Entscheidungen // Arbeitsrecht Ebel/Lezius · BB-Kommentar weils einen Ersatzurlaubstag zu gewähren. Zwar folgt aus § 7 Abs. 2 AGG nur, dass die diskriminierende Regelung unwirksam ist. Auch wird vom Senat nicht verkannt, dass es sich bei § 26 Abs. 1 S. 2 TVöD um ein Stufensystem handelt, sodass grundsätzlich keine Stufe als die von den Tarifvertragsparteien als „übliche“ Urlaubsdauer gewollte angesehen werden kann. Jedoch kann die Beseitigung der Diskriminierung vorliegend nur durch eine Anpassung „nach oben“ erfolgen. … 30 c) Hingegen ist eine Anpassung „nach oben“ zur Beseitigung einer Altersdiskriminierung im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, wenn auf andere Weise die Diskriminierung nicht behoben werden kann, weil der Arbeitgeber den Begünstigten für die Vergangenheit die Leistung nicht mehr entziehen kann (vgl. ausführlich: BAG 10.11.2011 – 6 AZR 148/09 – Rn. 20 ff., BB 2012, 1288 m. BB-Komm. Freckmann = NZA 2012, 161). Dies ist vorliegend der Fall. Der den begünstigten Beschäftigten in den Jahren 2008 und 2009 gewährte Urlaub von jährlich 30 Arbeitstagen kann nicht rückwirkend auf 29 oder 26 Arbeitstage begrenzt werden. Die als Urlaub bereits gewährte Freizeit ist nicht kondizierbar. 31 d) Schließlich steht der Anpassung „nach oben“ auch nicht § 15 Abs. 3 AGG entgegen. Danach ist der Arbeitgeber bei der Anwendung kollektiv- // BB-Kommentarn rechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fährlässig handelt. Diese Bestimmung bezieht sich allein auf die immaterielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG (vgl. BAG 10.11.2011 – 6 AZR 148/09 – Rn. 38, BB 2012, 1288 m. BBKomm. Freckmann = NZA 2012, 161; ErfK/Schlachter § 15 AGG Rn. 13) und verhält sich nicht zur Beseitigung einer Diskriminierung durch eine den Diskriminierungsverboten genügende Regelung. e) Der Beklagte kann auch keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen. 32 … Anspruch auf Ersatzurlaub bei gleichzeitigem Verfall der Resturlaubsansprüche 6. Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatzurlaub gemäß § 280 Abs. 1, § 286 33 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 S. 2, § 249 Abs. 1 BGB. Die Resturlaubsansprüche für die Jahre 2008 und 2009 waren mangels Vorliegens eines Übertragungsgrundes nach § 26 Abs. 1 S. 6 TVöD i.V. m. § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG zum 31. 12. des jeweiligen Jahres verfallen. Diesen Untergang hat der Beklagte zu vertreten, weil er sich mit der Gewährung des Urlaubs in Verzug befand. … Problem Die Entscheidung des BAG vom 20.3.2012 zur altersabhängigen Staffelung der Urlaubsdauer (Az.: 9 AZR 529/10) hat Klarheit in eine zuvor divergierende Entscheidungspraxis der Landesarbeitsgerichte gebracht. Das BAG entschied, dass die Tarifvorschrift des § 26 Abs. 1 TVöD in der bis zum Ablauf des 29.2.2012 geltenden Fassung, nach der bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr bis zum vollendeten 30. Lebensjahr 26 Arbeitstage, bis zum vollendeten 40. Lebensjahr 29 Arbeitstage und nach dem vollendeten 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage beträgt, einen nach § 7 Abs. 1 und Abs. 2 AGG i.V. m. § 1 AGG unmittelbaren Verstoß der Benachteiligung wegen des Alters darstelle. von Urlaubsansprüchen für beendet angesehen werden. In der vorliegenden Entscheidung sah das BAG keine andere Möglichkeit als den Urlaubsanspruch der Klägerin wegen Altersdiskriminierung „nach oben“ anzupassen, um sie mit anderen Personen in einer vergleichbaren Situation gleichzustellen. Die Konsequenzen haben die Arbeitgeber zu tragen, die sich nun erhöhten Urlaubsansprüchen ihrer jüngeren Arbeitnehmer ausgesetzt sehen. Für den öffentlichen Dienst haben die Tarifvertragsparteien reagiert und für Beschäftigte, die nach dem 29.2.2012 eingestellt werden, vereinbart, dass diese nunmehr einen Urlaubsanspruch von 29 Arbeitstagen und nach dem vollendeten 55. Lebensjahr einen solchen von 30 Arbeitstage erhalten sollen. Dabei sind sie davon ausgegangen, dass ein höherer Erholungsbedarf für Beschäftigte besteht, die das 55. Lebensjahr vollendet haben. Dies rechtfertige einen zusätzlichen Urlaubstag. Dass eine altersabhängige Urlaubsstaffelung nicht in jedem Fall aufgrund eines Verstoßes gegen das AGG unwirksam sein muss, hat das BAG bereits mitteilen lassen. Es ließ zu seiner Entscheidung verlauten, die vorgelegte tarifliche Urlaubsstaffelung verfolge eben nicht das legitime Ziel, einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Menschen Rechnung zu tragen – dieses ließe sich für Beschäftigte bereits ab dem 30. bzw. 40. Lebensjahr auch kaum begründen. Aus Sicht des BAG können sich somit Arbeitnehmer im Alter bis zum 40. Lebensjahr als nicht zu der Gruppe der „älteren Menschen“ zählend betrachten, wogegen aus Sicht der Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes Personen ab dem vollendeten 55. Lebensjahr sehr wohl dazugehören. Entscheidung Hatte das LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.3.2010 – 20 Sa 2058/09 – als Vorinstanz zu der bundesarbeitsgerichtlichen Entscheidung, noch die Auffassung vertreten, dass die altersabhängige Staffelung der Urlaubsdauer in § 26 Abs. 1 TVöD keinen Verstoß gegen das AGG darstelle, war das LAG Düsseldorf in seinem Urteil vom 18.1.2011 – 8 Sa 1274/ 10 = BB 2011, 1984 – zu einer vergleichbaren Regelung im Manteltarifvertrag des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen bereits dazu übergegangen, die dortige Altersstaffelung von Urlaubsansprüchen der Arbeitnehmer für nicht mit dem AGG vereinbar zu erklären. In beiden Verfahren ging es um Urlaubsansprüche von Klägerinnen im Alter von unter 40 Jahren. Damit darf eine jahrelange Praxis tarifvertraglicher Regelungen zur Altersstaffelung Praxisfolgen Aufgrund der Verbreitung von altersabhängigen Urlaubsstaffeln kommt nun auf eine Vielzahl von Tarifvertragsparteien die Aufgabe zu, das Lebensalter zu bestimmen, ab dem legitimer Weise von einer altersbedingten gesteigerten Erholungsbedürftigkeit auszugehen ist. Dabei sollten sie berücksichtigen, dass die Entscheidung des BAG nur einen singulären Aspekt aus dem bestehenden Tarifwerk insgesamt betrifft. Unabhängig von den Vereinbarungen von Tarifvertragsparteien und deren Verständnis des Erholungsbedürfnisses „älterer Menschen“ verbleibt bei den Tarifparteien im allgemeinen – und damit in der Konsequenz bei den Arbeitgebern im speziellen – das Risiko möglicher weiterer noch unentdeckter Verstöße gegen das AGG. Anke S. Ebel, RAin und Partnerin, und Uwe Lezius, RA/StB, Wirtschaftsprüfer und Prokurist, beide bei CURACON GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Münster , „Wann ist man ,älterer Mensch ? oder: Das Risiko der Unwirksamkeit tarifvertraglicher Vereinbarungen“ Arbeitsrecht // Entscheidungen Schmädicke · Massenentlassungsanzeige – Stellungnahme des Betriebsrats Bei Arbeitgebern, die sich bezüglich der Gewährung von Urlaubstagen an tarifvertraglich altersabhängige Staffeln hielten, hat sich mit dem Urteil des BAG ein in dem Tarifvertrag immanent enthaltenes Risiko für ihre Personalkostenplanung realisiert. Sie haben sich auf die Gültigkeit tarifvertraglicher Normen verlassen und sehen sich mit Ansprüchen der Mitarbeiter konfrontiert, die sich auf eine Diskriminierung berufen können. Bedurfte es erst wirklich des Urteils des BAG um dieses Risiko erkennen zu können bzw. zu müssen? Theoretisch bestand seit dem Erlass der dem AGG zugrunde liegenden Richtlinie 2000/78/EG im Dezember 2000 die Erkenntnismöglichkeit, dass die Diskriminierungsverbote auch auf tarifvertragliche Bestimmungen Anwendung finden. Die weitere Chance der Risikoidentifikation kam mit der Umsetzung der Richtlinie durch Ausfertigung des AGG am 14.8.2006. Spätestens mit der Entscheidung des LAG Düsseldorf aus dem Januar 2011 war arbeitgeberseitig eine entsprechende Risikobewertung notwendig und ist nun mit dem Bekanntwerden des Urteils des BAG verpflichtend. Die Entscheidung des BAG macht deutlich, dass Arbeitgeber auch eine kritische Würdigung der Wirksamkeit von tarifvertraglichen Regelungen vor BAG: Die in einen Interessenausgleich ohne Namensliste integrierte Stellungnahme des Betriebsrats kann den Anforderungen des § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG genügen BAG, Urteil vom 21.3.2012 – 6 AZR 596/10 Volltext des Urteils: // BB-ONLINE BBL2012-1996-1 unter www.betriebs-berater.de LEITSATZ Eine in den Interessenausgleich ohne Namensliste integrierte Stellungnahme des Betriebsrates kann den gesetzlichen Anforderungen im Zusammenhang mit der Erstattung einer Massenentlassungsanzeige genügen; § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG verlangt keine Stellungnahme des Betriebsrates in einem eigenständigen Dokument. ZUSAMMENFASSUNG Nachdem über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt wurde, informierte dieser den Betriebsrat über die geplanten Entlassungen und schloss einige Tage später mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich ohne Namensliste ab. Bestandteil dieses Interessenausgleichs