Geisteswissenschaft Nicole Gatz Aktuelle Segregationsprozesse in Berlin Eine qualitative Fallstudie zum Prenzlauer Berg Bachelorarbeit Bachelorarbeit: Aktuelle Segregationsprozesse in Berlin Eine qualitative Fallstudie zum Prenzlauer Berg Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Kulturwissenschaftliche Fakultät Lehrstuhl für Vergleichende Politische Soziologie Seminar: Verfasserin: Neue Milieubildungen in Prenzlauer Berg Nicole Gatz Aktuelle Segregationsprozesse in Berlin INHALTSVERZEICHNIS 1 Einleitung 3 2 2.1 2.2 2.3 Segregation als theoretischer Ausgangspunkt Begriffsklärung Ursachen von Segregation Folgen von Segregation 4 4 5 7 3 3.1 3.2 3.3 3.4 Gentrification – ein segregationsrelevanter Prozess Definition Erklärungsansätze Phasen des Prozesses Probleme bei der Beschreibung des Prozesses 9 9 10 12 14 4 4.1 4.2 4.3 Berlin - Prenzlauer Berg: Eine Charakteristik des Untersuchungsfeldes Berliner Stadtentwicklung seit 1990 Geschichte des Prenzlauer Bergs Der Kollwitzplatz 17 17 20 24 5 5.1 5.2 5.3 Methodisches Vorgehen Das qualitative Interview entlang eines Leitfadens Auswahl der Probanden Datenauswertung 25 25 27 28 6 6.1 6.2 6.4 Zentrale empirische Befunde Codes Proband Karl 6.2.1 Biographischer Rahmen 6.2.2 Interviewsituation 6.2.3 „Das ganze Publikum wurde ausgetauscht“ Probandin Ursula 6.3.1 Biographischer Rahmen 6.3.2 Interviewsituation 6.3.3 „Die sehen alle nicht glücklich aus“ Zusammenfassung 29 29 30 30 30 31 39 39 39 40 45 7 Fazit 47 8 Fremdsprachiges Resümee 48 9 Bibliographie 49 10 Anhang Leitfadeninterview Transkript des Interviews mit Karl Transkript des Interviews mit Ursula Codesystem 52 52 53 61 69 6.3 2 Aktuelle Segregationsprozesse in Berlin 1 EINLEITUNG „Struktur- und Wertewandel sowie deren Wechselwirkung bewirken Tendenzen hin zu mehr Ungleichheit und unterschiedlicher Wertigkeit. Wir werden nicht ‚gleicher‘, sondern ‚ungleicher‘ und ungleichwertiger.“ (Heitmeyer u.a. 1998: 10) Mit diesen Worten beschreiben Heitmeyer, Dollase und Backes einen zunehmend heterogenen Zustand der Städte infolge der anwachsenden Homogenisierung innerhalb einzelner Quartiere, deren Ursache in einem Struktur- und Wertewandel der städtischen Gesellschaft liegt. Die Auflösung tradierter städtischer Ökonomie durch die Entwicklung hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft in einer informatisierten, globalisierten Welt, stellt Städte vor neue Herausforderungen. Dieser Strukturwandel einhergehend mit dem Wandel von Werten und Lebensstilen führt zunehmend zu Segregation im Stadtraum, das heißt zu einer ungleichen räumlichen Verteilung verschiedener sozialer Gruppen. Solche Segregationsprozesse lassen sich sozioökonomisch, soziodemographisch sowie soziokulturell erklären. In sozioökonomischer Hinsicht tritt eine Polarisierung von einkommensstarken, hoch qualifizierten Beschäftigten des Dienstleistungssektors und einer einkommensschwachen, gering qualifizierten Gruppe auf. Diese Polarisierung lässt sich auch im Stadtbild wiederfinden. Randwanderungen und Suburbanisierung waren vor allem Bewegungen der einkommensstarken Haushalte mit Kindern. Mit Bezug auf soziodemographische Merkmale der Bewohner, zeigt sich ebenfalls eine sozialräumliche Entmischung: Das Abwandern von Familien ins Umland verbunden mit der zunehmenden Tendenz entgegen klassischer Familienmodelle hin zu kinderlosen oder Single-Haushalten, die sich gezielt für ein Leben in der Innenstadt entscheiden, homogenisiert die innerstädtische Bewohnerschaft bestimmter Viertel in soziodemographischer Hinsicht. Eine soziokulturelle Homogenisierung von Stadtvierteln lässt sich in der Pluralisierung von Lebensstilen und deren „Abgrenzungs- bzw. Distinktionsfunktion“ (Heitmeyer u.a. 1998: 9) finden. Die Wohnung oder das Wohnviertel gelten heutzutage viel mehr als ein Ausdruck der eigenen Wert- und Statusorientierung, die Funktionalität tritt in den Hintergrund. So lässt sich der Stadtraum als Spiegelfläche sozialer Differenzierung anhand einer ungleichen Bau- und Bewohnerstruktur erfahren. Diese Arbeit widmet sich aktuellen Segregationsprozessen in Berlin, speziell der Gentrification im Stadtteil Prenzlauer Berg. Entgegen der häufig thematisierten Segregationsprozesse durch Abwanderungen sozial starker Gruppen und die daraus resultierende Negativentwicklung von Quartieren und Benachteiligung derer Bewohner, soll der Fokus dieser Arbeit auf einer den Stadtraum aufwertenden Entmischung liegen. 