Die Gesundheitswelt der Zukunft denken «Team» versus «Megatrends»: Gemeinsam besser reüssieren Dr. Beat Sottas Interprofessioneller Gesundheitskongress Dresden 9.4.2016 Programmteil der Robert Bosch Stiftung Verlag Die Gesundheitswelt der Zukunft denken Seit 1882 - grösste unabhängige Institution für Bildung im Gesundheitswesen in der Schweiz Interprofessionelles Lehren und Lernen auf einem modernen Campus neben Uni Zürich, ETH und Unispital 2‘800 Lernende und Studierende aller Bildungsstufen Medizinfakultät und Medizinbibliothek Careum Campus mit Institutionen aus Bildung, Forschung, Praxis Bildung und Versorgung zusammenführen Stiftung hat zwei Ausprägungen: - Bildungsanbieter: Bildungszentrum, Fachhochschule, Weiterbildung, Patientenbildung, Förderprogramme -Think-Tank: Forschung, Bildungsentwicklung + Gesundheitsbildungspolitik, Foren und Dialoge, Reports + Publikationen, Verlag 2 Megatrends Weichenstellungen für die nächsten 30 Jahre 5 Trends verändern das Gesundheitssystem (und die Menschen) (und die Ausbildung) (und die Berufsausübung) (und die Institutionen…) Careum Sottas Zunehmende Hochaltrigkeit Personalknappheit chronische & degenerative Krankheiten, Multimorbidität, Einsamkeit, «guter Tod» slow motion disaster Ökonomisierung & Deprofessionalisierung ❶ ❷ ❸ Gesundheitsindustrie Was ist aus meinem Beruf geworden? Berufsbild verschwindet, Diplom verliert an Wert, Imageverlust Careum Sottas Pensionierungswelle, wenig Junge, drop out, Kampf um Köpfe + Hände Machtfaktor Patient/Nutzer Generation Y mündige Bürger mitbestimmen Ko-Produktion, Demokratisierung Gesundheits- und Bildungspolitiken = Bewältigungsstrategien des sozialen Wandels ❶ ❷ 2015 Demographischer Wandel - Hochaltrigkeit Personalknappheit verändert Organisationen 2025 ❸ Ökonomisierung & Deprofessionalisierung Machtfaktor Patient (+ Angehörige) Generation Y als Mitarbeiter und Kollegen was bedeuten diese Megatrends für die Ausbildung und die Berufsausübung in 10 od. 20 Jahren? 2035 Welche Kompetenzen, Werte, Haltungen erwerben, um wegen/trotz Megatrends fit zu werden für den Arbeitsmarkt? Können wir wirklich mit weniger mehr erreichen? Fazit über 20 Jahre Diskussionen um Reformen, viele wegweisende Beiträge & die Megatrends bauen sich zu voller Wucht auf - slow motion disaster irritierend: - Regulierung = Verregelung und Verriegelung - konservieren archetypischer Berufsbilder - kaum Bewegung an der «Heilhilfsberufe»-Front - monoprofessionelle Silos kaum erkennbares slow motion change management in Bildungsstrategie Lösungsansatz Careum Sottas Interprofessionell zusammenarbeiten (können) Die Gesundheitswelt der Zukunft denken Umrisse einer neuen Gesundheitsbildungspolitik Careum Working Paper 7 Careum Sottas Die Gesundheitswelt der Zukunft denken Komplexe Herausforderungen mehr Kompetenzen als «nur» Kranke behandeln Careum Sottas 8 Die Gesundheitswelt der Zukunft denken Komplexe Herausforderungen mehr Kompetenzen als «nur» Kranke behandeln • • • • Praxis wird viel interprofessioneller nicht gegen die andern, sondern mit den anderen Kooperationskompetenzen lernen, gemeinsam besser zu werden Careum Sottas 9 Ein ratlos anmutender Konsens WHO Postulat seit den 1970er Jahren: verbesserte Zusammenarbeit zwischen Fachpersonen = mehr Wirksamkeit, mehr Patientensicherheit, weniger Leerlauf, mehr Effizienz, tiefere Kosten Niemand ist gegen Interprofessionalität, aber gerade im deutschsprachigen Europa «terrible inertia»: Debatte: fachliche Expertise vs. Transformation in Bildung und Praxis Ziel: IP Kernkompetenzen: - interprofessionelle