = Hψ = He−iS ψ 0
i
h
⇒ i∂t ψ 0 = eiS (H − i∂t )e−iS ψ 0
{z
|
(5.127)
}
≡H 0
wobei wir den Hamiltonoperator in der transformierten Basis identifiziert haben. Die ursprüngliche Hamiltonfunktion hatte
• „gerade“ Operatoren, d.h. solche, bei denen keine Mischung der Spinorkomponenten ϕ
und χ (Dirac-Darstellung) auftritt:
(β m + e φ)
• „ungerade“ Operatoren, bei denen ϕ und χ mischen:
~
α
~ · (~
p − eA)
Unser Ziel ist es durch geeignete Wahl von S zu erreichen, daß der Hamiltonoperator H 0 (zu
der betrachteten Ordnung in 1/m) nur noch gerade Operatoren enthält, sodaß in der neuen
Basis ϕ0 und χ0 entkoppeln.
Wir wissen, daß im Limes m → ∞ der führende Term, H ≈ βm, schon „gerade“ ist, d.h.
die Phasenfunktion S, die wir suchen, läßt sich entwickeln
S=
1
1
1
S1 +
S2 +
S3 + ...
2m
4m2
8m3
(5.128)
Um die Exponentiale (von Operatoren) in obigen Ausdruck für H 0 zu entwickeln, benutzen
wir die Baker-Hausdorff-Formel:
eiS H e−iS
−eiS i∂t e−iS
=
=
H
+
−
i[S, H]
Ṡ
+
−
e·φ
+
i2
2 [S, [S, H]]
i
2 [S, Ṡ]
+ ...
+ ...
wobei
H=
β·m
+
| {z }
|{z}
≡ E gerade
O(m) gerade
α
· ~π}
|~ {z
≡ O ungerade
Wir sortieren nun die Terme nach Potenzen von 1/m:
(m)1 :
H 0 |m1 = βm gerade X
(m)0 :
H 0 |m0 = E + O + 2i [S1 , β]
(m)−1 :
H 0 |m−1 =
...
i
4m [S2 , β]
+
i
2m [S1 , E
+ O] −
1
8m [S1 , [S1 , β]]
−
1
2m Ṡ1
100
KAPITEL 5. RELATIVISTISCHE WELLENGLEICHUNGEN
Zur weiteren Analyse führen wir ein paar Vorüberlegungen zu Kommutatoren der auftretenden Operatoren durch. Mit
[β, O] =
1 0
0 −1
!
!
0
~π · ~σ
0
~π · ~σ
−
~π · ~σ
0
~π · ~σ
0
!
=
0
~π · ~σ
0
−~π · ~σ
−
−~π · ~σ
0
~π · ~σ
0
!
!
1 0
0 −1
!
= 2βO
und [β, E] = 0, sowie β 2 = 1 folgt:
[βO, β] = β[O, β] = −2O ,
(5.129)
2
[βO, O] = 2βO ,
(5.130)
[βO, E] = β[O, E] ,
(5.131)
[[O, E], β] = −2β[O, E] .
(5.132)
Wir bestimmen nun den Beitrag S1 aus H 0 |m0 , sodaß der ungerade Beitrag O gerade kompensiert wird:
i
!
O + [S1 , β] = 0
2
0
~σ · ~π
⇒S1 = −iβO = −i
−~σ · ~π
0
!
= S1†
X
(5.133)
Als gerader Term bleibt dann gerade noch übrig
H 0 m0 = eφ ,
(5.134)
was konsistent mit unserer obigen Rechnung ist.
Die Matrix S2 wird in der Übung konstruiert. Die Rechnung für die Ordnung 1/m2 kann
analog durchgeführt werden; – für die detaillierte Rechnung wird auf die Literatur verwiesen.
Effekte der relativistischen Korrekturen auf das Wasserstoffspektrum
Als Anwendung der relativistischen Korrekturen zur Schrödinger-Gleichung wollen wir nun
die Effekte auf das Wasserstoffspektrum studieren. Dazu führen wir zunächst einige Vorüberlegungen durch.
