bkj · Brunnenstraße 53 · 65307 Bad Schwalbach

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BERUFSVERBAND
der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen
bkj · Brunnenstraße 53 · 65307 Bad Schwalbach
und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten e.V.
Präsidentin: Friederike Wetzorke
Kollegen,
liebe Gäste,
ich freue mich sehr. Sie zur 4. Wissenschaftlichen Fachtagung des bkj begrüßen zu
können, die ich hiermit eröffne.
Während wir uns auf unserer letzten Tagung vor zwei Jahren mit einem für die Kinderund Jugendlichenpsychotherapeuten bkj-Tagung 02.-04.03.2007 in Frankfurt/M.
Tagungseröffnung
Friederike Wetzorke
Liebe
Kolleginnen
und
unmittelbar
praxisrelevanten
Themenkomplex
wissenschaftlich befasst haben, scheint das Tagungsthema dieses Mal ganz anders auf
den Nägeln zu brennen.
Vor
dem
aktuellen
Hintergrund
der
Entscheidung
des
G-BA,
die
Gesprächspsychotherapie nicht als weiteres Richtlinienverfahren zuzulassen, d.h. ihr die
sozialrechtliche Anerkennung zu verweigern, ist unser Tagungsthema nämlich fachlich
und berufspolitisch hoch aktuell.
Selbstverständlich sind therapeutische Verfahren und Methoden kritisch zu hinterfragen
und auf Evidenz zu überprüfen (l), d.h. es geht um den Nachweis, mit dem ein
Sachverhalt in Studien erhärtet oder widerlegt werden soll.
Bei der Frage, welche Forschung Psychotherapie braucht, wird aber kontrovers diskutiert:
der evidenzbasierten wird z.B. eine ökologisch basierte Psychotherapie gegenübergestellt
(2).
Grawe (3) spricht in diesem Zusammenhang von der "Inszenierung eines
Scheingefechtes".
Bei aller Kontroverse kann wohl das Ansinnen, die Wirksamkeit psychotherapeutischer
Verfahren und Methoden wie die Wirksamkeit von Medikamenten zu prüfen, als
wissenschaftstheoretisch obsolet angesehen werden (4), laut Grawe fordere niemand
innerhalb der Profession ernsthaft Doppelblindstudien oder "Goldstandards". Dennoch ist
die Aufforderung von Kriz (5) hochaktuell, die Entscheidungsgremien sollten sich
Gedanken machen, ob und in wie weit sie eine schwerwiegende Verarmung und einen
erheblichen Qualitätsverlust der Psychotherapie in Deutschland in Kauf nehmen wollen.
Wenn wir mit Grawe davon ausgehen, dass positive therapeutische Wirkungen auf
unterschiedliche Weise herbeigeführt werden können und dass die Wirkung
verschiedener Therapiemethoden sich auf eine Reihe allgemeiner Wirkfaktoren
zurückführen lassen, dann sollte die Zukunft der Psychotherapie nicht darin liegen, weiter
einzelne Verfahren und Schulen als wissenschaftlich wirksam anzuerkennen (und andere
nicht). Statt dessen sollten einzelne Verfahren (und verfahrensspezifische Interventionen)
gepflegt und weiterentwickelt werden und gleichzeitig schulenübergreifend
zusammengearbeitet werden - in Richtung einer entwicklungsorientierten allgemeinen
Psychotherapie, (dazu aktuell Jan Bleckwedel. Jenseits von Richtungen und Schulen
wartet die Vernunft. PTJ 4/2006) So schlägt Kriz eine methodenübergreifende
Grundausbildung als Basis vor, eine Vertiefung in den vier Säulen (psychodynamisch,
verhaltenstherapeutisch, humanistisch und systemisch) sowie ein gemeinsames
theoretisches Dach, welches ermöglicht, die unterschiedlichen Vorgehensweisen
theoretisch zueinander in Beziehung zu setzen.
Ich möchte nun etwas zur Wirksamkeitsforschung allgemein sagen, danach zu
Forschungsergebnissen aus der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie.
