1 Mathematik und Nanotechnologie: Warum werden Computer immer kleiner? Ansgar Jüngel Institut für Analysis und Scientific Computing www.juengel.at.vu • Einleitung: vom Computer zum Halbleiterbauteil • Herleitung der Drift-Diffusionsgleichungen • Numerische Lösung der Drift-Diffusionsgleichungen 2 Einleitung Einsatz von Computern Kommunikation Audio/Video Haushalt Medizin Transport Wirtschaft Einleitung 1971 1982 1993 2006 Historie der Intel-Prozessoren 4004 108 KHz, 2250 Transistoren, Kanallänge: 10µm (1µm= 10−6m) 80286 12 MHz, 134.000 Transistoren, Kanallänge: 1,5µm Pentium 1 66 MHz, 7.500.000 Transistoren, Kanallänge: 0,35µm Core Duo 2,3 GHz, 291.000.000 Transistoren, Kanallänge: 65nm 3 Einleitung Vom Computer zum Halbleiter 1 Computer 3 Computerschaltung 4 Transistor 2 Prozessorplatine 4 5 Einleitung Funktionsweise eines MOSFET-Transistors (MOSFET = Metal Oxide Semiconductor Field Effect Transistor) Source Gate Drain Elektronen 70 Nanometer Bulk • • • • Kanallänge: 70 Nanometer Elektronenfluß von Source zu Drain Stromfluß gesteuert von elektrischem Potential an Gate “Verunreinigung” mit Fremdatomen: Dotierung C(x) Drift-Diffusionsgleichungen Mathematische Modellierung Variablen: • Ortsvariable x • Anzahl der Elektronen: Elektronendichte n(x) ≥ 0 • Stromfluß: Teilchenstromdichte J(x) • elektrisches Potential V (x), elektrisches Feld E = −V ′ Zeitunabhängige eindimens. Gleichungen: • Stromdichte konstant: J ′ = 0 • Stromdichte = Diffusionsstrom + Driftstrom: J = Jdiff + Jdrift • Änderung des elektrischen Felds = totale Ladungsdichte: E ′ = C − n ⇒ V ′′ = n − C Frage: Wie lauten Diffusions- und Driftstrom? 6 Drift-Diffusionsgleichungen Herleitung von Diffusions- und Driftstrom H HH HH HH HH n′ < 0 HH HH HH HH HH V′ >0 ⇒ Jdrift = nV ′ ⇒ J = Jdiff + Jdrift = −n′ + nV ′ n - − Jdiff = −n′ HH - ⇒ V + - J >0 7 8 Drift-Diffusionsgleichungen Zusammenfassung Differentialgleichungen: J ′ = 0, J = −n′ + nV ′, V ′′ = n − C(x), x ∈ (0, 1) Randbedingungen: n(0) = n0, n(1) = n1, V (0) = 0, U = V (1) − V (0) : angelegte Spannung • nichtlineares Randwertproblem • im allgemeinen keine expliziten Lösungen ⇒ numerische Lösung V (1) = U Univ.-Prof. Dr. Ansgar Jüngel Institut für Analysis und Scientific Computing Technische Universität Wien Sommersemester 2007 Vorlesungsunterlagen Mathematik und Nanotechnologie: Drift-Diffusionsgleichungen für Halbleiter Wir betrachten die eindimensionalen stationären Drift-Diffusionsgleichungen für Halbleiter: J 0 = 0, J = −n0 + nV 0 , V 00 = n − C(x), x ∈ (0, 1), (1) mit den Randbedingungen n(0) = ρ0 , n(1) = ρ1 , V (0) = 0, V (1) = U. (2) Die physikalischen Variablen sind die Elektronendichte n, die Stromdichte J und das elektrische Potential V . Die Funktion C(x) stellt das Dotierungsprofil dar. Die Größen ρ0 , ρ1 und U sind (positive) reelle Konstanten. 