Hölle armer Frauen

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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Wissen - Manuskriptdienst
Hölle armer Frauen
Der Leidensweg von Müttern in Entwicklungsländern
Autor: Thomas Kruchem
Redaktion: Udo Zindel
Regie: Iiris Arnold
Sendetermin: 29. September 2009, 8.30 Uhr, SWR2 Wissen
Erstausstrahlung 2008
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Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt.
Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen
Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula
(Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in
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2
Spr.:
Weiß gestrichene Pavillons, blühende Rhododendren; dazwischen auf Bänken junge
Mädchen; strickend, einander die Haare flechtend; gackernd, giggelnd wie Teenager
weltweit.
Spr.:
„Diese Mädchen sind durch die Hölle gegangen“, sagt Ruth Kennedy, Hebamme und Leiterin
des „Fistula Hospital“ in Addis Abeba – des weltweit einzigen Krankenhauses für solche
Mädchen. Die hoch gewachsene Australierin nimmt liebevoll ein vielleicht 17-jähriges
Mädchen in den Arm, das ihr kaum bis zu den Schultern reicht. Die kleine Almas, gekleidet in
ein hellblau geblümtes Nachthemd und ein schwarz-rot-grün gestreiftes Kopftuch, lächelt wie
selig aus ihrem mit Tätowierungen bedeckten Gesicht – allem Leid, das sie erlebt hat, zum
Trotz.
Ansage:
Hölle armer Frauen - der Leidensweg von Müttern in Entwicklungsländern, eine Sendung
von Thomas Kruchem.
OT Almas (tigreisch)
Übersetzerin: Ich bekam mein Kind mit 15. Die Wehen dauerten vier Tage; und ich wurde
fast verrückt vor Schmerzen. Das Kind kam tot zur Welt; und ich war nach der Geburt
ständig krank. Urin rann aus mir heraus, ich fühlte mich schwach und elend. Als mein Mann
den Uringeruch nicht mehr aushielt, baute er mir eine eigene Hütte etwas abseits. Er gab mir
aber immer genug zu essen; und als er nach einem Jahr von diesem Krankenhaus hier
hörte, lieh er sich Geld von seinem Vater und brachte mich sofort hierher.
Spr.:
Mädchen wie Almas, erklärt Ruth Kennedy, bekommen in den Bergdörfern Äthiopiens selten
genug zu essen. Viele sind seit frühester Kindheit mangelernährt; sie sind kleinwüchsig; ihr
Becken ist unzureichend ausgebildet – mit dramatischen Folgen für die erste Entbindung:
Der Kopf des Babys findet keinen Weg aus dem Körper der Mutter.
OT Kennedy (She...died)
Übersetzerin: Ein solches Mädchen hat Wehen über drei, vier, fünf Tage – bis das Baby
stirbt und sein Schädel wegen des nachlassenden Innendrucks kollabiert. Der tote Körper
kann jetzt den Mutterleib verlassen und liegt anschließend im Staub neben der Mutter. Sehr
oft stirbt die Frau dann an einer Blutvergiftung; oder sie erliegt einer Embolie. Und für die
meisten, die überleben, wäre es besser gewesen, sie wären gestorben.
Spr.:
Junge Frauen, die durch den tagelangen Druck des Babyköpfchens auf Geburtskanal und
Becken, massive Quetschungen erleiden. Schließlich stirbt Gewebe ab und zwischen Vagina
und Blase, zwischen Vagina und Enddarm entstehen Löcher; es kommt zu Verwachsungen.
Die Mediziner sprechen von Scheidenfisteln. Die Frauen werden inkontinent.
Spr.:
Die Scheidenfistel ist eine bei uns seit hundert Jahren vergessene Folge dramatischer
Schwierigkeiten bei der Entbindung. Nur sehr wenige Frauen sterben hierzulande bei der
Geburt oder erleiden schlimme Verletzungen. Ganz anders in der so genannten „Dritten
Welt“: mehr als eine halbe Million Frauen sterben dort Jahr für Jahr an der Geburt eines
Kindes; zehn Millionen tragen dauerhaft Schäden davon; zu den schlimmsten zählt die Fistel.
