Anhörung zur Situation der Hebammen in MV | Stellungnahme des

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Landesfrauenrat MV e.V. | Heiligengeisthof 3 | 18055 Rostock
Ausschuss für Soziales und Gesundheit des Landes MV
Der Vorsitzende
Rostock,
25.01.2011
Anhörung zur Situation der Hebammen in MV |
Stellungnahme des Landesfrauenrates MV e.V.
Der Landesfrauenrat bedankt sich für die Möglichkeit der Stellungnahme.
Der Hebammenberuf unterliegt der Bundesgesetzgebung und gilt als
typischer Frauenberuf. Gleichwohl arbeiten in MV Hebammen unter
Bedingungen, die sich von anderen Bundesländern unterscheiden und auf
die auch im Land Einfluss genommen werden kann.
Der LFR begrüßt, dass sich der Landtag mit der Situation der Hebammen
erneut beschäftigt und seine Fragestellungen über die Folgen der
exorbitanten
Erhöhung
der
Haftpflichtversicherungen
für
die
Geburtsbetreuung freiberuflicher Hebammen hinaus formuliert hat.
Der LFR beschränkt sich in seiner Stellungnahme auf ausgewählte Fragen
des vorliegenden Fragenkatalogs. Im Focus steht die besondere Situation
der Hebammen in MV v.a. in Bezug auf den Bedarf und Bedürfnisse der zu
betreuenden schwangeren Frauen, bzw. jungen Müttern und ihren
Partnern.
Zur Situation:
Zwar eröffnet das Bild auf die Stationierung von Geburtseinrichtungen und
die regionale Verteilung der Familienhebammen auf den ersten Blick eine
ausgewogene regionale Verteilung. Dies allein kann die Situation der
Hebammen jedoch nur unzureichend beschreiben. Auch die vom SM in der
Anhörung im August 2010 veröffentlichten Zahlen zur Anzahl der
Hebammen und ihre zahlenmäßige Entwicklung im Zeitraum von 2005 bis
2009 sind hierfür nicht aussagekräftig genug. Sie sagen nichts darüber
aus, welche Konsequenzen die Erhöhung der Haftpflichtversicherung für
eine ggf. Veränderung der Zahl der freiberuflichen Hebammen hat. Es ist
nicht ersichtlich, zu welchen Anteilen und zu welcher Stundenzahl sie in
ambulanten bzw. stationären Bereich beschäftigt sind. Zur Beurteilung der
Situation ist es darüber hinaus wichtig zu wissen, wieviel Geburten eine
Hebamme betreut. Ein Vergleich der Anzahl der Hebammen in Bezug auf
Geburten im Ländervergleich und wie sich dieses Verhältnis entwickelt hat
Eva-Maria Mertens
| Vorsitzende
Dr. Renate Hill
| Geschäftsführerin
Heiligengeisthof 3
18055 Rostock
Fon/Fax: 0381 | 490 24 42
[email protected]
www.landesfrauenrat-mv.de
Amtsgericht
Neubrandenburg:
VR 436
bzw zukünftig aussehen wird, wäre eine wichtige Grundlage zur Entwicklung
von Handlungsoptionen in unserem Land. Auch die Altersstruktur der
Hebammen könnte Hinweise darauf geben, wie die Landepolitik wirksam
werden kann, um auch in Zukunft eine bedarfsgerechte Betreuung durch
Hebammen unter fairen Bedingungen für diese Berufsgruppe zu
gewährleisten.
Ein Vergleich der Länder), der sich auf das Betreuungsverhältnis der
organisierten Hebammen pro Geburt /1/ bezieht, weist aus, dass in Sachsen
Anhalt und MV pro Hebamme die meisten Geburten betreut werden. D.h. eine
Hebamme in MV betreut im Durchschnitt fast doppelt so viele Geburten wie
z.B. eine Hebamme im Saarland. Gründe hierfür sowie die Auswirkungen auf
die Arbeitsbedingungen der Hebamme und auf die Betreuungsqualität der
jungen Frauen und Familien müssen entsprechend untersucht werden.