1 Existenz und Eindeutigkeit von Lösungen Es gilt folgender Existenzsatz. Satz 1: Sei C eine stetige Funktion auf [0, 1]. Dann existiert eine Lösung n, J, V ∈ C 2 ([0, 1]) von (1)-(2). Der Beweis erfordert Hilfsmittel aus der Theorie partieller Differentialgleichungen und der Funktionalanalysis und kann daher hier nicht vorgestellt werden. Im allgemeinen ist die Lösung nicht eindeutig. Wenn das elektrische Potential eine gegebene und konvexe Funktion ist, so können wir die Eindeutigkeit der Lösungen beweisen. Satz 2: Seien ρ1 = ρ0 und V gegeben mit V 00 ≥ 0 in (0, 1). Dann existiert höchstens eine Lösung (n, J) ∈ C 2 ([0, 1])2 von (1)-(2). Beweis: Seien n1 und n2 Lösungen von (−n0i + ni V 0 )0 = 0, x ∈ (0, 1), ni (0) = ni (1) = ρ0 , i = 1, 2. Die Differenz n = n1 − n2 löst die Gleichung (−n0 + nV 0 )0 = 0, x ∈ (0, 1), 1 n(0) = n(1) = 0. Das Ziel ist zu zeigen, daß n = 0 in (0, 1) gilt. Dazu multiplizieren wir die obige Gleichung mit n und integrieren über (0, 1): Z 1 Z 1 00 (nV 0 )0 ndx = 0. n ndx + − 0 0 Nun integrieren wir partiell. Die Randintegrale sind gleich null, da n(x) = 0 für x = 0 und x = 1 gilt. Wir erhalten Z 1 Z 1 0 2 nV 0 n0 dx = 0. (n ) dx − 0 0 Wir schreiben das zweite Integral um und integrieren ein weiteres Mal partiell: Z 1 Z 1 Z 1 2 0 0 1 1 2 00 0 0 nV n dx = (n ) V dx = − n V dx ≤ 0, 2 0 0 0 2 denn V 00 ≥ 0 wurde vorausgesetzt. Daher folgt Z 1 Z 0 2 (n ) dx = 0≤ 0 also 1 nV 0 n0 dx ≤ 0, 0 Z 1 (n0 )2 dx = 0. 0 Dies impliziert n (x) = 0 für alle x ∈ (0, 1) und wegen n(0) = 0 daher n(x) = 0 für alle x ∈ (0, 1). Dies bedeutet, daß n1 = n2 , d.h., es kann höchstens eine Lösung von (1)-(2) geben. 0 2 Numerische Approximation In der Elektrotechnik ist das Ziel, die Stromdichte J in Abhängigkeit von der angelegten Spannung U zu bestimmen bzw. Informationen über die sogenannte Strom-Spannungskennlinie J = J(U ) zu erhalten. Das Problem (1)-(2) kann nur in sehr speziellen Situationen (z.B. C(x) konstant) explizit gelöst werden, so daß wir im allgemeinen auf numerische Lösungen angewiesen sind. In diesem Abschnitt berechnen wir eine einfache diskrete Lösung für den Fall, daß das Potential durch V (x) = x · U , x ∈ (0, 1), gegeben ist. Die Idee, die Gleichung (1) zu lösen, lautet, das Intervall (0, 1) in Gitterpunkte 0 = x0 < x1 < · · · < xN = 1 mit xi = ih und h = 1/N , N ∈ N, zu zerlegen und die Funktionen J(x) bzw. n(x) durch Werte Ji bzw. ni zu approximieren. Dazu verwenden wir die TaylorApproximation 1 n(xi+1 ) = n(xi ) + n0 (xi )h + n00 (ξi )h2 . 2 2 Dann ist n0 (xi ) = n(xi+1 ) − n(xi ) n(xi+1 ) − n(xi ) 1 00 + n (ξi )h ≈ h 2 h für “kleines” h. Wir approximieren daher ni ≈ n(xi ) und Ji ≈ J(xi ) sowie n0 (xi ) ≈ ni+1 − ni , h J 0 (xi ) ≈ Ji − Ji−1 . h Für die Gleichungen (1) und (2) erhalten wir dann die Approximationen Ji = − ni+1 − ni ni+1 + ni Vi+1 − Vi + , h 2 h Ji − Ji−1 = 0. h In unserem Fall ist (Vi+1 − Vi )/h = (xi+1 − xi )U/h = U für alle i. Setzen wir die erste Gleichung in die zweite ein, so folgt nach Multiplikation mit 2h2 : (−2 + hU )ni+1 + 4ni − (2 + hU )ni−1 = 0, i = 1, . . . , N. (3) Die Werte für n0 und nN sind aus den Randbedingungen