Aktuelle Themen aus Sicht der Fahrerlaubnisbehörde

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Aktuelle Themen aus Sicht der
Fahrerlaubnisbehörde
-
Thematik 1: MPU unter 1,6 Promille
-
Thematik 2: Cannabis bei Erkrankungen bzw.
Schmerzpatienten und die Frage
der Fahreignung
Verwaltungsfachwirt Harald Hofstetter
Medizinisch-psychologische
Untersuchung unter 1,6 Promille
Entstehung und Entwicklung der Rechtsauffassung der medizinischpsychologischen Untersuchung bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt unter
1,6 Promille:
- Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Mannheim vom 18.06.2012
(erstmalige Trunkenheitsfahrt ab 1,1 Promille führt zwingend zur MPU im Rahmen der Neuerteilung)
- Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Greifswald vom 22.05.2013
(Mecklenburg-Vorpommern schließt sich als erstes Bundesland der Rechtsauffassung des VGH Mannheim an)
- Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24.06.2013
(§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe d FeV beinhaltet auch Fahrerlaubnisentzüge durch die Strafgerichte)
- Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes München vom 17.11.2015
(Auch Bayern schließt sich der Rechtsauffassung des VGH Mannheim an, jedoch ist bereits bei einem Entzug
der Fahrerlaubnis bei erstmaliger Trunkenheitsfahrt mit 0,3 Promille zwingend die MPU erforderlich)
- Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.04.2017
(erstmalige Trunkenheitsfahrt unter 1,6 Promille führt nicht pauschal zur Beibringung einer MPU, außer es
liegen zusätzliche Tatsachen von zukünftigen Alkoholmissbrauch vor)
Hintergrund der Rechtsauffassung des
Verwaltungsgerichtshofes Mannheim
§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a Alt. 2 i.V.m. Nr. 2 Buchstabe d FeV i.V.m. Nr. 8.1 der
Anlage 4 zur FeV
§ 13 FeV (Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik):
Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis
oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen ordnet die Fahrerlaubnisbehörde
an, dass
1. ein ärztliches Gutachten (§ 11 Absatz 2 Satz 3) beizubringen ist, wenn Tatsachen die
Annahme von Alkoholabhängigkeit begründen, oder
2. ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn
a) nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für
Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch
begründen,
b) wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden,
c) ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder
mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde,
d) die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründe entzogen
war oder
e) sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht.
Auszug aus der Anlage 4 zur FeV:
Krankheiten, Mängel
Eignung oder bedingte Eignung
Beschränkungen/Auflagen bei
bedingter Eignung
Klassen A, A1, A2,
B, BE, AM, L, T
Klassen C, C1, CE,
C1E, D, D1, DE, D1E,
FzF
Klassen A, A1, A2,
B, BE, AM, L, T
8.1 Missbrauch (Das Führen von
Fahrzeugen und ein die
Fahrsicherheit beeinträchtigender
Alkoholkonsum kann nicht
hinreichend sicher getrennt werden.)
nein
nein
_____
_____
8.2 nach Beendigung des
Missbrauchs
ja,
wenn die Änderung
des Trinkverhaltens
gefestigt ist. (MPU)
ja,
wenn die Änderung
des Trinkverhaltens
gefestigt ist. (MPU)
_____
_____
8.3 Abhängigkeit
nein
nein
_____
_____
8.4 nach Abhängigkeit
(Entwöhnungsbehandlung)
ja,
wenn Abhängigkeit
nicht mehr besteht
und i.d.R. ein Jahr
Abstinenz
nachgewiesen ist
ja,
wenn Abhängigkeit
nicht mehr besteht
und i.d.R. ein Jahr
Abstinenz
nachgewiesen ist
_____
_____
Klassen C, C1,
CE, C1E, D, D1,
DE, D1E, FzF
8. Alkohol
Pressemitteilung des BVerwG:
Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach Trunkenheit im Verkehr
Ist nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von weniger als 1,6
Promille im Strafverfahren die Fahrerlaubnis entzogen worden, darf die Verwaltungsbehörde ihre
Neuerteilung nicht allein wegen dieser Trunkenheitsfahrt von der Beibringung eines medizinischpsychologischen Fahreignungsgutachtens abhängig machen. Anders liegt es, wenn zusätzliche Tatsachen die
Annahme von künftigem Alkoholmissbrauch begründen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am
06.04.2017 entschieden.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die vorinstanzlichen Urteile geändert und die Beklagten jeweils
verpflichtet, den Klägern die beantragten Fahrerlaubnisse auch ohne die Vorlage eines positiven medizinischpsychologischen Gutachtens zur Frage von Alkoholmissbrauch neu zu erteilen. Der Auffassung, dass die
Fahrerlaubnis nach strafgerichtlicher Entziehung wegen einer Trunkenheitsfahrt nur nach Beibringung eines
medizinisch-psychologischen Gutachtens neu erteilt werden dürfe, ist es nicht gefolgt. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2
Buchst. c FeV rechtfertigt eine einmalige Trunkenheitsfahrt ohne das Hinzutreten weiterer aussagekräftiger
Tatsachen erst ab einer BAK von 1,6 Promille die Anforderung eines medizinisch-psychologischen
Gutachtens. Die strafgerichtliche Entziehung einer Fahrerlaubnis wegen einer Trunkenheitsfahrt ist –
wie die Bezugnahme in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV auf die unter den Buchstaben a bis c
genannten Gründe zeigt - kein eigenständiger, von der 1,6 Promille-Grenze unabhängiger Sachgrund
für die Anforderung eines Gutachtens. Im Strafverfahren ist der Täter bei einer Trunkenheit im Verkehr
(§ 316 StGB) „in der Regel“, also ohne das Hinzutreten weiterer belastender Tatsachen, als ungeeignet zum
Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen (§ 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB).
Folgen der Entscheidung des BVerwG
und Erfahrungen des LRA München zur
MPU unter 1,6 Promille
Folgen:
Die MPU ist weiterhin erst zwingend bei einer erstmaligen Trunkenheitsfahrt ab
1,6 Promille erforderlich.
Dies gilt nicht, wenn unterhalb von 1,6 Promille zusätzliche Tatsachen vorliegen,
welche einen zukünftigen Alkoholmissbrauch begründen.
(z.B. hoher BAK-Wert bereits in den Morgenstunden oder keine Ausfallerscheinungen trotz hohem BAK-Wert)
Erfahrungen des LRA München:
Das Landratsamt München forderte bereits seit dem Jahr 2014 bei einer
erstmaligen Trunkenheitsfahrt die Vorlage einer positiven MPU, bevor die
Fahrerlaubnis wiedererteilt wird. Aus der Vorlage einer Vielzahl von MPUGutachten konnte auch ein entsprechendes Fazit gezogen werden:
-
die Akzeptanz der Betroffenen war erstaunlich hoch
ca. die Hälfte der Betroffenen erkannte nach einer positiven Begutachtung,
dass in der Vergangenheit ein wachsendes Alkoholproblem vorlag
es zeigte sich auch eine Vielzahl von Fällen bei denen bereits eine
Alkoholabhängigkeit vorliegt
Cannabis bei Erkrankungen bzw.
Schmerzpatienten und die Frage der
Fahreignung
Stand vor dem 01.03.2017:
Mai 2011 wurde mit der 25. Verordnung zur Änderung der betäubungsmittelrechtlichen
Vorschriften, Cannabis (zur Herstellung von Zubereitungen zu medizinische Zwecken)
verkehrsfähig. Damit wurden auch cannabishaltige Fertigarzneimittel (z. B. Sativex)
verschreibungsfähig.

