Phytopathologische Pilze und ihre Bekämpfung

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Phytopathologische Pilze und ihre Bekämpfung
Pilzbefall von Nutzpflanzen hat nicht nur in der Vergangenheit das Schicksal ganzer
Nationen beeinflusst, sondern bedroht auch heute noch die Welternährungssituation. Es
besteht dringender Bedarf an der Entwicklung neuer umweltschonender Agrarfungizide, da
die Pilze gegen herkömmliche Pflanzenschutzmittel Resistenzen entwickeln. Dabei spielen
aus Pilzen selbst gewonnene Naturstoffe als spezifische Angriffspunkte im Metabolismus
der Schädlinge eine große Rolle.
Pilzinfektionen verursachen in der Landwirtschaft jährlich Schäden von vielen Milliarden Euro.
Sie haben das Schicksal ganzer Nationen bestimmt. Ein Beispiel von trauriger Berühmtheit ist
die Vernichtung der Kartoffelernte in Irland 1844/45 durch den wahrscheinlich aus Mexiko
eingeschleppten Algenpilz Phytophthora infestans, den Erreger der Kraut- und Knollenfäule der
Kartoffel. Es kam zu einer Hungersnot, bei der etwa eine Million Menschen starben. Weitere
zwei Millionen emigrierten nach den USA und Australien. Bis heute hat die Bevölkerung Irlands
nicht den Stand vor dieser Katastrophe erreicht. Während die Amtskirche die Missernte als
Strafe Gottes für Verschwendungssucht in der Vergangenheit beschrieb und ein Kleriker sogar
die Meinung äußerte, dass es die Dampflokomotiven seien, die mit der schwindelerregenden
Geschwindigkeit von 30 Stundenkilometern über die Insel donnerten und dabei schädliche
elektrische Impulse auf die Äcker sendeten, war es ein anderer Geistlicher, der englische
Amateur-Naturforscher Miles Berkeley, der unter dem Mikroskop die Pilzfäden an infizierten
Kartoffelpflanzen beobachtete und als Ursache der Kartoffelfäule beschrieb. Er stieß auf
heftigste Ablehnung. Erst fünfzehn Jahre später bestätigte der deutsche Pflanzenpathologe
Anton de Bary die Beobachtung Berkeleys und konnte auch beweisen, dass sich der Pilz durch
winzige Sporen von Pflanze zu Pflanze verbreitet.
Hoffnungen und Enttäuschungen in der Bekämpfung der
Kartoffelfäule
Betroffen war nicht nur Irland. Ähnlich katastrophal waren die Ausfälle der Kartoffelernten in
Deutschland im Jahr 1917 bis 1918. Noch leben einige Zeitzeugen, die von den Schrecken des
„Steckrübenwinters" im Ersten Weltkrieg in der Folge dieser Missernten berichten können.
Später glaubte man schon, dass man den Pilz besiegen könne, als man in Mexiko eine gegen
Phytophthora resistente Wildkartoffel entdeckte, deren Resistenzgene in nahezu alle
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Kartoffelfäule, hervorgerufen von Phytophthora infestans © Syngenta
europäischen Kartoffelsorten eingekreuzt wurden. Darüber hinaus entwickelte die chemische
Industrie Fungizide, um dem Algenpilz endgültig den Garaus zu machen.
Davon ist man weit entfernt. Auch heute noch gilt Phytophthora für die Landwirtschaft als
einer der gefährlichsten Pilze.
Exkurs:
Tatsächlich ist Phytophthora nach neueren Erkenntnissen gar kein echter Pilz, sondern
gehört als Vertreter der Oomyceten zusammen mit Braun- und Kieselalgen sowie einigen
weiteren Algengruppen zu den Heterokonten oder Stramenopilaten. Unter den
Oomyceten, die sich von den Pilzen unter anderem dadurch unterscheiden, dass sie
begeißelte Zoosporen bilden und ihre Zellwand aus Zellulose und nicht aus Chitin besteht,
findet man noch andere berüchtigte Pflanzenschädlinge, darunter Peronospora und seine
Verwandten wie Plasmopara viticola, den Falschen Mehltau der Weinrebe. Echter Mehltau
(verschiedene Arten der Familie Erysiphaceae) gehört dagegen zu den Ascomyceten, also
echten Pilzen.
