Trauma-Wissen Geflüchtete

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06.06.2017
Trauma-Wissen
für die Arbeit mit geflüchteten Kindern
und Jugendlichen
Grundinformationen zur Neurobiologie,
Symptomatik und traumapädagogischen
Konsequenzen
8.6.17
Sabine Haupt-Scherer
Die Wirkung von Stress auf das menschliche Gehirn
Stabilisierung und Ausbau der
benutzten Bahnen
lernen
Stressbewältigung und
Erfolg der Abwehr
Dopamin als Körpereigenes
Belohnungssystem (Flow)
Bisher entstandene
Verschaltungen
(Fertigkeiten, Assoziationen,
Beurteilungen, Haltungen,
Selbstbild, Sinnkonstrukte)
Psychische Belastung
(Angst, Erregung,
Schmerz,Stressreaktion)
Kontrollierbare Herausforderung
Zeitlich begrenzte psychische Erregung
Nach Gerald Hüther
Auflösungen
von Verschaltungen
vergessen
Andauernde Belastung
Dauerhaft hoher AdrenalinNoradrenalin-und
Cortisolspiegel,Endorphine
Unkontrollierbare Anforderung
Dauerhaft hilflose
Erregung(Ohnmacht)
Scherer/Haupt-Scherer
1
06.06.2017
Was ist ein Trauma?
"Ein Trauma ist ein kurz oder lang anhaltendes Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher
Bedrohung und katastrophalem Ausmaß, das nahezu bei jedem Verzweiflung auslösen
würde." (ICD 10, 1991)
" ... potentielle oder reale Todesbedrohung, ernsthafte Verletzung oder Bedrohung der
körperlichen Unversehrtheit bei sich oder anderen (Neu: Augenzeugenschaft!), auf die mit
intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Schrecken reagiert wird." (DSM IV, 1994)
"Vitales Diskrepanzerlebnis zwischen
- bedrohlichen Situationsfaktoren und den
- individuellen Bewältigungsmöglichkeiten
von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe
in der Folge Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis." (Gottfried Fischer)
"Erinnerungsabzess" (Ulrich Sachsse)
"Traumata sind plötzliche, lang anhaltende oder sich wiederholende existentielle (Subjektiv oder
objektiv) bedrohliche Ereignisse, bei denen Menschen die sogenannte "traumatische Zange"
erleben." (Michaela Huber)
Sabine Haupt-Scherer/Uwe Scherer
„Traumatische Zange“
Existenziell-bedrohliches Ereignis
Angst Verzweiflung Schmerz
1. Anspringen des
Bindungssystems
Keine
2.
Fluchtmöglichkeiten
Hilflosigkeit
3. Keine
Kampfmöglichkeiten
Ausgeliefertsein
4. Starre
Körperempfindungen
Fragmentierte
Speicherung von
Wahrnehmungsinhalten
Ohnmacht
Dissoziation
Bilder
Verhaltensmuster
5. Unterwerfung
Nach Lutz U. Besser
Sabine Haupt-Scherer/Uwe Scherer
2
06.06.2017
„Traumatische Zange“
Existenziell-bedrohliches Ereignis
Angst Verzweiflung Schmerz
1. Anspringen des
Bindungssystems
3. Keine
Kampfmöglichkeiten
Keine
2.