Verschreibung von cannabishaltigen (Fertig-)Arzneimitteln

Sondererlaubnis der Bundesopiumstelle für den Bezug von Cannabisblüten aus Holland

Sondererlaubnis der Bundesopiumstelle für den Eigenanbau von Cannabis
Stand nach dem 01.03.2017:

Verschreibung von cannabishaltigen (Fertig-)Arzneimitteln

Ärztliche Verschreibung von Cannabisblüten und Extrakte auf Cannabisbasis

Sondererlaubnis der Bundesopiumstelle für den Eigenanbau von Cannabis
Therapeutische Nutzwirkungen von THC:

schmerzstillend

krampflösend

muskelentspannend

antiemetisch
Mögliche medizinische Indikationen mit Cannabis:

Multiple Sklerose

Morbus Crohn

AIDS

Tourette-Syndrom

Übelkeit durch Chemotherapie
Rauschphasen von THC:

Akute Phase (1-2 h): zentral dämpfende Wirkungsweise mit Störungen der Motorik/Aussprache
(Gangunsicherheiten, Sprache); gerötete glasige Augen; weite, lichtstarre Pupillen;
Verlangsamung; Begriffsstutzigkeit

Subakute Phase (4-6 h): Trägheit vorbei, jetzt eher ausgelassen, unbekümmert und euphorisch;
herabgesetzte Kritikfähigkeit; Selbstüberschätzung

Postakute Phase (ca. 12-24 h): verminderter Antrieb; Passivität; nicht völlig „klar im Kopf“
Auf Cannabisextrakten basierende Arzneimittel (BTM-Rezept):

vollsynthetische Cannabinoide; (Wirkstoff: Nabilon) Cesamet – USA/UK

teilsynthetische Cannabinoide: (Wirkstoff: Dronabinol) Marinol – USA/Kanada

extrahierte Cannabinoide: (Wirkstoff: Nabiximols) Sativex – Deutschland
Cannabisblüten „Cannabis Flos“
In den Niederlanden verschreibungspflichtig und mit verschiedenen THC-Gehalten erhältlich.
Seit Februar 2009 sind Cannabisblüten mit behördlicher Ausnahmegenehmigung des BfArM über
die Apotheke legal erhältlich.
Seit dem 01.03.2017 können Ärzte jeder Fachrichtung ohne besondere Qualifikation Cannabisblüten
und Cannabisextrakte mittels Betäubungsmittel-Rezept verschreiben:

Bisheriges Verfahren über die Bundesopiumstelle (BfArM) mit Ausnahmeerlaubnis entfällt.

Cannabisblüten und –extrakte können nun für jede Indikation verordnet werden, wenn keine
andere medizinische Standardleistung verfügbar ist oder nach Einschätzung des Arztes
andere Medikamente aufgrund von Nebenwirkungen nicht zur Anwendung kommen können.

Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet einzelne Indikationen im Gesetz aufzuführen.

Behandlung mit Cannabis kann auch erfolgen, wenn andere zugelassene Behandlungen noch
zur Verfügung stehen und der Patient noch nicht „austherapiert“ ist.
Cannabisblüten und deren THC- und CBD-Gehalt:
Bedrocan ca. 22% THC, CBD ca. 1%
Bedrobinol ca. 13,5%THC, CBD ca. 1%
Bediol
ca. 6,5% THC, CBD ca. 8%
jeweils 5g / Pkg.
Indizierung/Heilwirkung von Cannabis
und Unterschied zwischen (Fertig-)
Arzneimitteln und Cannabisblüten

Bis dato unbekannt, bei welchen Erkrankungen und Symptomen Cannabis regelmäßig indiziert
ist bzw. eine Heilwirkung zeigt. Damit fehlt auch für den Einsatz von Medizinal-Cannabisblüten
an ausreichender wissenschaftlicher Evidenz. Es wird jedoch auch zunehmend bei folgenden
Indikationen als Begleitbehandlung u.a. angewendet bei: AIDS, Multiple Sklerose, Morbus
Crohn oder bei Chemotherapien.

In den Jahren 2007 bis 2016 erhielten Patienten mit mehr als 50 verschiedenen
Erkrankungen/Symptomen eine Ausnahmeerlaubnis vom BfArM für eine ärztlich begleitete
Selbsttherapie mit Medizinal-Cannabis.

Nach derzeitiger Studienlage gibt es keinen Vorteil beim Einsatz von Hanfcannabinoiden
(„Medizinalhanf“) oder anderen aus der Cannabispflanze gewonnenen Substanzen gegenüber
einer Therapie mit THC als Rezepturarzneimittel oder der Kombination von THC und CBD als
Fertigarzneimittel.

Der Gebrauch von Medizinalhanf erlaubt keine genaue Dosierung der medizinisch wirksamen
Komponenten von Cannabis, da der Wirkstoffgehalt in der pflanze nicht exakt bestimmbar ist
und die Konzentration der Wirkstoffaufnahme von der Konsummethode abhängt. Grundsätzlich
kann Cannabis inhaliert oder oral aufgenommen werden. Eine Inhalation ist durch Rauchen und
Verdampfen (mittels Vaporisator) möglich.
Gegenargumente für die Verwendung
von Cannabisblüten

Es fehlt für den medizinischen Einsatz von Medizinal-Cannabisblüten an ausreichender
wissenschaftlicher Evidenz.