Eine Ursache dafür könnte sein, dass die niedrige Bezahlung der Hebammen
diese dazu zwingt, möglichst viele Geburten zu betreuen, um auf ein
existenzsicherndes Einkommen zu kommen. In MV können die niedrigen
Löhne dieser Berufsgruppe seltener durch das Einkommen des Partners – wie
vielfach in den alten Bundesländern - kompensiert werden. Der LFR schätzt
ein, dass die Bezahlung der Hebammen in keinster Weise ihrer Verantwortung
für Leben und Gesundheit von Müttern und Kindern und der Belastung in ihrer
Tätigkeit gerecht wird. In 20 Jahren wurde die Vergütung der Hebammen nur
dreimal erhöht. Dazu kommt nun die exorbitante Erhöhung der
Haftpflichtversicherung für niedergelassene Hebammen, die Geburten
betreuen. Nach Aussagen von niedergelassenen Hebammen ist die
Haftpflichtversicherung so hoch, dass diese mindestens 13 Geburten jährlich
betreuen muss, um allein die Versicherungsbeiträge zu erwirtschaften. Dabei
entsprechen die Entrichtungsmodalitäten nicht der (Nicht)planbarkeit von
Geburten. Sie müssen jährlich im vorab entrichtet werden und werden nur
dann anteilig zurück erstattet, wenn die Hebamme sich ggf. mindestens 3
Monate abmeldet. So kann die Versicherung auch in Monaten fällig werden,
wenn gar keine Geburtshilfe erfolgt. Es wäre angemessener, wenn eine
monatliche Entrichtung und Abmeldung erfolgen könnte.
Die Bezahlung der Hebammen und die oft schwierigen Rahmenbedingungen
bieten immer weniger Anreiz, diesen Beruf zu ergreifen. Wäre der Beruf für
die meisten Hebammen nicht Berufung, gäbe es längst einen drastischen
Abfall der Anzahl der hier Tätigen.
Der LFR erwartet eine stärkere Rückendeckung der Hebammen durch das
Bundesministerium insbesondere bei der Aushandlung der Tarife mit den
kassenärztlichen
Vereinigungen.
Es
kann
nicht
sein,
dass
die
Gehaltsunterschiede zwischen ärztlichem Personal und Hebammen ständig
mehr auseinanderdriften. Stundenlöhne, die lt. Berechnungen des deutschen
Seite 2
Hebammenverbandes bei ca 7, 50 Euro liegen sind ein Skandal. Diese
schlechte Bezahlung reiht sich ein in eine generelle Unterbewertung von
typischen Frauenberufen, die zu den Ursachen einer Frauen benachteiligenden
Bezahlung führen und den Prozess der Gleichstellung der Geschlechter
entgegenwirken.
Die Erhöhung der Vergütung für geburtsbegleitende freiberufliche Hebammen
wiegt die Erhöhung der Haftpflichtversicherung in keiner Weise auf. Wenn es
hier keine Änderung gibt, werden es sich Hebammen nicht mehr leisten
können, Hausgeburten durchzuführen. Das wäre dann das AUS für
Wahlmöglichkeiten der Geburt durch schwangere Frauen. Ob am Ende die
Kosten für Geburten insgesamt sinken, bleibt fraglich. Dem LFR sind keine
Kostenvergleiche zwischen Hausentbindungen (Versicherungssumme trägt
allein die Hebamme) und für stationäre Entbindungen (Kosten für Haftpflicht
trägt Einrichtung, ggf. beteiligt Hebamme partiell) bekannt.
Der Regelfall ist eine normale Geburt. Im Regelfall profitieren die
Krankenkassen von einer häuslichen Entbindung, weil diese preisgünstiger ist
als die Entbindung im Krankenhaus. Sie beteiligen sich jedoch nicht an den
Kosten für die seltenen Fälle, wenn ein Haftungsschaden eintritt. Auch wenn
für den Großteil der niedergelassenen Hebammen zutrifft, dass in ihrer Praxis
noch kein Schadensanspruch geltend gemacht wurde, haften sie aber allein
für die Einzelfälle ihrer Berufsgruppe.
Zur Beschreibung der Situation der Hebammen gehört es auch, neben der
Einkommenssituation deren besonderen Arbeitsbedingungen und spezifische
Herausforderungen in MV in Blick zu nehmen.
Dabei fällt besonders auf:
-
Im Flächenland MV sind gerade von niedergelassenen Hebammen im
ländlichen Raum längere Wegezeiten zurückzulegen, um die
Betreuung der jungen Mütter/Familien zu gewährleisten. Dies ist ein
Zeitfaktor, der die Zahl der zu Betreuenden objektiv einschränkt.
