Originalarbeit Fortschr Neurol "949", 21.3.07/Druckhaus Götz GmbH Nicht-kognitive Symptome und psychopharmakologische Behandlung bei demenzkranken Heimbewohnern Non-Cognitive Symptoms and Psychopharmacological Treatment in Demented Nursing Home Residents Autoren U. Seidl1, U. Lueken1, L. Völker1, S. Re2, S. Becker2, A. Kruse2, J. Schröder1 Institute 1 Schlüsselwörter " Demenz l " nicht-kognitive Symptome l " Apathie l " Heimbewohner l " gerontopsychiatrische l Versorgung Zusammenfassung Abstract Demenzielle Erkrankungen wie die AlzheimerDemenz (AD) bilden die wichtigste Ursache für eine Inanspruchnahme stationärer Pflege. Im Laufe der Erkrankung prägen neben kognitiven Einschränkungen psychopathologische ± oder ¹nicht-kognitiveª ± Begleitsymptome wie Apathie, Depression, Wahnbildungen oder Unruhezustände das klinische Bild und können die Pflegesituation entscheidend verkomplizieren. In der vorliegenden Studie haben wir deshalb die psychopathologische Begleitsymptomatik von 145 demenzkranken Heimbewohnern (Durchschnittsalter: 85 7 Jahre, mittlere Heimaufenthaltsdauer: 35 48 Monate; GDS: 5 2; MMSE: 11 9) mit dem neuropsychiatrischen Inventar untersucht. Zusätzlich wurden apathische Symptome mit der eigenen deutsprachigen Version der Apathy Evaluation Scale (AES-D) erhoben. Um regionale Effekte zu vermeiden, wurden die Bewohner in Heimen um Heidelberg sowie um Münster rekrutiert. Nach den Ergebnissen unserer Studie bestand bei 87 % der Heimbewohner eine psychopathologische Symptomatik, wobei depressive (52 %) und apathische Symptome (41 %), gefolgt von Erregung (38 %), am häufigsten waren. Allgemeinzustand (AZ), Ernährungszustand (EZ) und Pflegezustand wurden zumeist als gut bewertet, entsprechendes galt für die allgemeinmedizinische Versorgung. Dagegen war eine fachärztliche psychiatrische Mitbehandlung die Ausnahme und lediglich 27 % waren entsprechend vorgestellt worden. 70 % der Bewohner wurden psychopharmakologisch behandelt, wobei Sedativa (44 %) mit Abstand am häufigsten verabreicht wurden, während Antidementiva nur bei 11 % zum Einsatz kamen. Zusammenfassend belegt gerade die differenzierte Betrachtung der gerontopsychiatrischen Versorgung weiteren Informations- und Fortbildungsbedarf. Dementias, in particular Alzheimer's disease (AD), are the main reason for availing of nursing home care. In the course of the illness, the clinical picture is affected by cognitive decline and by other psychopathological, ªnon-cognitiveº symptoms such as apathy, depression, delusions or agitation. Little attention has been paid to these symptoms, although they lead to an increase in strain on the patients and their relatives as well as complications in nursing care. Psychopathological symptoms were established by using the Neuropsychiatric Inventory in 145 nursing home residents (age: 85 7 years, duration of stay: 35 48 months); the majority of them with moderate to severe dementia (GDS: 5 2; MMSE: 11 9). In addition, the Apathy Evaluation Scale was applied. To meet potential regional effects, residents were recruited in nursing homes in the areas around Heidelberg as well as Munster. 87 % of the participants showed psychopathological symptoms of an at least moderate degree, depressive mood (52 %), apathy (41 %) and agitation (38 %) being most frequent. General condition, nutritional status and care status were evaluated as good', likewise general health care. In contrast, only 27 % were treated by psychiatrists. 70 % received psychopharmacological treatment, mostly sedatives (44 %), while dementia drugs were used only in 11 %. A sophisticated analysis with respect to psychopathological subgroups underlined the need of further information and advanced training. Key words " dementia l " non-cognitive symptoms l " apathy l " nursing home residents l " geriatric psychiatric care l Bibliografie DOI 10.1055/s-2007-959211 Fortschr Neurol Psychiat 2007; 75; 1±8 Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ´ New York ISSN 0720-4299 Korrespondenzadresse Prof. Dr. Johannes Schröder Sektion Gerontopsychiatrie ´ Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg Voûstr. 