2
Grawe nennt bekanntermaßen als allgemeine Wirkfaktoren:
• Problemaktualisierung
• Problembewältigung
• motivationale Klärung
• Ressourcenaktivierung
• Therapiebeziehung
wobei die beiden letzteren eine absolut notwendige Voraussetzung für ein gutes
Therapieergebnis seien und das Vorgehen patientenorientiert sein müsse. (6)
Eine Vielzahl von Forschungsergebnissen bestätigt nun die klinische Erfahrung,
• dass bei der Passung und Beziehungsgestaltung auf Therapeutenseite die
Persönlichkeit eine überragende Rolle spielt (dies spricht für die Wichtigkeit der
Selbsterfahrung im Rahmen der PT-Ausbildung),
• dass alle Psychotherapien erfolgreich sind und
• dass ca. 70% der Gesamtwirksamkeit in therapeutischen Prozessen auf generelle,
sog. unspezifische Faktoren bei Therapeuten und Patienten zurückgeführt werden
können.
Der empirische Psychotherapieforscher Wampold: jene Therapeuten haben die besseren
Erfolge, die nicht auf Technik setzen, sondern auf den Kontakt - wobei wohl ihre
Fähigkeit, therapeutischen Kontakt auch zu den zurückgezogensten oder verzweifeltsten
Menschen aufzubauen, von ihrer meist langjährigen und ständig fortgesetzten Aus- bzw.
Fortbildung abhängt. Nichts anderes sagt auch Grawe, wenn er fordert, dass jeder
Therapeut zu einem Experten für die Wahrnehmung, Analyse und Gestaltung von
Beziehungsabläufen innerhalb und außerhalb der Therapie werden müsse, um auch
unter schwierigen Bedingungen zu einer guten Therapiebeziehung beitragen zu können.
Wampold hat dem "medizinischen Modell" das "kontextuelle Modell" gegenübergestellt.
(7)
Das medizinische Modell geht von gut isolierbaren, voneinander abgrenzbaren Störungen
aus, angesichts einer beinahe regelmäßig anzutreffenden Komorbidität, individuellen
Komplexität und Bedingtheit (und Aufrechterhaltung) psychischer Störungen geht - so
Tschuschke – eine solche Sichtweise für das psychotherapeutische Handlungsfeld fehl.
(8) Von einer gleichen Diagnose kann also nicht auf eine gleichartige
Behandlungsnotwendigkeit geschlossen werden. Die Behandlungsmethode in der
Psychotherapie deckt eine vergleichsweise geringe Varianz des Gesamtoutcomes ab (ca.
15%). Die Persönlichkeit des Therapeuten und Patienten sowie kontextuelle Aspekte
(speziell die therapeutische Beziehung, geschätzte 30%) sind wesentlich relevanter.
Zusammenfassend: Die Wirksamkeit von Psychotherapie wird durch ein komplexes
Zusammenspiel vieler Faktoren in einem Prozess subjektiver und interaktiver
Abstimmung
zwischen Personen bestimmt. Eine in die Zukunft weisende Psychotherapieforschung
sollte sich daher vorrangig mit dem Veränderungsprozess während der Behandlung und
der Komplexität der therapeutischen Beziehung und des kontextuellen Umfeldes
beschäftigen. Studien in naturalistischen Settings mit hohem methodischem Aufwand sind
hier angemessen - dies vereint (so Tschuschke) Psychotherapeuten über alle
Schulgrenzen hinweg.
3
Ich komme nun zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Insgesamt steht im
Vergleich zur Psychotherapieforschung bei Erwachsenen die Erforschung der
Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen noch am Beginn (9), dies trifft ganz
besonders für die Therapieprozessforschung zu (als einer der zentralen Faktoren gilt hier
die therapeutische Beziehung).
Dop/her (10) zieht aus den vorliegenden Metaanalysen u.a. die Schlussfolgerung:
Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen ist ähnlich wirkungsvoll wie die
Psychotherapie mit Erwachsenen. Beim Vergleich der vorliegenden Studien zu
verschiedenen Therapierichtungen werde deutlich, dass sich durch kognitiv-behaviorale
Verfahren mittlere bis starke Effekte erzielen lassen, während durch nicht-behaviorale
Methoden geringe bis mittlere Effekte belegt werden können.
In ihrer Replik zu Döpfner kommen Berns und Berns (l l) zu einem anderen Ergebnis:
belegt sei eine eher gleich starke Wirksamkeit von behavioralen und nicht-behavioralen
Verfahren.