In entlegenen Dörfern Afrikas, der arabischen Welt und Südasiens erleiden jährlich bis zu
300.000 Frauen dieses Trauma; bis zu fünf Millionen leben damit – ein elendes Dasein am
Rande der Gesellschaft, das bedrückender kaum vorstellbar ist. In Äthiopien etwa findet die
australische Hebamme Ruth Kennedy Patientinnen häufig im Busch, wo sie wie Aussätzige
dahin vegetieren.
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Atmo Fistula-Zentrum Dhaka
Spr.:
Tausende Kilometer vom äthiopischen Tigray entfernt, im Universitätskrankenhaus von
Dhaka, Bangladesh, führt ein langer, dunkler, von Ventilatoren belüfteter Gang zu einer
Gittertür mit dem Schild „Nationales Zentrum für das Management der Scheidenfistel“. In
einem weiß gekachelten Raum zwölf rostige Metallbetten, bedeckt mit blauen Plastiksäcken,
auf denen junge Frauen hocken, nähend, diskutierend. Uringeruch hängt in der Luft. Eine
etwas ältere Frau füttert ihre kleine Tochter – während die Strahlen der Abendsonne durch
ein kleines Fenster den gelb-orangenen Sari Mojina Begums beleuchten und das bittere,
starre Gesicht der 25-Jährigen beinahe wie tot erscheinen lassen.
OT Mojina Begum (Bangla)
Übersetzerin:
Ein Jahr nach der Heirat war ich schwanger. Ich wusste erst gar nicht, was da passierte und
wartete ab – bis irgendwann die Wehen begannen. Als ich nach drei Tagen vor Schmerzen
immer wieder ohnmächtig wurde, brachten mich meine Schwiegereltern ins Krankenhaus
von Rampur. Dort holten die Ärzte das tote Baby mit einer Saugglocke. Mich schickten sie
nach Hause, obwohl ich noch blutete und vor allem Urin verlor. Als auch nach einigen
Wochen weiterhin Urin kam, wurde mein Mann wütend: „Erst bist du zu dumm, ein Kind zu
bekommen“, sagte er. „Und jetzt stinkst du auch noch.“ Schließlich schickte er mich zurück
zu meinen Eltern und erklärte, er sei von mir geschieden.
Spr.:
Das Fistula-Zentrum an der Dhakaer Universitätsklinik wurde 2004 gegründet, erklärt die
Leiterin des Zentrums, Professorin Sayeba Akhter, in ihrem geschmackvoll eingerichteten
Büro. Derzeit werden etwa 150 Frauen pro Jahr behandelt. „Viel zu wenig“, sagt die
Chefärztin mit zornblitzenden Augen hinter ihrer randlosen Brille und brandmarkt im gleichen
Atemzug den Umgang mit Frauen, die nicht perfekt funktionieren, in ihrer Heimat
Bangladesh.
OT Akhter (Everybody…disabled)
Übersetzerin:
Alle machen die Mutter für den Tod des Babys verantwortlich. Niemand will wissen, dass sie
ein gesundes Baby geboren hätte, wenn ihre Angehörigen sie rechtzeitig ins Krankenhaus
gebracht hätten. Nein, sie ist schuld am Tod des Babys – und an der Fistel die sie erlitten
hat. Möglichst schnell will die Familie ihres Mannes sie jetzt loswerden; der Mann lässt sich
von ihr scheiden; und sie erleidet, zu den körperlichen, auch noch schwere psychische
Schäden.
Spr.:
Bangladesh ist nur ein Beispiel. Weltweit sehen sich Frauen mit einer Scheidenfistel völlig
auf sich selbst zurückgeworfen, empfinden Erniedrigung, Scham, Einsamkeit und Trauer –
um das verlorene Kind, um die verlorene Familie. Sie verfallen in Depressionen; viele
begehen Selbstmord.
