Aktuelle Themen aus Sicht der Fahrerlaubnisbehörde - Thematik 1: MPU unter 1,6 Promille - Thematik 2: Cannabis bei Erkrankungen bzw. Schmerzpatienten und die Frage der Fahreignung Verwaltungsfachwirt Harald Hofstetter Medizinisch-psychologische Untersuchung unter 1,6 Promille Entstehung und Entwicklung der Rechtsauffassung der medizinischpsychologischen Untersuchung bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt unter 1,6 Promille: - Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Mannheim vom 18.06.2012 (erstmalige Trunkenheitsfahrt ab 1,1 Promille führt zwingend zur MPU im Rahmen der Neuerteilung) - Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Greifswald vom 22.05.2013 (Mecklenburg-Vorpommern schließt sich als erstes Bundesland der Rechtsauffassung des VGH Mannheim an) - Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.06.2013 (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe d FeV beinhaltet auch Fahrerlaubnisentzüge durch die Strafgerichte) - Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes München vom 17.11.2015 (Auch Bayern schließt sich der Rechtsauffassung des VGH Mannheim an, jedoch ist bereits bei einem Entzug der Fahrerlaubnis bei erstmaliger Trunkenheitsfahrt mit 0,3 Promille zwingend die MPU erforderlich) - Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.04.2017 (erstmalige Trunkenheitsfahrt unter 1,6 Promille führt nicht pauschal zur Beibringung einer MPU, außer es liegen zusätzliche Tatsachen von zukünftigen Alkoholmissbrauch vor) Hintergrund der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes Mannheim § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a Alt. 2 i.V.m. Nr. 2 Buchstabe d FeV i.V.m. Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV § 13 FeV (Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik): Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass 1. ein ärztliches Gutachten (§ 11 Absatz 2 Satz 3) beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme von Alkoholabhängigkeit begründen, oder 2. ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn a) nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen, b) wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden, c) ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde, d) die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründe entzogen war oder e) sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht. Auszug aus der Anlage 4 zur FeV: Krankheiten, Mängel Eignung oder bedingte Eignung Beschränkungen/Auflagen bei bedingter Eignung Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E, FzF Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T 8.1 Missbrauch (Das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum kann nicht hinreichend sicher getrennt werden.) nein nein _____ _____ 8.2 nach Beendigung des Missbrauchs ja, wenn die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist. (MPU) ja, wenn die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist. (MPU) _____ _____ 8.3 Abhängigkeit nein nein _____ _____ 8.4 nach Abhängigkeit (Entwöhnungsbehandlung) ja, wenn Abhängigkeit nicht mehr besteht und i.d.R. ein Jahr Abstinenz nachgewiesen ist ja, wenn Abhängigkeit nicht mehr besteht und i.d.R. ein Jahr Abstinenz nachgewiesen ist _____ _____ Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E, FzF 8. Alkohol Pressemitteilung des BVerwG: Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach Trunkenheit im Verkehr Ist nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von weniger als 1,6 Promille im Strafverfahren die Fahrerlaubnis entzogen worden, darf die