Fluchtmöglichkeiten
Hilflosigkeit
Ausgeliefertsein
Dissoziation
4. Starre
Körperempfindungen
Ohnmacht
Fragmentierte
Speicherung von
Wahrnehmungsinhalten
Bilder
5. Unterwerfung
Nach Lutz U. Besser
Sabine Haupt-Scherer/Uwe Scherer
K
K
Verhaltensmuster
E
V
Muster
Körperinnenwahrnehmung
Optische Reize
Großhirnrinde
Thalamus
Präfrontaler Kortex
Gedanken
Wahrnehmungen
Gefühle
Emotionales
Gedächtnis
Amygdala
FaktenGedächtnis
Hippokampus
Nach Lutz U. Besser
Sabine Haupt-Scherer/Uwe Scherer
Broca
Sprachzentrum
3
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Körperinnenwahrnehmung
Optische Reize
Großhirnrinde
Thalamus
Gedanken
Präfrontaler Kortex
Wahrnehmungen
Gefühle
Emotionales
Gedächtnis
Amygdala
Fragmentierte
Speicherung
FaktenGedächtnis
Hippokampus
Nach Lutz U. Besser
Überlebenssicherung
Sabine Haupt-Scherer/Uwe Scherer
Ampel zu Sicherungsstrategien
Polyvagaltheorie nach Stephen Porges
Einschätzung
der Situation
Lebensbedrohung
Sicherheit
Gefahr
Sicherungsstrategien
Spontane Beziehung
Augenkontakt,
Gesichtsmuskeln,
Sprachmelodie
Defensive
Strategien
Flucht-/Kampfverhalten,
Mobilisation
Defensive Strategie
Bei Todesgefahr
abschalten,
Immobilisation
Verarbeitung:
autonomes
Nervensystem
Ventraler Vagus
myelinisiert
Social engagement,
Säugetierniveau,
Hemmung des
Sympathikus
Sympathikus
Vagus unterhalb
des Zwerchfells
wird gehemmt
Alter, dorsaler Vagus
Nicht myelinisiert,
(Winterreaktion, für
Säugetiere
potentiell tödlich)
Scherer/Haupt-Scherer
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Affektregulation durch Ruhe-bewahren
• Das Erregungsniveau von Sympathikus und
Parasympathikus orientiert sich an der sozialen
Umgebung (Affizierbarkeit, Ansteckung,
Panikbereitschaft).
• Bei erlernter (erhöhter) Panikbereitschaft ist die
Rückkehr in den sozial engagement-Bereich durch die
„Coolness“ des Bindungspartner möglich
(Bindungsperson verbleibt im steuerbaren grünen
Bereich).
• Wenn die Bindungsperson/Gruppe in die
Gegenübertragung der Überregung geht, löst sie
damit Flucht, Kampf oder dissoziative Prozesse bei
dem Gegenüber aus.
Scherer/Haupt-Scherer
., 9
PTBS / PTSD
Posttraumatische Belastungsstörung/ Post Traumatic Stress Disorder
Symptome, die eine erzwungene Nähe zum Trauma herstellen
(Wiedererleben)
•
•
•
•
•
Flashbacks
(Nachhallerinnerungen)
Alpträume
Panikattacken
Zwanghaftes Erinnern
Depression
•
•
Posttraumatisches Spiel
Reinszenierung im Spiel
Sabine Haupt-Scherer/Uwe Scherer
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PTBS / PTSD
Posttraumatische Belastungsstörung/ Post Traumatic Stress Disorder
Symptome, die die Nähe zum Trauma vermeiden
Eingeschränkte Spielfähigkeit
phobische Vermeidung von
Ereignis-„Auslösern“
Vermeidung von Ruhephasen
soziale Isolation/ Rückzug
Gefühl von Langeweile und Leere
emotionale Empfindungslosigkeit
Leben in Phantasiewelten
Alkohol-, Drogen-,
Medikamentenmissbrauch
Regression
Verlust von Entwicklungsfähigkeit
Dissoziative Phänomene (u.a.
Erinnerungslücken)
„Überbraves“ Kind
Sabine Haupt-Scherer/Uwe Scherer
PTBS / PTSD
Posttraumatische Belastungsstörung/ Post Traumatic Stress Disorder
Physiologische Reaktionen:
Übererregung
•
•
•
•
•
•
Herzrasen, Atemnot,
Beklemmungen
Unruhe, Schlaflosigkeit
Übersteigerte Wachsamkeit
(Vigilanz)
Konzentrationsstörungen
Kraftlosigkeit, Leistungsversagen