Spr.:
Opfer einer Fistel werden fast ausschließlich extrem arme Frauen in armen Ländern, sehr
junge Frauen zumeist bei der ersten Entbindung. Begünstigt wird die Verletzung durch den
niedrigen sozialen Status der Frau in Afrika, der arabischen Welt und südasiatischen
Ländern wie Bangladesh und Pakistan.
OT Iqbal (Urdu)
Übersetzerin:
Unsere Ehe wurde von meinen Eltern und denen meines Mannes arrangiert. Von einem Tag
auf den anderen musste ich mit diesem fremden Mann zusammen leben – mit dem ich bis
heute nie über meine Gefühle, Sehnsüchte und Ängste gesprochen habe. Er erteilte mir nur
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Anweisungen, was ich zu kochen, wie ich seine kranke Mutter zu pflegen, wann ich für ihn
bereit zu sein hatte. Und von Anfang an verbot er mir, das Haus zu verlassen. Das
Schlimmste aber war, dass er mich schlug, sobald ich es wagte, ihm zu widersprechen.
Schließlich schlug er mich sogar, wenn ich ihm ein Glas Wasser nicht schnell genug brachte.
Spr.:
Die Augen zu Boden geschlagen, sitzt die junge Frau im Büro der „Aurat Foundation“, einer
Frauenrechtsorganisation. Hier, im Zentrum Lahores, finden verzweifelte Frauen Zuflucht
und Rechtshilfe. Völlig mittellose Frauen wie Sajda, gehüllt in einen schwarzen Umhang, die
Kabaya; mit schmalem, zugleich Angst und Willensstärke ausstrahlenden Gesicht. „Ihre
Erlebnisse sind Alltag in diesem Teil der Welt: Folge der unter anderem mit Koransuren
begründeten Unterdrückung der Frau und des verbreiteten Systems der ‚verbundenen
Familie’, wo die Frau Besitz der Familie des Mannes ist“, erklärt Rubina Shaheen. Sie leitet
das Frauen-Asyl der „Aurat Foundation“.
OT Shaheen (In the joint…a mess)
Übersetzerin:
In diesem System der “verbundenen Familie” wird ein Mann, wenn er einem Rat seiner Frau
folgt oder innige Gefühle für sie zeigt, sofort von seinen Eltern kritisiert: „Warum folgst Du
Anweisungen Deiner Frau?“ In unserer Gesellschaft treffen allein Männer Entscheidungen;
die persönliche Beziehung zwischen Mann und Frau ist aufs Bett beschränkt. Wir leben
überdies in einer Gesellschaft, wo Mann, Frau, Kinder und die Eltern des Mannes meist in
einem Raum leben. Und gibt es Probleme, sagt die Mutter des Mannes: „Diesen Ärger
haben wir nur, weil er dauernd bei ihr hockt und sich von ihr belehren lässt.“
Spr.:
13 Jahre lebte Sajda wie in einem Käfig. Dann floh sie – mit ihren zwei Söhnen, die sie
inzwischen wieder ihrem Mann überlassen musste. Ali Imran, Rechtsanwalt der „Aurat
Foundation“, will der jungen Frau helfen, zumindest die Scheidung zu erreichen.
OT Imran (In the Pakistani…wants to)
Übersetzer:
Nach pakistanischem Recht kann sich ein Mann jederzeit von seiner Frau scheiden lassen.
Er braucht nur bekannt zu geben: „Ich verstoße sie“ und kann seine Frau so quasi „feuern“.
Eine Frau dagegen muss, will sie sich scheiden lassen, das Gericht anrufen und triftige
Gründe nachweisen – Grausamkeit des Mannes, zum Beispiel, oder Nichterfüllung seiner
Unterhaltspflichten. Sie muss dem Mann sämtliche Geschenke zurückgeben, bis sie
schließlich nach vielleicht anderthalb Jahren die Scheidungsurkunde erhält und ihren Mann
los ist.
