Die Initiative von St. Vincent St. Vincent ist ein kleiner, früher fast

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Die Initiative von St. Vincent
St. Vincent ist ein kleiner, früher fast unbekannter Ort im Aostatal in Oberitalien. 1989
geriet dieser Ort in die Schlagzeilen und heute sollte ihn eigentlich jeder kennen, der einen
Diabetes hat und auch jeder, der Menschen mit Diabetes betreut.
Auf Anregung der europäischen Sektion der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der
International Diabetes Federation (IDF) hatten sich in St. Vincent Menschen aus ganz
Europa zusammengefunden: Die betroffenen Menschen mit Diabetes und ihre Ärzte,
Diabetesschwestern und Ernährungsberater, die Krankenversicherer ebenso, wie die
Industrie, die Medikamente, Blutzuckertestgeräte, Insulinspritzen und Insulinpumpen
herstellt, Diabetesforscher und vor allem auch Gesundheitspolitiker. Sie tauschten ihre
Erfahrungen aus. Die Menschen mit Diabetes führten den Gesunden ihr Leben als
Betroffene vor Augen. Experten untersuchten die medizinische Versorgungslage und die
sozialen Chancen der Diabetiker in den verschiedenen Regionen Europas, analysierten die
wichtigsten Mängel und deren Ursachen. Praktiker aus dem Diabetes-Team machten
Vorschläge zur Verbesserung. Durch diese Berichte wurde nicht nur klar, dass der Diabetes
für jeden einzelnen Betroffenen und seine Angehörigen eine seelische, soziale und
wirtschaftliche Last sein kann. Es zeigte sich auch, dass das Problem der Folgekrankheiten
und der verkürzten Lebenserwartung noch nirgendwo in Europa befriedigend gelöst war,
obwohl die Forschung schon Wege aufgezeigt hatte, wie dies erreicht werden kann. Nicht
zuletzt wurden die enormen Kosten des Diabetes für die Allgemeinheit deutlich. Der
Diabetes hatte die Ausmaße einer Epidemie angenommen, die alle Altersgruppen in allen
Ländern erfasste. Schon damals waren mindestens 10 Millionen Personen in Europa vom
Diabetes bedroht. Hält der Trend an, würden es im Jahre 2010 mindestens 13 Millionen
Menschen sein. Durch die Vorträge und Gespräche wurde das Problem zum ersten Mal in
seiner Vielschichtigkeit begriffen. Überall spürte man den Wunsch, tätig zu werden. Er war
so stark, dass bald auch diejenigen, die die Gelder zu verwalten haben, Versicherer und
Politiker, von der Aufbruchstimmung mitgerissen wurden.
Unter allgemeiner Zustimmung wurde eine Resolution verabschiedet, in der die Probleme
beim Namen genannt, Wege zu ihrer Lösung vorgeschlagen und klare Forderungen an die
Öffentlichkeit gerichtet wurden. Die Argumente waren so zwingend, dass darauf schließlich
(fast) alle Gesundheitsminister der europäischen Staaten die Resolution unterschreiben
haben. Sie heißt: St.-Vincent-Deklaration (SVD) und ist so etwas wie das Grundgesetz
für Menschen mit Diabetes geword
Allgemeine Ziele der Deklaration von 1989:
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Verbesserung der Lebensqualität und Lebenserwartung für Diabetiker
Intensive Forschung zur Verhütung und Behandlung des Diabetes und seiner Folgen
Ziele für die nächsten 5 Jahre:
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Weckung des öffentlichen Bewusstseins für Möglichkeiten und Notwendigkeiten der
Prävention des Diabetes und seiner Folgen
Training und Organisation des Diabetesmanagements durch Selbsthilfe und die
Gemeinschaft
Sicherstellung einer altersgerechten Betreuung diabetischer Kinder
Förderung der Selbstständigkeit, Gleichstellung und Unabhängigkeit aller Betroffenen
Verminderung der Zahl neuer Erblindungen durch Diabetes um mindestens ein
Drittel
Verminderung der Zahl neuer Fälle von Nierenversagen durch Diabetes um
mindestens ein Drittel
Verminderung der Zahl der Amputationen wegen Diabetes um mindestens die Hälfte
Verminderung von Erkrankung und Tod durch diabetesbedingte koronare
Herzkrankheit
Zusammenarbeit bei Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf allen Ebenen unter
Beteiligung der Selbsthilfeorganisationen
Was wurde bisher umgesetzt?
Seit dem Treffen im Jahre 1989 gab es 4 Folgeveranstaltungen, und zwar 1992 in
Budapest, 1995 in Athen, 1997 in Lissabon und 1999 in Istanbul (10 Jahre danach).
Insbesondere bei den beiden letzten Folgeveranstaltungen wurde klar, dass es wichtig ist,
nicht nur Idealziele vorzugeben, sondern erreichbare Nahziele im Rahmen von definierten
Programmen vorzugeben. Diese sind jedoch nicht auf europäischer Ebene zu steuern,
sondern sie müssen das regionale Gefüge berücksichtigen und die bisher verfügbaren
Ressourcen ausschöpfen. Mindestens 6 Millionen Menschen in Deutschland haben
Diabetes mellitus. Die Folgen sind beträchtlich: Erhöhte Mortalität und Morbidität bei
Diabetikern insbesondere durch Herzinfarkte, Schlaganfälle, Nierenversagen, Erblindungen
und Amputationen. Der Diabetes ist mit einer erheblichen Beeinträchtigung der
Lebensqualität und mit hohen sozioökonomischen Kosten verbunden. Der Großteil dieser
Kosten wird aber nicht durch Diagnostik und Therapie des Diabetes, sondern durch die
Folgekrankheiten verursacht.
Wie in anderen Ländern ist auch in Deutschland eine Zunahme des Typ-1-Diabetes im
Kindes- und Jugendalter zu beobachten. Die Neuerkrankungshäufigkeit des Typ-1-Diabetes
im Alter von unter 20 Jahren liegt nach neuen Einschätzungen bei 17 pro 100.000, d. h.,
jährlich erkranken mehr als 3000 Kinder im Alter von unter 20 Jahren. Insgesamt
sind derzeit schätzungsweise 25.000 Kinder und Jugendliche betroffen. Diabetische
Kinder und Jugendliche werden nach wie vor 3 bis 5 mal häufiger hospitalisiert und
verursachen überproportional hohe Ausgaben im Gesundheitswesen, rund 1 % aller
stationären Kosten bei Kindern und Jugendlichen.

