Prädiabetes St.Wendel, 06.12.2008 Dr.Stefan Feidt Facharzt für Allgemeinmedizin, Diabetologie, Sportmedizin Gemeinschaftspraxis Dr.Feidt-Dr.Lenthe, Oberkirchen Evolution zum modernen Menschen: Adipositas und Diabetes H. Australopithecus H. erectus Millionen Jahre H. sapiens H. McDonald’s 50 Jahre Übergewicht fördert Diabetes Direkte Kosten des Diabetes pro Patient in Deutschland (KODIM 2001) Aufteilung Kosten nach Grundkrankheit und Komplikationen Diabetes-abhängige direkte Kosten 2.193 € = 49% Sonstige Komplikationen 32 € = 1 % (nur Krankenversorgung) Diabetes-unabhängige direkte Kosten 2.264 € = 51% (nur Krankenversorgung) Augenkomplikationen 99 € = 2 % Nierenkomplikationen 359 € = 8 % Diabetisches Fußsyndrom 430 € = 10% Kardiale u. cerebrale Erkrankungen 643 € = 14 % Entgleisungen des Zuckerstoffwechsels 88 € = 2 % Grundkrankheit 542 € = 12 % PRÄDIABETES = GESTÖRTE GLUKOSETOLERANZ Nüchtern-BZ ≥ 110 und <126 mg/dl* [bei Verwendung von Kapillarvollblut ≥ 100 und <109 mg/dl] [im amerikanischen Schrifttum = „impaired fasting glucose“ (IFG)] oder 2h-Wert im OGTT ≥ 140 und < 200 mg/dl* [im amerikanischen Schrifttum = „impaired glucose tolerance“ (IGT)] *gemessen im venösen Plasma Nationale Versorgungs-Leitlinie 2002 DIABETES MELLITUS typische Symptome & Gelegenheits-BZ von ≥ 200 mg/dl* oder wiederholte Bestätigung eines Gelegenheits-BZ ≥ 200 mg/dl* oder Nüchtern-BZ ≥ 126 mg/dl* [bei Verwendung von Kapillarvollblut ≥ 110 mg/dl] oder 2h-Wert im OGTT ≥ 200 mg/dl* *gemessen im venösen Plasma Achtung: Diagnose anhand der genannten Kriterien nicht bei schweren Erkrankungen oder nach Operationen möglich !! Nationale Versorgungs-Leitlinie 2002 ca. 7 - 8% der deutschen Bevölkerung sind Diabetiker, davon sind 5% Typ 1 Diabetiker (ca. 6 Millionen Typ 2 Diabetiker, ca. 300000 Typ 1 Diabetiker) Palitzsch et al. Diab Stoffw 8 : 189 (2000) Die Häufigkeit des unentdeckten Diabetes in der Altersgruppe 55 – 74 Jahre ist nahezu ebenso hoch wie die des bekannten Diabetes (ca. 8 %) Rathmann et al. Diabetologia 46 : 182 (2003) Bereits bis 2010 wird sich die Diabeteshäufigkeit auf 10% erhöht haben Verteilung der gestörten Glukoseregulation in der Bevölkerung • Hohe Dunkelziffer von Prädiabetes in Deutschland: Frauen Männer 9.8% normal 16.8% erhöhte NüchternGlukose gestörte Glukosetoleranz 4.5% 16.0% normal 64.7% 54.7% 9.7% 9.0% 45.3% neu diagnostizierter Typ-2 Diabetes Bekannter Typ-2 Diabetes 6.9% 7.9% 35.3% KORA-Register: n=1353 Einwohner der Region Augsburg (55-74 Jahre) Blutglukoseregulation: ein Prozess, an dem mehrere Organe beteiligt sind Zentrales Nervensystem • • Nahrungsaufnahme & Sättigung Hormonregulation Bauchspeicheldrüse • • Betazellen: Insulinausschüttung Alphazellen: Glukagonausschüttung Verdauungssystem • • Glukoseaufnahme Inkretinhormone Periphere Zielgewebe Muskel: Glukoseaufnahme und -Verwertung • Leber: Zuckerneubildung • Stoffwechselveränderungen beim Diabetes mellitus Typ 2 verminderte Glukoseverbrennung verminderte Glukoseaufnahme verminderte Fettspeicherung gesteigerte Glukoseneubildung gesteigerter Fettabbau gesteigerte VLDL-Bildung vermehrte Freisetzung freier Fettsäuren Insulinresistenz ist die Hauptursache des Typ 2 Diabetes Insulinresistenz Nüchternblutzucker