Forscher machen Schwäbische Alb zum Freiluftlabor

Werbung
Powered by
Seiten-Adresse:
https://www.biooekonomiebw.de/de/fachbeitrag/aktuell/forscher-machenschwaebische-alb-zum-freiluftlabor/
Forscher machen Schwäbische Alb zum Freiluftlabor
Die Schwäbische Alb gehört zu den drei Standorten, wo seit 2008 Scharen von
Wissenschaftlern den Zusammenhang zwischen Artenvielfalt und Landnutzung und deren
Rolle für Ökosystemprozesse erforschen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
fördert diese riesigen Freiluftlabore namens Biodiversitäts-Exploratorien seit 2006, vorerst
bis 2017.
Grünland-Versuchsfläche AEG 8 mit Klimastation nahe Münsingen. © Pytlik
Wie der Name schon andeutet, haben Exploratorien anders als die vorwiegend beschreibenden
Observatorien erklärenden Charakter. Jedes der drei Freiluftlaboratorien ist mit einer
wissenschaftlichen Infrastruktur ausgestattet und besteht aus einer Vielzahl instrumentierter,
genau vermessener Untersuchungsflächen mit Kontroll- und Experimentierflächen und einer
laufend aktualisierten Datenbank. In diese werden Daten zu Umwelt, Klima, Diversität von
Pflanzen und verschiedenen Tiergruppen und Ökosystemprozessen eingespeist.
Mühsam tasten sich Insektenkundler, Botaniker, Fledermausexperten oder Bodenökologen an
die komplexen Mechanismen der Natur heran. Auf einer Informationsveranstaltung von
Wissenschaftlern für Landnutzer wie Förster, Schäfer, Landwirte oder Naturschützer im Hauptund Landesgestüt Marbach inmitten des Biosphärenreservats Schwäbische Alb wurden
aktuelle Ergebnisse vorgestellt.
1
100 Untersuchungsflächen pro Exploratorium
Jedes der drei Biodiversitäts-Exploratorien umfasst mindestens 500 Quadratkilometer mit je
100 Untersuchungsflächen, zur Hälfte Wald und Grünland unterschiedlicher
Nutzungsintensität. Bei Waldflächen reicht das Spektrum von der intensiv genutzten
Stangenholzplantage bis zum unbewirtschafteten Buchenwald mit altem Baumbestand. Auf
Grünland sind Beweidung, Mahd und Düngung das Maß für die Landnutzungsintensität. Am
unteren Ende der Nutzungsskala finden sich schafbeweidete Trockenrasen und einschürige
(eine Mahd jährlich) ungedüngte Mähwiesen, am oberen Ende der Nutzungsskala
Intensivgrünland.
Neben der Schwäbischen Alb sind die Biosphärenreservate Schorfheide-Chorin (Brandenburg)
und Hainich-Dün (Thüringen) als Exploratorien ausgewählt worden. An allen drei Orten
arbeiten zur Zeit rund 250 Studenten, Doktoranden, Postdocs, wissenschaftliche Mitarbeiter
und Professoren aus 33 Forschungsstätten.
Größer, länger, umfassender
Gebietsmanager Dr. Swen Renner erklärt den Exkursionsteilnehmern den Aufbau der Klimastation. © Pytlik
Neu und einzigartig sind die drei Biodiversitäts-Exploratorien, weil sie großskalig sind, über
viele Jahre untersucht werden und das ganze Spektrum der Artenvielfalt abdecken. Einzelne
Aspekte werden natürlich schon lange untersucht, sagt der Gebietsmanager für die
Schwäbische Alb, der Biologe Dr. Swen Renner. Meist aber enden solche Studien schon nach
zwei Jahren, zu kurz für valide Daten. Wenig überrascht es da, dass Daten, die über längere
Zeiträume erhoben werden, leicht mit etablierten Lehrmeinungen in Konflikt geraten. So legen
Langzeit-Daten aus den Exploratorien nahe, dass das Vorkommen von Vögeln nicht, wie viele
Ornithologen meinen, an wenigen Ursachen hänge. Es gebe ein „gewisses Rauschen“, das sich
nicht über gängige Gründe wie Nahrungs- und Nestplatzangebot oder Waldstruktur erklären
lasse; das könne dem Zufall geschuldet sein oder an nicht bekannten Ursachen liegen. Das
Vorkommen von Vögeln lasse sich nicht an ein oder zwei Faktoren festmachen, sei deutlich
komplexer, so Renner.
