50plus – Alterung in Molekül, Mensch, Miteinander – Alterung

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Tagungen und Kongresse
50plus – Alterung in Molekül, Mensch,
Miteinander – Alterung interdisziplinär
Hochschultagung anlässlich des 50jährigen Bestehens des Instituts
für Ernährungswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen
(mpm/ss) 50 Jahre ernährungswissenschaftliches Institut – dieser
runde Geburtstag wurde am Freitag, 10.11.06, mit einer Hochschultagung des Fachbereichs Agrarwissenschaft, Ökotrophologie und
Umweltmanagement im Audimax der Universität Gießen gefeiert.
Der Vizepräsident der Universität und
der Dekan des Fachbereichs betonten
in ihren Grußworten die effektive und
angesehene Arbeit des Instituts, das in
der Anzahl der DFG-geförderten Pro-
jekte, in der Drittmitteleinwerbung
und in der Anzahl der Publikationen in
internationalen Journalen zu den führenden in Deutschland gehöre. Dass
der überwiegende Anteil der heutigen
Caenorhabditis elegans – ein wichtiges Haustier der Zellbiologen
Caenorhabditis elegans (die Abb. zeigt
eine Fluoreszenzfärbung) gehört neben dem Bakterium Escherichia coli,
der Taufliege Drosophila melanongaster und der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana zu den am besten erforschten Organismen der Welt und
wird in der Zellbiologie häufig als Modellorganismus verwendet. Normalerweise lebt der ca. 1 mm lange Wurm
im Boden gemäßigter Klimazonen.
Warum ist C. elegans so beliebt in der
Forschung? Der Wurm ist klein und
lässt sich im Labor leicht züchten. Er besitzt im ausgewachsenen Zustand immer
die gleiche Zellzahl (959). Dadurch ist der Werdegang der einzelnen Körperzellen exakt zu verfolgen. In vieler Hinsicht lassen sich die Forschungsergebnisse
auch auf den Menschen übertragen.
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acht Professor/innen am Institut Ökotropholog/innen sind, wurde von Prof.
STEHLE begrüßt, der auch die gute
Zusammenarbeit mit der DGE lobte. Ebenfalls über eine langjährige gute Zusammenarbeit freute sich Prof.
ELMADFA als designierter Präsident der
IUNS. Er ermunterte die Institutsmitglieder dazu, weiter „Schrittgeber und
Pulsmacher“ zu sein, denn „In Gießen
fing es an …“.
Die interdisziplinäre Alterungsforschung, das Thema der gut besuchten
Tagung, wurde vom Dekan als bedeutsame Aufgabe für die Zusammenarbeit der Disziplinen in der Gegenwart
und Zukunft bezeichnet. Der demografische Wandel und damit die Alterung der Menschen seien eine Herausforderung für die Gesellschaft und
könnten in einigen Jahren einer der
wichtigsten Forschungsschwerpunkte
sein.
Use it or loose it – Befunde aus
der Physiologie, Psychologie und
Kognitionswissenschaft
Frau Dr. Claudia VOELCKER-REHAGE,
Sportwissenschaftlerin von der Int.
University Bremen und Gastreferentin, betonte zunächst, dass Altern zu
oft ausschließlich negativ gesehen
würde. Als lebenslanger Prozess ginge
Ernährungs-Umschau 54 (2007) Heft 1
es nicht nur mit Rückgang und Einschränkungen einher, sondern bringe
immer auch Zuwachs und Erweiterung von Kompetenzen mit sich.
Aufgrund der steigenden Zahl alter
Menschen und der längeren Lebensdauer müsse das „Alter“ heute differenzierter betrachtet werden. „Junges“
(60–75), „mittleres“ (75–85) und „hohes“ Alter müssten in Alltag und Forschung unterschieden werden. In allen Altersgruppen fänden sich aber
auch große individuelle Unterschiede,
zufriedene und unzufriedene, aktive
und zurückgezogene, gesunde und
kranke Menschen. Und auch bei jedem einzelnen Menschen sei der individuelle Stand der Alterung je nach
Funktionsbereich unterschiedlich. Studien zufolge lasse die Informationen
verarbeitende Intelligenz im Alter
nach, die „mechanische“ Intelligenz
(Erfahrungswissen, die „Software“)
bliebe dagegen annähernd stabil. Die
Behandlung des Phänomens „Altern“
müsse diesen Erkenntnissen nach in
Zukunft komplexer gestaltet werden.
