Research Marketing im Bereich Organspende ist aktuell von einem Missverständnis geprägt. In einer tiefenpsychologischen Studie hat Susanne Wiesmann untersucht, welche unbewussten Vorstellungen in der deutschen Bevölkerung vorherrschen. Sie zeigt, was die Werbebranche im Kontext Organspende beachten sollte. Studie untersucht Einstellungen zur Organspende Unbewusster Konflikt ür viele steht eine Organspende im Widerspruch zu dem kulturell verankerten Umgang mit ihrem Körper. Die auf medizinische und rechtliche Aufklärung zielenden Informationen von Verbänden bewirken daher das Gegenteil ihrer Intention: Sie verstärken die Ablehnung, sich als Spender bereitzustellen, statt dafür zu werben. Es stellt sich somit die Frage, wieso gut gemeinte Initiativen so wenig oder sogar ihr Gegenteil erreichen. Das Thema Organspende ist ein gutes Beispiel für ein Missverständnis, das oft auch zwischen Marketing und Verbrauchern entsteht: Meinungen der Verbraucher gelten schon als das hinreichende Wissen für die Konzeption strategischer Maßnahmen. Diese Meinungen sind aber nicht alles, auch unbewusste Faktoren spielen eine Rolle – und mithilfe von Forschungsmethoden gilt es dieses Gesamtkonstrukt zu erforschen. Tiefenpsychologisches Konzept Auf der Grundlage dieses Forschungskonzepts der Morphologischen Psychologie führte Wiesmann Forschen und Beraten eine Studie zur Organspende durch. Die Pilotstudie umfasste 24 Menschen zwischen 20 und 65 Jahren. Das Konzept ermöglicht es, die unbewussten Seelengestalten wie eine Skulptur aus den Beschreibungen der Verbraucher herauszuheben – vorausgesetzt, die Befragten konnten nach den Regeln des Konzepts ihr Erleben beschreiben und darstellen. Die unbewusste Skulptur gibt allen Aussagen ihren Platz und definiert, was wirklich „Kopf“, „Körper“, „Füße“ oder „Haut“ bei einem Thema sind. Große Skepsis vorhanden Bei der Organspende ist der Wunsch nach „Information“ offenbar nur eine Schutzhaut gegen eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema. „Kopf“ und damit handlungsleitend ist laut Studie jedoch der folgende Konflikt: Der kulturell gepflegte, geförderte und hoch angesehene Umgang mit dem Körper zielt darauf, diesen ein Leben lang schön und möglichst ohne Zeichen von Verfall (Tod) zu erhalten. Dem dienen Gesundheitsmaßnahmen wie Er40 esearch & esults 6 · 2012 nährung und Fitness ebenso wie Pflegeprodukte, Urlaub, Wellness oder Operationen. Der Körper soll äußerlich intakt bleiben. Alt aussehen und unansehnlich werden gilt in unserer Kultur als Scheitern. Die Erhaltung des Körpers ist aber keine „äußere“ Angelegenheit. Vielmehr ist sie ein Ausdruck einer viel umfassenderen Vorstellung von einer Körper-Seele-Einheit, die auch über den Tod hinaus besteht. Ob man religiös oder aufgeklärt ist: Die Erhaltung des ganzen Körpers auch im Tod bewahrt das unverwechselbare Universum eines Menschenlebens zwischen Geburt und Tod. Das zeichnet ihn als Individuum aus. Keine übliche Spende In diese Vorstellungswelt trifft die Organspende mit der Wucht eines archaischen Rituals: Die Befragten fühlen sich wie Menschenopfer bei Frühkulturen, da sie nicht wie sonst bei Spenden von ihrem Überfluss (Blut, eine Niere, Knochenmark) geben, sondern die Preisgabe ihres Lebens Voraussetzung für das Weiterleben eines anderen ist. Organspende stellt man sich daher wie bei den Azteken vor, die den Opfern bei lebendigem Leib das Herz herausrissen, um Fotos: © julvektoria, Monkey Business – Fotolia.com; Abb.: Wikipedia F Research Konfliktbehaftetes Thema Organspende Unbewusster Konflikt Körper-Seele-Einheit Lebenslange Fürsorge für die Unversehrtheit des Körpers Abb. 1 Zerstörung - der Körper-Seele-Einheit - des unversehrten Körpers Quelle: wiesmannforschenundberaten „den Lauf der Sonne und den Fortbestand der Welt zu sichern“ (Abb. 1). Übersetzt auf die Organspende befürchten die Befragten, • den verfrühten Tod, weil Ärzte ein Organ brauchen – für jüngere oder zahlende Patienten. • eine Organentnahme „bei lebendigem Leib“, da „Hirntote“ keine Narkose bekommen. • dass man in den letzten Minuten des Lebens nicht würdig und in Ruhe verab schiedet, sondern hektisch zerschnippelt und zu „Material“ degradiert wird. • ausgeweidet, zusammengeflickt und kaum wieder erkennbar im Sarg zu liegen. Diese Befürchtungen sind, wie der im Juli dieses Jahres bekannt gewordene Organspendeskandal zeigt, gar nicht so übertrieben. Bei dem Thema Organspende erlischt das Vertrauen in die Ärzte. Die Befürchtungen der Studienteilnehmer verdeutlichen, wie krass und brutal in dem Moment der Organentnahme die Einheit aus Körper und Seele zerstört und der Körper zu einem Warenlager materialisiert wird. Der dargestellte Konflikt kann von keiner medizinisch fundierten Information entkräftet werden. Nur dienen, nicht verdienen Wieso besitzen aber doch einige Menschen einen Ausweis? Es bestehen drei Umgangsformen mit dem Konflikt: „Die Entmutigten“ (Motto „macht mit mir, was ihr wollt“), „Die Lebensbejahenden“ (Motto „niemals“) und „Die Freunde“ (Motto „ich tue für andere, was diese für mich tun würden“). Nur „Die Freunde“ können kommunikativ erreicht werden – allerdings nicht mit „schönen“ Anzeigen und beschwichtigenden Experten-Interviews. „Wer sein Leben lässt für seine Freunde“ (Johannes 15,13), will auch selbst so behandelt werden: respektvoll, mit Dank und Würdigung. Er möchte, dass an seiner Spende kein anderer verdient – als Garantie dafür, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Mit Organspende sollte man also nur dienen und nicht verdienen können. Dann hilft sie allen weiter – den Bedürftigen und der Wissenschaft. „Die Freunde“ verzichten auf detaillierte medizinische Informationen. Nur der „Dienst am Freund“ in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter kann ihnen bei dem Sprung über die innere Hürde helfen. Das müssen erfolgreiche Maßnahmen vermitteln und realisieren. Das Thema Organspende zeigt extrem, wie unbewusste Vorstellungen und Initiativen auseinanderdriften können. Wer ein menschliches und damit wirksames Maß für seine Maßnahmen sucht, sollte wissen, was die Menschen und Verbraucher bewegt. Das kostet Mut, da man unbewusste Vorstellungen eben vorher nicht weiß und ahnt. ■ Mehr Fachartikel zum Thema „Gesundheitsforschung“ unter: www.research-results.de/fachartikel Susanne Wiesmann ist Geschäftsführerin bei wiesmannforschenundberaten. Sie hat die Studie zusammen mit Dorith Demary, Senior-Projektleiterin, Ina Brunk, Projektleiterin, und Sonja Pöppel, Projektleiterin, durchgeführt. Die gesamten Ergebnisse sind auf Anfrage erhältlich. www.forschenundberaten.de Anzeige esearch & esults 6 · 2012 41