Die Diagnosestellung des Typ-2-Diabetes erfolgt in vielen Fällen auf Grund des
chronischen und symptomarmen Verlaufs erst zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits
gefäßbedingte Komplikationen nachweisbar sind. Für Deutschland fehlten bislang,
im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, Daten zur Häufigkeit des
unentdeckten Diabetes. Aus ersten Ergebnisses des Deutschen DiabetesForschungsinstitutes Düsseldorf aus dem KORAsurvey 2000 (Augsburg), bei dem
eine repräsentative Stichprobe im Alter 55 – 74 Jahre aus der Allgemeinbevölkerung
untersucht wird, zeichnet sich, ähnlich wie im europäischen Umland, eine große
Zahl unentdeckter Diabetiker ab. Vermutlich kommt nahezu auf jeden
bekannten noch ein weiterer nicht diagnostizierter Diabetesfall. Bisher
wurde vermutet, dass diese Zahl auf Grund der Strukturen im deutschen
Gesundheitswesen niedriger als in Nachbarländern ist.

Immer noch ist die Mortalität für Personen mit Diabetes im mittleren
Lebensalter im Vergleich zur Normalbevölkerung ca. 6-fach erhöht. Das große
Problem ist heute nicht mehr die Blutzuckereinstellung, sondern das konsequente
Risikomanagement zur Vermeidung von Komplikationen, insbesondere beim Typ-2Diabetes. Während sich die Einstellungsqualität des Blutzuckers bei Diabetikern in
Deutschland in den letzten Jahren eindeutig verbessert hat, liegen andere Bereiche
noch im Argen. Vor allem diejenigen, in denen eine enge interdisziplinäre
Kooperation erforderlich ist, um die Versorgungsqualität zu verbessern.

Die Zahl von Diabetikern mit chronischem Nierenversagen nimmt weiter zu:
Heute ist jeder zweite Patient, der neu eine chronische Dialysebehandlung
braucht, ein Diabetiker. Immer noch werden Diabetiker mit Nierenfunktionsstörungen viel zu spät zur nephrologischen Mitbehandlung überwiesen.