Der Gebrauch von Medizinalhanf erlaubt keine genaue Dosierung der medizinisch
wirksamen Komponenten von Cannabis.

Der Gebrauch als Joint ist mit den gesundheitlichen Gefahren des Tabakrauchens
verbunden.

Nach derzeitiger Studienlage gibt es keinen Vorteil beim Einsatz von Hanfcannabinoiden
(„Medizinalhanf“) oder anderen aus der Cannabispflanze gewonnenen Substanzen
gegenüber einer Therapie mit THC als Rezepturarzneimittel oder der Kombination von
THC und CBD als Fertigarzneimittel.

Verkehrs-, arbeits- und versicherungsrechtliche Auswirkungen sind bisher nicht
berücksichtigt.

Zudem sind Dosierung, Monitoring und Kontrolle eines Beikonsums erschwert.

Da die nachfragenden Patienten häufig eine BtMG-Vorgeschichte aufweisen, kann
Missbrauchsproblematik nicht ausgeschlossen werden.

Wie sich der bestimmungsgemäße Gebrauch von Cannabinoiden auf die Fahrtüchtigkeit
auswirkt ist noch sehr wenig erforscht. Auch die Gefahr einer möglichen Abhängigkeit
besteht.

Der Beipackzettel von Sativex:
„Während einer Einnahme von BTM wird Ihre Fähigkeit zum Führen von Maschinen und
Kraftfahrzeugen eingeschränkt. Besonders zu Beginn der Behandlung, bei jeder
Dosisänderung sowie in Verbindung mit Alkohol oder Beruhigungsmitteln ist mit
derartigen Beeinträchtigungen zu rechnen. Wenn Sie Sativex über einen längeren
Zeitraum in unveränderter Dosierung angewendet haben, liegt es im Ermessen Ihres
Arztes, ob er Ihnen das Lenken von Fahrzeugen und das Bedienen gefährlicher
Maschinen erlaubt.“

Patienteninformation von Cesamet: deutlicher Hinweis auf mentale Nebenwirkungen
(Schläfrigkeit, Unkoordiniertheit, Wahrnehmungsstörungen).

