20. Glatte Mannigfaltigkeiten

Werbung
62
PD DR. THOMAS TIMMERMANN
20. G LATTE M ANNIGFALTIGKEITEN
Topologische Mannigfaltigkeiten sind Hausdorff-Räume, die lokal aussehen wie offene
Teilmengen des Rn , die also um jeden Punkt eine Karte in folgendem Sinn haben:
Definition 20.1. Sei X ein topologischer Raum.
• Eine (n-dimensionale) Karte für X ist ein Homöomorphismus φ von einer offenen Menge U ⊆ X, dem Kartengebiet, auf eine offene Teilmenge des U 0 ⊆ Rn .
Wir bezeichnen auch das Paar (U, φ) als Karte und die Komponenten φ1 , . . . , φn
von φ lokale Koordinaten.
• Sind (U, φ) und (V, ψ) Karten für X, so nennt man den Homöomorphismus
ψ ◦ φ−1 : φ(U ∩V ) → ψ(U ∩V )
den zugehörigen Kartenwechsel.
• Ein (n-dimensionaler) Atlas für X ist eine Familie von Karten ((Ui , φi ))i mit
S
i Ui = X.
Für differenzierbar / glatte / orientierbare / . . . Mannigfaltigkeiten wollen wir nun fordern, dass wir die Karten in einem Atlas entsprechend differenzierbar / glatt / orientierungserhaltend / . . . wählen können. Aber was soll das heißen? Diese Eigenschaften
müssten dann auch die Kartenwechsel haben und lassen sich darüber sinnvoll definieren.
Wir konzentrieren uns auf glatte (=beliebig oft differenzierbare) Mannigfaltigkeiten.
Definition 20.2. Ein Atlas heißt glatt, falls alle zugehörigen Kartenwechsel glatt sind.
Beispiele 20.3.
(1) Wir betrachten RPn = (Rn+1 \ {0})/∼ mit x ∼ y ⇔ Rx = Ry.
Für jedes i = 1, . . . , n + 1 ist
φi
RPn ⊃ Ui := {[x] : xi 6= 0} −
→ Rn−1 ,
x1
xi−1 xi+1
xn+1
[(x1 , . . . , xn+1 )] 7→
,...,
,
,...,
xi
xi
xi
xi
eine Karte (vgl. Aufgabe 4 von Blatt 2) mit Umkehrabbildung
(y1 , . . . , yn ) 7→ (y1 , . . . , yi−1 , 1, yi , . . . , yn+1 ).
GRUNDLAGEN DER ANALYSIS, TOPOLOGIE UND GEOMETRIE (WWU 2016)
63
Für 1 ≤ i < j ≤ n ist der Kartenwechsel von φi nach φ j gegeben durch
y j−2 y j
yi−1 1
yi
yn
y1
(y1 , . . . , yn−1 ) 7→
,...,
,
,
,...,
,
,...,
y j−1
y j−1 y j−1 y j−1
y j−1 y j−1
y j−1
also glatt. Diese Karten bilden also einen glatten Atlas für RPn .
(2) Auf Sn haben wir für jedes i = 1, . . . , n zwei Karten
φ±
i
Rn−1 ,
Sn ⊃ Ui± := {x ∈ Sn : sgn(xi ) = ±1} −→
x 7→ (x1 , . . . , xi−1 , xi+1 , . . . , xn ),
und diese bilden zusammen einen glatten Atlas für Sn (ÜA).
(3) Sind A und B glatte m- bzw. n-dimensionale Atlanten für Räume X beziehungsweise Y , so bilden die Karten
φ×ψ
X ×Y ⊇ U ×V −−→ Rm × Rn
mit (U, φ) ∈ A und (V, ψ) ∈ B
einen glatten (m + n)-dimensionalen Atlas für X ×Y
Die Wahl eines Atlas soll für die Definition einer Mannigfaltigkeit keine Rolle spielen.