Verwaltungsbehörde ihre Neuerteilung nicht allein wegen dieser Trunkenheitsfahrt von der Beibringung eines medizinischpsychologischen Fahreignungsgutachtens abhängig machen. Anders liegt es, wenn zusätzliche Tatsachen die Annahme von künftigem Alkoholmissbrauch begründen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 06.04.2017 entschieden. Das Bundesverwaltungsgericht hat die vorinstanzlichen Urteile geändert und die Beklagten jeweils verpflichtet, den Klägern die beantragten Fahrerlaubnisse auch ohne die Vorlage eines positiven medizinischpsychologischen Gutachtens zur Frage von Alkoholmissbrauch neu zu erteilen. Der Auffassung, dass die Fahrerlaubnis nach strafgerichtlicher Entziehung wegen einer Trunkenheitsfahrt nur nach Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens neu erteilt werden dürfe, ist es nicht gefolgt. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV rechtfertigt eine einmalige Trunkenheitsfahrt ohne das Hinzutreten weiterer aussagekräftiger Tatsachen erst ab einer BAK von 1,6 Promille die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens. Die strafgerichtliche Entziehung einer Fahrerlaubnis wegen einer Trunkenheitsfahrt ist – wie die Bezugnahme in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV auf die unter den Buchstaben a bis c genannten Gründe zeigt - kein eigenständiger, von der 1,6 Promille-Grenze unabhängiger Sachgrund für die Anforderung eines Gutachtens. Im Strafverfahren ist der Täter bei einer Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) „in der Regel“, also ohne das Hinzutreten weiterer belastender Tatsachen, als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen (§ 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB). Folgen der Entscheidung des BVerwG und Erfahrungen des LRA München zur MPU unter 1,6 Promille Folgen: Die MPU ist weiterhin erst zwingend bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt ab 1,6 Promille erforderlich. Dies gilt nicht, wenn unterhalb von 1,6 Promille zusätzliche Tatsachen vorliegen, welche einen zukünftigen Alkoholmissbrauch begründen. (z.B. hoher BAK-Wert bereits in den Morgenstunden oder keine Ausfallerscheinungen trotz hohem BAK-Wert) Erfahrungen des LRA München: Das Landratsamt München forderte bereits seit dem Jahr 2014 bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt die Vorlage einer positiven MPU, bevor die Fahrerlaubnis wiedererteilt wird. Aus der Vorlage einer Vielzahl von MPUGutachten konnte auch ein entsprechendes Fazit gezogen werden: - die Akzeptanz der Betroffenen war erstaunlich hoch ca. die Hälfte der Betroffenen erkannte nach einer positiven Begutachtung, dass in der Vergangenheit ein wachsendes Alkoholproblem vorlag es zeigte sich auch eine Vielzahl von Fällen bei denen bereits eine Alkoholabhängigkeit vorliegt Cannabis bei Erkrankungen bzw. Schmerzpatienten und die Frage der Fahreignung Stand vor dem 01.03.2017: Mai 2011 wurde mit der 25. Verordnung zur Änderung der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften, Cannabis (zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinische Zwecken) verkehrsfähig. Damit wurden auch cannabishaltige Fertigarzneimittel (z. B. Sativex) verschreibungsfähig. Verschreibung von cannabishaltigen (Fertig-)Arzneimitteln Sondererlaubnis der Bundesopiumstelle für den Bezug von Cannabisblüten aus Holland Sondererlaubnis der Bundesopiumstelle für den Eigenanbau von Cannabis Stand nach dem 01.03.2017: Verschreibung von cannabishaltigen (Fertig-)Arzneimitteln Ärztliche Verschreibung von Cannabisblüten und Extrakte auf Cannabisbasis Sondererlaubnis der