Zur o. g. Thematik ergeben sich vor allem Probleme im Hinblick auf § 24a StVG
(Ordnungswidrigkeit) und § 14 FeV und der Anlage 4 zur FeV (Kraftfahreignung).
§ 24a des Straßenverkehrsgesetzes (StVG):
(1) ***
(2) Ordnungswidrig handelt, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift
genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehrs ein Kraftfahrzeug führt.…Satz 1 gilt
nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen
konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.
Grundlegendes zu Betäubungsmitteln
und der Kraftfahreignung
Auszug aus den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Stand: Dezember 2016)
3.14 Betäubungsmittel und Arzneimittel
3.14.1 Sucht (Abhängigkeit) und Intoxikationszustände - Leitsätze Wer Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) nimmt oder von ihnen
abhängig ist, ist nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von
Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden. Dies gilt nicht, wenn die Substanz aus
der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen
Arzneimittels herrührt.
Wer regelmäßig (täglich oder gewohnheitsmäßig) Cannabis konsumiert, ist in der Regel nicht
in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen
gerecht zu werden. Ausnahmen sind nur in seltenen Fällen möglich, wenn eine hohe
Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass Konsum und Fahren getrennt werden und wenn keine
Leistungsmängel vorliegen.
Für die Fahrerlaubnisbehörde stellt sich nun die Frage mit
dem Umgang von Erkrankten/Schmerzpatienten und der
Verschreibung von Medizinalhanf oder Fertigarzneimitteln
Wie ist die dauerhafte Behandlung mit Medizinialhanf (Cannabisblüten) oder Fertigarzneimitteln (z.B. Sativex, Cesamet, Marinol) nach der Anlage 4 zur FeV einzuordnen?
Auffassung der BASt / BfArM:
9.6 Dauerbehandlung mit Arzneimitteln
9.6.2 Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen
von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß
Auffassung von Verwaltungsgerichten:
9.1 (einmalige) Einnahme von Betäubungsmitteln (außer Cannabis)
9.2.1 Regelmäßige Einnahme von Cannabis
(zusätzlicher Spezialfall: 9.2.2 Gelegentliche Einnahme von Cannabis)
Positionierung der BASt
In einer Stellungnahme der BASt vom 15.01.2014 heißt es, dass die Beurteilung der
Fahreignung bei medizinischer Verwendung von cannabinoidhaltigen Medikamenten den
gleichen Regelungen unterliege wie bei anderen Medikamenten.
Für den Fall der Dauermedikation bedeutet diese Sichtweise, dass gemäß Nr. 9.6.2 der
Anlage 4 FeV, die Fahreignung nicht gegeben ist, wenn die Leistungsfähigkeit zum Führen
von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß beeinträchtigt ist. Die Überprüfung der
Leistungsfähigkeit sei also bei allen Medikamenten, die regelmäßig eingenommen werden,
durchzuführen.
Fairerweise muss man sagen, dass zu diesem Zeitpunkt die „unberechenbaren“ Cannabisblüten rechtlich noch nicht als Medikament gegolten haben. Allerdings hat die BASt ihre
Aussage bislang nicht aktualisiert, sondern verweist nunmehr auf das BfArM.
Um den FE-Inhabern in der Begutachtung wirklich gerecht werden zu können, braucht
es differenzierte Aussagen zu Dosierung, Anwendung, Auswirkungen auf die
Leistungsfähigkeit, Empfehlungen zur Frage der Verkehrsteilnahme, etc..
Das BfArM verweist – mangels verfügbarer und belastbarer Studien - bei diesen Fragen die
Patienten an den Arzt und den Arzt weiter an die kanadische Web-Site für Health
Professionals, wo folgende Kernaussage zu finden ist:
