AIA-DAGA 2013 Merano Ohr-Modell zur Analyse der Pegeldynamik O. Bschorr Aeroakustik, Stuttgart Zusammenfassung Aufgabe ist die Akkommodation von Trommelfell TF, Hammer/Amboss-Kupplung HA, Steigbügel ST und der auf der Basilarmembran BM positionierten Resonanzstellen RS. In dem zugrunde gelegten Ohr-Modell dient Scala vestibuli SV als eindimensionaler Leiter von Deviationswellen. Die Impedanzeinbrüche am ovalen Fenster OF und an den spektralen Resonanzstellen RS wirken als akustische Spiegel und fixieren in SV deviatorische Stehwellen; speziell λ/4Resonatoren mit hohem und λ/2-Resonatoren mit niedrigem Eingangswiderstand. Je ausgeprägter die RS-Resonanzschärfe, desto größer ist die Energie und die Nachhallzeit der Resonatoren. Deren Abklingverhalten liefert eine TFEmission und macht so die Modell-Annahmen nachprüfbar. Figur 1: Ohr-Modell I mit Signaldrosselung. {p,f} = Schallfeld mit Druckamplitude p und Frequenz f.- TF = Trommelfell, HA = Hammer/Amboss-Kupplung, ST = Steigbügel, OF = Ovales Fenster, BM = Basilarmembran, SV = Scala vestibuli. FII = Stapes-Kraft, ZI = Resistanz bei passiver Cochlea. Kraftübertragung γI = FI/P < 1 Ohr-Modell Einleitung: Eine Pegeldynamik von L = 120 dB ist durch ein Stellglied allein nicht aufzubringen. Auch wegen der Redundanz sind möglichst viele und sich überlappende Stellglieder vorteilhafter. Hier sollen die aktiven und passiven Verstellpotentiale L# dB der einzelnen Komponenten # = {TF, HA, ST; RS} abgeschätzt werden. Ausdrücklich zugelassen sind degressive #-Nichtlinearitäten zum immanenten Abbau von Pegelspitzen. Mangels einer Verstellmöglichkeit wird der Ohrkanal ausgeklammert und der Bestimmtheit wegen durch das akustische Freifeld ersetzt. [1, Gl. 6] Das Ohr-Modell I (Fig. 1) ist auf hohe und II (Fig. 2) auf niedrige Schallpegel akkommodiert. Figur 2: Ohr-Modell II mit Signalmaximierung. {p,f}, TF, OF, SV = Fig. 1. U´ = Fluss-Resistanz der Umgebungsluft. FII = Stapes-Kraft, ZII = Resistanz bei aktiver Cochlea. Kraftübertragung γII= FII/P 1 II. Signalmaximierung. Fig. 2. An der Hörgrenze geht es darum, durch Anpassung der SV-Impedanz ZII an die FlussImpedanz der Umgebungsluft U [kg/sm4] die Kollektorfläche Q [m2] und damit die in die SV übertragene Leistung NII zu maximieren. Nach [1. Gl. 8] liefert die Anpassung ZII = U´S2 die physikalisch größtmögliche Fläche QMax >> S. (cL, ρL = Schallgeschwindigkeit, Dichte von Luft). I: Signaldrosselung. Fig. 1. TF sei durch einen Kolben mit der Fläche S [m2] und der Masse M [kg] nachgebildet. Dabei sind S - und auch M - reflektorisch/degressiv verstellbare Aktivwerte. HA sei durch die ebenfalls variable Resistanz K [kg/s] wiedergegeben. Die ca 2 dB betragende Übersetzung der ungleich langen Hammer- und Amboss-Hebel bleibt bei der 120-dB-Spanne außer Betracht, ebenso die dadurch angeregten Kippschwingungen der HA-Masse. SB wirke als Feder C [kg/s2] und SV funktioniere als deviatorischer Wellenleiter mit der Resistanz Z = F/v = {ZI, ZII} [kg/s]. Der Wert ZI bei passiver Cochlea CO reduziere sich bei aktiver CO-Steuerung auf ZII. Bei einem an TF anliegenden Schallfeld mit der Druckamplitude p [Pa] und der Frequenz f [Hz] besteht die Kolbenkraft P = pS [N]. Die davon bei CO ankommende Wechselkraft F = γP = {FI, FII} [N] hängt vom „schwächsten“ Glied der Übertragerkette