Biofilme – Vorgänge, keine Dinge Rattenstudie mit gentechnisch

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ÿ Biofilme – Vorgänge, keine Dinge
ÿ Rattenstudie mit gentechnisch verändertem Mais: seriös oder Panikmache?
ÿ Ein Protein – im Verbund unschlagbar
ÿ Transport über Membranen im molekularen Detail
Lothar Jaenicke1
Jochen Graw2
Biofilme – Vorgänge, keine Dinge
Biofilme sind strukturierte Ansammlungen von Bakterien wie Bacillus subtilis,
Escherichia coli, Staphylococcus aureus
in Rein- oder Mischkultur, um nur einige
medizinisch wichtige Mikroorganismen
in diesen schwierig zugänglichen
Nischen zu nennen. Die Mikroorganismen werden durch eine extrazelluläre
Matrix, die sie ausscheiden, zusammengehalten. Dieser besteht aus fädigen Proteinen, Polysacchariden und Proteoglykanen sowie zuweilen auch DNA. In der
freien Natur gibt es Beläge, die auch
eukaryotische Mikroben, Protisten oder
Pilze enthalten können und Ober- oder
Zwischenflächen aller Art bedecken. Sie
sind schwer bekämpfbare Reservoirs für
pathogene oder sonstwie schadende
Mikroorganismen
ó Man sucht nach Möglichkeiten, in diesen
Naturvorgang mit adäquaten Mitteln einzugreifen. Allerdings löst sich das Problem von
Zeit zu Zeit selbst, indem sich die Diffusionsbarrieren-bildenden Filme bei dem dadurch bedingten Nährstoffmangel spontan auflösen. Als
Vermittler der physiologischen Biofilmauflösung wurden aus der Filmmatrix gespaltene DAminosäuren (Tyr, Trp, Leu, Met) identifiziert,
die dann ihrerseits die Proteinkomponenten
der Matrix freisetzen.
Sie sind es aber nicht allein. I. Kolodkin-Gal
et al. (Cell (2012) 149:684–692) zeigen, dass
Norspermidin (HN[(CH2)3NH2]2) ein synerg kooperierender Disassemblierungsfaktor ist. Sie
fanden, dass Filtrate von alternden B. subtilisBiofilmen filmauflösend wirken und chromatografierten sie mit Methanol/Wasser-Mischungen. In der 40-Prozent-MeOH-Fraktion
befinden sich die bekannten D-Aminosäuren.
Die 25-Prozent-MeOH-Fraktion aber enthält
den unbekannten neuen Auflösungsfaktor, der
als Norspermidin identifiziert wurde.
Hochauflösende Mikroskopie zeigt, dass
Norspermidin mit den filmkonstituierenden Zuckern wechselwirkt. B. subtilis-minus-Mutanten für Norspermidin oder die nötigen Aminosäuren bilden langlebige Filme. Naheliegend
ist natürlich, nun nach noch wirksameren Homologen etc. zu suchen, um mit dem Biofilmproblem definitiv fertig zu werden.
Y Norspermidin interferiert mit der Synthese
der Exopolysaccharid-Komponenten der Matrix,
hemmt dadurch das Fließgleichgewicht der Biofilmbildung und fördert dessen Auflösung.
Fazit: Ein Biofilm ist kein Ding, sondern eine
Tätigkeit – wie so vieles in der Natur in und
um uns!
Lothar Jaenicke ó
Rattenstudie mit gentechnisch verändertem Mais: seriös oder Panikmache?
Die grüne Gentechnik hat es schwer in
Europa: Die Akzeptanz in der Bevölkerung
ist gering und Ängste vor schädlichen Wirkungen aller Art sind an der Tagesordnung. Vor diesem Hintergrund erhielt die
Arbeit der Gruppe von Gilles-Eric Séralini
von der Universität Caen (Frankreich) eine
besondere Bedeutung (Séralini GE et al.,
Food Chem Toxicol (2012) 50:4221–4231).