Spr.:
Für zahllose arme Frauen im ländlichen Südasien, indes, kommt eine Scheidung erst gar
nicht in Frage. Hier hat sich das Verständnis von der Ehe als einer Herrschaft des Mannes
über die Frau weiter verfestigt, seit radikalislamische Herrscher wie Zia ul Haq in Pakistan,
die Taliban in Afghanistan und Ajatollah Chomeini im Iran die Scharia zur Grundlage des
Familienrechts machte. Vielerorts werden Frauen bis heute beim bloßen Verdacht des
Ehebruchs ins Gefängnis geworfen. Hinzu kommt, dass nach den archaischen EhrenCodices einiger südasiatischer Völker Ungehorsam einer Frau die Ehre ihrer Familie
besudelt. Nach dem so genannten „Pashtunwali“ der in Afghanistan und Pakistan lebenden
Pashtunen, zum Beispiel, kann die Familie ihren guten Ruf nur dadurch wiederherstellen,
dass sie die Frau tötet. „Ein solcher Ehrenmord geschah vor einigen Jahren in diesem
Haus“, berichtet Rubina Shaheen und erzählt die Geschichte von Samia, die auf der Flucht
vor ihrem Mann Zuflucht gefunden hatte bei der „Aurat Foundation“.
OT Shaheen (One time…is done)
Übersetzerin:
Eines Tages – Samia war gerade im Büro unserer Anwältin Hina Jilani – tauchten ihre Mutter
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und ihr Onkel mit einem Leibwächter auf. „Wir sind gekommen, die Scheidungspapiere zu
unterschreiben“, sagte die Mutter. Als die drei jedoch Hinas Büro betraten, schossen der
Leibwächter und der Onkel sofort auf Samia und töteten sie. Im Treppenhaus wurde der
Leibwächter von einem unserer Wachleute erschossen; die Mutter und der Onkel jedoch
erreichten unbehelligt ihr Hotel, wo der Vater wartete. „Habt Ihr die Arbeit erledigt?“, fragte
er. „Ja, die Arbeit ist erledigt“, antwortete der Onkel.
Spr.:
Der Onkel wurde zwar festgenommen, hatte jedoch wenig zu befürchten – dank eines nach
den Regeln des Koran erlassenen Gesetzes, das „Ehrenmörder“ regelmäßig für ihre Zwecke
nutzen.
OT Imran (These are…was over)
Übersetzer:
Nach diesem Gesetz, das 1991 im pakistanischen Strafgesetzbuch verankert wurde, hat die
Familie eines Mordopfers das Recht, dem Täter zu vergeben. Ein Gesetz, das nun vielfach
benutzt wird, Frauen bei uns im Namen der Ehre zu ermorden. Meist tötet ein
Familienmitglied die Frau; und die anderen vergeben ihm. Samia, zum Beispiel, wurde von
ihrer Mutter, einem Onkel und deren Leibwächter ermordet. Wenig später vergab der Rest
der Familie dem zunächst festgenommenen Onkel. Er wurde daraufhin freigelassen und das
Verfahren gegen ihn eingestellt.
Spr.:
Jahr für Jahr fallen Hunderte von Frauen in Südasien Ehrenmorden zum Opfer. Und
Millionen Frauen der ärmeren Schichten werden hier, im arabischen Raum und in Afrika
ausgebeutet von ihren Männern. In den meisten Ländern Afrikas verrichtet die Frau die
gesamte Feldarbeit, macht den Haushalt und kümmert sich um die Kinder – während der
Mann oft bei Alkohol entspannt. Südasiatische Frauen werden, darüber hinaus, immer
häufiger in die Fremde geschickt – zur Arbeit im Haushalt reicher Araber. Viele dieser
Frauen kehren gebrochen zurück. In Dhaka, Bangladesh, zum Beispiel, sitzt die 30-jährige
Ana Begum bedrückt im Wartezimmer einer Anlaufstelle für Arbeitsmigrantinnen.