Sie verweisen auch auf aktuelle Studien aus dem Bereich der psychodynamischen
Kinder-und Jugendlichenpsychotherapie. (12)
Fröhlich-Gildhoff'(13), dessen Vortrag wir morgen hören werden, kritisiert u.a., dass
Döpfners implizite Schlussfolgerung einer größeren Effektivität der kognitiv-behavioralen
Verfahren unzulässig sei, da andere Verfahren unter realen Praxisbedingungen in
ausreichendem
Maße
gar
nicht
untersucht
sind.
Außerdem
würden
naturwissenschaftliche Forschungsstandards die behavioral-kognitiven Verfahren
begünstigen, da durch die Konzentration auf Techniken, die sich auf sehr abgegrenzte
Störungsbereiche beziehen, eine Reduktion der Komplexität zwischenmenschlichen
Geschehens erreicht werde, die dann gut unter kontrollierten Laborbedingungen
abgeprüft werden kann. Eine enge Manualisierung verkenne die Komplexität praktischen
therapeutischen Handelns. Für die Personenzentrierte Psychotherapie mit Kindern und
Jugendlichen sei die therapeutische Beziehung eine ganz wesentliche Wirkvariable.
Döpfner referiert evidenzbasierte Interventionen, da Meta-Analysen allein die Frage nicht
beantworten können, welche spezifischen Interventionen für einzelne Störungsbilder sich
empirisch bewährt haben. Berns und Berns kritisieren, dass der Eindruck erweckt werde,
dass die spezifischen behavioralen Interventionen das wirksame Agens waren, denn die
Möglichkeit, dass andere Wirkfaktoren wirksam waren, werde von Döpfner nicht erwogen.
Dop/her plädiert abschließend für eine theoretische Integration verschiedener
Therapieformen in einer multimodalen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie, die
unabhängig von Therapieschulen die empirisch bewährten Therapieprinzipien
zusammenfasst. Er plädiert dafür, zuerst experimentell gut kontrollierte Studien
durchzuführen, danach dann Studien unter naturalistischen Bedingungen. Damit bewegt
Döpfner sich wohl letztlich im Rahmen des medizinischen Modells. Ich bin gespannt, was
er heute noch in seinem Vortrag zum Wirkfaktor Beziehung in der multimodalen Kinderund Jugendlichenpsychotherapie sagen wird.
Abschließend möchte ich noch eine Studie zur Erforschung der therapeutischen
Beziehung in der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie erwähnen: eine
Querschnittstudie zur Evaluation einer deutschen Version der Therapeutic Alliance
Scalesfor Children (Fragebogen zur therapeutischen Beziehung für Kinder und
Jugendliche). (14)
An einer Stichprobe von Kindern und Jugendlichen, die sich in ambulanter analytischer
Psychotherapie befanden, untersucht sie die psychotherapeutische Beziehung sowohl
aus der Perspektive des Kindes als auch aus der Perspektive des Therapeuten.
4
Bei den jeweils zwölf Items der Fragebögen ergaben sich nach einer Faktorenanalyse
eine Zwei-Faktoren-Lösung für die Therapeuten ("Arbeitsbeziehung" und "emotionale
Beziehung"). Für die Kinderversion sprachen die Kriterien mehrheitlich für eine DreiFaktoren-Lösung - die emotionale Beziehung wurde aufgeteilt in positive und negative
Aspekte. Sowohl für die Skalen der Kinder- als auch für die der Therapeutenversion
ließen sich befriedigende bis gute Kennwerte für die innere Konsistenz ermitteln. Die
Übereinstimmung bezüglich der Einschätzung der Qualität der therapeutischen
Beziehung zwischen den Kindern und ihren Therapeuten lag vergleichbar der
Erwachsenenpsychotherapie im mittleren Bereich - Kinder als Patienten nehmen die
therapeutische Beziehung unterschiedlich zu ihren Therapeuten wahr, insofern müssen
beide Perspektiven unabhängig voneinander berücksichtigt werden. Neben der klaren
Abgrenzbarkeit der Arbeitsbeziehung von emotionalen Beziehungsaspekten ergab sich,
dass die therapeutische Beziehung auch in der Kindertherapie bereits in einer frühen
Phase der Behandlung, in der die Untersuchung für die Teilstichprobe erfolgte, relativ
stabil ist. Für die Kinderperspektive galt dies aber nur mit Einschränkungen - weitere
Studien zur Veränderung der therapeutischen Beziehung im Verlauf der Behandlung
seien nötig. Des Weiteren fanden sich signifikante Zusammenhänge zwischen
Symptomatik und Beziehungsqualität, allerdings nur für die Patientenperspektive. Eine
schwerere Symptomatik ging dabei bei Jungen mit einer ungünstigeren emotionalen
Beziehung einher. Auch verweisen die Ergebnisse auf die Abhängigkeit der
therapeutischen Beziehung von der kindlichen Entwicklung.
