Generalisierte Angststörung (GAS) Fortsetzung: Erklärungsmodelle

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Generalisierte Angststörung
(GAS)
Fortsetzung:
Erklärungsmodelle
Neurobiologische Modelle der GAS
1. Das Modell der Verhaltenshemmung nach Gray (1982)
• Das septohippocampale System bewertet den
Bedrohungsgrad von Stimuli
• Bei Bedrohung wird ein verhaltenshemmender Regelkreis
aktiviert, der den Grad der Überwachung hoch reguliert
• Sensorische Reize werden nach Gefahren abgesucht und
motorische Aktivität wird heruntergefahren
• Erhöhte serotonerge und noradrenerge Aktivität, z.B. aufgrund
von Stress, führt zu einem Zustand chronisch erhöhter
septohippocampaler Aktivität
• Dies geht einher mit extremer Wachsamkeit und erhöhtem
Erregungsniveau
2. Die Rolle der Amygdala nach Charney (1999)
• Läsionen im basalen Kern der Amygdala
? Verschlechterung der kontextuellen Konditionierung
? Übererregung, motorische Spannung, Stresssensibilität,
Vermeidungsverhalten
• Neuronale Prozesse im zentralen Kern der Amygdala
beeinflussen eventuell zusätzlich die Entwicklung der
Furchtkonditionierung
Besonderheiten in der Informationsverarbeitung
Bedeutsame kognitive Faktoren der GAS
1. Selektive Verzerrungen in der Aufmerksamkeit
2. Fehler in der Gefahrenwahrnehmung und
Gefahreninterpretation
3. Selektive Gedächtniseffekte
4. Defizite im Problemlösen und Entscheiden
Das Modell der pathologischen Besorgnis
von Borcovec (1994)
• Worrying wird als kognitive Vermeidungsreaktion auf
emotionale Bedrohung und die damit einhergehende
autonome Erregung verstanden
• Es führt zu einer Unterdrückung bildhafter Vorstellungen und
zu einer Abnahme der autonomen Erregung (somatische
Suppression)
• Dadurch wird es kurzfristig negativ verstärkt und so aufrecht
erhalten
• Worrying verhindert die Aktivierung der kompletten
Furchtstruktur im Gedächtnis und steht einer Modifikation der
Furchtstruktur somit im Wege.
Das Modell der GAS von Dugas et al. (1998)
Eine Interaktion der folgenden Faktoren bestimmt die Genese
und Ausprägung der GAS:
(1) Generelle Intoleranz von Unsicherheit
(2) Positive Metakognitionen über die Sorgen
(3) Schlechte Problemorientierung
(4) Kognitive Vermeidung durch Worrying (sensu Borcovec)
Das kognitive Modell der GAS von Wells (1995, 1997)
Auslöser
Aktivierung positiver Metakognitionen
Typ 1 - Sorgen
Aktivierung negativer Metakognitionen
Typ 2 – Sorgen (Meta-Sorgen)
Verhalten
Gedankenkontrolle
Emotion
Generalisierte Angststörung
(GAS)
Wirksame Therapiestrategien
Medikamentöse Therapie
Benzodiazepine
• Effektivität belegt, v.a. in Bezug auf eine Besserung
somatischer Symptome
• Aber: Aufgrund von Nebenwirkungen und hohem
Abhängigkeitspotential ist der Einsatz kritisch zu bewerten.