Perspektivisch wird es in den ländlichen Regionen zu einem weiteren
Absinken der Bevölkerungszahlen kommen und den Einzugsbereich
der Hebammen ggf. noch vergrößern
-
In MV ist der Anteil der Alleinerziehenden und jungen Mütter, die mit
ihren Familien in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen leben
vergleichsweise hoch. Verschärft hat sich die Situation durch die
Regelung, dass das Elterngeld auf die Regelleistung von Hartz IVBeziehenden angerechnet wird. Dadurch haben Betroffene neben der
mentalen Umstellung auf die neue Familiensituation zusätzlich
Belastungsmomente und Beratungsbedarf, um mit den äußerst
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knappen
Haushaltsmitteln
jeweils
einen
Monat
Lebensunterhalt für die Familie bestreiten zu können.
lang
den
Vor dieser Situation stehen insbesondere die Hebammen, die ambulant tätig
sind. Der LFR begrüßt sehr, dass das Land MV mit dem Projekt
Familienhebammen, auf diesen Bedarf reagiert. In diesem Projekt erhalten
Hebammen eine Zusatzqualifikation für eine Tätigkeit, die der Gesundheit der
Mutter und Kind dient. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der psychosozialen und medizinischen Beratung und Betreuung von Risikogruppen in der
Zeit acht Wochen nach der Geburt bis zum ersten Lebensjahr des Kindes.
Dabei handelt es sich um
jugendliche Mütter und Väter, Frauen mit
psychischen und chronischen Erkrankungen , eingeschränkter Fähigkeit zur
Alltagsbewältigung , Familien mit Suchtproblemen bzw. Familien in
schwierigen sozialen und finanziellen Verhältnissen sowie Frauen, die sich an
Früherkennungsuntersuchungen für das Kind nicht beteiligt haben. Sie
betreuen Familien im individuellen und häuslichen Milieu, wofür sie 6 Std.
wöchentlich in Rechnung stellen können. Die besondere Bedeutung des
Projektes liegt darin, dass damit ein niedrigschwelliger, nicht stigmatisierender
Zugang zu Familien ermöglicht wird. Die Familienhebammen haben Einblick in
die Lebenssituation der Familien und können deren Ressourcen erkennen und
entwickeln helfen. Familienhebammen kommen zu einem Zeitpunkt in die
Familien, in denen diese für Verhaltensänderungen in ihrem Leben durch die
Übernahme ihrer Mütter bzw. Väterrolle offen sind. Sie sind wertvoll als
Schnittstellenmanagerinnen zwischen Familien und anderen Professionen und
Institutionen.
Der LFR hält das Projekt der Familienhebammen für eine außerordentlich
wirkungsvolle Möglichkeit, Kinderschutz und Unterstützung überforderter
Eltern zu verbinden und präventiv wirksam werden zu können.
Folgenden aktuellen Bedarf für Familienhebammen sieht der Landesfrauenrat:
Der Bedarf lässt sich derzeit nur schätzen. Maßstab müsste sein, wieviel
Kinder/Familien einen erhöhten Beratungsbedarf haben und ob die Anzahl der
Familienhebammen ausreichend ist, um allen Familien, die es benötigen, die
notwendige Unterstützung zu geben. Eine Dunkelzifferstudie von Esser/Weinel
/2/ kommt zu der Erkenntnis, dass zwischen 5-10% der Kinder im Alter von 06 Jahren vernachlässigt werden. Im Jahre 2009 wurden in MecklenburgVorpommern 13.014 Kinder geboren, d.h. dass in MV ca 650 Kinder einen
Betreuungsbedarf aufweisen. Wenn uns auch keine Kenntnisse darüber
vorliegen, wieviel Familien eine Familienhebamme tatsächlich betreuen kann,
wird deutlich, dass die z.Z. tätigen 47 Hebammen, den Bedarf nicht abdecken
können. So kann keine Rede davon sein, dass der Haushaltsansatz des Landes
zur Förderung der Familienhebammen zu üppig ist.
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Im Landeshaushalt sind die Ansätze für Familienhebammen immer wieder
erhöht wurden. (vgl. Kleine Anfrage v. 4.8.2010 von Ritter, Fraktion Die Linke,
Ds: 5/3662). Jedoch wurden die bereitgestellten Summen im letzten Jahr
nicht ausgeschöpft. Der Grund dafür ist jedoch nicht der fehlende Bedarf,
sondern dass es in MV nicht genügend ausgebildete Familienhebammen
(derzeit 63) gibt und dass auch nicht alle Hebammen mit Zusatzqualifikation
als Familienhebammen tätig sind.
Auch schöpfen bereits tätige
Familienhebammen die mögliche Landesförderung von 6 Std nicht aus. Sie
benötigen auch Zeit, die reguläre Schwangerschafts- und Nachbetreuung in
den ersten acht Wochen nach der Geburt zu gewährleisten, sind also nicht als
Vollzeitfamilienhebamme tätig.
Je weniger Hebammen also im Land
beschäftigt sind, desto geringer der Spielraum für die Arbeit der
Familienhebammen.