ó Die Autoren verwendeten Sprague-Dawley-Auszuchtratten in Gruppen von je zehn
Männchen und Weibchen, um innerhalb der
üblichen Lebenszeit von rund zwei Jahren
toxische Wirkungen zu entdecken. Sie verwendeten dazu drei Dosisgruppen von gentechnisch modifiziertem Mais (CP4-EPSP-Synthase) als Futterzusatz mit und ohne das Herbizid Roundup. Das Gen der EPSP-Synthase
des Agrobacterium-Stammes C4 verleiht der
Pflanze Resistenz gegen Glyphosat. Als Endpunkt untersuchten sie vor allem die Bildung
von Tumoren in verschiedenen Organen, aber
auch eine Reihe von klinisch-chemischen
Parametern.
Das Auftreten von Tumoren in den behandelten Tieren erscheint früher und in der
Gesamtsumme erhöht; allerdings ist insgesamt eine große Variabilität zwischen den
Untersuchungsgruppen und vor allem keine
Dosisabhängigkeit festzustellen. Deshalb
geben die Autoren auch keine der üblichen
Signifikanzwerte an. Ähnliches gilt für die
Angaben der klinisch-chemischen Parameter:
Die höchsten Abweichungen erscheinen für
Ausscheidungsraten von Natrium- und Clorid-Ionen. Auch hier können die Autoren kei-
ne dosisabhängige Wirkung nachweisen,
sodass die einzelnen Werte, die als statistisch
signifikant ausgewiesen sind, biologisch nicht
plausibel erscheinen.
Y Die verwendeten Sprague-Dawley-Auszuchtratten werden vom Hersteller (Harlan) explizit
für Altersuntersuchungen und onkologische
Untersuchungen angeboten, auch wenn ein
Drittel der Weibchen dieses Stammes an Brustkrebs erkrankt. Allerdings bleibt der große
Schwachpunkt der Studie die nicht vorhandene Dosisabhängigkeit bei allen untersuchten
Endpunkten. Die publizierten Daten erscheinen daher eher zufallsverteilt als aufgrund
eines definierbaren biologischen Mechanismus
entstanden zu sein. Diese Arbeit stiftet so leider
mehr Schaden als Nutzen.
Jochen Graw ó
1 Institut f. Biochemie, Universität zu Köln, Zülpicher Straße 47, D-50674 Köln
2 Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt GmbH, Ingolstädter Landstraße 1, D-85764 Neuherberg,
[email protected]
3 Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie, Molecular Biology of Archaea, Karl-von-Frisch-Straße 10, D-35043 Marburg, [email protected]
4 University of California Berkeley, Department of Molecular & Cell Biology, Berkeley, USA, [email protected]
5 Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH, Infektionsgenetik, Inhoffenstraße 7, D-38124 Braunschweig, [email protected]
6 Institut für Botanik, Technische Universität Dresden, Zellescher Weg 20b, D-01062 Dresden, [email protected]
7 Universität Osnabrück, Fachbereich Biologie/Chemie, Abteilung Mikrobiologie, Barbarastraße 11, D-49076 Osnabrück, [email protected]
8 Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Pharmakologie, Carl-Neuberg-Straße 1, D-30625 Hannover, [email protected]
BIOspektrum | 07.12 | 18. Jahrgang
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Sonja-Verena
Albers3
Andreas Reiner4
Sarah Leist5
Jutta LudwigMüller6
Michael Hensel7
Roland Seifert8
Ein Protein – im Verbund unschlagbar
Kurz gefasst
S-layer-Proteine bilden zweidimensionale
kristallähnliche Lagen, die in den meisten
Archäen und vielen Bakterien die äußere
Zellwandkomponente formen. Diese sind
in Archäen oft membranverankert, während sie in Bakterien über Glykanbindemotive an Zellwandpolymere binden. Aufgrund ihrer intrinsischen Vorliebe, durch
self assembly geordnete Strukturen zu
bilden, hatte die Biotechnologie schon
früh Interesse an diesen Proteinen für
Anwendungen in der Nanobiotechnologie.