Schmerzen, Taubheits-,
Starreempfindungen
•
•
•
•
•
Angst vorm Zubettgehen
Hyperaktivität
Ungehorsam und Aggression
Provokation körperlicher Strafen
oder anderer Schmerzen
Extreme
Stimmungsschwankungen
Sabine Haupt-Scherer/Uwe Scherer
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Verlauf einer psychischen Schockwelle / Traumatisierung
Akute
Schockphase Belastungsreaktion
Intensität
PTSD
Integration
Dauer
Sabine Haupt-Scherer/Uwe Scherer
6. Werte und Normen
5. Körperregulation
4. Beziehungsfähigkeit
3. Selbstrepräsentation
2. Wahrnehmung und
Orientierung
1. Affekt- und Impulskontrolle
Strukturelle Säulen der Persönlichkeit
Scherer/Haupt-Scherer
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Schweregrad der Störung
Soziale Unterstützung
Trauma
Monotrauma
Multitraumata
Sequentielle
Traumatisierung
Entwicklungstraumata
Symptomatik
Akute Belastungsreaktion,
Anpassungsstörungen
Angst, Depression,
somatoforme
Störungen, Sucht
PTSD
Dissoziative komplexe
Störungen
Therapiedauer und Stabilisierung
Kompensation
Selbstheilung
Integration
Persönlichkeitsveränderungen
Scherer/Haupt-Scherer
Zeitachse, Schwere des
Traumas/Symptomatik/ Therapiedauer
Scherer/Haupt-Scherer
Entstehung sequentieller Traumatisierung
• Erlebnisse, die zur Flucht führen
• Erlebnisse während der Flucht
• Bedingungen im Zielland
Traumatherapie setzt gesicherte Lebensbedingungen voraus
Scherer/Haupt-Scherer
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Belastungserfahrungen von unbegleiteten,
minderjährigen Flüchtenden
Fluchtanlass
Ereignisse auf der
Flucht
Situation im
Gastland
• unfreiwillige
Flucht
• Anzahl erlebter
Traumata
• Kriegsereignisse
• Menschen
sterben gesehen
• Vergewaltigung
• Alter
• Bildungsniveau
• Aufenthalt in
Flüchtlingslagern
• Dauer der Flucht
• Alter bei der Flucht
• Schlepper/Grenzpersonal
• Fluchtbegleitung
• Übergriffserfahrung
• Länge des
Aufenthaltes
• Aufenthaltsstatus
• Kontakt zur Familie
• Wohnsituation
• Perspektiven von
Ausbildung, Beruf
und Geld
• Eingeschränkte
Handlungsoption
• Kulturschock
Beziehung
zur Familie in der
Heimat
• Wissen über den
Verbleib der Familie
• Geld schicken
• Familie nachholen
• Verpflichtung gegen
die Angehörigen
Scherer/Haupt-Scherer
Trauma-Pädagogik
•
•
•
•
•
•
Wahrnehmen (beschreiben, nicht werten)
Einordnen (traumaspezifisches Symptomverständnis)
Planen (pädagogische Maßnahmen)
Erklären (Psychoedukation)
Handeln – begleiten, begrenzen u. führen (Halt geben)
Üben, trainieren (Selbststeuerung, Selbstwirksamkeit,
Selbstfürsorge, Verhaltenstraining)
– „Nahrung“: körperlich, emotional, geistig
Scherer/Haupt-Scherer
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Gesprächsführung im Umgang mit Traumata
• Reorientierende Gesprächsführung („einen
Schritt voraus folgen“), Haltung eines Trainers
einnehmen
• Gesprächsführung, die die linke Gehirnhälfte
aktiviert und die rechte beruhigt (eher
einordnend als emotional tiefend) „empathische
Abstinenz“
• Arbeitsfähigkeit sichern, indem man den Affekt
wohl anklingen lässt, aber nicht vertieft.
Scherer/Haupt-Scherer
Pädagogische Arbeit mit der Psychodynamik
des Traumas
• Über die Bedeutung und Auswirkungen des Traumas
reden, nicht über die einzelnen Inhalte (situative Details)
Es geht um die Grammatik und nicht um die Inhalte.