Kommunikation - Funktionieren als Team - Rollen und Verantwortlichkeiten - gemeinsame Entscheidungsfindung - Konfliktlösung - kontinuierliche Qualitätsverbesserung Careum Sottas wirkungsvollere Zusammenarbeit entsteht nicht automatisch … ein paar Module reichen nicht … Evidenz suchen für Nutzen + Wirksamkeit von IPP • Recherche anglophonen und skandinavische Quellen (auch D) • Viele Fallbeispiele mit Unschärfen betr. Organisation, Kooperationsmodus, Interessenlage, Ziel und Zweck sozioprofessionelle Realität hat keine Laborbedingungen • > 100‘000 Publikationen zu Interprofessionalität Auswahl von ca. 2800 Publikation zu generellen Mehrwerten wie Organisation, Qualität, Effizienz, Wirksamkeit • 3 Metastudien bzw. Literaturreviews aggregieren viele Fallstudien Hewitt et al. (2014, 2015a, 2015b, 2015c) mit 128 Fallbeispielen Barrett et al. (2007) mit 206 Fallstudien (Gesundheitspolitik-Focus) Lemieux-Charles/McGuire (2006) mit 33 Fallstudien Im Folgenden absteigend sortiert nach Güte der Evidenz Careum Sottas Evidenz • aus der Fülle der Evidenz belastbar – wird generell positiv beeinflusst • Schafft ein Arbeitsumfeld in welchem psychologische und gruppendynamische Aspekte eine wesentliche Rolle spielen • Mitglieder fühlen sich gegenseitig ernstgenommen • entwickeln im Rahmen ihrer individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen eine gegenseitig unterstützende Haltung, um Probleme und Engpässe gemeinsam zu bewältigen • Probleme dort, wo Haltung zu IPP fehlt Careum Sottas Evidenz • Mehr als Summe der individuellen Fähigkeiten = erhöhte Effektivität • Mobilisieren ganzes Spektrum an Fachkenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen innerhalb des Teams = Qualität der Versorgung besser • geringere Wahrscheinlichkeit der Wiedereinlieferung oder des Todes innerhalb 30 Tagen • Fachspezialisten können sich stärker auf Bereiche fokussieren, die tatsächlich ihrer Expertise bedürfen • andere Tätigkeiten werden von anderen übernommen • Lastenverteilung auf das Team vermeidet Flaschenhals Careum Sottas Evidenz • • • • • • positivere Erfahrungen – gefühlt mehr Zuwendung Team gibt konsistentere Informationen Pflege und Behandlung haben höhere Kontinuität und Konsistenz schnellere Entlassungen Patient und Umfeld besser in Behandlungsprozesse eingebunden besseres Wissen über Gesundheitszustand, begünstigt Prävention und Selbstmanagement reduziert Abhängigkeit von externer Pflege • Weniger Doppelspurigkeiten - effektivere Behandlung rollenübergreifendes Handeln kann von mehr als nur der einen formal qualifizierten Fachperson ausgeführt werden Careum Sottas Evidenz • Patienten fühlen sich von interprofessionellen Teams besser betreut als bei konventionell monoprofessioneller Versorgung • erhalten gefühlt mehr Zuwendung, fühlen sich mit ihrer Situation und ihrem Umfeld besser in die Versorgung einbezogen • mehr und konsistentere Informationen, weniger Widersprüche • Bekannt ist erhöhte Akzeptanz aus Schweden, wo interprofessionelle Training Wards bei Patienten beliebt sind. Deren Akzeptanz setzt sich in der weitgehend interprofessionell organisierten Versorgung fort (u.a. Lindblom et al. 2007). • Probleme bei Vorrangansprüchen Careum Sottas Evidenz • Tendenz: Interprofessionalität wird gutgeheissen • Positiv wegen erhöhter Arbeitszufriedenheit • Gefälle verläuft entlang der etablierten Hierarchien. Kaderärzte und Fachärzte können interprofessioneller Zusammenarbeit in der Tendenz weniger abgewinnen als z.B. Pflegefachpersonen (u.a. Braithwaite et al. 2013). • Übergangsphasen aus dem „klassischen“ hierarchischen System hin zu interprofessionellen Kooperationsformen erfordern umsichtige Organisationsentwicklung Careum Sottas Evidenz • Viele Studien zu diesem Thema. Oft eine positive Tendenz aufgezeigt. • gute Zusammenarbeit und Koordination = Mehraugenprinzip • erhöhte Kontinuität durch Gefühl der Verantwortung • verringerte Wahrscheinlichkeit des Todes innerhalb von 30 Tagen • Eine generelle Aussage kann auf Grundlage der verwendeten Literatur allerdings nicht gemacht werden Careum Sottas Evidenz • z.B. im Bereich Grundversorgung Aufgaben auf verschiedene Teammitglieder aufteilten und übertragen • Setzt Kapazitäten bei den Ärzten frei • In Kanada, USA, NL, UK und Finnland bei Erstbehandlung eine deutliche Reduktion der Wartezeiten (Naylor & Kurtzman 2010; Sheer & Wong 2008; Hammick 2009). • Ob interprofessionelle Teams Zugang und Erreichbarkeit erleichtern, hängt massgeblich von den rechtlichen Gegebenheiten und der Arbeitsorganisation ab. Careum Sottas Evidenz • Aufgabenverteilung in interprofessionellen Teams erlaubt, die Fähigkeiten der einzelnen Mitglieder optimal einzusetzen und Überlastungen vorzubeugen. • rollenübergreifendes Handeln erlaubt Substitutionseffekte andere Teammitglieder entlasten oder ersetzen • gesteigerte Effizienz - durchschnittlich kürzere Spitalaufenthalte • bessere Mitwirkung = tendenziell geringere Frequentierung der Leistungserbringer = Effizienzsteigerung und Kostenreduktion • - Negativ: Extrazeiten für Team-Koordination organisatorische + strukturelle Veränderungen (Räume = Kosten) • - Aufgabenübertragungen können das Lohngefüge tangieren Careum Sottas Evidenz • Änderung der Organisationskultur ist Hauptanliegen von IPP Annahme: es gibt Wirkung durch psychologische Mechanismen • kaum generalisierbare Aussagen Interprofessionelle Arbeitsorganisation hat erheblichen Einfluss auf Einstellungen, weil sie die Kollegen aus anderen Fachbereichen schätzen lernen • überwiegend zufriedener mit Jobs und positive Bindungen im Teams • Hewitt postuliert eine generell bessere Arbeitseinstellung wegen höherem Engagement (aber keine empirische Evidenz dafür) Careum Sottas Schlussfolgerung • weltweit verfügbaren Studien stützen in vieler Hinsicht die weit verbreitete Auffassung vom Nutzen interprofessioneller Kooperation • überwiegende Anzahl der Studien konstatiert entweder einen positiven oder aber mindestens keinen signifikant negativen Einfluss zwischen Teamprozessen und klinischer Performance • Ein genereller Wirkungsnachweis von IPP besteht insb. zu Steigerung der Qualität der Versorgung & effizienterer Nutzung der Ressourcen • Bei Kosteneffizienz ist Situation nicht eindeutig Aufgabenübertragung schafft Opportunitätskosten für Koordination • Skepsis betr. unklaren Abläufen und Zuständigkeiten beruht auf Vorurteilen (und Machterhalt gem. «Kapitänsprinzip») Careum Sottas Take Home Messages • In Innovation der Workforce und in Strukturwandel investieren Arbeitswelten mit Blick auf Megatrends neu denken und gestalten integrativ von höchster bis tiefster Qualifikation grade mix + sektorenübergreifende Bildungswege und Fachkarrieren • Organisationentwicklung strategisch nutzen Mit Praxispartnern durch OE Kompetenzen für Prozesse, Qualität, Nutzen, Kulturveränderung stärken … darüber mehr reden, mehr forschen, mehr publizieren • Evidenz als Hebel einsetzen Bei klinischen Behandlungen ist Evidenz zentral Bei Arbeitsorganisation offenbar irrelevant Widerspruch macht ratlos unterschiedliche Massstäbe? IPP-Evidenz strategisch einsetzen! Careum Sottas Besten Dank