ó Gerade die self assembly-Eigenschaft von
S-layer-Proteinen hat dazu geführt, dass es
bisher keine einzige vollständige Struktur
eines solchen Proteins gab. Nun ist es dem
Team um Han Remaut geglückt, mithilfe von
Nanokörpern das self assembly des S-layerProteins SbsB von Geobacillus stearothermophilus PV72/p2 zu unterdrücken und so die
ó Bindungsstelle von Na+ in GPCRs
identifiziert
Schon seit vielen Jahren ist bekannt, dass Na+
die Funktion G-Protein-gekoppelter Rezeptoren (GPCRs) beeinflusst. Na+ reduziert die Agonist-unabhängige konstitutive Rezeptoraktivität
durch Stabilisation des inaktiven Rezeptorzustands. Es wird vermutet, dass ein hochkonservierter Aspartatrest in der zweiten Transmembrandomäne für die Interaktion eine wichtige Rolle spielt. W. Liu et al. (Science (2012)
337:232–236) zeigen nun am Beispiel einer
sehr hoch aufgelösten (1,8 Å) Struktur des Adenosin A2A-Rezeptors, dass tatsächlich dieser
Aspartatrest mit Na+ interagiert. Damit ist das
Na+-Kapitel aber nicht geschlossen: Wie reguliert Na+ in der intakten Zelle die Rezeptoraktivität? Warum unterscheiden sich GPCRs voneinander so dramatisch in ihrer Na+-Sensitivität?
Roland Seifert
vollständige Struktur dieses Proteins aufzulösen (Baranova E et al., Nature (2012)
487:119–122). Die Struktur des einzelnen Proteins wurde benutzt, um ein Modell vorherzusagen, das die Assemblierung der Proteine
im S-layer zeigt. In diesem sind die Proteine
monomerisch, und erst durch die Bindung
von Ca2+ wird durch die Rückfaltung des Proteins die quaternäre Struktur des S-layers
erreicht. Dies ist anders als in anderen Oberflächenproteinen, in denen intermolekular
Strukturelemente ausgetauscht werden,
wodurch Elemente, die für das laterale Strukturwachstum verantwortlich sind, schon exponiert sind.
Y Daher ist diese neue Struktur wahrscheinlich auf alle S-layer anzuwenden, die wie Geobacillus eine P1-Symmetrie besitzen. Dies sollte es in Zukunft erleichtern, gezielt diese Strukturen biotechnologisch herzustellen.
Sonja-Verena Albers ó
Transport über Membranen im molekularen Detail
Der Transport von Stoffen über die Zellmembran spielt eine wichtige Rolle für
biologische Prozesse. Eine Reihe von
Strukturen des Na+/Betain-Symporters
BetP gibt Einblick in die Funktionsweise
dieser wichtigen Klasse von Transportproteinen.
ó Prokaryoten wie Eukaryoten nutzen Na+Symporter, um mithilfe des Natriumgefälles
Stoffe wie Glukose, Aminosäuren oder Neurotransmitter aktiv über die Zellmembran zu
transportieren. So greift das Bodenbakterium
Corynebacterium glutamicum unter hyperosmotischen Stressbedingungen auf Transporter der LeuT-Familie zurück, um Betain und
andere Solute aktiv anzureichern und so der
Dehydrierung entgegenzuwirken. Eingehend
untersucht ist der daran beteiligte trimere
Na+/Betain-Symporter BetP, der durch erhöhte Kaliumkonzentrationen im Zellinneren
aktiviert wird. Mit einer Serie von Kristallstrukturen zeichnen Perez et al. (Nature
(2012) 490:126–130) nun ein detailliertes Bild
des Transportzyklus von BetP.