Das angekündigte, im dgvt-Verlag erscheinende Handbuch der therapeutischen
Beziehung (15) - in dem im übrigen ein Beitrag von Nitza Katz-Bernstein, deren Vortrag
wir am Sonntag hören werden, sein wird - nennt im Kapitel Diagnostik der
therapeutischen Beziehung/Verfahren für Kinder neben diesem erwähnten Fragebogen
zur therapeutischen Beziehung für Kinder und Jugendliche (FTB-KJ) lediglich noch die
OPD-KJ, deren Ziel es ist, typische Beziehungskonstellationen durch teilnehmende
Beobachtung der unmittelbaren Beziehungsgestaltung zu erfassen, und die es erlaubt,
neben dyadischen Beziehungen auch Triaden zu erfassen.
Ich komme zum Schluss:
Psychotherapie ist keine Pille, die verabreicht werden kann, sondern ein interaktiver und
bidirektionaler Prozess. Auf dieses dialogische Geschehen fokussiert nun unsere
diesjährige Tagung in vielen Facetten.
Die inhaltliche Tagungsvorbereitung und -durchführung lag dieses Mal in den Händen
einer vierköpfigen Vorbereitungsgruppe, die ich Ihnen kurz vorstellen möchte: Christoph
Dinter und Matthias Fink, die die Referenten des heutigen Tages vorstellen und die
Diskussion moderieren werden, Marion Schwarz und ich, die für den morgigen Tag
zuständig sind.
Die organisatorische Vorbereitung und Durchführung vor Ort lag und liegt vor allem in den
Händen von Frau Störmann und Frau Gundlach - wir hoffen, dass es uns allen gelingt.
Ihnen angenehme und anregende Tage zu bieten.
5
(1) vgl. Fonagy,P. und Roth, A. Ein Überblick über die Ergebnisforschung anhand
nosologischer Indikationen, PTJ 3/2004
(2) vgl. z.B. Zurhorst. Eminenz-basierte, Evidenz-basierte oder Ökologisch-basierte
Psychotherapie? in: PTJ 2/2003 ; Tschuschke, Die Psychotherapie in Zeiten
evidenzbasierter
Medizin,
in:
PTJ
2/2005;
Wissenschaftlichkeit
von
Psychotherapieverfahren, Dokumentation einer Podiumsdiskussion der Berliner Kammer
für PP und KJP 2003;
(3) in: PTJ 1/2005
(4) vgl. u.a. Rotthaus. Die Diskussion um die Wissenschaftlichkeit von Psychotherapie. In:
Kontext 2/2004, S.184-189
(5) Kriz. Von den Grenzen zu den Passungen, in: PTJ 1/2005
(6) vgl. auch das Allgemeine Modell von Psychotherapie von Orlinsky und Howard
(7) vgl. Rezension von Michael B. Buchholz: Wampold, B.E. 2001. The Great
Psychotherapy
Debate.
(8) Tschuschke. Die Psychotherapie in Zeiten evidenzbasierter Medizin, in: PTJ 2/2005.
(9) vgl. Kazdin. Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen. Aktueller Stand,
Fortschritte
und zukünftige Entwicklungen, m: Psychotherapeut 39, 1994, S.345-352
(10) Manfred Döpfner. Wie wirksam ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie? in: PTJ
4/2003
(l l)mge und Ulrich Berns, in: PTJ 1/2004
(12) vgl. Windaus 2003
(13) Klaus Fröhlich-Gildhoff. in: PTJ 1/2004
(14) Kronmüller et. al., Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie 32, 2003.
(15) Hrsg. von Hermer/Röhrle, dgvt-Verlag
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