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FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 19. JANUAR 2014, NR.
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er ordendiche Volkswirtschafisprofessor
der Universität MagdeburgJoachim Weimann ist in den letzten Wochen zu einem Widerstands-
kimpfer geworden.
Zumindest
schon einmal menal. Er sitzt vor
Schmandkuchen und Kaffee und
hegt Revolte-Phantasien: en Z,eltdorf, Sizblockaden, was einem so
einfillt, wenn einem ein Windpark
vor die Nase gepflanzt wird.
Zum harten Kern der Widerstandsgruppe ,,Windkraftgegner
Elm", der sich an der Kaffeetafel
im Klostergut Hagenhof bei Königslutter.versammelt, gehören neben dem Okonomen ein pensionier-
ter VVV-Manageq ein Polizist, ein
Strommanager,
ein
Autohändler,
eine Bürofachlraft, ein SiemensManager und Felicitas Naundorf.
Sie ist die
Landwirtin auf dem Klos-
tergut, und von
ihr wird
später
noch zu reden sein.
Soziokulturell betrachtet, haben
sich hier nicht gerade qpische
Staatsfeinde versammelt. Dass sie
es werden könnten, ahnt man,
wenn man die Büroangestellte sagen hört: ,,Wir kämpfen hier bis
zum Letzten" Heute treffen sie
sich, um eine Bürgerversammlung
am nächsten Tag zu besprechen,
für die sie heftig getrommelt haben. Den großen Saal in einem nahen Landgasthof haben sie dafüt
gemietet. Nun hoffen sie, dass sie
sich nicht mit leeren Pläzen bla-
mieren, weil die Leute lieber die
Alpenidylle 1m ZDF sehen wollen
in der Serie ,,Der Bergdokor".
In Berlin beschweren sich die
Grünen im Einklang mit der Ökostromlobby, dass die Energiewende
nicht vorangeht. Und der neue
Wirtschafisminister Sigmar Ga.
briel, ein Mann aus der bedrohten
Gegend, lässt gerade ein Eclgunktepapier schreiben. Hier im NordElm, unweitvon Braunschweig, bekommt man einen besonders guten
Eindruck davon, was ,,Energiewende endlich umsetzen" heißt.
Die Widerstandsgruppe hat sich
gefirnden, um die liebliche Landschaft am Rande des Elms vor einem Windpark mit bis zu r9 Anlagen zu bewahren. Die Leute reden
hiervon der Toskana Norddeutschlands. Erst möchte man witzeln
über die lokalpatriotischeÜTberhöhung, aber dann sieht man in sehr
ernste Gesichter von Leuten, die
wegen der halbwep intaken Oase
hierhergezogen sind.
WEr die AutobaEr zwischen
Braunschweig und Helmstedt Richtung Süden verlässt, kornmt in die
leicht hügelige Gegend. Königslutter liegt hier mit dem lnapp 9oo
]ahre alten Kaiserdom, der kürzlich
für achtMillionen Euro liebevoll saniertwurde. Und die eherunspektakuläre Gemeinde Süpplingen.
Hier wohnt der Professor Weimann, ein renommierter Ökonom,
mit Frau und Kindern. Sie besitzen
ein großes Haus, das erhöht steht.
Von der Terrasse haben die Weimanns eine außergewöhnlich schöne Aussicht: Der Blick fillt auf ei-
nen leicht gewellten Landstrich,
hinter dem einzelne Dächer und
die Kirchtärme Königlutters herausragen. Dahinter erhebt sich der
Gebirgszug des Elms, auf dem
Deutschlands schönster Buchen-Eichen-Wald wächst. Das behaupten
die regionalen Jburismuwermarkter zumindest.
Genau
in diese Sichtachse wür-
de derWindparkgerammt. Der be-
sondere Reiz des Weimannschen
Hauses wäre perdu. Der Ökonom
fühlt sich nicht nur
seines ästheti-
schen Genusses beraubt, sondern
seiner ganzen Immobilie und damit der Lebensplanung der Fami-
lie.
Seine Rechnung geht
so:
Wenn die Monsterräder kommen,
dann wird keiner mehr nach Süpplingen ziehen wollen, eher im Gegenteil. Denn außer Landschaft
und Ruhe gibt es hier nicht viel.
Sein Plan, nach seiner Pensionierung das Haus zu verkaufen, um in
eine größere Stadt zu ziehen, wäre
zu verwirklichen. Der
Volkswirt Weimann spricht von
schwerer
enschädigungsloser Enteignung.
Sie treffe jeden im Umkreis des
Windparks.
Dessen besondere Dimension ist
vielen Leuten noch nicht klargewor-
den, glaubt Weimarur. Nicht nur,
dass eine 4oo Fußballfelder umfassende Fläche als sogenanntes Potentialgebiet reserviert ist. Die Windräder der neuen Modellreihe sind
hoeh, dank einer atemberaubenden
technischen Entwicklung. Das Beste vom Besten ist heute die Enercon rr5, ein Prachtstück ostfriesi-
scher Ingenieurskunst. Die neue
Baurefüe hat eine Nabenhöhe von
bis zu r,49 Meter. Rechnet man den
halben Rotordurchmesser
dazu,
werden die Anlagen über zoo Meter hoch, sie überragen damit nicht
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Weiter führt der Spitzenbeamte
aus, dass alle Eingaben der Bärger
tich Schobert sagt. Deren Schutz
hätte Vorrang. Deswegen richten
sich die Hoffrrungen auf einen Spa-
zierganger, der Täg für Täg durch
die
die Landschaft spaziert und
Tierwelt dokumentiert: Dringend
gesucht sind seltene Greifvögel
oder seltene Fledermäuse.