BIOspektrum | 07.12 | 18. Jahrgang
Der Transporter liegt zunächst in einer
nach außen, zum Periplasma hin geöffneten
Konformation vor, in der Betain und Natrium
binden können. Anschließend geht BetP in
eine zu beiden Seiten abgeschlossene Form
über. Betain wird dabei, umgeben von drei
Tryptophanseitenketten, in einer zentralen
Bindungsstelle gehalten. Schließlich öffnet
sich BetP zur intrazellulären Seite, wobei
Betain in einer neuen, niedrig affinen Bindungstasche zu finden ist, von wo aus es dissoziieren kann. Die Konformationsänderungen sind an die Bindung von Natrium gekoppelt: Eine der Natriumbindungsstellen geht
mit Öffnung zur intrazellulären Seite verloren, eine andere dürfte nur im geschlossenen
Zustand vorliegen. Um den Zyklus zu vervollständigen, kehrt der leere Transporter,
vermutlich über die geschlossene Form,
zurück in den Ausgangszustand.
Y Die Strukturen unterstützen ein alternating-access-Modell und zeigen, wie Konfor mationsänderungen den selektiven Transport
von Betain vermitteln. Andreas Reiner ó
ó Salicylsäure aktiviert den Stoffwechselsensor AMPK
S. A. Hawley et al. (Science (2012) 336:918–
922) erklären eine neue Wirkung von Salicylsäure auf den Fettstoffwechsel. Sie zeigen,
dass Salicylsäure an das gleiche Thr172 der
AMP-aktivierten Proteinkinase (AMPK), einem
Regulator von Zellwachstum und Stoffwechsel, bindet und sie allosterisch aktiviert wie der
im Test befindliche synthetische Aktivator A769662. Sie senkt dadurch den Spiegel der
Plasmafettsäuren, also die Nutzung der Nahrungsfette. AMPK-K.-o.-Mäuse sprechen, wie
zu erwarten, nicht an, ebensowenig
Kultur(HEK293)zellen, denen die Acetylsalicylsäure(ASS)-Deacylase fehlt.
Lothar Jaenicke
ó GPCRs go stretching in the gym
G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCRs) werden durch Bindung eines Agonisten in einer
aktiven Konformation stabilisiert und aktivieren
dann nachgeschaltete Signaltransduktionswege. Man kann sich das so vorstellen, dass ein
Agonist GPCRs zu kleinen gymnastischen
Übungen anregt. M. C. Scimia et al. (Nature
(2012) 488:394–398) zeigen nun, dass der
Rezeptor für das Adipokin Apelin über einen
alternativen Weg zur Gymnastik angeregt werden kann, und zwar durch mechanische Dehnung. Dies spielt in einem Mausmodell der
Herzinsuffizienz eine pathogenetische Rolle.
Interessanterweise stabilisieren Apelin und die
direkte Rezeptordehnung funktionell unterschiedliche Rezeptorkonformationen. Man darf
gespannt sein, ob es gelingt, „pharmakologische Pflaster“ zu entwickeln, die das GPCRStretching hemmen.
Roland Seifert
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W I S S EN SCH AFT · JOU R NAL CLUB
ÿ Proteinsynthese unter Sauerstoffmangel
ÿ Publikation reproduzierbarer und nicht-reproduzierbarer Studien
ÿ Don’t touch this – Viren und ihre Wege
ÿ Variabler Nikotingehalt in Blüten vom Wilden Tabak beeinflusst das Bestäubungsverhalten durch Kolibris
ÿ Struktur der bakteriellen Injektionsnadel gelöst
Proteinsynthese unter Sauerstoffmangel
Als erster Schritt der Standard-Proteinsynthese wird der Startfaktor eIF4E an
die m7-GpppG-Kappe von mRNAs gebunden. Diese Bindung erfordert physiologischen O2-Druck im Gewebe. Bei physiologischer (Höhenluft) oder metabolischer
(Tumor) Hypoxie wird eIF4E bei Säugern
durch Rapamycin-abhängige mTOR(mammalian target of rapamycin)-Mechanismen in Beschlag genommen und so eine
Translation verhindert. Es muss also
einen zellulären Weg geben, der das Überleben unter Sauerstoffmangel (wie z. B. in
Tibet) oder Startfaktorhemmung (wie bei
Krebserkrankungen) möglich macht.