bestimmt: n0 = ρ0 und nN = ρ1 . Diese Gleichung ist eine Differenzengleichung für ni . Das numerische Verfahren wird auch Finite-Differenzen-Methode genannt. Wir können die Differenzengleichung auch als ein lineares Gleichungssystem schreiben, bei der die Koeffizientenmatrix auf der Diagonale den Wert 4, auf der unteren Nebendiagonale den Wert −(2+hU ) und auf der oberen Nebendiagonalen der Wert −2+hU hat. Es handelt sich um eine sogenannte Tridiagonalmatrix. Die Randbedingungen sind in der rechten Seite des Gleichungssystems enthalten: 4 −2 + hU 0 ··· 0 n1 (2 + hU )ρ0 −(2 + hU ) 4 −2 + hU 0 0 n2 .. 0 −(2 + hU ) 4 0 n3 = . . .. .. . . . . . . . . 0 0 0 −(2 + hU ) 4 nN −1 (2 − hU )ρ1 Die Differenzengleichung (3) kann explizit gelöst werden. Satz 3: Sei U 6= 2/h. Es gilt ni = (ρ1 + ρ0 ) ri − 1 + ρ0 , rN − 1 wobei r = (2 + hU )/(2 − hU ). 3 i = 0, . . . , N, Beweis: Wir setzen die Lösungsformel in (3) ein: ri+1 − 1 ri − 1 + (−2 + hU )ρ + 4(ρ − ρ ) + 4ρ0 0 1 0 rN − 1 rN − 1 ri−1 − 1 − (2 + hU )(ρ1 − ρ0 ) N − (2 + hU )ρ0 r −1 ρ1 − ρ0 i+1 i i−1 (−2 + hU )(r − 1) + 4(r − 1) − (2 + hU )(r − 1) = N r −1 ρ1 − ρ0 2 − hU i 2 + hU i = N r + 4ri − (2 + hU ) r (−2 + hU ) r −1 2 − hU 2 + hU ρ1 − ρ0 − (2 + hU ) + 4 − (2 − hU ) ri = N r −1 = 0. (−2 + hU )(ρ1 − ρ0 ) Damit ist der Satz bewiesen. Von Interesse ist nun die diskrete Strom-Spannungskennlinie, d.h., wie hängt der Strom Ji (der ja für alle i gleich ist) von der angelegten Spannung U ab? Dazu setzen wir die Lösungsformel aus Satz 3 in die Approximation der Stromdichte ein: 1 1 Jh := Ji = − (ni+1 − ni ) + (ni+1 + ni )hU h 2 1 (−2 + hU )ni+1 + (2 + hU )ni = 2h ri+1 − 1 1 + (−2 + hU )ρ0 (−2 + hU )(ρ1 − ρ0 ) N = 2h r −1 ri − 1 + (2 + hU )(ρ1 − ρ0 ) N + (2 + hU )ρ0 r −1 ρ1 − ρ0 i+1 i = (−2 + hU )(r − 1) + (2 + hU )(r − 1) + ρ0 U 2h(rN − 1) 2 + hU ρ1 − ρ0 i i r − 1 + (2 + c)(r − 1) + ρ0 U (−2 + hU ) = 2h(rN − 1) 2 − hU ρ1 − ρ0 i i = − (2 + hU )r − (−2 + hU ) + (2 + hU )r − (2 + hU ) + ρ0 U 2h(rN − 1) ρ1 − ρ0 = (−2hU ) + ρ0 U 2h(rN − 1) ρ1 − ρ0 U. (4) = ρ0 − N r −1 Damit haben wir die Beziehung zwischen J und U gefunden. Beachte, daß der Parameter r auch von U abhängt. Für h sehr viel kleiner als eins können wir r ≈ const. ansetzen. In diesem Fall ist J näherungsweise proportional zu U . Bemerkung: Die obige Finite-Differenzen-Approximation kann auch verwendet werden, wenn V irgendeine gegebene Funktion oder durch die Poisson-Gleichung V 00 = n−C(x) ge4 geben ist. In dem speziellen Fall, daß V (x) = xU können wir die Drift-Diffusionsgleichungen auch explizit lösen. Die Lösung lautet nämlich xU n(x) = ρ0 e J + (1 − exU ), U ρ1 − ρ0 J = ρ0 − U U, e −1 was durch Einsetzen in die Differentialgleichung gezeigt werden kann. Übrigens konvergiert die in (4) berechnete diskrete Stromdichte gegen die oben definierte Stromdichte. Um dies zu sehen, rechnen wir rN = so daß 2 + hU N 2 − hU = eU/2 (1 + U/2N )N → = eU N −U/2 (1 − U/2N ) e für N → ∞, ρ1 − ρ0 ρ1 − ρ0 J h = ρ0 − N U → ρ0 − U U = J. r −1 e −1 5