4 69115 Heidelberg Johannes_Schroeder@ med.uni-heidelberg.de 2 Sektion Gerontopsychiatrie, Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg Institut für Gerontologie, Universität Heidelberg ! ! Seidl U et al. Nicht-kognitive Symptome und psychopharmakologische Behandlung ¼ Fortschr Neurol Psychiat 2007; 75: 1 ± 8 1 2 Originalarbeit Einleitung Fortschr Neurol "949", 21.3.07/Druckhaus Götz GmbH ! Demenzielle Erkrankungen mit ihren vielfältigen Begleiterscheinungen, insbesondere die Alzheimer-Demenz (AD) als ihre häufigste Form, bilden die wichtigste Ursache für eine Inanspruchnahme stationärer Pflege. Entsprechend ist die Häufigkeit demenzieller Erkrankungen in Pflegeheimen mit einer Prävalenz von 47,6 % und einer jährlichen Inzidenz von 17,2 % im Vergleich zu Privathaushalten um ein Vielfaches erhöht [1]. Im klinischen Verlauf prägen neben kognitiven Einschränkungen psychopathologische Auffälligkeiten das klinische Bild [2], wie sie bereits von Alois Alzheimer 1907 als Initialsymptomatik angegeben wurden [3]. Aus klinischer Sicht besonders wichtig sind expansive Symptome wie Wahnbildungen oder Halluzinationen, aber auch depressive Verstimmungen und Apathie. Obwohl letztere häufig schon in den Anfangsstadien der AD entstehen und die Betroffenen besonders einschränken, bleiben sie klinisch häufig unerkannt. Mit neuen Konzepten wie der ¹Depression of Alzheimer's Diseaseª oder Beurteilungsinstrumenten ± z. B. der ¹Apathy Evaluation Scaleª [4, 5] wurde deshalb versucht, die Erkennung gerade dieses Teils der Symptomatik zu verbessern. Andere Autoren konzentrierten sich auf die Differenzierung möglicher Subsyndrome bzw. Subgruppen. So konnten Wobrock u. Mitarb. [6] in einer Verlaufsuntersuchung bei AD-Patienten, die auf einen Cholinesterasehemmer eingestellt waren, affektive Störungen mit aggressivem Verhalten sowie halluzinatorische Phänomene von einander trennen. Cook u. Mitarb. [7] identifizierten faktorenanalytisch Wahrnehmungsstörungen und Wahn als mögliche Subsyndrome, während Haupt u. Mitarb. [8] verschiedene Subsyndrome ± ¹Depressionª, ¹Apathieª, ¹psychotische Symptome/Aggressivitätª und ¹Verkennungen/Unruheª ± bei AD berichten. Fink u. Mitarb. [9] beziehen sich auf Störungen des Verhaltens ± Umherwandern, Agitiertheit oder sexuelle Enthemmung von ¹psychischenª Symptomen, d. h. Depression, ¾ngstlichkeit oder Halluzinationen. Zusammenhänge zwischen hirnorganischen Veränderungen und psychopathologischen Begleitsymptomen werden nicht nur in Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren deutlich, sondern zeigen sich auch in den unterschiedlichen psychopathologischen Charakteristika verschiedener Demenzformen. So leiden Patienten mit frontotemporalen Demenzen oft unter früh einsetzenden Verhaltensauffälligkeiten mit ausgeprägten Störungen des Sozialverhaltens, bei der Levy-Körperchen-Demenz dagegen sind Halluzinationen und Wahnbildungen häufig [10]. Andererseits werden Verhaltensauffälligkeiten auch durch Umgebungsbedingungen und prämorbide Persönlichkeitszüge moduliert. Eine günstige Beeinflussung psychopathologischer Begleitsymptome ist in der Regel mit den verfügbaren psychotropen Medikamenten möglich. Die Angaben über die Häufigkeit des Einsatzes von Psychopharmaka in Altenheimen schwanken je nach Stichprobe zwischen 34 % und 75 % [11]. Dabei entspricht deren Einsatz bei älteren Patienten oft nicht den klinischen Erfordernissen [12], was sich insbesondere in der Behandlung von Depressionen zeigt, wo Psychopharmaka häufig inadäquat verordnet werden (Board of Directors of the American Association for Geriatric Psychiatry, zitiert nach [13]). Gerade eine angemessene Behandlung psychopathologischer Begleitsymptome kann jedoch dazu beitragen, den Leidensdruck der Betroffenen erheblich zu reduzieren und mithin die Lebensqualität zu verbessern. In der vorliegenden Studie wurde deshalb zunächst die Prävalenz nicht-kognitiver Störungen bei demenzkranken Heimbewohnern erhoben, wobei ein Schwerpunkt in der Erfassung von Apathie lag. In einem zweiten Schritt wurden die Symptome im Hinblick auf ihre Bedeutung untersucht; hierzu wurden clusteranalytisch klinische Prägnanztypen identifiziert. Ausgehend von diesen Befunden wurden schlieûlich die Behandlungspraxis und insbesondere die medikamentöse Versorgung kritisch betrachtet. Methode ! Stichprobe und Demenzdiagnostik In der vorliegenden Studie wurden 145 Pflegeheimbewohner untersucht, die in Einrichtungen im Raum Heidelberg oder Münster (Westfalen) leben; die Rekrutierung der Teilnehmer aus zwei unterschiedlichen Gebieten diente der Vermeidung regionaler Effekte. Die Auswahl der demenzkranken und ± in einem zweiten Schritt ± der nicht dementen Bewohner erfolgte durch die jeweiligen Einrichtungen. Die Demenzdiagnostik wurde gemäû NINCDS-ADRDA- [14] bzw. NINDS-AIREN-Kriterien [15] anhand klinischer