"Der Dollar geht zu Boden" in Süddeutsche Zeitung (17. August 1971) Legende: Am 17. August 1971 berichtet die Tageszeitung Süddeutsche Zeitung über die mutmaßlichen Folgen für die internationale Wirtschaft, nach der Entscheidung der Vereinigten Staaten den Dollar vom Gold abzukoppeln. Quelle: Süddeutsche Zeitung. Münchner Neueste Nachrichten aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Sport. Hrsg. DÜRRMEIER, Hans ; Herausgeber HEIGERT, H. 17.08.1971, n° 196; 27. Jg. München: Süddeutscher Verlag GmbH. Urheberrecht: (c) Süddeutsche Zeitung URL: http://www.cvce.eu/obj/Der_Dollar_geht_zu_Boden_in_Suddeutsche_Zeitung_17_August_1971-de-7c2efa0af4a7-4f6b-8fa6-ed5fe8ec4347.html Publication date: 12/08/2011 1/3 12/08/2011 Der Dollar geht zu Boden VON WALTER SLOTOSCH In der Wochenendausgabe unserer Zeitung hieß die Überschrift über dem Leitartikel: „Unter dem Dollar tickt die Zeitbombe.“ Heute bereits ist die Bombe geplatzt. Was gestern die meisten noch für eine dramatische Prognose hielten, ist über Nacht geschehen: Der Dollar ist als Leitwährung zu Boden gegangen. Eben noch ein kompromißloser Verfechter einer liberalen Marktwirtschaft und betonter Gegner einer staatlichen Intervention, hat Amerikas Präsident Nixon nach drei Tagen intensiver Beratungen mit seinen Finanz- und Wirtschaftsexperten in der Nacht zum Montag die Konsequenzen aus der katastrophalen Vertrauenskrise gegenüber dem Dollar gezogen und ein Programm von Notmaßnahmen bekannt gegeben, die in aller Welt als Sensation einschlugen: Mit Ausnahme von Japan und Malaysia waren gestern unter dem Schock der Ereignisse nahezu alle wichtigen Devisenbörsen in der Welt geschlossen. Den Handelskrieg erklärt Was wir im Wochenendleitartikel als wahrscheinliche Konsequenz der Dollarkrise angekündigt haben, ist eingetreten: Die Goldeinlösung von Dollarnoten ist auch gegenüber fremden Notenbanken nunmehr vollständig aufgehoben. Der Dollar ist eine reine Papierwährung. Der für alle Welthandelsnationen folgenreichste Entschluß des amerikanischen Notprogramms ist die Einführung einer Einfuhrsteuer von zehn Prozent. Sämtliche Importe nach den Vereinigten Staaten verteuern sich dementsprechend auf dem amerikanischen Markt. Das bedeutet eine erhebliche Benachteiligung gegenüber der amerikanischen Konkurrenz. Dieser willkürliche Eingriff in den internationalen Wettbewerb durch eine direkte Importbesteuerung wird allgemein als ein grober Verstoß gegen die Regeln des internationalen Abkommens über Handel und Zölle (GATT) angesehen. Der Wettbewerb auf dem amerikanischen Markt wird aber nicht nur durch die Einführung der neuen Importsteuer erschwert, sondern vor allem auch durch die gleichzeitig verfügte Aufhebung der siebenprozentigen Kaufsteuer für inneramerikanische Produkte, die den amerikanischen Produzenten gegenüber der ausländischen Einfuhrkonkurrenz einen weiteren Vorteil verschafft. Alles in allem ergeben sich daraus – man wird schon sagen dürfen – verheerende Auswirkungen für die deutsche Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten: Die De-facto-Aufwertung der Deutschen Mark nach dem Übergang zu freien Wechselkursen verteuert die deutschen Waren in den USA nach den gestern im Telephonverkehr gesprochenen Dollarkursen um rund neun Prozent. Dazu kommt die Einfuhrsteuer von zehn Prozent, das macht bereits 19 Prozent; die gleichzeitige Aufhebung der Kaufsteuer für amerikanische Produkte in Höhe von sieben Prozent vergrößert den amerikanischen Wettbewerbsvorteil auf dem amerikanischen Markt um 26 Prozent! Das ist schon fast eine amerikanische Handelskriegs-Erklärung. Nixon und seine Berater sind von der Vorstellung beherrscht, daß die amerikanischen Waren auf dem Weltmarkt diskriminiert werden. Vorwürfe dieser Art werden vor allem gegenüber der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und an die Adresse Japans erhoben. Noch weiß man nicht, wie sich der Dollarkurs entwickeln wird, wenn die Devisenbörsen wieder geöffnet werden. Darüber werden zur Stunde noch Beratungen in London geführt, wo der amerikanische Unterstaatssekretär Volcker die amerikanischen Maßnahmen erläutert. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Finanzen ist durch Staatssekretär Schöllhorn und Professor Hankel in London vertreten. Wenn der Dollarkurs nach Wiedereröffnung der Devisenbörsen noch weiter fallen sollte, womit man unter den gegenwärtigen Verhältnissen wohl rechnen muß, dann wird die Einfuhr nach Amerika für die internationale Exportwirtschaft noch zusätzlich über das oben errechnete Ausmaß hinaus erschwert. Schon jetzt aber kostet zum Beispiel ein Volkswagen auf dem amerikanischen Markt nach obiger Rechnung um 26 Prozent mehr als vor einem Jahr. Dies ist eine Marge, die einen amerikanischen Autokäufer durchaus abschrecken kann. Am stärksten betroffen sind die japanischen Lieferungen nach den USA, die in letzter Zeit einer massiven amerikanischen Kritik ausgesetzt waren. Rund ein Drittel der gesamten japanischen Ausfuhr geht nach den USA. Japan wir also mit allen Mitteln versuchen, einen Ersatz für die vorhersehbaren Ausfälle durch Exporte in andere Länder zu finden. Dies wird sich mittelbar auch auf die deutsche Ausfuhr auswirken, da 2/3 12/08/2011 die Exporteure der Bundesrepublik nun mit einem Wettbewerb bis aufs Messer von seiten der japanischen Exportindustrie rechnen müssen. Es liegt auf der Hand, daß Nixons Notmaßnahmen nur von kurzer Dauer sein können. Es handelt sich wohl weniger um ein Sanierungsprogramm als vielmehr um ein massives taktisches Druckmittel, mit dem Washington einige Länder, die bisher freiwillig nicht dazu bereit waren, zu einer Aufwertung ihrer eigenen Währungen gegenüber dem Dollar zwingen will. Die Goldparität des Dollars nämlich möchte die amerikanische Regierung nach wie vor nicht verändern. Wenn man in Washington heute betont, daß es sich bei den Maßnahmen nicht um eine Abwertung des Dollars handelt, dann ist dies nur die halbe Wahrheit. Was die Einfuhr nach Amerika betrifft, kommen die getroffenen Beschlüsse in ihrer Wirkung de facto durchaus einer Dollarabwertung gleich. Für die amerikanischen Ausfuhren aber bleibt alles beim alten. Die Exportsituation wird ernst Wir wollen nicht so weit gehen wie der amerikanische Senator George McGovern, der Nixons Programm „eine wirtschaftliche Tollheit“ nannte und ein „Sammelsurium von Geschwätz, Irrelevanz und Rätseln“ oder Professor Kenneth Galbraith von der Harvard-University, der von „einem Schritt nach vorn und zwei Schritten zurück“ sprach; es wird aber erlaubt sein, in diesen jüngsten drastischen amerikanischen Maßnahmen weniger ein Sanierungsprogramm zu sehen als vielmehr eine dramatische Rettungsaktion, die nur dadurch begreiflich erscheint, daß die Vertrauenskrise gegenüber dem Dollar ein Ausmaß erreicht hat, das nicht länger durchzustehen war. Auch der Hinweis von Präsident Nixon, daß diese Maßnahmen solange aufrecht erhalten werden, bis die Diskriminierung der amerikanischen Exporte auf dem Weltmarkt aufhört, läßt deutlich erkennen, daß diese Aktion als eine handelpolitische Pression gedacht ist. Die Ausschaltung der internationalen Konkurrenz auf dem amerikanischen Markt kann niemals dazu beitragen, die amerikanische Inflation zu bekämpfen, was Nixon andererseits als einen Hauptpunkt seines Programms bezeichnet. In Wirklichkeit wird das Gegenteil bewirkt. Für die deutsche Wechselkurspolitik hat sich eine vollkommen neue Situation ergeben. Eine Fortsetzung der freien Kursbildung für die Deutsche Mark wird nicht ohne weiteres möglich sein. Ein noch stärkerer Aufwertungseffekt könnte zu einem Ruin der Ausfuhr führen. Wenn die Deutsche Bundesbank andererseits wieder dazu übergeht, Dollars zu kaufen, um einen Kursanstieg zu begrenzen, dann stehen wir wieder vor dem Problem einer unerwünschten, weil inflationsträchtigen Ausweitung des deutschen Geldvolumens. 3/3 12/08/2011