Neben Kartoffeln befällt P. infestans auch Tomaten, wo er die Kraut- und Braunfäule
hervorruft, sowie eine Reihe anderer Pflanzen. Man schätzt die durch ihn hervorgerufenen
Ernteeinbußen weltweit auf etwa zwanzig Prozent.
Auf jede Strategie zu seiner Bekämpfung reagierte der Pilz mit der Entwicklung neuer
Resistenzen. Mitte der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts tauchten in Europa ganz neuartige
aggressive Phytophthora-Stämme auf – wiederum aus ihrem Genzentrum in Mexiko
eingeschleppt. Die Pilze vermehren sich neuerdings sogar geschlechtlich, was ihre Variabilität
weiter erhöht. Bis dahin hatte man in Europa nur asexuelle Fortpflanzung beobachtet.
Es gab vielverspechende gentechnologische Ansätze zur Bekämpfung von Phytophthora:
Forscher am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung entwickelten ein komplexes ZweiKomponenten-System, bei dem das Ribonuclease (RNase)-Gen eines Bodenbakteriums unter
die Kontrolle des Promotors eines Pathogen-Abwehrgens aus der Kartoffel gestellt wurde; nach
Infektion mit dem Pilz erfolgte eine Genaktivierung und die gebildete RNase tötete die infizierte
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Zelle ab. Die genehmigten und vom BMBF finanziell unterstützten Freilandversuche im
Rahmen der Sicherheitsforschung konnten aber nicht fortgeführt werden, nachdem
Gentechnikgegner das Feld und die Versuchspflanzen zerstört hatten. So liegen die Strategien
zur Schadpilzbekämpfung weiter bei der chemischen Industrie, die mit der Entwicklung neuer
Fungizide und Kombinationspräparate gegen die Resistenzbildung bei den Pilzen vorgeht.
Helminthosporium und Magnaporthe
Natürlich geht es nicht nur um den Schutz der Kartoffel. Auch bei den anderen großen
Welternährungspflanzen wie Weizen, Reis und Mais kommt es jährlich zu immensen Schäden
durch Pilzbefall. Der Ascomycet (Schlauchpilz) Magnaporthe grisea, der Erreger des
Reisbrandes, vernichtet jedes Jahr schätzungsweise ein Fünftel der Reisernte Ostasiens genug, um 60 Millionen Menschen davon zu ernähren. Ein weiterer berüchtigter Schädling ist
Helminthosporium, ebenfalls ein Ascomycet, der die Blattfleckenkrankheit bei Mais und
anderen Getreiden hervorruft. In den 1970er-Jahren verursachte er gewaltige Schäden in
nordamerikanischen Maispflanzungen. Ende der 1990er-Jahre trat er erstmals in
Maisbeständen der Oberrheinebene, später auch in Rheinland-Pfalz, Hessen und Bayern
wirtschaftlich bedeutsam in Erscheinung. Die Krankheit schien nach 2003 zunächst
abzuklingen, aber seit zwei Jahren meldete sie sich verstärkt in fast ganz Deutschland zurück.
Exkurs:
Auch bei solchen Schädlingen kann man bisweilen positive Aspekte finden: Anfang 2008
entdeckte ein Forscherteam des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg in
Helminthosporium carbonum einen Wirkstoff, der auf Neuroblastomzellen toxisch wirkt
und möglicherweise zu einem Medikament gegen diese Krebserkrankung, die vor allem im
Kindesalter auftritt, entwickelt werden kann (siehe Artikel:" Pflanzenschädling liefert
Wirkstoff gegen das Neuroblastom").