Befunde, fremdanamnestischer Angaben über Symptomatik und Verlauf sowie evtl. vorhandener Ergebnisse apparativer Untersuchungen vorgenommen. Die aktuelle medikamentöse Behandlung wurde aus der Pflegedokumentation übernommen, darüber hinaus wurden die behandelnden Haus- und Fachärzte um weitergehende fremdanamnestische Angaben gebeten. Die Studie wurde durch die Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg genehmigt; die Untersuchungen erfolgten nach Aufklärung und Einverständnis der Bewohner bzw. ihrer gesetzlichen Betreuer. Neuropsychologie Bei der Zusammenstellung der neuropsychologischen Testbatterie galt es, im Hinblick auf Umfang und Durchführbarkeit alle Schweregrade der Demenz zu berücksichtigen. Zur Basistestung der kognitiven Beeinträchtigung diente der Mini Mental-Status (MMSE) [16]; zusätzlich wurden Wortfindung und phonemische Wortflüssigkeit berücksichtigt und, soweit in Anbetracht der Demenzschwere möglich, die Consortium to Establish a Registry for Alzheimer's Disease (CERAD)-Testbatterie erhoben. Als Instrument zur globalen Einschätzung der Demenzschwere, das sich auch an Alltagsfertigkeiten orientiert, diente die Global Deterioration Scale (GDS) [17], die wie auch der MMSE bei allen 145 Bewohnern erhoben wurde. Dagegen konnten mit der gesamten CERAD-Batterie nur 32 Bewohner getestet werden. Psychopathologische Symptomatik Ergänzend zum psychopathologischen Befund wurde die psychologische Symptomatik mit dem Neuropsychiatric Inventory (NPI) [18] in der so genannten ¹Pflegeheimversionª dokumentiert. Als Informanten dienten Pflegekräfte, die mit dem jeweiligen Bewohner gut vertraut waren. Das NPI stellt ein verbreitetes und valides Instrument zur Erfassung nicht-kognitiver Symptome bei Demenzkranken dar. Es umfasst das Spektrum möglicher Auffälligkeiten von Wahrnehmungs- und Denkstörungen über Affekt- und Antriebsstörungen bis hin zu abweichendem Sozialverhalten, wobei die einzelnen Symptombereiche gut voneinander abgegrenzt sind. Apathie Ein besonderer Schwerpunkt unserer Untersuchungen war die Erfassung von Apathie als einem der häufigsten psychopathologischen Symptome bei Demenz. Zur deren differenzierten Ein- Seidl U et al. Nicht-kognitive Symptome und psychopharmakologische Behandlung ¼ Fortschr Neurol Psychiat 2007; 75: 1 ± 8 Originalarbeit 30 Prozent schätzung diente eine eigene, vom Verfasser autorisierte deutsche Übersetzung der Apathy Evaluation Scale (AES-D) [5] in der Fremdbeurteilungsversion; die deutsche Übersetzung ist auf Nachfrage von den Verfassern erhältlich. Die AES-D erfasst in 18 Unterpunkten kognitive, emotionale und Verhaltensaspekte der Apathie. Die psychometrischen Eigenschaften der deutschen Version wurden von uns aktuell vorgelegt [4]. 20 10 0 Ergebnisse 1 In der vorliegenden Studie wurden 145 Heimbewohner untersucht, 118 Frauen und 27 Männer. Die Bewohner waren zum Untersuchungszeitpunkt durchschnittlich 84,8 7,1 Jahre alt und befanden sich bereits durchschnittlich 35,5 48,5 Monate im Heim. Der AZ wurde bei 63 % als ¹gutª eingeschätzt, bei 34 % als ¹mäûigª und lediglich bei 3 % als ¹schlechtª. 24 % der Bewohner befanden sich in adipösem EZ, bei 55 % wurde der EZ als ¹gutª, bei 18 % als ¹mäûigª und wiederum bei 3 % als ¹schlechtª bewertet. Leicht und schwer Demenzkranke unterschieden sich nicht signifikant im AZ und EZ (p < 0,01). Eine ausgeprägte Exsikkose in Verbindung mit einer Zyanose fand sich bei einem, eine Parkinson-Symptomatik mit Rigor, Tremor und Akinese bei zwei Bewohnern. Klinisch-psychopathologisch war bei keinem der untersuchten Bewohner eine Bewusstseinsstörung auffällig. Die Orientierung zu Zeit, Ort und Situation war dagegen bei den Demenzkranken in aller Regel aufgehoben; gleichermaûen bestanden in Abhängigkeit von der jeweiligen Demenzschwere Einschränkungen des deklarativen Gedächtnisses, die vor allem episodisches Wissen und erst in zweiter Linie semantische Informationen betrafen. Auch waren häufig Wortfindungsstörungen und eine Apraxie zu beobachten. Sieben Prozent der Heimbewohner waren kognitiv unbeeinträchtigt, weitere 5 % litten an einer leichten kognitiven Störung, 68 % an einer möglichen oder wahrscheinlichen AD, 15 % an einer vaskulären Demenz oder einer Mischform. Bei etwa 5 % lag eine andere Ursache, beispielsweise eine frontotemporale Demenz, vor. Die Auswertung der ärztlichen Befunde zeigte, dass in knapp zwei Drittel (65 %) der Fälle eine Demenz als solche überhaupt vorbeschrieben war. Die explizite Diagnose ¹Alzheimer-Demenzª oder ¹vaskuläre Demenzª wurde nur bei jeweils 5 % der Bewohner gestellt, während bei 55 % lediglich ¹Demenz ohne nähere Angabeª festgehalten war. Bei gut einem Drittel (35 %) war die Demenz nicht vordiagnostiziert. Der MMSE als Maû für die kognitive Einschränkung betrug durchschnittlich 11,39 9,23 Punkte, die GDS als globales Maû für die Beeinträchtigung wurde mit 4,65 1,73 eingeschätzt. Das Verteilungsmuster in der untersuchten Stichprobe weist einen Schwerpunkt bei mittleren " Abb. 1). bis schweren Demenzen auf (l Mit dem NPI waren bei den meisten Bewohnern (87 %) psychiatrische Auffälligkeiten nachweisbar. Tatsächlich hatte schon der klinisch-psychopathologische Befund ein vergleichbares Bild erbracht. Am häufigsten waren Depressivität (52 %), gefolgt von Apathie (41 %) und Erregung (38 %) sowie motorischer Unru" Abb. 2). Die Schwere der nicht-kognitiven Störunhe (34 %) (l gen insgesamt, gemessen am NPI-Summenscore, nahm erwartungsgemäû mit Fortschreiten der kognitiven Defizite, wie sie " Abb. 3). der MMSE erfasst, etwas zu (r = ± 0,42; p < 0,001) (l Die Regressionsanalyse mit dem NPI-Summenscore als abhängiger Variable zeigte, dass 18 % der Varianz durch den MMSE er- 2 3 4 5 GDS-Score 6 7 Abb. 1 Schweregrad der Demenz in der GDS: Verteilung der Stichprobe in Prozent. Gesamt Wahn Halluzinationen Erregung Depression Angst Euphorie Apathie Enthemmung Reizbarkeit Abweichende Motorik Ausgeprägt Mäßig Schlafstörungen Essstörungen 0 20 40 60 Prozent 80 100 Abb. 2 Häufigkeit nicht-kognitiver Symptome in Prozent, wobei Mehrfachnennungen möglich waren. 80 NPI Summenwert Fortschr Neurol "949", 21.3.07/Druckhaus Götz GmbH ! 70 60 50 40 30 20 10 0 30 25 20 15 10 MMSE Summenwert 5 0 Abb. 3 Zusammenhang zwischen kognitivem Status gemäû MMSE und Schwere der nicht-kognitiven Störungen im NPI (r = ± 0,42; p < 0,001). klärt werden (R2 = 0,1780; p < 0,001) und 3 % durch das Lebensalter (R2 = 0,0316; p < 0,05). Auch Apathie nahm mit den kognitiven Einschränkungen zu (Zusammenhang zwischen MMSE-Wert und AES-D-Wert: " Abb. 4) und war dabei nicht signifikant r = ± 0,38 p < 0,005; l an soziodemografische Faktoren wie Alter oder Dauer des Heimaufenthaltes gebunden. Die Werte in der AES-D waren signifikant mit der Apathie-Subskala des NPI korreliert (r = 0,59, p < 0,001), nicht jedoch mit den übrigen Subskalen einschlieûlich Depressivität (r = ± 0,18, p = n. s.) und auch nicht mit dem Seidl U et al. Nicht-kognitive Symptome und psychopharmakologische Behandlung ¼ Fortschr Neurol Psychiat 2007; 75: 1 ± 8 3 4 Originalarbeit AES-D Summenwert 50 40 30 20 10 0 30 25 20 15 10 MMSE Summenwert 5 0 Fortschr Neurol "949", 21.3.07/Druckhaus Götz GmbH Abb. 4 Zusammenhang zwischen kognitivem Status gemäû MMSE und Apathie, gemessen in der AES-D (r = ± 0,38 p < 0,005). NPI-Summenwert (r = 0,15, p = n. s.). Der AES-D-Summenwert betrug 26,49 14,76 (Median 26). Gemäû den Quartilen des AES-D-Summenwertes wurden die Bewohner vier verschiedenen Prägnanzgruppen zugeteilt, die klinisch einer nicht oder ¹kaumª, ¹mäûigª, ¹starkª oder ¹sehr starkª ausgeprägten Apathie entsprachen. Der Vergleich dieser Prägnanzgruppen zeigte keinen signifikanten Unterschied im Lebensalter, stärker apathische Bewohner befanden sich jedoch vergleichsweise länger im Heim als weniger apathische und waren im Durchschnitt stärker mit nicht-kognitiven Störungen belastet. Der MMSE-Summenwert nahm mit zunehmender Apathie signifikant ab, während die GDS bei stärker ausgeprägter Apathie signifikant höher eingeschätzt wurde (jeweils p < 0,01). Nach den Ergebnissen einer hierarchischen Clusteranalyse mit dem Fusionierungsverfahren nach Ward wurden anhand der nicht-kognitiven Symptome und im Einklang mit psychopatho- Tab. 1 logischen Prägnanztypen vier Untergruppen gebildet. Die erste Gruppe zeigte eine vergleichsweise ¹geringeª Belastung mit nicht-kognitiven Symptomen. In der zweiten, der ¹apathischenª Gruppe stand Apathie im Vordergrund und war im Vergleich zu den anderen Gruppen am stärksten ausgeprägt. Die dritte Gruppe war durch ein Vorherrschen von abweichender Motorik und Schlafstörungen gekennzeichnet und wurde als ¹agitiertª bezeichnet. Beim vierten Cluster handelte es sich um ein buntes Bild ¹ausgeprägterª psychopathologischer Symptome, wobei sowohl Halluzinationen, Depressivität und ¾ngstlichkeit als auch Euphorie und Enthemmung, oft im mehr oder weniger raschen Wechsel, auftraten. Gemessen am NPI-Summenwert, der alle Einzelwerte bis auf Schlaf- und