3 Aktuelle Segregationsprozesse in Berlin Gentrification äußert sich, im Zuge einer baulichen Aufwertung, in dem Austausch einer alteingesessenen, statusniedrigen Bewohnerschaft durch eine zuziehende, statushöhere Gruppe, und muss damit als ein relevanter Segregationsprozess wahrgenommen werden. Gilt der Begriff Gentrification in der aktuellen Diskussion als negativ behafteter Kernbegriff städtischer Entwicklung, so soll jener in dieser Arbeit auf wissenschaftlicher Ebene hinterfragt werden. In Bezug auf Berlin wird insbesondere der Bezirk Prenzlauer Berg als Paradebeispiel von Gentrification benannt. Welche Bedingungen, die für die Einleitung und den Vollzug von Gentrification nötig sind, Berlin und Prenzlauer Berg boten, soll im vierten Kapitel anhand der relevantesten Etappen der Berliner Stadt- und Sanierungsgeschichte seit der Wiedervereinigung erläutert werden. Im Anschluss gilt es den Prozess in seiner Wahrnehmung qualitativ zu untersuchen. Dazu wird zunächst das methodische Vorgehen der qualitativen Interviewführung und -auswertung beschrieben. Eine detaillierte Analyse der durchgeführten Interviews soll Aufschluss über die zentralen empirischen Befunde der Befragungen geben und den Bezug zum Konzept der Gentrification als segregierenden Prozess herstellen. Erleben die Bewohner einen Bevölkerungsaustausch, wie ihn Gentrification beschreibt und wie nehmen sie diesen wahr? Kann laut den Befragten von einer Entmischung ungleicher sozialer Gruppen hin zu einer sozialen Homogenisierung des Viertels gesprochen werden? Lassen sich demnach segregierende Tendenzen erkennen? 2 SEGREGATION ALS THEORETISCHER AUSGANGSPUNKT 2.1 Begriffsklärung Die räumliche Struktur einer Stadt kann sowohl in funktionaler als auch sozialer Hinsicht Segregation aufweisen. Als funktioneller Raum, als Arbeits- und Produktionsstätte konzentriert die Stadt in unterschiedlicher Weise die verschiedenen Arbeitsstandorte entsprechend angemessener Infrastruktur, Nutzflächen, Mietpreise und individuellen Standortvorteilen. In diesem Fall handelt es sich um eine funktionelle Segregation, eine Verortung von Funktionen an Standorte entsprechend ihren Rahmenbedingungen (vgl. Häußermann/Siebel 2004: 139). Ein weitaus bedeutsameres Phänomen jedoch ist die soziale Segregation, die Verteilung verschiedener sozialer Gruppen auf unterschiedliche Orte im Stadtraum. Dabei werden soziale Gruppen entsprechend ihrer ökonomischen, demographischen und ethnischen Merkmalen sowie der für sie spezifischen Lebensführung unterschieden. 4 Aktuelle Segregationsprozesse in Berlin Als ökonomische Merkmale gelten die Höhe des Einkommens, der Bildungsstand oder die Berufsqualifikation. Demographische Unterschiede können an der Größe eines Haushaltes oder am Alter der Bewohner gemessen werden. Auch eine unterschiedliche ethnische Herkunft sowie individueller Lebensstil gelten als entscheidende soziale Differenzen (vgl. Häußermann/Siebel 2004: 143). Solch Differenzen, solch „soziale Distanzen“ äußern sich in „räumliche(n) Distanzen“ (Häußermann/Kapphan: 209). Somit kann soziale Segregation als eine „Verräumlichung sozialer Ungleichheit“ (Dangschat 2000: 210) gesehen werden. Es darf dabei nicht ignoriert werden, dass die auf den Raum übertragenen sozialen Differenzen in einer Wechselwirkung mit dem Raum selber stehen, das heißt, dass die Anordnung bestimmter sozialer Gruppen auf ein Gebiet auf diese Gruppe in benachteiligender oder begünstigender Weise zurückwirkt: „(...) denn einmal bildet sich die Sozialstruktur in der Raumstruktur ab, und zum anderen wirkt die räumliche Verteilung sozialer Gruppen auf die örtliche Sozialstruktur zurück, indem z. B. die Quartiere den Gruppen unterschiedliche Möglichkeiten zur Bewältigung ihres Alltags bieten“ (Harth u.a. 1998: 11). Bedingend für Prozesse der Segregation und die ungleiche Verteilung auf bestimmte Räume der Stadt sind demnach das Vorhandensein sozialer und auch räumlicher Differenzen. Welche Faktoren maßgeblich an einer sozialen Ungleichverteilung auf den Stadtraum beteiligt sind und welche Auswirkungen die Konzentration von sozial homogenen Gruppen auf ein bestimmtes Gebiet und die Bewohner selbst haben kann, soll im folgenden kurz erläutert werden. 2.2 Ursachen von Segregation Als entscheidende Ursachen sozialer Segregation werden ein unterschiedlich gestaltetes Wohnungsangebot und die verschiedenartige Nachfrage basierend auf den wirtschaftlichen und kulturellen Möglichkeiten und Interessen sozialer Gruppen gesehen. Eine unterschiedliche Gestaltung des Wohnungsangebotes ergibt sich aus einer in qualitativer und quantitativer Hinsicht unterschiedlichen Verteilung von Wohnungen im Stadtraum. Demnach spielen wohnungspolitische, stadtplanerische Entscheidungen eine maßgebliche Rolle, indem bestimmte Standorte über ein bestimmtes Wohnangebot verfügen und sich in der Qualität von anderen Wohnstandorten unterscheiden. Auch wirtschaftliche Faktoren hinsichtlich des Preises oder der Ausstattung bewirken ein differenziertes Angebot. Darüber hinaus gelten symbolische Unterschiede, die durch eine bestimmte architektonische oder landschaftliche Gestaltung oder auch unterschiedlich dichte Bebauung entstehen, als grundlegende Differenzen im Wohnungsangebot. Ein weiterer Faktor, der eine ungleiche 5