Insulinproduktion Zeit Normal Kompensationsphase Manifester Diabetes INSULINSEKRETIONSSTÖRUNG Insulinsekretion bei Insulinresistenz Insulinsekretion bei Gesunden Bedeutung des Nüchtern- Blutzuckers Modifiziert nach DeFronzo , Metabolism 1989; 384: 387-95 Bedeutung des Nüchtern- Blutzuckers Modifiziert nach DeFronzo , Metabolism 1989; 384: 387-95 Folgen des erhöhten Nüchtern- Blutzuckers Mod. nach Wei et al.,Diabetes Care 1998; 21:1167-72 Alltag in Deutschland? Der Taillenumfang hat einen starken Bezug zum Bauchfett 300 vorne r = 0,80 IAA (cm2) Bauchfettgewebe Unterhautfettgewebe dorsal 200 100 0 60 80 100 120 Taillenumfang (cm) Grenzwerte unabhängig von der Körpergröße! Männer < 94 cm Frauen < 80 cm Vermehrtes Bauchfett erhöht das Risiko für Typ 2 Diabetes Carey V.F. et al. Nurses Health Study Am.J.Epidemiol. 1997;145: 614-19 Apfelform Birnenform Fettabsaugung führt nicht zu einer Verminderung des kardiovaskulären Risikos ! Diabetestherapieziele -Allgemein • Erhaltung der Lebensqualität • Erreichung realistischer individueller Behandlungsziele • Aufhalten des Fortschreitens des Diabetes • Vermeiden von Folgeerkrankungen • Verbesserung der Prognose • Gewichtsreduktion mit Verbesserung der Stoffwechselsituation • Kontrolle des Stoffwechsels nüchtern, während und nach dem Essen Diabetestherapieziele - Speziell • Verbesserung der Insulinwirkung • Aufheben der Insulinresistenz • Erhalt der Masse und der Funktion der Betazellen • Vermeidung von Hypoglykämien • Vermeidung von Nebenwirkungen Prävention Patientenschulung und -motivation Gewichtsreduktion Ernährungsumstellung Medikamentöse Behandlung Körperliche Bewegung Behandlungsoption - Lebensstiländerungen Risikofaktoren für Typ 2 Diabetes Körpergewicht , Fitness und Gesamtsterblichkeit Wei, M. et al. JAMA 1999; 282:1547-53 Therapieziel: Reduktion des Gesamtrisikos Grundlagen Lebensstil Inflammation Dyslipidämie Atherosklerose Hyperglykämie Folgen Diabetes mellitus Koronare Herzerkrankung Thrombose (ACS) Ess. Hypertonie (Insulinmangel, Insulinresistenz) Übergewicht (Taillenumfang) Cerebrale Durchblutungsstörung Entwicklung des Typ-2 Diabetes: Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Therapie postprandial optimales Fenster Plasmaglukose ? nüchtern 126 mg/dl Insulinresistenz relative BetazellFunktion Insulinsekretion - 20 - 10 0 10 20 Diabetes-Manifestation (Jahre) mod nach Int Diabetes Center (IDC), Minneapolis, USA (2005) 30 Welche Verhaltensänderungen sind entscheidend? 1. Gewichtsreduktion 2. Steigerung der körperlichen Aktivität 3. Steigerung des Anteils faserhaltige Ballaststoffe an der Nahrungsaufnahme 4. Verringerung der glykämischen Last 5. Verringerung des Fettanteil der tgl. Nahrung sowie 6. Verringerung der gesättigten Fettsäuren an der tgl. Nahrung. Schwarz P. et al. TUMAINI Präventionsprogramm, Diabetes und Stoffwechsel 09/2003; , Tuomilehto et al. N Engl J Med 2001; 344: 1343-50., Copyright 2002 © Massachusetts Medical Society Welche Untersuchung für wen? Messung des Nüchternzuckers und eines 2h-Zuckers nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit ab dem 45. Lebensjahr → bei Normalwert: Wiederholung der Messung nach 3 Jahren Frühere (und häufigere) Messung bei folgenden