Strobilurine – eine Erfolgsgeschichte
Strobilurus tenacellus, der Bittere Kiefernzapfenrübling © www.pilz-baden.ch
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Große Hoffnung zur chemischen Bekämpfung von Helminthosporium und anderen Schadpilzen
setzte man in die neue Fungizidklasse der Strobilurine. Sie wurde in den 1970er-Jahren von
Timm Anke, seit 1981 Professor für Biotechnologie an der Universität (heute: Technische
Universität) Kaiserslautern, in dem Kiefernzapfenrübling (Strobilurus tenacellus) entdeckt und
kommt auch in einigen anderen Basidiomyceten (Hutpilzen) vor. Um ihre Stabilität zu erhöhen
und ihr Wirkspektrum zu verbreitern wurden die natürlichen Strobilurine chemisch verändert.
Die ersten Fungizide kamen 1996 auf den Markt; im gleichen Jahr erhielt Anke für ihre
Entdeckung den Karl Heinz Beckurts-Preis. Heute sind etwa elf verschiedene StrobilurinFungizide erhältlich, die unter anderem von den Firmen BASF, Bayer und Syngenta vertrieben
werden.
Strobilurin A © ibwf
Da ihre Toxizität bei Tieren und Pflanzen gering ist und sie rasch im Boden abgebaut werden,
sie andererseits sehr spezifisch die mitochondriale Atmungskette von Pilzen blockieren, galten
sie geradezu als ideale Fungizide, und der Weltumsatz mit ihnen lag bald im Milliarde-DollarBereich. Inzwischen haben leider (und erwartungsgemäß) zahlreiche Pilze Resistenzen gegen
Strobilurine oder Azole entwickelt, so dass dringender Bedarf an der Entwicklung neuer
Fungizide besteht.
Das Institut für Biotechnologie und Wirkstoff-Forschung in
Kaiserslautern
Prof. Timm Anke und seine Frau, Prof. Heidrun Anke, haben 1998, aufbauend auf den mit der
Entdeckung der Strobilurine verbundenen Erfolgen, das Institut für Biotechnologie und
Wirkstoff-Forschung e.V. (IBWF) gegründet und mit ihren Mitarbeitern und Partnern zu einem
einzigartigen Kompetenzzentrum der angewandten Mykologie ausgebaut. In dem Institut auf
dem Campus der Technischen Universität Kaiserslautern wurden etwa 10.000 verschiedene
Stämme aus allen großen taxonomischen Pilzgruppen der ganzen Welt zusammen getragen,
die einem Team von Mikrobiologen, Biochemikern, Chemikern und Molekularbiologen dazu
dienen, neue biologisch aktive Substanzen und Enzyme aus Pilzen zu entwickeln. Über 20
Patente und 500 Publikationen zeugen von der erfolgreichen Arbeit des IBWF.
In einem konzertierten Forschungsansatz untersuchen die Wissenschaftler am Institut die
infektionsrelevante Differenzierung in phytopathogenen Pilzen als Angriffsort für moderne
Fungizide, die das vegetative Wachstum von bodenständigen oder Mykorrhiza-assoziierten
Pilzen nicht beeinträchtigen. Ein Beispiel für einen Differenzierungsprozess, der durch nichtfungitoxische Pflanzenschutzmittel während der Präpenetrationsphase (bevor der Pilz in die
Wirtspflanze eindringen kann) gehemmt wird, ist die Melaninbiosynthese im Reisbranderreger
Magnaporthe grisea (siehe oben).
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Prof. Dr. Timm Anke © Universität Kaiserslautern
Die Erforschung von Pilzwirkstoffen am IBWF ist jedoch, weit über die Landwirtschaft hinaus,
auch für Pharmakologie und Medizin von Interesse. So wurde mit der Entdeckung von
Galiellalacton, einem Metaboliten des Becherpilzes Galiella rufa, der erste Inhibitor des durch
Interleukin -6 vermittelten Signalweges entdeckt, der eine bedeutende Rolle bei verschiedenen
Entzündungsprozessen spielt.
Fachbeitrag
05.11.2009
EJ (04.11.09)
BioRN
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Das Reich der Pilze - eine Einführung
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