Dass das Altern beeinflussbar sei,
zeigten Studien mit älteren Menschen:
Körperliche und geistige Aktivität, Gebrauch und Training beugten Alterungsprozessen vor und förderten wie
auch die gesellschaftliche Partizipation eine positive Einstellung zum
Alter.
Von alten Würmern, Genen und
Tomaten
Im zweiten Beitrag führte Prof. Uwe
WENZEL (Professur für Molekulare Ernährungsforschung) anhand eigener
Studien den Wurm Caenorhabditis
elegans als geeignetes in vivo Modell
für Alterungsprozesse und Lycopin als
Ernährungs-Umschau 54 (2007) Heft 1
Foto: Gießener Allgemeine
Tagungen und Kongresse
Frau Prof. Neuhäuser-Berthold erläutert die Geschichte des Instituts. Auf der Leinwand:
Institutsgründer Prof. Cremer
Alterungsprozessen entgegen wirkenden Radikalfänger vor. In seinen
Untersuchungen steigerten Extrakte
stark Lycopin haltiger Tomatensorten
das Lebensalter von C. elegans Exemplaren signifikant.
Molekulare Maschinen und
Alterung – der humane Redoxmetabolismus
Zum Thema molekulare Theorien des
Alterns erläuterte Prof. Katja BECKER
(Professur für Biochemie der Ernährung des Menschen) die „mitochondriale Hypothese“ des Alterns: Die im
Stoffwechsel ständig entstehenden radikalen Sauerstoff-Spezies schädigten
im Laufe des Lebens zunehmend die
DNS in den Mitochondrien und führten damit schließlich zur Apoptose,
dem programmierten Zelltod. Als zen-
trale Akteure im Redoxstoffwechsel
stellte sie die Enzyme Thioredoxin-Reduktase und die Glutathion-Reduktase
vor. Erstere habe eine lebensverlängernde Wirkung in der Zelle und hier
v. a. in Tumorzellen, welche besonders
aktiv sind. In ihrer Arbeitsgruppe wurde eine Methode entwickelt, die Thioredoxin-Reduktase zu hemmen, welches von Nutzen für die Krebstherapie
sein könnte.
Die Stoffwechselrate als Uhr
des Lebens – Energiehomöostase
und Altern
Prof. Monika NEUHÄUSER-BERTHOLD (Professur für Ernährung des Menschen)
ging dagegen auf die „rate of living“Theorie des Alterns ein. Sie zeigte, dass
kleine Organismen deswegen eine
kürzere Lebensdauer haben als größe-
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re, weil sie im Zuge ihres
höheren Energieumsatzes relativ gesehen größere Mengen Sauerstoff
verstoffwechseln.
Dadurch entständen auch
größere Mengen an reaktiven Sauerstoff-Spezies.
Diese wiederum greifen
wie oben beschrieben
die Zellen an und fördern damit Alterungsprozesse. Einen Forschungsschwerpunkt auf
„Ernährung und Alter“
setzt Prof. NEUHÄUSERBERTHOLD seit über 10
Jahren mit der „Gießener Senioren Langzeitstudie“ (GISELA), die
von ihrer Arbeitsgruppe
durchgeführt wird.
gen und Handlungspläne
umgesetzt werden. Die Arbeitsgruppe von LEONHÄUSER
trägt einen verhaltensorientierten Schwerpunkt zur Entwicklung von Essstilen und motiven bei älteren Menschen bei.
„Nutrition transition“
und steigende Lebenserwartung in Ländern mit
niedrigem Einkommen –
neue Herausforderungen
Dass Alterserkrankungen wie
Diabetes, Brustkrebs und
Übergewicht inzwischen auch
in Entwicklungsländern in
bestimmten BevölkerungsIn ihrer Präsentation zeigte Prof. Hoffmann beispielhafte Vernetzungruppen ein Thema sind, begen für interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Altersforschung.
richtete Prof. Michael KRAWINKEL. Eine eigene Studie in
nen den Blutdruck erhöhenden Effekt
Tansania widmet sich z. B. dem Zusammenhang zwischen (einseitiger)
gezeigt. Ein weiteres Beispiel seien die
Molekulare Uhren, SpiegelwelErnährung und Brustkrebs. Es sei zu
in der Muttermilch enthaltenen komten und der Zahn der Zeit –
bedenken, dass z. B. die Diabetesplexen Oligosaccharide. Sie würden zu
Aminosäuren und Alterung
Sterblichkeit in Entwicklungsländern
einem geringen Teil im Darm unaufgeaufgrund der schlechteren Versorgung
spalten resorbiert und hätten eine entZum Thema Alterung auf Molekülebezündungshemmende Wirkung in den
viel höher sei als bei uns. Allein an Diane trug auch Prof. Hans BRÜCKNER bei.
betes sterben jährlich weltweit 30 Mio.