Trizyklische Antidepressiva
• In den ersten Wochen der Behandlung den Benzodiazepinen
unterlegen; im weiteren Verlauf aber ähnliche Wirksamkeit
• Verbesserungen beziehen sich bei den Benzodiazepinen eher
auf somatische Symptome, bei den Antidepressiva eher auf
psychische Symptome
Paroxetin (Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer)
• Ähnlich effektiv wie trizyklische Antidepressiva und
Benzodiazepine
Buspiron (Serotonin-Agonist)
• Vergleichbare Wirksamkeit wie Benzodiazepine
• Günstigeres Nebenwirkungsprofil im Vergleich zu den
Benzodiazepinen und kein Abhängigkeitspotential
Venlafaxin (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer)
• Dem Buspiron und Placebo-Präparaten überlegen
• Effekte zeigen sich auch im Langzeitverlauf
Bewertung der medikamentösen Therapie
• Studien, die kognitiv-behaviorale mit medikamentösen
Behandlungen verglichen, ergaben insgesamt eine
Überlegenheit der Psychotherapie
• Die Rückfallraten bei wirksamen Psychotherapien liegen
niedriger als bei medikamentösen Therapien
• Insgesamt ist eine Psychotherapie die Behandlung der
ersten Wahl, insbesondere auch bei gering ausgeprägten
somatischen Symptomen
Psychotherapeutische Behandlung der GAS
Therapiebausteine
• Allgemeine Informationsvermittlung: Vermittlung eines
Störungsmodells und Selbstbeobachtung anhand von
Sorgentagebüchern
• Sorgenkonfrontation in sensu
• Konfrontation in vivo
• Kognitive Therapie
• Angewandte Entspannung
Sorgenexposition (Exposition in sensu)
Das Prinzip der Sorgenexposition
• Indikation: GAS, bei der die Sorgen im Mittelpunkt des
Beschwerdebildes stehen
• Beruht auf der Hypothese, dass das Vorherrschen von verbalgedanklichen Prozessen und der ständige Themenwechsel eine
Habituation an die angstbesetzten Sorgen verhindert
• GAS-Patienten sollen ihre Sorgen zu Ende denken und sich
diese bis zum schlimmstmöglichen befürchteten Ausgang hin
vorstellen. Dabei sollen sie sich ihre katastrophalen
Vorstellungen möglichst bildhaft vorstellen.
• Die dabei auftretende Angst soll ausgehalten werden, bis sie im
Zuge einer Habituation sinkt.
Vorgehen bei der Sorgenexposition
Vorbereitung
• Sorgenbereiche sammeln und einen Sorgenbereich (z.B.
Bereich „Familie“) auswählen
• Für diesen Bereich eine Sorgenhierarchie aufstellen
• Eine Sorge auswählen und im Hinblick auf den
schlimmstmöglichen befürchteten Ausgang explorieren
• Entwicklung eines Vorstellungsszenarios; der Schwerpunkt
liegt auf erfahrungsorientierten Vorstellungen (Sehen,
Hören, Riechen, Schmecken etc.)
• Eventuell Imaginationstraining anhand nicht angstbesetzter
Inhalte durchführen
Durchführung
• Der Patient soll sich einen bestimmten Zeitraum (z.B. 1530 Minuten) auf die Vorstellung konzentrieren.
• Hierzu gibt der Therapeut dem „Sorgendrehbuch“ folgende
Instruktionen
• Die Lebendigkeit der Vorstellungskraft und Veränderungen
des Angstausmaßes werden in Form von Ratings
regelmäßig eingeschätzt
• Zunächst: Therapeutengeleitete Durchführung der
Expositionsübungen
• Im weiteren Verlauf: Selbständige Durchführung zu Hause,
ggf. unterstützt durch Tonbandaufzeichnungen nach dem
„Sorgendrehbuch“
Beispiel für eine Instruktion zu einer
Sorgenexpositionsübung
„Schließen Sie die Augen und lehnen Sie sich zurück.
Versuchen Sie, eine bequeme Haltung zu finden. Während der
nun folgenden Vorstellungsszene versuchen Sie, ein möglichst
lebhaftes Bild vor sich zu sehen und sich auf die Szene zu
konzentrieren. Sollten Ängste aufkommen, ist das sehr gut.
Versuchen Sie, die Ängste zuzulassen, sie ruhig kommen zu
lassen. Es kann sein, dass Sie während der Vorstellungsübung
durch Geräusche oder etwas anderes abgelenkt werden. Das
passiert. Versuchen Sie, sich nicht darüber zu ärgern, sondern
sich wieder auf die Szene zu konzentrieren.
Gut, dann fangen wir mit der Vorstellung der Szene an. Sie
besuchen Ihren Sohn im Gefängnis...“
Mögliche Variationen
• In der Exposition kann entweder graduiert oder massiert
vorgegangen werden
• Kognitive Techniken zur Unterstützung: Sofern durch die
Habituation keine Neubewertung der Sorgen eintritt, kann
diese durch kognitive Maßnahmen unterstützt werden, z.B.