Wir können das Wasserstoff-Problem in (entarteter) zeitunabhängiger Störungstheorie
betrachten, d.h. wir suchen die Matrixelemente der Korrekturen zum Hamiltonian mit den
Zuständen des ungestörten Wasserstoff-Problems (welche wir aus QMI kennen),
E (1) = hφ(0) |H1 |φ(0) i .
(0)
Um der Entartung der Zustände |φ(0) i (für gegebenen Energieeigenwert En ) Rechnung zu
tragen, wählen wir als Ausgangszustände gerade die Eigenvektoren der Symmetriegeneratoren
des vollen Problems,
1
|φ(0) i = |n, j = l ± , mj , li ,
2
5.4. NICHT-RELATIVISTISCHER GRENZFALL
101
wobei n die Hauptquantenzahl, j der Betrag des Gesamtdrehimpuls, mj dessen z-Komponente
und l der Betrag des Bahndrehimpuls ist (entsprechend dem maximalen Satz von kommutie~ 2 ] = [J~ 2 , Jz ] = [J~ 2 , L
~ 2 ] = [Jz , L
~ 2 ] = 0). Damit
renden Operatoren [Ĥ, J~ 2 ] = [Ĥ, Jz ] = [Ĥ, L
sind die Erwartungswerte mit dem Stör-Hamiltonian automatisch diagonal.
Weiterhin stellt sich heraus (s.u.) , daß wir für die Berechnung der relativistischen Korrekturen die Erwartungswerte
1
1
1
h i,h 2i,h 3i
r
r
r
benötigen. Diese könnten wir explizit über den Radialanteil der ungestörten WasserstoffWellenfunktion ausrechnen. Wir benutzen hier alternativ eine etwas elegantere Herleitung.
Dazu betrachten wir zunächst den sog. Virial-Satz: Aus
Ĥ0 =
p̂2
+ V (x̂) ,
2m
mit Eigenvektoren Ĥ0 |ψi = E |ψi, folgt hψ|[Ĥ0 , x̂ · p̂]|ψi = 0 und damit
h−i~
p~
~ i=0
· p~ + i~ ~x · ∇V
m
⇒
h
p2
~ i = 0.
i − h~x · ∇V
m
(5.135)
(Dies gilt allgemein für einen Hamiltonian der Form T̂ + V̂ .) Wenden wir dies speziell auf das
Coulomb-Potential des H-Atoms an
V =−
e2
r
,
2
~ =e
~x · ∇V
r
Setzen wir dies in den Ausdruck für die Energie ein, ergibt sich:
E = hHi = h
2
2
p2
1
~ i − he i = −1 he i
i + hV i = h~x · ∇V
2m
2
r
2 r
(5.136)
d.h.
1
2
1
h i = − 2 En =
r
e
an2
(5.137)
2
~
wobei wir den Bohrradius a = me
2 zur Klassifizierung der Energieniveaus des ungestörten
Wasserstoff-Atoms En eingeführt haben.
Für die Berechnung der Erwartungswerte h1/r2 i und h1/r3 i betrachten wir den Radialanteil der Schrödinger-Gleichung in der Form
Ĥ u(ρ) = u(ρ)
mit der dimensionslosen Variable ρ = r/a und
H=−
d2
l(l + 1) 2
+
−
dρ2
ρ2
ρ
(siehe QM I)
(5.138)
Die (normierten) Energieeigenwerte schreiben wir als = −1/(N + l + 1)2 , wobei wir im
Folgenden N = n − l − 1 und l als unabhängige Variablen auffassen (und nicht n).
102
KAPITEL 5. RELATIVISTISCHE WELLENGLEICHUNGEN
• Leiten wir die Schrödinger-Gleichung nach l ab (bei festem N ), ergibt sich
∂u
∂
∂u
∂H
u+H
=
u+
∂l
∂l
∂l
∂l
(5.139)
• Bilden wir jetzt wieder den Erwartungswert bezüglich des Radialanteils |ui, erhalten
wir
∂H
∂u
∂
∂u
hu|
|ui + hu|H| i = hu|ui
+ hu| i
|
{z
}
∂l
∂l
∂l
∂l
| {z }
=hu| ∂u
i
∂l
⇒ hu|
=1
∂
∂H
2l + 1
2
|ui = hu| 2 |ui =
= 3
∂l
ρ
∂l
n
(5.140)
und daraus die gewünschte Beziehung für h1/r2 i
h
1
2
i =
2
r nl (2l + 1)n3 a2
(5.141)
• Ableiten der Schrödinger-Gleichung nach ρ liefert wiederum
∂H
∂u
∂u
|ui + hu|H| i = hu| i
∂ρ
∂ρ
∂ρ
1
2 !