Gefäßen, die zur Vorbeugung von
Er zeigte, dass Aminosäuren in langleMenschen, genauso viele wie an AIDS.
Atherosklerose beitrüge. Solche Wirbigen Proteinstrukturen mit einer bekungen könnte Formulanahrung trotz
stimmten Rate von links- zu rechtsdrealler begrüßenswerter Weiterentwickhenden (L- zu D-) Molekülen isomeriAlterungsforschung interdiszilungen heute noch nicht erreichen.
sieren. Am schnellsten und zuverläsplinär – Potenziale eines Instituts
sigsten sei hierbei die Asparaginsäure.
und Fachbereichs
Sozialwissenschaftliche ErnähÜber die Bestimmung des Gehalts an
rungsforschung
und
Alter
–
ein
D-Isomeren der Asparaginsäure in
Abgeschlossen wurde der inhaltliche
Forschungsdesiderat1
Proteinstrukturen wie dem Dentin
Teil der Veranstaltung mit einem Über(der „Zahn“ der Zeit) oder der AugenDer Beitrag von Prof. Ingrid-Ute LEONblick über das interdisziplinäre Potenlinse ließe sich daher das Alter eines
zial des Fachbereichs zum Thema „AlHÄUSER (Professur für ErnährungsberaOrganismus bestimmen, ein Anliegen
tern“ durch Prof. Ingrid HOFFMANN. Sie
tung und Verbraucherverhalten) lenkv. a. der Gerichtsmedizin.
te die Aufmerksamkeit vom „Molekül“
stellte dar, wie komplex die Aspekte
auf „Mensch und Miteinander“ in der
der Alterungsforschung sind. Bei einem kranken alten Mensch als AusAltersforschung. Als EntwicklungstenDie Milch macht’s – von frühdenzen einer älter werdenden Gesellgangspunkt stelle sich z. B. die Frage
kindlicher Ernährung und
nach einer geeigneten Medikamentieschaft nannte sie u. a. zunehmende
Erkrankungen im Alter
Hochaltrigkeit, Feminisierung in der
rung und Ernährung ebenso wie nach
Gruppe der Alten und Verjüngung des
dem Status der körperlichen und geisWie bereits die frühkindliche Ernähtigen Leistungsfähigkeit. Davon abAlters auf gesamtgesellschaftlicher
rung Alterungsprozesse beeinflussen
Ebene sowie Entberuflichung, Singuhängig sind die Wohn- oder Betreukann, stellte Prof. Clemens KUNZ (Prolarisierung und soziale Ungleichheit
ungsform, die Art der Finanzierung
fessur für Ernährung des Menschen –
auf individueller Ebene. Zu diesen und
und die Organisation von Betreuung
ernährungsphysiologische Bewertung
sowie Hilfen zu einer zufriedenen und
anderen sozialen Aspekten der Altevon Lebensmitteln) dar. Einfluss auf
rung gebe es aber bisher kaum Fordas Auftreten von Krankheiten im Ergesundheitsförderlichen Lebensform.
schungsprojekte.
wachsenenalter hätten nicht nur die
Ein Institut für ErnährungswissenIhre Arbeitsgruppe habe sich desErnährung im Kindesalter, sondern
schaft in einem Fachbereich Agrarwiswegen am Projekt „nutri-senex“ beteibereits die Ernährung des Fetus im
senschaft, Ökotrophologie und Umligt. Ziel dieses europaweiten GemeinMutterleib und die postnatale Ernähweltmanagement sei mit seinen vielschaftsprojekts ist es, die Forschung
rung.
fältigen
Forschungsschwerpunkten
zum Thema „Ernährung im Alter“ in
Z. B. würde der Blutdruck des Säugund seiner interdisziplinären ZusamEuropa zu vernetzen, um Anhaltslings bereits beeinflusst durch den Gemensetzung gut für solche lebensweltpunkte für die Verbesserung der Nahhalt an langkettigen ungesättigten
lichen Fragestellungen ausgestattet.
rungsversorgung und des ErnährungsFettsäuren (LCP) in der Milch. Formuverhaltens alter Menschen zu gewinlanahrung ohne LCPs hätte in einer
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Desiderat: das Wünschenswerte, hier: wünschenswerter Forschungsansatz
nen. Diese sollen dann in EmpfehlunStudie im Vergleich zu Muttermilch ei-
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Ernährungs-Umschau 54 (2007) Heft 1
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