Bundesopiumstelle für den Eigenanbau von Cannabis Therapeutische Nutzwirkungen von THC: schmerzstillend krampflösend muskelentspannend antiemetisch Mögliche medizinische Indikationen mit Cannabis: Multiple Sklerose Morbus Crohn AIDS Tourette-Syndrom Übelkeit durch Chemotherapie Rauschphasen von THC: Akute Phase (1-2 h): zentral dämpfende Wirkungsweise mit Störungen der Motorik/Aussprache (Gangunsicherheiten, Sprache); gerötete glasige Augen; weite, lichtstarre Pupillen; Verlangsamung; Begriffsstutzigkeit Subakute Phase (4-6 h): Trägheit vorbei, jetzt eher ausgelassen, unbekümmert und euphorisch; herabgesetzte Kritikfähigkeit; Selbstüberschätzung Postakute Phase (ca. 12-24 h): verminderter Antrieb; Passivität; nicht völlig „klar im Kopf“ Auf Cannabisextrakten basierende Arzneimittel (BTM-Rezept): vollsynthetische Cannabinoide; (Wirkstoff: Nabilon) Cesamet – USA/UK teilsynthetische Cannabinoide: (Wirkstoff: Dronabinol) Marinol – USA/Kanada extrahierte Cannabinoide: (Wirkstoff: Nabiximols) Sativex – Deutschland Cannabisblüten „Cannabis Flos“ In den Niederlanden verschreibungspflichtig und mit verschiedenen THC-Gehalten erhältlich. Seit Februar 2009 sind Cannabisblüten mit behördlicher Ausnahmegenehmigung des BfArM über die Apotheke legal erhältlich. Seit dem 01.03.2017 können Ärzte jeder Fachrichtung ohne besondere Qualifikation Cannabisblüten und Cannabisextrakte mittels Betäubungsmittel-Rezept verschreiben: Bisheriges Verfahren über die Bundesopiumstelle (BfArM) mit Ausnahmeerlaubnis entfällt. Cannabisblüten und –extrakte können nun für jede Indikation verordnet werden, wenn keine andere medizinische Standardleistung verfügbar ist oder nach Einschätzung des Arztes andere Medikamente aufgrund von Nebenwirkungen nicht zur Anwendung kommen können. Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet einzelne Indikationen im Gesetz aufzuführen. Behandlung mit Cannabis kann auch erfolgen, wenn andere zugelassene Behandlungen noch zur Verfügung stehen und der Patient noch nicht „austherapiert“ ist. Cannabisblüten und deren THC- und CBD-Gehalt: Bedrocan ca. 22% THC, CBD ca. 1% Bedrobinol ca. 13,5%THC, CBD ca. 1% Bediol ca. 6,5% THC, CBD ca. 8% jeweils 5g / Pkg. Indizierung/Heilwirkung von Cannabis und Unterschied zwischen (Fertig-) Arzneimitteln und Cannabisblüten Bis dato unbekannt, bei welchen Erkrankungen und Symptomen Cannabis regelmäßig indiziert ist bzw. eine Heilwirkung zeigt. Damit fehlt auch für den Einsatz von Medizinal-Cannabisblüten an ausreichender wissenschaftlicher Evidenz. Es wird jedoch auch zunehmend bei folgenden Indikationen als Begleitbehandlung u.a. angewendet bei: AIDS, Multiple Sklerose, Morbus Crohn oder bei Chemotherapien. In den Jahren 2007 bis 2016 erhielten Patienten mit mehr als 50 verschiedenen Erkrankungen/Symptomen eine Ausnahmeerlaubnis vom BfArM für eine ärztlich begleitete Selbsttherapie mit Medizinal-Cannabis. Nach derzeitiger Studienlage gibt es keinen Vorteil beim Einsatz von Hanfcannabinoiden („Medizinalhanf“) oder anderen aus der Cannabispflanze gewonnenen Substanzen gegenüber einer Therapie mit THC als Rezepturarzneimittel oder der Kombination von THC und CBD als Fertigarzneimittel. Der Gebrauch von Medizinalhanf erlaubt keine genaue Dosierung der medizinisch wirksamen Komponenten von Cannabis, da der Wirkstoffgehalt in der pflanze nicht exakt bestimmbar ist und die Konzentration der Wirkstoffaufnahme von der Konsummethode abhängt. Grundsätzlich kann Cannabis inhaliert oder oral aufgenommen werden. Eine Inhalation ist durch Rauchen und Verdampfen (mittels Vaporisator) möglich. Gegenargumente