Immer noch werden die Blutdruckeinstellung und die Lipidsenkung gerade bei
dieser Patientengruppe stark vernachlässigt.

Trotz allgemeiner Abnahme der Häufigkeit von Herzinfarkten in der
Bevölkerung steigt die Zahl der Herzinfarkte sowie das Risiko für tödliche
Infarktkomplikationen bei Diabetikern weiter an. Nach Daten aus dem Augsburger
Herzinfarktregister ist das Risiko für einen Myokardinfarkt bei Männern mit
Diabetes ca. 3,5-fach und bei Frauen ca. 6-fach gegenüber der nichtdiabetischen
Bevölkerung erhöht.

Immer noch werden bei Diabetikern viel zu selten Vorsorgeuntersuchungen der
Augen durchgeführt, obwohl bekannt ist, dass sich durch eine rechtzeitige
Laserbehandlung die verheerenden Folgen für das Augenlicht weitgehend
vermeiden lassen. Schätzungsweise 14 % aller Erblindungen in der Bevölkerung
sind auf den Diabetes zurückzuführen, im mittleren Lebensalter waren sogar ein
Drittel dem Diabetes zuzuschreiben. In einer regionalen Erhebung
(Württemberghohenzollern) wurde eine jährliche Reduktion von nur 3 % der
Erblindungen in der diabetischen Bevölkerung von 1980 bis 1988 beobachtet, was
unter der Zielvorgabe von St. Vincent lag.

Jährlich werden bei ca. 540 von 100.000 Patienten mit Diabetes mellitus
Amputationen an den unteren Extremitäten durchgeführt. Studien belegen, dass das
Risiko für eine Fuß- oder Unterschenkelamputation bei Diabetikern mehr als 20-fach
im Vergleich zu Nichtdiabetikern erhöht ist. Schätzungsweise werden in Deutschland
pro Jahr ca. 25.000 diabetesbedingte Gliedmaßenamputationen
durchgeführt. Daher war eine Reduktion der Amputationshäufigkeit um mindestens
50 % eines der Ziele der St.-Vincent-Initiative. In einer regionalen Erhebung in
Leverkusen blieb die Amputationshäufigkeit bei Diabetikern im Zeitraum von 1990
bis 1998 aber unverändert hoch.

Trotz ambulanter Strukturverträge in mehreren KV-Bereichen ist also die
Amputationshäufigkeit bei Diabetikern in den letzten 8 Jahren nicht reduziert
worden. Dies hängt wesentlich mit der sektoralen Abgrenzung des ambulanten vom
stationären Bereich und der damit verbundenen Ausgrenzung von Fachkliniken in
kritischen medizinischen Fragestellungen zusammen. Die adäquate Behandlung
eines komplizierten diabetischen Fußsyndroms erfordert nämlich eine enge
interdisziplinäre Interaktion von Hausarzt, Schwerpunktpraxen und diabetischen
Fußzentren sowie Fachkliniken, in der Diabetologie mit Angiologen, Radiologen,
Infektiologen, Dermatologen, Chirurgen, Orthopäden und anderen eng zusammen.

Insgesamt hat die diabetische Versorgung in Deutschland in den letzten Jahren
Fortschritte
gemacht.
Allerdings
müssen
die
Verbesserungen
der
Versorgungsstruktur jetzt auch in bessere Ergebnisse umgesetzt werden. Hier liegen
die Aufgaben der nächsten Jahre.
Die Zukunft:
Es kommt darauf an, die diabetologische Versorgung durch konkrete Maßnahmen und
Programme in den einzelnen Ländern zu verbessern. Daher hat die europäische Sektion der
WHO und der IDF beschlossen, die Verantwortlichkeit für die Umsetzung der Ziele von St.
Vincent auf die nationalen Ebenen zu verlagern. Für die Bundesrepublik Deutschland ist
Ansprechpartner: Prof. Dr. Werner Scherbaum, Liaison der WHO und der IDF für die
Umsetzung der St.-Vincent-Initiative in Deutschland, Direktor des Deutschen Diabetes
Forschungsinstitut, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf.
Ludwigshafen, 16.04.2008
© Norbert Deuser (0)
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