TF-HA-ST-CO ab. Bei einer hohen Resistanz ZI, bei ZI >> 2πfM, K, C/2πf, besteht die Kraftübertragung nach Fig. 1 und sorgt bei aperiodischer Dämpfung mit γI < 1 für einen Überlastschutz. Bei umgekehrtem Steifigkeitsverhältnis, bei ZII << 2πfM, K, C/2πf besteht nach Fig. 2 eine „starre“ Übertragung FII = P. γI = FI/P = [(1 – (2πf)2M/C)2 + (2πfM/K)2]-1/2 < 1 (1) γII = FII/P → 1 (2) Für ZII << 2πfM, K, C/2πf U = U´ + iU´´ = πρLf2/cL + iρLf/2R [1. Gl. 3] QMax = π (cL/2πf) 2 2 für U`= ZII/S (3) (4) Cochlea I, II: Fig. 3. Es wird das Cochlea-Modell nach [2] zugrunde gelegt. Die Wechselkraft F der Frequenz f [Hz] induziert in dem SV-Fluid der Dichte ρ [kg/m3] eine in xRichtung laufende eindimensionale Deviationswelle. Deren Geschwindigkeit c [m/s] wird durch die Elastizität der auf BM angeordneten Resonanzstellen RS bestimmt; ist x- und f-abhängig und liegt zwischen (0) und 100 m/s. (Analogie: Moens/Korteweg-Wellen in fluidgefüllten, elastischen Röhren). Die RS haben die Eigenfrequenz f0 = f0(x) [Hz] und überdecken den Hörbereich von fMax bei x → 0 bis fMin am Ende von BM. Bei Resonanz mit f = f0 erfährt die Deviationswelle an der Stelle x = x0 einen Impedanzeinbruch und eine Reflexion am sog. „weichen Ende“ mit dem Faktor r [-]. Da auch OV einen „weichen“ Abschluss mit dem Reflexionsfaktor r0 darstellt, bildet sich zwischen den beiden 172 AIA-DAGA 2013 Merano Spiegeln r und r0 eine stehende Welle. Speziell die λ/2Stehwelle mit x0 = λ/2 = c/2f0 hat die Eingangsimpedanz ZI = zIA [kg/s] und überträgt die Wellenleistung NI [W]. (Vereinfachungen: r0 = 1 und [2, Gl. 21/22]) ZI ≈ 4hf0mA2/B NI = ½ FI2α/ZI Verstellpotential Cochlea CO. Die Leistungen NI (6) und NII (8) bestimmen die insgesamt von CO aufgebrachte Pegeldynamik LCO [dB]. Mit der Steuerung β → 1 ist LCO an sich unbegrenzt. Mit zunehmender Näherung an die Stabilitätsgrenze β = 1 wächst jedoch die Gefahr von Rückkopplung (Tinnitus). (5) (6) In diesem Modell sind ZI und NI durch die Massenbelegung m = ρH [kg/m2], die Breite B [m] und die Frequenzdichte hf0 [Hz/m] der RS-Resonatoren bestimmt. Beim menschlichen Ohr mit einem Frequenzumfang fMax/fMin ≈ 1000 ergibt h ≈ (-) 200 [1/m]. [2. Gl. 8]. Der Faktor α [-] berücksichtigt die lokale Kraftübertragung bei OF. [2. Gl. 6]. LCO = 10 log NI/NII = - 10 log (1 – β) - 20 log γI dB Resonanz – Antiresonanz R-A. Ein eindimensionaler Wellenleiter mit der Resistanz Z0 = ρcA hat bei den R- bzw. AModen die Resistanzen ZR ≈ Z0ηR bzw. ZA ≈ Z0/ηA. Im SVKanal entspricht dies den λ/2- und λ/4-Stehwellen. Eine aktive Verstellung der SV-Geschwindigkeit c um den Faktor 2 ergibt so die Dynamik LR-A (ηR,A = Verlustfaktor). Die äußeren Haarzellen regulieren via Servosteuerung das Schwingverhalten der RS. Damit erklärt sich die bereits 1980 von Kim/Neely postulierte negative Dämpfung. Wird nach [2, Gl. 14 -18] zusätzlich die RS-Masse und die RSFeder um den Faktor β [-] reduziert, so verringert sich die Eingangs-Resistanz ZII und erhöht sich die brutto der Signalverarbeitung zur Verfügung stehende Wellenleistung NII. ZII = (1 – β) ZI NII = ½ FII2α/ZII LR-A = 10 log ZA/ZR ≈ - 10 log ηR ηA dB (11) Trommelfell TF. Beim Auge reguliert die Pupillenfläche den Lichteinfall. Nachdem TF mit pars tensa und pars flaccida aus einer losen und einer gespannten Teilfläche besteht und darauf der