war eine Stellungnahme des Betriebsrats, mit der dieser erklärte, dass das Konsultationsverfahren gem. § 17 Abs. 2 KSchG abgeschlossen sei. Die Parteien stritten über die Wirksamkeit der nach Eingang der Massenentlassungsanzeige erklärten Kündigung. Nach Auffassung der Klägerin genügte die Übersendung einer Stellungnahme des Betriebsrats in einem Interessenausgleich ohne Namensliste nicht den gesetzlichen Anforderungen gem. § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG. Das BAG hob auf die Revision des Beklagten das Urteil der Vorinstanz auf und wies die Kündigungsschutzklage ab. Das BAG begründet seine Entscheidung damit, dass die in einen Interessenausgleich ohne Namensliste integrierte Stellungnahme des Betriebsrats den Anforderungen des § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG genügen könne, die Vorschrift verlange keine Stellungnahme in einem eigenständigen Dokument. Dies ergebe sich insbesondere aus Sinn dem Hintergrund des AGG vornehmen müssen. Das Urteil ist der generelle Beleg für die Notwendigkeit den angewandten Tarifvertrag mit in das unabhängig von der Rechtsform entsprechend § 91 Abs. 2 AktG unternehmensseitig einzurichtende Risikomanagementsystem einzubeziehen. Hierunter wird ein nachvollziehbares, alle Unternehmensaktivitäten umfassendes System verstanden, das auf Basis einer definierten Risikostrategie ein systematisches und permanentes Vorgehen mit bestimmten Elementen umfasst. Es muss integraler Bestandteil der Planungs- und Kontrollprozesse sein und hat – wie die BAG Entscheidung beweist – mögliche tarifvertragliche Gesetzesverstöße mit zu umfassen. Es ist nicht mehr ausreichend, wenn sich Arbeitgeber auf die Gültigkeit des Tarifvertrages verlassen. Das Gesetz hat schließlich noch immer Vorrang. Arbeitgebern kann nur geraten werden, keine Arbeitsvertragsmuster mit altersabhängigen Urlaubsstaffeln zu verwenden; dies gilt zumindest dann, wenn die Staffelung bei einem Lebensalter beginnt, das nach Ansicht des BAG noch keine gesteigerte Erholungsbedürftigkeit rechtfertigt. Andernfalls können „jüngere Menschen“ den darin für Personen im fortgeschrittenen Alter vorgesehenen Urlaub mit höherem Erholungspotential auch für sich reklamieren. und Zweck der Vorschrift: Die Stellungnahme des Betriebsrats soll aufzeigen, ob und welche Möglichkeiten zur Vermeidung der angezeigten Kündigungen bestehen bzw. ob soziale Maßnahmen mit dem Betriebsrat beraten und ggf. getroffen worden sind. Zudem soll hierdurch verhindert werden, dass der Arbeitgeber eine für ihn ungünstige Stellungnahme des Betriebsrats verschweigt, um eine für ihn günstige Entscheidung der Agentur für Arbeit zu erwirken. Diesen Zwecken genüge auch eine in den Interessenausgleich integrierte abschließende Stellungnahme des Betriebsrats, die sich auf die angezeigten Kündigungen beziehe. Nach Auffassung des BAG wäre es ein überflüssiger Formalismus, vom Arbeitgeber eine zusätzliche zu der bereits in den Interessenausgleich aufgenommenen Stellungnahme zu verlangen. PRAXISFOLGEN Gesetzlich ist lediglich in den § 125 Abs. 2 InsO und § 1 Abs. 5 KSchG geregelt, dass ein Interessenausgleich mit Namensliste die Stellungnahme des Betriebsrates gem. § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ersetzt. In der betrieblichen Praxis ist es aber durchaus üblich, auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 125 Abs. 2 InsO, § 1 Abs. 5 KSchG in einen Interessenausgleich einen Passus aufzunehmen, aus dem sich ergibt, dass der Betriebsrat ausdrücklich erklärt, dass er auch das Konsultationsverfahren im Zusammenhang mit den Unterrichtspflichten des Arbeitgebers bei geplanten Massenentlassungen als abgeschlossen ansieht und hierzu Stellung nimmt. Dahinter stehen vornehmlich Praktikabilitätserwägungen. Da die Unterrichtungspflichten gem. § 111 BetrVG und § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG weitgehend übereinstimmen, bieten es sich schlicht an, auch die Stellungnahme des Betriebsrates gem. § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG mit in den Interessenausgleich aufzunehmen. Das BAG hat für erfreuliche Klarheit gesorgt, dass diese Praxis nicht zu beanstanden ist. Die Stellungnahme des Betriebsrates gem. § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG kann im Interessenausgleich enthalten sein, sofern diese eindeutig erkennen lässt, dass sie sich abschließend auf die angezeigten Kündigungen bezieht. Dr. Axel Schmädicke, RA/FAArbR und Partner, ALTENBURG Fachanwälte für Arbeitsrecht, München