Appetitstörungen zusammenfasst, fand sich in der vierten Gruppe die mit Abstand stärkste Belastung mit nicht-kognitiven Störungen. In der GDS wurde die Gruppe mit ¹geringerª Ausprägung nichtkognitiver Symptome als vergleichsweise wenig beeinträchtigt gewertet, während die anderen Gruppen unter stärkerer Beeinträchtigung litten. Die einzelnen Gruppen unterschieden sich ebenfalls im MMSE-Score, in Wortflüssigkeit und Wortfindung, wobei die Gruppe mit ¹geringerª Symptomausprägung die günstigsten Werte aufwies. In Alter und Dauer des Heimaufenthaltes sowie in der Wortfindung unterschieden sich die einzelnen " Tab. 1). Gruppen nicht signifikant (l Die medizinische Behandlung erfolgte durchgehend durch Hausärzte, in 27 % der Fälle waren die Bewohner zusätzlich fachpsychiatrisch vorgestellt worden. Im Mittel (Median) waren ein psychiatrisches fünf internistische Medikamente verordnet worden. Insgesamt wurden rund 70 % der Bewohner regelmäûig psychopharmakologisch behandelt. Zur weiteren Auswertung wurden bei den fest verordneten Präparaten typische und atypische Neuroleptika zusammengefasst, wobei zu den typischen Neuroleptika die ¹hochpotentenª Präparate mit primär antipsychoti- Mittelwerte und Standardabweichungen der im NPI erfassten Symptome (Häufigkeit x Schwere) sowie Charakteristika der einzelnen Prägnanzgruppen. 1 2 3 4 ¹geringª ¹apathischª ¹unruhigª ¹ausgeprägtª N = 57 N = 25 N = 37 N = 26 Duncan-Test Wahn 0,14 0,44 0,24 0,72 0,46 1,39 3,88 4,12 4 >1,2,3 Halluzinationen 0,16 0,56 0,0 0,0 0,84 2,34 1,88 3,82 4 > 1,2,3 Erregung 1,02 2,14 0,36 0,95 2,59 3,51 3,85 3,33 4,3 > 1,2 Depressivität 1,21 1,81 1,40 2,08 1,03 1,89 5,11 4,14 4 > 1,2,3 Angst 0,49 1,34 0,80 1,55 0,65 1,64 4,61 4,38 4 > 1,2,3 Euphorie 0,14 0,61 0,88 2,82 0,38 1,06 1,08 2,28 2,3,4 > 1 4 > 1,2,3 Apathie 0,25 0,79 6,08 4,05 3,78 4,41 2,27 3,17 2 > 3,4 > 1 Enthemmung 0,23 0,68 0,08 0,40 0,11 0,39 3,31 4,11 4 > 1,2,3 Reizbarkeit 0,54 1,38 0,56 1,96 0,89 1,98 4,27 3,55 4 > 1,2,3 abweichende Motorik 0,40 1,19 0,48 1,33 6,40 4,20 2,88 4,14 3 > 4 > 1,2 Summenscore 4,58 4,88 10,88 5,09 17,13 9,48 33,15 12,18 4 > 2,3 > 1 Schlafstörungen 0,12 0,54 0,24 0,88 5,32 4,20 1,85 3,47 3 > 4 > 1,2 Essstörungen 0,14 0,74 4,00 4,32 1,27 2,63 3,23 4,42 Alter (Jahre) 85,02 6,74 85,21 7,98 85,12 6,91 83,68 7,48 n. sig. Heimaufenthalt (Dauer in Monaten) 34,30 46,50 45,67 67,44 36,35 51,04 27,08 19,04 n. sig. kognitiver Status (MMSE) 2,4 > 1,3 17,21 9,46 8,62 6,77 6,53 5,84 8,00 7,97 1 > 2,3,4 Wortflüssigkeit 8,67 4,86 4,87 2,29 4,05 3,20 6,25 5,64 1 > 2,3,4 Wortfindung 9,91 3,87 5,53 4,07 7,75 3,09 7,07 4,95 1 > 2,3,4 Demenzschwere (GDS) 3,51 1,77 5,24 1,33 5,65 0,95 5,15 1,49 17,04 12,31 34,75 11,73 35,84 11,30 25,92 14,10 Apathie (AES-D-Summe) Seidl U et al. Nicht-kognitive Symptome und psychopharmakologische Behandlung ¼ Fortschr Neurol Psychiat 2007; 75: 1 ± 8 2,3,4 > 1 2,3 > 4 > 1 Fortschr Neurol "949", 21.3.07/Druckhaus Götz GmbH Originalarbeit scher Wirkung gezählt wurden. Des Weiteren wurden Antidepressiva und Sedativa unterschieden. Zu letzteren wurden neben den Hypnotika und den seltener verabreichten Benzodiazepinen auch z. B. ¹niederpotenteª Neuroleptika gezählt, die typischerweise primär zur Sedierung eingesetzt werden. Als Antidementiva wurden Substanzen mit allgemein belegter Wirkung zusammengefasst, also Acetylcholinesterasehemmer oder Memantin. Bei Betrachtung der fest angesetzten Medikamente imponierte eine ungleiche Gewichtung in den einzelnen Clustern. So erhielten die ¹apathischenª Bewohner überwiegend Sedativa (37 %) und Neuroleptika (32 %) und vergleichsweise seltener Antidepressiva (16 %), die ¹agitierteª Gruppe wurde zu über 3/4 (76 %) mit Sedativa und zu 12 % mit Antidepressiva behandelt. Die Bewohner mit ¹ausgeprägtenª vielschichtigen Symptomen erhielten eine unspezifische Medikation, bei der sowohl Sedativa (52 %) als auch Neuroleptika (30 %) und Antidepressiva (26 %) regelmäûig verabreicht wurden. Insgesamt bildeten primär sedierend wirkende Medikamente in allen Gruppen auûer in der ¹geringª belasteten die am häufigsten verwendeten Psychopharmaka (44 %). Eine Behandlung mit Neuroleptika erfolgte insgesamt seltener (25 %) und von einer gezielten antidementiven Medikation profitierte ebenfalls ein geringer Teil (11 %) der Bewohner. 