Handlungserfordernisse
Auf der Grundlage der Beschreibung der Situation der Hebammen sieht der
Landesfrauenrat folgende Handlungsansätze:
1| Die Datenlage zur tatsächlichen Situation der Hebammen im Land
muss verbessert werden. Eine genauere Erhebung muss über die
Befragung der Amtsärzte erfolgen, weil auch die Hebammenverbände
nur über die Zahlen der bei ihnen organisierten Personen verfügen.
Dabei geht es nicht nur darum, die finanzielle Situation, sondern auch
die tatsächliche Belastung der Hebammen sowohl perspektivisch als
auch im Ländervergleich im Kontext der zu erwartenden
demografischen Entwicklungen ggf. zu erheben und auszuwerten.
2| Die Landesregierung sollte ihren Einfluss auf die geltenden
Bundesregelungen für den Hebammenberuf nehmen und sich für eine
Verbesserung deren Situation auf Bundesebene einsetzen. Sie sollte
sich dafür stark machen, dass das zuständige Bundesministerium die
berechtigten Forderungen der Hebammen nach einer ihrer
Verantwortung für Gesundheit und Leben von Mutter Kind gerecht
werdenden Vergütung unterstützt. Damit würde die längst überfällige
gesellschaftliche Anerkennung dieses Berufes gestärkt und ist eine
Voraussetzung auch zukünftig den Nachwuchs für diesen Beruf zu
motivieren. Auf den Prüfstand gehört auch eine angemessene
Finanzierung der Rufbereitschaft, die sich an der Herangehensweise
der Berechnung auch anderer Berufsgruppen orientiert (z.B. Polizei).
Ein wichtiger Schritt wäre es, die Einrichtung eines Haftungsfonds zu
unterstützen, um Risiken auf breitere Schultern zu verteilen. Hierbei
sind die Krankenkassen stärker in die Pflicht zu nehmen.
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3| Das Projekt Familienhebammen muss weiterhin ein wichtiges Anliegen
der Landesregierung bleiben und darf nicht gekürzt werden. Um die
qualitätsgerechte Weiterführung und Entwicklung des Projektes zu
sichern, muss es in MV mehr Familienhebammen geben. Dazu ist
zunächst zu ermitteln, wie die Anzahl der Hebammen erhöht werden
kann, die zu einer Zusatzqualifizierung unter welchen Bedingungen
bereit sind. Es muss Klarheit darüber sein, ob wir für den Bedarf
tatsächlich genügend Hebammen im Land haben und ob diese
ausreichend zeitliche Ressourcen haben, um die notwendige
Fortbildung in Anspruch nehmen und darauf hin tätig werden zu
können. Das Projekt Familienhebammen könnte noch erfolgreicher
agieren, wenn Kooperationswille und die Kommunikation zwischen
Geburtskliniken, Schwangerschaftsberatungsstellen, Jugendämtern,
Schuldenberatungen, Drogenberatung , Gewaltinterventionsstellen,
Kinderärzten, Frauenärzten noch
intensiver und vertrauensvoller
gestaltet werden könnte. Dazu könnten durch das Sozialministerium
geeignete Formen angeregt und erprobt werden.
4|
Im Sinne der Qualitätssicherung sollte die Ausbildung der Hebammen
bzw. Familienhebammen mit der Übergabe des Berufszertifikats nicht
abgeschlossen sein. Es muss eine ständige Weiterbildung (incl.
Supervision) ermöglicht werden und eine bestimmte Anzahl an
abgeleisteten
Weiterbildungsstunden
durch
die
Hebammen
pflichtgemäß nachgewiesen werden. Die Motivation für eine
Weiterbildung hängt jedoch auch davon ab, ob sich die Hebammen
eine Weiterbildung schon rein zeitlich leisten können, ohne
empfindliche Einbußen in ihrer Vergütung hinnehmen zu müssen. Zu
beachten sind hierbei in MV auch die Wegezeiten zu zentralen
Einrichtungen, in denen Fortbildung angeboten werden kann.
Dr. Renate Hill
Landesfrauenrat MV e.V. | Geschäftsführerin
Anlagen/Quellen:
1| Übersicht Geburten pro Hebammen, stat. Bundesamt, Wiesbaden 2011
2 | Esser, G., Weinel, H. (1990): Vernachlässigende und ablehnende Mütter in
Interaktion mit ihren Kindern. In: Martinius, J., Frank, R. (Hrsg.): Vernachlässigung,
Mißbrauch und Mißhandlung von Kindern. Erkennen, Bewußtmachen, Helfen. Verlag
Hans Huber: Bern.
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