Der Vielfalt in Baden-Württemberg eine Zukunft geben

Werbung
Powered by
Seiten-Adresse:
https://www.gesundheitsindustriebw.de/de/fachbeitrag/aktuell/der-vielfalt-in-badenwuerttemberg-eine-zukunft-geben/
Der Vielfalt in Baden-Württemberg eine Zukunft geben
Der alarmierende Rückgang der Arten ist nicht durch weltweite Konventionen zu stoppen,
sondern durch Aktionen auf regionaler und lokaler Ebene. Forschungs- und
Aktionsprogramme von Bund und Ländern können dazu beitragen, die Artenvielfalt in
Baden-Württemberg zu erhalten.
Über 300 Storchenpaare brüten wieder in Baden-Württemberg. © NABU
Im Vergleich zu dem Ausmaß, mit dem natürliche Ökosysteme in vielen Ländern der Nutzung
durch den Menschen zum Opfer fallen, scheint bei uns im Lande die Natur vielerorts relativ
intakt. Mehr noch, es gibt Verbesserungen: Über 300 Storchenpaare nisten heute wieder in
Baden-Württemberg; die hier vor 200 Jahren ausgerotteten Biber haben sich inzwischen am
Rhein zwischen Waldshut und Rastatt und an den schwäbischen Donauzuflüssen wieder
angesiedelt. Erstmals seit 50 Jahren wurde 2012 bei Rheinfelden am Hochrhein ein
ausgewachsener Lachs gefangen und seit hundert Jahren erstmals wieder eine Wildkatze im
Odenwald nachgewiesen.
Deutschland besonders gefährdet
Solche schönen Erfolge mit sogenannten „Leitarten“ sind für die Akzeptanz wichtig, um den
1
Naturschutz nicht nur im Gesetz, sondern auch in den Köpfen der Bürger zu verankern. Sie
dürfen aber nicht über die schwerwiegenden Probleme hinwegtäuschen. So heißt es in der
Begründung des Aktionsplans zur Sicherung der biologischen Vielfalt in Baden-Württemberg:
„Die vielfältige und schöne Natur Baden-Württembergs mit ihren Tier- und Pflanzenarten ist
eine der Besonderheiten, die unser Land so liebenswert machen. Doch trotz umfangreicher
Anstrengungen des Naturschutzes und vieler Teilerfolge finden sich weiterhin viele Arten auf
den Roten Listen und wertvolle Lebensräume sind gefährdet.“
Auch die Bundesregierung hat in ihrem „Rechenschaftsbericht 2013 zur Umsetzung der
Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ festgestellt, dass die Verlustrate der
biologischen Vielfalt auch in Deutschland alarmierend ist. Da sich insbesondere die Siedlungsund Verkehrsflächen stetig ausdehnen, konnte eine Trendwende beim Verlust der biologischen
Vielfalt trotz aller Bemühungen bisher nicht erreicht werden. Bedrohlich ist vor allem auch die
starke strukturelle Veränderung in der Flächennutzung, „etwa die Abnahme der Vielfalt von
Nutzungen und der Nutzungsdurchmischung, die Vergrößerung der Nutzungseinheiten (zum
Beispiel Ackerflächen) sowie die zunehmende Zerschneidung durch den Ausbau der
Verkehrsinfrastruktur“ (zitiert aus: Erwin Beck, Hrsg.: „Die Vielfalt des Lebens: Wie hoch, wie
komplex, warum?“, p. 214 f., WILEY-VCH, 2013). Die Strukturverarmung in der Landwirtschaft
und die Zunahme der Verkehrsflächen sind Hauptfaktoren für den Rückgang an Biodiversität in
unserem Land.