26 % der Bewohner waren auf ein Antidepressivum eingestellt, wobei in etwa zwei Drittel ein selektiver Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) eingesetzt wurde. Eine internistische Medikation war dagegen bei fast allen Bewohnern (96 %) angeord" Tab. 2). net (l Diskussion ! Der überwiegende Teil der in der vorliegenden Studie untersuchten Heimbewohner litt an nicht-kognitiven Störungen, zumeist unter depressiven und apathischen Symptomen. Ausgehend von der psychopathologischen Symptomatik konnten vier verschiedene Prägnanzgruppen identifiziert werden. Die meisten Bewohner wurden psychopharmakologisch behandelt, wobei sich die verabreichte Medikation in den Prägnanzgruppen zum Teil deutlich unterschied. Allgemeine Charakteristika und Demenzdiagnostik Die Alters- und Geschlechtsverteilung liegen für die untersuchte Stichprobe im Erwartungsbereich [12,19]. Die untersuchten Heimbewohner befanden sich in der Regel in gutem AZ und EZ, was für eine gute pflegerische und auch allgemeinmedizinische Grundversorgung spricht. Die groûe Zahl von mittelgradig bis schwer Dementen verweist auf die Situation in den Heimen, in denen zunehmend schwerer Erkrankte versorgt werden [12]. Erwartungsgemäû stellte eine mögliche oder wahrscheinliche AD die häufigste Demenzursache dar. Die Demenzdiagnostik in der vorliegenden Untersuchung stützte sich neben den klinischen Befunden auf zusätzlich erhobene fremdanamnestische Angaben über Symptomatik und Verlauf. Obwohl eine Diagnosestellung auf diese Weise mit ausreichender Sicherheit möglich ist, war eine Demenzabklärung zuvor in aller Regel nicht erfolgt. Lediglich in knapp zwei Drittel (65 %) der Fälle war eine Demenz vorbeschrieben, eine ätiologische Zuordnung war nur bei 10 % vorgenommen worden. Tatsächlich bestätigen Pentzek und Abholz [20] in einer Metaanalyse, dass Demenzen gerade in frühen Stadien durch Hausärzte häufig nicht erkannt werden. Eine möglichst frühe Diagnosestellung und differenzierte Abklärung ist jedoch gerade im Hinblick auf therapeutische Optionen von Bedeutung. Nicht-kognitive Störungen Bei fast allen demenzkranken Heimbewohnern fanden sich Hinweise auf nicht-kognitive Symptome, wobei neben Depressivität Apathie das häufigste Symptom war. Die von uns gefundenen Prävalenzraten befinden sich dabei in Übereinstimmung mit der Literatur [21 ± 23]. Die psychopathologischen Auffälligkeiten traten in unterschiedlichem Ausmaû auf, so dass sich die Bewohner anhand ihrer Ausprägung in vier klinische Prägnanzgruppen unterteilen lieûen, die sich zwar hinsichtlich der Demenzschwere, nicht jedoch im Lebensalter unterschieden. Die erste Gruppe zeigte eine vergleichsweise ¹geringeª Belastung mit nicht-kognitiven Symptomen, in der zweiten, der ¹apathischenª Gruppe stand Apathie im Vordergrund, die dritte, ¹agitierteª Gruppe war durch ein Vorherrschen von Unruhe gekennzeichnet, während die vierte Gruppe ein buntes Bild ¹ausgeprägterª psychopathologischer Symptome aufwies. Die Unterteilung Tab. 2 Medikamentöse Behandlung in den einzelnen Prägnanzgruppen nach Art der angesetzten Präparate. Aufgeführt sind der Median der absoluten Anzahl der verabreichten Präparate pro Prägnanzgruppe und der prozentuale Anteil Bewohner jeder Prägnanzgruppe, der mindestens ein Präparat aus der jeweiligen Wirkstoffgruppe erhält. 1 2 3 4 ¹geringª ¹apathischª ¹unruhigª ¹ausgeprägtª Gesamt N = 57 N = 25 N = 37 N = 26 Neuroleptika 0 10,87 % 0 31,58 % 0 40,00 % 0 30,43 % 0 24,78 % Antidepressiva 0 36,96 % 0 15,79 % 0 12,00 % 0 26,09 % 0 25,66 % Sedativa 0 30,43 % 0 36,84 % 1 68,00 % 1 52,17 % 0 44,25 % 0 8,70 % 0 15,79 % 0 12,00 % 0 8,70 % 0 10,62 % Analgetika 0 26,09 % 0 15,79 % 0 24,00 % 0 30,43 % 0 24,78 % psychiatrische Medikamente gesamt 1 56,52 % 1 68,42 % 1 84,00 % 1 82,61 % 1 69,91 % internistische Medikamente gesamt 4,5 93,48 % Antidementiva 5 100 % 3 96,00 % 6 100 % 5 96,46 % Seidl U et al. Nicht-kognitive Symptome und psychopharmakologische Behandlung ¼ Fortschr Neurol Psychiat 2007; 75: 1 ± 8 5 Fortschr Neurol "949", 21.3.07/Druckhaus Götz GmbH 6 Originalarbeit nach psychopathologischen Gesichtspunkten in Subsyndrome erfolgte analog den Verhältnissen bei anderen psychiatrischen Erkrankungen wie etwa Schizophrenien, wie sie von der eigenen oder anderen Gruppen konsistent beschrieben wurden [24 ± 26]. Verschiedentlich wurde vorgeschlagen, dass nicht-kognitive Symptome im Verlauf der Demenz in einer bestimmten Abfolge auftreten. In einer prospektiven Studie bei AD-Patienten zeigten Hope u. Mitarb. [22], dass manche Symptome zwar tendenziell früher im Laufe der Erkrankung auftreten als andere, dass es jedoch keinen festen Zusammenhang mit dem Fortschreiten der Erkrankung