Die Energiewende spaltet Parteien, Okoorganisationen, Dörfer und
Familien. Auf der einen Seite sind
die Profiteure, die pottischen Üherzeugungstäter und die politischen
Karrieristen, auf der anderen Seite
sind zunehmend Naturschützeq
die Stromkunden und die normalen Leute, die einen Windpark in
ihrer Nfüe ertragen müssen.
Der geplante Windpark Süpplingen ist, daraufweist der zuständige
Spitzenbeamte Jens Palandt hin,
kein Ak der Willkür, sondern Folge einer politischen Entscheidung
des Zrreckverbands Großraum
Braunschweig. Dieses Gremium ist
in der Großregion zuständig fiir
die Regionalplanung.
Und Jens Palandt ist der Mann,
der das Projek nun, wie ihm Beobachter bescheinigen, mit viel Fleiß
exekutiert. Mehr als 9o Bürgerversammlungen hat er inzwischen be-
sucht, sagt er gleich und unterstreicht, wie transparent das ganze
Verfahren sei. Der Beamte umschreibt die politische Vorgabe für
die Nutzung der Windenergie im
Großraum Braunschweig so: Flä-
che der Windparls verdoppeln,
Leistung verdreifachen in den
nächsten sechsJahren. Dieser Neu-
ausrichtung des Flächenprografilms ist zu verdanken, dass
plözlich Süpplingen nicht mehr
tabu ist, die alte Fünf-Kilometerschutzzone rund um den Elm löchist.
rig geworden
Das ist eine neue Entwicklung,
die die lokalen Politiker hier offenbar komplett überrascht hat. Doch
Vergleichbares ist in ganz Deuschland zwangsläufig: Alte Schutzzo-
berüclsichtigt würden, viele aber
noch nicht gekommen seien. Auch
alle sogenannten täger öf[entlicher Belange würden gehört.
Das Bemerkenswerte an diesem
Raumplanungpverfahren für den
Großraum Braunschweig ist, dass
die unmittelbar betroffenen Gemeinden kein Mitbestimmungsrecht haben. Ihre Rolle reduziert
sich darauf, angehört zu werden
wie Behörden, Vereine, Verbdnde
und Versorgungpunternehmen. Eines ist aber auch klar: Wenn die
Einwdnde nicht triftig sind, dann
sind die Anlagen kaum zu verhindern. Denn Betreiber haben einen
Rechtsanspruch auf die Baugeneh-
migung. Der Bürgermeister von
Königslutter dürfte das aushalten
können. Er findet, dass von dem
Windpark die Welt nicht untergehe. Vielleicht spekuliert er auf die
Gewerbesteuer. Die Süpplinger dagegen laufen langsam Sturm. Der
Beamte Palandt sagt, dass man ja
nicht für die Energiewende sein
könne und gleichzeitig dagegen,
wenn sie konlret wird. ,,Nach dem
Motto: Wasch mir den Pelz, aber
mach mich nicht nass."
Das allerdings wird man zumindest dem kämpferischen Professor
Weimann nicht vorwerfen können.
Er l«ämpft seit 15 Jahren ziemlich
unermüdlich in Vorträgen gegen
die Energiewende, die er im Grunde für hirnverbrannt hält. Klimaschutz und Atomausstieg ließen
sich auch zum kleinen Bruchteil jener einen Billion Euro erreichen,
die die Energiewende mindestens
koste.
Doch jetzt ist aus dem wissenschaftlichen Vortragsredner ein Aktivist geworden. Ein Täg ist vergangen, und im Landgasthof ,,Süpplinger Hof" hat jene Bürgerversamm-
lung begonnen, für die Weimann
und seine Widersandstruppe
so
emsig getrommelt haben. Die Sor-
ge vor leeren Plätzen, das zeigt
tioniert nur so.
sich, war unbegrütrdet: Es ist brechend voll im großen Kneipensaal.
Weimann steht auf der Billrne und
fihrt alles auf in seiner Präsentation: Er zeigt ein Video, wie ein
Windrad einen Vogel tötet. Er refe-
Jens Palandt sagt auch, in anderen Bundesländem stünden die neu-
riert über Infraschall, über Lärm,
über den Schlagschatten, der bis in
nen verlieren ihre
Gültigkeit.
Denn irgendwo müssen sie ja ste-
hen, die neuen Windparks. ,,Energiewende endlich umsetzen" funk-
en Windräder ja sogar im Wald.
Tätsächlich hat sich zum Beispiel
die rot-grüne Regierung in Rheinland-Pfalz nicht gescheut, die Hö-
henzüge des Hunsrückmit Windrädern bestücken zu lassen.
die Wohngebiete reiche. Und dann
zeigt er die Simulation, die auch in
dieser Zeitung abgebildet ist. Der
Witz ist, dass es sich um eine unter-
triebene Darstellung handelt. In
der Realität werden die Anlagen
vermutlich viel höher.
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