- Realitätsüberprüfung
- Entkatastrophisierung
Exposition in vivo
• Hypothese: Sicherheits- und Vermeidungsverhalten wirkt
zwar kurzfristig angstreduzierend, trägt aber langfristig
zur Aufrechterhaltung der Sorgen bei
• Die gefürchteten Situationen werden von dem Patienten
gezielt aufgesucht oder hergestellt (z.B. Der Patient
erscheint absichtlich zu spät zu einem Termin)
• Rückversicherungsverhalten wird abgebaut (z.B. Der
Patient darf den Partner nicht mehr allein zur Beruhigung
anrufen)
• Die Exposition in vivo wird in Kombination mit der
Exposition in sensu durchgeführt
Kognitive Therapie nach Wells
Prinzip
• Es geht nicht primär darum, die Sorgeninhalte zu
hinterfragen (Typ-I-Sorgen), sondern die Metakognitionen
(Typ-II-Sorgen) zu disputieren.
Vorgehen
• Die Metakognitionen des Patienten identifizieren
• Ein individuelles Prozessmodell der Sorgen und MetaSorgen erarbeiten
• Modifikation von Meta-Sorgen anhand verschiedener
Disputationstechniken
Beispiele für Fragen nach Typ-II-Sorgen
• Was beunruhigt Sie am meisten bezüglich Ihrer Sorgen?
• Wenn die Sorgen für Sie belastend sind, warum hören Sie
dann nicht einfach damit auf, sich Sorgen zu machen?
• Könnte etwas Negatives passieren, wenn Sie es sich
erlauben, sich keine Sorgen zu machen?
• Wie viel Kontrolle haben Sie über Ihre Sorgen?
• Was würde es für Sie bedeuten, keine Kontrolle mehr über
Ihre Sorgen zu haben?
• Was denken Sie, was passieren könnte, wenn Sie aufhören
würden, sich Sorgen zu machen?
Angewandte Entspannung (Öst, 1987)
Indikation
• GAS, bei der die körperlichen Beschwerden (z.B. Hypervigilanz,
dauerhafte Anspannung) im Vordergrund stehen.
Ziel
• Die Patienten sollen lernen, sich in angstauslösenden
Situationen in Sekundenschnelle zu entspannen
Prinzip
• Das Verfahren baut auf der Progressiven Muskelrelaxation
(PMR) nach Jacobson auf
• Die Patienten lernen dann, sich in verschiedenen Haltungen in
immer kürzerer Zeit zu entspannen
• Haben sie diese Fähigkeit erlernt, wird der Transfer auf
belastende und ängstigende Situationen geübt.
1. Erlernen der Progressiven Muskelrelaxation
• Die PMR beruht auf einem Wechsel von An- und Entspannung
der Muskeln, was den allgemeinen Muskeltonus senken soll
• Nacheinander werden verschiedene Muskelgruppen (z.B.
rechter und linker Unter-/Oberarm, Nacken und Hals, Stirn,
Bauch...) angespannt (ca. 5-7 Sekunden) und entspannt (ca.
30 Sekunden)
• In der ursprünglichen Version: 30 Muskelgruppen;
hier: Verkürzte Version mit 15 Muskelgruppen
• Der Patient wird motiviert, das Entspannungsverfahren zu
Hause regelmäßig zu üben (z.B. 2 mal täglich)
• Als Hilfe für die Hausaufgabe kann er zunächst auf eine
Tonbandaufnahme der Instruktion zurückgreifen
Beispiel für eine Instruktion zur Durchführung der
Entspannungsübungen
„Bitte konzentrieren Sie sich auf Ihre rechte Hand und Ihren
rechten Unterarm. Ballen Sie jetzt die Faust – fest anspannen –
aber verkrampfen Sie nicht. Achten Sie darauf, wie sich die
Anspannung anfühlt. Fühlen Sie das Ziehen im Muskel.
Lassen Sie nun die Spannung ganz los. Konzentrieren Sie sich
auf den Unterschied zwischen Anspannung und Entspannung.
Achten Sie auf die Empfindungen, die Sie nun in Ihrer
entspannten Hand und Ihrem Unterarm haben.“
2. Die Entspannung wird verkürzt
1. Kürzere Form der PMR: Mehrere Muskelgruppen werden
zusammengefasst
2. Entspannung allein: Die Muskelgruppen werden ohne
vorherige Anspannung entspannt (Entspannung in 5-7 Min.)
3. Entspannung mit Selbstinstruktion: Auf ein selbstgewähltes
Signalwort hin, versucht der Patient ohne weitere Instruktion
zu entspannen (Entspannung in 2-3 Min.)