Überdüngung und Landschaftszerschneidung
Autobahnen stellen für viele Tiere fast unüberwindliche Hindernisse dar. © Umweltbundesamt
Im Zuge der Flurbereinigungen seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die Felder
maschinentauglich gemacht - je größer und gleichförmiger, umso besser. Hinzu kommt die
Überdüngung der Felder, die über das Grundwasser und Auswaschungen nach Regenfällen
auch die Gewässer belastet. Die speziellen, artenreichen Biotope der nährstoffarmen Heideund Moorgebiete, Magerwiesen und Trockenrasen sind besonders gefährdet.
Heute liegen die durchschnittlichen Stickstoffeinträge pro Hektar drei- bis fünfmal höher als
vor 60 Jahren; sie stammen aus der Mineraldüngung, der in der Massentierhaltung
anfallenden Gülle und direkt aus der Luft, wohin sie aus Heizkraftwerken und den hochtourigen
Motoren der Kraftfahrzeuge gelangen. Der bekannte Evolutionsforscher und Ökologe Josef H.
2
Reichholf kommt zu dem Schluss, dass die Landwirtschaft, die 47 Prozent der Bodenfläche in
Baden-Württemberg in Anspruch nimmt, und die Überdüngung die wichtigsten Faktoren des
Biodiversitätsverlustes sind.
In Baden-Württemberg werden nach Angaben des Statistischen Landesamtes (2011) jeden Tag
durchschnittlich 6,3 Hektar für Siedlungs- und Verkehrsflächen neu in Anspruch genommen.
Das entspricht im Jahr einer Fläche von 2.300 Hektar oder 3.335 Fußballfeldern. Als Indikator
für die Landschaftszerschneidung, die einer der wichtigsten Faktoren für den Verlust an
Biodiversität darstellt, hat man die Anzahl und Fläche „unzerschnittener, verkehrsarmer
Räume“ (UZVR) gemessen. Das sind die letzten großen Räume, die nicht von verkehrsreichen
Straßen, Bahnstrecken, Ortslagen, Flughäfen oder Wasserstraßen zerschnitten sind.
Dieser Indikator sieht für Baden-Württemberg nicht gut aus: Nur 7,65 Prozent der Landesfläche
gehören demnach in die Kategorie UZVR. Für viele Tiere stellen Autobahnen ein fast
unüberwindbares Hindernis dar. Kleinpopulationen werden dadurch zunehmend isoliert und
krisenanfällig und können sich nur schwer wieder regenerieren. Für Tiere annehmbare
Grünbrücken und Grünunterführungen können helfen, die Folgen zu mindern. Es gibt aber nur
wenige, weil sie sehr teuer sind.
Hotspots biologischer Vielfalt in Deutschland
Umwelt- und Naturschutz nehmen in Deutschland einen höheren Stellenwert ein als in den
meisten anderen Industrieländern. Die Einsicht, dass die Stabilität von Ökosystemen von ihrem
Artenreichtum abhängt, ist in Politik und Gesellschaft angekommen. Im Rahmen der
Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt haben das Bundesforschungs- und das
Bundesumweltministerium (BMBF und BMU) ein Programm aufgelegt, um den Rückgang an
Biodiversität zu stoppen und mittel- bis langfristig in einen positiven Trend umzukehren.
Zu den Fördermaßnahmen gehören 40 Tier- und Pflanzenarten, sogenannte
„Verantwortungsarten“ (siehe Link oben rechts), für deren Schutz Deutschland international
besondere Verantwortung übernimmt. Als weiterer Förderschwerpunkt werden dreißig
„Hotspots der biologischen Vielfalt in Deutschland“ ausgewiesen, erforscht und geschützt. Es
handelt sich dabei um Regionen mit einer besonders hohen Dichte und Vielfalt
charakteristischer Arten, Populationen und Lebensräume, in denen unter anderem die
„Identifikation der Menschen mit ihren Hotspots und ein modellhaftes, zielgerichtetes
Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure … gefördert werden“ soll. Vier dieser Hotspots
liegen ganz oder teilweise in Baden-Württemberg: (i) das Oberschwäbische Hügelland und
Adelegg, (ii) Hochschwarzwald mit Alb-Wutach-Gebiet, (iii) Schwäbische Alb und (iv) Nördliche
Oberrheinebene mit Hardtplatten.