• Psychoedukation zur Traumadynamik (Neurophysiologie)
• Symptomatisches Verhalten als Überlebensstrategie
würdigen (Konzept des guten Grundes)
Scherer/Haupt-Scherer
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„Safer“ Modell
• Stimulationsreduktion
(z.B. weg vom Ort des Traumas)
• Akzeptanz der Krise (des Ereignisses, der
Empfindungen, der Gefühle)
• Falsche Bewertungen korrigieren
• Erklärungen von normalen Stress-Reaktionen
• Rückführung in Alltagsroutine
Sabine Haupt-Scherer/Uwe Scherer
Hilfe für traumatisierte Kinder
•
•
•
•
•
•
•
•
Regelmäßiger Tagesablauf
Kein aufdringlicher Kontakt
Regeln und Konsequenzen besprechen
Über das Ereignis, die eigenen Reaktionen und Gefühle
(ohne zu tiefen) sprechen
Vor unkontrollierbaren hektischen Ereignissen schützen
(z.B. Kino, TV, Computer)
Keine Überreaktionen zeigen
Gefühl von Wahl und Kontrolle vermitteln; Erwachsene
haben den Überblick
Behandlung der Bezugspersonen ist die beste
Unterstützung für die Kinder (Größte Belastung:
Depressive, ängstliche oder erschöpfte Bezugspersonen)
Nach Alexander Korittko
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Sichere Bezugsperson
Tagesablauf-Rituale
Versorgung
Aufenthalt
Triggervermeidung
Pädagogik der
Sicherheit
Sicherheit
Trauma:
Existenzbedrohung
und Ohnmacht
Pädagogik der
Selbstwirksamkeit
Selbstwirksamkeit
Erfolgserlebnisse
Aufgaben
Feedback
Partizipation
Scherer/Haupt-Scherer
Vom pädagogischen Umgang mit
traumatisierten Kindern und Jugendlichen
•
Fünf zu beobachtende
Phänomene:
o zyklische Stimmungsschwankungen
o unzureichende Sprach- und
Gedächtnisleistungen
o hyperaktives Verhalten
o Wahrnehmungsstörungen
o Vermeidungsverhalten
Im Pädagogischen Umgang:
1. Einen dauerhaft sicheren Platz
ermöglichen
o
o
o
"Es ist gut, hier zu sein"
Mitgestalten des Platzes
ermöglichen
Rückzugsmöglichkeiten
2. Regressive Situationen meiden
o
o
o
nichts "Allzuschönes"
keine Entspannung, sondern
handfeste Lernmaterialien
Chancen für grobmotorische
Bewegungen
3. Eingegrenzte Erfahrungen
machen lassen
o
o
o
klare Regeln und Konsequenzen
kein Zwang zur Nähe
überschaubare Tagesstruktur
Scherer/Haupt-Scherer
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Vom pädagogischen Umgang mit traumatisierten
Kindern und JugendIichen
•
•
•
Trauma-zentrierte Gespräche
•
dosieren:
Vorsicht vor:
o Antriggern der chaotischen inneren
Affektstruktur
•
o durch Gespräch über das Trauma
(Gesichtsverlust, Scham,
Schutzlosigkeit)
Abstand durch Körpersprache
o wer sitzt in welchem Abstand
•
zusammen
o regeln aus der kontrollierenden
Distanz
Retraumatisierungen vermeiden
o keine häufigen Wechsel von Personen
und Orten
o keine Gewalt
o dosierter Medienzugang
Dosierte Leistungsanforderungen
o individuelle Erfolgsorientierung
o selbstgesteuerte Lernsituationen
o Vermeidung als Hilflosigkeit sehen
Flexible Pädagogik anstreben
o keine persönliche Konfrontation
o "Ich bin mit meiner ganzen Last
auszuhalten"
o Prinzip der Zuversicht vermitteln
Negative Identifizierungen und
Gruppenbildungen vermeiden
o erlittene Ohnmacht wird durch
Gruppenbildung kompensiert
o neue "Starke" schaden neuen
"Schwachen"
o keine Re-Inszenierungen traumatischer
Erfahrungen
Scherer/Haupt-Scherer
Beruhigen und Sicherheit herstellen
• Selbst sicher und körperlich ruhig bleiben
(Porges)
• Trigger möglichst vermeiden
• Schutzräume schaffen
• Versorgung sicherstellen
• Regelmäßige Tagesstruktur schaffen
• Gruppendynamik begrenzen
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Handlungsfähigkeit und
Selbstwirksamkeit ermöglichen
•
•
•
•
•
•
Eher ermächtigen als helfen
Gefühl von Wahl und Kontrolle ermöglichen
Aufgaben geben
Bewegung anregen
Kreativen Ausdruck ermöglichen
Kinderrechte für Geflüchtete
Scherer/Haupt-Scherer
Traumadynamik verstehen und
verständigen
• Verstehen, was in meinem Gegenüber vorgeht
(Konzept des guten Grundes)
• Fokus auf Über- und
Untererregungsphänomenen
• Psychoedukation, wo das sprachlich möglich
ist (jemandem erklären, was mit ihm und
anderen los ist)
• An der Steuerung arbeiten
Scherer/Haupt-Scherer
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Was ich nicht machen sollte:
• Selbst in Aufregung geraten
• Schwieriges Verhalten mit einer
Beziehungsbotschaft verwechseln
• Gegenleistung erwarten
• Einzelheiten berichten lassen
• Unabgesprochen Körperkontakt herstellen
Scherer/Haupt-Scherer
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