Risikofällen: Übergewicht (BMI > 27 kg/m²) positive Familienanamnese (Verwandter 1. Grades) Bluthochdruck Fettstoffwechselstörung Z.n. Schwangerschaftsdiabetes Z.n. Geburt eines Kindes mit einem Geburtsgewicht > 4500g Frauen mit bekanntem polyzystischem Ovarsyndrom bekannte pathologische Glukosetoleranz Optimalerweise Durchführung eines Zuckerbelastungstestes (OGGT) Zuckerbelastungstest OGGT Durchführung: • Nach dreitägiger kohlenhydratreicher Ernährung Bestimmen des Nüchternzuckers • Trinken einer standardisierten Zuckerlösung mit 75g Glucose • Messung des Blutzuckers nach 1 und 2 Stunden Kosten: ~ 15 € Vorteil: Frühere Diagnosestellung bereits im Stadium des Prädiabetes ! Sie sind am Zug ! Ursachen des Diabetes mellitus Typ 2 Polygenetische Veranlagung Gesteigerte Zuckerneubildung in der Leber Downregulation des GLUT4 (➪ Glukosetransport in die Muskulatur ↓ ➪ Glykogensynthetaseaktivität ↓ ) Fortschreiten der Insulinresistenz durch Ausschüttung von Zytokinen/Hormonen in Fettzellen gestörtes Insulinausschüttungsmuster Insulinsekretionsmuster im OGTT in verschiedenen Phasen der Diabeteserkrankung Messung des Taillenumfangs: Taille Maßband um den bloßen Bauch, knapp über den Hüftknochen anlegen Darauf achten, dass das Band fest anliegt, aber die Haut nicht eindrückt Das Band sollte parallel zum Boden, in der Mitte zwischen Beckenkamm und dem unteren Rippenbogenrand auf jeder Seite liegen Der Patient sollte dabei entspannt sein und während der Messung ausatmen http://win.niddk.nih.gov/publications/tools.htm#circumf Warum ist die frühe Phase der Insulinsekretion so wichtig? sofortige Antwort auf den Glukosereiz Abnahme des Appetits bei Insulinwirkung auf zentrale Rezeptoren Hemmung der Glukoseproduktion in der Leber Hemmung der Lipolyse Sensibilisierung der peripheren Gewebe für die Glukoseaufnahme Anstieg von NO, damit Gefäßerweiterung und RR-Abfall Garber et al. Int J Obes (2000) 24 Suppl. 3, 32 Aktuelle Therapieformen können den Betazellverlust nicht aufhalten: Neue Therapieziele Progressiver Betazellverlust bereits zum Diagnosezeitpunkt Betazellfunktion (%)* 100 80 nktion u f l l e z r Beta e d n asse stitutio n m l o l k e e z R eta und B 60 40 Sulfonylharnstoff Diät 20 Metformin 0 –5 –4 –3 –2 –1 0 1 2 3 4 5 6 Jahre seit der Diagnose *Betazellfunktion berechnet durch Homeostasis Model Assessment (HOMA) mod. nach: UKPDS 16; Diabetes 1995, 44:1249–1258. . Holman RR. Diabetes Res Clin Pract 1998; 40(Suppl.):S21–S25 Determinanten des metabolischen Syndroms IDF 2005 Management des Metabolischen Syndroms • Zur Reduzierung des Risikos kardiovaskulärer Erkrankungen ist eine zielgerichtete und aggressive Therapie erforderlich • Eine Änderung des Lebensstils sollte die erste Maßnahme sein • Eine medikamentöse Therapie könnte vorteilhaft sein bei: – Glukoseintoleranz/ Typ-2-Diabetes – Adipositas – Hypertonie – Dyslipidämie • Im Idealfall sollte eine Behandlung alle Komponenten des Metabolischen Syndroms ansprechen und nicht nur einzelne Faktoren Internationale Diabetes-Föderation, am 1. internationalen Kongress zu “Prädiabetes und Metabolischem Syndrom” (2005) in Berlin Insulinsekretion Insulinresistenz und Insulinsekretion IGT Typ 2 Diabetes Insulinsensitivität NGT