„Occupational hazards: Patients using cannabis should be warned not to drive or to
perform hazardous tasks, such as operating heavy machinery, because impairment of mental
alertness and physical coordination resulting from the use of cannabis or cannabinoids may
decrease their ability to perform such tasks (182). Depending on the dose, impairment can
last for over 24 h after last use because of the long half-life of Δ9-THC
(62,131,290,862,863). Furthermore, impairment may be exacerbated with co-consumption of
other CNS depressants (e.g. benzodiazepines, barbiturates, opioids, anti-histamines, muscle
relaxants, or ethanol) „(114,170,174,864,865,866).
Bei einem täglich mit Cannabis medikamentierten Patienten wird man daher von einer
dauerhaften Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen müssen, was
letztendlich auf das gleiche Ergebnis hinausläuft wie Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV!
Von einem nicht täglich mit Cannabis medikamentierten Patienten wird ein
entsprechendes Trennverhalten zu fordern sein (vgl. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV)!
Positionierung von Verwaltungsgerichten
Bei einem Fahrerlaubnisinhaber mit einer Ausnahmegenehmigung der Bundesopiumstelle
(BfArM) zur Eigentherapie mit Cannabisblüten, unterstellte eine oberbayerische
Fahrerlaubnisbehörde, dass der Fahrerlaubnisinhaber einen regelmäßigen Cannabiskonsum
bereit und damit die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen (Nr. 9.2.1 der Anlage 4
zur FeV) gegeben ist. Jedoch folgte Sie der Einlassung des Betroffenen, dass dieser trotzdem
fahrgeeignet sein könnte (= Fall der Nr. 3 der Vorbemerkungen der Anlage 4) und ordnete ein
medizinisch-psychologisches Gutachten an. Das Ergebnis dieses Gutachtens verlief negativ
(fehlende Compliance, keine Möglichkeit der Beurteilung einer ordnungsgemäßen Dosierung,
Möglichkeit der Manipulation am Begutachtungstag durch Weglassen der Cannabiseinnahme
zur Verbesserung des auffallend guten Leistungstestergebnisses). Die Fahrerlaubnis wurde
daraufhin entzogen. Das Verwaltungsgericht sah den Sachverhalt in seinen Hauptgründen als
offen an und lehnte den Eilantrag des Fahrerlaubnisinhaber auf Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung ab.
In einem Fall eines tatsächlichen Schmerzpatienten, welcher angeblich nur gelegentlich (bei
Schmerzattacken) Levomethadon einnimmt und gleichzeitig verkehrsauffällig wurde, verneinte
das Verwaltungsgericht die Notwendigkeit der Beibringung eines Gutachtens nach Nr. 9.6.2
der Anlage 4 unter dem Hinweis darauf, dass es sich bei dem Medikament um ein
Betäubungsmittel handele, dessen einmalige Einnahme bereits zur Nichteignung von
Kraftfahrzeugen führt (Nr. 9.1 der Anlage 4). Die Fahrerlaubnis könne daher nach § 11 Abs. 7
FeV unmittelbar entzogen werden.
Die Richter führten in der mündlichen Verhandlung aus, dass es für die Beurteilung der
Fahreignung keine Rolle spiele, in welcher Darreichungsform (Medikament oder illegal
erworben) ein Betäubungsmittel konsumiert werde, solange der Verordnungsgeber mit der
Anlage 4 unter 9.1 bzw. 9.2.1 die Fahreignung verneine. Die Klage wurden von dem
Betroffenen daraufhin zurückgezogen.
Zusätzliche Erkenntnisse die den
FE-Behörden in bisherigen Fällen
vorliegen:
Von den im Freistaat Bayern bislang ausgewerteten Fällen entsprechen nicht einmal 10% der
Annahme der BASt und des BfArM, dass es sich bei den Betroffenen überwiegend um
Patienten der Palliativ-Medizin handele.
Konkret zeichneten sich die bayerischen Fälle (alle mit BfArM-Ausnahmegenehmigung)
dadurch aus, dass