für die Verwendung von Cannabisblüten Es fehlt für den medizinischen Einsatz von Medizinal-Cannabisblüten an ausreichender wissenschaftlicher Evidenz. Der Gebrauch von Medizinalhanf erlaubt keine genaue Dosierung der medizinisch wirksamen Komponenten von Cannabis. Der Gebrauch als Joint ist mit den gesundheitlichen Gefahren des Tabakrauchens verbunden. Nach derzeitiger Studienlage gibt es keinen Vorteil beim Einsatz von Hanfcannabinoiden („Medizinalhanf“) oder anderen aus der Cannabispflanze gewonnenen Substanzen gegenüber einer Therapie mit THC als Rezepturarzneimittel oder der Kombination von THC und CBD als Fertigarzneimittel. Verkehrs-, arbeits- und versicherungsrechtliche Auswirkungen sind bisher nicht berücksichtigt. Zudem sind Dosierung, Monitoring und Kontrolle eines Beikonsums erschwert. Da die nachfragenden Patienten häufig eine BtMG-Vorgeschichte aufweisen, kann Missbrauchsproblematik nicht ausgeschlossen werden. Wie sich der bestimmungsgemäße Gebrauch von Cannabinoiden auf die Fahrtüchtigkeit auswirkt ist noch sehr wenig erforscht. Auch die Gefahr einer möglichen Abhängigkeit besteht. Der Beipackzettel von Sativex: „Während einer Einnahme von BTM wird Ihre Fähigkeit zum Führen von Maschinen und Kraftfahrzeugen eingeschränkt. Besonders zu Beginn der Behandlung, bei jeder Dosisänderung sowie in Verbindung mit Alkohol oder Beruhigungsmitteln ist mit derartigen Beeinträchtigungen zu rechnen. Wenn Sie Sativex über einen längeren Zeitraum in unveränderter Dosierung angewendet haben, liegt es im Ermessen Ihres Arztes, ob er Ihnen das Lenken von Fahrzeugen und das Bedienen gefährlicher Maschinen erlaubt.“ Patienteninformation von Cesamet: deutlicher Hinweis auf mentale Nebenwirkungen (Schläfrigkeit, Unkoordiniertheit, Wahrnehmungsstörungen). Zur o. g. Thematik ergeben sich vor allem Probleme im Hinblick auf § 24a StVG (Ordnungswidrigkeit) und § 14 FeV und der Anlage 4 zur FeV (Kraftfahreignung). § 24a des Straßenverkehrsgesetzes (StVG): (1) *** (2) Ordnungswidrig handelt, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehrs ein Kraftfahrzeug führt.…Satz 1 gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt. Grundlegendes zu Betäubungsmitteln und der Kraftfahreignung Auszug aus den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Stand: Dezember 2016) 3.14 Betäubungsmittel und Arzneimittel 3.14.1 Sucht (Abhängigkeit) und Intoxikationszustände - Leitsätze Wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) nimmt oder von ihnen abhängig ist, ist nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden. Dies gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt. Wer regelmäßig (täglich oder gewohnheitsmäßig) Cannabis konsumiert, ist in der Regel nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden. Ausnahmen sind nur in seltenen Fällen möglich, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass Konsum und Fahren getrennt werden und wenn keine Leistungsmängel vorliegen. Für die Fahrerlaubnisbehörde stellt sich nun die Frage mit dem Umgang von Erkrankten/Schmerzpatienten und der Verschreibung von Medizinalhanf oder Fertigarzneimitteln Wie ist die dauerhafte Behandlung mit Medizinialhanf (Cannabisblüten) oder Fertigarzneimitteln (z.B. Sativex, Cesamet, Marinol) nach der Anlage 4 zur FeV einzuordnen? Auffassung der BASt / BfArM: 9.6 Dauerbehandlung mit Arzneimitteln 9.6.2 Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß Auffassung von Verwaltungsgerichten: 9.1 (einmalige) Einnahme von Betäubungsmitteln (außer Cannabis) 9.2.1 Regelmäßige Einnahme von Cannabis (zusätzlicher Spezialfall: 9.2.2 