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Ackerbau
Serie Getreidebau
• Aussaat
• Vegetationsstart
• Schossen
• Kornfüllung
• Qualität
Bei den Qualitätskriterien
Fallzahl und Protein sind Sie
nicht völlig machtlos den
Unbilden der Witterung
ausgeliefert. Vermehrungs­
bestände müssen Sie ohne­
hin anders führen. Mehr dazu
von Dr. Ute Kropf, Fachhoch­
schule Kiel.
Foto: Kropf
Qualität:
Was Sie selbst
steuern können
Fallzahl und Protein:
Steuern und stabilisieren
D
ie letzten Sommer haben demonstriert, wie abhängig die Qualitätsparameter von der Witterung nach
der Blüte sind. Dennoch müssen Sie im
Vorfeld alles tun, um die Kriterien für
die Vermarktung erfüllen zu können.
Der erste Schritt ist die Sortenwahl.
Sie bestimmt, ob Sie hochwertigen Qualitätsweizen, Backweizen oder nur Futtergetreide produzieren. Danach kommen aber wichtige produktionstechnische Faktoren, die die Fallzahl oder den
Rohproteingehalt beeinflussen. Diese
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top agrar 7/2012
und den Einfluss der Witterung sollten
Sie kennen, um den Bestand optimal auf
die Kornfüllung und den Verwendungszweck vorzubereiten.
Fallzahl: Das Absinken der Fallzahl oder
gar Auswuchs im stehenden Bestand ist
ein Phänomen, das in der Natur eigentlich nicht vorgesehen ist. Die Urformen
des Getreides bauen während der Abreife eine Keimruhe auf, die mehrere Wochen bis Monate anhält. Diese unterbindet ein vorzeitiges Keimen und stellt si-
cher, dass erst herbstlicher Regen bei
deutlich kühleren Temperaturen das
Korn wachsen lässt.
Züchterische Selektion hat die Ansprüche an die Dauer der Keimruhe soweit reduziert, dass die Winterkulturen
nur wenige Wochen nach der Ernte wieder vollständig keimen. Bei Weizen ist
die Keimruhe noch geringer als bei Gerste. Das lässt einen kürzeren Zeitraum
zwischen Weizenernte und Saat zu. Daher hat Weizen auch die größeren Probleme mit Auswuchs. Gerste hingegen
wird oft noch unter trockenen Bedingungen und deutlich früher geerntet. Außerdem dringt Feuchtigkeit bei Gerste
schlechter in das Korn ein, weil die mit
dem Korn verwachsene Spelze das Korn
schützt. Bei Weizen hingegen kann Was-
Schwillt der Embryo
am Korn an, beginnt
der sichtbare
Keimungsvorgang.
ser direkt an das frei liegende Korn gelangen und verdunstet zwischen Korn und
Spelze auch nur schlecht.
Ist die Keimruhe auf dem Halm noch
vor der Ernte beendet, beginnen bei regnerischem Wetter die enzymatischen
Vorgänge der Keimung und damit ein
langsames Absinken der Fallzahl innerhalb von 24 Stunden.
Nach wenigen Tagen anhaltender
Feuchtigkeit beginnt der sichtbare Keimungsvorgang durch Anschwellen des
Embryos (s. Übersicht 1, Seite 62). Bleibt
es feucht, erscheinen das erste Blatt und
die Wurzelanlagen – das Korn wächst aus.
Jetzt hat das Korn auch seine Verbindung
zur Spindel verloren und sitzt nur noch
lose in den Spelzen. Wind und Regen führen so zu Kornverlusten, wie wir sie zur
So beugen Sie
Auswuchs vor
• Fallzahlstabile Sorte wählen
• Spätreife Sorte vermeiden
• Saatzeit nicht unnötig hinauszögern
• Ausreichende Bestandesdichte,
um Frühjahrstriebe und Nachschosser zu vermeiden
• Greening-Effekt vermeiden,
Bestände müssen rechtzeitig
umlagern und abreifen
• Fallzahlschwache Partien trocknen, lüften und lagern.
Ernte 2011 erleben mussten. Problematisch wird dies oft in der Folgekultur als
Durchwuchs. Je nach Bodenbearbeitung
(z. B. 2 x pflügen) kann der Durchwuchs
auch erst nach zwei Jahren auftreten.
So steuern Sie die Fallzahl: Auf den
ersten Blick hört sich das an, als sei man
der Unbill der Witterung ausgeliefert. Auf
den zweiten Blick ergeben sich aber gute
Möglichkeiten, die Fallzahl zu stabilisieren bzw. Auswuchs entgegenzusteuern.
Achten Sie zunächst auf die richtige
Wahl einer fallzahlstabileren Sorte. Informationen darüber finden Sie in der
Beschreibenden Sortenliste oder den
Ergebnissen der Sortenversuche aus nassen Erntejahren wie 2011. Der Embryo
selbst ist ab der Milchreife physiologisch
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Ackerbau
keimfähig. Daher muss sich bereits vorher eine Keimruhe aufbauen. Die Keimruhe ist umso intensiver, je trockener
und wärmer es in der Kornfüllung ist.
Zwischen Gelb- und Vollreife hat sie ihren Höhepunkt erreicht. Regnet es aber
in dieser Phase, wird keine ausreichend
hohe und lange Keimruhe aufgebaut.
Bleibt es feucht, werden die Keimprozesse bereits auf der Ähre in Gang gesetzt
(Auswuchs).
Neben der Witterung gibt es aber noch
einen zweiten wesentlichen Faktor, der
den Aufbau einer Keimruhe bestimmt.
Hier kommt wieder das Hormonsystem
ins Spiel. Für die Ausbildung der Keimruhe ist die Abscisinsäure verantwortlich.
Ihr Gegenspieler ist das Cytokinin, das
Sie bereits als Verursacher des „greeningEffektes“ kennengelernt haben (siehe top
agrar 4/2012, Seite 86).
Ein hohes Cytokinin-Niveau behindert
den Aufbau der Keimruhe. Bestände, die
durch Fungizide oder eine überzogene
N-Düngung bzw. starke N-Nachlieferung zu lange grün gehalten werden, sind
von vornherein stark auswuchsgefährdet.
Hier spielt vor allem der N-Fluss während der Schossphase eine Rolle, der in
die Ausbildung der Blatt- und Stängelmasse gesteckt wird. Die Spätdüngung
ist für den greening-Effekt weniger verantwortlich.
Im Auswuchsjahr 2011 konnte ein
weiterer Faktor für die Auswuchsneigung
gut beobachtet werden: Das physiologische Alter der Triebe spielt eine wichtige
Info Fallzahl
und Auswuchs
Die Fallzahl ist ein Maß für die
Aktivität des Stärke abbauenden
Enzyms Amylase, das die Keimprozesse in Gang setzt. Zur Messung der
Fallzahl wird ein definierte „Suppe“
aus dem Mehl und Wasser gekocht.
Dann lässt man einen Stab durch
diese Kleistersuppe fallen und misst
die Zeit in Sekunden. Ist die Stärke
intakt, verkleistert sie stark und die
Fallzahl ist hoch, genauer: Die
Zeitspanne ist lang. Beginnt die
Amylase, die langen Stärkeketten in
kurze Zuckermoleküle zu spalten, ist
die Fallzahl deutlich niedriger bzw.
der Zeitraum hierzu kürzer. Für ein
optimales Backergebnis ist eine
intakte Stärke nötig (hohe Fallzahl),
die gut verkleistert und voluminöse,
luftige Backwaren gut in Form hält.
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Übersicht 1: Von der Keimruhe bis zur Keimung
des Getreidekorns
Perikarp (Fruchtschale)
Testa (Samenschale)
Das trockene Korn
Hoher endogener Gibberellingehalt im Embryo,
Keimung beginnt nur nach beendeter Keimruhe.
Aleuronschicht
Embryo
Endosperm
Perikarp (Fruchtschale)
Testa (Samenschale)
Aleuronschicht
Endosperm
Embryo
Beginn Kornquellung…
…mit Wasseraufnahme durch Embryo
und Samenschale,
passiver physikalischer Prozess,
reversibel ohne Schaden z.B. durch
Rücktrocknung.
Perikarp (Fruchtschale)
Testa (Samenschale)
Aleuronschicht
Endosperm
Embryo
Beginn der Keimung…
…wenn mind. 30% des Korngewichtes an
Wasser aufgenommen wurde,
und wenn Minimumtemperatur erreicht
sowie ausreichend Sauerstoff vorhanden ist.
Wurzelanlage (Radikula) erscheint zuerst,
Keimung ist irreversibel.
Radikula
Ist die Keimruhe auf dem Halm vor der Ernte beendet, beginnen bei regnerischem
Wetter die enzymatischen Vorgänge der Keimung. Grafik: Orb
Rolle. So zeigten die späten Frühjahrstriebe in den ausgedünnten Beständen
deutlich früher und massiver Auswuchs.
Ein paar Tage früher und vor dem Regen dreschen zu können, kann entschei-
dend für die Qualität sein. Hier kann
man über eine früher reifende Sorte und
rechtzeitige Aussaat nachdenken. Problematischer ist das bei spät räumenden
Vorfrüchten. Deshalb ist bei der Sorten-
Übersicht 2: Checkliste Spurenelemente
Spurenelemente
sind für die
Protein­
bildung
wichtig. Sind
die Werte
einer Partie
unerklärbar
niedrig,
prüfen Sie,
ob eine oder
mehrere
Faktoren in
der Check­
liste als
Ursache
infrage
kommen.
Schwefel
Kupfer
❑ keine bzw. nicht ausreichende
S-Düngung
❑ humoser Standort
❑ Versorgungsstufe A
❑ pH über 7
Kalium
Molybdän
❑ Versorgungsstufe A
❑ sandig bis grandiger Boden mit
❑ hoher Tongehalt
pH-Wert unter 5,5
❑ anmooriger Standort
❑ sandiger Standort mit hohen Niederschlägen
Magnesium
Zink
❑ Versorgungsstufe A oder B
❑ pH-Wert unter 5,5 oder über 7,5
❑ keine Mg-Düngung
❑ hohes K+-Angebot
❑ hohes NH4+-Angebot (HarnstoffDüngung, Gülle-Düngung)
❑ Versorgungsstufe A
❑ Versorgung mit Phosphat in D
oder E
❑ hohe Sonneneinstrahlung
❑ pH über 7
Qualitätsparameter ist ein viel und auch
kontrovers diskutiertes Thema. Da der
Proteingehalt aber nach wie vor ein Vermarktungskriterium ist, müssen wir uns
damit befassen.
Durch die Züchtung sind die Weizenerträge seit Mitte der 1980er Jahre
um rund 20 dt/ha gestiegen. Die Entwicklung zu leistungsfähigen Korndichtetypen mit hoher Stärkeeinlagerungskapazität hat auch Auswirkungen auf den
Proteingehalt. Je mehr Stärke die Pflanze
im Korn einlagert, desto niedriger wird
der Proteingehalt. Kleine Körner haben
einen höheren Proteingehalt, sind aber
leider auch mit niedrigeren Erträgen verbunden. Der Grund: Die Anzahl kleiner
Körner lässt sich nicht beliebig durch eine höhere Bestandesdichte ausgleichen.
Zwei Proteinspeicher: Warum sind
kleinere Körner eiweißreicher als große?
Dazu müssen wir zwischen zwei Orten
und Phasen der Proteinspeicherung unterscheiden:
• Für den Backprozess spielen die Aleuronproteine also keine Rolle. Die dafür
notwendigen Kleberproteine werden erst
zusammen mit der Stärke im Mehlkörper eingelagert. Da der Proteingehalt im
Mehlkörper aber deutlich geringer ist als
in der Aleuronschicht, verdünnt sich mit
zunehmender Stärkeeinlagerung der Proteingehalt des Gesamtkornes, auch wenn
der Gesamtertrag an „Protein pro ha“ zunimmt.
Woher kommt das Protein? Der größ-
te Teil der Kornproteine wird während
des Schossens gebildet. Proteine sind
langkettige Moleküle, die aus vielen kleinen Aminosäuren zusammengesetzt
sind. In den Blättern werden Aminosäuren und Proteine gespeichert und zur
Kornfüllung umverlagert. Wie viel Eiweiß gespeichert und eingelagert wird,
ist nicht nur sortenabhängig, sondern
wird auch durch die Nährstoffversorgung der Pflanze bestimmt. Die wichtigsten Bausteine der Aminosäuren sind
Stickstoff und Schwefel, die bei Getreide
in einem relativ festen Verhältnis von 7
zu 1 vorliegen. Um 7 kg Stickstoff in
Aminosäuren zu binden, ist 1 kg Schwefel notwendig.
Weitere wichtige Nährstoffe sind Kalium, Magnesium, Molybdän, Zink und vor
allem Kupfer. Ist die Versorgung mit diesen Elementen bereits während der
Schossphase nicht ausreichend, kann
auch eine Spätgabe den Proteingehalt
nicht mehr retten (s. Übersicht 2). Die
Übersicht 3: Mögliche Ursachen für gute und
schlechte Proteingehalte und Erträge
hoch
Proteingehalt: Der Proteingehalt als
Proteingehalt
wahl und Bestandesführung nach Mais
oder Rüben besondere Sorgfalt nötig.
Ist eine fallzahlschwache Partie geerntet, steigt die Fallzahl im Lager über
Winter um 30 bis 50 Sekunden. Voraussetzung ist eine gute Trocknung oder Belüftung der Partie. So kann eine Vermarktung unter Umständen gerettet werden.
• In der ersten Woche
nach der Befruchtung
bilden sich die Endospermzellen und die
äußeren Zellschichten,
zu denen auch die
Aleuronzellen gehören
(siehe Übersicht 1). Ab
der zweiten Woche beginnt vorrangig die Einlagerung von Proteinen
in die äußere Aleuronschicht. Nach drei Wochen ist die Einlagerung der Aleuronproteine abgeschlossen, es
sind aber erst 50% der
Stärke eingelagert. Zu
diesem Zeitpunkt hat
das Korn den höchsten
Proteingehalt. In der
Aleuronschicht
sind
die für die tierische und menschliche
Ernährung wichtigen essenziellen Aminosäuren gespeichert. Bei der Ausmahlung von Backmehlen wird jedoch die
Aleuronschicht zusammen mit der
Schale fast vollständig entfernt!
niedrig
Foto: Kropf
Hier ist der Keimvorgang (Auswuchs)
bereits sichtbar auf
der Ähre in Gang
gekommen.
Kleine Körner mit hohem
Proteingehalt:
•G
enug Aleuronprotein eingelagert,
aber wenig Kleberprotein
•S
tärkeeinlagerungsphase zu kurz
(Hitze, Trockenheit)
• Bestand vegetativ überzogen
• Spätgabe ist nicht angekommen
Hohe Erträge mit viel
Kleberprotein
•B
lätter, Wurzeln und Halmbasis
gesund
• Optimale Nährstoffversorgung
•G
utes source-sink-Verhältnis und
gute Verlagerung der Assimilate
• Spätgabe wurde voll genutzt
Schlechter Ertrag und niedrige
Proteingehalte
• Dünne, schlecht ernährte Bestände
•S
chwefelmangel schon ab Schossbeginn
• Komplexe Nährstoffmangelsituation
• Fuß- und blattkranke Bestände
• s chlechte Bodenstruktur und
Wurzelentwicklung
• Bestand frühzeitig zusammengebrochen (Trockenheit und Hitze ab Blüte)
Hoher Ertrag bei geringem
Proteingehalt
• Gute Bestandesführung
• Relativ blattgesund
•K
ein N-Fluss mehr nach dem
Ährenschieben
• Trockenheit
• Kranke Wurzel/Halmbasis
niedrig
Ertrag
hoch
Gehen Sie kritisch auf Fehlersuche, wenn es beim Proteingehalt hapert.
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Grundausstattung für das Kornprotein
stammt also aus den Blättern.
Wirkung der N-Spätgabe: Bei der
Spätgabe nutzt man das Phänomen, dass
die Pflanze aus Stickstoff, den sie nach der
Blüte aufnimmt, vorrangig Aminosäuren
bildet, diese sofort in den Mehlkörper
transportiert und zu Proteinen umbaut.
Um mit der N-Spätgabe wirklich den
Proteingehalt anheben zu können, muss
die Pflanze den Stickstoff auch über die
Wurzel aufnehmen, transportieren und
einlagern können. Dazu müssen folgende
Voraussetzungen gegeben sein:
• Die Düngergabe muss gelöst werden
und durch Niederschläge in die Wurzelzone eindringen.
• Die Wurzel muss gesund (Schwarzbeinigkeit, Fusarien) und lebensfähig sein.
• Die Leitgefäße der Halmbasis müssen
durchlässig und frei von Halmbasiserkrankungen sein (Rhizoctonia, Fusarien,
Halmbruch).
• Die Versorgung mit Schwefel und Spurenelementen (Kupfer, Zink, Molybdän)
muss gesichert sein.
Die Wirkung der Spätgabe scheitert
meist schon an den fehlenden Niederschlägen. Nach dem Ährenschieben
noch eine Qualitätsgabe zu streuen,
macht daher meist keinen Sinn mehr.
Ziehen Sie diese weit genug vor.
Damit der Dünger 10 cm tief in den
Boden eindringen kann, sind auf leichten Standorten einschließlich Benetzungs- und Verdunstungsverluste wenigstens 20 mm und auf schweren
Standorten mindestens 40 mm Regen
nötig, um die meist trockenen Böden
wenigstens zu benetzen. Um auch noch
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Wasser für die Pflanzenaufnahme übrig
zu haben, sind weitere Niederschläge
nötig, die im trockenen Vorsommer
aber meist nicht fallen. Selbst auf unserem maritimen Versuchsstandort Lindenhof/Ostenfeld sind wir dazu übergegangen, die N-Düngung zum Fahnenblattschieben abzuschließen.
Mögliche Ursachen für gute und
schlechte Proteingehalte und Erträge
sind in Übersicht 3, Seite 63 zusammengestellt. Damit können Sie kritisch auf
Fehlersuche gehen oder noch besser: Anbaufehler möglichst vermeiden.
Foto: agrarfoto
Ackerbau
Wie Sie SaatgutvermehrungsBestände optimal führen, um hohe
Saatgutqualität zu erzeugen, lesen
Sie auf den folgenden Seiten.
Die N-Spätgabe sollte bis
zum Fahnenblattschieben
erfolgen, damit sie sicher
wirkt.
Schnell gelesen
• Von der Sortenwahl, Saatzeit, Bestandesdichte bis zum Trocknen,
Lüften und Lagern können Sie die Fallzahl beeinflussen.
• Um den sortenspezifischen Proteingehalt zu erreichen, müssen die
Proteine und Aminosäuren bereits in der Schossphase gebildet und
in den Blättern zwischengespeichert werden.
• Um mit der Spätgabe den Proteingehalt im Mehlkörper zu steigern,
muss die Pflanze den späten N aufnehmen und direkt an die Ähre
weiterleiten können.
Saatgutqualität: Wie Sie Ihre
Vermehrungsbestände führen
W
Foto: Höner
elche Anforderungen an das Saatgut gestellt werden, ist in der Saatgutverordnung gesetzlich geregelt. An
Vermehrungsbestände sollten Sie darüber hinausgehende Qualitätsanforderungen stellen, um der neuen Saat wirklich
die besten Voraussetzungen zu bieten.
Gutes Saatgut muss
• frei von samenbürtigen Krankheiten
sein,
• eine hohe Keim- und Triebkraft haben
und
• gleichmäßig sortiert sein.
Mit Ausnahme von Fusarien können
Sie alle samenbürtigen Krankheiten (siehe Übersicht 4, Seite 67) rechtzeitig auf
dem Blattapparat beobachten, da sie
meist über die Blätter an die Ähre gelangen. Die Brandkrankheiten werden hier
nicht betrachtet, da diese durch die Beizung gut erfasst werden.
Solange die Blätter noch grün sind,
sollten Sie den Bestand spätestens zur
Milchreife intensiv auf mögliche samenbürtige Krankheiten absuchen. Sind die
beiden oberen Blätter und die Ähre frei
davon, ist davon auszugehen, dass auch
das Saatgut nicht kontaminiert ist. Im
Solange die Blätter grün sind,
sollten Sie den Bestand auf
mögliche samenbürtige Krankheiten absuchen.
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Foto: Kropf (5), Schlüter (2)
Ackerbau
Auch einige klassische Blattkrankheiten können das Saatgut infizieren, wenn sie vom Blatt auf die Ähre gelangen: Ramularia
collo-cygni in Gerste (links), DTR im Weizen (Mitte) oder Septoria nodorum im Weizen (rechts).
Vorfeld sollte die Fungizidstrategie darauf abgestimmt sein, dass samenbürtige
Krankheiten gar nicht erst aufkommen.
Wenn Sie auf Nummer sicher gehen
wollen, vermehren Sie generell nur nach
Blattfrüchten.
Triebkraft-Turbo: Gesunde Bestände,
die optimal abreifen, haben auch eine
hohe Keimfähigkeit. In kranken Beständen oder Jahren mit Auswuchs sinkt die
Keimfähigkeit deutlich ab. Die Keimfähigkeit alleine bestimmt aber nicht die
endgültige Auflauf- und Überlebensquote. Hier ist die Triebkraft der Partie entscheidend. Unter Triebkraft versteht man
die Fähigkeit des Embryos, mithilfe der
Kornreserven die bedeckende Erdschicht
zu durchstoßen, und aus eigener Kraft
eine intakte Wurzel und die beiden ersten Blätter auszubilden. Voraussetzungen
dafür sind ein intakter und gesunder Embryo und ein ausreichend großer Mehlkörper.
Die Pflanze bildet aus den Kornreserven immer etwa zwei Blätter, bevor sie
sich vollständig über Wurzel und Fotosynthese selbst ernährt. Ist der Mehlkörper groß, werden daraus zwei große vitale Blätter und kräftige Wurzeln. Ist das
Korn klein, sind auch Wurzeln und Blätter schmächtig und haben schwierigen
Auflaufbedingungen nur wenig entgegenzusetzen.
Der einzige Vorteil kleinkörniger Partien ist, dass sie mit weniger Keimwasser
auskommen als großkörnige. Ein Korn
muss etwa 30 % seines Eigengewichtes
an Wasser aufnehmen, um keimen zu
können. Auf trockenen, sandigen Standorten kann dies zum begrenzenden Fak-
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top agrar 7/2012
tor werden. Wenn die Saat auf dem eigenen Standort vermehrt wird, reguliert
das die Natur. Leichtere Standorte bringen meist geringere Tausendkornmassen
hervor, die gut zu den Aussaatbedingungen passen. In den Marschen hingegen
werden die für die tonigen Böden notwendigen dicken Körner geerntet.
Wenn Sie Saatgut einkaufen, schielen
Sie also nicht auf 60 g TKM, wenn Sie
auf einem herbsttrockenen Standort
wirtschaften. Und vermeiden Sie auf
schweren Standorten mit ausreichender
Bodenfeuchtigkeit unbedingt kleinkörnige Saatgutpartien!
Berücksichtigen Sie, dass unter
schlechten Abreifebedingungen die
Triebkraft deutlich schneller sinkt als die
Keimfähigkeit. Partien mit 99 % Keimfähigkeit haben meist auch eine sehr hohe
Triebkraft. Sinkt die Keimfähigkeit aber
z. B. auf 80 %, weil die Partie krank und
die Körner schlecht ausgebildet sind,
liegt die Triebkraft häufig nur noch bei
60 bis 70 %. Das bedeutet: Höhere Feldaufgangsverluste und dünnere Bestände.
Wenn Sie keine Alternative haben, sollten Sie daher bei solchen Partien auch
die Triebkraft prüfen, um die Saatstärke
anpassen zu können.
Auswuchs vermeiden! Zur Vermei-
dung von Auswuchs gilt für Saatgetreide
das gleiche wie für Brotgetreide. Der Abreiferhythmus muss zum Standort passen und ein überzogener greening-Effekt
ist unbedingt zu vermeiden. Setzen Sie
den Schwerpunkt auf eine Fungizidstrategie, die die Krankheiten (Blatt und
Fuß) früh in Schach hält, damit Sie ab
dem Fahnenblattschieben auf hohe Fungizidmengen mit starkem greening-Effekt (Strobilurine) verzichten können.
Latenter (noch nicht sichtbarer) Auswuchs ist ein beginnender Keimprozess,
der durch Rücktrocknung wieder zum
Stillstand kommt und nach erneuter Befeuchtung weitergeht. Erst wenn die Wurzelanlagen bzw. der Spross sichtbar werden und der Keimling dann trocken liegt,
stirbt er ab. Samen mit sichtbarem Auswuchs können also nicht mehr keimen.
Schnell gelesen
• Für die Auflauf- und Überlebensquote junger Getreidepflanzen ist die
Triebkraft entscheidend.
• Ist das Korn klein, sind auch Wurzeln und Blätter schmächtig.
• Vermeiden Sie einen greening-Effekt in Ihren Vermehrungsbeständen,
damit es möglichst nicht zu Auswuchs kommt.
• Sorgen Sie für eine ausgewogene Ernährung, da Nährstoffmangel den
Ertrag mindert und das Nährstoffverhältnis im Korn verändert.
• Verschiedene Blattkrankheiten können das Saatgut infizieren, wenn sie
auf die Ähre gelangen.
Übersicht 4: Samen­
bürtige Krankheiten*
Weizen
Gerste
Fusarien
Fusarien
Microdochium
nivale (Schnee­
schimmel)
Microdochium
nivale (Schneeschimmel)
Septoria nodorum
Ramularia
collo-cygni
Drechslera triticirepentis (DTR)
Drechslera teres
(Netzflecken)
CephalosporiumStreifenkrankheit
Helminthosporium-Streifenkrankheit
*) Bei Weizen und Gerste, ohne Brande
Ährenbefall mit Fusarien (hier F. culmorum) sind sehr schwer zu kontrollieren.
Brandkrankheiten spielen keine Rolle, da sie
von den Beizmitteln erfasst werden.
Schwieriger ist es, latenten Auswuchs
zu beurteilen. Hier gibt es zwei Probleme. Zum einen kann der hervorgewölbte Embryo durch Reinigung und Förderanlagen mechanisch beschädigt werden.
Zum anderen kann sich die Wirkung der
Beize verändern, wenn sie direkt nach
der Ernte auf das physiologisch aktive
Korn trifft. Die keimhemmende Wirkung kann sich dann verstärken. Diese
geht nach einigen Wochen zurück, so
dass die Partie dann wieder gleichmäßig
aufläuft. Partien mit latentem Auswuchs sollten daher erst kurz vor der
Aussaat und nur mit so viel Beizmittel
wie nötig gebeizt werden.
Um Missverständnissen vorzubeugen:
Die Saat solcher Partien soll damit nicht
legitimiert werden. Es gibt aber Jahre, in
denen man sich zwischen Pest und Cholera entscheiden muss. Eine gesunde Partie mit latentem Auswuchs ist dann einer
kranken ohne Auswuchs auf jeden Fall
vorzuziehen.
Ausgewogene Ernährung: Auch für
Vermehrungsbestände ist eine ausgewogene Ernährung wichtig. Nährstoffmangel vermindert nicht nur den Ertrag,
sondern verändert auch das Nährstoffverhältnis im Korn. Düngen Sie Schwefel nicht ausreichend, dann hat auch das
Korn Schwefelmangel und entsprechend schlechtere Startbedingungen. So
schaukelt sich Nährstoffmangel schnell
auf und führt zu Ertragsverlusten, die
nur schwer nachzuvollziehen sind. Prüfen Sie daher Ihre Situation anhand der
„Checkliste Spurenelemente“ (siehe
Übersicht 2, Seite 62) oder durch eine
Nährstoffuntersuchung des Erntegutes.
Mit Ausnahme der Fusarien sind diese
Krankheiten auf dem Blatt zu sehen.
Test: Keimfähigkeit und Triebkraft
Legen Sie beim Keimtest 100 Körner
auf ein feuchtes Küchenpapier.
Ein intakter Weizenkeimling hat einen
Blattspross und mind. 3 Wurzeln (links).
Keimtest: Legen Sie 100 Körner der
Boden sollte zu Beginn gleichmäßig
durchfeuchtet sein. Alternativ können
Sie auch Sand aus der Sandkiste
nehmen. Der Stress für die Pflanze,
die Deckschicht zu durchstoßen, ist
dann allerdings nicht ganz so groß.
Mit dem Auszählen sollten Sie
warten, bis das erste Blatt vollständig
erschienen ist. Nehmen Sie dann die
Pflanzen heraus und schauen Sie sich
die Halmbasis an. Verbräunungen sind
meist ein Anzeichen für samenbürtige
Krankheiten. Solche Partien sollten
Sie verwerfen oder sehr gut beizen.
Keimt die Partie nur sehr verzögert
und verzettelt, besteht die Möglichkeit, dass sie sich noch in der Keimruhe befindet. Dann sollten Sie den
Ansatz für zwei Tage in den Kühlschrank stellen. Um keine Zeit zu
verlieren können Sie das auch schon
vorher machen.
gereinigten und nicht gebeizten Partie
gleichmäßig auf einem feuchten Küchenpapier aus. Damit der Ansatz
nicht austrocknet und die Körner
quellen und keimen können, muss er
abgedeckt werden. Das geht gut mit
zwei übereinandergestülpten Tellern
oder unter einer Kuchenhaube. Nach
4 bis 5 Tagen können Sie die nicht
oder defekt gekeimten Körner auszählen. Ein intakter Weizenkeimling hat
einen Blattspross und drei Wurzeln.
Sollte die Blattanlage oder eine Wurzel fehlen, gilt das Korn als defekt.
Triebkrafttest: Zum Testen der
Triebkraft füllen Sie eine Schale 2 bis
3 cm hoch mit Ackerboden, legen 100
Körner in gleichmäßigem Abstand aus
und decken sie vorsichtig mit einer
2 cm dicken Bodenschicht ab. Der
top agrar 7/2012
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