OT Ana Begum (Bangla)
Übersetzerin:
In Saudi-Arabien arbeitete ich im Haus eines Mannes, der von mir verlangte, ihm und seinen
Freunden sexuelle Dienste zu erweisen. Als ich mich weigerte, schlug mich der Mann derart
mit dem Rohrstock auf die Füße, dass ich ins Krankenhaus musste. Dort holten mich dann
Polizisten ab und setzten mich ins nächste Flugzeug zurück nach Bangladesh.
Spr.:
Verschämt zeigt die junge Frau tiefe Narben an den Füßen und berichtet von einer weiteren
Frau, die, auf der Flucht vor ihrem saudi-arabischen Chef, vom Dach seines Hauses sprang
und seitdem gelähmt ist. Sexueller Missbrauch südasiatischer Hausangestellter ist auch
deshalb ein meist totgeschwiegenes Massenphänomen in den prüden Ländern des Mittleren
Osten, weil – so Experten – viele dieser Frauen nichts als Gewalt und Diskriminierung
kennen.
Spr.:
Gewalt und Diskriminierung verkörpern zugleich eine der wichtigsten Ursachen der
Scheidenfistel: Mädchen bekommen, schon als Kleinkinder, in Ländern wie Bangladesh
wenig zu essen; ihr Becken wächst deshalb spät oder gar nicht aus; der Geburtskanal bleibt
zu eng. Hinzu kommt die Sitte, Mädchen aus wirtschaftlichen Gründen sehr früh zu
verheiraten. Im afrikanischen Niger, zum Beispiel, ist zehn Jahre ein übliches Heiratsalter für
Mädchen; und spätestens nach der ersten Menstruation fordert der Ehemann sein Recht.
Auch das in Ländern wie Äthiopien und Somalia verbreitete Beschneiden von Frauen
begünstigt das Entstehen einer Fistel. Und dann gibt es in Konfliktgebieten Afrikas noch eine
Ursache der Verletzung, über die kaum geredet wird: sexueller Missbrauch und
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Vergewaltigung. So fanden Hilfsorganisationen 2003 im Kongo Zehntausende Opfer von
Massenvergewaltigungen, denen die marodierende Soldateska oft zusätzlich Gegenstände
in die Vagina gestoßen hatte. Außer in solchen Fällen, sagen alle Experten, ist die Fistel
vermeidbar – wenn eine Hebamme bei der Entbindung frühzeitig Störungen feststellt und
nötigenfalls einen Kaiserschnitt veranlasst. „Genau dies jedoch ist in Bangladesh, zum
Beispiel, nicht der Fall“, sagt Gynäkologin Farhana Devan vom Dhakaer Fistel-Zentrum.
OT Devan (The typical…like this)
Übersetzerin:
Die meisten Bangladeshis leben auf dem Land. Frauen dort können in der Regel weder
lesen noch schreiben. Sie wissen nichts über ihren Körper und haben nie etwas gehört über
Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft. Bei der Geburt hilft die traditionelle
Geburtshelferin – was okay ist, solange alles glatt geht. Treten jedoch Probleme auf, wissen
die Helferin und die Angehörigen der Frau sehr bald nicht mehr, was sie tun sollen.
Spr.:
Und selbst wenn die Familie erkennt, dass ein Kaiserschnitt nötig ist, sind oft weder ein
geeignetes Krankenhaus noch ein Arzt in Reichweite; oder man hat kein Geld für den langen
Transport dorthin – geschweige denn für die oft vor dem Kaiserschnitt fälligen
Krankenhauskosten in Höhe etwa eines Jahreseinkommens. Ein immer gleicher
Mechanismus, der Babys tötet, Frauen tötet oder ihnen eine Fistel hinterlässt. Nur wenige
Frauen haben dann das Glück, engagierte Ärztinnen zu finden – wie Farhana Devan und
Hasina Afrot.