Gelegentliche Einnahme von Cannabis) Positionierung der BASt In einer Stellungnahme der BASt vom 15.01.2014 heißt es, dass die Beurteilung der Fahreignung bei medizinischer Verwendung von cannabinoidhaltigen Medikamenten den gleichen Regelungen unterliege wie bei anderen Medikamenten. Für den Fall der Dauermedikation bedeutet diese Sichtweise, dass gemäß Nr. 9.6.2 der Anlage 4 FeV, die Fahreignung nicht gegeben ist, wenn die Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß beeinträchtigt ist. Die Überprüfung der Leistungsfähigkeit sei also bei allen Medikamenten, die regelmäßig eingenommen werden, durchzuführen. Fairerweise muss man sagen, dass zu diesem Zeitpunkt die „unberechenbaren“ Cannabisblüten rechtlich noch nicht als Medikament gegolten haben. Allerdings hat die BASt ihre Aussage bislang nicht aktualisiert, sondern verweist nunmehr auf das BfArM. Um den FE-Inhabern in der Begutachtung wirklich gerecht werden zu können, braucht es differenzierte Aussagen zu Dosierung, Anwendung, Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit, Empfehlungen zur Frage der Verkehrsteilnahme, etc.. Das BfArM verweist – mangels verfügbarer und belastbarer Studien - bei diesen Fragen die Patienten an den Arzt und den Arzt weiter an die kanadische Web-Site für Health Professionals, wo folgende Kernaussage zu finden ist: „Occupational hazards: Patients using cannabis should be warned not to drive or to perform hazardous tasks, such as operating heavy machinery, because impairment of mental alertness and physical coordination resulting from the use of cannabis or cannabinoids may decrease their ability to perform such tasks (182). Depending on the dose, impairment can last for over 24 h after last use because of the long half-life of Δ9-THC (62,131,290,862,863). Furthermore, impairment may be exacerbated with co-consumption of other CNS depressants (e.g. benzodiazepines, barbiturates, opioids, anti-histamines, muscle relaxants, or ethanol) „(114,170,174,864,865,866). Bei einem täglich mit Cannabis medikamentierten Patienten wird man daher von einer dauerhaften Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen müssen, was letztendlich auf das gleiche Ergebnis hinausläuft wie Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV! Von einem nicht täglich mit Cannabis medikamentierten Patienten wird ein entsprechendes Trennverhalten zu fordern sein (vgl. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV)! Positionierung von Verwaltungsgerichten Bei einem Fahrerlaubnisinhaber mit einer Ausnahmegenehmigung der Bundesopiumstelle (BfArM) zur Eigentherapie mit Cannabisblüten, unterstellte eine oberbayerische Fahrerlaubnisbehörde, dass der Fahrerlaubnisinhaber einen regelmäßigen Cannabiskonsum bereit und damit die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen (Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV) gegeben ist. Jedoch folgte Sie der Einlassung des Betroffenen, dass dieser trotzdem fahrgeeignet sein könnte (= Fall der Nr. 3 der Vorbemerkungen der Anlage 4) und ordnete ein medizinisch-psychologisches Gutachten an. Das Ergebnis dieses Gutachtens verlief negativ (fehlende Compliance, keine Möglichkeit der Beurteilung einer ordnungsgemäßen Dosierung, Möglichkeit der Manipulation am Begutachtungstag durch Weglassen der Cannabiseinnahme zur Verbesserung des auffallend guten Leistungstestergebnisses). Die Fahrerlaubnis wurde daraufhin entzogen. Das Verwaltungsgericht sah den Sachverhalt in seinen Hauptgründen als offen an und lehnte den Eilantrag des Fahrerlaubnisinhaber auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ab. In