Erkrankungen vorgeschoben wurden, deren Diagnose schwer ist (Reizdarm etc.) oder
eher unwahrscheinlich (ADHS im Erwachsenenalter) und für die es keine
Verschreibungsindikation von Cannabis gibt.
jene Cannabisblüten bevorzugt werden, die den größten THC-Gehalt (Rausch) hatten,
statt jene, die mit dem größten CBD-Gehalt die beste Schmerzlinderung versprachen.
der immer gleiche, befürwortende und vermeintlich behandelnde Hausarzt angegeben
wurde, der je nach Fall 300-700 km entfernt seine Praxis hat.
es sich fast ausschließlich um junge Männer im Alter von 20-30 Jahren handelte (was
überhaupt nicht der realen Datenbasis / Verteilung für klassische Schmerzpatienten
entspricht (meist ab 60 Jahre und zu nahezu gleichen Anteilen Frauen und Männer).
in sehr vielen Fälle bereits einschlägige strafrechtliche Erkenntnisse (illegale
Beschaffung und/oder Handeltreiben mit Betäubungsmitteln) vorlagen
Folgen aus der aktuellen Lage
Mangels wissenschaftlicher Studien und anderer medizinischer Erkenntnisse sind die
Fahrerlaubnisbehörden dazu veranlasst, jeden Einzelfall ins Detail zu prüfen, sodass man
aktuell von einer “Experimentierphase“ sprechen muss, bis Fälle zu einer verlässlichen
Einordnung durch die Rechtsprechung führen.
Für die Fahrerlaubnisbehörde bzw. den Gutachter ergeben sich daher in einem
Begutachtungsverfahren folgende Fragen:






Liegt die angegebene Grunderkrankung überhaupt vor und ist diese unter Umständen
nicht schon für sich fahreignungsausschließend?
Ist die Medikamenteneinnahme ärztlich indiziert und überwacht (Ausschluss des
illegalen oder missbräuchlichen Konsums)?
In welcher Phase der Therapie (Einstellungsphase) befindet sich der Patient?
Besteht eine Medikationscompliance des Patienten?
Liegen verkehrsrelevante Auswirkungen der Symptome und/oder der Therapie vor?
Können ggf. bestehende Leistungsdefizite kompensiert werden?
Die Fahrerlaubnisbehörden werden daher in aller Regel zuerst die Vorlage ein ärztliches
Gutachtens fordern und falls die Grunderkrankung nicht fahreignungsausschließend ist, die
weitere Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (reduziert auf die
psychophysische Leistungsfähigkeit – ggf. mit Fahrverhaltensbeobachtung) fordern.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !
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