∂H
|ui = −2l(l + 1) h 3 i + h 2 i = 0
⇒ hu|
∂ρ
ρ
ρ
hu|
(5.142)
und somit
h
Zusammengefasst: (mit α =
e2
~c
≈
1
2
1
i =
3
3
r nl l(l + 1)(2l + 1) n a3
(5.143)
1
137 )
1
mc α
2
h i=
= −En
,
2
r
~ n
α~c
1
4m
h 2 i = −En 2
,
r
~ (2l + 1)n
1
4αm2 c
.
h 3 i = −En 3
r
~ (2l + 1)l(l + 1)n
(5.144)
Mit diesem Ergebnis können wir nun direkt die einzelnen Korrekturen zum Wasserstoffspektrum angeben:
Korrektur zur kinetischen Energie:
Die Beiträge von der kinetischen Energie zur Ordnung 1/m3 entsprechen einer Korrektur zum
Hamiltonian
1 (p2 )2
1
∆H = −
=−
3
2
8m c
2mc2
e2
H0 +
r
!2
(5.145)
5.4. NICHT-RELATIVISTISCHER GRENZFALL
103
wobei wir p2 /2m = H0 − V benutzt haben. Daraus erhält man
h∆Hi = −
1
α2
2
2 1
4 1
(E
+
2E
e
h
i
+
e
h
i)
=
E
n
n 2
2mc2 n
r
r2
n
2n
3
−
2l + 1 4
<0
(5.146)
für Zustände |ψ0 i = |njmj li.
• Bezogen auf die ungestörte Energie En erhalten wir also eine Korrektur der Ordnung
α2 .
• Die Stärke der Korrektur hängt explizi von der Drehimpulsquantenzahl l ab.
• Wie bereits oben erwähnt verschwinden die nicht-diagonalen Elemente
hnj 0 m0j l0 |∆H|njmj li ,
~ L
~ 2 vertauscht.
da ∆H mit J~ 2 , J,
Spin-Bahn-Kopplung:
2
Für das Coulomb-Potential V = − er ergibt sich für die Korrektur der Spin-Bahn–Kopplung
zum Hamilton-Operator
ĤLS =
2
1
~ e
~
s
·
L
2m2 c2
r3
(5.147)
~ + ~s durch Quadrieren die Relation
Weiterhin fologt aus J~ = L
~ =
~s · L
1 ~2 ~2
J − L − ~s2 .
2
Also ist
2
~ |n, j = l ± 1 , mj , li = ~ (j(j + 1) − l(l + 1) − s(s + 1)) |n, j = l ± 1 , mj , li
~s · L
2
2 (
2
)
~2 (l + 21 )(l + 32 ) − l(l + 1) − 34
1
=
1
1
3 |n, j = l ± , mj , li
2 (l − 2 )(l + 2 ) − l(l + 1) − 4
2
~2
=
2
(
(5.148)
)
1
l
|n, j = l ± , mj , li .
−l − 1
2
(5.149)
Es bleibt noch der Erwartungswert bezüglich des Radialanteils (s.o.),
e2
1
2α2
>0
h
i
=
−E
n
2m2 c2 r3
~2 l(l + 1)(2l + 1)n
(5.150)
so daß sich insgesamt
α2
hĤLS i =
|En |
(2l + 1)n
(
1
l+1
− 1l
>0
<0
(5.151)
104
KAPITEL 5. RELATIVISTISCHE WELLENGLEICHUNGEN
ergibt. Der Ausdruck hängt ist wieder von der Ordnung α2 und hängt explizit von der Bahndrehimpulsquantenzahl l ab. Zusammenfassen von ĤLS und ∆H ergibt damit
α2
h∆H + ĤLS i = |En | 2
n
(
n
2n
3
−
+ + l+1n
−l
2l + 1 4
)!
α2
= |En | 2
n
3
n
−
4 j+
!