ó J. Uniacke et al. beschreiben ihn als einen
O2-kontrollierten Translationskomplex, der selektiv die Proteinsynthese starten kann (Nature (2012) 486:126–129). Dieser besteht aus
eIF4E2, einem Homologen von eIF4, sowie ei-
nem durch Hypoxie induzierten Faktor (HIF2α) und einem 40-kD-RNA-Bindeprotein M 4
(RBM4). Ein RNA/Hypoxie-Antwortelement
(rHRE) vermittelt die Bindung dieses Komplexes an mRNAs, darunter auch diejenige, die
den EGF-Rezeptor EGFR codiert. Das Aggregat
(HIF-2α/RBM4/eIF4E2) beschlagnahmt die
5’-Startkappe und lenkt auch unter Sauerstoffmangel die mRNAs zu den translatierenden Polysomen.
EGFR, eine Rezeptor-Tyrosinkinase, ist dabei das kritische Aktionszentrum und im Fokus der Untersuchung. Unter Hypoxie wird (im
Zellkultur-Modell bei gehemmter Transkription)
deren codierende mRNA durch HIF-2α aktiviert. Der paraloge HIF-1α tut das nicht. Auch
nur jener wird in die Polysomenfraktion anoxischer Zellen aufgenommen. HIF-2α besitzt
aber kein klassisches RNA-Erkennungsmotiv,
sondern die Bindung geschieht, vermittelt
durch das RBM4-Protein, in einer langen nichttranslatierten 3’-Region (UTR) der EGFRmRNA. Durch Immunfällung wurde erwiesen,
dass RBM4 ausschließlich mit der N-Endregion
nur von HIF-2α, nicht -1α, unabhängig vom O2Druck mit EGRF3’-UTR wechselwirkt. Der HIF2α/RBM-Komplex ist polyvalent für zahlreiche
mRNAs, die das bindende rHRE-Motiv enthalten.
Y Neues Ergebnis dieser Untersuchungen ist,
dass im GTP-kappenabhängigen Translationssystem über die beiden eEIFs ein O2-Partialdruck-abhängiger Umschalthebel physiologischer Funktionen, wohl über Prolin-Hydroxylierungen, eingebaut ist, der das Leben etwa in
sauerstoffarmen Hochgebirgsgegenden oder
das Überleben von Zellen in kompakten Tumoren ermöglicht.
Lothar Jaenicke ó
Publikation reproduzierbarer und nicht-reproduzierbarer Studien
Jeder Wissenschaftler kennt das Problem:
Forschungsprojekte scheitern, weil sich
publizierte Daten nicht reproduzieren lassen. Oft werden viel Zeit und Ressourcen
investiert, um die Ursache zu finden –
häufig vergeblich. Die Publikation „negativer“ Ergebnisse ist dann auch noch ein
Problem, weil solche Studien nicht den
erforderlichen priority score bekommen.
ó Die Publikation technisch solider und gut
dokumentierter Negativstudien ist durch das
Journal PLoS ONE einfacher geworden, weil
bei dieser open access-Zeitschrift ein ganz
wesentliches Akzeptanzkriterium die technische Solidität der Arbeit ist. In vielen Fällen
werden aber nicht-reproduzierbare Ergebnisse nicht publiziert und die scientific com-
munity erfährt davon nur über informelle Insidergespräche oder durch das „Absterben“
bestimmter Arbeitsrichtungen oder Hypothesen in der Literatur. Wie groß das Problem
nicht-reproduzierbarer wissenschaftlicher
Studien ist, ist ungewiss. Umgekehrt ist aber
auch die Publikation von reproduzierten Studien ohne zusätzliche neue Daten wegen fehlender novelty schwierig.
In einem aktuellen Artikel zu dieser Problematik berichten C. G. Begley und L. M. Ellis
(Nature (2012) 483:531–533), dass in der Firma Amgen nur knapp über zehn Prozent
publizierter präklinischer Krebsforschungsstudien reproduzierbar waren. Häufige Ursachen dafür waren ungenaue Datenauswertung, selektive Datenauswahl und fehlende
Validierung von Reagenzien. Da die Publikation von Studien, die sowohl Ergebnisse bestätigen als auch nicht bestätigen, schwierig ist,
ziehen nicht-reproduzierbare Studien häufig
eine Serie von weiteren Publikationen nach
sich, die auf der primär fehlerhaften Publikation aufbauen.