Zwar liegen inzwischen gute Daten von fünf, teilweise acht Jahren vor, aber diese reichen noch
nicht aus, um Trends zu benennen. Dazu brauchen die Ökologen Datenreihen aus mehreren
Jahrzehnten. Die Artenzahlen bei Vögeln beispielsweise schwankten sehr stark zwischen den
Jahren und auch zwischen den Landnutzungstypen. Auf der Alb beobachteten die Forscher
2
2008 und 2009 relativ wenige Vogelarten, in den Folgejahren aber deutlich mehr, in den
letzten zwei Jahren schließlich waren es wieder relativ wenige. Dieses Schwankungsphänomen
versuchen die Ökologen jetzt zu erklären.
„Wir brauchen erst eine vernünftige Datengrundlage“
Am Anfang steht das Zählen und Bestimmen, aber der Explorations-Ansatz geht darüber
hinaus, will erklären, erläutert Renner. Dazu braucht es Manipulationen, Versuche: So
entfernen die Biologen beispielsweise auf einer Weide ein Stück Grasnarbe, um die Auswirkung
dieser Störung auf Mikrofauna und -flora zu untersuchen. Kleine Gewächshäuser im Wald
simulieren einen klimatischen Stresstest (Trockenheit). Zur Erforschung dieser komplexen
biologischen Zusammenhänge werden auch molekulargenetische Methoden eingesetzt, um
auch die genetische Diversität zu untersuchen. Spektakulär ist teilweise auch der technische
Aufwand: Für die Untersuchung der Verteilung der Pflanzenarten im Wald wurden Drohnen und
Flugzeuge eingesetzt, die das Areal mit Lasern vermaßen.
Alb-Gebietsmanager Renner wirbt um Verständnis und Geduld für die vorsichtig
formulierenden Wissenschaftler: „Wir zählen nicht nur Arten, sondern versuchen auch die
dahinter ablaufenden Prozesse zu verstehen.“ Die Ökologen wissen nur zu gut, dass ihre
grundlagenorientierte Arbeit Antworten für den anwendungsorientierten Naturschützer liefern
kann. Zu Ratschlägen indes lassen sie sich nicht hinreißen, „weil wir Wissenschaftler sind und
erst eine vernünftige Datengrundlage haben wollen“.
Kein einheitliches Bild der drei Exploratorien
Dr. Steffen Boch erklärt die ökologische Forschung vor Ort auf einer Grünlandfläche. © Pytlik
Unstrittig unter den Wissenschaftlern ist, dass die Landnutzung hauptverantwortlich für das
stille Verschwinden von Pflanzen, Tieren, Pilzen und Mikroorganismen ist, sagte Dr. Steffen
Boch, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Botanischen Garten Bern. Er verwies in seinem
Übersichtsvortrag auf eine Schwierigkeit, mit der die Beteiligten heute schon konfrontiert
werden: der Frage, ob sich die Daten der drei Exploratorien auf ganz Deutschland übertragen
3
lassen. Denn die Daten aus den drei Standorten ergeben nach Bochs Worten ein teilweise
widersprüchliches Bild. Für das Grünland der Schwäbischen Alb gilt: Je intensiver das Grünland
genutzt wird, desto ärmer wird die Pflanzenvielfalt. Diese Korrelation konnten die Botaniker
aber nicht für den brandenburgischen Standort zeigen.