Definition 20.4. Eine Menge B glatter Karten heißt verträglich mit einem glatten Atlas
A für X, falls die Kartenwechsel zwischen Karten in B und A glatt sind.
Zwei glatte Atlanten A , B sind also genau dann verträglich, wenn auch A ∪ B ein glatter
Atlas ist.
Lemma 20.5. Sei A ein glatter Atlas und A die Menge aller mit A verträglicher glatter
Karten für X. Dann ist A ein maximaler glatter Atlas.
Beweis. Klar: A ⊆ A .
Glatter Atlas: Seien (V, ψ), (V 0 , ψ0 ) ∈ A und x ∈ V ∩ V 0 . Wähle (U, φ) ∈ A mit x ∈ U.
Dann ist ψ0 ◦ ψ−1 glatt in ψ(x), weil auf ψ(V ∩V 0 ∩U) gleich (ψ0 ◦ φ−1 ) ◦ (φ ◦ ψ−1 ).
Maximalität: Enthält ein glatter Atlas A , so ist jede seiner Karten verträglich mit A . Definition 20.6. Eine glatte Struktur auf einem Raum X ist ein maximaler glatter Atlas
für X; dessen Elemente heißen dann einfach glatte Karten. Eine glatte Mannigfaltigkeit
ist ein zweit-abzählbarer Hausdorff-Raum mit einer glatten Struktur.
Bemerkung 20.7.
(1) Jeder glatte Atlas A definiert genau eine glatte Struktur A .
(2) Zweit glatte Atlanten A , B für einen Raum definieren genau dann dieselbe glatte
Struktur, wenn sie verträglich sind.
Nun müssen wir noch die Morphismen in der Kategorie der glatten Mannigfaltigkeiten
definieren.
Definition 20.8. Seien X,Y glatte Mannigfaltigkeiten. Eine Abbildung f : X → Y heißt
64
PD DR. THOMAS TIMMERMANN
• glatt in x ∈ X, falls es glatte Karten (U, φ) um x und (V, ψ) um f (x) gibt, für die
ψ ◦ f ◦ φ−1 auf einer Umgebung von x glatt ist;
• glatt, falls f in jedem x ∈ X glatt ist;
• Diffeomorphismus, falls f bijektiv und f , f −1 glatt sind.
Man nennt X und Y diffeomorph, falls es einen Diffeomorphismus f : X → Y gibt.
Bemerkung 20.9.
(1) Ist f : X → Y glatt in x ∈ X, so ist ψ ◦ f ◦ φ−1 für alle Karten
(U, φ) um x und (V, ψ) um f (x) glatt auf einer Umgebung von x. (Ähnliches
Argument wie im Beweis von Lemma 1.5).
(2) Die Verknüpfung glatter Abbildungen ist wieder glatt; somit bilden glatte Mannigfaltigkeiten mit glatten Abbildungen eine Kategorie.
Das folgende Beispiel ist wichtig für das Verständnis:
Beispiel 20.10. Auf R ist φ : x 7→ x3 ein Homöomorphismus und
A = {(R, idR )} und B = {(R, φ)}
glatte Atlanten.
p
• A und B sind nicht verträglich, weil der Kartenwechsel idR ◦φ−1 : x 7→ sgn(x) 3 |x|
nicht glatt ist.
• (R, A ) und (R, B ) sind diffeomorph vermöge der Abbildung f := φ : (R, B ) →
(R, A ), weil f bijektiv und id ◦ f ◦ φ−1 = id sowie φ ◦ f −1 ◦ id = id glatt sind.
Bemerkung 20.11.
(1) Es gibt glatte Mannigfaltigkeiten, die homöomorph, aber
nicht diffeomorph sind, z.B. S7 mit der gewöhnlichen und einer “exotischen”
differenzierbaren Struktur.
(2) Es gibt topologische Mannigfaltigkeiten, für die kein glatter Atlas existiert.
Herunterladen