Y Um diese unbefriedigende Situation zu verbessern, wurde kürzlich die Reproducibility
Initiative ins Leben gerufen, deren Zweck es ist,
Daten zu reproduzieren und dann in PLoS ONE
zu publizieren (Couzin-Frankel J, Science (2012)
337:1031). Man kann gespannt sein, inwiefern
die Reproducibility Initiative die akademische
Kultur beeinflussen wird, die bisher vor allem
Wert auf Publikationen in high impact-Zeitschriften legt.
Roland Seifert ó
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Don’t touch this – Viren und ihre Wege
Sowohl Yoshihiro Kawaoka als auch Ron
Fouchier mussten in diesem Jahr erfahren, wie schwer es sein kann, wissenschaftlich wichtige Ergebnisse zu publizieren. Ihre Studien lösten in den letzten
Monaten heftige Diskussionen in der
Öffentlichkeit aus. Beide Forscher untersuchten mit ihren Teams, welche Eigenschaften H5N1-Viren besitzen müssen,
um über die Luft übertragen werden zu
können. Dies ist einer der Gründe, warum
sie Frettchen für ihre Studien verwendeten und keine Mäuse, da jene weder niesen noch husten können. K. M. Edenborough und ihren Kollegen in Melbourne
gelang es nun, ein Mausmodell für kon-
taktabhängige Transmissionsstudien zu
etablieren (J Virol (2012) DOI:10.1128/
JVI.00859-12).
ó Da der Luftweg der Übertragung bei Mäusen ausgeschlossen werden kann, konnten
die Forscher die kontaktbedingte Transmission unabhängig von anderen Infektionsrouten untersuchen. Hierzu hielten sie nicht-infizierte Mäuse im selben Käfig mit infizierten
Versuchstieren. Dabei fanden sie heraus, dass
die Übertragung Subtyp-spezifisch ist, wobei
H3N2-Viren übertragen werden können,
H1N1-Viren jedoch nicht. Sie konstruierten
Viren, die sich zu verschiedenen Anteilen aus
H1N1 und H3N2 zusammensetzten. Auf diese Weise fanden sie heraus, dass das H3N2-
Hämagglutinin für eine erfolgreiche Transmission essenziell ist. Stieg die Viruskonzentration im Speichel über einen bestimmten Schwellenwert, vervielfachte sich die
Chance einer erfolgreichen Transmission,
wohingegen weder die Viruslast in der Lunge
noch die in der Nase der zu Beginn infizierten
Tiere entscheidend für die Transmission war.
Y Durch diese Studie gewinnen wir einen
wichtigen Einblick in eine der vielen Infektionsrouten. Über die Bedingungen für eine
klassische Tröpfcheninfektion können durch
die Wahl des Modellorganismus jedoch keine
Aussagen getroffen werden. Hierfür werden
nach wie vor viel diskutierte Studien wie die
von Kawaoka und Fouchier benötigt.
Sarah Leist ó
Variabler Nikotingehalt in Blüten vom Wilden Tabak beeinflusst das
Bestäubungsverhalten durch Kolibris
Für die Bestäubung vieler Pflanzen sind
nicht nur Insekten verantwortlich. Unter
bestimmten Umständen können Kolibris
diesen Job z. B. beim Wilden Tabak (Nicotiana attenuata) übernehmen. Allerdings
wappnet sich der Tabak gegen Fraßfeinde
durch hohe Mengen an Nikotin. Insekten,
die auf dem Tabak parasitieren, haben
gelernt, dieses Nikotin sehr effizient zu
metabolisieren und sind daher nicht nur
Bestäuber, sondern auch Fraßfeinde.
Daher müssen alternative Bestäuber her.
Die Kolibris meiden eigentlich nikotinhaltige Pflanzen, aber wenn die Pflanze für
die Nektarsuche zur Verfügung steht,
wird sie angeflogen.