einem Fall eines tatsächlichen Schmerzpatienten, welcher angeblich nur gelegentlich (bei Schmerzattacken) Levomethadon einnimmt und gleichzeitig verkehrsauffällig wurde, verneinte das Verwaltungsgericht die Notwendigkeit der Beibringung eines Gutachtens nach Nr. 9.6.2 der Anlage 4 unter dem Hinweis darauf, dass es sich bei dem Medikament um ein Betäubungsmittel handele, dessen einmalige Einnahme bereits zur Nichteignung von Kraftfahrzeugen führt (Nr. 9.1 der Anlage 4). Die Fahrerlaubnis könne daher nach § 11 Abs. 7 FeV unmittelbar entzogen werden. Die Richter führten in der mündlichen Verhandlung aus, dass es für die Beurteilung der Fahreignung keine Rolle spiele, in welcher Darreichungsform (Medikament oder illegal erworben) ein Betäubungsmittel konsumiert werde, solange der Verordnungsgeber mit der Anlage 4 unter 9.1 bzw. 9.2.1 die Fahreignung verneine. Die Klage wurden von dem Betroffenen daraufhin zurückgezogen. Zusätzliche Erkenntnisse die den FE-Behörden in bisherigen Fällen vorliegen: Von den im Freistaat Bayern bislang ausgewerteten Fällen entsprechen nicht einmal 10% der Annahme der BASt und des BfArM, dass es sich bei den Betroffenen überwiegend um Patienten der Palliativ-Medizin handele. Konkret zeichneten sich die bayerischen Fälle (alle mit BfArM-Ausnahmegenehmigung) dadurch aus, dass Erkrankungen vorgeschoben wurden, deren Diagnose schwer ist (Reizdarm etc.) oder eher unwahrscheinlich (ADHS im Erwachsenenalter) und für die es keine Verschreibungsindikation von Cannabis gibt. jene Cannabisblüten bevorzugt werden, die den größten THC-Gehalt (Rausch) hatten, statt jene, die mit dem größten CBD-Gehalt die beste Schmerzlinderung versprachen. der immer gleiche, befürwortende und vermeintlich behandelnde Hausarzt angegeben wurde, der je nach Fall 300-700 km entfernt seine Praxis hat. es sich fast ausschließlich um junge Männer im Alter von 20-30 Jahren handelte (was überhaupt nicht der realen Datenbasis / Verteilung für klassische Schmerzpatienten entspricht (meist ab 60 Jahre und zu nahezu gleichen Anteilen Frauen und Männer). in sehr vielen Fälle bereits einschlägige strafrechtliche Erkenntnisse (illegale Beschaffung und/oder Handeltreiben mit Betäubungsmitteln) vorlagen Folgen aus der aktuellen Lage Mangels wissenschaftlicher Studien und anderer medizinischer Erkenntnisse sind die Fahrerlaubnisbehörden dazu veranlasst, jeden Einzelfall ins Detail zu prüfen, sodass man aktuell von einer “Experimentierphase“ sprechen muss, bis Fälle zu einer verlässlichen Einordnung durch die Rechtsprechung führen. Für die Fahrerlaubnisbehörde bzw. den Gutachter ergeben sich daher in einem Begutachtungsverfahren folgende Fragen: Liegt die angegebene Grunderkrankung überhaupt vor und ist diese unter Umständen nicht schon für sich fahreignungsausschließend? Ist die Medikamenteneinnahme ärztlich indiziert und überwacht (Ausschluss des illegalen oder missbräuchlichen Konsums)? In welcher Phase der Therapie (Einstellungsphase) befindet sich der Patient? Besteht eine Medikationscompliance des Patienten? Liegen verkehrsrelevante Auswirkungen der Symptome und/oder der Therapie vor? Können ggf. bestehende Leistungsdefizite kompensiert werden? Die Fahrerlaubnisbehörden werden daher in aller Regel zuerst die Vorlage ein ärztliches Gutachtens fordern und falls die Grunderkrankung nicht fahreignungsausschließend ist, die weitere Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (reduziert auf die psychophysische Leistungsfähigkeit – ggf. mit Fahrverhaltensbeobachtung) fordern. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !