Ackerbau Serie Getreidebau • Aussaat • Vegetationsstart • Schossen • Kornfüllung • Qualität Bei den Qualitätskriterien Fallzahl und Protein sind Sie nicht völlig machtlos den Unbilden der Witterung ausgeliefert. Vermehrungs­ bestände müssen Sie ohne­ hin anders führen. Mehr dazu von Dr. Ute Kropf, Fachhoch­ schule Kiel. Foto: Kropf Qualität: Was Sie selbst steuern können Fallzahl und Protein: Steuern und stabilisieren D ie letzten Sommer haben demonstriert, wie abhängig die Qualitätsparameter von der Witterung nach der Blüte sind. Dennoch müssen Sie im Vorfeld alles tun, um die Kriterien für die Vermarktung erfüllen zu können. Der erste Schritt ist die Sortenwahl. Sie bestimmt, ob Sie hochwertigen Qualitätsweizen, Backweizen oder nur Futtergetreide produzieren. Danach kommen aber wichtige produktionstechnische Faktoren, die die Fallzahl oder den Rohproteingehalt beeinflussen. Diese 60 top agrar 7/2012 und den Einfluss der Witterung sollten Sie kennen, um den Bestand optimal auf die Kornfüllung und den Verwendungszweck vorzubereiten. Fallzahl: Das Absinken der Fallzahl oder gar Auswuchs im stehenden Bestand ist ein Phänomen, das in der Natur eigentlich nicht vorgesehen ist. Die Urformen des Getreides bauen während der Abreife eine Keimruhe auf, die mehrere Wochen bis Monate anhält. Diese unterbindet ein vorzeitiges Keimen und stellt si- cher, dass erst herbstlicher Regen bei deutlich kühleren Temperaturen das Korn wachsen lässt. Züchterische Selektion hat die Ansprüche an die Dauer der Keimruhe soweit reduziert, dass die Winterkulturen nur wenige Wochen nach der Ernte wieder vollständig keimen. Bei Weizen ist die Keimruhe noch geringer als bei Gerste. Das lässt einen kürzeren Zeitraum zwischen Weizenernte und Saat zu. Daher hat Weizen auch die größeren Probleme mit Auswuchs. Gerste hingegen wird oft noch unter trockenen Bedingungen und deutlich früher geerntet. Außerdem dringt Feuchtigkeit bei Gerste schlechter in das Korn ein, weil die mit dem Korn verwachsene Spelze das Korn schützt. Bei Weizen hingegen kann Was- Schwillt der Embryo am Korn an, beginnt der sichtbare Keimungsvorgang. ser direkt an das frei liegende Korn gelangen und verdunstet zwischen Korn und Spelze auch nur schlecht. Ist die Keimruhe auf dem Halm noch vor der Ernte beendet, beginnen bei regnerischem Wetter die enzymatischen Vorgänge der Keimung und damit ein langsames Absinken der Fallzahl innerhalb von 24 Stunden. Nach wenigen Tagen anhaltender Feuchtigkeit beginnt der sichtbare Keimungsvorgang durch Anschwellen des Embryos (s. Übersicht 1, Seite 62). Bleibt es feucht, erscheinen das erste Blatt und die Wurzelanlagen – das Korn wächst aus. Jetzt hat das Korn auch seine Verbindung zur Spindel verloren und sitzt nur noch lose in den Spelzen. Wind und Regen führen so zu Kornverlusten, wie wir sie zur So beugen Sie Auswuchs vor • Fallzahlstabile Sorte wählen • Spätreife Sorte vermeiden • Saatzeit nicht unnötig hinauszögern • Ausreichende Bestandesdichte, um Frühjahrstriebe und Nachschosser zu vermeiden • Greening-Effekt vermeiden, Bestände müssen rechtzeitig umlagern und abreifen • Fallzahlschwache Partien trocknen, lüften und lagern. Ernte 2011 erleben mussten. Problematisch wird dies oft in der Folgekultur als Durchwuchs. Je nach Bodenbearbeitung (z. B. 2 x pflügen) kann der Durchwuchs auch erst nach zwei Jahren auftreten. So steuern Sie die Fallzahl: Auf den ersten Blick hört sich das an, als sei man der Unbill der Witterung ausgeliefert. Auf den zweiten Blick ergeben sich aber gute Möglichkeiten, die Fallzahl zu stabilisieren bzw. Auswuchs entgegenzusteuern. Achten Sie zunächst auf die richtige Wahl einer fallzahlstabileren Sorte. Informationen darüber finden Sie in der Beschreibenden Sortenliste oder den Ergebnissen der Sortenversuche aus nassen Erntejahren wie 2011. Der Embryo selbst ist ab der Milchreife physiologisch top agrar 7/2012 61 Ackerbau keimfähig. Daher muss sich bereits vorher eine Keimruhe aufbauen. Die Keimruhe ist umso intensiver, je trockener und wärmer es in der Kornfüllung ist. Zwischen Gelb- und Vollreife hat sie ihren Höhepunkt erreicht. Regnet es aber in dieser Phase, wird keine ausreichend hohe und lange Keimruhe aufgebaut. Bleibt es feucht, werden die Keimprozesse bereits auf der Ähre in Gang gesetzt (Auswuchs). Neben der Witterung gibt es aber noch einen zweiten wesentlichen Faktor, der den Aufbau einer Keimruhe bestimmt. Hier kommt wieder das Hormonsystem ins Spiel. Für die Ausbildung der Keimruhe ist die Abscisinsäure verantwortlich. Ihr Gegenspieler ist das Cytokinin, das Sie bereits als Verursacher des „greeningEffektes“ kennengelernt haben (siehe top agrar 4/2012, Seite 86). Ein hohes Cytokinin-Niveau behindert den Aufbau der Keimruhe. Bestände, die durch Fungizide oder eine überzogene N-Düngung bzw. starke N-Nachlieferung zu lange grün gehalten werden, sind von vornherein stark auswuchsgefährdet. Hier spielt vor allem der N-Fluss während der Schossphase eine Rolle, der in die Ausbildung der Blatt- und Stängelmasse gesteckt wird. Die Spätdüngung ist für den greening-Effekt weniger verantwortlich. Im Auswuchsjahr 2011 konnte ein weiterer Faktor für die Auswuchsneigung gut beobachtet werden: Das physiologische Alter der Triebe spielt eine wichtige Info Fallzahl und Auswuchs Die Fallzahl ist ein Maß für die Aktivität des Stärke abbauenden Enzyms Amylase, das die Keimprozesse in Gang setzt. Zur Messung der Fallzahl wird ein definierte „Suppe“ aus dem Mehl und Wasser gekocht. Dann lässt man einen Stab durch diese Kleistersuppe fallen und misst die Zeit in Sekunden. Ist die Stärke intakt, verkleistert sie stark und die Fallzahl ist hoch, genauer: Die Zeitspanne ist lang. Beginnt die Amylase, die langen Stärkeketten in kurze Zuckermoleküle zu spalten, ist die Fallzahl deutlich niedriger bzw. der Zeitraum hierzu kürzer. Für ein optimales Backergebnis ist eine intakte Stärke nötig (hohe Fallzahl), die gut verkleistert und voluminöse, luftige Backwaren gut in Form hält. 62 top agrar 7/2012 Übersicht 1: Von der Keimruhe bis zur Keimung des Getreidekorns Perikarp (Fruchtschale) Testa (Samenschale) Das trockene Korn Hoher endogener Gibberellingehalt im Embryo, Keimung beginnt nur nach beendeter Keimruhe. Aleuronschicht Embryo Endosperm Perikarp (Fruchtschale) Testa (Samenschale) Aleuronschicht Endosperm Embryo Beginn Kornquellung… …mit Wasseraufnahme durch Embryo und Samenschale, passiver physikalischer Prozess, reversibel ohne Schaden z.B. durch Rücktrocknung. Perikarp (Fruchtschale) Testa (Samenschale) Aleuronschicht Endosperm Embryo Beginn der Keimung… …wenn mind. 30% des Korngewichtes an Wasser aufgenommen wurde, und wenn Minimumtemperatur erreicht sowie ausreichend Sauerstoff vorhanden ist. Wurzelanlage (Radikula) erscheint zuerst, Keimung ist irreversibel. Radikula Ist die Keimruhe auf dem Halm vor der Ernte beendet, beginnen bei regnerischem Wetter die enzymatischen Vorgänge der Keimung. Grafik: Orb Rolle. So zeigten die späten Frühjahrstriebe in den ausgedünnten Beständen deutlich früher und massiver Auswuchs. Ein paar Tage früher und vor dem Regen dreschen zu können, kann entschei- dend für die Qualität sein. Hier kann man über eine früher reifende Sorte und rechtzeitige Aussaat nachdenken. Problematischer ist das bei spät räumenden Vorfrüchten. Deshalb ist bei der Sorten- Übersicht 2: Checkliste Spurenelemente Spurenelemente sind für die Protein­ bildung wichtig. Sind die Werte einer Partie unerklärbar niedrig, prüfen Sie, ob eine oder mehrere Faktoren in der Check­ liste als Ursache infrage kommen. Schwefel Kupfer ❑ keine bzw. nicht ausreichende S-Düngung ❑ humoser Standort ❑ Versorgungsstufe A ❑ pH über 7 Kalium Molybdän ❑ Versorgungsstufe A ❑ sandig bis grandiger Boden mit ❑ hoher Tongehalt pH-Wert unter 5,5 ❑ anmooriger Standort ❑ sandiger Standort mit hohen Niederschlägen Magnesium Zink ❑ Versorgungsstufe A oder B ❑ pH-Wert unter 5,5 oder über 7,5 ❑ keine Mg-Düngung ❑ hohes K+-Angebot ❑ hohes NH4+-Angebot (HarnstoffDüngung, Gülle-Düngung) ❑ Versorgungsstufe A ❑ Versorgung mit Phosphat in D oder E ❑ hohe Sonneneinstrahlung ❑ pH über 7 Qualitätsparameter ist ein viel und auch kontrovers diskutiertes Thema. Da der Proteingehalt aber nach wie vor ein Vermarktungskriterium ist, müssen wir uns damit befassen. Durch die Züchtung sind die Weizenerträge seit Mitte der 1980er Jahre um rund 20 dt/ha gestiegen. Die Entwicklung zu leistungsfähigen Korndichtetypen mit hoher Stärkeeinlagerungskapazität hat auch Auswirkungen auf den Proteingehalt. Je mehr Stärke die Pflanze im Korn einlagert, desto niedriger wird der Proteingehalt. Kleine Körner haben einen höheren Proteingehalt, sind aber leider auch mit niedrigeren Erträgen verbunden. Der Grund: Die Anzahl kleiner Körner lässt sich nicht beliebig durch eine höhere Bestandesdichte ausgleichen. Zwei Proteinspeicher: Warum sind kleinere Körner eiweißreicher als große? Dazu müssen wir zwischen zwei Orten und Phasen der Proteinspeicherung unterscheiden: • Für den Backprozess spielen die Aleuronproteine also keine Rolle. Die dafür notwendigen Kleberproteine werden erst zusammen mit der Stärke im Mehlkörper eingelagert. Da der Proteingehalt im Mehlkörper aber deutlich geringer ist als in der Aleuronschicht, verdünnt sich mit zunehmender Stärkeeinlagerung der Proteingehalt des Gesamtkornes, auch wenn der Gesamtertrag an „Protein pro ha“ zunimmt. Woher kommt das Protein? Der größ- te Teil der Kornproteine wird während des Schossens gebildet. Proteine sind langkettige Moleküle, die aus vielen kleinen Aminosäuren zusammengesetzt sind. In den Blättern werden Aminosäuren und Proteine gespeichert und zur Kornfüllung umverlagert. Wie viel Eiweiß gespeichert und eingelagert wird, ist nicht nur sortenabhängig, sondern wird auch durch die Nährstoffversorgung der Pflanze bestimmt. Die wichtigsten Bausteine der Aminosäuren sind Stickstoff und Schwefel, die bei Getreide in einem relativ festen Verhältnis von 7 zu 1 vorliegen. Um 7 kg Stickstoff in Aminosäuren zu binden, ist 1 kg Schwefel notwendig. Weitere wichtige Nährstoffe sind Kalium, Magnesium, Molybdän, Zink und vor allem Kupfer. Ist die Versorgung mit diesen Elementen bereits während der Schossphase nicht ausreichend, kann auch eine Spätgabe den Proteingehalt nicht mehr retten (s. Übersicht 2). Die Übersicht 3: Mögliche Ursachen für gute und schlechte Proteingehalte und Erträge hoch Proteingehalt: Der Proteingehalt als Proteingehalt wahl und Bestandesführung nach Mais oder Rüben besondere Sorgfalt nötig. Ist eine fallzahlschwache Partie geerntet, steigt die Fallzahl im Lager über Winter um 30 bis 50 Sekunden. Voraussetzung ist eine gute Trocknung oder Belüftung der Partie. So kann eine Vermarktung unter Umständen gerettet werden. • In der ersten Woche nach der Befruchtung bilden sich die Endospermzellen und die äußeren Zellschichten, zu denen auch die Aleuronzellen gehören (siehe Übersicht 1). Ab der zweiten Woche beginnt vorrangig die Einlagerung von Proteinen in die äußere Aleuronschicht. Nach drei Wochen ist die Einlagerung der Aleuronproteine abgeschlossen, es sind aber erst 50% der Stärke eingelagert. Zu diesem Zeitpunkt hat das Korn den höchsten Proteingehalt. In der Aleuronschicht sind die für die tierische und menschliche Ernährung wichtigen essenziellen Aminosäuren gespeichert. Bei der Ausmahlung von Backmehlen wird jedoch die Aleuronschicht zusammen mit der Schale fast vollständig entfernt! niedrig Foto: Kropf Hier ist der Keimvorgang (Auswuchs) bereits sichtbar auf der Ähre in Gang gekommen. Kleine Körner mit hohem Proteingehalt: •G enug Aleuronprotein eingelagert, aber wenig Kleberprotein •S tärkeeinlagerungsphase zu kurz (Hitze, Trockenheit) • Bestand vegetativ überzogen • Spätgabe ist nicht angekommen Hohe Erträge mit viel Kleberprotein •B lätter, Wurzeln und Halmbasis gesund • Optimale Nährstoffversorgung •G utes source-sink-Verhältnis und gute Verlagerung der Assimilate • Spätgabe wurde voll genutzt Schlechter Ertrag und niedrige Proteingehalte • Dünne, schlecht ernährte Bestände •S chwefelmangel schon ab Schossbeginn • Komplexe Nährstoffmangelsituation • Fuß- und blattkranke Bestände • s chlechte Bodenstruktur und Wurzelentwicklung • Bestand frühzeitig zusammengebrochen (Trockenheit und Hitze ab Blüte) Hoher Ertrag bei geringem Proteingehalt • Gute Bestandesführung • Relativ blattgesund •K ein N-Fluss mehr nach dem Ährenschieben • Trockenheit • Kranke Wurzel/Halmbasis niedrig Ertrag hoch Gehen Sie kritisch auf Fehlersuche, wenn es beim Proteingehalt hapert. top agrar 7/2012 63 Grundausstattung für das Kornprotein stammt also aus den Blättern. Wirkung der N-Spätgabe: Bei der Spätgabe nutzt man das Phänomen, dass die Pflanze aus Stickstoff, den sie nach der Blüte aufnimmt, vorrangig Aminosäuren bildet, diese sofort in den Mehlkörper transportiert und zu Proteinen umbaut. Um mit der N-Spätgabe wirklich den Proteingehalt anheben zu können, muss die Pflanze den Stickstoff auch über die Wurzel aufnehmen, transportieren und einlagern können. Dazu müssen folgende Voraussetzungen gegeben sein: • Die Düngergabe muss gelöst werden und durch Niederschläge in die Wurzelzone eindringen. • Die Wurzel muss gesund (Schwarzbeinigkeit, Fusarien) und lebensfähig sein. • Die Leitgefäße der Halmbasis müssen durchlässig und frei von Halmbasiserkrankungen sein (Rhizoctonia, Fusarien, Halmbruch). • Die Versorgung mit Schwefel und Spurenelementen (Kupfer, Zink, Molybdän) muss gesichert sein. Die Wirkung der Spätgabe scheitert meist schon an den fehlenden Niederschlägen. Nach dem Ährenschieben noch eine Qualitätsgabe zu streuen, macht daher meist keinen Sinn mehr. Ziehen Sie diese weit genug vor. Damit der Dünger 10 cm tief in den Boden eindringen kann, sind auf leichten Standorten einschließlich Benetzungs- und Verdunstungsverluste wenigstens 20 mm und auf schweren Standorten mindestens 40 mm Regen nötig, um die meist trockenen Böden wenigstens zu benetzen. Um auch noch 64 top agrar 7/2012 Wasser für die Pflanzenaufnahme übrig zu haben, sind weitere Niederschläge nötig, die im trockenen Vorsommer aber meist nicht fallen. Selbst auf unserem maritimen Versuchsstandort Lindenhof/Ostenfeld sind wir dazu übergegangen, die N-Düngung zum Fahnenblattschieben abzuschließen. Mögliche Ursachen für gute und schlechte Proteingehalte und Erträge sind in Übersicht 3, Seite 63 zusammengestellt. Damit können Sie kritisch auf Fehlersuche gehen oder noch besser: Anbaufehler möglichst vermeiden. Foto: agrarfoto Ackerbau Wie Sie SaatgutvermehrungsBestände optimal führen, um hohe Saatgutqualität zu erzeugen, lesen Sie auf den folgenden Seiten. Die N-Spätgabe sollte bis zum Fahnenblattschieben erfolgen, damit sie sicher wirkt. Schnell gelesen • Von der Sortenwahl, Saatzeit, Bestandesdichte bis zum Trocknen, Lüften und Lagern können Sie die Fallzahl beeinflussen. • Um den sortenspezifischen Proteingehalt zu erreichen, müssen die Proteine und Aminosäuren bereits in der Schossphase gebildet und in den Blättern zwischengespeichert werden. • Um mit der Spätgabe den Proteingehalt im Mehlkörper zu steigern, muss die Pflanze den späten N aufnehmen und direkt an die Ähre weiterleiten können. Saatgutqualität: Wie Sie Ihre Vermehrungsbestände führen W Foto: Höner elche Anforderungen an das Saatgut gestellt werden, ist in der Saatgutverordnung gesetzlich geregelt. An Vermehrungsbestände sollten Sie darüber hinausgehende Qualitätsanforderungen stellen, um der neuen Saat wirklich die besten Voraussetzungen zu bieten. Gutes Saatgut muss • frei von samenbürtigen Krankheiten sein, • eine hohe Keim- und Triebkraft haben und • gleichmäßig sortiert sein. Mit Ausnahme von Fusarien können Sie alle samenbürtigen Krankheiten (siehe Übersicht 4, Seite 67) rechtzeitig auf dem Blattapparat beobachten, da sie meist über die Blätter an die Ähre gelangen. Die Brandkrankheiten werden hier nicht betrachtet, da diese durch die Beizung gut erfasst werden. Solange die Blätter noch grün sind, sollten Sie den Bestand spätestens zur Milchreife intensiv auf mögliche samenbürtige Krankheiten absuchen. Sind die beiden oberen Blätter und die Ähre frei davon, ist davon auszugehen, dass auch das Saatgut nicht kontaminiert ist. Im Solange die Blätter grün sind, sollten Sie den Bestand auf mögliche samenbürtige Krankheiten absuchen. top agrar 7/2012 65 Foto: Kropf (5), Schlüter (2) Ackerbau Auch einige klassische Blattkrankheiten können das Saatgut infizieren, wenn sie vom Blatt auf die Ähre gelangen: Ramularia collo-cygni in Gerste (links), DTR im Weizen (Mitte) oder Septoria nodorum im Weizen (rechts). Vorfeld sollte die Fungizidstrategie darauf abgestimmt sein, dass samenbürtige Krankheiten gar nicht erst aufkommen. Wenn Sie auf Nummer sicher gehen wollen, vermehren Sie generell nur nach Blattfrüchten. Triebkraft-Turbo: Gesunde Bestände, die optimal abreifen, haben auch eine hohe Keimfähigkeit. In kranken Beständen oder Jahren mit Auswuchs sinkt die Keimfähigkeit deutlich ab. Die Keimfähigkeit alleine bestimmt aber nicht die endgültige Auflauf- und Überlebensquote. Hier ist die Triebkraft der Partie entscheidend. Unter Triebkraft versteht man die Fähigkeit des Embryos, mithilfe der Kornreserven die bedeckende Erdschicht zu durchstoßen, und aus eigener Kraft eine intakte Wurzel und die beiden ersten Blätter auszubilden. Voraussetzungen dafür sind ein intakter und gesunder Embryo und ein ausreichend großer Mehlkörper. Die Pflanze bildet aus den Kornreserven immer etwa zwei Blätter, bevor sie sich vollständig über Wurzel und Fotosynthese selbst ernährt. Ist der Mehlkörper groß, werden daraus zwei große vitale Blätter und kräftige Wurzeln. Ist das Korn klein, sind auch Wurzeln und Blätter schmächtig und haben schwierigen Auflaufbedingungen nur wenig entgegenzusetzen. Der einzige Vorteil kleinkörniger Partien ist, dass sie mit weniger Keimwasser auskommen als großkörnige. Ein Korn muss etwa 30 % seines Eigengewichtes an Wasser aufnehmen, um keimen zu können. Auf trockenen, sandigen Standorten kann dies zum begrenzenden Fak- 66 top agrar 7/2012 tor werden. Wenn die Saat auf dem eigenen Standort vermehrt wird, reguliert das die Natur. Leichtere Standorte bringen meist geringere Tausendkornmassen hervor, die gut zu den Aussaatbedingungen passen. In den Marschen hingegen werden die für die tonigen Böden notwendigen dicken Körner geerntet. Wenn Sie Saatgut einkaufen, schielen Sie also nicht auf 60 g TKM, wenn Sie auf einem herbsttrockenen Standort wirtschaften. Und vermeiden Sie auf schweren Standorten mit ausreichender Bodenfeuchtigkeit unbedingt kleinkörnige Saatgutpartien! Berücksichtigen Sie, dass unter schlechten Abreifebedingungen die Triebkraft deutlich schneller sinkt als die Keimfähigkeit. Partien mit 99 % Keimfähigkeit haben meist auch eine sehr hohe Triebkraft. Sinkt die Keimfähigkeit aber z. B. auf 80 %, weil die Partie krank und die Körner schlecht ausgebildet sind, liegt die Triebkraft häufig nur noch bei 60 bis 70 %. Das bedeutet: Höhere Feldaufgangsverluste und dünnere Bestände. Wenn Sie keine Alternative haben, sollten Sie daher bei solchen Partien auch die Triebkraft prüfen, um die Saatstärke anpassen zu können. Auswuchs vermeiden! Zur Vermei- dung von Auswuchs gilt für Saatgetreide das gleiche wie für Brotgetreide. Der Abreiferhythmus muss zum Standort passen und ein überzogener greening-Effekt ist unbedingt zu vermeiden. Setzen Sie den Schwerpunkt auf eine Fungizidstrategie, die die Krankheiten (Blatt und Fuß) früh in Schach hält, damit Sie ab dem Fahnenblattschieben auf hohe Fungizidmengen mit starkem greening-Effekt (Strobilurine) verzichten können. Latenter (noch nicht sichtbarer) Auswuchs ist ein beginnender Keimprozess, der durch Rücktrocknung wieder zum Stillstand kommt und nach erneuter Befeuchtung weitergeht. Erst wenn die Wurzelanlagen bzw. der Spross sichtbar werden und der Keimling dann trocken liegt, stirbt er ab. Samen mit sichtbarem Auswuchs können also nicht mehr keimen. Schnell gelesen • Für die Auflauf- und Überlebensquote junger Getreidepflanzen ist die Triebkraft entscheidend. • Ist das Korn klein, sind auch Wurzeln und Blätter schmächtig. • Vermeiden Sie einen greening-Effekt in Ihren Vermehrungsbeständen, damit es möglichst nicht zu Auswuchs kommt. • Sorgen Sie für eine ausgewogene Ernährung, da Nährstoffmangel den Ertrag mindert und das Nährstoffverhältnis im Korn verändert. • Verschiedene Blattkrankheiten können das Saatgut infizieren, wenn sie auf die Ähre gelangen. Übersicht 4: Samen­ bürtige Krankheiten* Weizen Gerste Fusarien Fusarien Microdochium nivale (Schnee­ schimmel) Microdochium nivale (Schneeschimmel) Septoria nodorum Ramularia collo-cygni Drechslera triticirepentis (DTR) Drechslera teres (Netzflecken) CephalosporiumStreifenkrankheit Helminthosporium-Streifenkrankheit *) Bei Weizen und Gerste, ohne Brande Ährenbefall mit Fusarien (hier F. culmorum) sind sehr schwer zu kontrollieren. Brandkrankheiten spielen keine Rolle, da sie von den Beizmitteln erfasst werden. Schwieriger ist es, latenten Auswuchs zu beurteilen. Hier gibt es zwei Probleme. Zum einen kann der hervorgewölbte Embryo durch Reinigung und Förderanlagen mechanisch beschädigt werden. Zum anderen kann sich die Wirkung der Beize verändern, wenn sie direkt nach der Ernte auf das physiologisch aktive Korn trifft. Die keimhemmende Wirkung kann sich dann verstärken. Diese geht nach einigen Wochen zurück, so dass die Partie dann wieder gleichmäßig aufläuft. Partien mit latentem Auswuchs sollten daher erst kurz vor der Aussaat und nur mit so viel Beizmittel wie nötig gebeizt werden. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Saat solcher Partien soll damit nicht legitimiert werden. Es gibt aber Jahre, in denen man sich zwischen Pest und Cholera entscheiden muss. Eine gesunde Partie mit latentem Auswuchs ist dann einer kranken ohne Auswuchs auf jeden Fall vorzuziehen. Ausgewogene Ernährung: Auch für Vermehrungsbestände ist eine ausgewogene Ernährung wichtig. Nährstoffmangel vermindert nicht nur den Ertrag, sondern verändert auch das Nährstoffverhältnis im Korn. Düngen Sie Schwefel nicht ausreichend, dann hat auch das Korn Schwefelmangel und entsprechend schlechtere Startbedingungen. So schaukelt sich Nährstoffmangel schnell auf und führt zu Ertragsverlusten, die nur schwer nachzuvollziehen sind. Prüfen Sie daher Ihre Situation anhand der „Checkliste Spurenelemente“ (siehe Übersicht 2, Seite 62) oder durch eine Nährstoffuntersuchung des Erntegutes. Mit Ausnahme der Fusarien sind diese Krankheiten auf dem Blatt zu sehen. Test: Keimfähigkeit und Triebkraft Legen Sie beim Keimtest 100 Körner auf ein feuchtes Küchenpapier. Ein intakter Weizenkeimling hat einen Blattspross und mind. 3 Wurzeln (links). Keimtest: Legen Sie 100 Körner der Boden sollte zu Beginn gleichmäßig durchfeuchtet sein. Alternativ können Sie auch Sand aus der Sandkiste nehmen. Der Stress für die Pflanze, die Deckschicht zu durchstoßen, ist dann allerdings nicht ganz so groß. Mit dem Auszählen sollten Sie warten, bis das erste Blatt vollständig erschienen ist. Nehmen Sie dann die Pflanzen heraus und schauen Sie sich die Halmbasis an. Verbräunungen sind meist ein Anzeichen für samenbürtige Krankheiten. Solche Partien sollten Sie verwerfen oder sehr gut beizen. Keimt die Partie nur sehr verzögert und verzettelt, besteht die Möglichkeit, dass sie sich noch in der Keimruhe befindet. Dann sollten Sie den Ansatz für zwei Tage in den Kühlschrank stellen. Um keine Zeit zu verlieren können Sie das auch schon vorher machen. gereinigten und nicht gebeizten Partie gleichmäßig auf einem feuchten Küchenpapier aus. Damit der Ansatz nicht austrocknet und die Körner quellen und keimen können, muss er abgedeckt werden. Das geht gut mit zwei übereinandergestülpten Tellern oder unter einer Kuchenhaube. Nach 4 bis 5 Tagen können Sie die nicht oder defekt gekeimten Körner auszählen. Ein intakter Weizenkeimling hat einen Blattspross und drei Wurzeln. Sollte die Blattanlage oder eine Wurzel fehlen, gilt das Korn als defekt. Triebkrafttest: Zum Testen der Triebkraft füllen Sie eine Schale 2 bis 3 cm hoch mit Ackerboden, legen 100 Körner in gleichmäßigem Abstand aus und decken sie vorsichtig mit einer 2 cm dicken Bodenschicht ab. Der top agrar 7/2012 67