Nimmt man Artenvielfalt als Maß für den Erfolg von Naturschutz, was einige tun, ergibt sich
nach aktueller Datenlage zu den Waldflächen der Schwäbischen Alb ein vielleicht nicht ganz
genehmes Bild: Auf forstwirtschaftlich ungenutzten Flächen stellten die Ökologen eine
geringere Artenvielfalt fest als in intensiver genutzten Waldflächen. Je größer die
menschengemachte Störung war, desto größer war der Lichteinfall, was die Anzahl der
“Lichtzeiger“ erhöhte. Der Wald, folgerte der Referent, eignet sich deshalb nicht für auf andere
Ökosysteme übertragbare Aussagen zur Biodiversität. So sind Buchenwälder, die in unseren
Breiten natürliche Vegetationsform, artenärmer als Buchen-Fichten-Wälder. Zu dieser
Erkenntnis gelangten Forscher bereits, als sie tropischen Regenwald mit leicht
gestörtem/genutztem Regenwald auf Artenvielfalt hin verglichen. Hinzu kommt noch eine
Tatsache: In Deutschland, anders als etwa in Polen oder Skandinavien, gibt es keine Urwälder;
allenfalls einige Flächen, wo wie auf der Alb oder im Kellerwald bei Kassel ein- bis zweihundert
Jahre die Forstwirtschaft ruht, was für Waldkundler vergleichsweise geringe Zeitspannen sind.
Beobachtet haben die Botaniker auf allen drei Standorten weiterhin, dass eine leichte Variation
bei extensiver Landnutzung die Vielfalt verschiedener Organismengruppen erhöht.
Fliegen wichtigste Bestäuber
4
Wiese auf der Alb. © Pytlik
Über die gefährdete Vielfalt von Blüten und Bestäubern auf den drei Standorten berichtete
Prof. Dr. Nico Blüthgen von der TU Darmstadt. 105 Blütenarten, 586 Insekten und 18.736 TierPflanze-Interaktionen auf einer 600 Quadratmeter großen Grünland-Fläche zählten die
Biologen 2007, im Jahr darauf waren es noch mehr.
Den Großteil der Bestäuber stellen die Fliegen, erst dann folgen Bienen und andere Hautflügler
wie Schmetterlinge. Die Schwäbische Alb weist den größten Artenreichtum der drei
Exploratorien auf. Hier fanden die Wissenschaftler 24 Hummel-, 104 Käfer- und 50
Schmetterlingsarten.
Artenreichtum ist besserer Puffer für Ökosystem
Prof. Dr. Nico Blüthgen von der TU Darmstadt © Pytlik
Die bisherigen Untersuchungen auf unterschiedlich intensiv genutzten Alb-Grünflächen
erbrachten dieses Ergebnis: Schmetterlinge, Käfer und Bienen gehören zu den großen
Verlierern einer intensiven Landnutzung. Allgemeiner formuliert: Es sind vor allem die auf
bestimmte Pflanzen spezialisierten Bestäuber, die einer intensiven Nutzung zum Opfer fallen.
Allerdings täuscht der erste, rein quantitative Blick, denn die Artenvielfalt bleibt bei intensiver
Landnutzung in etwa gleich, weil mehr bestäubende Fliegenarten wie Schwebfliegen den
Verlust anderer Arten ausgleichen. Für die Alb bedeutet dies nach Blüthgens Worten, dass bei
intensiver genutzten Grünflächen am meisten Bienen und Schmetterlinge leiden, wenn
‚Insektenmagneten‘ wie Glockenblumen und Disteln aus stark gedüngten Wiesen
verschwinden.
Insekten stellen im Grünland die meisten Arten
486 Insekten- und Spinnenarten auf den untersuchten Wiesen und Weiden der Alb stehen auf
der Roten Liste. Der Großteil der gefundenen Arten sei aber nicht bedroht, berichtete Nadja
Hersacher vom Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie der TU München. Insekten stellen im
Grünland die meisten Arten, so Hersacher, die seit 2008 das Insektenmonitoring auf den drei
Exploratorien am Boden und in der Vegetation betreibt. Zoologischer Kärrnerarbeit kommt es
5
In die Insektenfalle geraten... © Pytlik
gleich, die mit Bodenfalle oder Kescher gefangenen Spinnen, Weberknechte, Wanzen, Zikaden,
Käfer oder Heuschrecken von der Wiese in Artenlisten zu bringen. Die Anzahl der Individuen
wies nach Hersachers Darstellung nur geringe regionale Unterschiede auf, ganz im Gegenteil
zur Diversität der Arten zwischen den Regionen.