Atmo OP-Vorbereitung
Spr.:
Reena Begum, eine hübsche junge Frau aus einem Dorf bei Chittagong, Bangladesh, liegt –
im blauen Hemd – bereits auf dem Operationstisch des Dhakaer Universitätskrankenhauses;
ihr Blutdruck wird gemessen, eine Infusion wird angeschlossen; weiß, blau, rosa vermummte
Gestalten wieseln hektisch durch den Raum; und doch strahlt Reena übers ganze Gesicht.
OT Reena Begum (Bangla)
Übersetzerin
Ich hatte mein Leben schon aufgegeben und saß zuhause nur noch trübsinnig in der Ecke.
Dann aber erzählte eine Freundin meiner Mutter, dass Dr. Hasina Frauen wie mich heilen
kann. Jetzt kann ich die Operation kaum mehr abwarten, obwohl ich natürlich ein bisschen
Angst habe. Wenn Dr. Hasina mich heilt, werde ich ein neu geborener Mensch sein; und um
eine Zukunft sorge ich mich dann überhaupt nicht mehr.
Spr.:
Die kaum 30-jährige Chirurgin Hasina Afrot legt, fröhlich-resolut Anweisungen gebend, ihre
schwarze Gummischürze an, greift aufs Instrumententablett und geht, ohne jedes Zögern, zu
Werke.
Atmo OP/OT Afrot (This one ... operation)
Übersetzerin:
Das da ist die Blase. Sehen Sie den Urin, der dort heraus läuft? Dort rechts habe ich eben
narbiges Gewebe entfernt. Jetzt sehen Sie die Fistel ganz klar. Sie reicht fast um die ganze
Harnröhre herum. Deshalb muss ich, um sie zu operieren, die Blase von der Harnröhre
trennen. Dann muss ich Gewebe von den inneren Schamlippen transplantieren, um die Fistel
zu schließen. Das ist hochsensibles Gewebe, mit dem ich sehr vorsichtig umgehen muss.
Sehen Sie, jetzt ist die Blase getrennt von der Harnröhre. 40 Prozent der Operation habe ich
jetzt geschafft. Mit Gewebe aus der Vagina und den Schamlippen muss ich jetzt dieses
große Loch schließen. Viel Arbeit. Aber ich glaube, diese Patientin muss ich nur einmal
operieren.
7
Spr.:
Die Beseitigung der Scheidenfistel ist eine seltene Operation, erklärt Hasina. Weltweit
werden pro Jahr vielleicht 5.000 Frauen operiert während Millionen vergeblich warten. Bis zu
drei Wochen bleiben Patientinnen nach dem Eingriff im Krankenhaus. Doch dann ist für viele
das Leiden noch keineswegs beendet. Viele Frauen sind derart von ihrer Familie und ihrem
Dorf entfremdet, dass sie nicht dorthin zurück wollen; manche leiden an psychischen
Störungen. Solche Frauen brauchen Betreuung, Ausbildung und ein kleines Grundkapital für
den Neuaufbau einer Existenz in der Stadt; Hilfe, die auch in den Ländern, wo regelmäßig
Fisteln operiert werden, kaum zur Verfügung steht.
Geld für die Betreuung von Dauer-Patientinnen hat weltweit nur das „Fistula Hospital“ in
Äthiopien. Die Pflegerinnen dort sind oft selbst ehemalige Patientinnen; und 40 Frauen, die
nicht mehr in ihr Dorf zurückkehren können, leben in einer landwirtschaftlichen Kooperative
außerhalb von Addis Abeba. Dort bauen sie Gemüse an, züchten Hühner und Rinder.
Dessen ungeachtet mangelt es in fast allen betroffenen Ländern nach wie vor an
Problembewusstsein.