Der "Aktionsplan Biologische Vielfalt"
Der Maßnahmenkatalog des Bundes wird durch den „Aktionsplan Biologische Vielfalt“ der
Landesregierung Baden-Württemberg komplementiert. Die Schwerpunktförderung erfolgt auf
Gebieten, die für die Sicherung der Biodiversität im Lande besonders wichtig sind (siehe Link
oben rechts). Großer Wert wird auf Aktionen gelegt, in welche die Bürger des Landes und die
Gemeinden miteinbezogen werden können. Der Aktionsplan umfasst vier verschiedene
Bausteine (siehe Abbildung). Im „111-Arten-Korb“ werden 90 Tier- und 21 Pflanzenarten
3
Die Elemente des Aktionsplans Biologische Vielfalt der Landesregierung Baden-Württemberg. © LUBW
identifiziert, die in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle spielen.
In der Liste finden sich „Leitarten“ wie der Biber, die - wie oben erwähnt - für die öffentliche
Akzeptanz des Natur- und Umweltschutzes von Bedeutung sind, aber auch „Problemarten“, die
akut gefährdet sind. Ein Beispiel dafür ist der früher weit verbreitete und verfolgte
Feldhamster. Von den beiden einzigen, noch im Land vorhandenen, winzigen Populationen ist
die bei Mannheim durch Umnutzung von Ackerland weiter geschrumpft. Der Heidelberger Zoo
hat nun ein Zuchtprogramm mit dem Ziel der Wiederauswilderung im Rhein-Neckar-Raum
übernommen. Der Erfolg dieser Aktion in der Region hängt von der Zusammenarbeit mit
Landwirten und der Aufklärung der Bevölkerung ab.
Erhalt von Alt- und Totholz zum Schutz ökologischer Nischen
Feldhamster, früher als Schädlinge verfolgt, heute fast ausgestorben. © BUND
4
Zum Artenkorb gehören auch viele sogenannte „Indikatorarten“, an denen die Gesundheit bzw.
Gefährdung des Ökosystems aufgezeigt wird: zum Beispiel verschiedene Fische,
Schmetterlinge, Wildbienen oder die nur auf stickstoffarmen Böden wachsenden Pflanzen.
Von den übrigen Bausteinen des Aktionsplanes sei hier noch das „Alt-und Totholzkonzept im
Wald“ aufgeführt, das den Schutz und Erhalt der Lebensräume in alten und abgestorbenen
Bäumen in den bewirtschafteten Staatswäldern Baden-Württembergs verpflichtend regelt. Das
betrifft immerhin zehn Prozent der gesamten Landesfläche. Das Konzept, mit dem die an Altund Totholz gebundenen ökologischen Nischen für eine große Zahl von Organismen geschützt
werden, ist ein großer Schritt weg von der lange vorherrschenden Vorstellung des Waldes als
Forstplantage hin zu einem Wald, der einen naturnahen, multifunktionellen und artenreichen
Lebensraum darstellt.
Das Konzept hat Vorbildcharakter, weil es zeigt, dass Interessen des Naturschutzes, der Bürger
und der Wirtschaft einander nicht ausschließen müssen. Es ist zu hoffen, dass auch
Privatwaldbesitzer, Kirchen und Gemeinden in Waldbesitz auf dieses, im Aktionsplan
Biologische Vielfalt entwickelte Konzept zurückgreifen, um die Artenvielfalt in BadenWürttemberg zu erhalten.
Quelle:
Erwin Beck, Hrsg.: „Die Vielfalt des Lebens: Wie hoch, wie komplex, warum?“, S. 214 f., WILEY-VCH, 2013
Fachbeitrag
12.08.2013
EJ
BioRN
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Verantwortungsarten
Aktionsplan Biologische
Vielfalt
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Biodiversität in der Krise
5
Herunterladen