gibt. Wobrock u. Mitarb. [6] fanden in ihrer Verlaufsuntersuchung an AD-Patienten faktorenanalytisch eine hohe Variabilität nicht-kognitiver Störungen, die im Krankheitsverlauf eigenständige Faktoren darstellen können. Unser Befund einer gleichmäûigen Altersverteilung in allen Subgruppen bestätigt diese Ergebnisse und ist ein Hinweis darauf, dass andere als primär morbogene Faktoren am Auftreten nicht-kognitiver Symptome beteiligt sind. Denkbar sind dabei eine Beteiligung von Umgebungsvariablen und ein Einfluss der prämorbiden Persönlichkeit, wobei die Zusammenhänge im Einzelnen bislang wenig untersucht sind. Dagegen bestehen differentielle Zusammenhänge zwischen nicht-kognitiven Symptomen und kognitivem Status sowie der Schwere der Demenz. Zwar waren die nicht-kognitiven Störungen über die Gesamtgruppe nur geringgradig mit MMSE und GDS korreliert, doch zeigten sich in den einzelnen Prägnanzgruppen Abweichungen. Erwartungsgemäû unterschieden kognitive Defizite am deutlichsten zwischen den Gruppen mit ¹wenigenª bzw. ¹ausgeprägtenª psychopathologischen Symptomen, während die anderen Gruppen eine Mittelstellung einnahmen. Die globale Beeinträchtigung dagegen, wie sie in der GDS erfasst wird, war in der ¹geringª mit Symptomen belasteten Gruppe am niedrigsten, am stärksten beeinträchtigt ist dagegen die ¹apathischeª Gruppe. Dieses Ergebnis legt nahe, dass die psychiatrische Symptomatik nicht nur die Kognition sondern auch den Gesamtzustand nachhaltig prägt. Eine entsprechende Therapie erfordert jedoch eine differenzierte Diagnostik, die unter anderem primäre und sekundäre Ursachen unterscheidet. Wie bereits dargelegt wurde eine genaue Abklärung jedoch selten durchgeführt bzw. dokumentiert. Apathie In unserer Untersuchung war Apathie nicht mit Depressivität korreliert. Dieser Befund stimmt mit den Ergebnissen von Marin u. Mitarb. [27] und Starkstein u. Mitarb. [28] überein und wird dadurch erklärt, dass Apathie zwar Symptom einer Depression sein kann, jedoch häufig auch als eigenständiges Syndrom im Sinne eines primären Motivationsverlust auftritt. Untersuchungen von Patienten mit anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Parkinson bestätigen, dass Depressivität und primäre Apathie auf unterschiedliche Ursachen zurückzuführen sind [29]. Mit psychometrischen Instrumenten wie der Hamilton-Depressionsskala (HAMD) kann die psychopathologische Differenzierung zwischen Depression und Apathie nur bedingt nachvollzogen werden, da mit den hier operationalisierten Items jeweils auch Aspekte des Apathie-Syndroms erfasst werden. Umgekehrt kann eine Apathie-Skala unter Umständen die Antriebshemmung des Depressiven abbilden. Einen Vorteil bietet hier das NPI, dessen entsprechende Subskalen Aspekte des jeweils anderen Syndroms nicht enthalten. Unter Verwendung des NPI besteht deshalb keine Korrelation zwischen Apathie und Depression, wie eine Studie an Patienten mit unterschiedli- chen neurodegenerativen Erkrankungen bestätigte [30]. Die Unterscheidung zwischen primärem Apathie-Syndrom und sekundärer Apathie im Rahmen einer anderen zugrunde liegenden Erkrankung kann im Einzelfall klinisch schwierig sein. Insbesondere bei neurologischen Krankheitsbildern kann eine primäre Apathie leicht als Folge der körperlichen Einschränkungen fehlgedeutet werden, wie Studien mit Parkinson-Patienten belegen [31]. Eine genaue Zuordnung ist jedoch gerade im Hinblick auf therapeutische Implikationen bedeutsam. Medikamentöse Behandlung Die von uns untersuchten Bewohner erhielten fast alle (96 %) eine fest angesetzte internistische Medikation, der überwiegende Teil (70 %) wurde psychopharmakologisch behandelt. Hierbei waren sedierend wirkende Präparate am häufigsten (44 %), gefolgt von Antidepressiva (26 %) und hochpotenten Neuroleptika (25 %). Antidementiva wurden vergleichsweise selten eingesetzt (11 %). Bemerkenswert ist, dass ein Viertel der Bewohner (25 %) regelmäûig Analgetika erhielt. Unsere Beobachtung, dass fast alle Bewohner internistisch medikamentös behandelt werden, deckt sich mit den Ergebnissen der Berliner Altersstudie, nach der 96 % der über 70-Jährigen mindestens ein Medikament regelmäûig einnahmen [32]. Der Median der internistischen Medikation betrug in unserer Stichprobe 5; Untersuchungen zum Arzneimittelverbrauch von Heimbewohnern berichten über eine durchschnittliche Einnahme von vier fest angesetzten Medikamenten [33]. Die Häufigkeit des Einsatzes von Psychopharmaka in Altenheimen schwankt je nach Stichprobe