Trommelfellspanner TS einwirkt, liegt es nahe, auch beim Ohr eine Flächensteuerung zur Pegelanpassung einzubeziehen. Neben der reflektorischen TS-Steuerung ist über die nichtlinearen akustischen Kräfte auch eine instantane Verstellung denkbar. Bei der Kollektorfläche Q und der aktiven TF-Fläche S ist die realisierbare Dynamik: (7) (8) LTF = 10 log Q/S dB (12) Hammer/Amboss-Kupplung HA. Ein Newton‘sches Fluid als „Schmiermittel“ in der HA-Kupplung ergibt eine zur Schubgeschwindigkeit proportionale Kraftübertragung. Ein thixotropes Medium dagegen hat eine große Anfangsreibung, die mit zunehmender Geschwindigkeit immer weiter abfällt. Eine solche Eigenschaft kappt automatisch Schnelle-Spitzen. Denkbar ist auch eine reflektorische Steuerung von K über die Pressung zwischen Hammer und Amboss via Trommelfellspanner. Damit wird die durch HA generierbare Pegeldynamik LHA Figur 3: Cochlea-Modell nach [2]. OF = Ovales Fenster, SV = Scala vestibuli, BM = Basilarmembran, HC = Heliocotrema, RS = Resonanzstelle der Frequenz f0. F = StapesKraft. Die akustischen Spiegel bei OF und RS mit den Reflexionsfaktoren r0 und r fixieren in SV deviatorische Stehwellen mit der Frequenz f = f0. Extreme sind die λ/2Welle SW und die – nicht dargestellte – λ/4-Welle. Modellkontrolle: Das Ersatzmodell mit konstanter, reeller Wellengeschwindigkeit c und konstantem SV-Querschnitt A [m2] liefert den in Fig. 3 skizzierten Schwingungsverlauf ~ +/- cos πx/x0 mit maximalen Schnelle-Amplituden v [m/s] bei x = 0 und bei x0. Tatsächlich ist c = c´ + ic´´ nach [2, Gl. 30] komplexwertig, mit einer in x-Richtung fallenden Phasengeschwindigkeit c´ und liefert eine zum Resonanzpunkt x0 anwachsende und daran anschließende evaneszente Mode; nachprüfbar über die bekannten BM-Messungen. Von der Modenform unabhängig bestimmt der Verlustfaktor η [-] die in der Stehwelle gespeicherte Schwingungsenergie E [Ws] Im Gleichgewicht von der Energiezufuhr NI,II und der Verlustleistung 2πηf0E ist: E = NI,II/2πηf0 (10) LHA = 10 log KMax/KMin dB (13) Steigbügel ST. Beim bekannten Stapes-Reflex verkantet bei Schallpegeln über ~ 80 dB der Musculus stapedius die Steigbügelplatte im ovalen Fenster. Hierdurch verändern sich die ST-Einspannung und der Ankopplungsfaktor α. – Als Ersatzmodell für die Stapes-Federung C wird der klassische Euler´sche Knickstab herangezogen. Der gerade Stab hat eine hohe Anfangssteifigkeit, die sich beim Erreichen einer bestimmten Knicklast schlagartig um mehrere Größenordnungen verringert. Der nicht-gerade Doppel-Stab, wie diese bei ST vorliegt, hat eine vergleichbare Charakteristik. Die Form und Einspannung von ST bestimmt letztlich Druckpunkt und Degression von C und damit die Pegeldynamik LST. (9) Je kleiner der Verlustfaktor η, desto höher ist die Speicherenergie E ~ 1/η. Bei Unterbrechung von NI,II entlädt sich der Resonator mit einer charakteristischen Nachhallzeit T ~ 1/η. Von den Größenordnungen her ist ein solches Ausklingen vergleichbar der otoakustischen Emission. Mit den eingangs als Überlastschutz geforderten nichtlinearen TF-, HA- und ST-Übertragern erfährt die f0-Emission eine Verzerrung, nachprüfbar durch DPOAE-Messungen. LST ~ 10 log C + 10 log α dB (14) Vorarbeiten [1], [2] O. Bschorr, H. Albrecht: DAGA-Fortschritte Akustik Darmstadt 2012. [1] S. 857/8 [2] S. 553/4. 173