4. Entspannung in allen Lagen: Die Entspannung wird an
verschiedenen Orten und in verschiedenen Körperhaltungen
(z.B. Sitzen, Gehen) geübt. (Entspannung in 1-2 Min.)
5. Schnelle Entspannung: Der Patient soll üben sich 15-20 mal/
Tag in verschiedenen (nicht belastenden) Situationen zu
entspannen (Entspannung in 20-30 Sek.)
3. Anwendung der Entspannung
•
Frühwarnzeichen von Angst und Anspannung werden
identifiziert
•
Durchführung der Angewandten Entspannung in sensu: Der
Patient stellt sich angstauslösende Situationen vor. Bei ersten
Anzeichen von Angst versucht er, schnell und tief zu
entspannen.
•
Durchführung der Angewandten Entspannung in vivo: Wann
immer der Patient im Alltag Anzeichen von Angst oder
Anspannung verspürt, versucht er zu entspannen.
Effektivität psychotherapeutischer Behandlung
Ergebnisse von Metaanalysen
• Vergleich von kognitiver Therapie, kognitiv-behavioraler
Therapie und angewandter Entspannung: Die Verfahren
sind vergleichbar bezüglich der Reduktion der
Hauptsymptomatik. Sie erzielen hohe Effektstärken.
• Psychodynamische Therapie und nondirektive Therapien
erzielen noch mittlere Effektstärken
• Die Verfahren Desensibilisierung und Biofeedback
erzielten allein kaum höhere Effektstärken als
Pseudotherapie
Eine Therapievergleichsstudie:
Butler, G. et al. (1991). Comparison of Behavior Therapy and Cognitive
Behavior Therapy in the Treatment of Generalized Anxiety Disorder.
Journal of Clinical and Consulting Psychology, 59 (1), 167-175.
Ziel
Vergleich der Effektivität von kognitiv-behavioraler und
behavioraler Therapie bei GAS
Design
3 Behandlungs-Bedingungen (Randomisierte Zuweisung):
• Kognitiv-behaviorale Therapie: In Anlehnung an Beck wurden
dysfunktionale Gedanken identifiziert und modifiziert
• Behaviorale Therapie: PMR und graduierte Konfrontation
• Warteliste
Behandlung
• Es wurden 12 Einzelsitzungen (je 1 Stunde) angeboten
• Drei Sitzungen zur Aufrechterhaltung des Therapieerfolges im
Abstand von 2, 4 und 6 Wochen nach Behandlungsende
Stichprobe
75 Patienten mit der Diagnose GAS nach DSM-III-R
Erfassung des Therapieerfolgs
• Skalen zur Erfassung von Angst (z.B. BAI)
• Skalen zur Erfassung von Depression (z.B. BDI)
• Skalen zur Erfassung von dysfunktionalen Kognitionen (z.B.
DAS)
• Diese Daten wurden vor und nach der Behandlung sowie in einer
6-Monats-Katamnese erhoben
Ergebnisse im Post-Test
• Kognitive Therapie: Signifikanten Verbesserungen in allen Angstund Kognitionsmaßen und in drei der vier Depressionsmaße
• Behaviorale Therapie: Signifikante Verbesserungen in einigen,
aber nicht allen Angst-, Kognitions- und Depressionsmaßen
• Warteliste: Keine signifikanten Veränderungen
• Überlegenheit der kognitiven Therapie ggü. der behavioralen
Therapie in Angst-, Kognitions- und Depressionsmaßen.
Ergebnisse in der Katamnese
• Die Unterschiede zwischen den Gruppen blieben bestehen
• In den Kognitionsmaßen deutete sich eine Vergrößerung der
Unterschiede an
Diskussion
Die kognitive Therapie war der rein behavioralen Therapie bei der
Behandlung der GAS überlegen.
Mögliche Gründe für die Überlegenheit:
• Die Berücksichtigung zusätzlicher Probleme (z.B. Depression,
soziale Ängstlichkeit) lässt sich im Rahmen der kognitiven
Therapie leichter realisieren
• Durch kognitive Therapie lassen sich Motivationsprobleme
leichter auffangen
• Kognitive Therapie behandelt das Phänomen des Sich-Sorgens
direkter als die rein behaviorale Therapie (die hier ohne
Sorgenkonfrontation durchgeführt wurde)
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