Spr.:
Der in New York ansässige Weltbevölkerungsfond UNFPA will das nun ändern – mit einer
seit 2003 laufenden Kampagne, die die Fistel endgültig ausrotten soll. „Information“ heißt die
Devise, „Prävention“ und offiziell auch „Behandlung und Rehabilitation von Fistelopfern“. Die
Kernforderungen lauten: mehr qualifizierte Hebammen, mehr Aufklärung – auch und gerade
über Verhütungsmittel für Frauen – mehr Behandlungsmöglichkeiten bei
Schwangerschaftsproblemen und ein Heiratsmindestalter von 18 Jahren, damit Mädchen
ausreichend Zeit haben, körperlich wie psychisch heranzureifen. „Die Rolle der Frau in
Afrika, Arabien und Südasien insgesamt bedarf eines grundlegenden Wandels“, sagt
UNFPA-Sprecherin Kate Ramsey. „Unsere Kampagne gegen die Fistel ist auch darauf
gerichtet und stellt zum Teil tief verwurzelte Traditionen infrage.“ Offensiv suche der
Weltbevölkerungsfond deshalb das Gespräch nicht nur mit Regierungen, sondern auch mit
einzelnen Dorfgemeinschaften – wie, zum Beispiel, im westafrikanischen Mali.
OT Ramsey (The way…else)
Übersetzerin:
Wir suchen die Vermittlung lokaler Führungspersönlichkeiten und versuchen, die Probleme
so zu thematisieren, dass wir auf Kooperation stoßen – und nicht auf Ablehnung. Ja, es
handelt sich um sehr sensible Themen. Aber letztlich wollen doch die Männer an den
meisten Orten dieser Erde nicht, dass ihre Frauen und Kinder sterben. Und sie wollen auch
nicht, dass ihre Frauen inkontinent sind. Viele glauben allerdings bis heute, dass derlei nicht
vermeidbar ist und von höheren Mächten verursacht wird.
Spr.:
Um die Jahrtausendwende setzte sich die internationale Gemeinschaft als Millenniumsziel,
die Müttersterblichkeit bis 2015 um zwei Drittel zu senken und allen Frauen Zugang zu
qualifizierter Geburtshilfe zu verschaffen. Inzwischen ist die Kindersterblichkeit in vielen
Ländern um 40 Prozent gesunken; für die Mütter hat sich jedoch fast nichts geändert: Immer
noch sterben mehr als eine halbe Million Frauen an Geburtskomplikationen, 99 Prozent
davon in Entwicklungsländern. Die Chance einer Frau, bei der Geburt zu sterben, liegt in
Schweden bei eins zu 30.000, in Teilen Afghanistans bei eins zu sechs. Die meisten ernsten
Schwangerschaftskomplikationen, sagt der Geburtshilfeexperte bei der
Weltgesundheitsorganisation WHO, Munir Islam, träten unerwartet auf. In solchen
Situationen seien die in armen Ländern verfügbaren Barfußärzte und traditionellen
Geburtshelferinnen hoffnungslos überfordert. Nötig sei stattdessen die schnell verfügbare
Hilfe eines modern ausgebildeten Arztes.
OT Islam (Maternal...anybody)
Übersetzer:
Die Müttersterblichkeit in armen Ländern werden wir nur senken, wenn Gesundheitssysteme
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dort funktional darauf ausgerichtet werden. Todesursache Nummer eins bei jungen Müttern
sind Blutungen nach der Geburt; und wir wissen, wie die zu behandeln sind – mit dem
Hormon Oxytocin, das pro Dosis gerade zehn Euro-Cent kostet. In vielen Ländern aber gibt
es kein Oxytocin. Zweite Ursache der Müttersterblichkeit ist Bluthochdruck; ebenfalls leicht
behandelbar mit Magnesiumsulfat für vier oder fünf Cent pro Dosis. Auch dies Präparat ist in
armen Ländern selten verfügbar. Drittens schließlich sterben viele Wöchnerinnen an einer
Sepsis – wogegen Antibiotika helfen, die gleichfalls vielerorts fehlen. Kurz, wir brauchen
erschwingliche Dinge wie Oxytocin, Magnesiumsulfat und Antibiotika; und wir brauchen
qualifiziertes Personal, das vor, während und nach der Geburt solche Präparate fachgerecht
einsetzt.
