Wirtschafts- und Europastrafrecht Sommersemester 2017 Dr. Martin Stricker Wirtschaftsstrafrecht – Untreue (§ 153 StGB) Untreue § 153. (1) Wer seine Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, wissentlich missbraucht und dadurch den anderen am Vermögen schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. (2) Seine Befugnis missbraucht, wer in unvertretbarer Weise gegen solche Regeln verstößt, die dem Vermögensschutz des wirtschaftlich Berechtigten dienen. (3) Wer durch die Tat einen 5 000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, wer einen 300 000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführt, mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen. Wirtschaftsstrafrecht – Untreue (§ 153 StGB) 1) Vertretungsmacht (Vollmacht) Rechtshandlung; keine tatsächlichen Handlungen Außen- und Innenverhältnis, Können und Dürfen. Rechtswirkungen für einen anderen = direkte Stellvertretung Sonderdelikt: unmittelbarer Täter = Vollmachtträger. gesetzliche Vertreter, insbes. von juristischen Personen, Organe, Prokuristen, jeder Handlungsbevollmächtigte 2) Tathandlung Missbrauch = pflichtwidriger Gebrauch. Maßstab der Pflichtwidrigkeit. Ex-ante-Beurteilung 3) Wissentlichkeit des Missbrauchs 4) Vermögensschaden Reines Vermögensschädigungsdelikt Problemfall: Korruption als Untreue – Ausgangsfälle Fall 1 A, Geschäftsführer der Z-GmbH, zahlt dem Bürgermeister B 7.000 Euro, damit dieser eine Baubewilligung für ein Bauvorhaben der ZGmbH erteilt, das nicht den gesetzlichen Bauvorschriften (§ 35 OöBauO) entspricht. B willigt ein und nimmt die 7.000 Euro an. Das Geld überweist A von dem Geschäftskonto der Z-GmbH. Die Bewilligung wird anschließend auch erteilt und die Z-GmbH kann ihren Umsatz aufgrund des gelungenen Bauvorhabens verdoppeln. Problemfall: Korruption als Untreue – Ausgangsfälle Fall 2 A, Geschäftsführer der Z-GmbH, zahlt dem Geschäftsführer der YGmbH C 7.000 Euro, damit dieser eine im Namen der Y-GmbH bestehende Ausschreibung zugunsten der Z-GmbH entscheidet. C nimmt das Angebot an und erteilt der Z-GmbH den Zuschlag für den ausgeschriebenen lukrativen Werbeauftrag, nachdem A die vereinbarte Summe vom Geschäftskonto der Z-GmbH überwiesen hat. C tut dies, obwohl die anderen im Zuge der Ausschreibung gelegten Angebote für die Y-GmbH wesentlich vorteilhafter wären, weil sie den Ausschreibungsbedingungen vollkommen entsprechen und darüber hinaus günstiger sind. Strafrechtliche Beurteilung der Ausgangsfälle nach den Korruptionsdelikten – Fall 1 Strafbarkeit nach den §§ 307 u 304 StGB - Amtsträger (Bürgermeister) - Tathandlung (Anbieten bzw Annehmen) eines Vorteils (Geldbetrag) - Pflichtwidriges Amtsgeschäft (Baubewilligung) - Subjektiver Tatbestand (Eventualvorsatz) - Qualifikation (§ 307 Abs 2 StGB; § 304 Abs 2 StGB) Strafrechtliche Beurteilung der Ausgangsfälle nach den Korruptionsdelikten – Fall 2 Strafbarkeit nach § 309 Abs 1 u 2 StGB - Bediensteter (Geschäftsführer) - Tathandlung (Anbieten bzw Annehmen) eines Vorteils (Geldbetrag) - Pflichtwidrige Rechtshandlung im geschäftlichen Verkehr (Zuschlag im Ausschreibungsverfahren entgegen den Ausschreibungsbedingungen) - Subjektiver Tatbestand (Eventualvorsatz) - Qualifikation (§ 309 Abs 3 StGB) Strafrechtliche Beurteilung nach § 153 StGB Grundsätzliche Überlegungen - Einsatz wirtschaftlich fremden Vermögens - Bestechungshandlung als Befugnismissbrauch - Abfluss der Vermögenswerte als Vermögenschaden Bestechungshandlungen als Untreue Ansichten in Judikatur und Schrifttum - Hauptanwendungsfall bei Bestechlichkeit (Provisionen, Kick-Back) - Spendenkonstellationen (§ 23 WGG ua); Betriebsrat (§ 119 dAVRAG) - Entscheidendes Kriterium: Rechtsgutsbezogene Auslegung - § 153 Abs 2 StGB nF „Eine Normverletzung kann nur dann pflichtwidrig iSv § 153 StGB sein, wenn die verletzte Rechtsnorm ihrerseits vermögensschützenden Charakter für das zu betreuende Vermögen hat“ Missbrauchsbegründung Bestechungsdelikte Schutzzweck § 307 StGB? - Sauberkeit, Reinheit und Unverkäuflichkeit der Amtsführung - Schutz des Vertrauens der Allgemeinheit in die Amtsführung - Schutz des gesamten Bereichs der Erfüllung öffentlicher Aufgaben vor Beeinflussung - systematische Stellung - Unrecht vollständig verwirklicht, wenn der Täter mit eigenem und nicht mit wirtschaftlich fremdem Geld besticht oder Vermögen nicht gezahlt wird Kein Vermögensbezogenheit der Bestechung Missbrauchsbegründung Bestechungsdelikte Schutzzweck § 309 StGB? - Allgemeininteressen gegen Korruption - Reinheit, Sauberkeit und Unbestechlichkeit des Wirtschaftsverkehrs - Wettbewerb - systematische Stellung? - Schutz fremden Vermögens (ehem §§ 168c,d StGB) - Vermögen des Geschäftsherren des Bestochenen - Vermögensschädigung durch Hingabe wirtschaftlich fremden Geldes nicht notwendig Keine Missbrauchsbegründung durch die Korruptionsdelikte! Missbrauchsbegründung Haftungsbestimmungen für Geschäftsführer und Vorstand - § 25 GmbHG und § 84 AktG - demonstrative Aufzählung, an untersagten Handlungen, aber kein Bestechungsverbot - Blankettvorschriften - § 307 StGB, § 309 Abs 2 StGB, OECD-Übereinkommen? Einordnung in zivilrechtliche Haftungsvorschriften nicht entscheidend Missbrauchsbegründung Missbrauch durch interne Vorgaben - Compliance-Regeln; Corporate-Governance-Kodex; Einzelanweisung - Zweck des Bestechungsverbots? - Konkrete Ausgestaltung, Einzelfallbeurteilung - Bezug zu Vermögen des Machtgebers erforderlich Missbrauchsbegründung Vermögensbezogenheit oder Vermögensschutz? - Verletzung von Regeln, die dem Vermögensschutz des Berechtigten dienen (§153 Abs 2 StGB) - Schutz vor Schädigung des Machtgebers Vermögensbezogenheit nicht ausreichend - Deliktsspezifische inadäquate Gefährlichkeit für geschütztes Rechtsgut Zweck der Norm muss die Verhinderung einer Vermögensschädigung sein - Schaden bei Bestechungszahlungen? - Abfluss der Bestechungsgelder? - Relevanz von Gegenleistungen? Entscheidend wirtschaftlicher Zusammenhang (Synallagma; do ut des) Missbrauchsbegründung Vermögensbezogenheit oder Vermögensschutz? - Angestrebte Gegenleistung üblicherweise höher - kein Schaden - Schaden bei fehlender Gegenleistung - Vermögensschutz muss Zweck der übertretenen Norm sein - Unvertretbarkeit aus rein vermögensspezifischen Gesichtspunkten (vgl OGH 13 Os 142/14b)? - Zustimmung durch den Machtgeber? Zusammenfassung Aktive Bestechung als Untreue? - Entscheidend ist die Missbrauchsbegründung: - Korruptionsdelikte X - Zivilrechtliche Haftungsbestimmungen X - Interne Vorgaben/Compliance-Regeln/Einzelanweisung - Einfallbewertung - Vermögensschutz als Zweck der Regelung erforderlich - Missbrauch aus rein vermögensbezogenen Gesichtspunkten bei fehlender Gegenleistung? - Aber Perspektivenwechsel: Bestimmung zur Untreue des Bestochenen Konfiskation und Verfall (§ 19a ff StGB) Konfiskation (§ 19a StGB) (1) Gegenstände, die der Täter zur Begehung einer vorsätzlichen Straftat verwendet hat, die von ihm dazu bestimmt worden waren, bei der Begehung dieser Straftat verwendet zu werden, oder die durch diese Handlung hervorgebracht worden sind, sind zu konfiszieren, wenn sie zur Zeit der Entscheidung erster Instanz im Eigentum des Täters stehen. (1a) Die Konfiskation erstreckt sich auch auf die zur Zeit der Entscheidung erster Instanz im Eigentum des Täters stehenden Ersatzwerte der in Abs. 1 bezeichneten Gegenstände. (2) Von der Konfiskation ist abzusehen, soweit sie zur Bedeutung der Tat oder zu dem den Täter treffenden Vorwurf außer Verhältnis steht. Konfiskation und Verfall (§ 19a ff StGB) Konfiskation (§ 19a StGB) - Gewahrsamsbegründung durch den Staat, um Gegenstände zu verwerten oder zu verwenden (§ 408 StPO) - Verlust des Eigentumsrechts - Keine Ermessensentscheidung des Gerichts - Nebenstrafe - Prozessuale Absicherung durch Sicherstellung und Beschlagnahme - Producta und instrumenta sceleris (Tatwerkzeuge, Tatwaffen, Urkunden) - Körperliche Sache, Ersatzsache auch unkörperlich Konfiskation und Verfall (§ 19a ff StGB) Konfiskation (§ 19a StGB) - Anlasstat: vorsätzliche Straftat - Alleineigentum des Täters im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz - Verhältnismäßigkeitskorrektiv (§ 19a Abs 2) - Anrechnung auf Strafen? - - Anrechnung gem § 19 Abs 3? Anrechnung nach freiem Ermessen? Keine Anrechnung (OGH)? Prozessual selbständiges Verfahren möglich (§ 445 Abs 2a StPO) Konfiskation und Verfall (§ 19a ff StGB) Verfall (§§ 20 ff StGB) § 20 (1) Das Gericht hat Vermögenswerte, die für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder durch sie erlangt wurden, für verfallen zu erklären. (2) Der Verfall erstreckt sich auch auf Nutzungen und Ersatzwerte der nach Abs. 1 für verfallen zu erklärenden Vermögenswerte. (3) Soweit die dem Verfall nach Abs. 1 oder 2 unterliegenden Vermögenswerte nicht sichergestellt oder beschlagnahmt sind (§§ 110 Abs. 1 Z 3, 115 Abs. 1 Z 3 StPO), hat das Gericht einen Geldbetrag für verfallen zu erklären, der den nach Abs. 1 und Abs. 2 erlangten Vermögenswerten entspricht. (4) Soweit der Umfang der für verfallen zu erklärenden Vermögenswerte nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermittelt werden kann, hat das Gericht ihn nach seiner Überzeugung festzusetzen. Konfiskation und Verfall (§ 19a ff StGB) Verfall (§§ 20 ff StGB) - Wirkung der Konfiskation - Strafe oder Maßnahme eigener Art? - Im Schrifttum umstritten - VfGH 8.10.2015, G 154/2015: „Maßnahme eigener Art“ - Bruttoprinzip keine Strafe - Präventiv-ordnende Funktion - Kein schuldhaftes Verhalten erforderlich - Selbständiges Verfahren möglich - Bezeichnung und systematische Stellung - § 1174 ABGB - Insgesamt VfGH nicht überzeugend, Zweifel nicht beseitigt Konfiskation und Verfall (§ 19a ff StGB) Verfall (§§ 20 ff StGB) - Vermögenswerte, die