Mylin-Mangel lässt Teenagerhirn anders ticken

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Leonardo - Wissenschaft und mehr
Sendedatum: 23. Juni 2015
Teenager-Gehirn und Risikoverhalten
Impulse auf der Überholspur
Von Volkart Wildermuth
Sprecher:
Schulaufgaben oder mit Freunden Skateboard fahren, früh ins Bett oder doch lieber
ins Kino? Kinder bekommen hier klare Anweisungen, Teenager dagegen haben oder
nehmen sich Freiheiten. Und entscheiden dann oft eher impulsiv als vernünftig.
Irgendwann im Lauf der Pubertät gewinnt aber doch der Verstand die Oberhand,
meistens zumindest. Wouter van den Bos vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin wollte wissen, wie sich das Gleichgewicht von Impulsen und
Vernunft zwischen Kindheit und Erwachsenenalter verschiebt. Dazu musste er die
vielen Entscheidungsmöglichkeiten im Teenagerleben auf den Maßstab des Labors
reduzieren.
O-Ton Übersetzung:
„Die Entscheidung: Hausaufgaben oder Videospiele haben wir in eine
einfache Aufgabe umgesetzt: willst du zehn Euro jetzt gleich, oder lieber
zwanzig Euro in sechs Wochen? Wer das Geld gleich nimmt, kann sich sofort
etwas kaufen, das ist aufregend. Aber wer wartet bekommt am Ende mehr.“
Sprecher:
Das Geld wurde übrigens tatsächlich ausbezahlt. Der simple Test verrät viel über die
Impulsivität eines Menschen, das zeigen viele Versuche mit Erwachsenen. Wouter
van den Bos hat ihn mit 50 Kindern und jungen Erwachsenen zwischen acht und 25
Jahren gemacht. Dabei zeigte sich klar: Kinder reagieren impulsiv, aber dann
übernimmt doch verblüffend früh die Vernunft das Ruder.
O-Ton Übersetzung:
„So mit 15, 16 Jahren stabilisiert sich das Erwachsenen-Verhalten. Das ist
früher, als man nach der Alltagserfahrung erwarten würde.“
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2015
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.
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Sprecher:
Ein Laborversuch kann eben immer nur Facetten der Wirklichkeit erfassen. Dafür
erlaubt er, diese Facetten im Detail auszuleuchten. In der Psychologie gibt es zwei
Erklärungen für das impulsive Verhalten: entweder wirkt die Verlockung zu groß oder
ist die Vernunft zu schwach. Die genaue Analyse der Versuche zeigt, dass Kinder
und junge Teenager keineswegs von dem Verlangen nach dem Geld überwältigt
werden, sondern dass es ihnen schwerfällt, im Augenblick der Entscheidung auch
die langfristige Perspektive im Blick zu halten. Wouter van den Bos ist überzeugt:
das liegt an einem Ungleichgewicht in der Reifung des Gehirns, konkret des
Striatums. Dort, tief im Gehirn, werden viele Informationen zusammengeführt,
Sinnesdaten genauso wie Gefühle und eben Kontrollimpulse aus dem Vorderhirn.
Im Lauf der Pubertät werden die Verbindungen im ganzen Gehirn mit einer
Isolationsschicht versehen und daher effizienter, doch diese Reifung verläuft
unterschiedlich schnell.
O-Ton Übersetzung:
„Das Sehzentrum und die Bewegungsteuerung reifen sehr früh, die werden ja
auch schnell gebraucht. Dagegen ist das Frontalhirn ein Nachzügler, dort
werden Ziele für die Zukunft verarbeitet. Es gibt da ein Ungleichgewicht. Die
Handlungsimpulse überholen sozusagen die Kontrolle. Das führt bei
Teenager zu impulsiven Entscheidungen und riskantem Verhalten.“
Sprecher:
Wouter van den Bos hat seine jungen Versuchspersonen auch im Gehirnscanner
untersucht. Dabei konnte er die unterschiedlichen Reifungsgrade der Impuls- und der
Kontrollbahnen ins Striatum beobachten und nachweisen, dass sie eng mit der
Fähigkeit zur langfristigen Planung zusammenhängen. Im Alter von 16 Jahren sind
die Kontrollbahnen meist ausgereift. Trotzdem verhalten sich Jugendliche dann oft
immer noch so, als ob es kein Morgen gäbe. Wouter van den Bos vermutet, dass das
mit dem Einfluss der Freunde und Kumpel zusammenhängt.
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2015
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O-Ton Übersetzung:
„Im Auto zum Beispiel verhalten sich junge Erwachsene vernünftig, wenn sie
alleine fahren. In der Gruppe nehmen sie größere Risiken in Kauf. Das zeigen
auch die Unfallzahlen. Es passiert mehr, wenn Jugendliche gemeinsam
unterwegs sind.“
Sprecher:
Den Effekt der sozialen Gruppe wird Wouter van den Bos als nächstes untersuchen.
Dazu wird er die Freunde seiner Versuchspersonen zu den Experimenten einladen.
Vermutlich warten dann auch ältere Jugendliche nicht auf den großen Betrag,
sondern laden ihre Kumpel lieber direkt zu einem Eis oder Bier ein. Das unterschiedliche Tempo der Gehirnreifung ist also ein Grund für das Risikoverhalten von
Teenagern. Wouter van den Bos betont aber, dass auch Teenager durchaus
langfristige Ziele haben, in der konkreten Entscheidungssituation können sie nur
nicht schnell genug wirksam werden.
O-Ton Übersetzung:
„Unsere Schlussfolgerung lautet: es kann helfen, Teenager an ihre Ziele zu
erinnern, dann entscheiden sie oft vernünftiger.“
Sprecher:
Zumindest, wenn ihre Kumpel nicht in der Nähe sind.
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2015
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