Spr::
Die Weltgesundheitsorganisation fordert seit langem den weltweiten Aufbau einer ordentlich
ausgestatteten Infrastruktur, die bei Schwangerschaftskomplikationen rasche Hilfe
ermöglicht. Die Bausteine sind: erstens: Hebammen, die sichere, zutreffende Diagnosen
stellen können; zweitens: binnen weniger Stunden erreichbare Krankenhäuser sowie drittens
Ärzte, die Kaiserschnitte notfalls auch ohne Bezahlung vornehmen. Das Problem: Eine
solche Infrastruktur ist sehr teuer. Es gibt sie deshalb bis heute nur in wenigen armen
Ländern wie dem sozialistischen Kuba und Sri Lanka. Für einige Länder Afrikas sieht Munir
Islam immerhin Hoffnung.
OT Islam (If you look…job)
Übersetzer:
In Mosambik oder Tansania zum Beispiel werden Krankenschwestern und Pfleger immer
häufiger chirurgisch ausgebildet. Sie können dann Kaiserschnitte vornehmen und bekommen
auch größere Geburtskomplikationen in den Griff. Dafür braucht man nicht unbedingt
Fachärzte. Ich selbst habe mich in Botswana mit Narkosetechniken, Kaiserschnitt und
anderen gynäkologischen Operationen beschäftigt. Als meine Kollegen und ich dann sahen,
dass wir mehr Anästhesisten brauchten, haben wir Krankenschwestern dazu ausgebildet.
Und die leisteten anschließend hervorragende Arbeit.
Spr.:
In Äthiopien, wo nur einhundert Gynäkologen eine Bevölkerung von 80 Millionen Menschen
versorgen, bleibt derweil das „Fistula Hospital“ vorläufig die einzige Hoffnung für 300.000
Frauen, die an einer Scheidenfistel leiden – und 9.000, die Jahr für Jahr hinzu kommen.
Atmo Gespräch Ruth Kennedy/Negaso
Spr.:
Die kleine Almas zum Beispiel, deren Mann Negaso eifrig mit Krankenhauschefin Ruth
Kennedy diskutiert, Almas hat ihr Glück wieder gefunden.
OT Almas (tigreisch)
Übersetzerin:
Negaso ist schon seit drei Wochen hier in Addis Abeba und besucht mich jeden Tag. Nach
der Operation saß er ständig an meinem Bett und hielt mir die Hand. Und nächste Woche
gehen wir zurück in unser Dorf bei Mekele im Norden Äthiopiens. Negasos Mutter hat zwar
gesagt, ich bekäme wohl keine Kinder mehr; er aber will es mit mir versuchen.
Spr.:
Millionen Frauen jedoch, die sich auf ein Baby freuten und die Hölle erlebten, haben keine
Chance, resümiert Ruth Kennedy. Und die Erklärung liege auf der Hand:
OT Kennedy (It’s very…fistula)/
Übersetzerin:
Fast alle Erkrankungen betreffen sowohl Männer als auch Frauen. Gesundheitliche
Probleme junger Mütter jedoch betreffen nur Frauen und deshalb werden sie weltweit häufig
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unter den Teppich gekehrt. Minute für Minute stirbt eine Gebärende irgendwo im Busch –
eine unbekannte Frau, nirgendwo registriert; eine Frau, um die vielleicht niemand trauert,
arm und ungebildet. Stellen Sie sich vor, derlei geschähe prominenten Männern. Aids kam
doch erst richtig in die Medien, als Hollywood-Stars daran starben; berühmte Leute. Aber
kein berühmter Mensch hat eine Fistel – abgesehen mal von der Königin Hen-Hen, einer
Pharaonenfrau, die um 2050 vor Christus lebte. Und auch diese Frau wurde nur berühmt,
weil ein männlicher Archäologe sie fand und ihre bei einer Obduktion festgestellt wurde.
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