für die Begehung erhalten oder durch sie erlangt wurden (Mörderlohn; Beute) - Wertersatz (§ 20 Abs 3 StGB) - Schätzungsbefugnis (§ 20 Abs 4 StGB) - Wahrscheinlichkeiten? - Prozessual selbständiges Verfahren möglich (§ 445 StPO) Konfiskation und Verfall (§ 19a ff StGB) Verfall (§§ 20 ff StGB) Unterbleiben des Verfalls (§ 20a StGB) (1) Der Verfall gegenüber einem Dritten nach § 20 Abs. 2 und 3 ist ausgeschlossen, soweit dieser die Vermögenswerte in Unkenntnis der mit Strafe bedrohten Handlung erworben hat. (2) Der Verfall ist überdies ausgeschlossen: 1. gegenüber einem Dritten, soweit dieser die Vermögenswerte in Unkenntnis der mit Strafe bedrohten Handlung entgeltlich erworben hat, 2. soweit der Betroffene zivilrechtliche Ansprüche aus der Tat befriedigt oder für sie Sicherheit geleistet hat, oder 3. soweit seine Wirkung durch andere rechtliche Maßnahmen erreicht wird. (3) Vom Verfall ist abzusehen, soweit der für verfallen zu erklärende Vermögenswert oder die Aussicht auf dessen Einbringung außer Verhältnis zum Verfahrensaufwand steht, den der Verfall oder die Einbringung erfordern würde. Konfiskation und Verfall (§ 19a ff StGB) Verfall (§§ 20 ff StGB) Unterbleiben des Verfalls (§ 20a StGB) - Verfall ist bei Dritten bei Unkenntnis bei Ersatzwerten, Nutzungen und Wertersatz ausgeschlossen (§ 20a Abs 1 StGB) - In jedem Fall unzulässig, wenn entgeltlich (§ 20a Abs 2 Z 1 StGB) - Bei Befriedigung zivilrechtlicher Ansprüche oder Sicherheiten (§ 20a Abs 2 Z 3 StGB) - Bei Wirkung durch andere Maßnahmen (§ 20a Abs 2 Z 3 StGB) - Konfiskation? Unverhältnismäßiger Verfahrensaufwand (§ 20a Abs 3 StGB) Konfiskation und Verfall (§ 19a ff StGB) Verfall (§§ 20 ff StGB) Erweiterter Verfall (§ 20b StGB) (1) Vermögenswerte, die der Verfügungsmacht einer kriminellen Organisation (§ 278a) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b) unterliegen oder als Mittel der Terrorismusfinanzierung (§ 278d) bereitgestellt oder gesammelt wurden, sind für verfallen zu erklären. (2) Ist eine rechtswidrige Tat nach den §§ 165, 278, 278c, für deren Begehung oder durch die Vermögenswerte erlangt wurden, oder ein solches Verbrechen begangen worden, sind auch jene Vermögenswerte für verfallen zu erklären, die in einem zeitlichen Zusammenhang mit dieser Tat erlangt wurden, sofern die Annahme naheliegt, dass sie aus einer rechtswidrigen Tat stammen und ihre rechtmäßige Herkunft nicht glaubhaft gemacht werden kann. (3) § 20 Abs. 2 bis Abs. 4 StGB gilt entsprechend. Konfiskation und Verfall (§ 19a ff StGB) Verfall (§§ 20 ff StGB) Erweiterter Verfall (§ 20b StGB) - Terroristische Organisation, Vereinigung oder Terrorismusfinanzierung (§ 20b Abs 1 StGB) - Vermutlich aus rechtswidrigen Taten (§ 20b Abs 2 StGB) - Beweislastumkehr? - Verdachtsstrafe? - Verfassungsrechtliche Bedenken? Konfiskation und Verfall (§ 19a ff StGB) Verfall (§§ 20 ff StGB) Unterbleiben des erweiterten Verfalls (§ 20c StGB) § 20c (1) Der erweiterte Verfall nach § 20b Abs. 1 StGB ist ausgeschlossen, soweit an den betroffenen Vermögenswerten Rechtsansprüche von Personen bestehen, die an der kriminellen Organisation oder terroristischen Vereinigung oder Terrorismusfinanzierung nicht beteiligt sind. (2) § 20a StGB gilt entsprechend.