ó Hohe Nikotingehalte schädigen die Kolibris, aber niedrige können toleriert werden.
Dies nutzt nun der Wilde Tabak, um die
Anflugrate von Kolibris zur Bestäubung zu
beeinflussen (Kessler D et al., Plant J (2012)
71:529–538). Weil Kolibris Pflanzen mit
wenig Nikotin bevorzugen und solche mit viel
Nikotin im Nektar ablehnen, testen sie viele
Blüten aus. Die Variabilität im Nikotingehalt
des Blütennektars ist sehr hoch. Sie kommt
durch Mikro-RNAs zustande. Mikro-RNAs
sind RNA-Moleküle von 21 bis 27 Nukleotiden, die eine gegenläufige Richtung zu einer
messenger-RNA (mRNA) besitzen. Sie können
an komplementäre Nukleotidsequenzen der
mRNA binden und damit deren Abbau indu-
zieren. In einigen Blüten betrifft dies die Synthesegene für Nikotin, sodass weniger davon
gebildet wird, während dieser Mechanismus
in anderen Blüten nicht greift. Mutantenpopulationen, die keine Mikro-RNAs bilden können, zeigten die Variabilität im Nikotingehalt
der Blüten nicht. Sie wiesen eine geringere
genetische Variabilität auf als die Population,
die solche Mikro-RNAs bilden können.
Y Der Vorteil einer hohen genetischen Variabilität für die Pflanze ist die bessere Anpassung einer solchen Population an sich ändernde Umweltbedingungen. Dieser Befund ist ein
Beispiel dafür, wie ein ursprünglich für die
Pflanze negativer Effekt umgekehrt werden
kann.
Jutta Ludwig-Müller ó
Struktur der bakteriellen Injektionsnadel gelöst
Bakterien injizieren gezielt Virulenzfaktoren in eukaryotische Zielzellen. Die Struktur eines nadelförmigen Proteinpolymers,
das dabei Bakterien und Zielzellen verbindet, wurde nun mit hoher Auflösung dargestellt.
ó Pathogene Gram-negative Bakterien
benutzen Typ-III-Sekretionssysteme (T3SS),
um toxinähnliche Proteine in Wirtszellen zu
translozieren. Eine zentrale Komponente der
T3SS sind hohle, nadelartige Proteinfilamente, die die Bakterienzelle mit der Wirtszelle
verbinden. Bei Salmonella enterica, einem
Erreger von Darminfektionen, besteht diese
BIOspektrum | 07.12 | 18. Jahrgang
Nadel aus einem Polymer des Proteins PrgI.
Die Anordnung der PrgI-Monomere im Nadelfilament war bisher unbekannt. Das Team um
Michael Kolbe, Stefan Becker und Adam Lange (Loquet A et al., Nature (2012) 486:276–
279) verwendete rekombinant erzeugte PrgIMonomere, die in vitro zu Nadeln polymerisierten. Diese Nadeln wurden für Strukturanalysen mittel Festphasen-Kernspinresonanz
(ss-NMR) eingesetzt. Bisherige Strukturuntersuchungen führten zur Kristallstruktur
der Untereinheiten und zur Darstellung der
Nadeln durch Kryo-Elektronenmikroskopie.
Eine hochauflösende Darstellung der poly-
meren Anordnung der PrgI-Untereinheiten
in der Nadel war jedoch bisher nicht möglich.
Die aktuelle Arbeit zeigt eine rechtsgängige
helikale Anordnung mit etwa elf Untereinheiten pro zwei Umläufen der Helix. Der konservierte C-Terminus der PrgI-Untereinheiten
ist zum 25 Å großen Lumen der Röhre hin
orientiert, während die N-terminale Domäne
auf der Oberfläche der Röhre lokalisiert ist.
Y Die Struktur der PrgI-Nadelkomplexe ist ein
wichtiger Baustein für das Verständnis der
Funktion eines weitverbreiteten bakteriellen
Virulenzfaktors.
Michael Hensel ó
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