1
2
(5.152)
Man beachte, daß die Summe nur noch vom Gesamtbahndrehimpuls-Eigenwert j abhängt!
Anmerkung:
In der obigen Herleitung ist der Fall l = 0 (d.h. j = 21 ) gesondert zu betrachten. Wegen
h
1
1
i∼
3
r
l
divergiert der Erwartungswert für l = 0 im Falle des angenommenen Coulomb-Potentials.
Dies ist aber nicht wirklich realistisch, denn der Kern ist ja eigentlich ausgedehnt (d.h. keine
Punktladungsquelle). Der endliche Radius des Kerns regularisiert die Divergenz, so daß dann
~ s |ψi ∝ l |ψi ein
h r13 i ∼ endlich für l = 0. Dann ergibt sich allerdings mit dem Vorfaktor aus L~
verschwindender Beitrag der Spin-Bahn-Kopplung für l = 0, d.h.
hĤLS il=0,j= 1 = 0,
2
und obige Gleichung gilt zunächst nur für l ≥ 1.
Darwin-Term:
Für den Darwin-Term erhalten wir im Falle des Coulomb-Potentials
HDarwin =
~2
~2
∆V
=
(4πe2 δ (3) (~x))
8m2 c2
8m2 c2
(5.153)
Wegen der δ-Distribution tragen nur s-Wellen bei (bei denen ψ(0) 6= 0). Das explizite Ergebnis
lautet
hHDarwin i =
π~2 e2
|ψnl (0)|2 δl0
2m2 c2
(5.154)
und ergibt gerade den Term, den wir vorher für den l = 0 Beitrag zu hHLS i wegdiskutiert
hatten. Damit erhalten wir als Gesamtergebnis der relativistischen Korrekturen
h∆H + ĤLS
α2
+ ĤDarwin i = |En | 2
n
3
n
−
4 j+
!
1
2
(5.155)
welche die Energieverschiebung im Wasserstoff-Spektrum (ohne Lamb-Shift7 ) beschreibt. Man
beachte, daß die Energieaufspaltung nur von den Quantenzahlen n und j abhängt.
Beispiel:
In der üblichen spektroskopische Notation, nLj mit l = (0, 1, 2, 3) → L = (S, P, D, F ) und
l < n, j = l ± 12 , lauten die niedrigesten Energiezustände im Wasserstoffatom:
7
Anmerkung: In der QFT erhält man weitere Korrekturterme zum Wasserstoffspektrum, die durch Quantenfluktuationen des elektromagnetischen Feldes entstehen. Diese erzeugen die sog. Lamb-Verschiebung,
welche dominant für l = 0 (s-Wellen) beiträgt.
5.4. NICHT-RELATIVISTISCHER GRENZFALL
1S 1
2
2S 1
2
2P 1
2
2P 3
2
n
1
2
2
2
..
.
l
0
0
1
1
..
.
105
j
1
2
1
2
1
2
3
2
..
.
• Ohne relativistische Korrekturen hängen die Energieeigenwerte nur von n ab, d.h. die
Niveaus 2S 1 , 2P 1 und 2P 3 sind entartet.
2
2
2
• Da die obige Aufspaltung nur von n und j abhängt, bleiben die Niveaus 2S 1 und 2P 1
2
2
entartet.
• Die Feinstrukturaufspaltung aufgrund der relativistischen Korrekturen (s.o.) ist negativ
und betragsmäßig größer für kleines j.
• Die Lamb-Shift hängt dagegen von l ab und ist größer für l = 0. Durch die Lamb-Shift
wird dann auch die Entartung zwischen 2S 1 und 2P 1 aufgehoben.
2
2
• Schließlich sorgt die Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen dem Elektron-Spin
und dem durch den Kernspin induzierten Magnetfeld eine Hyperfeinaufspaltung der
Niveaus mit ms = ± 21 .
Die Aufspaltung der Niveaus ist in folgender Skizze graphisch zusammengefaßt:
E
n=2
l = 0, 1
Feinstruktur
∼ 10950 MHz
LambShift
∼ 1057 MHz
2P3/2
236 MHz
2S1/2
2S1/2
2P1/2
HyperfeinStruktur
2P1/2
177 MHz
59 MHz
Zugehörige Unterlagen
Herunterladen