erheblich [11]; so erhielten Bewohner von Altenpflegeheimen zu 59 %, Bewohner von Altenheimen zu 42,2 % eine psychiatrische Medikation [34]. Hirsch und Kastner [12] fanden einen Anteil von 51 % an Heimbewohnern, die mindestens ein Psychopharmakon erhielten; bei psychisch kranken Bewohnern betrug der Anteil 79 %. In Altenpflegeheimen erhielten die Bewohner zu 30 % Neuroleptika und nur zu 3,6 % Antidepressiva [34]. Hirsch und Kastner [12] stellten zudem fest, dass 35 % der depressiven Bewohner ein Neuroleptikum erhielten und nur 45 % ein Antidepressivum; Antidementiva wurden in 12 % der Fälle verabreicht, was mit den von uns berichteten Daten (11 %) übereinstimmt. Beim Vergleich der neuroleptischen Medikation ist zu berücksichtigen, dass in unserer Untersuchung ausschlieûlich Präparate gewertet wurden, die primär antipsychotisch wirken. Stark sedierende Präparate wurden unter Sedativa subsumiert, was den hohen Anteil dieser Gruppe erklärt. Bei differenzierter Erfassung der psychopathologischen Prägnanzgruppen wird deutlich, dass gerade die ¹ausgeprägtª mit psychopathologischen Symptomen belastete Gruppe lediglich in 26 % der Fälle eine antidepressive Medikation erhielt, obwohl Depressivität im Vergleich am stärksten ausgeprägt war. Dagegen wurden in gut der Hälfte der Fälle Sedativa verabreicht. Dieser Befund unterstreicht, dass gerade depressive Störungen häufig nicht adäquat behandelt werden (vgl. [11,13]). Auch die ¹apathischeª war wie die ¹unruhigeª Gruppe vor allem mit Sedativa behandelt, wobei gerade die ¹apathischenª Bewohner die wenigsten Analgetika erhalten ± lediglich bei 16 % sind Schmerzmittel fest angesetzt. Dies deutet darauf hin, dass gerade bei diesen Gruppen eine differenzierte Einschätzung der Situation erschwert ist. In der ¹geringª mit psychopathologischen Symptomen belasteten Gruppe fand sich der vergleichsweise höchste Anteil von Antidepressiva (37 %), während Sedativa (30 %) relativ selten verschrieben wurden. Es liegt nahe, dass hier eine angemessene psychopharmakologische Therapie die Häufigkeit Seidl U et al. Nicht-kognitive Symptome und psychopharmakologische Behandlung ¼ Fortschr Neurol Psychiat 2007; 75: 1 ± 8 Fortschr Neurol "949", 21.3.07/Druckhaus Götz GmbH Originalarbeit nicht-kognitiver Störungen senkt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bewohner kognitiv am wenigsten beeinträchtigt sind, was eine Diagnosestellung erleichtert. Bei den Medikamentenverordnungen imponierte ein Ungleichgewicht von internistischen und psychiatrischen Medikamenten. Auf rein somatischem Gebiet war offenbar eine ausreichende Versorgung gewährleistet, was sich neben dem guten körperlichen Zustand in der umfassenden medikamentösen Einstellung zeigte, während selbst ausgeprägte psychiatrische Symptome nicht oder nur symptomatisch behandelt wurden. Dies betrifft insbesondere spezifische Erkrankungen wie Depressionen oder psychotische Störungen. Der relativ seltene Einsatz gerade von Antidepressiva wird auch von anderen Arbeitsgruppen berichtet [34, 35]. In den zitierten Studien kamen allerdings überwiegend trizyklische Antidepressiva zum Einsatz. In unseren Untersuchungen wurden dagegen vergleichsweise häufiger die besser verträglichen SSRI eingesetzt, was für eine Verbesserung der Versorgung spricht. Zusammenfassend verweisen unsere Ergebnisse darauf, dass trotz des hohen Engagements der behandelnden ¾rzte und der guten medizinischen Versorgung ein weiterer Informationsund Fortbildungsbedarf besteht. Diagnostik und Behandlung psychiatrischer Erkrankungen im Allgemeinen, und speziell gerontopsychiatrischer Erkrankungen, stellen den Arzt vor besondere Anforderungen. Eine adäquate gerontopsychiatrische Versorgung wäre jedoch nicht nur unter Einsatz vergleichsweise geringer Kosten zu erzielen, sondern dürfte auch erheblich zu einer verbesserten Gesamtsituation der Bewohner beitragen. Danksagung ! Die Untersuchung der Heimbewohner erfolgte im Rahmen eines vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderten Projektes zur Erfassung der Lebensqualität bei Demenz. Besonders verbunden sind wir Frau Petra Weritz-Hanf, Leiterin des Referats ¹Gesundheit im Alter, Hilfen bei Demenzª für ihre Unterstützung bei der praktischen Umsetzung des Projektes. Literatur 1 Jakob A, Busse A, Riedel-Heller SG, Pavlicek M, Angermeyer MC. Prävalenz und Inzidenz von Demenzerkrankungen in Alten- und Altenpflegeheimen im Vergleich mit Privathaushalten. 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