Forscher erhellen das Leben der Fledermäuse
Über die erste standardisierte Erfassung von Fledermäusen in Europa (seit 2008) berichtete
Kirsten Jung vom Institut für Experimentelle Ökologie der Uni Ulm. Alle 1.200 Arten in
Deutschland sind perfekt an ihr Habitat angepasst, so auch die am häufigsten auf der Alb
anzutreffende Fledermausart, die Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus).
Mittlerweile könne ihre Arbeitsgruppe deren Vorkommen für das Exploratorium Schwäbische
Alb vorhersagen, berichtete Jung stolz.
Zwergfledermaus, häufigste Art auf der Alb. © Uni Ulm
In Wald und Grünland stellten die Forscher geringe Unterschiede im Artenreichtum fest. Die
Schwäbische Alb weist von allen drei Standorten die geringste Artenzahl (ermittelt durch
akustische Ortung) auf. Boden und Landnutzung beeinflussten direkt die geflügelten Säuger.
6
Eine höhere Aktivität von Fledermäusen beobachteten die Forscher auf Flächen mit höherer
Insektenzahl und -größe, wie auf Mähweiden, Mineral- oder moorigen Böden.
Eine große Bedeutung für Fledermäuse haben laut Jung Landschaftsstrukturen wie
Waldfläche, Hecken, einzelne Bäume und Wasserflächen. Diese Erkenntnisse gewannen die
Forscher, indem sie die Waldstruktur mit lasergestützten Drohnen dreidimensional erfassten.
Die Zwergfledermaus auf der Alb beispielsweise meidet offene Flächen, braucht die Nähe zum
Wald und orientiert sich am Jagdhabitat.
Abschied von einer Lehrmeinung
Der Göttinger Bodenökologe Prof. Dr. Stefan Scheu © Pytlik
Erhellendes aus der Dunkelheit von Nahrungsnetzen im Boden berichtete der Göttinger
Bodenökologe Prof. Dr. Stefan Scheu von der Universität Göttingen. Auf einem Kubikzentimeter
Wald tummeln sich rund 900 Arten: Pilzhyphen, Bakterien, Protozoen, Nematoden, Milben und
Collembolen. Mithilfe von Kohlenstoff- und Stickstoffisotopen-Messungen im Boden von
Buchenwäldern untersuchte er den Nährstoffweg der Organismen.
Bislang galt die Lehrmeinung, dass sich das unterirdische Netzwerk von Zersetzern großenteils
vom Bodeneintrag der Blätter ernährt. Tatsächlich, fand Scheu heraus, sind es die Pilze an den
Baumwurzeln, die einen wesentlichen Teil der unterirdischen Nährstoffressourcen für die
Zersetzer stellen und nicht die nährstoffarme Blatteinstreu.
DFG braucht langen Atem
Dass die Biodiversität auch einen ökonomischen Wert besitzt, ist in jüngster Zeit durch das
Bienensterben und das damit ausbleibende Bestäuben von Kulturpflanzen einer größeren
Öffentlichkeit vor Augen geführt worden. Ob die DFG diese Biodiversitäts-Exploratorien über die
7
Jahrzehnte fördern wird, lässt sich heute noch nicht abschätzen. Unbestritten ist für Prof. Dr.
Manfred Ayasse schon heute der beträchtliche Erkenntnisgewinn des internationalen
Leuchtturmprojektes, der sich in einer Vielzahl von Publikationen in renommierten Journalen
zeige. Der Biologe ist Leiter des Instituts für Experimentelle Ökologie der Universität Ulm, die zu
den wissenschaftlichen Kern-Einrichtungen der Biodiversitäts-Exploratorien zählt.
Fachbeitrag
24.06.2013
wp
BioRegionUlm
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Mehr Informationen zum Biosphärenreservat Schwäbische
Alb
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Biodiversität in der Krise
8
Herunterladen